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PDF / 3,5 MB - Alfred Herrhausen Gesellschaft

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11NichtsgehtmehrDas große Versprechen der Nachkriegszeit,dass die Mehrheit es immer besser habenwerde – es ist dahin. Die <strong>Gesellschaft</strong> ist erstarrt:Was du bist, bleibst du. Die Oberschicht hatsich verabschiedet, die große Mitte muss sichan neue Risikolagen gewöhnen, dieUnterschicht ist abgehängt.VON INGE KLÖPFERDeutschland war einmal ein Land der Aufsteiger.Der gesellschaftliche Aufstieg wardas unverhohlene Ziel breiter Teile der Bevölkerung.Mehr Bildung, mehr Wohlstand,mehr Anerkennung – das war einer der Leitgedankenim Nachkriegsdeutschland. EineIdee mit höchst integrierender Kraft. Dersoziale Aufstieg wurde zum Maß aller Dinge,zum Fetisch und für die Einzelnen zurMöglichkeit der Selbstwertbestimmung.Mit dem Wiedererstarken der deutschenWirtschaft, mit Wirtschaftswunder undWohlstand in den ersten Jahrzehnten nachdem Zweiten Weltkrieg verschwammen dieGrenzen zwischen den unterschiedlichen<strong>Gesellschaft</strong>sschichten und Milieus. Selbstdas Arbeitermilieu, das klassische Proletariatschien bald der Vergangenheit anzugehören.Einfache Arbeiter begannen aufzusteigen,der Mitte der <strong>Gesellschaft</strong> zuzustreben.Und das nicht nur bezüglich ihrer Einkommenund damit ihrer Wohlstandsposition,sondern auch in ihren Konsumgewohnheitenund Möglichkeiten. Sie legten das„typisch Proletarische“ ab, sie organisiertensich in Gewerkschaften, trafen sich in Vereinenund Gemeinden und sorgten für die Erfolgeihrer Kinder. Die Bildungsexpansiontrug das Ihre dazu bei, dass hierzulande vonunterschiedlichen gesellschaftlichen Schichtenalsbald keine Rede mehr war, weil – sodie allgemeine feste Überzeugung – ein jederes schaffen konnte, der Talent, Leistungsbereitschaftund ein Quentchen Glückmitbrachte. Der Blick aller richtete sich fürJahrzehnte nach oben – mit großer Selbstverständlichkeit.Das machte die Dynamikder <strong>Gesellschaft</strong> aus und natürlich auch ihrenpermanent steigenden Wohlstand.Heute ist das anders: Die Aufwärtsmobilitätscheint ins Stocken geraten. Der Windweht kälter, das soziale Klima ist rauher geworden.Statt wie über Jahrzehnte den gesellschaftlichenAufstieg ins Visier zu nehmen,haben breite Schichten der Bevölkerunginzwischen den möglichen Abstieg imBlick. Das große Versprechen der Nachkriegszeit,dass es nämlich der breiten Masseimmer besser gehen werde, scheint gebrochen.Der Glaube daran hat viel von seinerSelbstverständlichkeit verloren. Der sozioökonomischeWandel bringt plötzlich wiederGewinner und Verlierer hervor. Die <strong>Gesellschaft</strong>fächert sich auf. Die Sensoren desEinzelnen für Milieus und Klassen habensich über die letzten Jahre wieder geschärft.Und keiner spricht mehr von der „nivelliertenMittelstandsgesellschaft“, die Deutschlandseinerzeit zu prägen schien.So erlebt das Klassenbewusstsein seit einigerZeit eine wahre Renaissance – ein typischerIndikator dafür, dass vieles im Umbruchist. Steigende Einkommensunterschiedesind zum Thema geworden. Von sozialerUngerechtigkeit, ungleicher Verteilungvon Lebenschancen, von Armut undUnterschicht ist die Rede. Die Menschenordnen sich ein und arbeiten am Statuserhalt.Viele sind sich sicher, dass es ihreKinder wieder schwerer haben werden alssie selbst, den Lebensstandard überhauptzu halten. Nichts zeigt die Abkehr vom Aufstiegsgedankenradikaler als diese Einschätzungder Chancen des eigenen Nachwuchses,der es ja – um in der Diktion aus früherenZeiten zu bleiben – eigentlich „mal besserhaben sollte“.Der Kampf um den Erhalt der gesellschaftlichenPosition hat eine neue Dynamik nachDeutschland getragen. Eine, die nicht mehreint, sondern die trennt, weil Statuserhaltnun einmal über Abgrenzung und Ausschlussfunktioniert. Die <strong>Gesellschaft</strong> spaltetsich, sie driftet auseinander; die Trennlinienzwischen Arm und Reich werden schärferund als solche auch deutlich so empfunden.Soziale Grenzen zu überwinden oder gar aufzusteigenist schwieriger geworden.Das alles ist keinesfalls nur eine gefühlteEntwicklung, weil die Mehrheit der <strong>Gesellschaft</strong>in den vergangenen Jahren aus ihrerGemütlichkeit gerissen wurde und sich nunan neue Risikolagen gewöhnen muss. Wissenschaftlerhaben längst herausgefunden,dass gesellschaftlicher Aufstieg tatsächlichnicht mehr so einfach ist – trotz Qualifikationund Leistungsbereitschaft. Es gibt mehrMenschen, die an Status verlieren, als solche,die dazugewinnen. So paart sich die gesunkeneAufstiegsdynamik mit dem erhöhtenRisiko eines gesellschaftlichen Abstiegs.Wer einmal unten ist, kommt nichtso schnell wieder hoch. Oder: Wer in einersozial benachteiligten Schicht aufwächst,hat sehr schlechte Chancen, sich aus dieserherauszulösen. Das ist die neue Realität inDeutschland.Die ehemals so dynamische Aufsteigergesellschaftist über die Jahre erstarrt. DieseEntwicklung ist längst nicht zu Ende. Dabeiist eine meritokratische <strong>Gesellschaft</strong> auf

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