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Die jüdische Bevölkerung in Daubringen und ... - tagebergen.de

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<strong>de</strong>n Städten auf „das flache Land“ durchzusetzen. B<strong>in</strong>nen acht Wochen mußte die Stadt Gießenverlassen wor<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>. Vermögen<strong>de</strong>re Familien fan<strong>de</strong>n fre<strong>und</strong>lich Aufnahme <strong>in</strong> <strong>de</strong>n teilweisenoch unabhängigen A<strong>de</strong>lsterritorien <strong>de</strong>r Umgebung, so im Busecker Tal, <strong>in</strong> Treis o<strong>de</strong>r Nor<strong>de</strong>ck[Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 24].<strong>Die</strong> Ärmeren, die die Ausweisung so hart traf, daß sie nach eigenem Bek<strong>und</strong>en „zur Unterhaltungvon Weib <strong>und</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r das liebe brott über nacht nit <strong>in</strong> Hausen haben“, zogen <strong>in</strong> dieDörfer <strong>de</strong>r direkten Umgebung, so beispielsweise nach Wieseck [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, zit. S. 21][Knauss 1975c, S. 305]. Nicht nachweisbar ist lei<strong>de</strong>r für diese Phase die vorübergehen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>rdauerhafte Ansiedlung von Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Daubr<strong>in</strong>gen, Lollar, Ma<strong>in</strong>zlar o<strong>de</strong>r Ruttershausen.Erst e<strong>in</strong>e Bevölkerungsaufnahme etwa zwei Jahre nach Regierungsantritt <strong>de</strong>s Landgrafen LudwigIX. 1768 übermittelt e<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis auf jüdische E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> diesen Dörfern.Deren Nie<strong>de</strong>rlassung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en hessen-darmstädtisch Bauerndörfern im unteren Lumdataldürfen wir durchaus als Reflex sowohl <strong>de</strong>r wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Verän<strong>de</strong>rungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>rRegion als auch <strong>de</strong>r noch immer drücken<strong>de</strong>n Situation <strong>de</strong>r hessischen Ju<strong>de</strong>n ansehen: <strong>Die</strong> im 18.Jahrh<strong>und</strong>ert rapi<strong>de</strong> steigen<strong>de</strong>n Aufwendungen <strong>de</strong>s Staatswesen wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Form von Abgaben aufdie christlichen Untertanen, beson<strong>de</strong>rs aber auf die schon immer betroffenen Schutzju<strong>de</strong>n umgelegt[Battenberg 1987a, S. 12 (Beispiele)]. In <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren sozialen Situation <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>ertsliegen die Wurzeln für e<strong>in</strong> sich im folgen<strong>de</strong>n Jahrh<strong>und</strong>ert prekär entwickeln<strong>de</strong>s Verhältniszwischen <strong>de</strong>r oberhessischen ländlichen Bevölkerung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Landju<strong>de</strong>n. Noch immer durftenJu<strong>de</strong>n ke<strong>in</strong>e Landwirtschaft betreiben, waren vom Gewerbebetrieb <strong>und</strong> <strong>de</strong>n bürgerlichen Berufenausgeschlossen; das ihnen verbliebene, aber durch Verordnungen <strong>und</strong> die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nschutzes noch immer vielfältig e<strong>in</strong>geschränkte Recht zur Ausübung von Han<strong>de</strong>l <strong>und</strong>Geldgeschäften erfuhr dagegen erste Erleichterungen [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, S. 22f, 29].[S. 241] Viele hessische Ju<strong>de</strong>nfamilien gerieten zunehmend <strong>in</strong> Armut <strong>und</strong> Not. Nicht seltenwar wohl die Ansiedlung <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Landgeme<strong>in</strong><strong>de</strong>n, wo das E<strong>in</strong>zugsgeld nur e<strong>in</strong>en Teil <strong>de</strong>rFor<strong>de</strong>rungen größerer Städte betrug, die letzte Chance, um <strong>de</strong>m Abs<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Existenz alsheimatlosem „Bettelju<strong>de</strong>n“ zu entgehen:„Das mag manchen armen Mann bewogen haben, se<strong>in</strong>en Wohnsitz lieber auf <strong>de</strong>mLan<strong>de</strong> zu nehmen. Dort aber gibt es neben Kramwaren kaum e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Han<strong>de</strong>lsgegenstandfür <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n als das Vieh. <strong>Die</strong>se Ware eignete sich auch <strong>de</strong>shalb zumJu<strong>de</strong>nhan<strong>de</strong>l, weil ke<strong>in</strong>e städtische Zunft Anspruch auf ihren Vertrieb machte. DemBauern aber diente es, wenn er im Ju<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>en Helfer fand, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>er Wirtschaft dasnötige Zuchtvieh zuführte, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ihm entbehrliche Tiere auf die Märkte schaffte.so ist im Laufe <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>de</strong>r Viehhan<strong>de</strong>l immer mehr e<strong>in</strong>e jüdische Domänegewor<strong>de</strong>n. [...] Im Verlaufe <strong>de</strong>s 18. <strong>und</strong> frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts verelen<strong>de</strong>n dieoberhessischen Ju<strong>de</strong>n immer mehr.“ [Bo<strong>de</strong>nheimer 1931a, zit. S. 32]E<strong>in</strong> Blick auf die Zahlen <strong>de</strong>s Jahres 1770 bekräftigt dieses Bild (vgl. Abb. 5). <strong>Die</strong> be<strong>de</strong>utendstenViehmärkte <strong>de</strong>r Umgebung fan<strong>de</strong>n außerhalb Gießens <strong>in</strong> Lollar statt [Wagner 1830, S. 83].<strong>Die</strong> verbesserte Verkehrsanb<strong>in</strong>dung durch <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r Marburg-Kasseler Straße unterstreichtnur die wachsen<strong>de</strong> Rolle Lollars als landwirtschaftliches Kle<strong>in</strong>zentrum <strong>und</strong> damit relativgünstigen Erwerbsraum für kle<strong>in</strong>e jüdische Viehhändler an <strong>de</strong>r Gießener Peripherie. Ähnlichesgalt gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts — wenn auch auf nie<strong>de</strong>rem Niveau — für Ma<strong>in</strong>zlar.12

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