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Die jüdische Bevölkerung in Daubringen und ... - tagebergen.de

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8 Politischer Antisemitismus[S. 250] Über Jahrh<strong>und</strong>erte h<strong>in</strong>weg waren Ju<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r Opfer von Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong>Verfolgung gewesen. Ihre nicht nur durch die Religion son<strong>de</strong>rn u.a. auch durch die ausgrenzen<strong>de</strong>Politik <strong>de</strong>r Territorialherren verursachte Son<strong>de</strong>rstellung auf allen Fel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s öffentlichen Lebenshatte die jüdische M<strong>in</strong><strong>de</strong>rheit zum Ziel <strong>de</strong>r Anfe<strong>in</strong>dung ihrer nichtjüdischen Umgebung gemacht.Trotz <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n rechtlichen <strong>und</strong> politischen Gleichstellung im 19. Jahrh<strong>und</strong>erthielten sich gera<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>r ländlichen Bevölkerung vielfach auch alltägliche Distanz <strong>und</strong> Ausgrenzung,die nicht nur aus <strong>de</strong>m Unverständnis gegenüber kulturellen Eigenarten <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums,son<strong>de</strong>rn vor allem aus <strong>de</strong>r geschil<strong>de</strong>rten spezifischen wirtschaftlichen Verflechtung jüdischen <strong>und</strong>nichtjüdisch-bäuerlichen Überlebens resultierten.Unangenehme Früchte erwuchsen aus diesem Verhältnis gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahrh<strong>und</strong>erts, alserneut e<strong>in</strong>e Krise über die Landwirtschaft im Kaiserreich here<strong>in</strong>brach <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> unserer Regionmit ihrer Vielzahl an Mittel- <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>bauern äußerst gravierend nie<strong>de</strong>rschlug. Man suchte —wie so oft — nach Sün<strong>de</strong>nböcken. Gera<strong>de</strong> die ländliche Bevölkerung <strong>de</strong>r Lumdatalgeme<strong>in</strong><strong>de</strong>ntraten hier beson<strong>de</strong>rs hervor:Es war ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>sehen <strong>in</strong> die eigentlichen Ursachen <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Not: veraltete Anbaumetho<strong>de</strong>n,zersplitterte kle<strong>in</strong>e Anbauflächen, Unfähigkeit zu genossenschaftlicher Organisation<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Konkurrenzdruck auf <strong>de</strong>m Weltmarkt. Parteien entstan<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nhaß, nunmehrpseudowissenschaftlich <strong>de</strong>n „Antisemitismus“ zum Programm erhoben <strong>und</strong> vor allem im oberhessischenRaum überwältigen<strong>de</strong> Wahlergebnisse verzeichnen konnten. An <strong>de</strong>r Spitze dieser Bewegungstand zunächst <strong>de</strong>r Marburger „Volksliedforscher“ Otto Böckel.E<strong>in</strong>e Hochburg <strong>de</strong>s politischen Antisemitismus im nördlichen Kreis Gießen war Allendorf,doch auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n fand er schnell Zuspruch unter <strong>de</strong>r bäuerlichen Bevölkerung.Wie Perlen entlang e<strong>in</strong>er Schnur, so reihten sich die antisemitisch geprägten Dorfschaftenentlang <strong>de</strong>r Lumda: Lollar, Staufenberg, Ma<strong>in</strong>zlar — m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens <strong>in</strong> Treis sche<strong>in</strong>t essogar e<strong>in</strong>en antisemitischen Ortsvere<strong>in</strong> gegeben zu haben 34 —, Allendorf, Londorf ... 35 Nochdie Nationalsozialisten Gießen zitierten mit Stolz das antisemitische Selbstlob <strong>de</strong>r 1880er Jahre:„Soweit die Lumda spr<strong>in</strong>gt, ist alles Böckel.“[Schmahl 1933a, zit. S. 62] In Ma<strong>in</strong>zlar erlangtendie Antisemiten <strong>in</strong> Reichstagswahlen bis zum Ersten Weltkrieg Dreiviertel <strong>de</strong>r abgegebenenStimmen.Noch heute er<strong>in</strong>nern sich ältere Bürger aus Ma<strong>in</strong>zlar, daß sie als K<strong>in</strong><strong>de</strong>r kurz vor <strong>und</strong> nach<strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg ohne zu wissen was sie taten — die Ju<strong>de</strong>n im Ort mit antisemitischen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rreimenneckten. Das „Beckelches“, e<strong>in</strong> antisemitisches K<strong>in</strong><strong>de</strong>rspiel, wur<strong>de</strong> noch während <strong>de</strong>rWeimarer Republik gerne durch die Gassen <strong>de</strong>r Dörfer <strong>de</strong>s Lumdatals getragen. 36 Der Name <strong>de</strong>sselbsternannten oberhessischen „Bauernkönigs“ <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>nfe<strong>in</strong>ds prangte auf Zigarettenpackungen,Böckelpfeifen <strong>und</strong> Böckelna<strong>de</strong>ln[Schmahl 1933a, S. 23, 49].Aktivitäten wie die <strong>de</strong>s „Vere<strong>in</strong>s zur Abwehr <strong>de</strong>s Antisemitismus“, <strong>de</strong>r im Mai 1892 bei-34 StdtA Stfbg., Best. Treis, A 122135 Nach Schmahl [Schmahl 1933a, S. 83] betonte sogar das Gießener Kreisamt das beson<strong>de</strong>re Schwergewicht <strong>de</strong>spolitischen Antisemitismus im nördlichen Kreis Gießen, d.h. im Lumdatal. Hervorgehoben wer<strong>de</strong>n vor allemdie Orte Treis <strong>und</strong> Allendorf/Lda..36 „Selbst K<strong>in</strong><strong>de</strong>rspiele erzeugte die Bewegung, die ’Böckelches’ genannt wur<strong>de</strong>n.“ [Schmahl 1933a, zit. S. 62]36

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