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Die Typen der Meditation in China - mathias-zdarsky.de

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1<br />

<strong>Die</strong> <strong>Typen</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

ERWIN ROUSSELLE<br />

Aus:<br />

Ch<strong>in</strong>esisch-Deutscher Almanach 1932<br />

Herausgegeben <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung <strong><strong>de</strong>r</strong> Freun<strong>de</strong> ostasiatischer<br />

Kunst Köln<br />

vom Ch<strong>in</strong>a-Institut Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

I. EINFÜHRUNG<br />

Dem FAUST, <strong><strong>de</strong>r</strong> zu <strong>de</strong>n Müttern h<strong>in</strong>absteigt, ruft MEPHISTO zu:<br />

"Vers<strong>in</strong>ke <strong>de</strong>nn! ich könnt auch sagen: steige!"<br />

Mit Recht! Denn wenn wir diese Szene <strong>in</strong> psychologischer Auslegung<br />

als e<strong>in</strong>en Gang <strong>in</strong> die Tiefe <strong><strong>de</strong>r</strong> eignen Seele - wo wir <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>n von<br />

Welt und Leben am nächsten s<strong>in</strong>d - ansehen, da wird aller Raum - wie<br />

alle Zeit - wesenlos <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Schau, die sich <strong>de</strong>m Geiste eröffnet und die<br />

die Tiefe <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele mit <strong>de</strong>n Höhen <strong>de</strong>s Metaphysischen verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t.<br />

Wenn schon PLATON <strong>de</strong>m Menschen e<strong>in</strong>e "Anamnesis" zuschreibt, e<strong>in</strong><br />

angeborenes "Gedächtnis", e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> ihm ruhen<strong>de</strong> Er<strong>in</strong>nerung an <strong>de</strong>n i-<br />

<strong>de</strong>alen Weltengrund – e<strong>in</strong> Gedanke, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> die SCHOLASTIK <strong>de</strong>s Mittelal-<br />

ters übergegangen ist – wenn die MAHAYANA-BUDDHISTEN <strong>de</strong>m Men-<br />

schen <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>m universalen kosmischen "Schatzhaus-<br />

Bewusstse<strong>in</strong>" beilegen, so wird damit zugleich an psychologische Er-<br />

kenntnisse über e<strong>in</strong> <strong>in</strong> uns ruhen<strong>de</strong>s über<strong>in</strong>dividuelles, kollektives<br />

Erbgedächtnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit, ja <strong>de</strong>s Lebens 1 gerührt, die uns teil-<br />

1 In dieser Erberfahrung berührt sich das Kosmische mit <strong>de</strong>m Metaphysischen.


2<br />

weise erklären, e<strong>in</strong>erseits aus welchen Tiefen im genialen Menschen<br />

erleuchtete Schau aufsteigt und wozu an<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits die <strong>Meditation</strong><br />

taugt.<br />

Denn die <strong>Meditation</strong> will eben nichts an<strong><strong>de</strong>r</strong>es als <strong>de</strong>n Weg im<br />

Menschen frei machen zu genialer Erkenntnis durch Verb<strong>in</strong>dung<br />

<strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s mit jenem von zeitloser Erfahrung<br />

und Weisheit erfüllten kosmischen "Schatzhaus".<br />

<strong>Die</strong> hier ruhen<strong>de</strong>n angeborenen Urbil<strong><strong>de</strong>r</strong> aber s<strong>in</strong>d uns die Organe,<br />

mit <strong>de</strong>nen wir - gewissermaßen apriori - <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n von Welt und Leben<br />

erfassen. Tritt das so Erfasste <strong>in</strong> solch rezeptivem und zugleich schöp-<br />

ferischem Zustan<strong>de</strong> <strong>in</strong> das verstehen<strong>de</strong> Bewusstse<strong>in</strong>, so wird dieses<br />

mit e<strong>in</strong>em ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>en tiefen Lichte und e<strong>in</strong>er Wärme erfüllt, die wir<br />

als Weisheit o<strong><strong>de</strong>r</strong> als Erleuchtung bezeichnen.<br />

In diesem Wissen um die D<strong>in</strong>ge steckt e<strong>in</strong> Stück genialer, o<strong><strong>de</strong>r</strong> sagen<br />

wir - vielleicht e<strong>in</strong>seitiger, aber schärfer - mystischer Psychologie.<br />

Der tief rauschen<strong>de</strong> Strom dieser mystischen Erfahrung und<br />

Tiefsicht begleitet die Entwicklung aller Religionen <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong>.<br />

Und das Merkwürdige, aber Verständliche ist, dass sie alle <strong>in</strong> ihren<br />

mystischen Richtungen mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger behaupten, dass je<strong>de</strong>m<br />

Menschen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zugang, wenn auch nicht die Höhe eben jener genialen<br />

Wesensschau möglich sei, sei es, dass er durch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiges Cha-<br />

risma hierzu geführt wird, sei es, dass er durch die Schule <strong><strong>de</strong>r</strong> Medita-<br />

tion als <strong><strong>de</strong>r</strong> höchsten geistlichen Kunst gegangen ist.<br />

Also liegt gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Fähigkeit zu jenem ursprünglichen<br />

und <strong>in</strong>tuitiven Erfassen <strong><strong>de</strong>r</strong> alle<strong>in</strong> mögliche Ausgangspunkt<br />

späterer Weisheit, nicht aber <strong>in</strong> re<strong>in</strong> verstan<strong>de</strong>smäßiger Ana-<br />

Natürlich reicht das Psychologische nicht zur Erklärung <strong>de</strong>s letzteren aus, aber es<br />

macht uns das Metaphysische <strong>in</strong> gewisser Beziehung fassbar.


lyse.<br />

Lächelnd und zugleich ernst mahnend sagt LAU DSI (O<strong>de</strong> 81):<br />

" Weiser ist ungelehrt,<br />

Gelehrter ist unweise. "<br />

3<br />

Ist es nicht so, dass wir Abendlän<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> neueren Entwicklung die<br />

Wissenschaft als unsere Domäne, ja als Kennzeichen unseres Geistes<br />

ausgebil<strong>de</strong>t haben, <strong><strong>de</strong>r</strong> Osten aber bis <strong>in</strong> unsere Tage e<strong>in</strong>e Heimstätte<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Weisheit gewesen ist?<br />

Und ist nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Weise doch zugleich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unendlich tieferen S<strong>in</strong>n<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Wissen<strong>de</strong>?<br />

Ersche<strong>in</strong>en nicht untergöttlicher Titanens<strong>in</strong>n und Tragik <strong>de</strong>s selbstbe-<br />

wussten westlichen Menschen von e<strong>in</strong>er höheren, allumfassen<strong>de</strong>n<br />

Warte aus letztlich unwesentlich, als fehlleitend o<strong><strong>de</strong>r</strong> vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gründig?<br />

Und doch hat es auch bei uns im Westen zu allen Zeiten - meist im<br />

Schutze <strong><strong>de</strong>r</strong> Religionen - wahre Weisheit gegeben.<br />

Und so kann uns <strong>de</strong>nn Beschäftigung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Weisheit und<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>serfahrung CHINAS - und nur das kann <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

menschliche S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er solchen Beschäftigung se<strong>in</strong>! - vielleicht<br />

dazu führen, die Tiefen unserer abendländischen<br />

Menschlichkeit besser zu verstehen. und uns wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu <strong>de</strong>n<br />

Quellen unserer Weisheit leiten.<br />

<strong>Die</strong> Be<strong>de</strong>utsamkeit solcher Weisheit wird uns erst recht e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich,<br />

wenn wir uns vor Augen führen, dass das Leben <strong>in</strong> solcher Tiefen-<br />

schau o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr von ihr her notwendigerweise e<strong>in</strong> neues seeli-<br />

sches Gefälle verursacht, e<strong>in</strong>e völlige Verwandlung <strong>de</strong>s Menschen, die<br />

im wesentlichen als das Wer<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>er neuen sittlichen Persönlichkeit<br />

ihren Ausdruck f<strong>in</strong><strong>de</strong>t.


4<br />

Daher lehrt <strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> BUDDHISMUS auch ganz richtig. Dass die Meditati-<br />

on - diese immer als <strong><strong>de</strong>r</strong> Weg zu jener genialen Stufe betrachtet -<br />

zwei D<strong>in</strong>ge erreichen lasse:<br />

1. Wesensschau o<strong><strong>de</strong>r</strong> Tiefsicht (sanskrit: vipasyana, ch<strong>in</strong>esisch:<br />

Guan) und<br />

2. beruhigen<strong>de</strong>n Ausgleich <strong>de</strong>s e<strong>in</strong>bezogenen Trieblebens<br />

(sanskrit: samatha, ch<strong>in</strong>esisch: Dschi).<br />

Ohne hier nun näher auf die Stufenfolge <strong>de</strong>s Weges e<strong>in</strong>er solchen<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>zugehen<br />

• die sowohl e<strong>in</strong> Gang über die Innenwelt<br />

• wie über die Außenwelt se<strong>in</strong> kann,<br />

sei hier vorweg bemerkt, dass <strong><strong>de</strong>r</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich <strong>de</strong>m Ziele nähert, nicht zu<br />

e<strong>in</strong>er statischen Größe <strong>de</strong>s Weltgeschehens gelangt, was ihn selber zu<br />

e<strong>in</strong>er Passivität abdrängen könnte,<br />

• son<strong><strong>de</strong>r</strong>n zu e<strong>in</strong>er dynamischen Ordnung o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr e<strong>in</strong>em<br />

Ordnen<strong>de</strong>n, das semper agens, semper quietus ist - wenn<br />

dieser Ausdruck hier gebraucht wer<strong>de</strong>n darf -, ch<strong>in</strong>esisch gesprochen<br />

zum Tao, buddhistisch gesprochen zum Dharma.<br />

Erhaben über Tun und Lassen (ch<strong>in</strong>. über Yu We und Wu We), über<br />

Gewirktes und Ungewirktes (sa. samskrta und asamskrta), nach<strong>de</strong>m<br />

die Versickerung <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele <strong>in</strong> die S<strong>in</strong>neserfahrungen (sa. asrava, ch<strong>in</strong>.<br />

Lou) zum Stillstand gekommen ist, schw<strong>in</strong>gt <strong><strong>de</strong>r</strong> Befreite im ureigenen<br />

<strong>in</strong>neren Rhythmus <strong>de</strong>s Tao, <strong>de</strong>s Dharma.<br />

• Denn mit diesem ist er e<strong>in</strong>s o<strong><strong>de</strong>r</strong> wenigstens willensgleich<br />

gewor<strong>de</strong>n.<br />

Betrachten wir nun kurz, was die verschie<strong>de</strong>nen Religionen CHINAS ü-<br />

ber die <strong>Meditation</strong> als Mittel zum Sich öffnen <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen typi-<br />

schen Ausprägungen zu sagen haben.


II. KONFUZIANISMUS UND MEDITATION<br />

5<br />

Der KONFUZIANISMUS br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> meditativer H<strong>in</strong>sicht, obwohl zutiefst <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Tao verankert, am wenigsten Aufschlüsse. Ke<strong>in</strong> Wun<strong><strong>de</strong>r</strong>!<br />

• Ist doch die Blickrichtung <strong><strong>de</strong>r</strong> ihn tragen<strong>de</strong>n "Literaten"-<br />

Schicht wesentlich <strong>de</strong>n mehr praktischen Problemen, wie <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

ethischen Ges<strong>in</strong>nung, <strong><strong>de</strong>r</strong> Familien- und Staatsmoral, zugewandt.<br />

• Ist doch das tatsächliche I<strong>de</strong>al <strong><strong>de</strong>r</strong> Betätigung <strong>de</strong>s konfuzianischen<br />

Edlen immer <strong><strong>de</strong>r</strong> Beamte - mit se<strong>in</strong>en gewiss hohen<br />

Aufgaben und se<strong>in</strong>er großen Verantwortung - gewesen.<br />

Aber e<strong>in</strong>e durch Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>te entwickelte, überlieferte und durchge-<br />

bil<strong>de</strong>te psychologische Erfahrung kann man diesem sonst vielfach so<br />

tüchtigen Stan<strong>de</strong> nicht nachrühmen. Spezialisten auf diesem Gebiet<br />

s<strong>in</strong>d überall zunächst e<strong>in</strong>mal die Priesterkasten, die mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Seelenlei-<br />

tung ihres Nachwuchses o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Laienwelt betraut s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong>e solche psychologische Überlieferung besaß eigentlich nur<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> buddhistische Klerus, dann aber auch die taoistischen Eremitengeme<strong>in</strong>schaften<br />

und die Klöster.<br />

Damit soll jedoch <strong>de</strong>m KONFUZIANISMUS nicht abgestritten wer<strong>de</strong>n, dass<br />

auch <strong>in</strong> ihm von vornhere<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> be<strong>de</strong>utsame Zug zur <strong>in</strong>nerlichen Um-<br />

wandlung <strong>de</strong>s Seelenlebens, wenn auch mehr ethischer Art, angelegt<br />

ist.<br />

Sagt doch schon DSENG DSI, e<strong>in</strong> Schüler <strong>de</strong>s KONFUZIUS (Lun<br />

Yü I, 4):<br />

"Täglich prüfe ich mich selbst dreifach: War ich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Tätigkeit<br />

für an<strong><strong>de</strong>r</strong>e nicht treu? War ich im Verkehr mit Freun<strong>de</strong>n<br />

nicht zuverlässig? Habe ich bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Überlieferung (<strong><strong>de</strong>r</strong> Lehre<br />

sie selber) nicht ausgeübt?"<br />

Sicherlich ist <strong>in</strong> dieser Art täglicher "Gewissenserforschung" Bewusst-


6<br />

heit und Wille, durch Bes<strong>in</strong>nlichkeit die Verwandlung und Vere<strong>de</strong>lung<br />

<strong>de</strong>s Charakters irgendwie zu ermöglichen. Wie sollte auch nicht <strong>in</strong> ei-<br />

ner Lebensanschauung, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s "Edlen" zum erstenmal<br />

<strong>de</strong>m Individualismus Ausdruck und A<strong>de</strong>l verleiht, eben das Individuum<br />

se<strong>in</strong>er selbst bewusst se<strong>in</strong> und von da aus zu e<strong>in</strong>er methodischen<br />

"self-control" kommen? Aber ebenso sicher kann hier von e<strong>in</strong>er Medi-<br />

tation im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er hohen psychologischen Kunst noch ke<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong><br />

se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Verfe<strong>in</strong>erung <strong><strong>de</strong>r</strong> Metho<strong>de</strong>n ist Sache <strong><strong>de</strong>r</strong> Spezialisten,<br />

und als solche auf <strong>de</strong>m Gebiet seelischer Vorgänge und ihrer<br />

eventuellen Zusammenhänge müssen wir die TAOISTEN und<br />

BUDDHISTEN ansehen.<br />

Bei <strong><strong>de</strong>r</strong> überwältigen<strong>de</strong>n Rolle im Geistesleben, die diese bei<strong>de</strong>n Rich-<br />

tungen nache<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung<br />

spielten, ist ihr E<strong>in</strong>fluss auch auf be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> KONFUZIANER nicht weiter<br />

verwun<strong><strong>de</strong>r</strong>lich. Der Raum ist hier zu kurz, um auf die mancherlei<br />

Mischgebil<strong>de</strong> und das <strong>in</strong>teressante H<strong>in</strong> und Her <strong><strong>de</strong>r</strong> kaiserlichen<br />

Staatspolitik zwischen <strong>de</strong>n rivalisieren<strong>de</strong>n Religionen e<strong>in</strong>zugehen.<br />

Entschei<strong>de</strong>nd für uns ist jedoch, wie sich die neukonfuzianische<br />

Scholastik <strong><strong>de</strong>r</strong> SUNG-ZEIT, die ihrem Meister erst endgültig<br />

die beherrschen<strong>de</strong> Stellung im Geistesleben gegeben hat,<br />

zur <strong>Meditation</strong> stellt.<br />

DSCHOU DUN-I (1017-1073), e<strong>in</strong>er <strong><strong>de</strong>r</strong> Väter <strong>de</strong>s NEUKONFUZIANISMUS,<br />

erklärt (Dschou Dsi Tung Schu, Scheng Hüo) auf die Frage, ob man<br />

die Heiligkeit erlernen könne:<br />

"Man kann es".<br />

Gefragt, ob es da etwas Wichtiges zu beachten gebe, erwi<strong><strong>de</strong>r</strong>t er: Ja,


7<br />

und dies Wichtige sei Sammlung. Sammlung aber sei Wunschlosig-<br />

keit.<br />

"Ist man wunschlos, dann ist man still und leer, und die Seelenbewegung<br />

ist recht.<br />

Ist man still und leer, dann wird man klar.<br />

Ist man klar, dann durchschaut man.<br />

Ist das Durchschauen recht, dann ist man sozial.<br />

Ist man sozial, dann ist man auch universal!<br />

Klarheit, Bewegtheit, Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n, Universalität, das ist es !"<br />

In <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahl <strong><strong>de</strong>r</strong> Worte "still" (Ds<strong>in</strong>g) und "leer" (Hü) dürfen wir wohl<br />

vorzüglich buddhistische und taoistische Term<strong>in</strong>ologie sehen. Freilich,<br />

ob mit diesem Stillse<strong>in</strong> (Ds<strong>in</strong>g) auch schon die <strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong><br />

gleich zu Anfang erfor<strong><strong>de</strong>r</strong>liche Ruhe o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stille geme<strong>in</strong>t ist, bleibe da-<br />

h<strong>in</strong>gestellt. Je<strong>de</strong>nfalls ist das "Stillesitzen" (Ds<strong>in</strong>g Dso) im S<strong>in</strong>ne medi-<br />

tativer Erlebnisse bei se<strong>in</strong>en großen Schülern und Nachfolgern be-<br />

kannt.<br />

YANG SCHI (1053-1135), e<strong>in</strong> Schüler <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Brü<strong><strong>de</strong>r</strong> TSCHENG, die<br />

ihrerseits Jünger <strong>de</strong>s erwähnten DSCHOU DUN-I waren, besuchte e<strong>in</strong>es<br />

