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PDF / 3,5 MB - Alfred Herrhausen Gesellschaft

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12Dynamik angewiesen. Denn in einer Leistungsgesellschaftsind die Chancen des Aufstiegsund die Risiken des Abstiegs dieGrundvoraussetzungen ihrer Funktionsfähigkeit;sie müssen allerdings einander dieBalance halten. Sonst verliert die <strong>Gesellschaft</strong>an Leistungskraft, und am Ende anWohlstand.Wo stehen wir in Deutschland jetzt? Überspitztformuliert, befindet sich das Land amRande einer neuen Form der Ständegesellschaft,natürlich ohne deren mittelalterlicheInstitutionalisierung. Es gibt eine Oberschicht,eine ziemlich aufgefächerte Mittelschichtund eine abgehängte Unterschicht.Ober- und Unterschicht verfestigen sich. Beideprägen Überzeugungen und Verhaltensformen,welche die gesellschaftliche Erstarrungbefördern. Dabei haben die oberenSchichten die Vorstellung, zu einer integrierten<strong>Gesellschaft</strong> zu gehören, längst aufgegeben.Sie orientieren sich in an einer internationalvernetzten Weltelite, die der SoziologeLord Dahrendorf einmal als „globale Klasse“bezeichnete.Wohlhabend,hoch mobil, ofthervorragend ausgebildet– nicht zuletzt,weil sie dieMittel dazu haben.Am unteren RandNirgends erkennt mandie soziale Erstarrung besserals an den Jüngsten, bei denendie soziale Herkunft zu vielüber ihren künftigen Erfolgim Leben aussagt.Robert EysoldtDrei Haltungen zu Deutschlandder <strong>Gesellschaft</strong>verbinden sichprekäre materielle Verhältnisse, Bildungsarmutund Verhaltensweisen, die es verhindern,an der eigenen Lebenslage etwas zuändern. Hier prägt der Realismus den Umgangmit den eigenen Möglichkeiten. Eswird zusehends schwerer, sich aus der sozialenRandlage wieder zu befreien. Das Ergebnisist die sich verfestigende Ablehnung zentralergesellschaftlicher Grundwerte, weiles nach eigener Erfahrung nicht mehr gerechtzugeht in Deutschland. Dazu gehörtnicht nur die Ablehnung der auf Markt undWettbewerb ausgerichteten Wirtschaftsordnung,sondern auch des demokratischenGrundkonsenses.Zwischen Oben und Unten liegt die gesellschaftlicheMitte, zunehmend individualisiertund verunsichert. Sie hat sich in dervergangenen Dekade an neue Risikolagengewöhnen müssen. Lernen, vielleicht studieren,arbeiten, aufsteigen, Familie gründen,Häuschen bauen – das war die Lebenslogikbreiter Bevölkerungsschichten, diesich getrost zur gesellschaftlichen Mitte zählenkonnten. Sie reizten ihr Budget für ihreLebensträume bis zur äußersten Grenzeaus, weil die jahrelange Erfahrung sie gelehrthatte, dass eigentlich nicht viel passierenkonnte.Doch passt diese Lebenslogik nicht mehrzur Realität brüchiger werdender Erwerbsbiographienund einer zunehmend entsichertenArbeitswelt. Die Soziallagender Mitte sind teilweiseprekärer geworden.Diese Schicht, die über dieJahre die beiden gesellschaftlichenPole am oberenund unteren Rand zu verzahnenschien, hat ihre Integrationskraftverloren. Sie istgeschrumpft. Umfasste siein den achtziger Jahren noch nahezu zweiDrittel der Gesamtbevölkerung, was sichbis ins Jahr 2000 nicht wirklich änderte,sind es heute noch gut 50 Prozent. In ihrerStatusbeflissenheit spüren die Menschendort die Erstarrung allzu deutlich. Und indemsie versuchen, ihre gesellschaftliche Positionauch in die nächste Generation hinüberzu retten, tragen sie ihrerseits erheblichzur Erstarrung bei.Vor allem nach unten grenzen sie sich ab.Sie wissen zwar, dass auf dem Papier inDeutschland noch immer jedermann aufsteigenkann, der genügend Fähigkeiten mitbringt.Doch haben sie auch erfahren, dassdies mit ihrer Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt,weil einen der Abstieg schnellerereilen kann, als ein Aufstieg möglich ist.Anders als in der ehemaligen Aufsteigergesellschaftbestimmt heute vorwiegend dieGeburt in eine dieser drei Schichten überdie Möglichkeiten des Einzelnen, aus seinenFähigkeiten etwas zu machen. Sie ist damitentscheidend für den Lebenserfolg, derdann die individuelle Wohlstandspositiondeterminiert. Und die wiederum macht dieZugehörigkeit zu einer Schicht aus. Das istdas neue Ständische in Deutschland. Nirgendserkennt man die soziale Erstarrungbesser als an den Jüngsten, bei denen die sozialeHerkunft zu viel über ihren künftigenErfolg im Leben aussagt, was selbst die Kinderschon begriffen haben. Einer demokratischenleistungsorientierten <strong>Gesellschaft</strong>steht das entgegen. Es untergräbt sie.Zurück zur Aufsteigergesellschaft: Ihr Verblühenist in doppelter Hinsicht tragisch. Nichtnur, dass dem Land durch die abhanden gekommeneAufstiegshoffnung breiter Schichtender Bevölkerung die Dynamik immer weiterverlorengeht. Es fehlt zudem die verbindendeIdee, die die verschiedenen Milieus imgesellschaftlichen Aufstiegsstreben zusammenhielt.Hier herrscht jetzt Leere. Ein neues,anderes Zukunftsversprechen, das diesesVakuum füllen könnte, ist nicht in Sicht. Deshalbspricht derzeit alles dafür, dass die <strong>Gesellschaft</strong>weiter auseinanderdriften wird.

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