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Die jüdische Bevölkerung in Daubringen und ... - tagebergen.de

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<strong>Die</strong> jüdische Bevölkerung <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen<strong>und</strong> Ma<strong>in</strong>zlarVolker Hess ∗Staufenberg, 1993 (12. Dezember 2001)Der Aufsatz erschien unter gleichem Titel jedoch ohne Fussnoten, Quellen- <strong>und</strong> Literaturangaben<strong>in</strong>: Daubr<strong>in</strong>gen — Ma<strong>in</strong>zlar. Geschichte zweier oberhessischer Dörfer <strong>und</strong> ihrer Bevölkerung,im Auftrag <strong>de</strong>s Magistrats <strong>de</strong>r Stadt Staufenberg bearbeitet von Gerhard Fel<strong>de</strong> <strong>und</strong> VolkerHess, Staufenberg 1993 1 , S. (236)237 – 257. <strong>Die</strong> Seitengaben <strong>in</strong> <strong>de</strong>n eckigen Klammern [S. xxx]entsprechen <strong>de</strong>n Seitenzahlen im gedruckten Orig<strong>in</strong>al <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d bei Zitaten <strong>und</strong> Verweisen anzugeben.<strong>Die</strong> vorliegen<strong>de</strong> Fassung enthält zusätzlich Korrekturen offensichtlicher (Druck-)Fehlersowie zusätzliches (bzw. mehr farbiges), durch die Angabe [S. n.i.O.] gekennzeichnetes Bildmaterial.∗ Gießener Str. 69, D-35460 Staufenberg, Volker.Hess@avmz.uni-siegen.<strong>de</strong>1 http://staufenberg.onl<strong>in</strong>e-h.<strong>de</strong>/Bibliothek/1


Inhaltsverzeichnis1 E<strong>in</strong>leitung 32 Ursprünge 83 Jüdisches <strong>und</strong> nichtjüdisches Leben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert 164 Rechtliche Gleichstellung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n 205 <strong>Die</strong> jüdische Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> im Gericht Kirchberg/Lollar 266 Vom Trö<strong>de</strong>lhändler zum Kle<strong>in</strong>unternehmer 297 Integration <strong>und</strong> Assimilation? 328 Politischer Antisemitismus 369 Ab- <strong>und</strong> Auswan<strong>de</strong>rung 4010 Stationen <strong>de</strong>r Verfolgung <strong>und</strong> Vernichtung 4711 <strong>Die</strong> Opfer 542


1 E<strong>in</strong>leitung[S. 237] Suchen wir heute nach Überresten jüdischen Lebens <strong>in</strong> unserer Region, so stoßen wir nurnoch auf stumme Zeugnisse e<strong>in</strong>er grausam vernichteten Kultur — Friedhöfe. Wer vor mehr alsfünfzig Jahren auf <strong>de</strong>m Friedhof <strong>de</strong>r jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> im Kirchspiel Kirchberg se<strong>in</strong>e ewigeRuhestätte fand, gehörte zu <strong>de</strong>n letzten jüdischen E<strong>in</strong>wohnern <strong>de</strong>r umliegen<strong>de</strong>n Dörfer Lollar,Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Ruttershausen.„<strong>Die</strong> Friedhöfe s<strong>in</strong>d es, die — breit über das Land verstreut — die Geschichte vonAssimilation <strong>und</strong> Separation <strong>und</strong> schließlich <strong>de</strong>r Vernichtung e<strong>in</strong>er Bevölkerungsm<strong>in</strong><strong>de</strong>rheit,für die heutige <strong>und</strong> die nachkommen<strong>de</strong>n Generationen dokumentierenkönnen.“ [Grulms/Kleibl 1984, zit. S. VIII]Abbildung 1: Jüdischer Friedhof Lollar im W<strong>in</strong>ter 1991/92 [S. 236]An<strong>de</strong>rs als <strong>in</strong> <strong>de</strong>r christlichen Tradition ist e<strong>in</strong> jüdisches Grab im direkten Worts<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> Ortewiger Ruhe <strong>und</strong> damit dauerhaft unantastbar. E<strong>in</strong>e jüdische Begräbnisstätte wird daher auch„Beth Olam“ („Ewiges Haus“) genannt. Ke<strong>in</strong> Grab darf geräumt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn hier ruhen nachjüdischem Glauben die Überreste <strong>de</strong>s Toten bis zu se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong>s Ewige Leben am „En<strong>de</strong>aller Tage“. Der jüdische Friedhof ersche<strong>in</strong>t somit als historisches Denkmal <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Grabste<strong>in</strong><strong>in</strong> Deutschland zugleich als Mahnmal für die Nachgeborenen. Über e<strong>in</strong>en Zeitraum von h<strong>und</strong>ertJahren von <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis 1940 s<strong>in</strong>d Grabste<strong>in</strong>e fast die e<strong>in</strong>zige greifbare3


H<strong>in</strong>terlassenschaft <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> unserer Region. Doch jüdisches Leben im unteren Lumdatalreicht Jahrh<strong>und</strong>erte weiter zurück — <strong>und</strong> auch darüber erfahren wir zunächst durch Friedhöfe.Abbildung 2: C.F Günther, Skizze <strong>de</strong>s Areals <strong>de</strong>r Staufenberger „Oberburg“, l<strong>in</strong>ks oben die Lage<strong>de</strong>s ehem. jüdischen Friedhofs [S. 237]Am Ausgang <strong>de</strong>r „H<strong>in</strong>tergasse“ <strong>in</strong> Staufenberg, die früher von e<strong>in</strong>em Tor abgeschlossen wur<strong>de</strong>,<strong>und</strong> somit unmittelbar vor <strong>de</strong>r alten Stadtmauer f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich noch heute <strong>de</strong>r Flurname „DeJirrekerchhob“. Das Gelän<strong>de</strong> erstreckt sich über <strong>de</strong>n felsigen Westhang <strong>de</strong>s Burgbergs vom Wegfatalerweise bis an das umstrittene „Immelmann<strong>de</strong>nkmal“. 2Mit e<strong>in</strong>em Schreiben vom 21. August 1844 <strong>in</strong>formierte <strong>de</strong>r Großherzoglich-Hessische Kreisrat<strong>de</strong>s Kreises Gießen Bürgermeister Fischer <strong>in</strong> Staufenberg „Den Ju<strong>de</strong>nfriedhof zu Staufenberg“betreffend:„Ich übersen<strong>de</strong> Ihnen beifolgend <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m Gr. Physikus e<strong>in</strong>gegangenen Berichtmit <strong>de</strong>m Auftrag, von <strong>de</strong>ssen Inhalt die betreffen<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nvorstän<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung<strong>in</strong> Kenntnis zu setzen, b<strong>in</strong>nen 4 Wochen durch Sie e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re passen<strong>de</strong>Begräbnisstätte <strong>in</strong> Vorschlag zu br<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m solche sonst ohne weitere Mitwir-2 1964/5 errichtet e<strong>in</strong>e Ehemaligenvere<strong>in</strong>igung <strong>de</strong>s Sturzkampfgeschwa<strong>de</strong>rs 2 „Immelmann“ e<strong>in</strong>e Stele zum Ge<strong>de</strong>nkenan ihre Opfer. Das „Immelmann-Geschwa<strong>de</strong>r“, hervorgegangen aus verschie<strong>de</strong>nen militärischen Luftwaffene<strong>in</strong>heiten,die z.T. bereits unter <strong>de</strong>r Bezeichnung „Immelmann“ im Auftrag Hitlers <strong>in</strong> <strong>de</strong>n SpanischenBürgerkrieg auf Seiten <strong>de</strong>s faschistischen Puschisten Franco gegen die Verteidiger <strong>de</strong>r Republik e<strong>in</strong>gegriffenhatten, war im Zweiten Weltkrieg u.a. wichtiges Instrument <strong>de</strong>s Angriffs- <strong>und</strong> Vernichtungskrieges auch gegenpolnische <strong>und</strong> russische Zivilbevölkerung gewesen. Das „Denkmal“ falscher Hel<strong>de</strong>nverehrung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verherrlichungmilitärischer Gewalt auf <strong>de</strong>r Burg Staufenberg wird <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Folge immer mehr zu e<strong>in</strong>em Ort anti<strong>de</strong>mokratischer,ja neofaschistischer Traditionspflege.4


kung von Seiten <strong>de</strong>r Betheiligten durch mich wer<strong>de</strong> bestimmt wer<strong>de</strong>n.“ 3Abbildung 3: Schreiben <strong>de</strong>s Kreisrates <strong>de</strong>s Kreises Gießen vom 21. August 1844 „Betreffend:Den Ju<strong>de</strong>nfriedhof zu Staufenberg“ [S. 238]Obwohl <strong>de</strong>r Bericht <strong>de</strong>s „Großherzoglichen Physikus“ nicht zu ermitteln ist, erfahren wir <strong>in</strong>direktvon <strong>de</strong>r Verlegung <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nfriedhofs von Staufenberg <strong>in</strong> das freie Gelän<strong>de</strong> [S. 238] „Auf<strong>de</strong>n Ste<strong>in</strong>äckern“. Wahrsche<strong>in</strong>lich veranlaßten ges<strong>und</strong>heitspolizeiliche <strong>und</strong> wirtschaftliche Beweggrün<strong>de</strong>die großherzoglichen Beamten zu dieser Maßnahme. Was es noch vor Jahrh<strong>und</strong>erten<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n neben <strong>de</strong>r Unzugänglichkeit <strong>de</strong>s Gelän<strong>de</strong>s überhaupt ermöglicht hatte, diesen Platz fürdie Ewigkeit zu erwerben — <strong>de</strong>r basaltene Untergr<strong>und</strong> —, war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten zumGegenstand wirtschaftlicher Ausbeutung gewor<strong>de</strong>n. Vielleicht mußte <strong>de</strong>r Friedhof <strong>de</strong>r Aus<strong>de</strong>hnung<strong>de</strong>s Staufenberger Basaltste<strong>in</strong>bruchs weichen. Auch war bereits 1843 mit Isaak Löwenste<strong>in</strong>3 StdtA Stfbg., Best. Staufenberg, A 639, Schreiben <strong>de</strong>s Kreisrates <strong>de</strong>s Kreises Gießen vom 21. August 1844„Betreffend: Den Ju<strong>de</strong>nfriedhof zu Staufenberg“ (vgl. Abb. 3).5


<strong>de</strong>r wahrsche<strong>in</strong>lich letzte jüdische E<strong>in</strong>wohner Staufenbergs verstorben. 4Abbildung 4: Protokoll zum Tod Isaaks Löwenste<strong>in</strong>s am 9. Februar 1839 <strong>in</strong> Staufenberg (Tafel1)Trotz<strong>de</strong>m dürfte die Verlegung aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r religiösen Gebote nicht ganz ohne Wi<strong>de</strong>rspruch<strong>de</strong>r jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>mitglie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Nachbardörfern vonstatten gegangen se<strong>in</strong>. Schließlichbegruben die Ju<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n Orten <strong>de</strong>s Gerichts Lollar/Kirchberg seit Jahrh<strong>und</strong>erten ihreVerstorbenen an dieser Stelle. Heißt es doch beispielsweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aufzählung <strong>de</strong>r Rechte <strong>und</strong>Gefälle, die die Familie von Weitershausen genannt Schrautenbach zu Ba<strong>de</strong>nburg im 18. Jahr-4 StdtA Stfbg., Best. Staufenberg, B 34/002, „Civilstandsregister <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Staufenberg — Sterberegister“. Eshan<strong>de</strong>lt sich um die letzte E<strong>in</strong>tragung überhaupt (vgl. Abb. 4).6


h<strong>und</strong>ert als landgräfliches Lehen genoß [Knauss 1975c, S. 88]:„Der Ju<strong>de</strong>n Begräbnis zu Staufenberg, woh<strong>in</strong> alle im Gericht Lollar wohnen<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nihre Toten h<strong>in</strong> begraben lassen müssen <strong>und</strong> wird je<strong>de</strong>smal e<strong>in</strong> Reichstaler bezahlt.“5Ob dieser Reichstaler auch schon an die Lehnsvorgänger <strong>de</strong>r von Schrautenbach, die hessischenBurgmannen Schabe von Staufenberg gezahlt wur<strong>de</strong>, ist nicht bekannt. <strong>Die</strong> rechtliche Stellung<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die wirtschaftliche Lage <strong>de</strong>r Region bis <strong>in</strong> das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> machtdie Annahme eher unwahrsche<strong>in</strong>lich, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en Bauerndörfern außerhalb <strong>de</strong>rA<strong>de</strong>lsherrschaften hätten Ju<strong>de</strong>n gelebt. Es verw<strong>und</strong>ert daher nicht, daß die ersten H<strong>in</strong>weise aufdie Existenz jüdischer E<strong>in</strong>wohner im unteren Lumdatal aus <strong>de</strong>r Stadt Staufenberg kommen <strong>und</strong><strong>in</strong> das 16. Jahrh<strong>und</strong>ert zurückreichen.5 Ob auch Wieseck, wo Ju<strong>de</strong>n bereits seit <strong>de</strong>m 17. Jh. nachgewiesen s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> das im 18. Jh. zeitweilig zumGericht Lollar gehörte, an diesem Begräbnisplatz teilhatte, läßt sich <strong>de</strong>rzeit nicht sagen. Das älteste Grab auf<strong>de</strong>m jüdischen Teil <strong>de</strong>s Wiesecker Friedhofs stammt von 1887. [Knauss 1975c, S. 308]7


2 Ursprünge<strong>Die</strong> ältesten jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> Oberhessen s<strong>in</strong>d bereits seit <strong>de</strong>m Hochmittelalter nachweisbar[Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 5ff]. Bis zum 14. Jahrh<strong>und</strong>ert hatte sich ihre Rechtsstellung imBereich <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Territorien nicht zuletzt unter <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>fluß <strong>de</strong>r meist christlich-religiösbegrün<strong>de</strong>ten, reichsweiten Verfolgungswellen, die 1349 auch die Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Butzbach, Gießen <strong>und</strong>Homberg/Ohm betrafen, stark verän<strong>de</strong>rt. Jüdische Glaubensangehörige wur<strong>de</strong>n unter Son<strong>de</strong>rrechtgestellt, galten als kaiserliche „Kammerknechte“, die unter <strong>de</strong>m Schutz ihres Herren stan<strong>de</strong>n.In letzter Konsequenz verloren sie damit <strong>de</strong>n Rest ihrer persönlichen Freiheit <strong>und</strong> wur<strong>de</strong>nherrschaftlicher Willkür unterworfen. Im Zuge <strong>de</strong>r wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Entwicklungim Hoch- <strong>und</strong> Spätmittelalter grenzte sich die christliche Gesellschaft zunehmend von <strong>de</strong>r jüdischenM<strong>in</strong><strong>de</strong>rheit ab. <strong>Die</strong> sich ausbreiten<strong>de</strong>n gewerblichen Zusammenschlüsse <strong>und</strong> handwerklichenZünfte ließen Ju<strong>de</strong>n als Mitglie<strong>de</strong>r nicht zu. Auch bäuerlicher Lebensunterhalt wur<strong>de</strong> ihnennicht selten verwehrt. Offen blieb als e<strong>in</strong>zige Erwerbsquelle das Geld- <strong>und</strong> Kreditgeschäft, dasgläubigen Christen untersagt war. Und damit wur<strong>de</strong>n jüdische Händler <strong>und</strong> Kaufleute für aufstreben<strong>de</strong>Territorialherren wie für Landadlige mit ihrem steigen<strong>de</strong>n F<strong>in</strong>anzbedarf <strong>in</strong>teressant. Durchzunehmen<strong>de</strong> Aneignung <strong>de</strong>s ursprünglich königlichen Rechts <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nschutzes — <strong>de</strong>m „Ju<strong>de</strong>nregal“— konnten sie die Ansiedlung von Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> ihrem Machtbereich för<strong>de</strong>rn. Für Schutz<strong>und</strong> Bleiberecht mußten die Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong>dividuell festgesetzte Schutzgel<strong>de</strong>r zahlen. Interessant, abernicht nachweisbar ersche<strong>in</strong>t die Hypothese, die Ansiedlung von „Schutzju<strong>de</strong>n“ <strong>in</strong> Staufenbergg<strong>in</strong>ge bereits auf die Epoche <strong>de</strong>r Stadtgründung <strong>und</strong> damit auf die wirtschaftlichen Interessen<strong>de</strong>r ziegenha<strong>in</strong>ischen Territorialherren im 14. Jahrh<strong>und</strong>ert zurück. 6Seit Mitte <strong>de</strong>s 15. Jahrh<strong>und</strong>erts gehörten Burg <strong>und</strong> Stadt Staufenberg zum Territorium <strong>de</strong>rhessischen Landgrafschaft. Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert lebten dort die hessischen Schutzju<strong>de</strong>n Samuel,Abraham, Joseph <strong>und</strong> Isac mit ihren Familien. Sie pflegten Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Geschäftsbeziehungen,die vom hessischen Landgrafen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Burgmannen, <strong>de</strong>n von Rolshausen, nach Kräftenzum eigenen Nutzen geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n. So wies <strong>de</strong>r hessische [S. 239] Marschall Friedrich vonRolshausen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben an Graf Philipp von Hanau vom 28. August 1555 wegen e<strong>in</strong>ereherechtlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>s hessischen Schutzju<strong>de</strong>n Joseph von Staufenberg mit <strong>de</strong>mhanauischen Schutzju<strong>de</strong>n Jakob von Münzenberg beson<strong>de</strong>rs darauf h<strong>in</strong>, daß ersterer die Unterstützung<strong>de</strong>s Landgrafen von Hessen genieße, da er gelegentlich für diesen Geschäfte tätige. 7<strong>Die</strong>se „Geschäfte“ konnten nach Ausweis <strong>de</strong>r Quellen sehr vielfältiger <strong>und</strong> unterschiedlicherNatur se<strong>in</strong>. Dazu zählten beispielsweise Kredite, die sonst kaum zu bekommen waren, Münzwechsel8 o<strong>de</strong>r gar Kurierdienste, die nicht selten geheim bleiben mußten, <strong>und</strong> für die jüdischeHändler aufgr<strong>und</strong> ihrer überregionalen Verb<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Abhängigkeit von ihrem Schutzherrn6 Verleihung <strong>de</strong>r Stadtrechte 1336; Zusammenhang zwischen Stadtgründung <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>naufnahme im 13. <strong>und</strong> 14.Jahrh<strong>und</strong>ert [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 9]7 StA MR 86 Hanauer Nachträge Nr. 6000c [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 432f Nr. 1428]8 z.B.: [27.06.1572:] Münzwechsel <strong>und</strong> Silberlieferungen <strong>de</strong>r oberhessischen Ju<strong>de</strong>n, darunter: Joseph aus Staufenberg,<strong>de</strong>ssen Sohn David sowie Abraham von Staufenberg. (StA MR 40d Kammernachträge, Marburg Pak. 295,vgl. auch Auslaufregister Bl. 74v, ebd. Pak. 303; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 197ff Nr. 2142]); [29.01.1574:] Nebenan<strong>de</strong>ren tritt <strong>de</strong>r hessische Schutzju<strong>de</strong> Joseph von Staufenberg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vertrag über Währungswechsel<strong>in</strong> Marburg auf. (StA MR 40d Kammernachträge, Marburg Pak. 295; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 239 Nr. 2234])8


als beson<strong>de</strong>rs geeignet erschienen. Immer wie<strong>de</strong>r ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> <strong>de</strong>r schriftliche Überlieferung dieJu<strong>de</strong>n als Spielball <strong>de</strong>r anwachsen<strong>de</strong>n wirtschaftlichen <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziellen (Son<strong>de</strong>r-)Interessen ihrerSchutzherren:Wahrsche<strong>in</strong>lich aufgr<strong>und</strong> akuten F<strong>in</strong>anzbedarfs befreite so beispielsweise Landgraf Ludwigvon Hessen im Dezember 1569 die Ju<strong>de</strong>nschaft <strong>de</strong>s Oberfürstentums Hessen von <strong>de</strong>r Auflage,wonach je<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong> zum Festungsbau <strong>in</strong> Gießen e<strong>in</strong> Pferd zu stellen hatte. Als Gegenleistung „vere<strong>in</strong>barte“man die e<strong>in</strong>malige Zahlung von 100 fl. sowie e<strong>in</strong>en jährlichen Tribut von 50 fl.. Mit<strong>de</strong>r Ermahnung, „we<strong>de</strong>r Wucher noch unredliche Geschäfte“ zu treiben o<strong>de</strong>r gar <strong>de</strong>n christlichenGlauben zu lästern, gewährte <strong>de</strong>r Landgraf ihnen zugleich weiterh<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>s Oberfürstentums.<strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n Isac <strong>und</strong> Joseph zu Staufenberg gehörten zu <strong>de</strong>n Unterzeichnern dieser Übere<strong>in</strong>kunft.9 Zusammen mit e<strong>in</strong>er Vielzahl weiterer Abgaben konnten materielle <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielleSon<strong>de</strong>rleistungen <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n das Vielfache <strong>de</strong>r Steuerlast von Nichtju<strong>de</strong>n betragen.<strong>Die</strong> Enge <strong>de</strong>s beschriebenen Betätigungsfel<strong>de</strong>s <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Konkurrenzsituationkonnte durchaus zur Quelle von Konflikten unter Glaubensgefährten <strong>und</strong> Geschäftskollegenführen, was <strong>de</strong>n Interessen ihrer Schutzherren nicht unbed<strong>in</strong>gt zuwi<strong>de</strong>rlief. Der nachfolgend geschil<strong>de</strong>rtenAuse<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung aus <strong>de</strong>m Jahr 1569 lag vielleicht e<strong>in</strong>e solche Ausgangssituation<strong>in</strong> Staufenberg zugr<strong>und</strong>e:„Der Ju<strong>de</strong> Abraham zu Staufenberg, <strong>de</strong>r an das Hofgericht Marburg appelliert hat,weil e<strong>in</strong> von ihm ’etzlicher ongefehrlicher wort halben’ gegen <strong>de</strong>n Staufenberger Ju<strong>de</strong>nJoseph erlangtes Urteil von Oberst Friedrich von Rolshausen aufgehoben wur<strong>de</strong>,wen<strong>de</strong>t sich erneut an das Hofgericht <strong>und</strong> beschwert sich über <strong>de</strong>n StaufenbergerSchultheißen Hans Opper, <strong>de</strong>r die Herausgabe <strong>de</strong>r für die Appellation benötigtenProzeßakten verweigert <strong>und</strong> Abraham überdies mit e<strong>in</strong>er Geldstrafe von 100 fl. belegt,ihn mit <strong>de</strong>m Spieß zu Bo<strong>de</strong>n geschlagen, am Kopf ’verw<strong>und</strong> <strong>und</strong> ver<strong>de</strong>rpt’ <strong>und</strong><strong>in</strong>s Gefängnis geworfen hat, um ihn zur Zahlung <strong>de</strong>r Buße zu zw<strong>in</strong>gen. Der Schultheißerklärt, daß er nicht über die verlangten Akten verfügt, weil sie sich bei Friedrichvon Rolshausen <strong>in</strong> Kassel bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>ser hat auch aus von ihm persönlich zuvertreten<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n die Geldstrafe verhängt. <strong>Die</strong> Verletzung durch <strong>de</strong>n Spieß hatsich Abraham selbst zuzuschreiben, weil er sich <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Oberst verhängtenVerhaftung durch die Flucht entziehen wollte <strong>und</strong>, als dies mißlang, <strong>de</strong>n Schultheißenmit gezogenem ’sch<strong>in</strong>dtmesser’ bedroht hat. Nach Oppers Aussage gilt Abrahamals ’unnutz zenkisch mensch’ <strong>de</strong>r sich ’ubriger ongepurlicher wort nit woll enthaltenmocht’. Da Friedrich von Rolshausen die Aussagen <strong>de</strong>s Schultheißen bestätigt, wir<strong>de</strong>r aufgefor<strong>de</strong>rt b<strong>in</strong>nen Monatsfrist die Grün<strong>de</strong> für se<strong>in</strong> Han<strong>de</strong>ln darzulegen. Inzwischenwird Abrahams Appellationsklage angenommen <strong>und</strong> ihm zugleich freigestellt,wegen se<strong>in</strong>er Verw<strong>und</strong>ung durch <strong>de</strong>n Schultheißen ebenfalls Klage zu erheben.“ 10Interessanterweise kassierte das hessische Hofgericht <strong>in</strong> Marburg am 19. Dezember 1572 nach9 StA MR A I r Hess. Urk., Schutzbriefe 1569 Dezember 17; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 140 Nr. 2011]10 Protokoll vom 14.03.1569: StA MR Protokolle II Marburg C Nr. 2 Bd. 7 Bl. 107r – 108v; auch Repertorium zuBestand 257 Samthofgericht, Ältere Akten Bd. 1 Bl. 3 (<strong>de</strong>r dort vermerkte Band mit <strong>de</strong>r Signatur 257 I A Nr. 1fehlt.); [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 105 Nr. 1951, vgl. auch ebd. S. 78 Nr. 1886]. <strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung wird bis1572 vor <strong>de</strong>m Hofgericht Marburg geführt, s.u. 19.12.1572.9