Tages - so erzählt uns se<strong>in</strong>e Biographie - zusammen mit YU DSO <strong>de</strong>n<br />

Meister TSCHENG I (1033-1107). Sie treffen ihn, wie er völlig im "Stille-<br />

Sitzen" versunken ist. <strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n wagen nicht, se<strong>in</strong>e Schau zu stören,<br />

und bleiben ganz ruhig stehen. Als TSCHENG I wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu sich gekom-<br />

men ist, die bei<strong>de</strong>n begrüßt und - sich entschuldigend gleich wie<strong><strong>de</strong>r</strong> -<br />

entlassen hat, liegt <strong><strong>de</strong>r</strong> -Schnee vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Tür drei Ellen hoch! So lange<br />

hatte also die Versunkenheit gedauert, soweit die bei<strong>de</strong>n Schüler ihre<br />

Zeugen gewesen waren.<br />

Wir wissen auch, dass YANG SCHI und die bei<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Meisterge-<br />

nerationen LO TSUNG-YEN (1072-1135) und LI TUNG (1088-1158) die


<strong>Meditation</strong> geübt und sie ihren Schülern gelehrt haben.<br />

8<br />

DSCHU HI (1130-1200) nun, <strong><strong>de</strong>r</strong> Fürst <strong><strong>de</strong>r</strong> konfuzianischen Scholastik,<br />

wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>es Tages darüber befragt, ob er <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>smetho<strong>de</strong><br />

se<strong>in</strong>es Lehrers LI TUNG beipflichte. Er antwortete darauf, das sei<br />

schwer zu sagen.<br />

• Wenn man die <strong>Meditation</strong> dazu benutze, um die Wahrheit<br />

(Dau Li) zu erreichen, so sei er nicht dagegen.<br />

• Er verwerfe aber, was die meisten als <strong>Meditation</strong> praktizierten;<br />

<strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Meditation</strong> sei durch <strong>de</strong>n Wunsch veranlasst,<br />

sich von <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeit zu drücken.<br />

Hiermit spielt <strong><strong>de</strong>r</strong> große Hasser <strong>de</strong>s BUDDHISMUS wohl auf die buddhis-<br />

tischen Mönche an, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Dase<strong>in</strong>ss<strong>in</strong>n er nie verstan<strong>de</strong>n hat. Er wen-<br />

<strong>de</strong>t sich daher mehrfach gegen <strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Meditation</strong>stechnik. So schreibt<br />

er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an LIU DSI- YÜO:<br />

"Für e<strong>in</strong>en BUDDHISTEN ist die (metaphysische) Leerheit das<br />

Wichtigste, dagegen für uns KONFUZIANER gera<strong>de</strong> das Reale<br />

(die Ersche<strong>in</strong>ung), und zwar erkennt man Freu<strong>de</strong>, Zorn,<br />

Trauer und Glück schon vor ihrem wirklichen Bewusstwer<strong>de</strong>n."<br />

An e<strong>in</strong>er an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Stelle sagt er,<br />

• das "Stille-Sitzen" (Ds<strong>in</strong>g Dso) habe nicht <strong>de</strong>n Zweck wie<br />

(notabene angeblich) die buddhistische <strong>Meditation</strong>, nämlich<br />

Gedanken und Sorgen absolut auszuschei<strong>de</strong>n,<br />

• son<strong><strong>de</strong>r</strong>n lediglich <strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Sammlung, damit die Gedanken<br />

nicht auf unnötige und falsche Bahnen geraten.<br />

• So wird die Seele re<strong>in</strong> und ruhig, sie kann sich sammeln und<br />

ist dann im Stan<strong>de</strong>, sich richtig zu entschei<strong>de</strong>n.<br />

DSCHU HI zitiert <strong>de</strong>n Satz aus <strong>de</strong>m Anfang <strong><strong>de</strong>r</strong> "Höheren Ausbildung"<br />

(Da Hüo):<br />

"Kennt man das Ziel (Dschi), so hat man Festigung (D<strong>in</strong>g);


ist man gefestigt, dann kann man still (Ds<strong>in</strong>g) se<strong>in</strong>;<br />

ist man still, so vermag man voll Frie<strong>de</strong>n (An) zu se<strong>in</strong>;<br />

ist man voll Frie<strong>de</strong>n, so vermag man nachzu<strong>de</strong>nken;<br />

durch Nach<strong>de</strong>nken erreicht man (das Ziel)."<br />

9<br />

In diesen uralten Sätzen kommen die Begriffe vor, die später im<br />

BUDDHISMUS und im TAOISMUS Fachausdrücke <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>stechnik<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

• So bezeichnet "Dschi" nicht e<strong>in</strong>fach „Haltmachen, Grenze,<br />

Ziel", son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die "Beruhigung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lei<strong>de</strong>nschaften" (sa. samatha),<br />

• "D<strong>in</strong>g" nicht Festigung, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Versenkung (sa. samadhi)<br />

und <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e vorstellungsmäßige Verlegung <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s<br />

<strong>in</strong> das Lebenszentrum (Sonnengeflecht) - vergleiche<br />

im <strong>in</strong>dischen YOGA dharana,<br />

• und "Ds<strong>in</strong>g" nicht e<strong>in</strong>fach Ruhe o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stille - also Freise<strong>in</strong> von<br />

Störung -, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n gera<strong>de</strong>zu Versenkungsstufe o<strong><strong>de</strong>r</strong> meditativer<br />

Zustand (sa. dhyana),<br />

• "An" aber nicht nur Frie<strong>de</strong>, Festigkeit, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n jenen rezeptiven<br />

und zugleich schöpferischen Frie<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

alle<strong>in</strong> spontan die tieferen Kräfte wirken können (sa. sthairya).<br />

•<br />

<strong>Die</strong> drei Worte D<strong>in</strong>g, Ds<strong>in</strong>g, An s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> taoistischen Kreisen e<strong>in</strong>e fest-<br />

stehen<strong>de</strong> Formel für <strong>de</strong>n Versenkungsablauf zu Beg<strong>in</strong>n je<strong><strong>de</strong>r</strong> Meditati-<br />

on.<br />

1. Man verlegt vorstellungsmäßig se<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> zwecks<br />

Ausschaltung alles stören<strong>de</strong>n Gedankenspiels <strong>in</strong> das Lebenszentrum<br />

(etwa Sonnengeflecht). Das ist noch e<strong>in</strong> Willensakt:<br />

"D<strong>in</strong>g", die Fixierung <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s.<br />

2. Darauf erreicht man e<strong>in</strong>en Zustand völliger Ruhe und Stille.<br />

Alle stören<strong>de</strong>n Gemütsbewegungen und alle Vorstellungen<br />

s<strong>in</strong>d ausgeschaltet. Das ist "Ds<strong>in</strong>g", die Ruhe.<br />

3. Darauf wird man, ohne dass man etwas will, von e<strong>in</strong>em Zustand<br />

e<strong>in</strong>es erwartungsvollen und zugleich seligen Frie<strong>de</strong>ns<br />

erfüllt. Man braucht sich nicht mehr um die Fixierung und


10<br />

Aufrechterhaltung <strong><strong>de</strong>r</strong> Ruhe zu bemühen, man ist versunken,<br />

h<strong>in</strong>gegeben und auf diese Weise bereit, aufsteigen<strong>de</strong><br />

geniale Erkenntnisse zu erleben und bisher unbewusste o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

unbekannte D<strong>in</strong>ge und Vorgänge zu spüren. Sie treten spontan<br />

<strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>. Man ist also nicht <strong>in</strong> Konzentration (willentlicher<br />

Anspannung) befangen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n frei, gelöst und<br />

doch gesammelt, nämlich durch "Kontention" (unwillentliche<br />

Gespanntheit). Das ist <strong><strong>de</strong>r</strong> schöpferische Zustand.<br />

DSCHU HI ist sich offenbar sehr wohl bewusst, dass die psychischen Ei-<br />

genschaften, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>m zitierten Spruch vorkommen, gera<strong>de</strong> Eigen-<br />

schaften <strong>de</strong>s <strong>Meditation</strong>svorgangs s<strong>in</strong>d und von an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Richtungen<br />

so ausgelegt wer<strong>de</strong>n. Er schätzt diese Seelenlagen hoch e<strong>in</strong>, aber e<strong>in</strong>e<br />

Kunstlehre, e<strong>in</strong>e systematische Bearbeitung <strong><strong>de</strong>r</strong> Methodik <strong><strong>de</strong>r</strong> Medita-<br />

tion (wie auf se<strong>in</strong>en an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Arbeitsgebieten) hat er nicht geschaffen.<br />

Auch als später manche hervorragen<strong>de</strong>n KONFUZIANER vom Ausgang<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> SUNG-ZEIT bis zur MING-ZEIT zum BUDDHISMUS und zum mystischen<br />

Subjektivismus neigten, "mehr meditierten als studierten" - um e<strong>in</strong>en<br />

Ausdruck von WIEGER zu gebrauchen -,<br />

• hat die konfuzianische Schule <strong>de</strong>n Wert <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong><br />

zwar wohl erkannt, aber nie e<strong>in</strong>e eigene konfuzianische<br />

Systematik <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung, ke<strong>in</strong>e eigne Methodik geschaffen.<br />

Man kann wohl sagen, dass jener gehobene meditative Zustand, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

zugleich voll Frie<strong>de</strong>n und zugleich voll Überwachheit ist, als fruchtbare<br />

Basis <strong><strong>de</strong>r</strong> Wesensschau und Charakterpflege für <strong>de</strong>n Weisen und Edlen<br />

gewürdigt und geübt wur<strong>de</strong>, dies aber <strong>de</strong>n KONFUZIANERN genügte.<br />

Sie haben sich gescheut vor <strong><strong>de</strong>r</strong> ungeheuerlichen Mystik <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

TAOISTEN und BUDDHISTEN mit ihrem Zug, <strong>in</strong>s Unbetretene,<br />

nicht zu Betreten<strong>de</strong> e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und von da aus Himmel und<br />

Er<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n Angeln zu heben, um so selber völlig <strong>in</strong>s Letzte


<strong>de</strong>s Universums e<strong>in</strong>zugehen.<br />

III. VOM BOGENSCHIESSEN<br />

11<br />

E<strong>in</strong> ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>es Gebiet, auf <strong>de</strong>m sich <strong><strong>de</strong>r</strong> meditative Zustand e<strong>in</strong>-<br />

gebürgert hat, s<strong>in</strong>d die Künste, die dadurch e<strong>in</strong>e Vergeistigung und<br />

Ver<strong>in</strong>nerlichung ohnegleichen erfahren haben. Bekannt ist, dass die<br />

Herstellung jener schöpferischen Haltung, unter Verwendung <strong>de</strong>s<br />

Weihrauchopfers, für viele Künste zeitweise gepflegt wur<strong>de</strong>. So ist das<br />

Spielen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zither (ch<strong>in</strong>. K<strong>in</strong>) gera<strong>de</strong>zu e<strong>in</strong> sakraler Akt. Mit feierli-<br />

chem Zeremoniell, <strong>in</strong> beson<strong><strong>de</strong>r</strong>em Ornat wird das K<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>n Tisch<br />

gestellt, Weihrauch verbrannt und jener e<strong>in</strong>e Zustand <strong><strong>de</strong>r</strong> Gesam-<br />

meltheit hergestellt, aus <strong>de</strong>m heraus alle<strong>in</strong> die gera<strong>de</strong>zu kosmische<br />

Wirkung <strong>de</strong>s Zitherspiels erreicht wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Aber auch alle Künste, die <strong>in</strong> EUROPA nur als Sport bekannt<br />

s<strong>in</strong>d, unterliegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>.<br />

Da ist vor allem die Kunst <strong>de</strong>s Bogenschießens zu nennen, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Ed-<br />

le zu erlernen hat.<br />

Schon im Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Riten (Li Gi, Kap. 43) f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir e<strong>in</strong>e geistige<br />

Durchdr<strong>in</strong>gung <strong>de</strong>s Bogenschießens, die es aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Ebene <strong>de</strong>s re<strong>in</strong><br />

Technischen gera<strong>de</strong>zu zu e<strong>in</strong>er feierlichen Handlung erhebt und e<strong>in</strong>e<br />

Beziehung zwischen sittlicher Haltung und Schießkunst herstellt.<br />

<strong>Die</strong> Rangordnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gäste wird beobachtet, die Bewegungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Schützen gehen nach <strong>de</strong>n Regeln <strong><strong>de</strong>r</strong> Sitte vor sich, die sorgfältige<br />

und fest zugreifen<strong>de</strong> Handhabung von Bogen und Pfeilen gestattete<br />

nach diesem Buche Rückschlüsse auf die sittliche Tüchtigkeit und <strong>de</strong>n<br />

Lebenswan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Schützen.<br />

"Das Bogenschießen war das Tao <strong><strong>de</strong>r</strong> Humanität. Man er-


12<br />

strebte die Geradheit im eigenen Innern. War man selbst gera<strong>de</strong>,<br />

dann konnte man schießen. Verfehlte man beim Schießen<br />

das Ziel, so zeigte man sich nicht zornig gegenüber <strong>de</strong>m,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>em überlegen war. Prüfend suchte man <strong>in</strong> sich selbst<br />

(<strong>de</strong>n Fehler) und nicht sonst wo. KONFUZIUS sprach (Lun Yü<br />

HI, 7): Der Edle hat nichts, worum er kämpfen wür<strong>de</strong>; o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

etwa beim Bogenschießen? (Vor <strong>de</strong>m Schuss) lässt er grüßend<br />

<strong>de</strong>n Vortritt und steigt (auf die Schießbahn) h<strong>in</strong>auf.<br />

(Nach <strong>de</strong>m Schuss) kommt er herunter und tr<strong>in</strong>kt (<strong>de</strong>n Siegesbecher).<br />

Auch im Kampf ist er e<strong>in</strong> Edler. " 2<br />

LIE DSI erzählt uns (II, 5), dass e<strong>in</strong> Meister <strong>de</strong>s Bogenschießens e<strong>in</strong>em<br />

Meister <strong>de</strong>s Tao se<strong>in</strong>e Kunst vorführt. Er hält <strong>de</strong>n Bogen so fest und<br />

ruhig gespannt, dass beim Abschuss e<strong>in</strong> auf die Faust gestellter Be-<br />

cher Wasser ke<strong>in</strong>en Tropfen verliert. Aber <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister <strong>de</strong>s Tao sagt:<br />

"Das ist Schießen <strong>de</strong>s Schießens, nicht Schießen <strong>de</strong>s<br />

Nichtschießens!"<br />

Er führt <strong>de</strong>n Schützen auf e<strong>in</strong>en hohen Berg an e<strong>in</strong>en hun<strong><strong>de</strong>r</strong>t Klafter<br />

tiefen Abgrund und stellt sich selbst so an die Kante, dass zwei Drittel<br />

se<strong>in</strong>er Fußsohlen <strong>in</strong> die leere Luft ragen. Nun for<strong><strong>de</strong>r</strong>t er <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

auf, es ihm gleichzutun. Der aber kann es nicht, <strong><strong>de</strong>r</strong> Angstschweiß<br />

bricht ihm aus. Der Meister <strong>de</strong>s Tao belehrt ihn, dass er also ke<strong>in</strong><br />

vollkommener Schütze sei, <strong>de</strong>nn er sei noch äußeren E<strong>in</strong>drücken un-<br />

terworfen!<br />

Der Schütze kannte also noch nicht die völlige Versunkenheit<br />

<strong>in</strong> das Ziel, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> alle<strong>in</strong> heraus meisterhaft geschossen<br />

wird, o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr wo nicht geschossen wird, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Pfeil sich gewissermaßen von selbst löst und unfehlbar <strong>in</strong>s<br />

Schwarze trifft.<br />

2 Nach an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Auslegung (und <strong>in</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Betonung): "lässt er (<strong>de</strong>n Besiegten<br />

<strong>de</strong>n Strafbecher) tr<strong>in</strong>ken."


