Von Steffen Haffner - Deutsche Olympische Gesellschaft
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"Begleiterscheinungen". Der Schulsport ist eine Farce, Vereine<br />
sind "uncool"! Dafür gibt es schon jetzt gravierende Defizite<br />
einfachster Bewegungsabläufe, erschreckendes Übergewicht und<br />
gravierende Suchtprobleme. Im Hochleistungsbereiche müssen<br />
Top-Athleten auf Grund psychischer Überforderung ihre Karriere<br />
auf dem Zenit beenden, wobei andererseits die Gesundheit der<br />
Athleten z.T. unverantwortlich aufs Spiel gesetzt wird, gnadenlos<br />
dokumentiert bei einem TV Boxkampf mit doppelt gebrochenem<br />
Kiefer und tödlichem Risiko. Vor allem hat das Fernsehen mit<br />
seiner Quoten- und Vermarktungsabhängigkeit sowie stundenlangen<br />
"Endlos-Events" einiger international erfolgreicher Sportarten<br />
und Akteure in einer exzessiven Form von positiven und<br />
negativen Extremen und Übertreibungen - Athleten werden<br />
genau so schnell und gnadenlos demontiert wie sie aufgebaut<br />
wurden - längst jegliches Maß und Verantwortungsgefühl<br />
verloren.<br />
Auch haben ausgerechnet ARD und ZDF die mit Recht umstrittenste<br />
"Sport"art - mit dem Ziel einer vorsätzlichen Körperverletzung<br />
- aus dem Rotlicht- und Manipulationsmilieu wieder<br />
hoffähig gemacht, um mit - vom klassischen Amateurboxen<br />
(Faustfechten) weltenentfernten - blutigen Ringschlachten,<br />
Kirmesboxen ("Riese" gegen "Zwerg") und immer wieder neuen,<br />
aus dem Hut gezauberten Welt- und Sonstwas-Meistern Einschaltquoten<br />
zu erzielen. Dafür ringen sogenannte "Randsportarten"<br />
um jede Sendeminute und die entsprechenden Vereine<br />
und Verbände ums finanzielle Überleben.<br />
Die jahrzehntelang wider besseres Wissen verharmloste und<br />
unter den Tisch gekehrte, in letzter Zeit wenigstens endlich<br />
öffentlich diskutierte Doping-Problematik scheint vor allem<br />
weltweit unlösbar, weil nicht nachweis- und kontrollierbar, mit<br />
der katastrophalen Konsequenz eines Fragezeichens hinter jeder<br />
Höchstleistung. Wobei die Praxis mittlerweile auch in Deutschland<br />
ernüchternd und entlarvend ist, wenn Hausärzte immer<br />
öfter von Amateur- und Breitensportlern vor vollendete Doping-<br />
Tatsachen gestellt werden und im Behandlungsfall in Gewissenskonflikte<br />
geraten.<br />
Betroffen natürlich auch die Fußballer, deren z.B. exzessives<br />
Aggressionspotenzial mit gesunder Härte rein gar nichts mehr zu<br />
tun hat. Unser "Volkssport" - in seinem Ursprung eine der attraktivsten<br />
und schönsten Sportarten überhaupt - steht vor allem<br />
mit entsprechenden Auswirkungen mittlerweile leider an der<br />
Spitze der degenerierten und pervertierten "Freizeitbeschäftigungen"<br />
mit noch schlechteren Zukunftsperspektiven.<br />
Wett- und Schiedsrichter-Skandale erschüttern von Zeit zu Zeit<br />
außerdem die Glaubwürdigkeit des Fußballs in seinen Grundfesten.<br />
Gewaltbereite Hooligans mit immer niedrigerer Hemmschwelle<br />
- keinesfalls alle aus asozialen Verhältnissen - nutzen<br />
die konkurrierende Medienpräsenz als Plattform für Selbstbestätigung<br />
und abstruse Selbstverwirklichung.<br />
26<br />
Die "Schwalben"-Mentalität, bei Südländern, früher scharf<br />
kritisiert, haben wir leider mit deutscher Gründlichkeit perfektioniert<br />
und damit die Schiedsrichter offensichtlich so verunsichert,<br />
dass schon mehrfach Brutal-Fouls nicht mehr geahndet wurden.<br />
Nur die Trainer könnten die Unsitte - natürlich bei eigenen<br />
Spielern - unterbinden. Wofür gibt es eigentlich Trainer-Tagungen?<br />
Rechte- und Spieler-Vermarktung nehmen groteske Formen und<br />
Ausmaße an, wobei der Sport durch branchenfremde "professionelle<br />
Marketing-Experten" oft nur noch als Mittel zum (finanziellen)<br />
Zweck missbraucht wird. Erste Konsequenzen und Negativfolgen<br />
sind unübersehbar: z.T. hoch verschuldete Verbände<br />
und (Bundesliga-) Vereine, die außerdem wegen dauernd wechselnder<br />
Akteure ihre Identifikationsmöglichkeit - ein entscheidender<br />
Fan-Faktor - und damit ihre regionale Attraktivität mehr<br />
und mehr verlieren. Eine gefährliche, offensichtlich noch völlig<br />
unterschätzte Entwicklung. Auch bei den Amateuren und im<br />
Jugendbereich hat der Umgangston - aus welchen Gründen<br />
auch immer - zwischen Akteuren, Schiedsrichtern, Offiziellen<br />
und Zuschauern z. T. katastrophale Formen angenommen. Und<br />
nach einer euphorisierenden WM mit existenziellem Stellenwert,<br />
einer ergebnisbefriedigenden EM und Partystimmung in den<br />
neuen Stadien schwelgt der DFB in Nostalgie und Zukunftsvisionen,<br />
aber auch in Populismus, Selbstdarstellung und einer fußballkapitalistischen<br />
Expansionsgier. Im Übrigen droht nicht nur<br />
im sportlichen, sondern auch im Zuschauerbereich eine problematische<br />
Zweiklassengesellschaft.<br />
Zu nennen natürlich auch der fast schon wieder in Vergessenheit<br />
geratene Wettskandal im Tennis sowie vor allem jetzt der Manipulationssumpf<br />
im Handball "unserer" urdeutschen Traditionssportart.<br />
Auch im Formel-1-Zirkus werden "Urteile" und "Regeln"<br />
offensichtlich ausschließlich im Sinne eines attraktiven Wettbewerbs<br />
ausgelegt und bewertet. Dazu kommt: Lifestyl und Sex<br />
(be)nutzen und reduzieren die sportliche Leistung immer öfter<br />
nur noch als Mittel zum PR-, Quoten- und Auflage-Zweck.<br />
Der Sport sollte bei allem zeitgemäßen Fortschritt wieder zu sich<br />
selbst zurückfinden, sonst verliert er vollends sein Selbstverständnis<br />
und mutiert zum reinen Gladiatorentum. Nicht Geld<br />
und Gigantismus, sondern Lust und Freude sollten in unserer<br />
immer kälter werdenden unpersönlichen Welt die Garanten und<br />
die Triebfeder der Sportentwicklung sein und bleiben. Dies vor<br />
allem auch den Medien und ihrem Hang zur Sensation und zur<br />
Überbewertung des Oberflächlichen und Unwichtigen ins<br />
Stammbuch.<br />
* * *<br />
Fernsehjournalist und Filmemacher Wolfgang Avenarius war lange<br />
Jahre Kommentator, Reporter und Moderator und hat 40 Jahre die<br />
nationale und internationale Sport-Szene begleitet.