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PDF / 3,5 MB - Alfred Herrhausen Gesellschaft

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19cht und Freiheitden, die sich mit der Wiedervereinigung historischbegründen lässt, aber ebenso vielmit der nicht nur virtuell nähergerücktenWelt zu tun haben dürfte. Mit zunehmendemAbstand zu den Erfahrungen des ZweitenWeltkriegs konnte eine jüngere Generationaus dem Schatten von Grass und Walser,Enzensberger und Lenz treten. Das intensiveNachdenken über Deutschland, seineGeschichte und seine Befindlichkeitenim Sinne von Dolf Sternbergers Diktum„Wir wissen nicht, wer wir sind. Das ist diedeutsche Frage“ hat deshalb nicht nachgelassen– aber es ist vielstimmiger und welthaltigergeworden. Das lässt sich auch daran ablesen,dass Schriftsteller wie Feridun Zaimogluoder Terézia Mora, deren Muttersprachenicht Deutsch ist, sich Positionen in der vorderstenReihe erschrieben haben.Zu beobachten ist eine neue Freiheit: Jederdarf schreiben, was er will, die ideologischenSchubladen sind ausrangiert. Im Vordergrundsteht immer weniger wie, sondernvor allem was erzählt wird. Nicht nur dereinst tiefe Graben zwischen „E“ und „U“scheint zugeschüttet, es gibt auch keine konkurrierendenästhetischen Strömungen,nichts ist mehr strittig. Die Schriftsteller, diedas Bild prägen, von Kracht bis Kehlmann,Hacker bis Hettche, Tellkamp bis Trojanow,sind bestens vernetzt. Dabei nehmen sichdie Autoren nicht gegenseitig zum Vorbild,und vor Klassikern wie Thomas Mann undBertolt Brecht gibt es keine falsche Ehrfurchtmehr. Die Heroen sind Amerikanervon Faulkner bis Franzen oder der MagischeRealismus in seinem illusionslosen VertreterRoberto Bolaño. Zur Professionalisierungdes frischen Wie-es-uns-gefällt tragen derweildie neuen Schreibstätten bei, allen vorandas Deutsche Literaturinstitut in Leipzig.Die Vielfältigkeit spiegelt sich in der Verlagsszene:Noch wird nicht ganz Deutschlandvon Konzernverlagen und Buchhandelskettenregiert, noch gibt es Büchermacher,die sich einem rein von Verkäuflichkeitsinteressengeprägten Programm widersetzen.Von solch einer verlegerischen Vielfalt undSorgfalt können Amerika und Großbritanniennur träumen.Ist denn sonst gar nichts typisch Deutschesgeblieben? Doch. Die Innerlichkeit, dieKomplexität und der Selbstzweifel sind nochda, eine Ernsthaftigkeit, die bei aller spielerischenLeichtigkeit nie l’art pour l’art seinwill. Die Lektüren bereichert das ungemein.Wer noch einen Beweis braucht, der fragedie unbestechliche Schwedische Akademie:Alle fünf Jahre ein Literaturnobelpreis –Günter Grass 1999, Elfriede Jelinek 2004und jetzt Herta Müller – ist ein Rhythmus,an den man sich gewöhnen kann.Illustration Kat MenschikFoto imagoSO SIEHT UNS DIE WELTMama AngelaDie Polen mögen Angela Merkel. Wenndagegen ihr Vorgänger Schröder die Bühnebetritt, stellen sich ihnen die Nackenhaareauf, und wo Erika Steinbach erscheint,die Präsidentin des Bundes derVertriebenen, greifen sie nach demWeihwasserfeudel. Schröder und Steinbachspielen auf der polnischen Puppenbühneden Part von Teufel und Krokodil,Merkel dagegen ist Kasperls Großmutter,die Kuchen backt. In dieser mildenRolle überzeugt sie, obwohl auch siedie in Polen als nationale Kalamitätempfundene Ostsee-Leitung will, undobwohl sie als Parteifreundin ErikaSteinbachs versucht, den Eindruck ungetrübtenEinvernehmens mit ihr zu erwecken.Was also hat Merkel, was die anderennicht haben? Ganz einfach: Man hatsie noch nie grinsend mit Victory-Zeichengesehen, auch nicht beim Rauchenunsittlich teurer Zigarren. Es ist gänzlichundenkbar, dass der Spitzname„blonde Bestie“, der Erika Steinbach inPolen anhaftet, jemals an der Kanzlerinhängen bleiben könnte. Kurz: Merkelstrahlt all das nicht aus, wovor es Polengruselt, wenn sie an Deutschland denken.Sie inszeniert sich weder als Hansdampfund bonziger Autokanzler nochals geharnischte nordische Schönheit.Ihre Hosenanzüge mögen vieles sein,aber sie sind kein Pendant zu SchrödersBrionis, und selbst wer ihr übel will,wird in ihrem Äußeren kein blondes Herrenmenschentumerkennen.Wer in Polen als Deutscher beliebtsein will, muss wissen, dass zuden paar deutschen Sprachfetzen,die jeder kennt, nach wievor die Worte „Achtung“,„Hände hoch“ und „Sieg Heil“gehören. Er muss auch wissen,dass die Polen die Zeit,als sie solche Worte von Deutschenzu hören bekamen, inschlechter Erinnerung haben. Alles,was daran erinnert, ist Gift fürdie Beliebtheit. Unser Tip: keine Victory-Zeichenin Polen, und wenn schonnordisch-blond, dann nicht allzu sehr.Wie Mama Angela. Konrad Schuller

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