13<br />

Gar mannigfache Schulen dieser edlen Kunst hat es später <strong>in</strong> CHINA<br />

gegeben- vielfach mit taoistischem, aber auch mit buddhistischem<br />

E<strong>in</strong>schlag-, und das Wichtigste wird auch heute noch - übrigens wie <strong>in</strong><br />

INDIEN - nur als Geheimlehre überliefert.<br />

Der Knabe, <strong><strong>de</strong>r</strong> diese Kunst erlernen will, bekommt von se<strong>in</strong>em Lehrer<br />

ke<strong>in</strong>eswegs gleich Bogen und Pfeil <strong>in</strong> die Hand gedrückt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

muss zunächst e<strong>in</strong>mal lernen. sich geistig <strong>in</strong> das Ziel zu versenken.<br />

Der Lehrer setzt ihn auf e<strong>in</strong>en Hocker o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stuhl, lässt ihn e<strong>in</strong>e ruhige<br />

Haltung e<strong>in</strong>nehmen und hängt an die Wand, zwei, drei Schritt von<br />

<strong>de</strong>m Schüler entfernt, e<strong>in</strong>e rote (etwa zwei Zoll große) Scheibe auf<br />

weißem Papier. Der Schüler muss alle stören<strong>de</strong>n Gedanken ausschal-<br />

ten und nur die rote Scheibe, das Ziel, anblicken. Er fixiert se<strong>in</strong>en<br />

Geist dorth<strong>in</strong> und versenkt sich <strong>in</strong> völliger Ruhe und voll Seelenfrie<strong>de</strong>n<br />

<strong>in</strong> die Zielscheibe.<br />

Da ergreift ihn das Ziel, es kommt ihm so vor, als ob die<br />

Scheibe wüchse und größer wür<strong>de</strong>, so etwa bis zu <strong><strong>de</strong>r</strong> Größe,<br />

wie wir <strong>de</strong>n Mond wahrnehmen. Auch die Täuschung tritt e<strong>in</strong>,<br />

als ob die Zielscheibe auf ihn zukäme.<br />

Erst nach<strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong> Schüler diese geistige Versenkung längere Zeit ge-<br />

übt hat, auch die Entfernung zwischen Mensch und Ziel allmählich<br />

immer mehr vergrößert wor<strong>de</strong>n ist, lernt er die Handhabung von Bo-<br />

gen und Pfeil. Wer so das Ziel erlebt hat, <strong><strong>de</strong>r</strong> trifft auch, wenn er spä-<br />

ter zu Bogen und Pfeil greifen darf, unfehlbar, und zwar ohne Zielen,<br />

<strong>in</strong>s Zentrum. Aber es kommt eigentlich gar nicht darauf an, ob man<br />

wirklich das Ziel trifft - bei e<strong>in</strong>em Knaben reicht oft die Kraft nicht


14<br />

aus, <strong><strong>de</strong>r</strong> Pfeil fällt vorher zu Bo<strong>de</strong>n 3 ; als Mann wird er das Ziel schon<br />

erreichen! -, wichtig alle<strong>in</strong> ist die richtige Geisteshaltung, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> her-<br />

aus geschossen wird.<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich also gar nicht um etwas, was wir Sport nennen,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um e<strong>in</strong>e geistige Schulung.<br />

Erwähnt sei auch, dass die Haltung beim Schießen - <strong>in</strong> dieser Schul-<br />

richtung 4 - e<strong>in</strong>e eigentümliche ist: die Füße etwas vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> ent-<br />

fernt und parallel gestellt, die Knie fast im rechten W<strong>in</strong>kel gebeugt,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> l<strong>in</strong>ke Arm hält <strong>de</strong>n Bogen waagerecht, <strong><strong>de</strong>r</strong> rechte zieht <strong>de</strong>n Pfeil<br />

ab. <strong>Die</strong>se nicht e<strong>in</strong>fach zu erlernen<strong>de</strong> Haltung gibt <strong>de</strong>m Körper nicht<br />

nur, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele die Haltung e<strong>in</strong>er ganz ungeme<strong>in</strong>en Fes-<br />

tigkeit und Unerschütterlichkeit, ohne je<strong>de</strong> Verkrampfung.<br />

In an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Schulen <strong>de</strong>s Bogenschießens gibt es natürlich noch aller-<br />

hand Abwandlungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Metho<strong>de</strong> und <strong><strong>de</strong>r</strong> zu erleben<strong>de</strong>n Inhalte.<br />

Wird z. B. <strong><strong>de</strong>r</strong> Bogen senkrecht gehalten, so wird <strong>in</strong> aufrechter Hal-<br />

tung geschossen. In <strong>de</strong>n buddhistischen Kreisen wird das Ziel zugleich<br />

als die <strong>de</strong>m Weltall zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Buddha-Natur aufgefasst.<br />

Aber auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Schütze ist ja selber gleich BUDDHa. Bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>s.<br />

Der räumliche Abstand zwischen bei<strong>de</strong>n ist eigentlich Illusion, Illusion<br />

auch die Bewegung <strong>de</strong>s Pfeils. . . . . 5<br />

3<br />

Vergl. Lun Yü III, 16: Der Meister sprach: Beim Bogenschießen kommt es nicht<br />

darauf an, die Le<strong><strong>de</strong>r</strong>scheibe zu durchschießen, <strong>de</strong>nn die Kraft (<strong><strong>de</strong>r</strong> Menschen) ist<br />

verschie<strong>de</strong>n. So war wenigstens das Tao <strong>de</strong>s Altertums.<br />

4<br />

Nach mündlicher Mitteilung von Herrn Lektor W. Y. TING, Assistent am CHINA-<br />

INSTITUT.<br />

5<br />

In dieser geistig ungeme<strong>in</strong> vertieften Form ist das Bogenschießen auch beson-<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong>s nach JAPAN verpflanzt wor<strong>de</strong>n. So nach mündlicher Mitteilung von EUGEN HER-


15<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich also gar nicht um etwas "Sportliches", son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um ei-<br />

ne Ausbildung <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele. E<strong>in</strong> meditativ geschulter Schütze trifft mit<br />

Sicherheit <strong>in</strong>s Zentrum. Warum? Er zielt nicht mehr mit Absicht, mit<br />

Verkrampfung, auch ist er durch ke<strong>in</strong>erlei stören<strong>de</strong> Momente mehr zu<br />

bee<strong>in</strong>flussen, er schießt meditativ, spontan, d. h. hier reflexmäßig,<br />

ohne zielen zu müssen.<br />

IV. TAOISTISCHE MEDITATION<br />

Dem mystischen TAOISMUS lag die <strong>Meditation</strong> von se<strong>in</strong>em Wesen aus<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s, <strong>de</strong>sgleichen auch all die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Ratschläge zur Entwick-<br />

lung e<strong>in</strong>es Lebens auf e<strong>in</strong>em verfe<strong>in</strong>erten geistigen Niveau, so die<br />

Empfehlung <strong><strong>de</strong>r</strong> E<strong>in</strong>samkeit, <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Atemtechnik, die Luft-,<br />

Sonnen- und Mondbä<strong><strong>de</strong>r</strong>, die körperliche und seelische Diätetik usw.,<br />

kurz das, was man später (unter <strong>de</strong>m - auch sonst sehr starken - E<strong>in</strong>-<br />

fluss <strong>de</strong>s BUDDHISMUS) gern mit <strong>de</strong>m <strong>in</strong>dischen Worte YOGA (ch<strong>in</strong>. Yü<br />

Kia) bezeichnete.<br />

Es ist hier nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Ort, auf die Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen Meditati-<br />

onstechnik e<strong>in</strong>zugehen. Statt <strong>de</strong>ssen möchte ich mit kurzen Strichen<br />

e<strong>in</strong> Bild von <strong><strong>de</strong>r</strong> Eigenart e<strong>in</strong>es heutigen philosophischen Bun<strong>de</strong>s ge-<br />

ben, <strong><strong>de</strong>r</strong> die alte Mystik und die Technik <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er - <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Art - vollen<strong>de</strong>ten Weise lehrt 6 .<br />

Der Bund, <strong><strong>de</strong>r</strong> über ganz CHINA verbreitet ist, schart sich um e<strong>in</strong>en<br />

Meister, <strong><strong>de</strong>r</strong> das Charisma <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung und e<strong>in</strong>es hohen Se<strong>in</strong>s be-<br />

sitzt. In <strong>de</strong>m weiteren Kreise dieser Gesellschaft wird lediglich die phi-<br />

HERRIGEL, Professor <strong><strong>de</strong>r</strong> Philosophie <strong>in</strong> ERLANGEN, früher <strong>in</strong> SENDAI [JAPAN], e<strong>in</strong>em<br />

ausgezeichneten Kenner und Könner <strong>de</strong>s japanischen Bogenschießens.


16<br />

losophische Beschäftigung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Mystik gelehrt, <strong>de</strong>nn diese wird als<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kern aller Weltreligionen angesehen.<br />

In e<strong>in</strong>em engeren R<strong>in</strong>ge dagegen unterrichtet <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister persönlich<br />

se<strong>in</strong>e Schüler – e<strong>in</strong>zeln und <strong>in</strong>dividuell verschie<strong>de</strong>n - <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kunst <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Meditation</strong>. <strong>Die</strong> Tradition ist - wie <strong>in</strong> INDIEN - e<strong>in</strong>e von Geschlecht zu<br />

Geschlecht fortgepflanzte mündliche.<br />

<strong>Die</strong> Seelenleitung durch e<strong>in</strong>en erfahrenen Meister ist - wegen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> teilweisen seelischen Gefährlichkeit bestimmter <strong>Meditation</strong>en<br />

- unbed<strong>in</strong>gt notwendig.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong><strong>de</strong>r</strong> großen Religionen <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong> untere<strong>in</strong>-<br />

an<strong><strong>de</strong>r</strong> wird gelehrt, dass die sittlichen I<strong>de</strong>ale <strong>de</strong>s BUDDHISMUS und <strong>de</strong>s<br />

CHRISTENTUMS, wenn sie buchstäblich genommen wer<strong>de</strong>n, so hoch ge-<br />

griffen seien, dass sie <strong>in</strong> Wirklichkeit ke<strong>in</strong> Mensch erfüllen könne.<br />

<strong>Die</strong> menschliche Gesellschaft müsse nun als erstes von ihren<br />

Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n verlangen, dass sie wenigstens die menschlichen<br />

Beziehungen richtig regelten.<br />

<strong>Die</strong>s lehre am besten KONFUZIUS. Mit ihm müsse man also anfangen.<br />

Se<strong>in</strong> vornehmes, sittliches I<strong>de</strong>al vom Menschen, <strong><strong>de</strong>r</strong> "Edle", und se<strong>in</strong>e<br />

sozialethischen Lehren seien nicht so hoch gegriffen, dass man ihre<br />

Verwirklichung nicht von je<strong>de</strong>m Menschen verlangen könne.<br />

Freilich für e<strong>in</strong>e wahrhaft tiefe Gestaltung <strong>de</strong>s Innenlebens<br />

<strong>de</strong>s Menschen reiche <strong><strong>de</strong>r</strong> KONFUZIANISMUS nicht aus, da müsse<br />

man zu <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Meistern <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit weiterschreiten<br />

- BUDDHA, LAU DSI, MOHAMMED, CHRISTUS -, die alle von e<strong>in</strong>em<br />

mystischen Leben erfüllt gewesen seien.<br />

Als das Ziel <strong>de</strong>s Menschen wird die Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Urgrund <strong>de</strong>s<br />

6 E<strong>in</strong> Bund, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n se<strong>in</strong>erzeit RICHARD WILHELM und <strong><strong>de</strong>r</strong> Verfasser als e<strong>in</strong>zige EURO-<br />

PÄER aufgenommen wor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d.


17<br />

Weltgeschehens, <strong>de</strong>m "Großen Tao", das <strong>in</strong> beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er Beziehung mit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Gottheit e<strong>in</strong>s ist, angesehen. Der Weg hierzu ist die Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt.<br />

<strong>Die</strong>se wird <strong>de</strong>mjenigen Menschen zuteil, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich e<strong>in</strong>erseits<br />

durch <strong>Meditation</strong> die Empfängnis <strong>de</strong>s puer aeternus - <strong>de</strong>s ewigen<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>s - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innern erschließt und <strong><strong>de</strong>r</strong> zugleich<br />

charismatisch erwählt ist.<br />

<strong>Die</strong> Vorbed<strong>in</strong>gung <strong><strong>de</strong>r</strong> Zulassung zu <strong><strong>de</strong>r</strong> Seelenleitung durch <strong>de</strong>n Meis-<br />

ter ist die religiöse Haltung <strong>de</strong>s Glaubens o<strong><strong>de</strong>r</strong> Vertrauens (ch<strong>in</strong>. S<strong>in</strong>,<br />

vgl. die buddhistische sraddha) zu <strong>de</strong>n ewigen Mächten und zu <strong><strong>de</strong>r</strong> -<br />

durch die Jahrtausen<strong>de</strong> nur mündlich überlieferten - Lehre und Anwei-<br />

sung, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister erteilt.<br />

<strong>Die</strong> Zulassung ist daher verbun<strong>de</strong>n mit e<strong>in</strong>em Devotionsakt<br />

vor Gott (Schang Di), und zwar sowohl se<strong>in</strong>er sich offenbaren<strong>de</strong>n<br />

(Yu We) wie se<strong>in</strong>er verborgenen (Wu We) Seite.<br />

Der sich offenbaren<strong>de</strong> Gott wird als <strong><strong>de</strong>r</strong> "allerheiligste, höchste Herr<br />

sämtlicher Religionen (<strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit)" bezeichnet. <strong>Die</strong>ser Akt religi-<br />

öser H<strong>in</strong>gabe an Gott wird zugleich metaphysisch als etwas betrach-<br />

tet, das <strong>de</strong>m Menschen die Anwartschaft gibt auf e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nigeres Ver-<br />

hältnis zu ihm.<br />

Zu dieser Eigenschaft <strong>de</strong>s Glaubens o<strong><strong>de</strong>r</strong> Vertrauens treten nun vier<br />

äußere Ratschläge, die zu beobachten s<strong>in</strong>d:<br />

1. arbeitsam se<strong>in</strong>,<br />

2. sich Musse nehmen,<br />

3. heiteren Gemütes se<strong>in</strong>,<br />

4. täglich an das Tao <strong>de</strong>nken.<br />

Wer <strong>de</strong>n Glauben o<strong><strong>de</strong>r</strong> das Vertrauen hat, <strong><strong>de</strong>r</strong> bewahrt auch <strong>in</strong> sich<br />

die ursprüngliche himmlische Natur (S<strong>in</strong>g). <strong>Die</strong>se hält zugleich <strong>de</strong>n<br />

Menschen <strong>in</strong> Bewegung und am Leben - so wie das Tao das Weltall <strong>in</strong>


Bewegung und am Leben hält.<br />

18<br />

Es gibt jedoch außer dieser geistigen Kraft se<strong>in</strong>er Natur noch<br />

die re<strong>in</strong>e Lebenskraft (MING).<br />

Als Sitz <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Kräfte wird <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> angenommen:<br />

• Für die himmlische "Natur" e<strong>in</strong>e Stelle kurz über <strong>de</strong>m<br />

Herzen (am sogenannten "Polarstern" <strong>de</strong>s Himmels),<br />

• für das "Leben" kurz unter <strong><strong>de</strong>r</strong> Nabelgegend im Innern<br />

<strong>de</strong>s Leibes (etwa Sonnengeflecht), auf <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten<br />

"Er<strong>de</strong>".<br />

• <strong>Die</strong> Natur <strong>de</strong>s Menschen, die Anlage, ist das Schöpferische;<br />

• se<strong>in</strong> Leben, se<strong>in</strong> Schicksal, ist das Empfangen<strong>de</strong>.<br />

• Bei<strong>de</strong> zusammen s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong> Tao.<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe <strong>de</strong>s Menschen ist es, diese bei<strong>de</strong>n Kräfte, die sich wie<br />

Yang und Y<strong>in</strong> zue<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> verhalten, <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang, ja zur E<strong>in</strong>heit zu br<strong>in</strong>-<br />

gen.<br />

Ferner aber muss e<strong>in</strong>e Selbsterziehung geübt wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n ganzen<br />

Menschen umspannt:<br />

• das irdische Ich, das von <strong>de</strong>n Eltern stammt,<br />

• das seelische Ich, das die Keime von Himmel und Er<strong>de</strong><br />

enthält,<br />

• und das metaphysische Ich, das letztlich mit <strong>de</strong>m Tao<br />

e<strong>in</strong>s ist.<br />

Entsprechend <strong><strong>de</strong>r</strong> angeborenen Natur <strong>de</strong>s Menschen und se<strong>in</strong>er Le-<br />

benskraft umfasst die geheime Überlieferung zwei Gebiete:<br />

1. die "Pflege <strong>de</strong>s Lebens" o<strong><strong>de</strong>r</strong> die "Arbeit an <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft"<br />

(M<strong>in</strong>g Gung) und<br />

2. die "Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur" (S<strong>in</strong>g Gung).<br />

<strong>Die</strong> Pflege <strong>de</strong>s Lebens umfasst ihrerseits wie<strong><strong>de</strong>r</strong> drei Abteilungen,


die <strong>de</strong>n "drei Flüssen" (San Ho) im Menschen entsprechen:<br />

19<br />

1. Atem o<strong><strong>de</strong>r</strong> O<strong>de</strong>m (Ki),<br />

2. 2. Same o<strong><strong>de</strong>r</strong> Keim (Ds<strong>in</strong>g),<br />

3. Geist o<strong><strong>de</strong>r</strong> Genius (Schen).<br />

(Zu bemerken ist, dass die bei<strong>de</strong>n ersten nicht i<strong>de</strong>ntisch s<strong>in</strong>d mit<br />

<strong>de</strong>n körperlichen Entsprechungen und dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Geist nicht gleich<br />

unserem Bewusstse<strong>in</strong> ist.)<br />

<strong>Die</strong> "Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur" umfasst zwei Gebiete:<br />

1. Ethische Vervollkommnung <strong>de</strong>s Charakters,<br />

2. religiöse Vertiefung <strong>de</strong>s Geistes.<br />

Zur rechten Pflege von "Natur" und "Leben" ist es nun notwendig, zu<br />

meditieren. Denn durch die <strong>Meditation</strong> bereitet man sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />

<strong>in</strong>nerer Alchemie unter Verwendung <strong><strong>de</strong>r</strong> drei Flüsse zur Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt<br />

und zur Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Tao vor.<br />

Bei diesem Vorgange e<strong>in</strong>er Alchemie kann es nicht ausbleiben,<br />

dass das wahre Heilmittel e<strong>in</strong>es verlängerten Lebens eben<br />

durch die Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft gefun<strong>de</strong>n wird. Jedoch<br />

ist das nicht wesentlich, wichtiger ist die Gew<strong>in</strong>nung <strong>de</strong>s wahren<br />

Gol<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>s unsterblichen unauflösbaren, ewigen Ich 7 .<br />