Berufung <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n Abraham zu Staufenberg alle vorherigen Entscheidungen, hob offiziell allesbegangene Unrecht auf <strong>und</strong> befahl <strong>de</strong>n Prozeßparteien unter Strafandrohung Stillschweigen über<strong>de</strong>n Fall. 11<strong>Die</strong> herausgehobene Position <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n for<strong>de</strong>rte vor allem auch <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit ihrer kulturellen<strong>und</strong> religösen Außenseiterrolle immer wie<strong>de</strong>r zu Konflikten mit <strong>de</strong>r christlichen Umgebungheraus.[06.05.1555:] „(<strong>Die</strong> hessischen Räte <strong>und</strong> Hofrichter) übersen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Amtmann zuStaufenberg die neuerliche Klage <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n Joseph <strong>und</strong> beanstan<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r beklagteMart<strong>in</strong> Metz (Metzen Mert<strong>in</strong>) trotz ergangener Weisung se<strong>in</strong>e Gegendarstellungbislang we<strong>de</strong>r schriftlich e<strong>in</strong>gereicht noch mündlich zu Protokoll gegeben hat.Falls bei Amtmann, Schultheiß <strong>und</strong> Schöffen begrün<strong>de</strong>te Be<strong>de</strong>nken gegen die Abgabee<strong>in</strong>er solchen Erklärung bestehen, soll <strong>de</strong>r Amtmann <strong>de</strong>n Parteien die Ladung zue<strong>in</strong>em Verhör vor <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>in</strong> Wetter am 11. Juni übermitteln.“ 12[01.08.1555:] „Der hessische Statthalter an <strong>de</strong>r Lahn überschickt (<strong>de</strong>m Schultheißenzu Lollar) die Klage <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n Joseph von Staufenberg gegen Gast Hermann, Wirtzu Lollar, <strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rrechtlich die von Joseph h<strong>in</strong>terlegten Pfän<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Frankfurt versetzthat, als dieser von <strong>de</strong>r ’sterbensleufft’ wegen <strong>und</strong> durch Gebot <strong>de</strong>r Obrigkeitverh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt war, das vorgestreckte Geld fristgerecht zurückzuzahlen <strong>und</strong> auch e<strong>in</strong>erVorladung nach Frankfurt nicht folgen konnte. Der Wirt soll <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>n die Pfän<strong>de</strong>rgegen Bezahlung <strong>de</strong>r Hauptschuld, doch ohne unbillige Z<strong>in</strong>sen wie<strong>de</strong>rbeschaffen.“ 13Im Zuge <strong>de</strong>r Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>und</strong> „Mo<strong>de</strong>rnisierung“ <strong>de</strong>s allgeme<strong>in</strong>en Rechts im 16. <strong>und</strong> 17.Jahrh<strong>und</strong>ert wur<strong>de</strong>n auch e<strong>in</strong>e Vielzahl von lokalen Maßgaben für Ju<strong>de</strong>n neu geregelt, ohne jedoch<strong>de</strong>ren rechtliche Son<strong>de</strong>rstellung aufzuheben. Verordnungen <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sherren, die seit <strong>de</strong>m16. Jahrh<strong>und</strong>ert die Schutzbriefe ablösten, beschränkten sie zunehmend auf das kle<strong>in</strong>e Geld<strong>und</strong>[S. 240] Han<strong>de</strong>lsgeschäft vor Ort. Zu<strong>de</strong>m beschnitten die „Ju<strong>de</strong>nordnungen“ <strong>de</strong>n Erwerb vonGr<strong>und</strong>besitz, das Wohnrecht, die Religionsausübung <strong>und</strong> manch an<strong>de</strong>res mehr.Nach <strong>de</strong>m Teilungsvertrag von 1585 nahmen zunächst die hessen-marburgischen, im Anschlußan <strong>de</strong>n „Hessenkrieg“ um das Marburger Erbe <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n von 1648/49 schließlich diehessen-darmstädtischen Landgrafen das Ju<strong>de</strong>nregal bzw. <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nschutz <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Orten <strong>de</strong>s GerichtsLollar <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stadt Staufenberg wahr. Durch die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 16. Jahrh<strong>und</strong>ertsweitgehend vollzogene E<strong>in</strong>glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s ursprünglich eigenständigen Amts Staufenberg11 StA MR Protkolle II Marburg C. Nr. 3 Bd. 7 Bl. 228; vgl. auch Bd. 6 Bl. 144v; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 215 Nr.2167]. Es ist später zu prüfen, ob womöglich <strong>de</strong>r Streit zwischen Joseph <strong>und</strong> Abraham darauf zurückgeführt wer<strong>de</strong>nkann, daß die bei<strong>de</strong>n unterschiedlichen Herren, von Rolshausen auf <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en <strong>und</strong> <strong>de</strong>r hessische Landgraf auf<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite, diente. So enthält beispielsweise e<strong>in</strong> Verzeichnis (Kanzle<strong>in</strong>ie<strong>de</strong>rschrift ausgestellt zw. Febr.<strong>und</strong> Okt. 1576 – StA MR 19a Regierung Marburg Nr. 54; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 298 Nr. 2358]) <strong>de</strong>s türkensteuerpflichtigenA<strong>de</strong>ls <strong>in</strong> Oberhessen auch Vermerke über zu erwarten<strong>de</strong> Abgaben von jüdischen H<strong>in</strong>tersassen <strong>de</strong>rFamilie von Rolshausen wegen <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n zu Staufenberg. Um <strong>de</strong>n Konflikt nicht zu e<strong>in</strong>em Problem zwischenvon Rolshausen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Lehnsherren wer<strong>de</strong>n zu lassen, fällte schließlich das Hofgericht das vorliegen<strong>de</strong>Urteil.12 StA MR 257 I Samthofgericht, Fragm. Act. Bd. XXIV Nr. 32; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 432 Nr. 1425]13 StA MR 257 I Samthofgericht, Fragm. Act. Bd. XXIV Nr. 34; [Löwenste<strong>in</strong> 1989a, S. 432 Nr. 1427]10


<strong>in</strong> die Gießener landgräfliche Amtsverwaltung 14 liefen nun auch die Schutzgeldzahlungen <strong>de</strong>rStaufenberger Ju<strong>de</strong>n über die Rechnungsbücher <strong>de</strong>s landgräflichen Rentmeisters <strong>in</strong> Gießen. Ausdiesen Gießener Amtsrechnungen erfahren wir, daß 1660 „Moyses Jud“ se<strong>in</strong>en Wohnort vonStaufenberg nach Heuchelheim verlegte. Man zog ihn zu e<strong>in</strong>er zweifachen Abgabe heran. Zunächstzahlte er „zu Halbjährigem Schutzgeld“ <strong>in</strong> Staufenberg 6 fl. 8 thr., anschließend <strong>in</strong> Heuchelheimnochmals 5 Goldgul<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>zugsgeld an die Gießener Rentei [Stumpf 1981a, S. 219].„Löwe Judt Zum Staufenberg“, <strong>de</strong>r 1602 von Alten-Buseck zugezogen war <strong>und</strong> 1620 im Altervon 67 Jahren vor <strong>de</strong>r Regierung Gießen über die Ju<strong>de</strong>n im Busecker Tal ausgesagt hatte, lebtezu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. 15Nach <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n Löwe <strong>und</strong> Moyses sche<strong>in</strong>t es für e<strong>in</strong>e längere Zeit ke<strong>in</strong>e Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Staufenberggegeben zu haben; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Aufstellung, die Landgraf Ernst Ludwig 1713 <strong>in</strong> Auftrag gab, f<strong>in</strong><strong>de</strong>nsich zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st ke<strong>in</strong>e jüdischen Schutzgeldzahler <strong>in</strong> Staufenberg [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 22].Auch die Gießener Amtsrechnungen enthalten ke<strong>in</strong>erlei H<strong>in</strong>weise auf jüdische E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong><strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n Orten <strong>de</strong>s Gerichts Lollar [Stumpf 1981a, S. 219].Obwohl sich allgeme<strong>in</strong> im Verlauf <strong>de</strong>s 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>erts e<strong>in</strong>e langsame Verbesserung<strong>de</strong>r rechtlichen Situation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n abzuzeichnen begann, unterlagen sie weiterh<strong>in</strong> vielfältigenE<strong>in</strong>schränkungen. Durften sie doch noch immer nicht frei ihren Beruf wählen. Noch immer wur<strong>de</strong>ihnen das Recht auf Zutritt zu <strong>de</strong>n Zünften <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren Vere<strong>in</strong>igungen <strong>de</strong>r Handwerker <strong>und</strong>Gewerbetreiben<strong>de</strong>n verwehrt. <strong>Die</strong> steigen<strong>de</strong> Konkurrenzangst <strong>de</strong>r Zünfte führte zu Spannungen,die nach Ausgleich u.a. <strong>in</strong> Form von Sün<strong>de</strong>nböcken verlangten <strong>und</strong> sich somit nicht nur <strong>in</strong> Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>ngegen jüdische Erwerbstätigkeit son<strong>de</strong>rn auch gegen Ju<strong>de</strong>n als M<strong>in</strong><strong>de</strong>rheit allgeme<strong>in</strong>entlu<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Ansiedlung von Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Dörfern <strong>de</strong>s Gerichts Lollar steht vielleicht auch mitsolchen Konflikten <strong>in</strong> Zusammenhang.Auf <strong>de</strong>n Druck <strong>de</strong>r Zünfte <strong>und</strong> christlicher Theologen, die sich um die richtige Konfessionstritten, g<strong>in</strong>gen bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>s 17. Jahrh<strong>und</strong>erts Versuche zurück, die Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>sLan<strong>de</strong>s zu verweisen [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 4, 20]. In <strong>de</strong>r Folge verstärkte <strong>de</strong>r Landgraf vonHessen-Darmstadt, Georg II., die Anstrengung, die Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r landgräflichen Gebiete zum Christentumzu bekehren. Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Gießen wur<strong>de</strong>n 1642/43 drei sogenannte Ju<strong>de</strong>nkonvente abgehalten.16 <strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Umgebung hatten vollständig „ufm Rahthaus“ <strong>in</strong> Gießen zu ersche<strong>in</strong>en<strong>und</strong> mußten e<strong>in</strong> „christliches Gespräch“ <strong>de</strong>s Gießener Super<strong>in</strong>ten<strong>de</strong>nten Haberkorn über sichergehen lassen. Ihnen sollten die <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nverordnungen „begriffene weltliche Sache con<strong>de</strong>rniren<strong>de</strong>nPuncten von unsern Beambten, welche aber die verbotene Lästerung <strong>de</strong>s Herrn Christi,unsers e<strong>in</strong>igen Erlösers <strong>und</strong> Seeligmachers, sodan Verhütung allerhand Ärgernuß betreffen, vongewissen dazu <strong>de</strong>putirten Geistlichen erleutert <strong>und</strong> sie also <strong>de</strong>r Gebühr <strong>in</strong>formirt <strong>und</strong> vermittelstgöttlicher Gnad zu ihrer verhoffen<strong>de</strong>n Bekehrung e<strong>in</strong> Weg gebahnt wer<strong>de</strong>n möge“ 17 . <strong>Die</strong>s allesnatürlich unter Zwang. Über Anwesenheit <strong>und</strong> Ablauf wur<strong>de</strong> genau Protokoll geführt. Ju<strong>de</strong>n aus<strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>s Gerichts Lollar f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir auch hier nicht genannt [<strong>Die</strong>hl 1925a, S. 612ff].1661/62 gelang es <strong>de</strong>n Zünften auf e<strong>in</strong>em Landtag <strong>in</strong> Gießen, die Ausweisung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n von14 1577 [Weiss 1978a]15 Vernehmungsprotokoll StA DA, E XII, 55/4, S. 1 – 35; [Hans 1986a, div.]16 vgl. die Verordnung von 1642 zur Abhaltung von Ju<strong>de</strong>nversammlungen [Battenberg 1987a, S. .. Nr. 16]17 zit.: Schreiben Landgraf Georgs II. an die Theologen <strong>de</strong>r Universität Marburg vom 26. Febr. 1642 (Univ. Bibl.Gießen, Allg. Nr. 10 Bl. 128 – 129v) [Battenberg 1987a, S. 27]11


<strong>de</strong>n Städten auf „das flache Land“ durchzusetzen. B<strong>in</strong>nen acht Wochen mußte die Stadt Gießenverlassen wor<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>. Vermögen<strong>de</strong>re Familien fan<strong>de</strong>n fre<strong>und</strong>lich Aufnahme <strong>in</strong> <strong>de</strong>n teilweisenoch unabhängigen A<strong>de</strong>lsterritorien <strong>de</strong>r Umgebung, so im Busecker Tal, <strong>in</strong> Treis o<strong>de</strong>r Nor<strong>de</strong>ck[Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 24].<strong>Die</strong> Ärmeren, die die Ausweisung so hart traf, daß sie nach eigenem Bek<strong>und</strong>en „zur Unterhaltungvon Weib <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r das liebe brott über nacht nit <strong>in</strong> Hausen haben“, zogen <strong>in</strong> dieDörfer <strong>de</strong>r direkten Umgebung, so beispielsweise nach Wieseck [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, zit. S. 21][Knauss 1975c, S. 305]. Nicht nachweisbar ist lei<strong>de</strong>r für diese Phase die vorübergehen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>rdauerhafte Ansiedlung von Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen, Lollar, Ma<strong>in</strong>zlar o<strong>de</strong>r Ruttershausen.Erst e<strong>in</strong>e Bevölkerungsaufnahme etwa zwei Jahre nach Regierungsantritt <strong>de</strong>s Landgrafen LudwigIX. 1768 übermittelt e<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis auf jüdische E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> diesen Dörfern.Deren Nie<strong>de</strong>rlassung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en hessen-darmstädtisch Bauerndörfern im unteren Lumdataldürfen wir durchaus als Reflex sowohl <strong>de</strong>r wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Verän<strong>de</strong>rungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>rRegion als auch <strong>de</strong>r noch immer drücken<strong>de</strong>n Situation <strong>de</strong>r hessischen Ju<strong>de</strong>n ansehen: <strong>Die</strong> im 18.Jahrh<strong>und</strong>ert rapi<strong>de</strong> steigen<strong>de</strong>n Aufwendungen <strong>de</strong>s Staatswesen wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Form von Abgaben aufdie christlichen Untertanen, beson<strong>de</strong>rs aber auf die schon immer betroffenen Schutzju<strong>de</strong>n umgelegt[Battenberg 1987a, S. 12 (Beispiele)]. In <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren sozialen Situation <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>ertsliegen die Wurzeln für e<strong>in</strong> sich im folgen<strong>de</strong>n Jahrh<strong>und</strong>ert prekär entwickeln<strong>de</strong>s Verhältniszwischen <strong>de</strong>r oberhessischen ländlichen Bevölkerung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Landju<strong>de</strong>n. Noch immer durftenJu<strong>de</strong>n ke<strong>in</strong>e Landwirtschaft betreiben, waren vom Gewerbebetrieb <strong>und</strong> <strong>de</strong>n bürgerlichen Berufenausgeschlossen; das ihnen verbliebene, aber durch Verordnungen <strong>und</strong> die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nschutzes noch immer vielfältig e<strong>in</strong>geschränkte Recht zur Ausübung von Han<strong>de</strong>l <strong>und</strong>Geldgeschäften erfuhr dagegen erste Erleichterungen [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 22f, 29].[S. 241] Viele hessische Ju<strong>de</strong>nfamilien gerieten zunehmend <strong>in</strong> Armut <strong>und</strong> Not. Nicht seltenwar wohl die Ansiedlung <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Landgeme<strong>in</strong><strong>de</strong>n, wo das E<strong>in</strong>zugsgeld nur e<strong>in</strong>en Teil <strong>de</strong>rFor<strong>de</strong>rungen größerer Städte betrug, die letzte Chance, um <strong>de</strong>m Abs<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Existenz alsheimatlosem „Bettelju<strong>de</strong>n“ zu entgehen:„Das mag manchen armen Mann bewogen haben, se<strong>in</strong>en Wohnsitz lieber auf <strong>de</strong>mLan<strong>de</strong> zu nehmen. Dort aber gibt es neben Kramwaren kaum e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Han<strong>de</strong>lsgegenstandfür <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n als das Vieh. <strong>Die</strong>se Ware eignete sich auch <strong>de</strong>shalb zumJu<strong>de</strong>nhan<strong>de</strong>l, weil ke<strong>in</strong>e städtische Zunft Anspruch auf ihren Vertrieb machte. DemBauern aber diente es, wenn er im Ju<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>en Helfer fand, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>er Wirtschaft dasnötige Zuchtvieh zuführte, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ihm entbehrliche Tiere auf die Märkte schaffte.so ist im Laufe <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>de</strong>r Viehhan<strong>de</strong>l immer mehr e<strong>in</strong>e jüdische Domänegewor<strong>de</strong>n. [...] Im Verlaufe <strong>de</strong>s 18. <strong>und</strong> frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts verelen<strong>de</strong>n dieoberhessischen Ju<strong>de</strong>n immer mehr.“ [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, zit. S. 32]E<strong>in</strong> Blick auf die Zahlen <strong>de</strong>s Jahres 1770 bekräftigt dieses Bild (vgl. Abb. 5). <strong>Die</strong> be<strong>de</strong>utendstenViehmärkte <strong>de</strong>r Umgebung fan<strong>de</strong>n außerhalb Gießens <strong>in</strong> Lollar statt [Wagner 1830, S. 83].<strong>Die</strong> verbesserte Verkehrsanb<strong>in</strong>dung durch <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r Marburg-Kasseler Straße unterstreichtnur die wachsen<strong>de</strong> Rolle Lollars als landwirtschaftliches Kle<strong>in</strong>zentrum <strong>und</strong> damit relativgünstigen Erwerbsraum für kle<strong>in</strong>e jüdische Viehhändler an <strong>de</strong>r Gießener Peripherie. Ähnlichesgalt gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts — wenn auch auf nie<strong>de</strong>rem Niveau — für Ma<strong>in</strong>zlar.12


Abbildung 5: Anteil jüdischer Männer an <strong>de</strong>r Zahl erwerbsfähiger Männer im Gericht Lollar imJahr 1770 [Statistik 1864] [S. 241]13


