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Von Steffen Haffner - Deutsche Olympische Gesellschaft

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Klamauk um Klamotten:<br />

Im Twinset zum Rekord<br />

D<br />

ass der Mensch mit seinem immanenten Drang zur Erfindung<br />

den Spitzensport gleichsam als Spielwiese für seine Experimentierfreudigkeit<br />

erkannt hat - und die Sportler als seine weißen<br />

Mäuse -, ist hinlänglich bekannt. Dabei geht es ihm, auch das ist<br />

Allgemeingut, immer nur um die eine Frage: Wie lassen sich die<br />

natürlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit sprengen? Wohl<br />

bemerkt, es muss ja nicht immer Doping sein. Andererseits: Gerade<br />

Doping vermag den Erfindergeist aufs Trefflichste anzuregen - wenn<br />

mal wieder eine neue Ausrede gebraucht wird, den Positivtest zu<br />

erklären. Die Ex oder die Schwiegermutter als Giftmischerinnen sind<br />

zu empfehlen. Köstlich, köstlich.<br />

Ein goldener Schmetterling 2009 für die originellste Ausrede<br />

gebührt aber nun erstmal der schwedischen Nixe Alshammar. Dazu<br />

sei zunächst erläutert, dass irgendein Einstein des Schwimmsports<br />

herausgefunden hatte, je mehr elastische Ganzkörperbadeanzüge<br />

jemand beim Sprung ins Wasser trage, desto besser der Auftrieb im<br />

nassen Element und das Resultat der Bemühung um dessen Verdrängung.<br />

Aus dem Klamauk um die Klamotten resultierten: 108<br />

Weltrekorde anno 2008 und Gewissensbisse beim Weltverband. Der<br />

hat deshalb jetzt die Doppelt- und Dreifachbeschichtung der Athletenkörper<br />

verboten, aber offenbar vergessen, Frau Alshammar<br />

darauf aufmerksam zu machen; schwamm die Schwedin doch drei<br />

Tage nach dem Verdikt Weltrekord - mit Twinset auf der nackten<br />

Haut. Die Maskerade hat sie damit begründet, sie trage im Wasser<br />

immer doppelt auf, aus Sorge, es könnte ein Teil reißen. Jugendgefährdend<br />

dem Pool zu entsteigen sei schließlich nicht ihr Ding.<br />

Mit Fragen wie der nach der Kleiderordnung der Schwimmer hat sich<br />

der Spitzensport schon immer beschäftigen müssen, seine Geschichte<br />

ist voll von Versuchen, die Natur zu überlisten. Um den perfekten<br />

Auftrieb im Wasser war es bereits 1976 gegangen, als sich deutsche<br />

Schwimmer bei den Spielen in Montreal Luft in den Darm pumpen<br />

ließen, um höher im Wasser zu liegen. Oder: Wer kennt noch Juri<br />

Stepanow und die Sache mit dem Katapultschuh? Der Sowjetsportler<br />

trug 1957 (nur) am Sprungbein einen Schuh mit fünf Zentimeter<br />

dicker Sohle und erreichte mit dessen Hebelwirkung Weltrekord (2,16<br />

m). Das Hilfsmittel des Hüpfers wurde später verboten, der Rekord<br />

dennoch anerkannt. Anders endete 1968 die Angelegenheit eines<br />

weiteren Schuhwerks: des Bürstenschuhs zur besseren Standfestigkeit<br />

auf den gerade eingeführten Kunststoffbelägen. Ihn trugen die<br />

amerikanischen Läufer Evans und Matthews bei ihren Rekordrennen<br />

über 400m. Die Zeiten und die Treter landeten auf dem Index. Keine<br />

lange Lebenszeit war auch den Anzügen der Tiroler Skispringer um<br />

den Trainer/Tüftler Preiml beschieden. Ihre Montur saugte sich beim<br />

Sprung voll und trug die Protagonisten wie auf einem Luftkissen zu<br />