Zur <strong>Meditation</strong> setzt man sich <strong>in</strong> völlig entspannter Seelenstimmung<br />

h<strong>in</strong>, entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> mit verschränkten Be<strong>in</strong>en, o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong><strong>de</strong>m man - auf e<strong>in</strong>em<br />

Stuhl o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>er Bank sitzend - die Be<strong>in</strong>e auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n stellt (Knie<br />

und Füße entfernt vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> und die Fußspitzen etwas nach au-<br />

7 Sehr richtig hat EVELYN UNDERHILL <strong>in</strong> ihrem Buch über "Mystik" (<strong>de</strong>utsch bei ERNST<br />

REINHARDT, München 1928) Seite 185ff. die E<strong>in</strong>kleidung <strong><strong>de</strong>r</strong> I<strong>de</strong>e <strong><strong>de</strong>r</strong> Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt<br />

<strong>in</strong> alchemistische Symbolik dargelegt und dabei zugleich auch auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, dass diese ganze Alchemie von CHINA nach <strong>de</strong>m Abendlan<strong>de</strong><br />

gekommen ist. In CHINA, im Orient wie im Abendland haben die "Su<strong>de</strong>lköche"<br />

nicht verstan<strong>de</strong>n, dass es sich um geistige, nicht um materielle Vorgänge<br />

han<strong>de</strong>lt, aber sie haben dabei die Grundlagen <strong><strong>de</strong>r</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Chemie ge-


20<br />

ßen 8 ). Es kommt lediglich darauf an, dass e<strong>in</strong>e ungezwungene Hal-<br />

tung angenommen wird, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper - ohne sich rühren zu müssen<br />

und dadurch abgelenkt zu wer<strong>de</strong>n - etwa e<strong>in</strong>e halbe Stun<strong>de</strong> lang er-<br />

tragen kann. Der Rücken ist gera<strong>de</strong> aufgerichtet, die Nasenspitze<br />

senkrecht über <strong>de</strong>m Nabel (als <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegend <strong>de</strong>s Lebenszentrums). <strong>Die</strong><br />

Augen s<strong>in</strong>d halb offen 9 und sen<strong>de</strong>n zum Lebenszentrum ihre Blicke,<br />

wie die Sonne ihre Strahlen zur Er<strong>de</strong> sen<strong>de</strong>t. <strong>Die</strong> Hän<strong>de</strong> ruhen be-<br />

quem im Schoß. <strong>Die</strong> rechte Hand ist zur Faust geformt, die L<strong>in</strong>ke um-<br />

schließt die Rechte, so dass <strong><strong>de</strong>r</strong> l<strong>in</strong>ke Daumen über <strong>de</strong>n rechten zu<br />

liegen kommt.<br />

Das ist wie die Vere<strong>in</strong>igung von Yang, <strong><strong>de</strong>r</strong> schöpferischen<br />

männlichen Kraft (rechts), mit Y<strong>in</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> empfangen<strong>de</strong>n weiblichen<br />

Kraft (l<strong>in</strong>ks), zugleich e<strong>in</strong>e An<strong>de</strong>utung <strong><strong>de</strong>r</strong> unio mystica.<br />

Nach<strong>de</strong>m das "Meer <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" (Ki Hai) <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Bauchhöhle durch<br />

ganz ruhiges dreimaliges (höchstens fünfmaliges) Tiefatmen angeregt<br />

ist, achtet man weiter nicht mehr auf die Atmung. Sie soll sich wäh-<br />

rend <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> von selbst beruhigen. Man atmet immer mit ge-<br />

schlossenem Mun<strong>de</strong>. Alle Muskeln s<strong>in</strong>d entspannt.<br />

<strong>Die</strong>se äußerlichen, re<strong>in</strong> technischen Vorschriften bezwecken nichts<br />

weiter als die Herstellung e<strong>in</strong>es körperlichen Zustan<strong>de</strong>s, aus <strong>de</strong>m kei-<br />

ne Störungen für die <strong>Meditation</strong> erwachsen, <strong><strong>de</strong>r</strong> also ke<strong>in</strong>e erzwunge-<br />

ne o<strong><strong>de</strong>r</strong> unbequeme Haltung hat, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> man sich durch e<strong>in</strong>e plötzli-<br />

che Bewegung befreien müsste, wodurch man <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> ge-<br />

schaffen - e<strong>in</strong> metaphysischer Witz <strong><strong>de</strong>r</strong> Weltgeschichte!<br />

8 Der Umriss <strong>de</strong>s Menschen gleicht dann - langes Gewand vorausgesetzt - e<strong>in</strong>er<br />

"Glocke", wie man <strong>in</strong> CHINA sagt.


stört wür<strong>de</strong>.<br />

21<br />

Man kann also eigentlich <strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> Lage meditieren. <strong>Die</strong> oben<br />

angegebene ist nur e<strong>in</strong>e als erprobt empfohlene.<br />

Nunmehr kann die geistige Stimmung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> hergestellt wer-<br />

<strong>de</strong>n.<br />

Das geschieht, <strong>in</strong><strong>de</strong>m man durch die oben schon erwähnten<br />

drei Stufen <strong>de</strong>s "D<strong>in</strong>g, Ds<strong>in</strong>g, An" <strong>in</strong>s Reich <strong>de</strong>s Halbbewussten<br />

gleitet und so jene Aufnahmefähigkeit <strong>in</strong> sich herstellt, <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> dann die großen Erlebnisse und Erfahrungen als schöpferische<br />

Erkenntnisse aufflammen, so <strong>de</strong>n Menschen vertiefen<br />

und ihn zugleich verwan<strong>de</strong>ln.<br />

Man schaltet also zunächst alle Gedanken aus, erweckt jedoch e<strong>in</strong> Ge-<br />

fühl religiöser Verbun<strong>de</strong>nheit und tritt darauf <strong>in</strong> die erste Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Versenkung e<strong>in</strong>.<br />

1. "D<strong>in</strong>g", die Festlegung <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s. Man <strong>de</strong>nkt an das<br />

Lebenszentrum, und zwar so, dass man <strong>in</strong> sich die Vorstellung<br />

erweckt, man <strong>de</strong>nke nicht mit <strong>de</strong>m Gehirn, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

das Bewusstse<strong>in</strong> bef<strong>in</strong><strong>de</strong> sich <strong>in</strong> eben jenem Zentrum. So<br />

vere<strong>in</strong>igt man <strong>de</strong>n Geist mit <strong>de</strong>m Leben, das Yang mit <strong>de</strong>m<br />

Y<strong>in</strong>. Auf diese Weise wird mit Leichtigkeit je<strong><strong>de</strong>r</strong> stören<strong>de</strong><br />

Gedanke ausgeschaltet. Tauchen trotz<strong>de</strong>m welche auf, so<br />

muss man "die Affen festb<strong>in</strong><strong>de</strong>n" (Schuan Hou-Dsi). "Das<br />

Herz ist wie e<strong>in</strong> Pferd, die Gedanken s<strong>in</strong>d wie die Affen."<br />

Jegliche Gedanken, die im Hirn auftauchen sollten, wer<strong>de</strong>n<br />

vorstellungsmäßig gepackt und im Lebenszentrum festgebun<strong>de</strong>n,<br />

dann s<strong>in</strong>d sie erledigt, <strong>de</strong>nn die Vere<strong>in</strong>igung von<br />

Gedanke (Logos) und Leben (Eros) wirkt wie e<strong>in</strong> Kurzschluss.<br />

2. Tauchen nun ke<strong>in</strong>e Gedanken mehr auf, so tritt e<strong>in</strong> Stadium<br />

wun<strong><strong>de</strong>r</strong>barer Ruhe und Stille e<strong>in</strong>: "Ds<strong>in</strong>g", die Stille. Aber<br />

etwas Willentliches ist noch <strong>in</strong> dieser Stille vorhan<strong>de</strong>n, e<strong>in</strong><br />

9 S<strong>in</strong>d sie ganz offen, wird man leicht durch äußere Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>, s<strong>in</strong>d sie ganz geschlossen,<br />

durch <strong>in</strong>nere Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> gestört. Dem gleichen Zwecke dient übrigens die Vorschrift,<br />

dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Raum we<strong><strong>de</strong>r</strong> ganz hell noch ganz dunkel se<strong>in</strong> soll.


22<br />

Bestreben, die Stille zu erhalten.<br />

3. Dann tritt das dritte Stadium e<strong>in</strong>: "An", <strong><strong>de</strong>r</strong> Frie<strong>de</strong>n. Der<br />

Meditieren<strong>de</strong> bemüht sich nicht mehr um Stille, er hat sie,<br />

er wird - versunken <strong>in</strong> sich selbst - erfüllt von unaussprechlichem<br />

Frie<strong>de</strong>n und e<strong>in</strong>er seligen Heiterkeit.<br />

Jetzt ist <strong><strong>de</strong>r</strong> rezeptive Zustand hergestellt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m nun die ersten Er-<br />

kenntnisse aufleuchten können, das Merken auf <strong>in</strong>nere Vorgänge<br />

stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n kann, <strong><strong>de</strong>r</strong> rezeptive Zustand also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en schöpferischen,<br />

überwachen umschlägt.<br />

Das erste Erlebnis, das man erfährt, ist das "Erwachen <strong>de</strong>s Men-<br />

schen". <strong>Die</strong>s wird spürbar <strong>in</strong> zwei Zeichen (und häufig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorü-<br />

bergehen<strong>de</strong>n Störung). Wer diese Zeichen erlebt - die er vorher nicht<br />

ahnen kann! -, <strong><strong>de</strong>r</strong> bekommt die nächste <strong>Meditation</strong> mitgeteilt, und so<br />

geht es fort. Aber nieman<strong>de</strong>m wird weiteres mitgeteilt, ehe er nicht<br />

die "Zeichen" erlebt hat 10 . <strong>Die</strong>se Seelenleitung ist also e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wei-<br />

hung im geistigsten S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s Wortes. Das Gesagte mag zur Darstel-<br />

lung <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten <strong>Meditation</strong> genügen.<br />

Durch diese <strong>Meditation</strong> wird nun <strong><strong>de</strong>r</strong> Fluss <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms geweckt, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

durch e<strong>in</strong>e Reihe späterer <strong>Meditation</strong>en <strong>in</strong> bestimmter Weise rück-<br />

wärts zum Rückgrat (<strong>de</strong>m "Himmelsfluss", d. h. <strong><strong>de</strong>r</strong> Milchstraße) ge-<br />

leitet und diesem entlang vorstellungsmäßig zum Kopf (am H<strong>in</strong>terkopf<br />

ist das Tor <strong><strong>de</strong>r</strong> himmlischen "Nephritstadt"!) hochgezogen wird. <strong>Die</strong><br />

E<strong>in</strong>zelheiten können hier wegbleiben. Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Stirne tritt er <strong>in</strong> das<br />

"dritte Auge" e<strong>in</strong>, das - schon vorher durch Verschmelzung <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n<br />

Augen geweckt - nunmehr gewaltig aufleuchtet, das ist <strong><strong>de</strong>r</strong> "Glanz <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

10 <strong>Die</strong>se "Zeichen" wer<strong>de</strong>n geheim gehalten. Je<strong><strong>de</strong>r</strong> muss sie selbst f<strong>in</strong><strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

erleben. Sie wer<strong>de</strong>n auch regelmäßig <strong>in</strong> taoistischen Lehrbüchern verschwiegen<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> symbolisch verhüllt.


23<br />

(angeborenen) Natur" (S<strong>in</strong>g Guang), e<strong>in</strong> Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> religiösen Er-<br />

leuchtung durchströmt <strong>de</strong>n Menschen, dann wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Strom bis zum<br />

Lebenszentrum herabgeschickt und kreist so wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n selben Weg.<br />

Das "Rad <strong>de</strong>s Dharma" (Dharmacakra, wie man auch gelegentlich mit<br />

e<strong>in</strong>em Ausdruck buddhistischer <strong>Meditation</strong>stechnik sagt) dreht sich<br />

jetzt, <strong><strong>de</strong>r</strong> "Fluss <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" kreist.<br />

Hier hat man nun zum ersten Male auf <strong>de</strong>m <strong>Meditation</strong>sweg e<strong>in</strong> ganz<br />

großes metaphysisches Erlebnis, nämlich das <strong>de</strong>s eigenen Sterbens,<br />

das mit namenlosem Grauen beg<strong>in</strong>nt, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> Seligkeit<br />

und Freiheit umschlägt, sofern man gleichgültig gegen alles, was ge-<br />

schehen mag - "und wenn ich auch jetzt sterben muss!" -, die Medita-<br />

tion entschlossen fortsetzt.<br />

In dieser Ersche<strong>in</strong>ung kündigt sich das "Sterben <strong>de</strong>s natürlichen Men-<br />

schen" an. <strong>Die</strong> erste Abteilung auf <strong>de</strong>m mystischen Pfa<strong>de</strong>, die e<strong>in</strong>e Art<br />

Läuterung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Re<strong>in</strong>igung darstellt, geht zu En<strong>de</strong>.<br />

Mit diesem Erlebnis schließt die eigentliche Ausbildung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> "Pflege<br />

<strong>de</strong>s Flusses <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms". <strong>Die</strong> Lebenskraft ist jetzt <strong><strong>de</strong>r</strong>artig angeregt<br />

(die <strong>in</strong>nere Sekretion spielt dabei e<strong>in</strong>e bestimmte Rolle), dass e<strong>in</strong>e<br />

Stärkung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft resultiert. Das Erlebnis <strong>de</strong>s eigenen To<strong>de</strong>s<br />

ist dabei von grundlegen<strong><strong>de</strong>r</strong> Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>nn es ruft e<strong>in</strong>e neue<br />

E<strong>in</strong>stellung <strong>de</strong>s Menschen hervor.<br />

Der Mensch verliert die Verhaftung an die Welt. <strong>Die</strong>s ist<br />

natürlich e<strong>in</strong> Prozess, <strong><strong>de</strong>r</strong> nicht auf e<strong>in</strong>mal abgeschlossen ist,<br />

aber <strong><strong>de</strong>r</strong> im wesentlichen im Laufe von zwei Jahren zu e<strong>in</strong>em<br />

Grundmotiv e<strong>in</strong>es neuen Lebens wird. Hiermit gew<strong>in</strong>nt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Mensch Überlegenheit über Welt und Leben.<br />

Nunmehr aber beg<strong>in</strong>nt erst zweitens das eigentliche große Werk <strong><strong>de</strong>r</strong>


24<br />

Zeugung und Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuen Menschen aus Feuer und<br />

Wasser - unter Verwendung <strong>de</strong>s Stromes <strong><strong>de</strong>r</strong> Keime -, <strong><strong>de</strong>r</strong> dann sei-<br />

nerseits drittens wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zum göttlichen Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Weltgeschehens <strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>nigster Beziehung - durch <strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>s Geistes o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>s Genius -<br />

steht.<br />

Das Gesagte mag genügen, um e<strong>in</strong>e Vorstellung von <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen<br />

<strong>Meditation</strong>stechnik zu geben und zugleich zu zeigen,<br />

dass sie ganz schlicht und mit re<strong>in</strong> äußerlichen Verhaltungsmaßregeln<br />

beg<strong>in</strong>nt, um aber <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ungeheuersten Erlebnissen<br />

e<strong>in</strong>en neuen, völlig gewan<strong>de</strong>lten Menschen zuzubereiten,<br />

e<strong>in</strong>en Menschen, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt, nicht von <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt<br />

ist 11 .<br />

E<strong>in</strong>e Tabelle mag e<strong>in</strong> Bild <strong><strong>de</strong>r</strong> drei Flüsse, Pr<strong>in</strong>zipien usw. - die im<br />

Grun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d - geben (die Stellung <strong>de</strong>s himmlischen Drachen als<br />

<strong>de</strong>s höchsten Symbols - übrigens auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> westlichen Alchemie - ist<br />

dadurch ohne weiteres verständlich, <strong>de</strong>sgleichen die Stellung <strong>de</strong>s erd-<br />

gebun<strong>de</strong>nen Tigers - im Westen "grüner Löwe"):<br />

I.Der transzen<strong>de</strong>nten Sonne Der immanenten<br />

Welt GENIUS Welt<br />

schöpferische (Kien) Feuerelement feurig-leuchten<strong>de</strong>s (Li)<br />

Natur Holzelement Leben<br />

(S<strong>in</strong>g) Drache (M<strong>in</strong>g)<br />

II. Des Schöpferischen Des Himmels<br />

(Kien) ODEM (Tien)<br />

und <strong>de</strong>s Empfangen<strong>de</strong>n Er<strong>de</strong>lement und <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong><br />

(Kun) (Tu) (Di)<br />

Pforte Mitte


25<br />

III. Der transzen<strong>de</strong>nten Mond Der immanenten<br />

Welt KEIM Welt<br />

schöpferisches (Kien) Wasserelement wässerig-abgründige (Kan)<br />

Leben Erzelement Natur<br />

(M<strong>in</strong>g) Tiger (S<strong>in</strong>g)<br />

V. VOM UNBEWAFFNETEN HANDKAMPF<br />

Schon beim Bogenschießen hatten wir die Vermutung ausgesprochen,<br />

dass diese edle Kunst durch taoistische E<strong>in</strong>flüsse, aber bestimmt auch<br />

durch buddhistische, e<strong>in</strong>e Vertiefung und Vergeistigung erfahren hat,<br />

so dass an Stelle e<strong>in</strong>es "Sportes" über die Wandlung zu e<strong>in</strong>er konfuzi-<br />

anischen Zeremonie etwas getreten ist, das von <strong>in</strong>nen her gesehen<br />

auf e<strong>in</strong>em meditativen Zustand beruht, aus <strong>de</strong>m heraus re<strong>in</strong> reflex-<br />

mäßig geschossen wird.<br />

<strong>Die</strong> Pflege e<strong>in</strong>er solchen Kunst dürfte <strong>de</strong>n Menschen auch irgendwie<br />

zu e<strong>in</strong>er Art Inst<strong>in</strong>ktsicherheit zurückführen.<br />

E<strong>in</strong>e ähnliche Vergeistigung können wir nun auch bei an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Waffen-<br />

künsten beobachten. So gibt es unter <strong>de</strong>n "Kampfgeräten" (Wu Ki o-<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> B<strong>in</strong>g Ki) außer Bogen, Schwert, Lanze usw. e<strong>in</strong>e Gruppe sog.<br />

"verborgener Geräte" (An Ki), die geheim <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Tasche, im Gürtel<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> im Stiefel mitgeführt wer<strong>de</strong>n und <strong><strong>de</strong>r</strong>en Handhabung re<strong>in</strong> re-<br />

flexmäßig zu geschehen hat. So wird z. B. e<strong>in</strong> na<strong>de</strong>lartiger Dolch<br />

plötzlich auf <strong>de</strong>n Gegner geschleu<strong><strong>de</strong>r</strong>t o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Ste<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>s<br />

Werfen muss ohne bewusstes Zielen vor sich gehen. Auch hier be-<br />

11 Der Raum gebietet Kürze. E<strong>in</strong>e Darstellung <strong>de</strong>s ganzen Weges - übrigens unter<br />

treuer Verschweigung <strong><strong>de</strong>r</strong> "Zeichen" - hat RICHARD WILHELM <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em "Geheimnis<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Gol<strong>de</strong>nen Blüte" <strong>in</strong> großen Umrissen gegeben.