H<strong>in</strong>zu kam die wachsen<strong>de</strong> Kreditbedürftigkeit großer Teile <strong>de</strong>r ländlichen Bevölkerung schongegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charakteristisch s<strong>in</strong>d die Angaben von Hypothekenbüchernauch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dörfern <strong>de</strong>r Umgebung. Überdurchschnittlich viele Ju<strong>de</strong>n treten dar<strong>in</strong> als Gläubiger<strong>in</strong> Kreditgeschäften auf [Hans 1986a, S. 57].Wegen bei<strong>de</strong>r Armut war <strong>de</strong>r Kredit das B<strong>in</strong><strong>de</strong>glied zwischen <strong>de</strong>m Daubr<strong>in</strong>ger Tagelöhner o<strong>de</strong>rKle<strong>in</strong>bauern <strong>und</strong> <strong>de</strong>m örtlich „Han<strong>de</strong>lsju<strong>de</strong>n“ Aron, <strong>de</strong>r aus eigener Not auch ohne verläßlicheSicherheiten Geld verleihen mußte. 18Aron ersche<strong>in</strong>t erstmals 1777 <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Rechnungen <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Daubr<strong>in</strong>gen. Er bewohntemit se<strong>in</strong>er Familie e<strong>in</strong> Häuschen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Großgasse. Den Lebensunterhalt für sich <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Familiebezog er genau wie <strong>de</strong>r Ma<strong>in</strong>zlarer Ju<strong>de</strong> Hoijom <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Daubr<strong>in</strong>ger Ju<strong>de</strong> Ravogel, diebei<strong>de</strong> bereits Mitte <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> E<strong>in</strong>wohnerlisten Erwähnung f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>fachenViehhan<strong>de</strong>l. Hojiom, Ravogel, Aron <strong>und</strong> <strong>de</strong>r etwas später <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar genannte Seligmannhatten wie ihre Glaubensbrü<strong>de</strong>r <strong>in</strong> an<strong>de</strong>ren hessen-darmstädtischen Ortschaften auch <strong>de</strong>n Statuslandgräflicher Schutzju<strong>de</strong>n. Im Dorf wur<strong>de</strong>n sie als Beisassen mit e<strong>in</strong>geschränkten Rechten <strong>in</strong>Bezug auf <strong>de</strong>n Geme<strong>in</strong>schaftsnutzen geführt, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Besitz von Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Bo<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regelnicht gestattet war. Alljährlich zahlten sie daher „wegen Betreibung <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> wey<strong>de</strong>mit [...] Han<strong>de</strong>lsvieh“ e<strong>in</strong>en „unständigen“ Betrag, <strong>de</strong>ssen Höhe sich nach <strong>de</strong>r Dauer <strong>und</strong> <strong>de</strong>mUmfang <strong>de</strong>r Inanspruchnahme <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>wei<strong>de</strong> richtete. 19 <strong>Die</strong> Rekonstruktion jüdischer Familien<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Daubr<strong>in</strong>gen am Ausgang <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts ist trotz <strong>de</strong>r Überlieferungvon Geburten im Pfarrarchiv Kirchberg nicht ganz e<strong>in</strong>fach. In <strong>de</strong>r Regel gaben jüdische Eltern zudieser Zeit ihren K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn Namen <strong>in</strong> hebräisch-alttestamentarischer Tradition, die dann im umgangssprachlichen,„oberhessischen“ Gebrauch abgeschliffen wur<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eherjüdischen als auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eher <strong>de</strong>utschen Form <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Quellen f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. So ersche<strong>in</strong>en im unterenLumdatal beispielsweise Namen wie Salomon, Moses o<strong>de</strong>r Baruch, aber auch Elkan <strong>und</strong> Haune(bei<strong>de</strong> für das hebräische „Elchonon“) o<strong>de</strong>r Hoijom (auch als Heijem o<strong>de</strong>r Heyum). Darüberh<strong>in</strong>aus ist aus <strong>de</strong>n Kirchberger Pfarrakten ersichtlich, daß <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die männlichen Nachkommenjüdischer K<strong>in</strong><strong>de</strong>r bis zur staatlich verb<strong>in</strong>dlichen Durchsetzung <strong>de</strong>s Gebrauchs <strong>de</strong>utscherFamiliennamen zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts oft als Zunamen <strong>de</strong>n Vor- o<strong>de</strong>r Be<strong>in</strong>amen <strong>de</strong>sVaters erhielten. Wie <strong>in</strong> früheren Jahrh<strong>und</strong>erten auch bei Christen üblich, ist also e<strong>in</strong>e klare Unterscheidungvon Vor-, Bei-, Zu- o<strong>de</strong>r Familiennamen schwierig, zumal um die Jahrh<strong>und</strong>ertwen<strong>de</strong>schließlich auch bereits <strong>de</strong>utsche Familiennamen bei Ma<strong>in</strong>zlarer o<strong>de</strong>r Daubr<strong>in</strong>ger Ju<strong>de</strong>nVerwendung f<strong>in</strong><strong>de</strong>n [Demandt 1980a] [<strong>Die</strong>tz 1904a].Zwischen etwa 1770 <strong>und</strong> 1815 lebte <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen die Familie <strong>de</strong>s bereits erwähnten Schutzju<strong>de</strong>nAron. Sie bewohnte die zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r 1980er Jahre abgerissene Hofreite <strong>in</strong> <strong>de</strong>r heutigenGroßgasse 5. Aron, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> kirchlichen Quellen auch Elkan Aoron, <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>dlicher Überlieferungauch Haune Aron genannt wird, hatte zwei Söhne Michel Elkan, geb. am 18. April 1788,<strong>und</strong> Salomon Elkan, geb. 1. Februar 1791. Ab etwa 1812 ersche<strong>in</strong>en diese drei genannten Mitglie<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r Familie Arons mit [S. 242] <strong>de</strong>m jetzt künstlich-<strong>de</strong>utschen Familiennamen Mormelste<strong>in</strong>:Haune Mormelste<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>en Söhnen Mich(a)el Mormelste<strong>in</strong> <strong>und</strong> Salomon Mormelste<strong>in</strong>.18 exemplarisch für <strong>de</strong>n württemberg-badischen Raum: [Jeggle 1969a] [Kaschuba 1982a, S. 35]19 zit.: StdtA Stfbg., Best. Daubr<strong>in</strong>gen, B1/011, Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rechnungen 1777; zu „Ravogel“: [Staufenberg 1983, S.161] („Ravogel“ lässt auf e<strong>in</strong>e m<strong>und</strong>artliche Verballhornung <strong>de</strong>s Vornamens Raphael schliessen); zu „Hoijom“<strong>und</strong> „Seligmann“: [Hormann 1988a]14


Abbildung 6: Protokoll <strong>de</strong>r Geburt Löser Löwenste<strong>in</strong>s am 10. März 1811 als Sohn SüsmannLöwenste<strong>in</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Frau Ju<strong>de</strong>l aus Daubr<strong>in</strong>gen (Stadtarchiv Staufenberg) [S.242]Aron Elkan/Haune/Mormelste<strong>in</strong> war somit <strong>de</strong>r „Stammvater“ <strong>de</strong>r Familie Mormelste<strong>in</strong>, die bis1873 <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen nachgewiesen ist (vgl. Abschn. 7).Erst nach<strong>de</strong>m „Jud Susmann Löwenste<strong>in</strong> von Ru<strong>de</strong>rshausen“ mit <strong>de</strong>r Zahlung von 3 fl. 18alb. „E<strong>in</strong>zugs Geld“ 1810 zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau Ju<strong>de</strong>l (Judith) se<strong>in</strong>en Wohnsitz ebenfalls<strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen genommen hatte, gab es dort zwei jüdische Händlerfamilien. 20 <strong>Die</strong> junge FamilieLöwenste<strong>in</strong> hatte e<strong>in</strong>en bereits 1808 geborenen Sohn namens Hirsch, <strong>de</strong>r nicht nur <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gennoch zu relativer Be<strong>de</strong>utung aufsteigen sollte (vgl. Abschn. 7).Bereits 1770 wohnten wahrsche<strong>in</strong>lich drei jüdische Familien <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar. Nachricht habenwir jedoch für die folgen<strong>de</strong>n Jahrzehnte zunächst nur über <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n Hoijom (mit ZunamenBaruch?) <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen zwischen 1775 <strong>und</strong> 1790 geborenen Söhne Baruch, Elkan <strong>und</strong> Moses. Umdie Jahrh<strong>und</strong>ertwen<strong>de</strong> soll diese Familie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Häuschen gelebt haben, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>terhof<strong>in</strong> <strong>de</strong>r heutigen Lollarer Straße stand <strong>und</strong> etwa 1835 abgerissen wur<strong>de</strong>[Hormann 1988a].Wie 1810 Süßmann Löwenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen so zahlte 1818 Isaak Kann aus Ruttershausen<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar E<strong>in</strong>zugsgeld für sich <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau. <strong>Die</strong> Familie bewohnte e<strong>in</strong> Haus <strong>in</strong> <strong>de</strong>r heutigenHauptstraße, Isaak Kann übte e<strong>in</strong>e Han<strong>de</strong>lstätigkeit aus. 2120 zit.: StdtA Stfbg., Best. Daubr<strong>in</strong>gen B1/035, Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rechnungen 181021 Hormann spricht im Bezug auf die Ansiedlung <strong>de</strong>r Familie von Hauptstraße 10 <strong>und</strong> <strong>in</strong> Bezug auf die Schnapsfirmavon Hauptstraße 9. [Hormann 1988a]15


3 Jüdisches <strong>und</strong> nichtjüdisches Leben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ertDurch die beson<strong>de</strong>re Situation <strong>de</strong>r ländlichen Gesellschaft im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert war jüdisches <strong>und</strong>nichtjüdisches Leben <strong>in</strong> unseren Dörfern meist unauflösbar aber auch gefährlich mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rverknüpft.Noch immer lebten die Landju<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>nkbar schlechten wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Bed<strong>in</strong>gungen.Auch sahen sie sich weiterh<strong>in</strong> obrigkeitlicher Willkür ausgesetzt. Da ihnen bishernur wenige Erwerbszweige erlaubt gewesen waren <strong>und</strong> dies bereits seit Jahrh<strong>und</strong>erten, hatten siesich <strong>in</strong> gewerbliche Nischen zurückziehen müssen, die ihnen mehr schlecht als recht das Überlebenermöglichten. Das Landju<strong>de</strong>ntum auch im unteren Lumdatal setzte sich gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18.<strong>und</strong> zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts meist aus Vieh- <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>händlern, Lumpensammlern o<strong>de</strong>rTrödlern zusammen, die ihren Familien nur e<strong>in</strong> recht kärgliches Auskommen bieten konnten.Obwohl <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Phase napoleonischer Herrschaft über <strong>de</strong>utsche Territorien zwischen 1806 <strong>und</strong>1813 zwar auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n hessischen Staaten kurzzeitig die vollständige Gleichberechtigung <strong>de</strong>rJu<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>geführt war, bestand <strong>de</strong>r überkommene restriktive rechtliche <strong>und</strong> politische Existenzh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong> <strong>de</strong>n Folgejahren zunächst fort.Mit „Bauernbefreiung“ <strong>und</strong> zunehmen<strong>de</strong>r Marktorientierung <strong>de</strong>r Landwirtschaft schnürte sichdas wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale Band zwischen Landju<strong>de</strong>n <strong>und</strong> hessischem Kle<strong>in</strong>bauerntum nochzunehmend enger. Ihre persönliche Freiheit <strong>und</strong> die Ablösung ihres Besitzes von gr<strong>und</strong>herrlichenLasten mußte e<strong>in</strong> großer Teil <strong>de</strong>r bäuerlichen Bevölkerung mit e<strong>in</strong>er enormen Verschuldung bezahlen.<strong>Die</strong> kle<strong>in</strong>en Betriebe lieferten oft nur das Nötigste zum Überleben; <strong>in</strong> <strong>de</strong>n nicht seltenenZeiten <strong>de</strong>r Not waren sie gezwungen, Saatgut, Nahrungsmittel u.v.m. h<strong>in</strong>zuzukaufen. Aber welcherchristliche Geschäftsmann gab <strong>de</strong>n Bauern noch Kredit?Es waren die kle<strong>in</strong>en jüdischen Händler <strong>und</strong> Geldleiher, die gezwungenermaßen nach e<strong>in</strong>emAuskommen [S. 243] <strong>und</strong> hier <strong>in</strong> die Bresche sprangen. Sie g<strong>in</strong>gen dabei allerd<strong>in</strong>gs bei <strong>de</strong>n Kle<strong>in</strong>bauerndas große Risiko e<strong>in</strong>, das verliehene Geld zu verlieren. H<strong>in</strong>zu kommt, daß <strong>in</strong> diesenJahren, da nahezu ausschließlich landwirtschaftliche Arbeit <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>besitz das dörfliche Prestigegefügeprägten, gewerbliche Tätigkeit im Dorf auf <strong>de</strong>r untersten Sprosse <strong>de</strong>r Statusleiterplaziert war. Beschäftigung im Kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Geldhan<strong>de</strong>lsbereich erschien <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel aufgr<strong>und</strong><strong>de</strong>s schwachen Umsatzes <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ger<strong>in</strong>gen sozialen Ansehens wenig attraktiv. So waren es meistdie Ju<strong>de</strong>n, die sowieso noch weitgehend außerhalb <strong>de</strong>s Statussystems Dorf stan<strong>de</strong>n, die sich <strong>in</strong>diesen Bereichen e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Existenz zu sichern. Erst mit zunehmen<strong>de</strong>m Geldumlauf <strong>und</strong> wachsen<strong>de</strong>mKonsum im Zuge <strong>de</strong>r Industrialisierung sollte sich hier wesentliches än<strong>de</strong>rn.Noch immer war es vor allem auch <strong>de</strong>r Viehhan<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r trotz vielfältiger E<strong>in</strong>schränkungennahezu als jüdisches Monopol erschien.„Naheliegend war es, altes Vieh zu ersetzen <strong>und</strong> junges zuzuliefern. Da nur weiblichemilchspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Tiere für die Viehhaltung <strong>in</strong>teressant waren, fiel bei <strong>de</strong>r Nachzuchtimmer e<strong>in</strong>e Überzahl männlicher Tiere an, die nach kurzer Mast an <strong>de</strong>n Händlero<strong>de</strong>r Metzger verkauft [S. 244] wur<strong>de</strong>n.“ [Kaufmann 1988a, S. 9]Jüdische Händler hatten aufgr<strong>und</strong> ihrer ausge<strong>de</strong>hnten Reisen über Land vielfältige <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>geschätzte landwirtschaftliche <strong>und</strong> gewerbliche Kenntnisse erworben.16


„Für <strong>de</strong>n Kle<strong>in</strong>bauern konnte sich e<strong>in</strong> weiteres <strong>in</strong>teressantes Nebene<strong>in</strong>kommenaus <strong>de</strong>r Viehhaltung ergeben: Er trat <strong>in</strong> Geschäftsgeme<strong>in</strong>schaft mit e<strong>in</strong>em Händler<strong>und</strong> erhielt e<strong>in</strong> junges trächtiges R<strong>in</strong>d o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e trächtige Kuh. Er fütterte das Tier<strong>und</strong> bezog für diese Zeit wichtigen Dünger. [...] Er nutzte die Zugleistung <strong>und</strong> konnteeventuell auch von <strong>de</strong>r Milchleistung profitieren. Den Erlös aus <strong>de</strong>m Zuwachs anGewicht <strong>und</strong> das <strong>in</strong>zwischen geborene Kalb teilten sich <strong>de</strong>r Viehhändler <strong>und</strong> <strong>de</strong>rBauer meist zur Hälfte.“ [Kaufmann 1988a, S. 9]Es war sogar durchaus üblich, daß Kle<strong>in</strong>bauern bei Großbauern o<strong>de</strong>r jüdischen Händlern zuvergleichbaren Zwecken Vieh liehen.E<strong>in</strong>drucksvolle Illustrationen dieser Zusammenhänge liefert noch heute e<strong>in</strong> Han<strong>de</strong>lsprotokollbuchaus Ma<strong>in</strong>zlar, das im Staufenberger Stadtarchiv erhalten ist (vgl. Abb. 7): Am 15. August1849 schlossen beispielsweise <strong>de</strong>r jüdische Viehhändler Isaak Kann aus Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> <strong>de</strong>r LandwirtGeorg Eberhart Becker aus Alten-Buseck vor <strong>de</strong>m Ma<strong>in</strong>zlarer Bürgermeister Schlapp e<strong>in</strong>eVere<strong>in</strong>barung, wonach Becker „anheute <strong>de</strong>m Isaak Kann e<strong>in</strong> Tragbar Kuh Gelbroth mit aufgeworfenHerner vor 35 fl. dreisig fünf Gul<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Gelbrothes 1 1/2 Jahr Altes Mutterr<strong>in</strong>dvor 20 fl. zwanzig Gul<strong>de</strong>n [abkauft], auf halben Gew<strong>in</strong>n <strong>und</strong> halben Verlust behalte er das Vieh<strong>in</strong> Stall <strong>und</strong> Futter bis die Kuh kalbet, er sie alsdann verkauft [...], <strong>und</strong> <strong>de</strong>r mehrerlöß auf bei<strong>de</strong>Theile getheilt wer<strong>de</strong>n solle, das R<strong>in</strong>d soll zwischen Ostern u. Pf<strong>in</strong>gsten 1848 geme<strong>in</strong>schaftlichverkauft u. <strong>de</strong>r mehrerlöß [...] auf bei<strong>de</strong> Theile vertheilt wer<strong>de</strong>n.“ 22Daneben lieferten jüdische Trö<strong>de</strong>lhändler <strong>und</strong> Hausierer die Gebrauchswaren, die e<strong>in</strong> Haushaltsonst nur <strong>in</strong> größeren Städten <strong>de</strong>r Umgebung beziehen konnte. Größere Bauern mit heiratsfähigenTöchtern o<strong>de</strong>r Söhnen vertrauten jüdischen Händlern sogar die Aufgabe <strong>de</strong>r Heiratsvermittlungan, wenn sich im Ort ke<strong>in</strong> vorallem <strong>in</strong> wirtschaftlicher H<strong>in</strong>sicht angemessener Partner f<strong>in</strong><strong>de</strong>nließ.<strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rum waren ebenso nicht nur <strong>in</strong> wirtschaftlicher H<strong>in</strong>sicht auf Verb<strong>in</strong>dungenzur nichtjüdischen Umwelt angewiesen. So hat sich bis heute die Er<strong>in</strong>nerung an die „Schabbesgoi“erhalten e<strong>in</strong>e christliche Frau aus <strong>de</strong>r Nachbarschaft, die am Sabbath, <strong>de</strong>n 24 St<strong>und</strong>envon Freitagabend bis Samstagabend, während <strong>de</strong>rer Ju<strong>de</strong>n ke<strong>in</strong>erlei Arbeit ausführen durften, dienötigsten Verrichtungen im jüdischen Haushalt übernahm.E<strong>in</strong> jüdischer Händler war <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel die ganze Woche unterwegs <strong>und</strong> bekam se<strong>in</strong>e Familiemit viel Glück vielleicht am Sabbath zu sehen. <strong>Die</strong> Notwendigkeit zur Unterstützung bei <strong>de</strong>n alltäglichenVerrichtungen im Haushalt verband nicht nur die jüdische Bevölkerung untere<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r,son<strong>de</strong>rn erfor<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>n permanenten Austausch auch mit <strong>de</strong>n christlichen Nachbarn. In diesemS<strong>in</strong>ne waren auch die Dorfju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigenartigen Form <strong>in</strong> das örtliche Nachbarschaftssysteme<strong>in</strong>gebettet.Doch die Kontakte zwischen Ju<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Nichtju<strong>de</strong>n bil<strong>de</strong>ten e<strong>in</strong> brisantes Gemisch aus Vertrauen,Abhängigkeit, Vorurteilen, ja Haß, das se<strong>in</strong>e explosive Kraft gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> wirtschaftlichenKrisenzeiten voll entfalten konnte. Gera<strong>de</strong> die Geschäftsbeziehungen zwischen jüdischen Händlern<strong>und</strong> hessischen Kle<strong>in</strong>bauern, die nicht selten existentielle Be<strong>de</strong>utung für bei<strong>de</strong> Beteiligtenhatten, bargen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel e<strong>in</strong>en hohes Maß an Risiko. Viehseuchen, Mißernten, E<strong>in</strong>brüche im22 zit.: StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, Bxxx „Han<strong>de</strong>lsprotokollbuch“17


Abbildung 7: Auszug aus <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>lsprotokollbuch von Ma<strong>in</strong>zlar: Vertrag zwischen IsaakKann aus Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Georg Eberhard Becker aus Alten-Buseck vom 15. August1847 (Stadtarchiv Staufenberg) [S. 243]18


allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re landwirtschaftlichen Konjunkturverlauf — alles dies konnte <strong>de</strong>mkle<strong>in</strong>bäuerlichen Haushalt das Überleben beschnei<strong>de</strong>n. Als willkommener Sün<strong>de</strong>nbock erschiendann <strong>de</strong>r jüdische Kle<strong>in</strong>gewerbetreiben<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Verpflichtungen gegenüber größerenGeschäftspartnern <strong>in</strong> Gießen o<strong>de</strong>r gar Frankfurt Vieh <strong>und</strong> Hof pfän<strong>de</strong>n lassen mußte, umnicht selbst mit se<strong>in</strong>er Familie unterzugehen. In welcher Form sich dieses Verhältnis <strong>in</strong> die kle<strong>in</strong>bäuerlicheMentalität <strong>de</strong>r Region fraß, illustriert folgen<strong>de</strong> Beschreibung e<strong>in</strong>er Wand<strong>de</strong>koration,wie sie sich noch En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Nor<strong>de</strong>cker Gastwirtschaft fand [Stern 1970a,zit. S. 26]:„Es war e<strong>in</strong> gewöhnlicher Buntdruck, <strong>de</strong>r die Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Stän<strong>de</strong> darstellte.Zwei von <strong>de</strong>n Seiten ansteigen<strong>de</strong> Treppen vere<strong>in</strong>igten sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte zu e<strong>in</strong>erPlattform. Auf je<strong>de</strong>r Stufe stand <strong>de</strong>r Vertreter e<strong>in</strong>es Stan<strong>de</strong>s, <strong>und</strong> darunter die Erklärung.Auf <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Plattform saß <strong>de</strong>r König auf se<strong>in</strong>em Thron: Ich regiere euchalle. — Auf <strong>de</strong>r ersten Stufe zur Seite stand <strong>de</strong>r Soldat: Ich beschütze euch alle. —Auf <strong>de</strong>r untersten <strong>de</strong>r Bauer: Ich ernähre euch alle. Und ihm gegenüber <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong> mitlangem Bart <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m Sack über <strong>de</strong>r Schulter: Ich betrüge euch alle.“19