Tal und Sieg. Letztes Beispiel: Bei den 68er-Winterspielen erhitzten<br />

die DDR-Rodler die Kufen ihrer Schlitten mit Lötkolben. Daraus<br />

wurde ein Politikum. Es war halt Kalter Krieg.<br />

Wie erwähnt, es muss nicht immer Doping im Spiel sein, auch wenn<br />

jetzt der Begriff Anzug-Doping die Runde macht. Und es sind die<br />

Experimente mit der Sporttechnik nicht grundsätzlich Betrug; der<br />

liegt ja bekanntlich erst dann vor, wenn eine Regel missachtet<br />

wurde. Nein, die Befürworter ständigen Leistungsaufschwungs im<br />

OF-KOMMENT<br />

OF-KOMMENTARE<br />

ARE<br />

Sport handeln nur nach der Devise: Erlaubt ist, was nicht verboten<br />

ist. Ob sie damit auf einem Weg der Vernunft sind, heutzutage, da<br />

jede Rekordverbesserung Argwohn auslöst, steht auf einem anderen<br />

Blatt.<br />

Michael Gernandt<br />

Fitnesswahn wird Wirklichkeit<br />

D<br />

as Zentralorgan für den gebündelten Blödsinn dieser Welt<br />

heißt bekanntlich Guiness-Buch der Rekorde. Hier finden<br />

Schrullen, die an Stammtischen geboren werden, ebenso ihren<br />

zweifelhaften Ehrenplatz wie alle möglichen Un- und Abarten<br />

menschlicher Bewegung. Rückwärtsrennen zum Beispiel darf man<br />

hier fast noch als seriös einstufen. Extrembügeln auf Berggipfeln,<br />

unter Wasser oder in der Wüste, Fahrradrückwärtsgeigen und<br />

Steckenpferdpolo lauten andere Stichworte des schrägen Zeitvertreibs.<br />

Und von da ist es ein kurzer Brückenschlag zum Sport, der<br />

ernst genommen werden will.<br />

Es gibt tatsächlich internationale Meisterschaften im Handy-<br />

Weitwurf, eine Sumpf-Fußball-WM, Luftkissenrennen auf Winterpisten<br />

- die Formel1 im Schnee - oder Hochhaus-Klettern als Alpinismus-Variante,<br />

um nur einige Beispiele für Zumutungen unter<br />

sportlichen Vorzeichen zu nennen. Doch auch jenseits solch skurriler<br />

Leistungsambitionen sammelt sich der Fitnessramsch und Freizeitmüll<br />

mit dem Stempel des ultimativen Selbstfindungsstrebens durch<br />

Bewegung in bedrohlichen Ausmaßen. Da wird beispielsweise der<br />

Natur zu Lande, zu Wasser und in der Luft auf jede uns denkbare<br />

Weise Gewalt angetan. Denn das simple Laufen, Radeln, Schwimmen,<br />

Paddeln, Skifahren oder Segelfliegen auch als erholsames<br />

Landschaftserlebnis reicht längst nicht mehr.<br />

Der fitnessbeseelte Mensch hat persönliche Rekordgelüste, und<br />

Bewegungsextremisten werden schnell zu Vorbildern. Klar, dass das<br />

üppige Aus- und Aufrüstungs-Arsenal der Freizeitindustrie hier<br />

unverzichtbar ist. Der ganz natürlichen Fortbewegung mit permanent<br />

neuem und möglichst aufwändigem technischen Schnickschnack<br />

auf die überdimensionierten Sprünge zu helfen, den<br />

Höhenflügen und Geschwindigkeiten Nachdruck zu verleihen - das<br />

gehört zur Philosophie sportiver Lebensgestaltung. Wo Besinnung<br />

und Entschleunigung den Prozess der aktiven Erholung weit wirkungsvoller<br />

befördern würden, da gibt man im wörtlichen wie im<br />

übertragenen Sinne Gas und lässt es krachen. Bis zum Fitnesswahn<br />

ist es dann nicht mehr weit. Und der führt unter Umständen schnell<br />

wieder ins Guiness-Buch der Rekorde.<br />

Harald Pieper<br />

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