26<br />

steht die Erziehung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Erlernung <strong><strong>de</strong>r</strong> reflexmäßigen Handhabung.<br />

Ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Metho<strong>de</strong>n aber haben sich bei <strong><strong>de</strong>r</strong> unbewaffneten<br />

"Faustkampfkunst" (Küan Schu) herausgebil<strong>de</strong>t, und zwar unter<br />

buddhistischem E<strong>in</strong>fluss.<br />

Boxen ist also im Gegensatz zum Westen gera<strong>de</strong>zu e<strong>in</strong>e geistige,<br />

e<strong>in</strong>e buddhistische Angelegenheit.<br />

Bekanntlich spaltete sich die <strong>Meditation</strong>ssekte nach <strong>de</strong>m 5. PATRIAR-<br />

CHEN <strong>in</strong> zwei Richtungen,<br />

• e<strong>in</strong>e südliche unter HUI NENG, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehre von <strong><strong>de</strong>r</strong> plötzlichen<br />

Erleuchtung,<br />

• und e<strong>in</strong>e nördliche unter SCHEN SIU, <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>e allmähliche,<br />

immer mehr zunehmen<strong>de</strong> Erleuchtung lehrte.<br />

E<strong>in</strong>e gleiche Unterscheidung von Süd- und Nordsekte treffen wir nun<br />

auch - wohl unter buddhistischem E<strong>in</strong>fluss - <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Malerei.<br />

Aber auch bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Faustkampfkunst f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir:<br />

• e<strong>in</strong>e "Südsekte" (Nan Dsung)<br />

• und e<strong>in</strong>e "Nordsekte" (Be Dsung).<br />

Gemäß <strong><strong>de</strong>r</strong> Überlieferung wur<strong>de</strong> diese waffenlose Kampfkunst zuerst<br />

von buddhistischen Mönchen systematisch durchgebil<strong>de</strong>t und zugleich<br />

aufs höchste vergeistigt 12 .<br />

• <strong>Die</strong> "Nordsekte" <strong>de</strong>s Faustkampfes hat e<strong>in</strong> "äußerliches Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g"<br />

(Wai Gung), sie br<strong>in</strong>gt starke muskulöse <strong>Typen</strong> hervor,<br />

• die südliche dagegen hat e<strong>in</strong> "<strong>in</strong>neres Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g" (Ne Gung),<br />

das auf Geschicklichkeit, Verfe<strong>in</strong>erung <strong>de</strong>s Körpergefühls<br />

und Vergeistigung beruht.<br />

12 <strong>Die</strong> Abstammung dieser Art Faustkampf von <strong>de</strong>n buddhistischen Klöstern tritt <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n Bezeichnungen manchmal sehr ausgesprochen zutage. So gibt es z. B. auch<br />

e<strong>in</strong>e Tien-Tai-Sekte <strong>de</strong>s Faustkampfs neben <strong><strong>de</strong>r</strong> Nord- und Südrichtung, welch<br />

letztere offenbar aus Klöstern <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte stammten.


27<br />

E<strong>in</strong>e beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s fe<strong>in</strong>e Art <strong>de</strong>s Faustkampfes ist <strong><strong>de</strong>r</strong> "Faustkampf (nach<br />

Art) <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips" (Tai Gi Küan). Bei diesem wer<strong>de</strong>n die Hän<strong>de</strong> flach<br />

ausgestreckt, die Daumen rechtw<strong>in</strong>klig e<strong>in</strong>gebogen und an die Wurzel<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeigef<strong>in</strong>ger gelegt. Man bewegt nun vor sich bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> neben-<br />

e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> etwa <strong>in</strong> Form unseres Unendlichkeitszeichens 13 und br<strong>in</strong>gt<br />

<strong>de</strong>n Gegner durch <strong>de</strong>ssen eigene Kraft und Wucht zu Fall. <strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n bei ihrer Bewegung bald vor, bald mehr zurück gehal-<br />

ten, immer <strong>in</strong> leichter Fühlung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Faust o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Gegners. Merkt man, dass man durch Nachdrücken o<strong><strong>de</strong>r</strong> durch Herü-<br />

berziehen <strong><strong>de</strong>r</strong> Bewegungen <strong>de</strong>s Gegners diesen zu Fall br<strong>in</strong>gen kann,<br />

so führt man die Bewegung aus, sonst zieht man bereits wie<strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />

Hand zurück, um das eigene Gleichgewicht nie zu gefähr<strong>de</strong>n und um<br />

Kraftvergeudung zu vermei<strong>de</strong>n. Der Gegner dagegen stößt z. B. mit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Faust stark vor, er verausgabt hierzu Kraft, ferner verliert er die<br />

Sicherheit <strong>de</strong>s Stehens, da er sich zu weit nach vorne beugt.<br />

Der "Urpr<strong>in</strong>zipkämpfer" aber stößt nicht gegen ihn, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

weicht aus, er fängt mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Stoß ganz leise<br />

auf und lenkt ihn nach rechts o<strong><strong>de</strong>r</strong> l<strong>in</strong>ks an sich vorbei.<br />

Das muss so geschmeidig und leicht ausgeführt wer<strong>de</strong>n, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> bo-<br />

xen<strong>de</strong> Gegner das Gefühl hat, er stieße <strong>in</strong>s Leere. Er verausgabt nutz-<br />

los se<strong>in</strong>e Kraft und muss nun außer<strong>de</strong>m noch die Anstrengung ma-<br />

chen, se<strong>in</strong> Gewicht wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> die Ausgangshaltung zurückzuverlegen<br />

und <strong>de</strong>n Arm zurückzuziehen. Ist er aber zu weit ausgefallen und da-<br />

13 Da die Figur dieser Bewegung an die S-L<strong>in</strong>ie er<strong>in</strong>nert, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Kreise die dunkle von <strong><strong>de</strong>r</strong> lichten Hälfte trennt, wenn man das Urpr<strong>in</strong>zip (Tai Gi)<br />

darstellen will, das Y<strong>in</strong> und Yang <strong>in</strong> sich enthält, so hat man diese Art Kampfkunst<br />

nach <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip benannt. Man wird aber weiter sehen, dass auch die ganze


28<br />

durch erheblich unsicher auf <strong>de</strong>n Füßen gewor<strong>de</strong>n, so zieht ihn <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

"Urpr<strong>in</strong>zipkämpfer" noch weiter mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n seitlich an sich<br />

vorbei, so dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer durch die Wucht se<strong>in</strong>es eigenen Stoßes h<strong>in</strong>-<br />

stürzt. Zieht sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer zu heftig zurück, so dass er ebenfalls er-<br />

heblich unsicher steht, so drängt <strong><strong>de</strong>r</strong> "Urpr<strong>in</strong>zipkämpfer" mit bei<strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong>n nach, so dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer im Schwung <strong>de</strong>s eigenen Rückzuges<br />

nach h<strong>in</strong>ten stürzt.<br />

Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s zu beachten ist, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer nutzlos se<strong>in</strong>e Kraft<br />

verausgabt und immer <strong>in</strong>s Leere stößt, bis er bei zu heftiger<br />

Bewegung und ermü<strong>de</strong>t zu Fall gebracht wird.<br />

Der Urpr<strong>in</strong>zip-Kämpfer gleicht aber wirklich <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip: mühelos,<br />

wie spielend bewegt er <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> seltsamen L<strong>in</strong>ienführung die bei<strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong> bald näher, bald weiter, niemals zu fassen, niemals zu treffen<br />

wie die "Leerheit" <strong>de</strong>s Pr<strong>in</strong>zips selber.<br />

Nie angreifend, drängt er doch <strong>de</strong>n überlaufen<strong>de</strong>n Gegner <strong>in</strong> <strong>de</strong>ssen<br />

eigene Richtung weiter, so dass dieser sich selber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sich vor-<br />

und zurückbeugen<strong>de</strong>n Verblendung zugrun<strong>de</strong> richtet 14 .<br />

Das "<strong>in</strong>nere Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g" <strong><strong>de</strong>r</strong> "Südsekte" umfasst nun "acht Arten"<br />

(Ba Duan G<strong>in</strong>), e<strong>in</strong>e von diesen ist das "Kreisenlassen<br />

<strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" (Jun Ki), e<strong>in</strong>e regelrechte Yoga-<strong>Meditation</strong>.<br />

Zu <strong><strong>de</strong>r</strong>en Erklärung ist vorauszuschicken, dass bestimmte physiologi-<br />

sche Ansichten <strong>in</strong> CHINA geläufig s<strong>in</strong>d, über <strong><strong>de</strong>r</strong>en Berechtigung hier<br />

nicht weiter zu sprechen ist. Zu diesen Ansichten gehört z. B., wie wir<br />

Art dieses Kampfes die Eigenschaften zur Geltung br<strong>in</strong>gt, die <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip zugeschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

14 Zu <strong>de</strong>n vielen D<strong>in</strong>gen, die von CHINA nach JAPAN gewan<strong><strong>de</strong>r</strong>t s<strong>in</strong>d, gehört auch<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Handkampf. Das Ju-Jitsu o<strong><strong>de</strong>r</strong> JUDO ist mit ähnlichen Pr<strong>in</strong>zipien die Hauptstärke<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> JAPANER gewor<strong>de</strong>n, gilt es doch wegen se<strong>in</strong>er geistigen Art, <strong>de</strong>n Gegner


29<br />

schon bei <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen <strong>Meditation</strong> bemerkten, dass die ch<strong>in</strong>esische<br />

Ärztekunst und ebenso alle Yoga-Übungen <strong>de</strong>n Sitz <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft<br />

im Innern <strong>de</strong>s Unterleibes suchen2 15 . Auch die Bezeichnung <strong>de</strong>s Un-<br />

terleibs als "Meer <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" lernten wir dabei kennen.<br />

Nun wird <strong><strong>de</strong>r</strong> ganze Unterleib mediz<strong>in</strong>isch <strong>in</strong> drei Gegen<strong>de</strong>n zerlegt:<br />

• die oberste Abteilung etwa <strong>in</strong> Magenhöhe;<br />

• die mittlere etwa <strong>in</strong> Nabelhöhe;<br />

• die untere etwa <strong>in</strong> Blasenhöhe;<br />

<strong>in</strong> allen dreien wirkt <strong><strong>de</strong>r</strong> "O<strong>de</strong>m" (Ki) beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s stark.<br />

Endlich ist noch zu sagen, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Speichel von <strong><strong>de</strong>r</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Ärztekunst gera<strong>de</strong>zu als e<strong>in</strong>e Verdichtung <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms<br />

angesehen und hoch geschätzt wird.<br />

<strong>Die</strong> Yoga-Übung <strong>de</strong>s "Kreisenlassens <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" (Jun Ki) besteht nun<br />

<strong>in</strong> folgen<strong>de</strong>m 16 :<br />

• man wölbt die Zunge nach oben, so dass sie <strong>de</strong>n Gaumen<br />

berührt2 17 ;<br />

• dann kitzelt man mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Zunge leicht <strong>de</strong>n Gaumen, und es<br />

wird e<strong>in</strong>e starke Speichelabson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n;<br />

• diesen verschluckt man, bis man etwa e<strong>in</strong>en Mundvoll hervorgebracht<br />

und h<strong>in</strong>untergeschluckt hat;<br />

• die Speichelmasse ist also jetzt im Magen, und da sie als<br />

verdichteter O<strong>de</strong>m gilt, so wird <strong><strong>de</strong>r</strong> oberen Abteilung <strong>de</strong>s<br />

"Meeres <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" e<strong>in</strong>e ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Stärkung zuteil;<br />

• wenn man die Bauchwand von außen betastet, muss man<br />

<strong>de</strong>n Speichel so etwa wie e<strong>in</strong>e feste, aber elastische Kugel<br />

durch <strong>de</strong>ssen eigene Stärke zu besiegen, für edler als das Schwertfechten. Aber<br />

wie viel edler ist noch die Kunst <strong>de</strong>s "Urpr<strong>in</strong>zip-Kämpfers" <strong>in</strong> CHINA!<br />

15<br />

Und zwar genau <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte <strong>de</strong>s Innern, etwa <strong>in</strong> Nabelhöhe (genauer: ,,1 Zoll,<br />

3 Strich tiefer als <strong><strong>de</strong>r</strong> Nabel").<br />

16<br />

Nach mündlicher Mitteilung von Herrn W. Y. TING.<br />

17<br />

DIESE ZUNGENHALTUNG IST SOWOHL DEN TAOISTEN WIE DEN Buddhisten bei <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong><br />

sehr wohl bekannt. Jedoch wird die Zunge ganz ruhig gehalten. <strong>Die</strong>se Lage<br />

hilft u. a., bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Rücksendung <strong>de</strong>s "Flusses <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" zum Lebenszentrum (<strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen <strong>Meditation</strong>) die Zerteilung <strong>de</strong>s Flusses zu vermei<strong>de</strong>n.


30<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>en Ball <strong>in</strong> diesem Magen spüren;<br />

• man dreht nun durch die Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorstellung diese Kugel<br />

dreimal nach l<strong>in</strong>ks und dreimal nach rechts;<br />

• darauf versenkt man die Kugel <strong>in</strong> die zweite Abteilung (Nabelgegend),<br />

wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holt hier dieselben Drehungen;<br />

• dann versenkt man sie <strong>in</strong> die Blasengegend, wo die gleiche<br />

Bewegung ausgeführt wird;<br />

• darauf lenkt man diesen zusammengeballten O<strong>de</strong>m rückwärts<br />

zum Rückgrat-En<strong>de</strong> und lässt dann die Kugel durch<br />

das Rückgrat zum Gehirn h<strong>in</strong>aufsteigen;<br />

• oben angekommen träufelt <strong><strong>de</strong>r</strong> O<strong>de</strong>m alsbald wie<strong><strong>de</strong>r</strong> als<br />

Speichel <strong>in</strong> die Mundhöhle.<br />

<strong>Die</strong>se für westliche Mediz<strong>in</strong> höchst abson<strong><strong>de</strong>r</strong>liche Prozedur soll nun ei-<br />

ne beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Wirkung haben:<br />

• <strong><strong>de</strong>r</strong> also Geübte vermag die Kraft <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms je<strong><strong>de</strong>r</strong>zeit beim<br />

Kampf an die Stelle zu lenken, wo er gefähr<strong>de</strong>t ist, dort<br />

wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper fest, ja unverwundbar;<br />

• schlägt e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d mit <strong>de</strong>m blanken Schwerte auf ihn e<strong>in</strong>, so<br />

verlegt er "O<strong>de</strong>m" <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e rechte Hand und packt mit dieser<br />

das bloße Schwert - er ist unverwundbar gewor<strong>de</strong>n!<br />

Also wird von Augenzeugen behauptet 18 .<br />

VI. BUDDHISTISCHE MEDITATIONEN<br />

Wen<strong>de</strong>n wir uns nun endlich zum ch<strong>in</strong>esischen BUDDHISMUS, so betre-<br />

ten wir damit e<strong>in</strong> feenhaftes Geistesreich, das <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> systematischsten<br />

und anziehendsten Weise die Kunst <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> auf allen Gebieten<br />

ausgebil<strong>de</strong>t hat. Nichts Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gründiges und nichts Tiefes, das hier<br />

nicht durch die Versenkung erst Kraft, Leben und Glut erhielte. Er-<br />

leuchtung strahlt aus allen diesen Übungen von <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>fachsten bis zu<br />

18 Ich darf wohl darauf verzichten, auf naheliegen<strong>de</strong> Erklärungen unserer westli-<br />

chen Mediz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zugehen.