4 Rechtliche Gleichstellung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nIn vielen Regierungen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Territorien zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> so auch<strong>de</strong>s Großherzogtums Hessen wur<strong>de</strong> zwar viel über die rechtliche <strong>und</strong> politische Gleichstellung<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n diskutiert, „aber erst langsam setzte sich [...] <strong>de</strong>r Gedanke durch, daß die miserableSituation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n nicht <strong>de</strong>ren eigene Schuld, son<strong>de</strong>rn die Schuld <strong>de</strong>r Verhältnisse sei, unter<strong>de</strong>nen sie im christlichen Staat existieren mußten. Wer die Ju<strong>de</strong>n än<strong>de</strong>rn wollte dies war dieAnsicht aufgeklärter Beamter — mußte die Bed<strong>in</strong>gungen än<strong>de</strong>rn, unter <strong>de</strong>nen sie zu leben hatten“[Ju<strong>de</strong>n Hessen, zit. S. ..].Zwar versprach die großherzoglich-hessische Verfassung von 1820 <strong>de</strong>m jüdischen Bevölkerungsanteilim Pr<strong>in</strong>zip die völlige rechtliche <strong>und</strong> staatsbürgerliche Gleichstellung, es waren damitjedoch Bed<strong>in</strong>gungen verknüpft, die zu dieser Zeit nur von wenigen Landju<strong>de</strong>n zu erfüllen waren.Um Ju<strong>de</strong>n vom Han<strong>de</strong>l — ihrem Hauptbroterwerb — wegzubr<strong>in</strong>gen, war das Staatsbürgerrechtfür jüdische Händler mit enormen Kosten verb<strong>und</strong>en. Nur wer als Ju<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e landwirtschaftlicheo<strong>de</strong>r handwerkliche [S. 245] Tätigkeit anstrebte, bekam solche H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnisse nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Weg gelegt.Daß an dieser Stelle alte überkommene zünftische Mentalitäten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r geschlossene Kreise<strong>in</strong>er bäuerlichen Dorfgeme<strong>in</strong>schaft, Barrieren errichten könnten, sche<strong>in</strong>t <strong>de</strong>n Gesetzgebern nicht<strong>in</strong> <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n gekommen zu se<strong>in</strong> [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 23] [Günther 1853a, S. ..].Es w<strong>und</strong>ert daher nicht, daß sich die Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Daubr<strong>in</strong>gen beispielsweise noch 1865 erst nachvielen Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>n zur Aufnahme von Aron Mormelste<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>em Sohn <strong>de</strong>s Salomon Mormelste<strong>in</strong>,als Ortsbürger bereit erklärte. Mormelste<strong>in</strong> hatte bereits 1849 um Aufnahme nachgesucht.Bis dato galt er weiterh<strong>in</strong> als hessischer Schutzju<strong>de</strong>. 1850 wur<strong>de</strong> die Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> von e<strong>in</strong>er Regierungskommissionangewiesen „die Erledigung voranzutreiben“. Man verschleppte sche<strong>in</strong>bar<strong>de</strong>n Fall von Seiten <strong>de</strong>s Bürgermeisters Hämmerle, so daß es zwischen Hämmerle <strong>und</strong> Mormelste<strong>in</strong>um 1860 sogar zu persönlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzungen kam. Das Kreisamt Gießen mußteschließlich 1865 anweisen:„Da Bittsteller [Mormelste<strong>in</strong>] mehr als das gesetzliche Inferendum [M<strong>in</strong><strong>de</strong>stkapitalvon 4.000 Gul<strong>de</strong>n] nachgewiesen hat <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gute Ruf <strong>und</strong> die Ernährnungsfähigkeit<strong>de</strong>sselben vom Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rath nicht bestritten wor<strong>de</strong>n ist, so verwerfen wir hiermit<strong>de</strong>n von letzterem erhobenen Wi<strong>de</strong>rspruch gegen die ortsbürgerliche Aufnahme<strong>de</strong>s Obengenannten als unbegrün<strong>de</strong>t <strong>und</strong> weisen Sie an, <strong>de</strong>nselben nach Erfüllungaller Leistungen <strong>in</strong>s Ortsbürger-Register e<strong>in</strong>zutragen. Der Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rath ist hiervon<strong>in</strong> Kenntnis zu setzen.“ 23Auch Hirsch Löwenste<strong>in</strong> machte man es 1858 von Seiten <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> nicht gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>fachmit se<strong>in</strong>em Gesuch um Aufnahme als Ortsbürger <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen. <strong>Die</strong> wirtschaftlichen Motive<strong>de</strong>r verantwortlichen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>räte <strong>und</strong> Bürgermeister s<strong>in</strong>d daraus ersichtlich, daß von Löwenste<strong>in</strong>schon außeror<strong>de</strong>ntliche E<strong>in</strong>zugsgel<strong>de</strong>r erhoben wur<strong>de</strong>n, bevor er „als Neue<strong>in</strong>ziehen<strong>de</strong>(r)[...] wirklich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Genuß von bestehen<strong>de</strong>n Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>nutzungen e<strong>in</strong>gewiesen“ wor<strong>de</strong>n war. 2423 StdtA Stfbg., Best. Daubr<strong>in</strong>gen, A 242, A 24524 StdtA Stfbg., Best. Daubr<strong>in</strong>gen, A 24920


Insgesamt muß <strong>in</strong> diesem Zusammenhang allerd<strong>in</strong>gs auch immer auf die beson<strong>de</strong>rs schlechtenwirtschaftichen <strong>und</strong> sozialen Verhältnisse <strong>in</strong> vielen oberhessischen Dörfern <strong>und</strong> gera<strong>de</strong> auch <strong>in</strong>Daubr<strong>in</strong>gen verwiesen wer<strong>de</strong>n.Abbildung 8: Vorschrift zur Führung <strong>de</strong>r Personenstandsregister aus <strong>de</strong>m Registerband für jüdischeGeburten, Trauungen <strong>und</strong> Beerdigungen <strong>in</strong> Staufenberg (Stadtarchiv Staufenberg)[S. 245]<strong>Die</strong> großherzogliche Verwaltung versuchte <strong>in</strong> dieser Situation zunächst vor allem, auch diejüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n stärker unter die Kontrolle <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n zu br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>fluß auf religiöseSitten <strong>und</strong> Gebräuche zu gew<strong>in</strong>nen. Letzteres geschah nunmehr weniger — wie noch <strong>in</strong><strong>de</strong>n Jahrh<strong>und</strong>erten zuvor — mit <strong>de</strong>m Ziel, die Ju<strong>de</strong>n von ihrem verme<strong>in</strong>tlich falschen, ja unwürdigenGlauben abzubr<strong>in</strong>gen. Vielmehr g<strong>in</strong>g es um die Durchsetzung allgeme<strong>in</strong>er Maßgabenim Rahmen e<strong>in</strong>es sich als aufgeklärt verstehen<strong>de</strong>n Staates. Auch sollten kulturelle <strong>und</strong> religiöse21


Eigenheiten, die man als H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnisse bei <strong>de</strong>r angestrebten Integration <strong>und</strong> letzten En<strong>de</strong>s Assimilationansah, ausgemerzt wer<strong>de</strong>n.Im Zuge <strong>de</strong>r Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>de</strong>r Staatsverwaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Rechtsverhältnisse wur<strong>de</strong>n Vorschriftenzur genaueren bürokratischen Erfassung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n erlassen. <strong>Die</strong>se umfaßten bis 1876die Registrierung von Geburten, Ehen <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sfällen unter <strong>de</strong>n ortsansässigen Ju<strong>de</strong>n (vgl. Abb.8).Abbildung 9: Protokoll <strong>de</strong>r Geburt Elisabethe Kanns am 6. Februar 1856 als Tochter AdolfKanns <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Frau Berte, geb. Reis, aus Ma<strong>in</strong>zlar. Das Protokoll enthält zusätzlich<strong>de</strong>n Vermerk <strong>de</strong>s Ma<strong>in</strong>zlarer Bürgermeisters Kreil<strong>in</strong>g von 1939 über diezwangsweise Namensergänzung „Sara“. (Stadtarchiv Staufenberg) [S. 246]Mitte <strong>de</strong>r 1820er Jahre erg<strong>in</strong>g für das Großherzogtum Hessen die Verordnung, die alten jüdischenFrauenbä<strong>de</strong>r, die die Religion für rituelle Waschungen vorschreibt, aus „hygienischen“Grün<strong>de</strong>n zuzuschütten; zeitgleich wur<strong>de</strong>n strenge Vorschriften für die Errichtung neuer Bä<strong>de</strong>rerlassen.22


Abbildung 10: Erlaß <strong>de</strong>r Großherzoglich-hessischen Regierung <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Oberhessen vom 30.Juli 1825 über die „zum Behuf <strong>de</strong>r Re<strong>in</strong>igung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nfrauen bestehen<strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>e<strong>in</strong>richtungen“— 1. Seite. (Stadtarchiv Staufenberg) [S. n.i.O.]23


Unter Verweis auf die erfolgte Zuschüttung <strong>de</strong>r „<strong>de</strong>r Ges<strong>und</strong>heit nachtheiligen IsraelitischenRe<strong>in</strong>igungsbä<strong>de</strong>r“ erließ die Prov<strong>in</strong>zialregierung für <strong>de</strong>ren Neuerrichtung verschie<strong>de</strong>ne Bestimmungen,die von <strong>de</strong>n Landräten an die betroffenen Bürgermeister weiterzuleiten waren (vgl. Abb.10): <strong>Die</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n hatten die anfallen<strong>de</strong>n Kosten selbst zu tragen. E<strong>in</strong> Bezirksarztsollte die E<strong>in</strong>richtung <strong>de</strong>r Bä<strong>de</strong>r zu beaufsichtigen. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>fache Anlage mußte verschie<strong>de</strong>nentechnischen Maßgaben genügen, <strong>und</strong> nur bestimmte Materialien durften verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>[S. 246] jüdische Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> hatte e<strong>in</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Ba<strong>de</strong>aufsicht sicherzustellen, die auch e<strong>in</strong>eangemessene Re<strong>in</strong>igung <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>e<strong>in</strong>richtung gewährleisteten konnte.Engagierte öffentliche <strong>und</strong> politisch liberale Kreise entfalteten teilweise unter Regierungse<strong>in</strong>flußzunehmend Aktivitäten zur Diskussion <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Situation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n. Aus diesenZusammenhängen entwickelten sich vielfältige Versuche zu <strong>de</strong>ren Verän<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> „Besserung“.Der Bildungssektor stand im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> solcher Überlegungen. Gera<strong>de</strong> hier<strong>in</strong> sahman beste Möglichkeiten, jüdische K<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendliche von <strong>de</strong>n beruflichen <strong>und</strong> kulturellenTraditionen ihrer Vorfahren zu entfrem<strong>de</strong>n <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>en Beitrag zu <strong>de</strong>ren verme<strong>in</strong>tlich sonotwendigen E<strong>in</strong>glie<strong>de</strong>rung <strong>in</strong> die bürgerliche Gesellschaft zu unternehmen.Mit <strong>de</strong>m Ziel „die Verbesserung <strong>de</strong>s Zustan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Israeliten“ im Großherzogtum Hessengrün<strong>de</strong>ten sich „unter <strong>de</strong>m Schutze <strong>de</strong>r höchsten Staatsregierung“ Vere<strong>in</strong>e (vgl. Abb. 11). „<strong>Die</strong>selbenhaben sich <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re zur Aufgabe gemacht, unbemittelte israelitische Jüngl<strong>in</strong>ge, diesich <strong>de</strong>m Schulfache widmen wollen, beim Besuche von Sem<strong>in</strong>arien, kle<strong>in</strong>e israelitische Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>nbei <strong>de</strong>r Besoldung e<strong>in</strong>es Lehrers zu unterstützen <strong>und</strong> jungen Israeliten die Erlernunge<strong>in</strong>es Handwerks <strong>und</strong> das Wan<strong>de</strong>rn möglich zu machen, sowie endlich die Israeliten zum Betriebe<strong>de</strong>s Ackerbaus zu ermuntern.“ Da sich <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Vere<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Oberhessen"aus ungünstigen Verhältnissen" auflösen mußte, wies <strong>de</strong>r Kreisrat die Bürgermeister <strong>de</strong>s KreisesGießen an, <strong>de</strong>n Vere<strong>in</strong> <strong>de</strong>r großherzoglich-hessischen Prov<strong>in</strong>z Starkenburg als „Centralvorstand“zu unterstützen.Es sollte noch bis <strong>in</strong> die zweite Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts dauern, bis die vollständige Gleichstellung<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n von Seiten <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Wiener Kongreß wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>gesetzten alten Obrigkeitenbzw. <strong>de</strong>m 1871 gegrün<strong>de</strong>ten Deutschen Reich <strong>in</strong> rechtlichem wie politischem S<strong>in</strong>ne endgültigfestgeschrieben wur<strong>de</strong>.24


Abbildung 11: Schreiben <strong>de</strong>s Kreisrates <strong>de</strong>s Kreises Gießen vom 2. Dezember 1844 betreffend„<strong>Die</strong> Verbesserung <strong>de</strong>s Zustan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Israeliten <strong>in</strong> Oberhessen“ — 1. Seite (StadtarchivStaufenberg) [S. 246]25


5 <strong>Die</strong> jüdische Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> im Gericht Kirchberg/LollarWann genau sich die Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen, Lollar, Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Ruttershausen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dorfübergreifen<strong>de</strong>nGeme<strong>in</strong><strong>de</strong>, die sich an <strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>s Kirchspiels Kirchberg orientierte, zusammenschlossen,ist bisher nicht bekannt. Aus <strong>de</strong>n statistischen Angaben <strong>de</strong>s Jahres 1770 ist [S.247] ersichtlich, daß man bereits zu dieser Zeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage war, e<strong>in</strong> „M<strong>in</strong>jan“ zusammenzurufen.Das „M<strong>in</strong>jan“, m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens zehn Männer über dreizehn Jahre, s<strong>in</strong>d zur Durchführung wesentlicherRituale <strong>de</strong>s jüdischen Kultus unbed<strong>in</strong>gt nötig [Rupp<strong>in</strong> 1909a, S. 78]. Damit waren bereits<strong>in</strong> <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts die Gr<strong>und</strong>lagen e<strong>in</strong>er gerichts- o<strong>de</strong>r kirchspielumgreifen<strong>de</strong>njüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> vorhan<strong>de</strong>n. Nur noch Teile <strong>de</strong>r schriftlichen Überlieferung <strong>de</strong>rjüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich im Stadtarchiv Lollar.<strong>Die</strong> jüdische Religionsgeme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar umfaßte die jüdischen Religionsangehörigen <strong>de</strong>r OrtschaftenLollar, Ruttershausen, Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Daubr<strong>in</strong>gen. <strong>Die</strong> Orientierung an <strong>de</strong>n Verwaltungsgrenzen<strong>de</strong>s Gerichts Lollar läßt E<strong>in</strong>flüsse durch Ordnungsvorstellungen landgräflicher Amtsträger<strong>in</strong> Gießen o<strong>de</strong>r Darmstadt bei <strong>de</strong>ren E<strong>in</strong>richtung vermuten. Überhaupt entwickelte sich <strong>de</strong>rstaatliche E<strong>in</strong>fluß auf die politische <strong>und</strong> rechtliche Organisation jüdischer Religionsgeme<strong>in</strong><strong>de</strong>nim 19. Jahrh<strong>und</strong>ert sehr stark parallel zur Behandlung christlicher Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n.Seit 1841 regelte e<strong>in</strong>e großherzogliche Verordnung die Bildung, Organisation <strong>und</strong> Aufgabenstellungjüdischer Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>vorstän<strong>de</strong>. 25 Dem Vorstand oblag danach die juristische <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielleVertretung <strong>de</strong>r Kultusgeme<strong>in</strong><strong>de</strong>; er wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Höchstbesteuerten männlichenGeme<strong>in</strong><strong>de</strong>mitglie<strong>de</strong>r gewählt, worauf das Kreisamt Gießen e<strong>in</strong> beson<strong>de</strong>res Auge hatte. <strong>Die</strong> Größe<strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s richtete sich nach <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r jüdischen Haushalte, die die Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> umfaßte.Ähnlich <strong>de</strong>r Bildung von Vertretungen <strong>de</strong>r bürgerlichen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n im Großherzogtum Hessenfan<strong>de</strong>n jährlich Ergänzungswahlen zum jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>vorstand statt, die <strong>in</strong> unserem regionalenFalle Wahlmänner aus <strong>de</strong>n Filialdörfern Daubr<strong>in</strong>gen, Lollar, Ruttershausen, Staufenberg<strong>und</strong> Ma<strong>in</strong>zlar vollzogen. In <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte sich <strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>rjüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar aus drei später aus vier Mitglie<strong>de</strong>rn zusammen.Über die religiöse <strong>und</strong> kulturelle Entwicklung <strong>de</strong>r jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar im 19. Jahrh<strong>und</strong>ertkann bisher nur wenig gesagt wer<strong>de</strong>n. 26 Ihr religiöses Zentrum war die Synagoge <strong>in</strong><strong>de</strong>r heutigen Gießener Straße <strong>in</strong> Lollar. Das kle<strong>in</strong>e Synagogengebäu<strong>de</strong> lag im H<strong>in</strong>terhof e<strong>in</strong>erHofreite zwischen Wohnhaus <strong>und</strong> Stall <strong>und</strong> nahm gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>mal 41 Quadratmeter Fläche e<strong>in</strong>.Das Gr<strong>und</strong>stück <strong>und</strong> die Hofreite gehörten e<strong>in</strong>em Nichtju<strong>de</strong>n, so daß <strong>de</strong>r jüdische Gottesdienst,<strong>de</strong>r nur über <strong>de</strong>ssen Hof besucht wer<strong>de</strong>n konnte, nicht selten Anlaß zu Konflikten bot. Das alteSynagogengebäu<strong>de</strong> war 1930 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en erneuerungsbedürftigen Zustand herabgesunken. Für dieRenovierung stiftete die bürgerliche Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar noch im gleichen Jahr 300 Mark.Es ist für nicht bekannt, daß die jüdische Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar e<strong>in</strong>en eigenen Vorsänger (Kantor)o<strong>de</strong>r gar e<strong>in</strong>en Rabb<strong>in</strong>er zur Abhaltung <strong>de</strong>s Gottesdienstes fest e<strong>in</strong>gestellt hatte. In <strong>de</strong>r Regelübernahm dieses Aufgabe wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong> Landrabb<strong>in</strong>er aus Gießen.<strong>Die</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r aus jüdischen Familien mußten neben <strong>de</strong>m normalen Schulbesuch ab ihrem siebtenLebensjahr e<strong>in</strong>en jüdischen Religionsunterricht besuchen. Zu diesem Zweck unterhielt die25 das Folgen<strong>de</strong> <strong>in</strong>sbes. nach Rupp<strong>in</strong> [Rupp<strong>in</strong> 1909a, S. 63ff]26 für das folgen<strong>de</strong>: StdtA Lollar, Abt. XIII26


is Mai 1870 Ascher Kann RuttershausenLöb KatzMa<strong>in</strong>zlarElieser (Löser) KannMa<strong>in</strong>zlar1870 Epraim Goldschmidt LollarLöb KatzMa<strong>in</strong>zlarElieser KannMa<strong>in</strong>zlar1878 Ephraim Goldschmidt, verstarb im Amtsjahr 1878/9 LollarElieser KannMa<strong>in</strong>zlarLöb KatzMa<strong>in</strong>zlar1886 Samuel Goldschmidt LollarElieser KannMa<strong>in</strong>zlarIsaak Löwenste<strong>in</strong>, wan<strong>de</strong>rte im Amtsjahr 1886/7 aus Daubr<strong>in</strong>gen1887 Samuel Goldschmidt LollarElieser KannMa<strong>in</strong>zlarLöb Katz, verstirbt im Amtsjahr 1887/8Ma<strong>in</strong>zlar1907 Moses Kahn, Vorsteher seit 1904 LollarLevi Löwenste<strong>in</strong>, Vorsteher seit 1905RuttershausenNathan Nathan, Vorsteher seit 1906Ma<strong>in</strong>zlarMoses .?., Vorsteher seit 1907Tabelle 1: E<strong>in</strong>ige Vorstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar vor 1918 (StdtA Lollar, Abt. XIII, 1.Abschn., Konv. 1, Fasz. 2) [S. 247]27


Lollarer Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> nur sporadisch, d.h. wenn es f<strong>in</strong>anzierbar war, bzw. die Zahl <strong>de</strong>r K<strong>in</strong><strong>de</strong>r esverlangte, e<strong>in</strong>en eigenen Lehrer — so 1847/48 beispielsweise Heß Bleiweiß.<strong>Die</strong> jüdische Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> war aufgr<strong>und</strong> von Ab- <strong>und</strong> Auswan<strong>de</strong>rungen bereits um die Jahrh<strong>und</strong>ertwen<strong>de</strong>so schwach, daß man wahrsche<strong>in</strong>lich kaum noch von e<strong>in</strong>em ausgeprägten religiösenGeme<strong>in</strong><strong>de</strong>leben sprechen kann. <strong>Die</strong> etwa acht jüdischen Familien, die zu dieser Zeit nur noch <strong>in</strong><strong>de</strong>n Orten Lollar, Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Ruttershausen lebten, ersche<strong>in</strong>en im Zuge <strong>de</strong>r Zeit stark <strong>in</strong> <strong>de</strong>nallgeme<strong>in</strong>en dörflichen Lebenszusammenhang e<strong>in</strong>gebettet <strong>und</strong> religiös stark liberal orientiert.Befragungen zur wirtschaftlichen, politischen <strong>und</strong> kulturellen Situation aus <strong>de</strong>n ersten drei Jahrzehntenunseres Jahrh<strong>und</strong>erts, wur<strong>de</strong>n vom [S. 248] Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>vorstand nur noch spärlich o<strong>de</strong>r garnicht beantwortet — vielleicht e<strong>in</strong> Zeichen für die weitgehen<strong>de</strong> Aufgabe e<strong>in</strong>er eigenständigenjüdischen I<strong>de</strong>ntität unter <strong>de</strong>n jüdischen Familien <strong>und</strong> die fast abgeschlossene Integration <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<strong>de</strong>utschen, bürgerlich geprägten Kulturzusammenhang.28


6 Vom Trö<strong>de</strong>lhändler zum Kle<strong>in</strong>unternehmerMit e<strong>in</strong>em Blick auf <strong>de</strong>n Anteil <strong>de</strong>r jüdischen Bevölkerung an <strong>de</strong>r Gesamte<strong>in</strong>wohnerschaft <strong>de</strong>rDörfer Daubr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Ma<strong>in</strong>zlar wird sofort erkennbar, daß <strong>de</strong>r Höhepunkt dortigen jüdischenLebens <strong>in</strong> die Mitte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts fällt. Wie bereits erwähnt ist dies die Phase größter Kreditbedürftigkeit<strong>und</strong> wachsen<strong>de</strong>r Krise <strong>in</strong> <strong>de</strong>r oberhessischen Landwirtschaft. Schullehrer Gompfhielt beispielsweise 1861 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Staufenberger Schulchronik die fatale Situation für die Nachweltfest:„<strong>Die</strong> Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> dahier ist als solche sehr wohlhabend, aber die E<strong>in</strong>wohner (mitAusnahme e<strong>in</strong>iger) verarmen zusehens. <strong>Die</strong> Auspfän<strong>de</strong>r machen gute Geschäfte <strong>und</strong>die Ju<strong>de</strong>n kommen nicht aus <strong>de</strong>m Ort.“ 27Abbildung 12: Entwicklung <strong>de</strong>s jüdischen Bevölkerungsanteils zwischen 1828 <strong>und</strong> 1933 [S. 248]Um 1860 lebten <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen die schon bekannten jüdischen Familien Mormelste<strong>in</strong> <strong>und</strong>Löwenste<strong>in</strong>. Mit <strong>de</strong>r Verarmung <strong>de</strong>r dortigen ländlichen Bevölkerung <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren zunehmen<strong>de</strong>nAbwan<strong>de</strong>rung <strong>in</strong> außerbäuerlichen Erwerbsbereiche bei Eisenbahn <strong>und</strong> Industrie verfiel mit <strong>de</strong>mlandwirtschaftlichen Zwischenhan<strong>de</strong>l e<strong>in</strong> wichtige Basis für <strong>de</strong>n Unterhalt <strong>de</strong>r jüdischen Familien.Wie eng die Existenzgr<strong>und</strong>lage gera<strong>de</strong> auch für die nachwachsen<strong>de</strong>n Generationen zu wer<strong>de</strong>nbegann, illustrieren die Auswan<strong>de</strong>rungen bzw. Auswan<strong>de</strong>rungsgesuche meist jüngerer jüdischer27 zit.: Mauer, Schulchronik Daubr<strong>in</strong>gen (S. 70 = Abschrift <strong>de</strong>r Gompfschen Chronik <strong>in</strong> Staufenberg von 1861)29