31<br />

<strong>de</strong>n erhabensten, und e<strong>in</strong>e wun<strong><strong>de</strong>r</strong>bar fe<strong>in</strong>e Seelenkenntnis offenbart<br />

sich <strong>in</strong> allen Anweisungen und Ratschlägen <strong><strong>de</strong>r</strong> durch die Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>-<br />

te überlieferten und vervollkommneten <strong>Meditation</strong>stechnik.<br />

Hier s<strong>in</strong>d die religiösen Mystiker <strong>in</strong> ihrem Wesenselement, hier auch<br />

die geistesklaren Philosophen genialer Tiefenschau.<br />

Hatte doch BUDDHA selbst die <strong>Meditation</strong> als notwendige Stufe<br />

auf <strong>de</strong>m viergliedrigen Heilspfa<strong>de</strong> erklärt, als das unerlässliche<br />

Mittel zur Erlangung <strong><strong>de</strong>r</strong> erlösen<strong>de</strong>n Erkenntnis.<br />

Ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch durch "Zucht" gere<strong>in</strong>igt, so bereitet er sich durch "Me-<br />

ditation" auf die Erlangung <strong><strong>de</strong>r</strong> "Erkenntnis" vor, und diese endlich<br />

br<strong>in</strong>gt ihm die "Befreiung", die Erlösung.<br />

Genau wer<strong>de</strong>n von BUDDHA die verschie<strong>de</strong>nen Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> Versenkung<br />

unterschie<strong>de</strong>n und beschrieben, und als Themen <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung f<strong>in</strong>-<br />

<strong>de</strong>n wir vorzüglich die verschie<strong>de</strong>nen Wahrheiten, die BUDDHA lehrt,<br />

aber auch "Anmutungen" 19 erhabener Gefühle s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Meditation</strong>, ja auch - wohl nicht von BUDDHA selbst herrührend - die<br />

Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> fortschreiten<strong>de</strong>n Abstraktion <strong>de</strong>s Vorstellens 20 .<br />

Im Pali-Kanon f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir aber auch bereits e<strong>in</strong>e systematisch ange-<br />

ordnete Kette von <strong>Meditation</strong>en, also Exerzitien, die wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilspfad<br />

selber im Vierer-Rhythmus schw<strong>in</strong>gt 21 .<br />

<strong>Die</strong>s Exerzitienbüchle<strong>in</strong> f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir sogar zweimal im Kanon, nämlich<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Längeren Sammlung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehrre<strong>de</strong>n Buddhas (Nr. 22)<br />

19 Um diesen Ausdruck westlicher <strong>Meditation</strong>stechnik zu verwen<strong>de</strong>n.<br />

20 Vergleiche die sehr <strong>in</strong>struktive Abhandlung von FRIEDRICH HEILER: "<strong>Die</strong> buddhistische<br />

Versenkung", 2. Auflage, bei ERNST REINHARDT, München 1922.<br />

21 Dabei sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass im Westen die Exerzitien <strong>de</strong>s IGNATIUS V.<br />

LOYOLA ebenfalls im Vierer-Rhythmus schw<strong>in</strong>gen, <strong>de</strong>n man <strong>in</strong> Annäherung an die<br />

neuplatonischen Ausdrücke bezeichnen kann als: Re<strong>in</strong>igung, Erleuchtung, Heiligung,<br />

Vere<strong>in</strong>igung.


32<br />

und zweitens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mittleren (10). Se<strong>in</strong> Titel lautet: "<strong>Die</strong> Pfeiler <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

E<strong>in</strong>sicht".<br />

Zu diesen alten Gegenstän<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> buddhistischen Versenkung<br />

traten <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Folgezeit, beför<strong><strong>de</strong>r</strong>t durch die Eigenart verschie<strong>de</strong>ner<br />

Sekten, e<strong>in</strong>e ganze Reihe an<strong><strong>de</strong>r</strong>e.<br />

Hierher gehört zunächst e<strong>in</strong>mal alles, was mit YOGA im engeren S<strong>in</strong>ne<br />

zusammenhängt, die beruhigen<strong>de</strong> Atembetrachtung, <strong><strong>de</strong>r</strong> Schlangen-<br />

kraft-Yoga, <strong><strong>de</strong>r</strong> die Sexualkraft alchemistisch zum Geiste sublimiert,<br />

die Erzeugung <strong>de</strong>s unvergänglichen "Diamant-Leibes" aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Lotos-<br />

blume auf <strong>de</strong>m Scheitel als <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburtsstätte <strong>de</strong>s wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geborenen<br />

Menschen, kurz e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Übungen, die uns <strong>in</strong> gleicher<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> ähnlicher Form im <strong>in</strong>dischen YOGA und im ch<strong>in</strong>esischen TAOISMUS<br />

begegnen.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Bereicherung erfährt das <strong>Meditation</strong>swesen durch <strong>de</strong>n Ri-<br />

tualismus und alles, was mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Magie <strong>de</strong>s TANTRA-WESENS zusam-<br />

menhängt.<br />

<strong>Die</strong> symbolisch-magischen F<strong>in</strong>gerstellungen, die mystischen Silben,<br />

die Verehrung <strong>de</strong>s Kultbil<strong>de</strong>s und an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Symbole usw. boten <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

ver<strong>in</strong>nerlichten Auffassung durch <strong>Meditation</strong> neue Gegenstän<strong>de</strong>.<br />

<strong>Die</strong> sog. buddhistische "Messe" <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> - <strong>in</strong> CHINA heute erloschenen -<br />

"esoterischen Sekte" (MI DSUNG) 22 ist e<strong>in</strong> fortlaufen<strong>de</strong>s <strong>Meditation</strong>s-<br />

formular, das se<strong>in</strong>en Höhepunkt im YOGA <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung aller drei<br />

menschlichen Funktionen:<br />

• <strong>de</strong>s Geistes:<br />

• <strong>de</strong>s Wortes<br />

• und <strong>de</strong>s Körpers<br />

22 In JAPAN als SHINGON bekannt.


mit BUDDHA f<strong>in</strong><strong>de</strong>t.<br />

33<br />

E<strong>in</strong> neues Gebiet erschloss sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung durch die "Sekte <strong>de</strong>s<br />

re<strong>in</strong>en Lan<strong>de</strong>s", die die bildhafte Betrachtung <strong>de</strong>s AMITABHA bzw.<br />

AMITAYUS BUDDHA und se<strong>in</strong>es westlichen Paradieses lehrt (z. B. im Ami-<br />

tayur-dhyäna-sutra).<br />

Endlich aber ist die philosophische und dogmatische Entwicklung<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>n neu entstan<strong>de</strong>nen Sekten <strong>in</strong> CHINA von ungeheurer<br />

Be<strong>de</strong>utung für das <strong>Meditation</strong>swesen gewor<strong>de</strong>n.<br />

So bil<strong>de</strong>t z. B. <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> TIEN-TAI-SEKTE das Mo-Ho-Dschi-Guan, <strong><strong>de</strong>r</strong> große<br />

Text über Beruhigung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lei<strong>de</strong>nschaften (ch<strong>in</strong>. Dschi, sa. samatha)<br />

und über Wesensschau o<strong><strong>de</strong>r</strong> Tiefsicht (ch<strong>in</strong>. Guan, sa. vipasyana), al-<br />

so über die bei<strong>de</strong>n Wirkungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Versenkung, e<strong>in</strong>e fortlaufen<strong>de</strong> Kette<br />

von philosophischen Wahrheiten, die e<strong>in</strong>zeln nache<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> durchmedi-<br />

tiert wer<strong>de</strong>n müssen und von <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>fachsten zu gewaltigsten Er-<br />

kenntnissen fortschreiten.<br />

Gegenüber dieser mehr scholastischen Richtung steht die Metho<strong>de</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte, die mit e<strong>in</strong>er äußerst ger<strong>in</strong>gen<br />

Zahl allgeme<strong>in</strong>ster Dogmen auskommt und das Wesentliche<br />

<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> persönlichen <strong>in</strong>neren Erfahrung <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>zelnen sieht.<br />

Ihr kommt daher alles darauf an, im E<strong>in</strong>zelnen <strong>de</strong>n Durchbruch genia-<br />

ler Erkenntnis herbeizuführen, und sie hat hierfür e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige<br />

Metho<strong>de</strong> ersonnen:<br />

• die Seelenleitung durch das Paradox.<br />

Am Gegensatz, ja Wi<strong><strong>de</strong>r</strong>spruch <strong><strong>de</strong>r</strong> vere<strong>in</strong>ten - meist <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er<br />

Anekdote gegebenen - Gedankenreihen soll sich das Aufflammen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Erkenntnis <strong><strong>de</strong>r</strong> übergegensätzlichen letzten E<strong>in</strong>heit <strong>de</strong>s S<strong>in</strong>nes von<br />

Welt und Leben entzün<strong>de</strong>n.


34<br />

Es sei mir nun gestattet, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> ungeheuren Fülle <strong>de</strong>s Materials zwei<br />

<strong>Typen</strong> herauszugreifen, die im Gegensatz ihrer Metho<strong>de</strong> etwa anzu-<br />

<strong>de</strong>uten vermögen, <strong>in</strong> wie verschie<strong>de</strong>ner Weise die <strong>Meditation</strong> im Ge-<br />

biete <strong>de</strong>s ch<strong>in</strong>esischen BUDDHISMUS verwandt wer<strong>de</strong>n kann. Das e<strong>in</strong>e<br />

Beispiel will ich aus <strong><strong>de</strong>r</strong> esoterischen Sekte (Mi Dsung) nehmen, näm-<br />

lich die sogenannte "Mond-<strong>Meditation</strong>", da dieses <strong>Meditation</strong>sthema<br />

auch von an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Sekten übernommen wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Zwar ist diese Sekte heute, wie schon oben erwähnt, <strong>in</strong> CHINA<br />

erloschen, aber ihre Schriften wer<strong>de</strong>n nach wie vor studiert,<br />

<strong>in</strong> JAPAN blüht sie unter <strong>de</strong>n Namen SHINGON( =Mantra)-Sekte<br />

noch heute ungeme<strong>in</strong> stark, und ich gebe diese <strong>Meditation</strong> <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Form, wie sie mir selber von <strong>de</strong>n Priestern an ihrem Patriarchatssitze<br />

auf <strong>de</strong>m heiligen Berge Koyasan gelehrt wor<strong>de</strong>n<br />

ist.<br />

• Man setzt sich <strong>in</strong> <strong>Meditation</strong>shaltung und völlig entspannter<br />

Seelenverfassung h<strong>in</strong> und stellt sich vor, man sähe vor sich<br />

die klare Scheibe <strong>de</strong>s Vollmon<strong>de</strong>s 23 .<br />

• Nach<strong>de</strong>m man das Bild e<strong>in</strong>e Zeitlang betrachtet hat, bekommt<br />

man <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, es nähere sich.<br />

• Auf e<strong>in</strong>mal hat man <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond sei nicht außerhalb<br />

<strong>de</strong>s Betrachten<strong>de</strong>n, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n ruhe im eigenen Inneren.<br />

• Es tritt also e<strong>in</strong>e mystische Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m betrachteten<br />

Symbol e<strong>in</strong>.<br />

• Nun hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond e<strong>in</strong>e von alters her feststehen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung,<br />

er ist das Symbol <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis <strong><strong>de</strong>r</strong> ewigen Wahrheit<br />

24 .<br />

23 Anfänger. die nicht genügend starke optische Vorstellungskraft haben, bekommen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Entfernung von etwa zwei Metern e<strong>in</strong> Rollbild aufgehängt, das auf<br />

dunkelblauem Grun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e silberne Mondscheibe zeigt.<br />

24 Vergleichsweise sei bemerkt: In <strong><strong>de</strong>r</strong> Mystik <strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond Symbol<br />

<strong>de</strong>s hl. Geistes und se<strong>in</strong>es Wirkens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche <strong><strong>de</strong>r</strong> vielen E<strong>in</strong>zelseelen. Ihm<br />

steht gegenüber die Sonne als Symbol CHRISTI und se<strong>in</strong>es Wirkens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte<br />

und im Geiste <strong>de</strong>s Menschen. - Im BUDDHISMUS wird aber die hellleuchten<strong>de</strong><br />

(mittägliche) Sonne nicht gerne meditiert, da die psychologische Erfahrung


35<br />

<strong>Die</strong>se ist aber die göttliche Buddha-Natur <strong>de</strong>s ganzen Weltalls,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e also auch die Buddha-Natur, die das letzte<br />

Wesen unsrer selbst ist.<br />

<strong>Die</strong>se Natur hat drei Eigenschaften:<br />

1. sie ist erleuchtet;<br />

2. sie ist re<strong>in</strong> von Begier<strong>de</strong>n;<br />

3. sie ist ungetrübt von zornigen Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />

Ich fühle also nun <strong>de</strong>n Mond <strong>in</strong> mir ruhend als me<strong>in</strong>e eigene Buddha-<br />

Natur:<br />

• jetzt lasse ich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorstellung <strong>de</strong>n Mond langsam und<br />

schrittweise größer wer<strong>de</strong>n;<br />

• zunächst ist er so groß wie me<strong>in</strong> Leib, dann wie me<strong>in</strong> ganzer<br />

Körper, dann größer als me<strong>in</strong> Körper, jetzt so groß wie das<br />

Zimmer, dann so groß wie das ganze Haus, jetzt schwebt er,<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr ich als Mond, über <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong>, jetzt ist er so groß<br />

wie die Er<strong>de</strong>, jetzt ist er größer als die Er<strong>de</strong>, jetzt umfasst er<br />

Er<strong>de</strong> und alle Sterne, nun ist er so groß wie das Weltall: "Ich,<br />

Buddha-Natur, b<strong>in</strong> das Weltall, außer mir ist nichts";<br />

• nach<strong>de</strong>m man e<strong>in</strong>e Zeitlang <strong>in</strong> dieser Vorstellung und ihren<br />

begleiten<strong>de</strong>n Gefühlen verharrt hat, lässt man <strong>de</strong>n Mond genau<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>nselben Stufen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> kle<strong>in</strong>er wer<strong>de</strong>n, bis er wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Herzgegend ruht;<br />

• dann entlässt man ihn aus sich heraus.<br />

<strong>Die</strong>se Übung kann man zwei-, dreimal h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> vornehmen. <strong>Die</strong><br />

besten Tageszeiten für <strong>Meditation</strong>en s<strong>in</strong>d <strong><strong>de</strong>r</strong> frühe Morgen und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

späte Abend. <strong>Die</strong> Wirkung dieser <strong>Meditation</strong> soll <strong>de</strong>m Menschen zur<br />

Erkenntnis se<strong>in</strong>er Buddha-Natur verhelfen, <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e aber soll sie<br />

gelehrt haben soll, dass dies Symbol im allgeme<strong>in</strong>en zu stark für <strong>de</strong>n Menschen<br />

ist. - Sonne und Mond bezeichnen zugleich die Polarität, nämlich im TAOISMUS und<br />

KONFUZIANISMUS Yang und Y<strong>in</strong> (siehe die Tabelle am Schluss <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen <strong>Meditation</strong>),<br />

im mystischen BUDDHISMUS DIAMANTWELT und Matrixwelt. In dieser Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Polarität traten sie auch im Westen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> KABBALA, bei <strong>de</strong>n ALCHEMISTEN<br />

u. a. auf.


36<br />

drei E<strong>in</strong>zelwirkungen haben, die psychologisch ganz richtig als aus<br />

<strong>de</strong>m Symbol selber hervorgehend angesehen wer<strong>de</strong>n:<br />

1. diese <strong>Meditation</strong> wirkt beruhigend auf das Triebleben .<strong><strong>de</strong>r</strong> Begier<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond ist kühl und re<strong>in</strong>;<br />

2. wirkt die Mondmeditation beruhigend auf die zürnen<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften,<br />

<strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond ist klar und hell.<br />

<strong>Die</strong>se bei<strong>de</strong>n Wirkungen bil<strong>de</strong>n also die schon mehrmals erwähnte ei-<br />

ne Hauptwirkung aller <strong>Meditation</strong>en, die sittliche Veredlung <strong>de</strong>s Men-<br />

schen durch „Beruhigung" <strong>de</strong>s Trieblebens, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en höheren<br />

Weltzusammenhang e<strong>in</strong>bezogen wird.<br />

3. Endlich hat die Mond-<strong>Meditation</strong> noch e<strong>in</strong>e 3. Wirkung, sie erleuchtet<br />

<strong>de</strong>n Menschen und lehrt ihn, die allem zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong><br />

e<strong>in</strong>e Wahrheit, die auch <strong>in</strong> ihm enthaltene Buddha-<br />

Natur, zu schauen, <strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond ist die "himmlische Lampe",<br />

die Leuchte <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht.<br />

Das ist also die an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Hauptwirkung jeglicher <strong>Meditation</strong>, die We-<br />

sensschau o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Tiefsicht".<br />

<strong>Die</strong> Metho<strong>de</strong> dieser Betrachtung ist e<strong>in</strong>e synthetische (im Gegensatz<br />

zu aller abendländischen Analyse).<br />

E<strong>in</strong> Bild imprägniert o<strong><strong>de</strong>r</strong> t<strong>in</strong>giert mit <strong><strong>de</strong>r</strong> ihm eigenen E<strong>in</strong>druckskraft<br />

die Seele, und zwar gera<strong>de</strong> ihre tieferen Schichten.<br />

Alle Gefühlswerte, die sich an das Bild knüpfen, wer<strong>de</strong>n damit eben-<br />

falls <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele e<strong>in</strong>geprägt 25 .<br />

<strong>Die</strong> bildhafte <strong>Meditation</strong>, die "Imag<strong>in</strong>ation", wirkt auf diese<br />

Weise - um mit PARACELSUS zu re<strong>de</strong>n - zeugend auf <strong>de</strong>n Seelengrund<br />

e<strong>in</strong>.<br />

25 Auf dieser psychologischen Tatsache beruht <strong><strong>de</strong>r</strong> Wert und S<strong>in</strong>n aller Symbolik,<br />

aller Erziehung durch Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>.


37<br />

Dadurch entsteht e<strong>in</strong> Neues, e<strong>in</strong>e Seelenform, die bisher nicht so da<br />

war, o<strong><strong>de</strong>r</strong>, wie wir auch sagen können, e<strong>in</strong>e Verwandlung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Über-<br />

formung <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele f<strong>in</strong><strong>de</strong>t statt.<br />

Als Gegensatz zu dieser bildmäßigen Schau möchte ich - aus<br />

Raumgrün<strong>de</strong>n - unter Verzicht auf Vorführung von <strong>Meditation</strong>sbeispielen<br />

mit Themen aus <strong>de</strong>m YOGA, aus <strong>de</strong>n Riten und<br />

<strong>de</strong>n philosophisch-dogmatischen Sätzen e<strong>in</strong> Beispiel aus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Meditation</strong>ssekte anführen - e<strong>in</strong>e Anekdote, <strong><strong>de</strong>r</strong>en entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

<strong>Meditation</strong>sstelle bildlose Worte s<strong>in</strong>d:<br />

Der fünfte Patriarch hat se<strong>in</strong>em Schüler HUI NENG <strong>de</strong>n "Buddha-Geist"<br />

übertragen, d. h. er hat ihm zur vollen Schau <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wahrheit<br />

verholfen und ihm auch die äußeren Zeichen <strong>de</strong>s Patriarchates - Ge-<br />

wand und Almosenschale BUDDHAS - übergeben und ihn dann wegge-<br />

schickt.<br />

Der Scholar SCHEN SIU ist eifersüchtig und setzt <strong>de</strong>m HUI NENG nach.<br />

Als er HUI NENG e<strong>in</strong>geholt hatte, warf dieser Gewand und Schale auf<br />

e<strong>in</strong>en Felsen h<strong>in</strong> und rief:<br />

"Der Mantel vers<strong>in</strong>nbildlicht <strong>de</strong>n Glauben, kannst Du ihn mit<br />

Gewalt erstreiten?"<br />

Er lag nämlich <strong>in</strong>mitten von Gestrüpp versteckt.<br />

SCHEN SIU kam herzu und wollte ihn aufheben, aber er bewegte sich<br />

nicht. Da tritt e<strong>in</strong>e plötzliche S<strong>in</strong>neswandlung bei <strong>de</strong>m neidischen Ver-<br />

folger e<strong>in</strong>, und er ruft:<br />

"Heiliger! Ich b<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Dharma (<strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wahrheit) wegen<br />

gekommen und nicht <strong>de</strong>s Gewan<strong>de</strong>s wegen!"<br />

Da kam HUI NENG hervor und setzte sich auf e<strong>in</strong>e Felsplatte.<br />

SCHEN SIU begrüßte ihn durch Stirnaufschlag und sagte:<br />

"Bitte, Heiliger, lehre mich <strong>de</strong>n Dharma!"


HUI NENG sagte:<br />

"Da es um <strong>de</strong>s Dharma willen ist, dass Du gekommen bist, so<br />

mögest Du alle Vorstellungen abstellen. Br<strong>in</strong>ge überhaupt<br />

ke<strong>in</strong>en Gedanken hervor! Dann will ich Dir <strong>de</strong>n Dharma erklären!"<br />

38<br />

SCHEN SIU muss also nun wie beim Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> alle Gedan-<br />

ken ausschalten. Nach e<strong>in</strong>er geraumen Weile - also nach<strong>de</strong>m HUI NENG<br />

merkt, dass SEHEN SIU jetzt so weit ist, <strong>de</strong>n meditativen Zustand her-<br />

gestellt zu haben - ruft HUI NENG <strong>in</strong> diese rezeptive Stimmung die lö-<br />

sen<strong>de</strong>n Worte schöpferischer Erkenntnis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>:<br />

"Nicht <strong>de</strong>nkend Gutes, nicht <strong>de</strong>nkend Böses, - gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> diesem<br />

Augenblick! - was ist <strong>de</strong><strong>in</strong> ursprüngliches Antlitz vor De<strong>in</strong>er<br />

Zeugung?"<br />

SCHEN SIU erlebte bei diesen Worten die große Erwachung, <strong>de</strong>nn das<br />

Paradox <strong>de</strong>s Antlitzes e<strong>in</strong>es noch nicht e<strong>in</strong>mal gezeugten Wesens<br />

verhilft ihm plötzlich zum Aufleuchten <strong><strong>de</strong>r</strong> übergegensätzlichen letz-<br />

ten Wahrheit, <strong>de</strong>m Dharma, <strong><strong>de</strong>r</strong> Buddha-Natur <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt und <strong>de</strong>s ei-<br />

genen Lebens.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte, die alles noch e<strong>in</strong>mal neu gedacht hat, hat auch<br />

<strong>de</strong>n alten buddhistischen Heilspfad umgedacht:<br />

• sie hat das Bodhisattva-I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Heiligen, <strong><strong>de</strong>r</strong> - obwohl<br />

letzter Erkenntnis teilhaftig - nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt entschw<strong>in</strong><strong>de</strong>t,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n an ihrer fortschreiten<strong>de</strong>n Erlösung weiterarbeitet,<br />

mit <strong><strong>de</strong>r</strong> älteren Anschauung folgerichtig verbun<strong>de</strong>n;<br />

• sie hat ferner das taoistische I<strong>de</strong>al erfüllt: verborgen wie <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Urgrund <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt selber, im Alltag beschei<strong>de</strong>n weiter zu leben,<br />

trotz<strong>de</strong>m o<strong><strong>de</strong>r</strong> gera<strong>de</strong> weil die letzten Höhen <strong>de</strong>s<br />

Menschse<strong>in</strong>s erreicht s<strong>in</strong>d.<br />

Zum Abschluss unserer Betrachtungen wollen wir daher noch e<strong>in</strong>en<br />

Blick auf die Lehre vom Heilspfad werfen, wie ihn die <strong>Meditation</strong>ssekte


lehrt.<br />

39<br />

Der Heilspfad hat e<strong>in</strong>e psychologische Begründung für die Stufen sei-<br />

ner Entwicklung - wenn wir von <strong><strong>de</strong>r</strong> Besprechung <strong>de</strong>s Metaphysischen<br />

absehen - <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> seelischen Reifung <strong>de</strong>s Menschenlebens<br />

von <strong><strong>de</strong>r</strong> Volljährigkeit bis zum Alter.<br />

Eigentlich f<strong>in</strong><strong>de</strong>t aber ke<strong>in</strong>e Aufe<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>folge von streng getrennten<br />

Stufen statt, vielmehr wird bei zunehmen<strong><strong>de</strong>r</strong> Reife<br />

e<strong>in</strong>e immer tiefere Schicht <strong>de</strong>s Menschen mit se<strong>in</strong>em Bewusstse<strong>in</strong><br />

verbun<strong>de</strong>n, aber alle Schichten und alle Stufen erkl<strong>in</strong>gen<br />

schon auf <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Stufe mit.<br />

Da nun die <strong>Meditation</strong> ganz <strong>de</strong>n gleichen Gang geht wie diese Reifung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> menschlichen Seele, so hilft sie e<strong>in</strong>erseits am besten mit, <strong>de</strong>n<br />

Menschen reifen zu lassen, und för<strong><strong>de</strong>r</strong>t ihn bei <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zig möglichen<br />

Fortschritt, eben <strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong> Reifung se<strong>in</strong>es Se<strong>in</strong>s.<br />

Umgekehrt ersche<strong>in</strong>t von da aus vergleichsweise <strong><strong>de</strong>r</strong> ganze<br />

Heilspfad wie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Riesige ausge<strong>de</strong>hnte <strong>Meditation</strong>, die<br />

<strong>de</strong>n Menschen bis zur letzten Tiefe gelangen lässt und ihn<br />

dann wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zur Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ung gewan<strong>de</strong>lt zurückholt.<br />

LIANG-GIE von DUNG SCHAN (807-869), <strong><strong>de</strong>r</strong> 10. Patriarch nach<br />

BODHIDHARMA und Begrün<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> TSAU-DUNG-SEKTE, e<strong>in</strong>er Unterabtei-<br />

lung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte, hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hymnus unter Benutzung von<br />

Zeichen <strong>de</strong>s ehrwürdigen altch<strong>in</strong>esischen "Buches <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen" (I<br />

G<strong>in</strong>g), die fünf Stufen <strong>de</strong>s Heilspfa<strong>de</strong>s besungen.<br />

<strong>Die</strong>se fünf Stufen bauen sich so auf:<br />

• dass zunächst <strong><strong>de</strong>r</strong> Weg <strong><strong>de</strong>r</strong> Ver<strong>in</strong>nerlichung beschritten wird<br />

und das e<strong>in</strong>e Wesentliche <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> bunten Mannigfaltigkeit geschaut<br />

wird;<br />

• sodann wird von diesem Wesentlichen her <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung<br />

alle Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung aufgehoben (2. Stufe);<br />

• <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> dann e<strong>in</strong>treten<strong>de</strong>n unio mystica mit <strong>de</strong>m letzten Grun<strong>de</strong>


<strong>de</strong>s Weltgeschehens wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch jedoch <strong>in</strong> die Dynamik<br />

eben dieses letzten Grun<strong>de</strong>s h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen (3. Stufe);<br />

• und vollzieht wie<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>e Wendung nach außen.<br />

40<br />

Zur Ver<strong>in</strong>nerlichung tritt daher die Tätigkeit als gleich starkes Element<br />

(4. Stufe). Daher schw<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>de</strong>m so weit Vorgeschrittenen alle Unter-<br />

schie<strong>de</strong> von Ver<strong>in</strong>nerlichung und Wendung nach außen, von Wesentli-<br />

chem und Geson<strong><strong>de</strong>r</strong>tem, von Jenseits und <strong>Die</strong>sseits.<br />

• Befreit von allen B<strong>in</strong>dungen und Verkrampfungen lebt er beschei<strong>de</strong>n<br />

und hilfsbereit se<strong>in</strong>en Alltag, nach<strong>de</strong>m er das Ungeheuerste<br />

erlebt hat und als durch Erleuchtung Vollen<strong>de</strong>ter<br />

<strong>in</strong> sich trägt (5. Stufe).<br />

Um diesen Pfad <strong>de</strong>s Menschen im e<strong>in</strong>zelnen verständlich zu machen,<br />

greift <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch zu <strong>de</strong>n Zeichen <strong>de</strong>s "Buches <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen".<br />

Denn dieses weise Orakelbuch, <strong>de</strong>ssen Haupttext ("Urteile" und "Bil-<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong>") - abgesehen von lexikalischen Erklärungen - zwar reichlich dun-<br />

kel ist, hat im Laufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>te durch e<strong>in</strong>e Reihe hervorragen-<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kommentare e<strong>in</strong>e ganz bestimmte Auslegung erfahren, so dass es<br />

nach und nach zu e<strong>in</strong>em immer großartigeren Kompendium <strong><strong>de</strong>r</strong> Weis-<br />

heit für <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>zelnen und das soziale Leben gewor<strong>de</strong>n ist.<br />

Von dieser Art <strong><strong>de</strong>r</strong> Auslegung her ist es auch zu verstehen,<br />

dass das Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen nicht nur auf KONFUZIANISMUS<br />

und TAOISMUS e<strong>in</strong>e ungeheure Wirkung gehabt hat, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

dass es auch <strong>de</strong>n ch<strong>in</strong>esischen BUDDHISMUS, ja sogar <strong>de</strong>n tibetischen<br />

LAMAISMUS <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bann gezogen hat.<br />

Der Patriarch geht nun davon aus, dass er <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Arten Strichen,<br />

aus <strong>de</strong>nen alle Zeichen <strong>de</strong>s Buches zusammengesetzt s<strong>in</strong>d, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />

naheliegen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utungen beilegt, nämlich<br />

Yang-Strich : Y<strong>in</strong>-Strich:


41<br />

das Wesentliche die Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />

das Wirkliche die Wirkung<br />

das Herrschen<strong>de</strong> das Untergebene<br />

die Leerheit das Gestaltete<br />

das Wahre das Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gründige<br />

das D<strong>in</strong>g an sich die Ersche<strong>in</strong>ung<br />

schwarz weiß<br />

(weil ganzstrichig) (weil <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte hell unterbrochen)<br />

Er nimmt nun das Trigramm <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n (Li, Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-<br />

Yang) das auf diesem Wege <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung das Gegebene ist, <strong>de</strong>nn<br />

es be<strong>de</strong>utet die Seele <strong>in</strong> ihrer Verklärung, die Yang-Striche <strong>de</strong>s Himm-<br />

lischen s<strong>in</strong>d herausgetreten aus <strong>de</strong>m Y<strong>in</strong>-Strich <strong>de</strong>s Körperlichen.<br />

Zwischen <strong>de</strong>n starken Strichen außen ist <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte <strong><strong>de</strong>r</strong> unterbrochene<br />

Strich wie e<strong>in</strong> leerer Raum, dadurch wer<strong>de</strong>n die<br />

Außenstriche hell.<br />

Das ist wie e<strong>in</strong>e Flamme, die <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte auch leer ist und außen ge-<br />

schlossen ihre Stärke und ihren Glanz zeigt. <strong>Die</strong> Flamme aber zeigt<br />

symbolisch ihr himmlisches Wesen, dadurch dass sie zwar durch Irdi-<br />

sches bed<strong>in</strong>gt ist, von <strong>de</strong>m sie sich nährt - so haftet <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige am<br />

Rechten -, aber dass sie zum Himmel lo<strong><strong>de</strong>r</strong>t und alles um sich hell<br />

macht.<br />

Der Patriarch nimmt nun das Zeichen <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

höchsten Verstärkung, das ist das Hexagramm <strong>de</strong>s verstärkten Leuch-<br />

ten<strong>de</strong>n (Nr. 30, Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-Yang, Yang-Y<strong>in</strong>-Yang)<br />

Das ist das wahre Abbild <strong>de</strong>s Weisen, d. h. <strong>de</strong>s durch das<br />

Feuer <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung selber Licht Gewor<strong>de</strong>nen. Er strahlt <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Vollendung - ohne sich zu bemühen das Licht aus wie<br />

die Sonne und erleuchtet die vier Weltgegen<strong>de</strong>n.


42<br />

Der Patriarch hat dieses Zeichen als Symbol <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten o<strong><strong>de</strong>r</strong> 5. Stufe,<br />

als Bezeichnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollendung, angenommen.<br />

Nun schließt er auf die vorhergehen<strong>de</strong>n Stufen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er das Zeichen<br />

umwan<strong>de</strong>lt. Dabei bedient er sich <strong>de</strong>s Mittels <strong><strong>de</strong>r</strong> Verlegung <strong><strong>de</strong>r</strong> Stri-<br />

che - e<strong>in</strong> sonst auch vorkommen<strong>de</strong>s Verfahren.<br />

Er nimmt also die bei<strong>de</strong>n Yang-Striche aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte heraus<br />

und legt je e<strong>in</strong>en nach oben und unten, das ergibt das Hexagramm<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> "Inneren Wahrheit" (Nr. 61, Striche: Yang-Yang-<br />

Y<strong>in</strong>, Y<strong>in</strong>-Yang-Yang).<br />

<strong>Die</strong>ses Zeichen ist von e<strong>in</strong>er wun<strong><strong>de</strong>r</strong>vollen Harmonie <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegensätze -<br />

die unteren drei Striche s<strong>in</strong>d das Gegenbild <strong><strong>de</strong>r</strong> drei oberen. Das gibt<br />

e<strong>in</strong> gutes Symbol für die Vere<strong>in</strong>igung von Innerlichkeit und Außenwir-<br />

kung, für die vierte Stufe.<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong>nere "Leerheit" <strong><strong>de</strong>r</strong> mittleren Striche zeigt zugleich <strong>de</strong>n<br />

freien, erlösten Geist an, aber nach außen wirkt mächtig die<br />

ungebrochene Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> starken Striche.<br />

Nun verwan<strong>de</strong>lt <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch abermals das Zeichen durch Heraus-<br />

nahme <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n mittleren Striche und ihr Verlegen nach außen,<br />

nämlich wie<strong><strong>de</strong>r</strong> nach oben und unten.<br />

So erhält er das Hexagramm Nr. 28:"Des Großen Übergewicht"<br />

(Striche: Y<strong>in</strong>-Yang-Yang, Yang-Yang-Y<strong>in</strong>)<br />

<strong>Die</strong>ses Zeichen wird als Bild <strong>de</strong>s Firstbalkens angesehen. Da an se<strong>in</strong>en<br />

En<strong>de</strong>n, oben und unten, schwache Striche stehen, so ist er zu<br />

schwach, er biegt sich durch und will nachgeben.<br />

Das ist ke<strong>in</strong> dauern<strong><strong>de</strong>r</strong> Zustand, er muss verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Firstbalken ist nun seit alters e<strong>in</strong> Symbol <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips, und so<br />

gibt das Zeichen e<strong>in</strong>e ausgezeichnete Symbolisierung <strong>de</strong>s Um-


43<br />

schwungs <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong>neren Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen durch die unio<br />

mystica.<br />

Hat er durch höchste Ver<strong>in</strong>nerlichung die Vere<strong>in</strong>igung mit<br />

<strong>de</strong>m Urgrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Geschehens erhalten, so wird er selber <strong>in</strong><br />

die wuchten<strong>de</strong> Bewegung <strong>de</strong>sselben h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen und wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

zur Aktivität, zur Wendung nach außen getrieben (3. Stufe).<br />

Nimmt man nun zum drittenmal die bei<strong>de</strong>n mittleren Striche heraus<br />

und legt je e<strong>in</strong>en nach oben und unten, so verwan<strong>de</strong>lt sich das Hexa-<br />

gramm zurück <strong>in</strong> das Zeichen <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n (Nr. 30).<br />

Drei Umschichtungen s<strong>in</strong>d möglich, mehr nicht.<br />

Es bleibt aber noch übrig, die bei<strong>de</strong>n Anfangsstufen von <strong><strong>de</strong>r</strong> Dynamik-<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> unio mystica durch Zeichen zu ver<strong>de</strong>utlichen.<br />