E<strong>in</strong>wohner. Zwischen 1852 <strong>und</strong> 1873 wur<strong>de</strong>n fünf Gesuche Daubr<strong>in</strong>ger Ju<strong>de</strong>n um Entlassungaus <strong>de</strong>m hessischen Untertanenverband bzw. Auswan<strong>de</strong>rung für sich (<strong>und</strong> ihre Familien) positivbeschie<strong>de</strong>n:24. Apr. 1852 Men<strong>de</strong>l Mormelste<strong>in</strong>08. Jun. 1852 Süßmann Löwenste<strong>in</strong>09. Mär. 1855 Aron Löwenste<strong>in</strong>04. Okt. 1867 Jakob. Mormelste<strong>in</strong>04. Okt. 1873 Salomon Mormelste<strong>in</strong> 28Abbildung 13: Grab Aron Mormelste<strong>in</strong>s aus Daubr<strong>in</strong>gen [S. 248]28 StdtA Stfbg., Best. Daubr<strong>in</strong>gen, A 24830


Aus Ma<strong>in</strong>zlar s<strong>in</strong>d für die Zeit um 1860 nur die Auswan<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Familie Mayer Stern mitdrei K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn — sie folgten K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, die bereits ausgewan<strong>de</strong>rt waren —, sowie <strong>de</strong>s ledigen BaruchKann <strong>und</strong> die „heimliche“ Flucht Adolf Kanns bekannt [Schlapp 1959a, Hormann/Mauer 1993a].Gemessen an <strong>de</strong>r Situation <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen gestalteten sich die Lebensbed<strong>in</strong>gungen Ma<strong>in</strong>zlarerJu<strong>de</strong>n zu dieser Zeit sche<strong>in</strong>bar noch relativ positiv. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st fan<strong>de</strong>n immerh<strong>in</strong> noch drei jüdischeFamilien über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum <strong>in</strong> <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts auf <strong>de</strong>rGr<strong>und</strong>lage verschie<strong>de</strong>ner, an die problematische Situation <strong>de</strong>r dörflichen Wirtschaft angepaßterErwerbszweige e<strong>in</strong> relatives Auskommen:Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Jahrh<strong>und</strong>erts — etwa um 1823 — tritt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Quellen Isaak Kann (<strong>de</strong>r Ältere)<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Wie lange er bereits <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar lebte, ist aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r oben geschil<strong>de</strong>rten Namensproblematiknoch nicht bekannt — [S. 249] e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er Nachkommen lebten bis etwa 1895im Ort. Etwa zeitgleich f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich auch die Familie Abraham Sterns, <strong>de</strong>ren Schicksal jedochbisher nur <strong>in</strong> Ansätzen bekannt ist.Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1840er Jahre beantragte Seligmann Kann, wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong> Bru<strong>de</strong>r Isaaks,<strong>de</strong>r später nach Ruttershausen zog, die Erlaubnis zur Errichtung e<strong>in</strong>er Essigsie<strong>de</strong>rei <strong>und</strong> Likörfabriksche<strong>in</strong>bar <strong>in</strong> <strong>de</strong>r heutigen Ma<strong>in</strong>zlarer Hauptstraße. 1854 bat er zusätzlich um die Erlaubniszur Gründung e<strong>in</strong>er Agentur für Amerika-Auswan<strong>de</strong>rer 29 .Branntwe<strong>in</strong>produktion <strong>und</strong> -han<strong>de</strong>l sche<strong>in</strong>en schließlich die Gr<strong>und</strong>lagen für e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igermaßenflorieren<strong>de</strong>s Unternehmen <strong>de</strong>r Familie Kann gewor<strong>de</strong>n zu se<strong>in</strong>. In <strong>de</strong>n 1850er Jahren betriebenKanns zwei Branntwe<strong>in</strong>brennereien <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar — heutige Hauptstraße 9 <strong>und</strong> <strong>de</strong>r spätere„Leibs Hof“. Gleichzeitig pflegten sie Geschäftskontakte bis <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Marburger Raum. 1856/57beschwerten sich gar die Branntwe<strong>in</strong>händler <strong>und</strong> -hersteller <strong>de</strong>s Marburger, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>sKirchha<strong>in</strong>er Raums beim Marburger Landrat, <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong> Adolf Kann aus Ma<strong>in</strong>zlar verkaufe nichtnur im Auftrage <strong>de</strong>s Fabrikanten Re<strong>in</strong>hard Hoos aus Marbach auf Provision, son<strong>de</strong>rn vertreibe eigeneWahre auf eigene Rechnung im Rahmen <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsgeschäfts se<strong>in</strong>es Vaters Isaak Kann. 30Löser Kann, wohl e<strong>in</strong> Bru<strong>de</strong>r Adolfs, bekam im Juni 1856 im Alter von 34 Jahren die Genehmigungzu „Han<strong>de</strong>lsgeschäften nach <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen B<strong>und</strong>es-Staaten“ erteilt. 31 Vermutlich war auchnoch e<strong>in</strong> Schwager, Löb Katz, an <strong>de</strong>m Unternehmen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hauptstraße (Nr. 9?) beteiligt, <strong>de</strong>r <strong>in</strong><strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts als Eigentümer e<strong>in</strong>es Vorgängergebäu<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s späteren„Rewe“-Geschäfts <strong>in</strong> <strong>de</strong>r heutigen Hauptstraße 20 nachgewiesen ist.29 StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 67130 StA MR, Best. 180 Landratsämter: Marburg 1821 – 1952, Abt. Q Ju<strong>de</strong>nsachen, Nr. 7831 Kopie <strong>de</strong>r Urk<strong>und</strong>e im Privatbesitz von Martha Kann <strong>in</strong> Tel-Aviv.31


7 Integration <strong>und</strong> Assimilation?Erst im Gefolge <strong>de</strong>r vollständigen rechtlichen Gleichstellung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n im Zusammenhang mit<strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>s Deutschen Reichs 1871 gelang es jüdischen Bürgern auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ländlichenRegionen <strong>de</strong>s Großherzogtums zunehmend gestaltend auf verschie<strong>de</strong>nen Ebenen <strong>de</strong>r Politik mitzuwirken.Indirekt begünstigte das ungleiche, steuerabhängige Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>ratswahlrecht <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>reaktiv Wahlberechtigte, die erfolgreich gewerblich tätig waren — dazu zählten auf <strong>de</strong>nDörfern oft gera<strong>de</strong> die jüdischen Händler <strong>und</strong> Gewerbetreiben<strong>de</strong>n.In Daubr<strong>in</strong>gen zählten beispielsweise Hirsch Löwenste<strong>in</strong> <strong>und</strong> se<strong>in</strong> 1845 geborener Sohn Isaak,<strong>de</strong>nen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n 1860er Jahren noch <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stieg als Ortsbürger schwer gemacht wur<strong>de</strong>, kaum zehnJahre später zu <strong>de</strong>m höchstbesteuerten Drittel <strong>de</strong>r Wählberechtigten. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st im Kreis wirtschaftlichbessergestellter Daubr<strong>in</strong>ger sche<strong>in</strong>en Vater <strong>und</strong> Sohn Löwenste<strong>in</strong> relative Anerkennunggef<strong>und</strong>en zu haben. Nache<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir bei<strong>de</strong> als Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Daubr<strong>in</strong>ger Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rats.Als Kuriosität <strong>de</strong>r Geschichte mag es ersche<strong>in</strong>en, daß „Isaak Löwenste<strong>in</strong> zu Daubr<strong>in</strong>gen“,wie <strong>de</strong>r Gießener Anzeiger schrieb, 1877 als unabhängiger Abgeordnetenkandidat auf <strong>de</strong>r Liste<strong>de</strong>s Wahlkreises Gießen zur Reichstagswahl am 10. Januar 1877 ersche<strong>in</strong>t. Immerh<strong>in</strong> erhielt erim Stimmbezirk Gießen (Stadt) III e<strong>in</strong>e Stimme [GA, Ausg. 12 (16. Jan. 1877)]. Auch wennim Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> Löwenste<strong>in</strong>s Ans<strong>in</strong>nen etwas Lächerliches haben mag, so wissen wir zum e<strong>in</strong>ennicht, was konkret an persönlicher Motivation h<strong>in</strong>ter dieser Kanditatur e<strong>in</strong>es Daubr<strong>in</strong>gers jüdischenGlaubens für <strong>de</strong>n Reichstag steckte. E<strong>in</strong>es wird dar<strong>in</strong> allerd<strong>in</strong>gs <strong>de</strong>utlich: <strong>de</strong>r Wille zurIntegration <strong>in</strong> das <strong>de</strong>utsche Geme<strong>in</strong>wesen, das die Ju<strong>de</strong>n so lange als Bürger zweiter Klasse behan<strong>de</strong>lthatte, das Bestreben, Politik im Deutschen Reich mitzugestalten, <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>de</strong>rVersuch e<strong>in</strong>es jüdischen Glaubensangehörigen, se<strong>in</strong>e Zugehörigkeit zum <strong>de</strong>utschen Kulturgefügeöffentlich auszuweisen.<strong>Die</strong> Löwenste<strong>in</strong>s erwiesen sich mit ihrem relativ großen Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Immobiliengeschäft <strong>in</strong>Daubr<strong>in</strong>gen tatsächlich als „Bahnbrecher e<strong>in</strong>er mo<strong>de</strong>rnen Wirtschaftsordnung“ <strong>und</strong> wahrsche<strong>in</strong>lichsowohl als Vorbild wie auch als Konkurrenz für die im Gefolge <strong>de</strong>r Industrialisierung dorterst langsam sprießen<strong>de</strong>n gewerblichen Unternehmungen [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 33][Richarz 1990a].Das nicht unbeträchtliche Han<strong>de</strong>lsvolumen wird durch die Tatsache, daß Hirsch Löwenste<strong>in</strong> zuBeg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r 1860er Jahre Besitzer <strong>de</strong>r verfallen<strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>nburger Güter <strong>de</strong>s Emil Ludwig Ferberaus Gießen war, sicher nur unzureichend ange<strong>de</strong>utet. 32Für solche Vertreter e<strong>in</strong>er bürgerlichen Schicht im Dorf mußte die Unterstützung entsprechen<strong>de</strong>rParteien, die auf politischer Ebene vaterländisch-nationale Ziele <strong>und</strong> im wirtschaftlichenBereich liberale I<strong>de</strong>en verfochten, fast verpflichtend se<strong>in</strong>. Es w<strong>und</strong>ert daher nicht, daß Isaak Löwenste<strong>in</strong>nach se<strong>in</strong>em „Flop“ von 1877 anläßlich <strong>de</strong>r nächsten Reichstagswahl vier Jahre späterse<strong>in</strong>e Unterschrift unter e<strong>in</strong>e Wählerliste <strong>de</strong>s freikonservativen Kandidaten Adalbert Freiherr vonNor<strong>de</strong>ck zu Rabenau setzte 33 , <strong>und</strong> gleichzeitig <strong>de</strong>r jüdische Kaufmann Isaak Kann aus Ma<strong>in</strong>zlar<strong>de</strong>n liberalen Kandidaten, Rechtsanwalt Gutfleisch aus Gießen, unterstützte. Während sich Lö-32 Löwenste<strong>in</strong> hatte Gr<strong>und</strong>stücke <strong>und</strong> Immobilien von Emil Ludwig Ferber zu Ba<strong>de</strong>nburg am 9. Dez. 1861 erworben<strong>und</strong> verkaufte sie am 28. Apr. 1864 an Jacob Duill weiter. (Gr<strong>und</strong>buch <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Wieseck III/2 StdtA GießenAW 16c2) [Knauss 1975c, S. 88]33 Rabenau kandidierte für die Freikonservative Reichspartei, für diese Zeit im Großherzogtum gewissermaßen dieVorläuferpartei <strong>de</strong>r ab 1884 kandidieren<strong>de</strong>n Nationalliberalen Partei.32


wenste<strong>in</strong> damit <strong>in</strong> bester Gesellschaft mit e<strong>in</strong>igen exponierten nichtjüdischen Ma<strong>in</strong>zlarern <strong>und</strong>Daubr<strong>in</strong>gern befand, fand sich Kann zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st im konservativ-bäuerlich geprägten Ma<strong>in</strong>zlar alsWirtschaftsliberaler politisch weitgehend isoliert.Ebenso wie die Politik hatte auch die noch jungen, meist national orientierten dörflichen Vere<strong>in</strong>slandschaft— vor allem die Gesangs- <strong>und</strong> Kriegervere<strong>in</strong>e — große Anziehungskraft für Ju<strong>de</strong>n,die ihre Zugehörigkeit zum <strong>de</strong>utschen Kulturgefüge beweisen wollten. Nicht selten gestaltetenortsansässige Ju<strong>de</strong>n die Entwicklung <strong>de</strong>s Vere<strong>in</strong>swesens vor <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg wesentlichmit: Adolf Kann zählte bereits 1875 zu <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Ma<strong>in</strong>zlarer Gesangvere<strong>in</strong>s „Germania“,Zadok Kann war e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er „Präsi<strong>de</strong>nten“ [Gesangvere<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar, S. ..].33


Abbildung 14: <strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n Z. Kann aus Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> M. Hammerschlag aus Treis unterstützen<strong>de</strong>n Wahlvorschlag <strong>de</strong>r Vere<strong>in</strong>igten Liberalen Partei zur Reichstagswahl 1881 im1. Hess. Wahlkreis (Gießener Anzeiger 246 v. 22. Oktober 1881) [S. n.i.O.]34


Abbildung 15: Der Daubr<strong>in</strong>ger Ju<strong>de</strong> <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rat Isaak Löwenste<strong>in</strong> unterstützt <strong>de</strong>n Wahlaufruffür <strong>de</strong>n nationalkonservativen Reichstagswahlkandidaten (Gießener Anzeiger247 v. 23. Oktober 1881) [S. n.i.O.]35


8 Politischer Antisemitismus[S. 250] Über Jahrh<strong>und</strong>erte h<strong>in</strong>weg waren Ju<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r Opfer von Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong>Verfolgung gewesen. Ihre nicht nur durch die Religion son<strong>de</strong>rn u.a. auch durch die ausgrenzen<strong>de</strong>Politik <strong>de</strong>r Territorialherren verursachte Son<strong>de</strong>rstellung auf allen Fel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s öffentlichen Lebenshatte die jüdische M<strong>in</strong><strong>de</strong>rheit zum Ziel <strong>de</strong>r Anfe<strong>in</strong>dung ihrer nichtjüdischen Umgebung gemacht.Trotz <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n rechtlichen <strong>und</strong> politischen Gleichstellung im 19. Jahrh<strong>und</strong>erthielten sich gera<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>r ländlichen Bevölkerung vielfach auch alltägliche Distanz <strong>und</strong> Ausgrenzung,die nicht nur aus <strong>de</strong>m Unverständnis gegenüber kulturellen Eigenarten <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums,son<strong>de</strong>rn vor allem aus <strong>de</strong>r geschil<strong>de</strong>rten spezifischen wirtschaftlichen Verflechtung jüdischen <strong>und</strong>nichtjüdisch-bäuerlichen Überlebens resultierten.Unangenehme Früchte erwuchsen aus diesem Verhältnis gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahrh<strong>und</strong>erts, alserneut e<strong>in</strong>e Krise über die Landwirtschaft im Kaiserreich here<strong>in</strong>brach <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> unserer Regionmit ihrer Vielzahl an Mittel- <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>bauern äußerst gravierend nie<strong>de</strong>rschlug. Man suchte —wie so oft — nach Sün<strong>de</strong>nböcken. Gera<strong>de</strong> die ländliche Bevölkerung <strong>de</strong>r Lumdatalgeme<strong>in</strong><strong>de</strong>ntraten hier beson<strong>de</strong>rs hervor:Es war ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>sehen <strong>in</strong> die eigentlichen Ursachen <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Not: veraltete Anbaumetho<strong>de</strong>n,zersplitterte kle<strong>in</strong>e Anbauflächen, Unfähigkeit zu genossenschaftlicher Organisation<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Konkurrenzdruck auf <strong>de</strong>m Weltmarkt. Parteien entstan<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nhaß, nunmehrpseudowissenschaftlich <strong>de</strong>n „Antisemitismus“ zum Programm erhoben <strong>und</strong> vor allem im oberhessischenRaum überwältigen<strong>de</strong> Wahlergebnisse verzeichnen konnten. An <strong>de</strong>r Spitze dieser Bewegungstand zunächst <strong>de</strong>r Marburger „Volksliedforscher“ Otto Böckel.E<strong>in</strong>e Hochburg <strong>de</strong>s politischen Antisemitismus im nördlichen Kreis Gießen war Allendorf,doch auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n fand er schnell Zuspruch unter <strong>de</strong>r bäuerlichen Bevölkerung.Wie Perlen entlang e<strong>in</strong>er Schnur, so reihten sich die antisemitisch geprägten Dorfschaftenentlang <strong>de</strong>r Lumda: Lollar, Staufenberg, Ma<strong>in</strong>zlar — m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens <strong>in</strong> Treis sche<strong>in</strong>t essogar e<strong>in</strong>en antisemitischen Ortsvere<strong>in</strong> gegeben zu haben 34 —, Allendorf, Londorf ... 35 Nochdie Nationalsozialisten Gießen zitierten mit Stolz das antisemitische Selbstlob <strong>de</strong>r 1880er Jahre:„Soweit die Lumda spr<strong>in</strong>gt, ist alles Böckel.“[Schmahl 1933a, zit. S. 62] In Ma<strong>in</strong>zlar erlangtendie Antisemiten <strong>in</strong> Reichstagswahlen bis zum Ersten Weltkrieg Dreiviertel <strong>de</strong>r abgegebenenStimmen.Noch heute er<strong>in</strong>nern sich ältere Bürger aus Ma<strong>in</strong>zlar, daß sie als K<strong>in</strong><strong>de</strong>r kurz vor <strong>und</strong> nach<strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg ohne zu wissen was sie taten — die Ju<strong>de</strong>n im Ort mit antisemitischen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rreimenneckten. Das „Beckelches“, e<strong>in</strong> antisemitisches K<strong>in</strong><strong>de</strong>rspiel, wur<strong>de</strong> noch während <strong>de</strong>rWeimarer Republik gerne durch die Gassen <strong>de</strong>r Dörfer <strong>de</strong>s Lumdatals getragen. 36 Der Name <strong>de</strong>sselbsternannten oberhessischen „Bauernkönigs“ <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>nfe<strong>in</strong>ds prangte auf Zigarettenpackungen,Böckelpfeifen <strong>und</strong> Böckelna<strong>de</strong>ln[Schmahl 1933a, S. 23, 49].Aktivitäten wie die <strong>de</strong>s „Vere<strong>in</strong>s zur Abwehr <strong>de</strong>s Antisemitismus“, <strong>de</strong>r im Mai 1892 bei-34 StdtA Stfbg., Best. Treis, A 122135 Nach Schmahl [Schmahl 1933a, S. 83] betonte sogar das Gießener Kreisamt das beson<strong>de</strong>re Schwergewicht <strong>de</strong>spolitischen Antisemitismus im nördlichen Kreis Gießen, d.h. im Lumdatal. Hervorgehoben wer<strong>de</strong>n vor allemdie Orte Treis <strong>und</strong> Allendorf/Lda..36 „Selbst K<strong>in</strong><strong>de</strong>rspiele erzeugte die Bewegung, die ’Böckelches’ genannt wur<strong>de</strong>n.“ [Schmahl 1933a, zit. S. 62]36


spielsweise <strong>in</strong> Lollar e<strong>in</strong>e öffentliche Versammlung abhielt, sche<strong>in</strong>en kaum <strong>in</strong> <strong>de</strong>n bäuerlichenErfahrungshorizont vorgedrungen zu se<strong>in</strong>. 37Welche Ausmaße <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nhaß im Gefolge <strong>de</strong>s politischen Antisemitismus bereits vor <strong>de</strong>mErsten Weltkrieg annehmen konnte, offenbart e<strong>in</strong> Zitat aus <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen Wochenzeitung„Oberhessische Volkszeitung“, das uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Abschrift <strong>de</strong>s Dekans Gußmann <strong>in</strong> <strong>de</strong>rPfarrchronik <strong>de</strong>s Jahres 1912 überliefert ist:„Aus Staufenberg wird uns geschrieben: Als am Montag Abend das Stichwahlresultatmit <strong>de</strong>m Siege Werners bekannt wur<strong>de</strong>, zogen die Antisemiten von Ma<strong>in</strong>zlaraus, um diesen Sieg ,gebührend´ zu feiern. Auf e<strong>in</strong>er Anhöhe an <strong>de</strong>r Straße Ma<strong>in</strong>zlar– Staufenberg – Lollar wur<strong>de</strong> Halt gemacht <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Freu<strong>de</strong>n- <strong>und</strong> Siegesfeuer angezün<strong>de</strong>t.Man hatte die Stelle gewählt, weil man die Nachbardörfer Daubr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong>Staufenberg ärgern wollte (ersteres ist zum größten Teil freis<strong>in</strong>nig, letzteres social<strong>de</strong>mokratisch).Um das Feuer begann e<strong>in</strong> Treiben, ähnlich wie <strong>in</strong> Afrika, wenn dieSchwarzen unter Geheul e<strong>in</strong>en Feuertanz aufführen. Hätte man vielleicht e<strong>in</strong>en Social<strong>de</strong>mokrateno<strong>de</strong>r Fortschrittlichen erwischt, dann hätte sich am En<strong>de</strong> die Sache zue<strong>in</strong>em Kannibalenfressen mit geröstetem Menschenfleisch entwickeln können. <strong>Die</strong>Veranstalter, ,junge <strong>und</strong> alte politische K<strong>in</strong><strong>de</strong>r´, stimmten dann das von <strong>de</strong>n Antisemiten<strong>in</strong> Mißkredit gebrachte schöne Lied ,Deutschland, Deutschland über alles´ an.Und aus echten <strong>de</strong>utschen Kehlen wur<strong>de</strong> das Lied <strong>in</strong> die Nacht h<strong>in</strong>ausgebrüllt. Esfolgte ,Heil dir im Siegerkranz´, dann ließ man Werner hoch leben <strong>und</strong> schließlich,sangen´ bezechte <strong>und</strong> unbezechte Kehlen das ,Gotteslied´ ,Nun danket alle Gott´!“ 38Mancher Antisemit gab sich mit se<strong>in</strong>er Stimmabgabe nicht zufrie<strong>de</strong>n. In Staufenberg war e<strong>in</strong> Zielgewalttätiger Unvernunft <strong>de</strong>r alte Friedhof <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>r Burg. Das Denkmal, das dort e<strong>in</strong>amerikanischer Nachfahre <strong>de</strong>r letzten Staufenberger Ju<strong>de</strong>nfamilie Löwenste<strong>in</strong> zum Ge<strong>de</strong>nken anse<strong>in</strong>e Ahnen hatte errichten lassen, verschwand "über Nacht" im Zuge lokaler antisemitischer37 „Aus Oberhessen, 27. April. In Kle<strong>in</strong>l<strong>in</strong><strong>de</strong>n bei Gießen fand am Samstag, <strong>in</strong> Lollar am Sonntag Nachmittage jee<strong>in</strong>e Versammlung <strong>de</strong>s Vere<strong>in</strong>s zur Abwehr <strong>de</strong>s Antisemitismus statt. <strong>Die</strong> sachgemäßen Ausführungen <strong>de</strong>s HerrnF<strong>in</strong>k<strong>de</strong><strong>in</strong>er=Frankfurt fan<strong>de</strong>n Seitens <strong>de</strong>s Geschäftsführers <strong>de</strong>r Böckel’schen Druckerei, Herrn Werner=Marburg,e<strong>in</strong>e Erwi<strong>de</strong>rung, welche außer <strong>de</strong>n, <strong>in</strong> ihrer Art bekannten Phrasen wie: >Lollar ist <strong>und</strong> bleibt unser <strong>und</strong> dgl.Hoch< auf die antisemitische Volkspartei fand natürlich nur Anklang bei <strong>de</strong>nen — sage <strong>und</strong> schreibe 10 — mitMühe zusammengetrommelten Antisemiten.“ [Mitteilungen, 8. Mai 1892, S. 172]38 — bibliogr. Angabe suchen —zit. nach e<strong>in</strong>er Abschrift <strong>de</strong>s Dekans Gußmann aus <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen WochenzeitungOberhessische Volkszeitung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Pfarrchronik <strong>de</strong>s Jahres 1912, Pfarrarchiv Kirchberg I ..., Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>brief..; Bei Werner han<strong>de</strong>lt es sich um ... Der angesprochene Hügel an <strong>de</strong>r Straße trägt heute noch imVolksm<strong>und</strong> <strong>de</strong>n Namen Sedansköppel. <strong>Die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an <strong>de</strong>n Sieg <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Schlacht von Sedan (187.) war e<strong>in</strong>zentrales Symbol <strong>de</strong>s übersteigerten <strong>de</strong>utschen Nationalismus bis weit <strong>in</strong> unser Jahrh<strong>und</strong>ert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. AusgiebigeFeierlichkeiten, veranstaltet von vaterländischen Verbän<strong>de</strong>n, Kriegervere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Parteien, er<strong>in</strong>nerten vor <strong>de</strong>mErsten Weltkrieg je<strong>de</strong>s Jahr an <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Sieg über <strong>de</strong>n sogn. Erbfe<strong>in</strong>d Frankreich. Der Sedansköppelwar e<strong>in</strong> lokales Zentrum solcher Veranstaltungen <strong>und</strong> wur<strong>de</strong> wohl auch <strong>de</strong>shalb von <strong>de</strong>n Antisemiten mitVorliebe aufgesucht.37


Ausschreitungen kurz vor <strong>de</strong>r Jahrh<strong>und</strong>ertwen<strong>de</strong>[Hatfield 1903a, S. ..]. Vollen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> die Entweihung<strong>de</strong>r Begräbnisstätte durch <strong>de</strong>n nationalsozialistischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rat Staufenbergs. Ereignete sich 1940 <strong>de</strong>n Friedhof wi<strong>de</strong>rrechtlich an, ließ die letzten Grabste<strong>in</strong>e entfernen <strong>und</strong> beseitigtedamit gleichzeitig restlos alle materiellen Spuren <strong>de</strong>r ehemaligen jüdischen Bürger ausStaufenberg. 39Ob antisemitische Strömungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit bäuerlichen Wirtschafts<strong>in</strong>teressen unter <strong>de</strong>rMitgliedschaft 1893 auch zu <strong>de</strong>r Spaltung <strong>de</strong>s Gesangsvere<strong>in</strong>s „Germania“ <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar beigetragenhaben, kann nur vermutet wer<strong>de</strong>n.Abbildung 16: Anteil <strong>de</strong>r Antisemiten an <strong>de</strong>r Reichstagswahlergebnissen [S. n.i.O.][S. 251] Mit <strong>de</strong>r Propaganda <strong>de</strong>r politischen Antisemiten gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>ertsdrang erstmals rassistisches Gedankengut, das auch die Gewalt gegen Ju<strong>de</strong>n nicht ausschloß,<strong>in</strong> das Bewußtse<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Bewohner unserer Dörfer. So be<strong>de</strong>utet „Antisemitismus“ nach Böckeldie „Wie<strong>de</strong>rgeburt <strong>de</strong>s re<strong>in</strong>en, unverfälschten <strong>de</strong>utschen Gedankens. Das <strong>de</strong>utsche Volk soll sichdurch Antisemitismus wie<strong>de</strong>r als germanische Rasse im Gegensatz zur jüdischen Rasse fühlenlernen.“ 40 Sicher kamen Wucherpraktiken bei jüdischen Händlern vor, zumal e<strong>in</strong>e Konkurrenzkaum zu fürchten war. <strong>Die</strong>ses Geschäftsgebaren jedoch sogleich mit <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n als verme<strong>in</strong>tlich39 StdtA Stfbg., Best. Staufenberg, A 063940 StA MR „Reichsherold“ v. 04.10.1887 [Mack 1983a, S. 388f]38


eson<strong>de</strong>rem Menschenschlag — als Rasse — zu verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n, wie es nunmehr die Antisemiten <strong>und</strong>ihre Anhänger taten, übersah die eigentliche wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale Realität im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.In diesem Zusammenhang wirkten vor allem uraltes christliches Mißtrauen <strong>und</strong> Vore<strong>in</strong>genommenheit<strong>de</strong>r ländlichen Geme<strong>in</strong>schaft gegen die noch immer fremdartige jüdische Kultur <strong>und</strong>Religion. <strong>Die</strong>s zusammen mit <strong>de</strong>r politischen Propaganda <strong>de</strong>r Antisemiten prägte e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong>,das gera<strong>de</strong> Landwirtschaftsverbän<strong>de</strong> <strong>und</strong> nationalkonservative Parteien <strong>in</strong> die WeimarerRepublik übertrugen <strong>und</strong> auf das später die Nationalsozialisten zurückgreifen konnten.39


9 Ab- <strong>und</strong> Auswan<strong>de</strong>rungUm die Jahrh<strong>und</strong>ertwen<strong>de</strong> lebten <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar nur noch die Familien <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n Nathan Nathan<strong>und</strong> Joseph Simon.Nathan, e<strong>in</strong> Han<strong>de</strong>lsmann aus Roth im Kreis Marburg, hatte L<strong>in</strong>a Mormelste<strong>in</strong> aus Daubr<strong>in</strong>gengeheiratet <strong>und</strong> zunächst auch längere Zeit mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>und</strong> <strong>de</strong>m 1885 geborenen Sohn Jakobdie alte Mormelste<strong>in</strong>sche Hofreite bewohnt. Nach<strong>de</strong>m im August 1882 Isaak Löwenste<strong>in</strong> mitEhefrau Rachel, <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn Rosalie <strong>und</strong> Hermann sowie Isaaks Vater, Hirsch Löwenste<strong>in</strong> <strong>in</strong>die USA ausgewan<strong>de</strong>rt waren, fan<strong>de</strong>n sich die Nathans als Ju<strong>de</strong>n alle<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen. 1892entschloß sich schließlich auch Nathan Nathan, <strong>de</strong>n Weg <strong>in</strong>s gelobte Land Amerika mit se<strong>in</strong>erFamilie e<strong>in</strong>zuschlagen — doch bereits 1894 kehrten alle drei zurück, um sich bald darauf <strong>in</strong> <strong>de</strong>rMa<strong>in</strong>zlar Hauptstraße <strong>in</strong> ehemals Kann’schem Besitz nie<strong>de</strong>rzulassen.Ähnlich wie <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen war es auch <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar e<strong>in</strong>ige Jahre später — gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s19. Jahrh<strong>und</strong>erts — die Nachfolgegeneration <strong>de</strong>r jüdischen Händler <strong>und</strong> ersten „dörflichen Unternehmer“,die nun ihren Geburtsort verließen.So zog Löser Kann e<strong>in</strong>ige Zeit nach <strong>de</strong>m Tod se<strong>in</strong>er Frau Gie<strong>de</strong>l, e<strong>in</strong>er Nachkomme <strong>de</strong>r Ma<strong>in</strong>zlarerSterns, zwischen 1890 <strong>und</strong> 1893 mit se<strong>in</strong>em Sohn Isaak (<strong>de</strong>m Jüngeren), <strong>de</strong>ssen Frau L<strong>in</strong>a<strong>und</strong> <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Söhnen Siegfried <strong>und</strong> Ludwig nach Gießen. Siegfried, se<strong>in</strong>e Frau Ellen <strong>und</strong> dieMutter L<strong>in</strong>a sollten <strong>in</strong> <strong>de</strong>utschen Konzentrationslagern <strong>in</strong> Polen ermor<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, während LudwigsFamilie noch im Mai 1939 die Auswan<strong>de</strong>rung von Gießen nach Paläst<strong>in</strong>a gelang.Isaak Kann (d.J.) führte wahrsche<strong>in</strong>lich bis zu se<strong>in</strong>em Tod 1923 geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>en Brü<strong>de</strong>rnBerthold <strong>und</strong> Hermann, die ebenfalls nach Gießen gezogen waren, die Branntwe<strong>in</strong>- <strong>und</strong>Likörfabrikation ihres Vaters <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gießener Liebigstraße weiter. Hermann starb 1927 <strong>in</strong> Gießen,Berthold Kann wur<strong>de</strong> mit se<strong>in</strong>er Frau Mathil<strong>de</strong> <strong>in</strong> Theresienstadt umgebracht.Wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong> Nachfahre Seligmann Kanns <strong>und</strong> Vetter Isaak Kanns (d.J.), Zadok Kann,starb 1939 <strong>in</strong> Gießen im Haus se<strong>in</strong>es Sohnes Dr. Siegfried Kann I. <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Landgrafenstraße. InTheresienstadt ermor<strong>de</strong>ten NS-Schergen Siegfried Kann I., se<strong>in</strong>e Frau Martha <strong>und</strong> die bei<strong>de</strong>nTöchter Hil<strong>de</strong> <strong>und</strong> Else.E<strong>in</strong> weiterer Vetter Isaaks, Moritz Kann, starb bereits 1912 <strong>in</strong> Gießen, <strong>und</strong> fand auf <strong>de</strong>m Lollarerjüdischen Friedhof se<strong>in</strong>e letzte Ruhestätte.Julius, e<strong>in</strong> Sohn Adolf Kanns <strong>und</strong> Enkel Isaak Kanns (d.Ä.), zog von Ma<strong>in</strong>zlar nach Friedberg<strong>und</strong> trat <strong>in</strong> die Firma <strong>de</strong>r Familie se<strong>in</strong>er Mutter Reis e<strong>in</strong> (Abb. X). Se<strong>in</strong>e Schwester Elisabeth(Betty) heiratete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Familie Leopold nach Frankfurt.<strong>Die</strong> antisemitische Bewegung <strong>und</strong> damit zusammenhängen<strong>de</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierungen <strong>und</strong> Ausschreitungenwaren sicher mit dafür verantwortlich, daß diese ehemaligen [S. 252] Ma<strong>in</strong>zlarerjüdischen Glaubens am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts das Dorf verließen, um sich vor allem <strong>in</strong> Gießenneu zu etablieren.Als m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens genauso be<strong>de</strong>utsam müssen allerd<strong>in</strong>gs die verän<strong>de</strong>rten wirtschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<strong>in</strong> ländlichen Regionen Oberhessens zu dieser Zeit angesehen wer<strong>de</strong>n. Industrialisierung,Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>r Landwirtschaft <strong>und</strong> Verbesserung <strong>de</strong>r verkehrlichen Infrastrukturbrachten Entwicklung <strong>in</strong> das bäuerliche <strong>und</strong> gewerbliche Leben. Den landwirtschaftlichenZwischenhan<strong>de</strong>l organisierten um die Jahrh<strong>und</strong>ertwen<strong>de</strong> <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Daubr<strong>in</strong>genBezugs- <strong>und</strong> Absatzgenossenschaften o<strong>de</strong>r vergleichbare Vere<strong>in</strong>igungen. Geld- <strong>und</strong> Kreditge-40


Abbildung 17: Grab Nathan Nathans aus Daubr<strong>in</strong>gen/Ma<strong>in</strong>zlar [S. 251]41


Abbildung 18: Schreiben Julius Kanns aus Friedberg vom 30. April 1914 an die BürgermeistereiMa<strong>in</strong>zlar (Stadtarchiv Staufenberg) [S. 252]schäft übernahmen Spar- <strong>und</strong> Vorschußvere<strong>in</strong>e. Verän<strong>de</strong>rungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Erwerbsstruktur <strong>de</strong>r Bevölkerungzogen vielfältige Wandlungen im gewerblichen Bereich nach sich. Daubr<strong>in</strong>ger Industrie<strong>und</strong>Bahnarbeiter sicherten ihre Gr<strong>und</strong>versorgung durch die Gründung e<strong>in</strong>es Konsumvere<strong>in</strong>s.Der Rückgang bäuerlicher Selbstversorgung <strong>und</strong> Wandlungen im dörflichen Statussystem machten<strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l mit Manufaktur-, Kolonial-, Spezerei-, Kohlen-, Eisenwaren <strong>und</strong> vielem an<strong>de</strong>renauch für nichtjüdische Gewerbetreiben<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n Dörfern <strong>in</strong>teressant. <strong>Die</strong> früheren E<strong>in</strong>zelhan<strong>de</strong>lsgeschäfteSchlapp <strong>und</strong> Roth <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar bzw. Daubr<strong>in</strong>gen hatten hier ihre Ursprünge.<strong>Die</strong> traditionellen gewerblichen Nischen für jüdische Haushalte <strong>in</strong> <strong>de</strong>n oberhessischen Dörfern— Vieh-, Trö<strong>de</strong>l- <strong>und</strong> Manufakturwarenhan<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r Kredit- <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enes Immobiliengeschäft- verloren also an Be<strong>de</strong>utung o<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n zunehmend durch Nichtju<strong>de</strong>n besetzt.An<strong>de</strong>rerseits waren Dörfer wie Ma<strong>in</strong>zlar für mo<strong>de</strong>rne aufstreben<strong>de</strong> Unternehmungen, wie dieKannsche Branntwe<strong>in</strong>produktion nicht <strong>de</strong>r richtige Standort. Den Fortbestand <strong>und</strong> Weiterentwicklungdieser <strong>in</strong>dustriellen <strong>und</strong> gewerblichen Aktivitäten konnten Kanns nur durch Umsiedlungnach <strong>de</strong>m damaligen Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrsknoten Gießen garantieren. Sie setzten damitzum e<strong>in</strong>en die berufliche Tradition <strong>in</strong>nerhalb ihrer Familie fort <strong>und</strong> ver zum an<strong>de</strong>ren nach ihrerrechtlich-politischen Gleichstellung als Ju<strong>de</strong>n im Deutschen Reich auch Anerkennung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>embürgerlich geprägten Umfeld zu err<strong>in</strong>gen. Daß dies auf <strong>de</strong>m Dorf zu dieser Zeit mit Problemenverb<strong>und</strong>en war, hatte die antisemitische Bewegung sehr <strong>de</strong>utlich gezeigt.Der Drang zur gesellschaftlichen E<strong>in</strong>glie<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> Err<strong>in</strong>gung öffentlicher Anerkennung zeigtesich schließlich vor allem bei <strong>de</strong>n Nachkommen <strong>de</strong>r aus Ma<strong>in</strong>zlar abgewan<strong>de</strong>rten jüdischenFamilien. Sie konnten zu Beg<strong>in</strong>n unseres Jahrh<strong>und</strong>erts auf <strong>de</strong>r von ihren Eltern geschaffenenmateriellen Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>n Weg <strong>in</strong> nicht nur wirtschaftlich son<strong>de</strong>rn auch gesellschaftlich mit beson<strong>de</strong>remPrestige ausgestattete Berufszweige e<strong>in</strong>schlagen, was nur e<strong>in</strong>ige Beispiele illustrieren:Doktor Siegfried Kann I., 1886 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar geboren, studierte <strong>und</strong> promovierte vor <strong>de</strong>m ErstenWeltkrieg <strong>in</strong> Gießen, um schließlich bis zu se<strong>in</strong>er <strong>Die</strong>nstentlassung durch die Nationalsozialisten42


1933 am traditionsreichen Landgraf-Ludwig-Gymnasium <strong>in</strong> Gießen zu unterrichten. 41Während Ludwig Kann als Sohn Isaak Kanns als Kaufmann im familiären Unternehmen <strong>in</strong>Gießen blieb, studierte se<strong>in</strong> älterer Bru<strong>de</strong>r Siegfried Kann II. Mediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> ließ sich 1912 alsZahnarzt <strong>in</strong> Wiesba<strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>r.Doktor Steffen Kann, e<strong>in</strong> Sohn Moritz Kanns aus Ma<strong>in</strong>zlar, studierte <strong>und</strong> promovierte <strong>in</strong>Rechtswissenschaften, wur<strong>de</strong> Rechtsanwalt <strong>und</strong> war als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st1932/33 Mitglied <strong>de</strong>s [S. 253] Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>sverbands Südwest<strong>de</strong>utschland als auch<strong>de</strong>r Ortsgruppe Frankfurt/Ma<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Reichsb<strong>und</strong>es jüdischer Frontsoldaten e.V. [Arnsberg 1983a,S. 54] [Arnsberg 1973a]. <strong>Die</strong> Verb<strong>und</strong>enheit se<strong>in</strong>er Familie mit <strong>de</strong>r ehemaligen Heimat wird dar<strong>in</strong><strong>de</strong>utlich, daß Vater Moritz, <strong>de</strong>r 1912 <strong>in</strong> Gießen gestorben war, <strong>und</strong> Mutter Sophie auf <strong>de</strong>mLollarer jüdischen Friedhof beerdigt s<strong>in</strong>d. Auf bei<strong>de</strong>r Grab ließ sich 1947 auch Dr. Steffen Kannbeisetzen.Ganz im Gegensatz zu aus- o<strong>de</strong>r abgewan<strong>de</strong>rten Glaubensgenossen betrieb Jakob Nathan nochnach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hauptsache das traditionelle, von se<strong>in</strong>em VaterNathan Nathan übernommene Viehhan<strong>de</strong>lsgewerbe. Dagegen ernährte <strong>de</strong>r Schwiegersohn <strong>de</strong>sverstorbenen Han<strong>de</strong>lsmanns Joseph Simon aus <strong>de</strong>r Bahnhofstraße 13, Isidor Rosenthal, sich <strong>und</strong>se<strong>in</strong>e Familie als angestellter Buchb<strong>in</strong><strong>de</strong>r — sie lebten <strong>in</strong> eher beschei<strong>de</strong>nen Verhältnissen.Für diese bei<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar verbliebenen jüdischen Familien schien nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkriegdas Zusammenleben mit <strong>de</strong>n Nichtju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Dorfes von e<strong>in</strong>er weitgehen<strong>de</strong>n Normalitätgekennzeichnet. Manfred, e<strong>in</strong> Sohn Jakob Nathans <strong>und</strong> nach Er<strong>in</strong>nerungen von Zeitgenossen„e<strong>in</strong> guter Sportler“, war beispielsweise aktives Mitglied im Ma<strong>in</strong>zlarer Turnvere<strong>in</strong>.1905 1908 1913 1927 1933 1939Bahnhofstraße13 Simon, Joseph (Vh) (Vh)13 Rosenthal, Isidor (Bb) (Bb) (Bb) (Arb)Hauptstraße8/10 Nathan, Nathan (Vh) (Vh) (Vh)8/10 Nathan, Jakob (Vh) (Vh) (Vh)8 Nathan, Selma (Jakobs Witwe) (oU)Erl.: (Vh) Viehhändler, (Bb) Buchb<strong>in</strong><strong>de</strong>r, (oU) ohne Unterhalt, (Arb) ZwangsarbeiterTabelle 2: Jüdische Familien, Wohnhäuser <strong>und</strong> Gewerbe <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar 1905 – 1939 [S. 253]Doch nach <strong>de</strong>n politischen Mißerfolgen <strong>de</strong>r Antisemitenpartei, <strong>de</strong>r Selbstzerfleischung ihrerverschie<strong>de</strong>nen Flügel <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Übernahme nationalchauv<strong>in</strong>istischer Agitation durch an<strong>de</strong>re gesellschaftspolitischeGruppierungen vor <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg gährten antijüdische Vorurteile<strong>und</strong> Antipathien im Verborgenen weiter.Ansatzpunkte für Diskrim<strong>in</strong>ierung bot beson<strong>de</strong>rs die beruflich Situation <strong>de</strong>r Familie Nathan,die trotz genossenschaftlicher Kredit- <strong>und</strong> Absatzorganisation für so manchen Ma<strong>in</strong>zlarer <strong>und</strong>Staufenberger Kle<strong>in</strong>bauern noch während <strong>de</strong>r Weimarer Republik e<strong>in</strong>e ähnliche Rolle spielten,41 Siegfried Kann, Studienrat LLG, dienstentlassen 1933 (Hess. Reg.blatt 1933, Nr. 18); [Knauss 1987b, S. .]43


Abbildung 19: Grab Steffen Kanns <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Eltern aus Ma<strong>in</strong>zlar [S. 252]44


Abbildung 20: Ma<strong>in</strong>zlarer K<strong>in</strong><strong>de</strong>r um 1920, darunter Gerdi (3.v.l.) <strong>und</strong> Manfred Nathan (aufKorb sitzend) [S. 253]45


wie ihre Vorfahren Mitte <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Wichtig ist hierbei, daß das landwirtschaftlichenGenossenschaftswesen unter großbäuerlicher Leitung <strong>und</strong> <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>fluß <strong>de</strong>r hessischen Bauernparteistand.Nur e<strong>in</strong> Ereignis aus <strong>de</strong>r Er<strong>in</strong>nerung e<strong>in</strong>es Staufenberger Zeitgenossen mag dies veranschaulichen.Es han<strong>de</strong>lte sich wahrsche<strong>in</strong>lich um die Beerdigung Nathan Nathans <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Hälfte<strong>de</strong>r 1920er Jahre (vgl. Abb.):„Von Ma<strong>in</strong>zlar her kommend kam damals e<strong>in</strong> Leichenzug <strong>und</strong> zog über Staufenbergnach <strong>de</strong>m jüdischen Friedhof unterhalb <strong>de</strong>r Lollarer Straße. [...] In <strong>de</strong>r Ma<strong>in</strong>zlarer<strong>und</strong> Lollarer Straße stan<strong>de</strong>n wir Schulk<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>und</strong> auch viele Erwachsene <strong>und</strong>sahen die Trauern<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Sarg vorüberziehen. Jüdische Beerdigungen warene<strong>in</strong>e Sensation; bei <strong>de</strong>n wenigen Ju<strong>de</strong>n gab es ja nur alle fünf bis zehn Jahre Beerdigungen.Ich habe als K<strong>in</strong>d die ersten Ausdrücke gegen Ju<strong>de</strong>n von alten Leutengehört. Es waren ke<strong>in</strong>e guten dabei. Das waren Leute so über die 50, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>reLandwirte. Da fielen Ausdrücke wie ’St<strong>in</strong>kböcke’, ’Gauner’ usw. <strong>Die</strong> Mutter verbotmir, h<strong>in</strong>terherzulaufen. Sie sagte: ’Das tut man nicht, aus e<strong>in</strong>er Beerdigung e<strong>in</strong>eGaudi zu machen.’ Aber e<strong>in</strong>ige haben es getan!“[S. 255] Von e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlichen Ausgrenzung <strong>de</strong>r Familien Nathan <strong>und</strong> Rosenthal aus <strong>de</strong>mdörflichen Alltag kann allerd<strong>in</strong>gs nicht die Re<strong>de</strong> se<strong>in</strong>. Um so überraschen<strong>de</strong>r kam auch für sie<strong>de</strong>r Schock <strong>de</strong>s Nationalsozialismus. E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für die viel zu späten Versuche, sich vor <strong>de</strong>mTerror zu retten, war sicher auch, daß man sich die folgen<strong>de</strong>n Grausamkeiten im heimatlichenLebenszusammenhang nicht vorzustellen vermochte.46


10 Stationen <strong>de</strong>r Verfolgung <strong>und</strong> VernichtungDoch schon bald nach <strong>de</strong>r Machtübertragung an die Nationalsozialisten mußten sie die gräßlicheRealität erkennen, wie sie sich auch vor Ort entfaltete. Schrittweise wur<strong>de</strong>n die E<strong>in</strong>wohnerjüdischen Glaubens von <strong>de</strong>r Teilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen. Der nationalsozialistischePropaganda- <strong>und</strong> Machtapparat zeigte im Dorf se<strong>in</strong>e Wirkungen. Bereits sehr schnellwur<strong>de</strong>n über die Parteischiene Anträge gegen Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>vorstän<strong>de</strong> getragen. Gänzlichunwichtig war die Tatsache, ob Ju<strong>de</strong>n vor Ort lebten o<strong>de</strong>r nicht. <strong>Die</strong> Umsetzung entsprechen<strong>de</strong>rgesetzlicher Maßnahmen zur Verdrängung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n aus öffentlichen Ämtern bzw. <strong>de</strong>mkulturellen wirtschaftlichen Leben wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n gleichgeschalteten Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>räten o<strong>de</strong>r auchVere<strong>in</strong>svorstän<strong>de</strong>n vollzogen.Abbildung 21: Wahlergebnisse <strong>de</strong>r NSDAP <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Reichs- <strong>und</strong> Landtagswahlen zwischen 1919<strong>und</strong> 1933 [S. n.i.O.]<strong>Die</strong> Ausgrenzung <strong>und</strong> Verfolgung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>n heutigen Ortsteilen Staufenbergs spiegelnsich nur unzureichend <strong>in</strong> <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Regionalpresse: Mit <strong>de</strong>m Propanda<strong>in</strong>strumentSprache ver örtliche NSDAP-Funktionäre die dörfliche Gesellschaft auf die nationalsozialistische„Volksgeme<strong>in</strong>schaft“ e<strong>in</strong>zuschwören. <strong>Die</strong> Sprache wur<strong>de</strong> mißbraucht, um die Ju<strong>de</strong>nöffentlich als verme<strong>in</strong>tlich verachtungswürdigen Menschenschlag anzuprangern <strong>und</strong> das Fe<strong>in</strong>dbild<strong>und</strong> <strong>de</strong>n Haß gegen Mitmenschen zu schüren. Mit Hilfe von billigen Klischeebil<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong>nnormale Alltagssituationen zu Schreckbil<strong>de</strong>rn verzeichnet.Wer <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Zeit <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar noch private o<strong>de</strong>r geschäftliche Kontakte mit Rosenthals47


o<strong>de</strong>r Nathans pflegte, wur<strong>de</strong> zunehmend e<strong>in</strong>geschüchtert <strong>und</strong> zog sich meist von se<strong>in</strong>en jüdischenBekannten o<strong>de</strong>r Geschäftspartnern zurück. Öffentliche Anfe<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> Schmähungentraten dagegen immer häufiger auf. An <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Isolation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n vermochten auchvere<strong>in</strong>zelte Zeichen <strong>de</strong>s Mitleids, versteckter Sympathie <strong>und</strong> Unterstützung wenig än<strong>de</strong>rn.Am 23. Juli 1938 wur<strong>de</strong>n spezielle „Kennkarten“ für Bürger jüdischen Glaubens e<strong>in</strong>geführt,die die Kennzeichnung „J“ trugen. Kaum e<strong>in</strong>en Monat später — am 17. Aug. 1938 — erließendie nationalsozialistischen Machthaber die Verordnung zur zwangsweisen Führung <strong>de</strong>r diskrim<strong>in</strong>ieren<strong>de</strong>nBe<strong>in</strong>amen „Sara“ <strong>und</strong> „Israel“ mit Wirkung ab 1. Januar 1939.Abbildung 22: Oberhessische Tageszeitung vom 3. Juli 1935 [S. 254]SA- <strong>und</strong> HJ-Schergen aus <strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n Dörfern zerstörten 1938 im Verlauf <strong>de</strong>r Reichspogromnachtunter <strong>de</strong>n sowohl höhnischen als auch mitleidigen Augen <strong>de</strong>r Öffentlichkeit das kle<strong>in</strong>ejüdische Gotteshaus <strong>in</strong> Lollar <strong>und</strong> vernichteten das gesamte bewegliche Inventar. An<strong>de</strong>utungenvon Zeitzeugen lassen vermuten, daß diese Ausschreitungen auch im Bereich <strong>de</strong>r NSDAP-Ortsgruppen Lollar <strong>und</strong> Ma<strong>in</strong>zlar von Seiten übergeordneter Parteiorganisationen gezielt entfacht<strong>und</strong> unter <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>s Lollarer NSDAP-Ortsgruppenleiters vollzogen wur<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>ige Zeitspäter wur<strong>de</strong> die Synagoge vollständig abgebrochen. <strong>Die</strong> konkreten Vorgänge dieser sogenannten„Reichskristallnacht“, die auch die jüdischen Familien <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar, Lollar <strong>und</strong> Ruttershausen48


Abbildung 23: Oberhessische Tageszeitung vom 7. Juli 1935 [S. 254]nicht nur mit ihrem Hab <strong>und</strong> Gut ganz persönlich betraf, waren bisher lei<strong>de</strong>r nicht zu rekonstruieren.Abbildung 24: Oberhessische Tageszeitung vom 16. August 1935 [S. 255]Noch im gleichen Jahr erg<strong>in</strong>gen verschie<strong>de</strong>ne Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen, die jüdische Erwerbstätigkeit<strong>in</strong> vielfältiger H<strong>in</strong>sicht erschwerte bzw. e<strong>in</strong>schränkte. Zunächst waren Ma<strong>in</strong>zlarer49


Abbildung 25: Oberhessische Tageszeitung vom 18. August 1935 [S. 255]Bürger jüdischen Glaubens gezwungen, im Gießener Baugewerbe zu arbeiten. Ab 1939 warensie schließlich bei <strong>de</strong>n Didier-Werken <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar neben Kriegsgefangenen zum Arbeitse<strong>in</strong>satzverpflichtet: Es arbeiteten dort u.a. Mart<strong>in</strong> <strong>und</strong> Siegfried Rosenthal, die Söhne Isidor Rosenthals,zusammen mit ihrem Schwager Adolf Karbe, Manfred Nathan <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Schwager Arthur Nathan— sie alle lebten zu dieser Zeit <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar. 42Am 14. September 1942 kam das schreckliche En<strong>de</strong> jüdischen Lebens <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar. Mit e<strong>in</strong>emBus <strong>de</strong>r Stadtwerke Gießen wur<strong>de</strong>n die Familien Rosenthal, Nathan <strong>und</strong> Karbe, darunter K<strong>in</strong><strong>de</strong>rim Säugl<strong>in</strong>gsalter, nach Gießen abtransportiert.Den weiteren Lei<strong>de</strong>nsweg teilten sie mit vielen Ju<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m oberhessischen Raum. E<strong>in</strong>Augenzeuge aus Gießen, <strong>de</strong>r die Deportation überlebte, überlieferte die folgen<strong>de</strong>n fürchterlichenEreignisse:„Je<strong>de</strong>r durfte nur e<strong>in</strong>en Koffer o<strong>de</strong>r Rucksack mitnehmen <strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m nochHandgepäck, soviel er tragen konnte. <strong>Die</strong> Sachen mussten <strong>in</strong> Anwesenheit <strong>de</strong>r Gestapogepackt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> was <strong>de</strong>n Herren nicht genehm war, durfte nicht mitgenommenwer<strong>de</strong>n. (...) Ebenso nahm man uns schon <strong>in</strong> Giessen Geld <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re Wertgegenstän<strong>de</strong>ab. Zwei St<strong>und</strong>en später erschienen Lastwagen <strong>und</strong> brachten uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>eSchule. Dorth<strong>in</strong> kamen im Laufe <strong>de</strong>s Tages auch alle Ju<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Umgebung. Drei42 <strong>Die</strong>se Namen s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>n Listen für das F<strong>in</strong>anzamt zu entnehmen, die angelegt wur<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Steuerausgleichzwischen Wohngeme<strong>in</strong><strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r Arbeitsplatz befand, zu schaffen. (StdtA Stfbg.,Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A ...)50


Abbildung 26: Schreiben <strong>de</strong>r Bethy Leopold, geb. Kann, aus Frankfurt an die BürgermeistereiMa<strong>in</strong>zlar bzgl. Namensän<strong>de</strong>rung vom 9. Januar 1939 (Stadtarchiv Staufenberg)[S. 255]Tage blieben wir <strong>in</strong> Giessen liegen <strong>und</strong> dann brachte man uns per Bahn nach Darmstadt.Beim Verla<strong>de</strong>n bekam man schon e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Vorgeschmack von <strong>de</strong>m, wasuns <strong>in</strong> Zukunft erwartete. Denn es hagelte nur so von Fusstritten <strong>und</strong> Schimpfwortenaller Art. <strong>Die</strong> Eisenbahnwagen wur<strong>de</strong>n geschlossen, gelüftet durfte nicht wer<strong>de</strong>n.In Darmstadt, <strong>de</strong>m Sammelplatz aller Ju<strong>de</strong>n aus Hessen, wur<strong>de</strong>n wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schuleuntergebracht. Bevor wir unsere Unterkunft betraten, wur<strong>de</strong>n wir wie<strong>de</strong>r durchsucht.Bei dieser Durchsuchung wur<strong>de</strong> uns alles, was wir noch an Wertgegenstän<strong>de</strong>n wieUhren, Geld o<strong>de</strong>r Gold bei uns hatten, abgenommen. Nur unsere Traur<strong>in</strong>ge ließ manuns. [Gleichzeitig mußten sie unterschreiben, daß ihr ganzes Vermögen zugunsten<strong>de</strong>s Deutschen Reiches e<strong>in</strong>gezogen wur<strong>de</strong>.][S. 256] Dann wur<strong>de</strong>n wir <strong>in</strong> 2 Gruppen geteilt. Zu <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Gruppe gehörten alleJu<strong>de</strong>n unter 65 Jahren, zu <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren alle über 65 Jahre, Schwerkriegsbeschädigte<strong>und</strong> Inhaber <strong>de</strong>s Verw<strong>und</strong>etenabzeichens. <strong>Die</strong>jenigen über 65 Jahre kamen nach Theresienstadt,die an<strong>de</strong>ren wur<strong>de</strong>n nach Polen verschleppt. In sehr vielen Fällen wur<strong>de</strong>ndurch diese Trennung Eltern <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgerissen, wobei sich herzzerreissen<strong>de</strong>Szenen abspielten. Von diesem Transport kamen 1287 Ju<strong>de</strong>n nach Theresienstadt,ungefähr 850 nach Polen. E<strong>in</strong>ige Schwerkranke, die auch verschlepptwer<strong>de</strong>n sollten, starben schon auf <strong>de</strong>m Transport. (...)“ 43Von <strong>de</strong>n <strong>de</strong>portierten Ju<strong>de</strong>n aus Ma<strong>in</strong>zlar überlebte nach bisherigen Kenntnissen niemand dieSchreckenszeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Konzentrationslagern.<strong>Die</strong> Verwaltung <strong>de</strong>s unbewegliches Besitzes <strong>de</strong>r Familien Rosenthal <strong>und</strong> Nathan, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Bahnhofstraße13 bzw. Hauptstraße 10 übernahm zunächst die F<strong>in</strong>anzverwaltung <strong>de</strong>s Deutschen Reichs.43 Auszug aus e<strong>in</strong>em erschüttern<strong>de</strong>n Erlebnisbericht <strong>de</strong>s Gießener Ju<strong>de</strong>n Ludwig Stern, <strong>de</strong>r Theresienstadt überlebthat. (StdtA. Gießen)51


Abbildung 27: Rechnung <strong>de</strong>r Stadtwerke Gießen an die Geheime Staatspolizei für „Son<strong>de</strong>rfahrten“im Rahmen <strong>de</strong>r Deportationen 1942 (Stadtarchiv Gießen) [S. 256]52


Das Rosenthalsche Anwesen g<strong>in</strong>g dann <strong>in</strong> <strong>de</strong>n 1950 Jahren an nichtjüdische Eigentümer über,während Gr<strong>und</strong>stück <strong>und</strong> Gebäu<strong>de</strong> Selma Nathans <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hauptstraße 1954 von <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> nach Abbruch <strong>de</strong>r Gebäu<strong>de</strong> zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r 1960er Jahre schließlich von <strong>de</strong>r Spar<strong>und</strong>Vorschußkasse zur Errichtung <strong>de</strong>r Sparkasse übernommen wur<strong>de</strong>n. 4444 „Feuerversicherungsbuch über die Gebäu<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Ma<strong>in</strong>zlar. Orts-Exemplar. E<strong>in</strong> Band aufgestellt alsErsatz für das verloren gegangene Orig<strong>in</strong>al. Darmstadt, <strong>de</strong>n 7. September 1943. <strong>Die</strong> Buchhaltung HessischeBrandversicherungskammer. Unterschrift“ (<strong>de</strong>rzeit im Bauamt <strong>de</strong>r Stadt Staufenberg); das Buch wur<strong>de</strong> bis <strong>in</strong> die1970er Jahre geführt. Vielleicht existiert das Abschrift-Orig<strong>in</strong>al noch im StA Darmstadt. <strong>Die</strong> ersten E<strong>in</strong>tragungenstammen aus <strong>de</strong>n 1880er Jahren; das Orig<strong>in</strong>al <strong>de</strong>s Ortsexemplars wur<strong>de</strong> wohl zu dieser Zeit ausgestellt.53


11 <strong>Die</strong> OpferFamilie Elsa <strong>und</strong> Adolf Karbe:• Elsa Karbe, geboren <strong>in</strong> Lollar am 24.12.1911 (geborene Rosenthal) 45• Adolf Leopold Karbe, geboren am 13.08.1911 <strong>in</strong> Münzenberg 46K<strong>in</strong><strong>de</strong>r:• Renate Jani Karbe, geboren <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar am 22.05.1936 47• Refa Karbe, geboren <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar am 07.02.1940 48• Zilla Karbe, geboren <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar am 20.08.1941 49Otto Levy, geboren am 31.05.1892 <strong>in</strong> Hamburg 50Familie Gerti <strong>und</strong> Arthur Abraham Nathan — zuletzt Ma<strong>in</strong>zlar, Hauptstraße 10:• Gerti Nathan, geboren am 02.06.1910 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar (geborene Nathan), seit 08.09.1928 <strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>zlar verheiratet mit 51• Arthur Abraham Nathan (Polstermeister), geboren am 26.02.1905 <strong>in</strong> Lohra 52K<strong>in</strong><strong>de</strong>r:• Leni Nathan, geboren am 05.11.1926 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar 53• Ruth Nathan, geboren am 08.05.1931 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar• Berl Nathan, geboren am 05.09.1942 <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar 54Selma Nathan,geboren am 01.02.1882 (geborene Plaut)45 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 04.12.1951. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)46 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 18.12.1948. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)47 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 04.12.1951. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)48 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 04.12.1951. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)49 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 04.12.1951. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)50 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 01.12.1953. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)51 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s West-Berl<strong>in</strong>er Stan<strong>de</strong>samts vom 04.01.1966. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)52 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s West-Berl<strong>in</strong>er Stan<strong>de</strong>samts vom 04.01.1966. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)53 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s West-Berl<strong>in</strong>er Stan<strong>de</strong>samts vom 04.01.1966. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)54 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s West-Berl<strong>in</strong>er Stan<strong>de</strong>samts vom 04.01.1966. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)54


Familie Frie<strong>de</strong>l Lotte <strong>und</strong> Manfred Kahn — zuletzt Lollar• Frie<strong>de</strong>l Lotte, geborene am 02.12.1920 <strong>in</strong> Lollar (geborene Kahn), verheiratet mit 55• Manfred Nathan, geboren <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar am 05.09.1913 56Familie <strong>de</strong>r Witwe L<strong>in</strong>a Rosenthal — zuletzt Ma<strong>in</strong>zlar• L<strong>in</strong>a Rosenthal, geboren am 04.10.1885 <strong>in</strong> Münchholzhausen (geborene Rosenthal) 57• Mart<strong>in</strong> Rosenthal, geboren <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar am 31.12.1919 58• Siegfried Rosenthal, geboren <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar am 03.11.1913 59Wie hartnäckig sich das <strong>de</strong>n Verfolgungen zugr<strong>und</strong>eliegen<strong>de</strong> <strong>und</strong> seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>ertssporadisch geschürte <strong>und</strong> durch die Nationalsozialisten für politische Zwecke <strong>in</strong>strumentalisierteHaßgefühl gegen unschuldige Menschen manchen Bevölkerungskreisen <strong>in</strong>s Bewußtse<strong>in</strong> [S.257]gefressen hatte, davon kün<strong>de</strong>te z.B. im Oktober 1948 die Schändung <strong>de</strong>s jüdischen FriedhofsLollar-Staufenberg. 60 Sie reihte sich schon damals e<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl von Übergriffen gegenÜberleben<strong>de</strong> jüdischen Glaubens <strong>in</strong> Deutschland.<strong>Die</strong> Verfolgung <strong>und</strong> Deportation Ma<strong>in</strong>zlarer Ju<strong>de</strong>n ist zusammen mit <strong>de</strong>m Schicksal ihrerGlaubensgenossen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r NS-Herrschaft e<strong>in</strong>zigartig. Mit <strong>de</strong>r Errichtung e<strong>in</strong>er Stättezum Ge<strong>de</strong>nken an die jüdischen Opfer <strong>de</strong>s Nationalsozialismus <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ortsteilen Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong>Treis haben die Mitglie<strong>de</strong>r von Parlament <strong>und</strong> Magistrat <strong>de</strong>r Stadt Staufenberg 1990 ihrer Trauerebenso Ausdruck gegeben, wie ihrer Verantwortung für das Er<strong>in</strong>nern.55 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 02.11.1949. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)56 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 02.11.1949. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)Huttarsch 1984a, S. 216f bemerkt: „Auch Manfred Nathan <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau Lotte lebten noch [1939] <strong>in</strong> Lollar.En<strong>de</strong> September wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>r Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aus Lollar <strong>de</strong>portiert <strong>und</strong> ebenso wie2 <strong>de</strong>portierte Ju<strong>de</strong>n aus Ruttershausen höchstwahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vernichtungslager ermor<strong>de</strong>t. Der letzteH<strong>in</strong>weis auf Manfred Nathan ist e<strong>in</strong> Zettel <strong>de</strong>r Geheimen Staatspolizei, Außendienststelle Gießen, Neuen Bäue23, vom 3. Oktober 1942: >Betrifft: Evakuierung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n. Anläßlich <strong>de</strong>r Evakuierung wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong> Fahrrad<strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n Manfred Israel Nathan bei <strong>de</strong>r Bürgermeisterei sichergestellt. Ich bitte um umgehen<strong>de</strong> Übersendungdieses Fahrra<strong>de</strong>s an die hiesige <strong>Die</strong>nststelle.“ Nach e<strong>in</strong>em Schreiben vom Bürgermeister Göttlich/Lollar vom03.01.1964 an Yad Vashem waren am 16.06.1933 <strong>in</strong> Lollar noch 11 Ju<strong>de</strong>n, 5 davon auch noch am 17.05.1939gemel<strong>de</strong>t. Darunter war auch (zit.): „Kahn, Lotte, geb. am 2.12.1920, abgemel<strong>de</strong>t am 14.9.1942, verehelichteNathan, Ma<strong>in</strong>zlar mußten Lollar verlassen“ Weitere Unterlagen im StdtA Lollar lassen darauf schließen, daßManfred Nathan 1939 nach Ma<strong>in</strong>zlar zurückkam, um im darauffolgen<strong>de</strong>n Jahr (18.04.1940) Lotte Kahn, Tochtervon A<strong>de</strong>le <strong>und</strong> Nathan Kahn aus Lollar, zu heiraten. Bei<strong>de</strong> sche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar gewohnt zu haben (=> anhandMel<strong>de</strong>unterlagen <strong>in</strong> StdtA Stfbg. prüfen). Ob am 14.09.1942 angesichts <strong>de</strong>r bevorstehen<strong>de</strong>n Deportation LotteNathan mit <strong>de</strong>m Fahrrad ihres Mannes o<strong>de</strong>r dieser selbst zu se<strong>in</strong>en Schwiegereltern eilte, wird sich wohl niefeststellen lassen. => unter Heranziehung <strong>de</strong>s "Ge<strong>de</strong>nkbuches" nochmals prüfen}57 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 02.01.1952. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)58 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 02.01.1952. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)59 To<strong>de</strong>serklärung <strong>de</strong>s Gießener Amtsgerichts vom 02.01.1952. (StdtA Stfbg., Best. Ma<strong>in</strong>zlar, A 901)60 Vgl dazu: „Frankfurter Neue Presse“ [dort bis jetzt nichts gef<strong>und</strong>en] <strong>und</strong> „Frankfurter R<strong>und</strong>schau“ vom28.10.1948, sowie Untersuchungsakten im StAD, Abt. G 13, Akte Nr. 441 => Presseartikel besorgen; auch<strong>in</strong> GAZ <strong>und</strong> Freie Presse gucken55


Abbildung 28: Ausriß aus <strong>de</strong>r Frankfurter R<strong>und</strong>schau vom 28. Oktober 1948 [S. 257]Abbildung 29: Zerstörungen am Ge<strong>de</strong>nkste<strong>in</strong> für die jüdischen Opfer <strong>de</strong>s Nationalsozialismus<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Staufenberger Ortsteilen Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Treis am 31. Mai 1992 (Aufn. V.Hess) [S. 257]56


Dagegen zeugen antisemitische Äußerungen <strong>und</strong> Ausschreitungen <strong>in</strong> Deutschland, wie dieFriedhofsschändung von 1948 ebenso wie die Zerstörung <strong>de</strong>s Mahnmals vor <strong>de</strong>m StaufenbergerRathaus im Mai 1992, von <strong>de</strong>m Versuch, die Er<strong>in</strong>nerung <strong>und</strong> damit <strong>de</strong>n konkreten H<strong>in</strong>weis aufdie Schuld gegenüber e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong><strong>de</strong>rheit auszuräumen. 61 Es ist letzten En<strong>de</strong>s das Bestreben zurBeseitigung e<strong>in</strong>es sozialen <strong>und</strong> geschichtlichen Gewissens <strong>de</strong>r Menschen.Für die Nachgeborenen jedoch darf es im Interesse aller ke<strong>in</strong>e „Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>r späten Geburt“geben — es bleibt immer die Verpflichung zur Er<strong>in</strong>nerung <strong>und</strong> Verantwortung.61 vgl. dazu: Klaus Briegleb, Haus <strong>de</strong>s Lebens - zerstört?, <strong>in</strong>: <strong>Die</strong> Zeit Nr. 21 (15.05.1992), S. 7857


Abbildungsverzeichnis1 Jüdischer Friedhof Lollar im W<strong>in</strong>ter 1991/92 [S. 236] . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C.F Günther, Skizze <strong>de</strong>s Areals <strong>de</strong>r Staufenberger „Oberburg“, l<strong>in</strong>ks oben dieLage <strong>de</strong>s ehem. jüdischen Friedhofs [S. 237] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Schreiben <strong>de</strong>s Kreisrates <strong>de</strong>s Kreises Gießen vom 21. August 1844 „Betreffend:Den Ju<strong>de</strong>nfriedhof zu Staufenberg“ [S. 238] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Protokoll zum Tod Isaaks Löwenste<strong>in</strong>s am 9. Februar 1839 <strong>in</strong> Staufenberg (Tafel1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Anteil jüdischer Männer an <strong>de</strong>r Zahl erwerbsfähiger Männer im Gericht Lollarim Jahr 1770 [Statistik 1864] [S. 241] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Protokoll <strong>de</strong>r Geburt Löser Löwenste<strong>in</strong>s am 10. März 1811 als Sohn SüsmannLöwenste<strong>in</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Frau Ju<strong>de</strong>l aus Daubr<strong>in</strong>gen (Stadtarchiv Staufenberg)[S. 242] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Auszug aus <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>lsprotokollbuch von Ma<strong>in</strong>zlar: Vertrag zwischen IsaakKann aus Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Georg Eberhard Becker aus Alten-Buseck vom 15. August1847 (Stadtarchiv Staufenberg) [S. 243] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Vorschrift zur Führung <strong>de</strong>r Personenstandsregister aus <strong>de</strong>m Registerband für jüdischeGeburten, Trauungen <strong>und</strong> Beerdigungen <strong>in</strong> Staufenberg (Stadtarchiv Staufenberg)[S. 245] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Protokoll <strong>de</strong>r Geburt Elisabethe Kanns am 6. Februar 1856 als Tochter AdolfKanns <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Frau Berte, geb. Reis, aus Ma<strong>in</strong>zlar. Das Protokoll enthältzusätzlich <strong>de</strong>n Vermerk <strong>de</strong>s Ma<strong>in</strong>zlarer Bürgermeisters Kreil<strong>in</strong>g von 1939 überdie zwangsweise Namensergänzung „Sara“. (Stadtarchiv Staufenberg) [S. 246] . . 2210 Erlaß <strong>de</strong>r Großherzoglich-hessischen Regierung <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Oberhessen vom30. Juli 1825 über die „zum Behuf <strong>de</strong>r Re<strong>in</strong>igung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>nfrauen bestehen<strong>de</strong>nBa<strong>de</strong>e<strong>in</strong>richtungen“ — 1. Seite. (Stadtarchiv Staufenberg) [S. n.i.O.] . . . . . . . . 2311 Schreiben <strong>de</strong>s Kreisrates <strong>de</strong>s Kreises Gießen vom 2. Dezember 1844 betreffend„<strong>Die</strong> Verbesserung <strong>de</strong>s Zustan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Israeliten <strong>in</strong> Oberhessen“ — 1. Seite(Stadtarchiv Staufenberg) [S. 246] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2512 Entwicklung <strong>de</strong>s jüdischen Bevölkerungsanteils zwischen 1828 <strong>und</strong> 1933 [S. 248] 2913 Grab Aron Mormelste<strong>in</strong>s aus Daubr<strong>in</strong>gen [S. 248] . . . . . . . . . . . . . . . . . 3014 <strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n Z. Kann aus Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> M. Hammerschlag aus Treis unterstützen<strong>de</strong>n Wahlvorschlag <strong>de</strong>r Vere<strong>in</strong>igten Liberalen Partei zur Reichstagswahl 1881 im1. Hess. Wahlkreis (Gießener Anzeiger 246 v. 22. Oktober 1881) [S. n.i.O.] . . . . 3415 Der Daubr<strong>in</strong>ger Ju<strong>de</strong> <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>rat Isaak Löwenste<strong>in</strong> unterstützt <strong>de</strong>n Wahlaufruffür <strong>de</strong>n nationalkonservativen Reichstagswahlkandidaten (Gießener Anzeiger247 v. 23. Oktober 1881) [S. n.i.O.] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3516 Anteil <strong>de</strong>r Antisemiten an <strong>de</strong>r Reichstagswahlergebnissen [S. n.i.O.] . . . . . . . . 3817 Grab Nathan Nathans aus Daubr<strong>in</strong>gen/Ma<strong>in</strong>zlar [S. 251] . . . . . . . . . . . . . . 4118 Schreiben Julius Kanns aus Friedberg vom 30. April 1914 an die BürgermeistereiMa<strong>in</strong>zlar (Stadtarchiv Staufenberg) [S. 252] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4219 Grab Steffen Kanns <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Eltern aus Ma<strong>in</strong>zlar [S. 252] . . . . . . . . . . . . 4458


20 Ma<strong>in</strong>zlarer K<strong>in</strong><strong>de</strong>r um 1920, darunter Gerdi (3.v.l.) <strong>und</strong> Manfred Nathan (aufKorb sitzend) [S. 253] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4521 Wahlergebnisse <strong>de</strong>r NSDAP <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Reichs- <strong>und</strong> Landtagswahlen zwischen 1919<strong>und</strong> 1933 [S. n.i.O.] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4722 Oberhessische Tageszeitung vom 3. Juli 1935 [S. 254] . . . . . . . . . . . . . . . 4823 Oberhessische Tageszeitung vom 7. Juli 1935 [S. 254] . . . . . . . . . . . . . . . 4924 Oberhessische Tageszeitung vom 16. August 1935 [S. 255] . . . . . . . . . . . . 4925 Oberhessische Tageszeitung vom 18. August 1935 [S. 255] . . . . . . . . . . . . 5026 Schreiben <strong>de</strong>r Bethy Leopold, geb. Kann, aus Frankfurt an die BürgermeistereiMa<strong>in</strong>zlar bzgl. Namensän<strong>de</strong>rung vom 9. Januar 1939 (Stadtarchiv Staufenberg)[S. 255] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5127 Rechnung <strong>de</strong>r Stadtwerke Gießen an die Geheime Staatspolizei für „Son<strong>de</strong>rfahrten“im Rahmen <strong>de</strong>r Deportationen 1942 (Stadtarchiv Gießen) [S. 256] . . . . . . 5228 Ausriß aus <strong>de</strong>r Frankfurter R<strong>und</strong>schau vom 28. Oktober 1948 [S. 257] . . . . . . . 5629 Zerstörungen am Ge<strong>de</strong>nkste<strong>in</strong> für die jüdischen Opfer <strong>de</strong>s Nationalsozialismus<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Staufenberger Ortsteilen Ma<strong>in</strong>zlar <strong>und</strong> Treis am 31. Mai 1992 (Aufn. V.Hess) [S. 257] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5659


Tabellenverzeichnis1 E<strong>in</strong>ige Vorstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Lollar vor 1918 (StdtA Lollar, Abt.XIII, 1. Abschn., Konv. 1, Fasz. 2) [S. 247] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Jüdische Familien, Wohnhäuser <strong>und</strong> Gewerbe <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar 1905 – 1939 [S. 253] . . 4360


Literatur[Arnsberg 1971a][Arnsberg 1973a][Arnsberg 1983a][Battenberg 1987a][Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a][Demandt 1980a][<strong>Die</strong>hl 1925a]Arnsberg, Paul: <strong>Die</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen. Anfang — Untergang— Neubeg<strong>in</strong>n, 2 B<strong>de</strong>., hg. v. Lan<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r jüdischenGeme<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Frankfurt 1971Arnsberg, Paul: <strong>Die</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen. Bil<strong>de</strong>r — Dokumente,hg. v. Lan<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen,Frankfurt 1973Arnsberg, Paul: <strong>Die</strong> Geschichte <strong>de</strong>r Frankfurter Ju<strong>de</strong>n seit <strong>de</strong>r FranzösischenRevolution, 3 B<strong>de</strong>., Bd. 2: Struktur <strong>und</strong> Aktivitäten <strong>de</strong>r FrankfurterJu<strong>de</strong>n von 1789 bis zu <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r nationalsozialistischenÄra, Darmstadt 1983Battenberg, Friedrich: Ju<strong>de</strong>nverordnungen <strong>in</strong> Hessen-Darmstadt. DasJu<strong>de</strong>nrecht e<strong>in</strong>es Reichsfürstentums bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Alten Reiches— E<strong>in</strong>e Dokumentation, hg. v.d. Kommission für die Geschichte <strong>de</strong>rJu<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Wiesba<strong>de</strong>n 1987 (= Schriften <strong>de</strong>r Kommission fürdie Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen 8)Bo<strong>de</strong>nheimer, Rosy: Beitrag zur Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Oberhessenvon ihrer frühesten Erwähnung bis zur Emanzipation, Gießen (Diss.)1931Demandt, Karl E.: Bevölkerungs- <strong>und</strong> Sozialgeschichte <strong>de</strong>r jüdischenGeme<strong>in</strong><strong>de</strong> Nie<strong>de</strong>nste<strong>in</strong> 1653 – 1866. E<strong>in</strong> Beitrag zur Geschichte <strong>de</strong>sJu<strong>de</strong>ntums <strong>in</strong> Kurhessen. Darstellung <strong>und</strong> Dokumente, Wiesba<strong>de</strong>n1980 (= Schriften <strong>de</strong>r Kommission für die Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong>Hessen)<strong>Die</strong>hl, Wilhelm: Kirchenbehör<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Kirchendiener <strong>in</strong> <strong>de</strong>r LandgrafschaftHessen-Darmstadt von <strong>de</strong>r Reformation bis zum Anfang <strong>de</strong>s 19.Jahrh<strong>und</strong>erts, Darmstadt 1925 (= Hassia Sacra Band: II)[<strong>Die</strong>tz 1904a] <strong>Die</strong>tz, Alexan<strong>de</strong>r: Stammbuch <strong>de</strong>r Frankfurter Ju<strong>de</strong>n, Frankfurt 1904[Gesangvere<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar] 110 Jahre. Gesangvere<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar e.V. 1875 – 1985, hg.v. Gesangvere<strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>zlar e.V., Ma<strong>in</strong>zlar 1985[GA][Grulms/Kleibl 1984]Gießener AnzeigerGrulms, Eva; Kleibl, Bernd: Jüdische Friedhöfe <strong>in</strong> Nordhessen. Bestand<strong>und</strong> Sicherung, Kassel 1984[Günther 1853a] Günther, C. F.: Bil<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Hessischen Vorzeit, Darmstadt 185361


[Hans 1986a][Hatfield 1903a][Hormann 1988a]Hans, Günter: Ju<strong>de</strong>n im Busecker Tal, <strong>in</strong>: Buseck. Se<strong>in</strong>e Dörfer <strong>und</strong>Burgen, hg. v.d. Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Buseck, Buseck 1986, S. 44 – 68Hatfield, James Taft: From Broom to Heather. A Summer <strong>in</strong> a GermanCastle, C<strong>in</strong>c<strong>in</strong>nati/New York 1903Hormann, He<strong>in</strong>rich: <strong>Die</strong> jüdische Bevölkerung <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zlar, <strong>in</strong>: Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>brief<strong>de</strong>r Kirchengeme<strong>in</strong><strong>de</strong> Kirchberg 1 (1988)[Hormann/Mauer 1993a] Hormann, He<strong>in</strong>rich/Mauer, Karl: <strong>Die</strong> Auswan<strong>de</strong>rer, <strong>in</strong>: Daubr<strong>in</strong>gen —Ma<strong>in</strong>zlar. Geschichte zweier oberhessischer Dörfer <strong>und</strong> ihrer Bevölkerung,im Auftrag <strong>de</strong>s Magistrats <strong>de</strong>r Stadt Staufenberg bearbeitet vonGerhard Fel<strong>de</strong> <strong>und</strong> Volker Hess, Staufenberg 1993[Jeggle 1969a][Ju<strong>de</strong>n Hessen][Kampmann 1979a][Kaschuba 1982a][Kaufmann 1988a][Knauss 1975c][Knauss 1987b][Löwenste<strong>in</strong> 1989a]Jeggle, Utz: Ju<strong>de</strong>ndörfer <strong>in</strong> Württemberg, Tüb<strong>in</strong>gen 1969 (= Volksleben.Untersuchungen <strong>de</strong>s Ludwig-Uhland-Instituts <strong>de</strong>r UniversitätTüb<strong>in</strong>gen ... 23)Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, bearb. v. Bardon, A./Battenberg, Fr./He<strong>in</strong>emann,Chr./Kropat, W.-A., Wiesba<strong>de</strong>n 1988 (Ausstellung <strong>de</strong>r hessischenStaatsarchive)Kampmann, Wanda: Deutsche <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n<strong>in</strong> Deutschland vom Mittelalter bis zum Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs,Frankfurt/M. 1979Kaschuba, Wolfgang/Lipp, Carola: Dörfliches Überleben. Zur Geschichtematerieller <strong>und</strong> sozialer Reproduktion ländlicher Gesellschaftenim 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, Tüb<strong>in</strong>gen 1982 (= Untersuchungen<strong>de</strong>s Ludwig-Uhland-Instituts <strong>de</strong>r Universität Tüb<strong>in</strong>gen 56)Kaufmann, Uri: <strong>Die</strong> Behejmeshändler. O<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Alltag <strong>de</strong>r jüdischenViehhändler <strong>in</strong> Zentraleuropa vor <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>r rechtlichen Gleichstellung<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ausbau <strong>de</strong>s Eisenbahnnetzes, <strong>in</strong>: Geschichtswerkstatt15 (1988), S. .. – ..Knauß, Erw<strong>in</strong>: Zwischen Kirche <strong>und</strong> Pforte. 775 – 1975. 1200 JahreWieseck, Gießen-Wieseck 1975Knauß, Erw<strong>in</strong>: <strong>Die</strong> jüdische Bevölkerung Gießens 1933 - 1945. E<strong>in</strong>eDokumentation, Wiesba<strong>de</strong>n 1987, 4. Aufl. (= Schriften <strong>de</strong>r HistorischenKommission für die Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Bd. 4)Löwenste<strong>in</strong>, Uta Titel: Quellen zur Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n im HessischenStaatsarchiv Marburg 1267 – 1600. Bd. I, hg. v. Kommissionfür die Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Wiesba<strong>de</strong>n 1989 (= Quellenzur Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> hessischen Archiven 1,1)62


[Löwenste<strong>in</strong> 1989b][Löwenste<strong>in</strong> 1989c][Mack 1983a][Mitteilungen][Richarz 1990a]Löwenste<strong>in</strong>, Uta: Quellen zur Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n im HessischenStaatsarchiv Marburg 1267 – 1600. Bd. II, hg. v. Kommission für dieGeschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Wiesba<strong>de</strong>n 1989 (= Quellen zur Geschichte<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> hessischen Archiven 1,2)Löwenste<strong>in</strong>, Uta: Quellen zur Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n im HessischenStaatsarchiv Marburg 1267 – 1600, Bd. III, hg. v. Kommission fürdie Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Wiesba<strong>de</strong>n 1989 (= Quellen zurGeschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> hessischen Archiven 1,3)Mack, Rüdiger: Otto Böckel <strong>und</strong> die antisemitische Bauernbewegung<strong>in</strong> Hessen 1887 – 1894, <strong>in</strong>: Neunh<strong>und</strong>ertjahre Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n<strong>in</strong> Hessen. Beiträge zum pol itischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> kulturellenLeben, hg. v. Kommission für die Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen,Wiesba<strong>de</strong>n 1983 (= Schriften <strong>de</strong>r Historischen Kommission für dieGeschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Hessen, Bd. 6), S. 377 – 44Mitteilungen <strong>de</strong>s Vere<strong>in</strong>s zur Abwehr <strong>de</strong>s AntisemitismusRicharz, Monika: Landju<strong>de</strong>n — e<strong>in</strong> bürgerliches Element im Dorf, <strong>in</strong>:Jacobeit, Wolfgang; Mooser, Josef; Strath, Bo (Hgg.): Idylle o<strong>de</strong>r Aufbruch?Das Dorf im bürgerlichen 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. E<strong>in</strong> europäischerVergleich, Berl<strong>in</strong> 1990, S. 181 – 192[Rupp<strong>in</strong> 1909a] Rupp<strong>in</strong>, Arthur: <strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n im Großherzogtum Hessen, Berl<strong>in</strong> 1909 (=Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Bureaus für die Statistik <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n, Bd. 6 )[Schlapp 1959a][Schmahl 1933a]Schlapp, Ernst: Auf <strong>und</strong> Ab im Hause Schlapp, 1. Bd.: Aus <strong>de</strong>rFamilien- <strong>und</strong> Dorfgeschichte, Ma<strong>in</strong>zlar 1959Schmahl, Eugen: <strong>Die</strong> antisemitische Bauernbewegung <strong>in</strong> Hessen von<strong>de</strong>r Böckelzeit bis zum Nationalsozialismus, Gießen 1933[Statistik 1864] Beiträge zur Statistik <strong>de</strong>s Großherzogthums Hessen 3 (1864), hg. v. d.Ghzl. Centralstelle für die Lan<strong>de</strong>sstatistik, Darmstadt 1864[Staufenberg 1983][Stern 1970a][Stumpf 1981a]Staufenberg. Stadt zwischen Lumda <strong>und</strong> Lahn, im Auftrag <strong>de</strong>s Magistrats<strong>de</strong>r Stadt Staufenberg hrsg. v. Günter Hans <strong>und</strong> Georg Mann,Staufenberg 1983Stern, He<strong>in</strong>emann: Warum hassen sie uns eigentlich? Jüdisches Lebenzwischen <strong>de</strong>n Kriegen. Er<strong>in</strong>nerungen, hg. Hans Ch. Meyer, Düsseldorf1970Stumpf, Otto: Bußgeldlisten aus <strong>de</strong>n Rechnungen <strong>de</strong>s Amtes Gießenvon 1568 – 1599, <strong>in</strong>: MOHG NF 1981 Band: 66 S. 205 – 21963


[Wagner 1830][Weiss 1978a]Wagner, Georg Wilhelm Just<strong>in</strong>: Statistisch-topographisch-historischeBeschreibung <strong>de</strong>s Großherzogtums Hessen Bd. 3: Oberhessen, Darmstadt1830Weiss, Ulrich: <strong>Die</strong> Gerichtsverfassung <strong>in</strong> Oberhessen bis zum En<strong>de</strong><strong>de</strong>s 16. Jahrh<strong>und</strong>erts, Marburg 1978 (= Schriften <strong>de</strong>s Hessischen Lan<strong>de</strong>samtesfür geschichtliche Lan<strong>de</strong>sk<strong>und</strong>e 37)64

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