Hierfür nimmt <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch ke<strong>in</strong>e Hexagramme - <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch ist ja<br />

noch nicht durch die mystische Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Urgrun<strong>de</strong> stärker<br />

gewor<strong>de</strong>n - , son<strong><strong>de</strong>r</strong>n e<strong>in</strong>fache, schwache Zeichen.<br />

Er nimmt also nicht das verstärkt "Leuchten<strong>de</strong>", das aus zwei leuch-<br />

ten<strong>de</strong>n Feuerzeichen besteht, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n das e<strong>in</strong>fach Leuchten<strong>de</strong> Li<br />

(Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-Yang), e<strong>in</strong>es <strong><strong>de</strong>r</strong> acht Urzeichen <strong>de</strong>s Weltgesche-<br />

hens.<br />

Er nimmt hier die e<strong>in</strong>e mittlere L<strong>in</strong>ie heraus und legt sie nach<br />

unten, so erhält er das Urzeichen Sun (Striche: Yang-Yang-<br />

Y<strong>in</strong>), das Bild <strong>de</strong>s W<strong>in</strong><strong>de</strong>s o<strong><strong>de</strong>r</strong> Holzes, d. h. <strong>de</strong>s sanft E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n<br />

(wie das Wehen <strong>de</strong>s W<strong>in</strong><strong>de</strong>s, wie die zarten Wurzeln<br />

<strong>de</strong>s Baumes).<br />

Das sanft E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> ist das passen<strong>de</strong> Symbol zur Veranschauli-<br />

chung <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Stufe.<br />

Auf dieser dr<strong>in</strong>gt das Wesentliche, das <strong>in</strong> aller Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung


44<br />

(Individuation) enthalten ist, <strong>in</strong> die <strong>in</strong>nere Erfahrung <strong>de</strong>s<br />

Menschen e<strong>in</strong>.<br />

Endlich legt <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch <strong>de</strong>n mittleren schwachen Strich nach oben,<br />

so verwan<strong>de</strong>lt er das leuchten<strong>de</strong> Feuerzeichen <strong>in</strong> das Urzeichen Dui<br />

(Striche:Y<strong>in</strong>-Yang-Yang), das Bild <strong>de</strong>s stillen Wassers, <strong>de</strong>s Sees o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>de</strong>s Heiteren.<br />

Wie die bei<strong>de</strong>n starken Striche unten sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n schwachen oberen<br />

äußern, so verwan<strong>de</strong>ln sie <strong>de</strong>ssen weiche Schwermut <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerlich be-<br />

grün<strong>de</strong>te Heiterkeit.<br />

So auch verwan<strong>de</strong>lt sich im Menschen, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong>nerlich stark ist,<br />

nämlich vom Wesentlichen her alles anschaut und von dorther<br />

lebt, alle äußerlich verschie<strong>de</strong>ne Ersche<strong>in</strong>ung eben zu<br />

nichts als Ersche<strong>in</strong>ung <strong>de</strong>s alle<strong>in</strong> Wesentlichen und unter sich<br />

gleich.<br />

Vermittels dieser fünf Diagramme also war es <strong>de</strong>m Patriarchen DUNG<br />

SCHAN möglich, die verschie<strong>de</strong>nen Mischungsgra<strong>de</strong> von Seichtheit und<br />

Tiefe bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege <strong>de</strong>s höheren Lebens darzustellen. Man bezeichnet<br />

die fünf Stufen als die "fünf Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> Hel<strong>de</strong>ntaten".<br />

Zugleich kann man an diesen Diagrammen <strong>de</strong>n gegenseitigen<br />

Zusammenhang und die Durchdr<strong>in</strong>gung von D<strong>in</strong>g an sich und<br />

Ersche<strong>in</strong>ung darlegen.<br />

(An Stelle von "Wesentliches" [D<strong>in</strong>g an sich] und "Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung" [Er-<br />

sche<strong>in</strong>ung] kann man auch die Ausdrücke "Herrschen<strong>de</strong>s" und "Un-<br />

tergebenes" verwen<strong>de</strong>n.<br />

Der Ausdruck "die fünf Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> Hel<strong>de</strong>ntaten" gibt DUNG SCHANS ur-<br />

sprüngliche Auffassung wie<strong><strong>de</strong>r</strong>, während die Bezeichnung "die fünf<br />

Stufen <strong>de</strong>s Herrschen<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>s Untergebenen" e<strong>in</strong>e Auslegung TSAU


SCHANS darstellen.)<br />

45<br />

Und nun wen<strong>de</strong>n wir uns zum Schlusse <strong>de</strong>m Hymnus <strong>de</strong>s Patriarchen<br />

LIANG-GIE von DUNG SCHAN zu, durch <strong>de</strong>n er die fünf Stufen von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

ersten bis zur letzten <strong>in</strong> geistvoller Weise beschreibt 26 .<br />

I. Stufe: Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung im Wesentlichen.<br />

"In <strong><strong>de</strong>r</strong> dritten Wache, zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht, bevor <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond<br />

leuchtet –<br />

Wundre dich nicht, wenn e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Begegnen<strong>de</strong> sich nicht erkennen!<br />

Ganz geheim hegt man doch Verdächtiges aus früheren Tagen!"<br />

"I. Stufe: Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung im Wesentlichen!"<br />

• Das Wesentliche ist die Wirklichkeit, die Leerheit, das D<strong>in</strong>g<br />

an sich. <strong>Die</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung ist die Wirkung, das Gestaltete,<br />

die Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

• Der Schüler erkennt auf dieser Stufe die Wirkung <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirklichkeit,<br />

die Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong>mitten <strong>de</strong>s D<strong>in</strong>ges an sich und betrachtet<br />

se<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> als Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege se<strong>in</strong>es sittlichen Wan<strong>de</strong>ls.<br />

"In <strong><strong>de</strong>r</strong> dritten Wache, zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht, bevor <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond<br />

leuchtet -."<br />

Der Schüler versenkt sich <strong>in</strong> die Nacht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kontemplation, <strong>in</strong> die Dun-<br />

kelheit <strong>de</strong>s eigenen Innern, noch ist ihm <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahrheit nicht<br />

voll aufgegangen.<br />

"Wundre dich nicht, wenn e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Begegnen<strong>de</strong> sich nicht erkennen!"<br />

Im Geheimnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht wer<strong>de</strong>n alle Unterschie<strong>de</strong> verhüllt, daher ist<br />

26 Der Hymnus ist bereits übersetzt und erklärt <strong>in</strong> OHASAMA-FAUST: "Zen, <strong><strong>de</strong>r</strong> lebendige<br />

Buddhismus <strong>in</strong> Japan", lei<strong><strong>de</strong>r</strong> ohne Erwähnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Beziehungen zu <strong>de</strong>m<br />

Buche <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen und <strong>de</strong>ssen Zeichen nebst <strong>de</strong>n <strong>Meditation</strong>sbil<strong><strong>de</strong>r</strong>n.


46<br />

es unmöglich, das E<strong>in</strong>zelne zu unterschei<strong>de</strong>n, "e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Begegnen<strong>de</strong><br />

zu erkennen". So verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kontemplation erlebter<br />

Gleichheit (P<strong>in</strong>g Deng) <strong>de</strong>s Absoluten alle Unterschie<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Erschei-<br />

nungen. Aber:<br />

"Ganz geheim hegt man doch Verdächtiges aus früheren Tagen",<br />

die Spur <strong>de</strong>s vergangenen Lebens ist, wenn auch durch die Dunkelheit<br />

und die Gleichheit <strong>de</strong>s Absoluten ver<strong>de</strong>ckt, noch vorhan<strong>de</strong>n. Das Se<strong>in</strong><br />

ist noch nicht völlig gewan<strong>de</strong>lt. <strong>Die</strong>se völlige Wandlung wird e<strong>in</strong>gelei-<br />

tet durch <strong>de</strong>n mystischen "großen Tod" <strong>de</strong>s alten Menschen.<br />

Das Urzeichen Sun (Striche: Yang-Yang-Y<strong>in</strong>) stellt das sanft E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>-<br />

gen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s W<strong>in</strong><strong>de</strong>s und <strong>de</strong>s Holzes - - dar.<br />

Es teilt sich unten, wird licht, ohne doch die Kraft <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gens<br />

zu verlieren.<br />

So wie <strong><strong>de</strong>r</strong> W<strong>in</strong>d, auch, wenn er sich teilt, überall e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt, so wie die<br />

zarten Ausläufer <strong><strong>de</strong>r</strong> Wurzeln e<strong>in</strong>es Baumes überall e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen, so<br />

dr<strong>in</strong>gt auf dieser Stufe das Wesentliche überall <strong>in</strong> die Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />

sanft e<strong>in</strong>.<br />

Jegliche Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung wird als teilhaftig <strong>de</strong>s Wesentlichen geschaut.<br />

Das <strong>Meditation</strong>sbild zeigt entsprechend <strong><strong>de</strong>r</strong> Verteilung von ganzen,<br />

schwarzen L<strong>in</strong>ien und <strong><strong>de</strong>r</strong> hellen, unterbrochenen L<strong>in</strong>ie im Urzeichen<br />

die obere Hälfte schwarz, das ist das kräftige Wesentliche, die untere<br />

Hälfte weiß, das s<strong>in</strong>d die schwachen Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen.<br />

Der Mensch erkennt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung das Wesentliche,<br />

von <strong>de</strong>m er nun Wirkung, Ersche<strong>in</strong>ung ist.


47<br />

II. Stufe: Wesentliches <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.<br />

"E<strong>in</strong>e alte Frau, die die Morgendämmerung versäumte, tritt<br />

vor <strong>de</strong>n alten Spiegel. Obwohl sie ganz klar e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüberstehen,<br />

ist doch nichts Wirkliches da. Lass ab, schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

verwirrten Kopfes, abermals nach Schatten zu suchen!"<br />

,,II. Stufe: Wesentliches <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung": Jetzt ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Standort<br />

gewechselt, vom Wesentlichen her wird die e<strong>in</strong>zelne Ersche<strong>in</strong>ung ge-<br />

schaut.<br />

Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> so gewonnenen erleuchten<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>sicht erkennt man<br />

<strong>in</strong> allen Ersche<strong>in</strong>ungen das „Wesentliche", diese Welt als jene<br />

Welt, man dr<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> alle Dharmas und alle Schulme<strong>in</strong>ungen<br />

e<strong>in</strong> und betrachtet die leere Wahrheit als die unterschiedslose<br />

Ebene <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen.<br />

Alle Ersche<strong>in</strong>ungen wer<strong>de</strong>n unter sich gleich.<br />

"E<strong>in</strong>e alte Frau, die die Morgendämmerung versäumte, tritt<br />

vor <strong>de</strong>n alten Spiegel."<br />

Der Morgen, das helle Tageslicht, lässt im Gegensatz zur Nacht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Kontemplation wie<strong><strong>de</strong>r</strong> alle Verschie<strong>de</strong>nheiten <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen her-<br />

vortreten, so treten auch Frau und Spiegel als sche<strong>in</strong>bare Verschie-<br />

<strong>de</strong>nheiten hervor.<br />

Aber bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d "alt", d. h. sie haben schon die Erfahrung <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten<br />

Stufe h<strong>in</strong>ter sich, die "alte Frau" (<strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch auf dieser Stufe) hat die<br />

Arbeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachtstufe h<strong>in</strong>ter sich und daher die "Morgendämmerung<br />

versäumt".<br />

„Obwohl sie ganz klar e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüberstehen. ist doch<br />

nichts Wirkliches da."<br />

<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen stehen ganz klar e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüber,<br />

aber man schaut sich und sie jetzt vom Wesentlichen her an: da er-


48<br />

kennt man, dass sie im Wesentlichen alle unter sich gleich s<strong>in</strong>d, es<br />

gibt ke<strong>in</strong>e Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen mehr, es „ist doch<br />

nichts Wirkliches da".<br />

Alles ist wesentlich, und das ist das e<strong>in</strong>zig Wirkliche (Dschen) und<br />

zugleich Wahre, das Tao, obwohl es von <strong>de</strong>n Ersche<strong>in</strong>ungen her früher<br />

als das vollen<strong>de</strong>te Nichts erschienen ist.<br />

"Lass ab, schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong> verwirrten Kopfes, abermals nach<br />

Schatten zu suchen!“<br />

E<strong>in</strong> Tor, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum erstenmal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Spiegel blickte, hielt se<strong>in</strong> Spie-<br />

gelbild für e<strong>in</strong>e Wirklichkeit, dabei war es doch nur e<strong>in</strong> nichtiger<br />

"Schatten" se<strong>in</strong>er falschen Vorstellungskraft.<br />

Solch verblen<strong>de</strong>tes Verhalten muss auf dieser Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung<br />

aufhören, wo die E<strong>in</strong>heit von Spiegel und Betrachter,<br />

von allen Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen erschaut und das Wesentliche<br />

als das e<strong>in</strong>zig Wirkliche erkannt ist.<br />

Das Urzeichen Dui (Striche: Y<strong>in</strong>-Yang-Yang) stellt das stille Wasser<br />

e<strong>in</strong>es Sees dar und bezeichnet das Heitere.<br />

Von <strong><strong>de</strong>r</strong> Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> starken unteren Striche her wird die schwache obe-<br />

re L<strong>in</strong>ie mild verklärt.<br />

So verklärt das Wesentliche alle E<strong>in</strong>zelersche<strong>in</strong>ungen.<br />

Das <strong>Meditation</strong>sbild gibt wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um die obere äußere L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> ihrer Wei-<br />

cheit als Weiß wie<strong><strong>de</strong>r</strong>, die unteren starken L<strong>in</strong>ien als das zugrun<strong>de</strong> lie-<br />

gen<strong>de</strong> kräftige Schwarz. Zeichen und Bild s<strong>in</strong>d entsprechend <strong>de</strong>m ver-<br />

än<strong><strong>de</strong>r</strong>ten Standort <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s die genaue Umkehrung von Zei-<br />

chen und Bild <strong><strong>de</strong>r</strong> I. Stufe.<br />

III. Stufe: Hervorkommen im Wesentlichen.


49<br />

"Inmitten <strong>de</strong>s Nichts gibts e<strong>in</strong>en Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> trennt vom weltlichen<br />

Staube!<br />

Ist man nur fähig, nicht zu verletzen die gelten<strong>de</strong>n Verbote,<br />

So ist man auch überlegen <strong>de</strong>m zungenschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Talent<br />

aus <strong><strong>de</strong>r</strong> früheren Dynastie! "<br />

"III. Stufe: Hervorkommen im Wesentlichen."<br />

Auf dieser Stufe ist die Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Wesentlichen erlangt, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Mensch ist mit <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wirklichkeit und Wahrheit e<strong>in</strong>s gewor<strong>de</strong>n,<br />

alle Dharmas, alle Träger <strong>de</strong>s Weltbestan<strong>de</strong>s, alle Kausalketten <strong>de</strong>s<br />

Geschehens wer<strong>de</strong>n hier klar, <strong>de</strong>nn von hier gehen sie aus, von hier<br />

"kommen sie hervor", so erlebt auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch hier <strong>de</strong>n ungeheuren<br />

Umschwung se<strong>in</strong>es Weges, er geht aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m We-<br />

sentlichen zu neuem zwanglosen Wirken hervor. Das erleuchtet-<br />

unerleuchtete Absolute drängt zu erlösen<strong><strong>de</strong>r</strong> Tat.<br />

"Inmitten <strong>de</strong>s Nichts gibts e<strong>in</strong>en Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> trennt vom weltlichen<br />

Staube!"<br />

Wer quietistisch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Wesentlichen<br />

verharren wollte, erlebte dies Wesentliche vor allem als Nichts; das ist<br />

aber nicht die volle Wahrheit, <strong>de</strong>nn dieses Nichts ist zugleich actus<br />

purus, ständig Wirken<strong>de</strong>s.<br />

Wer das versteht, <strong>de</strong>m ersche<strong>in</strong>t sogar diese hohe Stufe noch als Vor-<br />

läufiges, als "weltlicher Staub". Aber aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m<br />

Nichts führt dieses selbst <strong>de</strong>n Menschen heraus, nämlich durch die<br />

ihm eigene Dynamik, durch die es sich und die Welt erlöst.<br />

In diese Dynamik wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen und arbeitet, selbst<br />

erlöst wer<strong>de</strong>nd, nunmehr an <strong><strong>de</strong>r</strong> Erlösung <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt und <strong>de</strong>s Absoluten<br />

mit.


50<br />

"Ist man nur fähig, nicht zu verletzen die gelten<strong>de</strong>n Verbote.<br />

. . ."<br />

Der Mensch, <strong><strong>de</strong>r</strong> so weit gekommen ist, ist selber die Verkörperung<br />

<strong>de</strong>s Weltgesetzes und <strong><strong>de</strong>r</strong> höchsten Wahrheit, <strong>de</strong>s Dharma, gewor<strong>de</strong>n,<br />

er braucht sich nicht mehr um Tugend zu bemühen, er wirkt mühelos,<br />

von <strong>in</strong>nen heraus s<strong>in</strong>nvoll. Er bedarf ke<strong>in</strong>er "Verbote" mehr: <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Freiheit han<strong>de</strong>lt er, da er vom Dharma erfüllt ist, <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktsicher richtig.<br />

"So ist man auch überlegen <strong>de</strong>m zungenschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Talent<br />

aus <strong><strong>de</strong>r</strong> früheren Dynastie!"<br />

E<strong>in</strong> großer Redner aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> SUI-DYNASTIE wur<strong>de</strong> von se<strong>in</strong>en<br />

Gegnern verleum<strong>de</strong>t und auf kaiserlichen Befehl, obwohl unschuldig,<br />

h<strong>in</strong>gerichtet. Damit se<strong>in</strong>em Sohn nicht e<strong>in</strong> Gleiches wi<strong><strong>de</strong>r</strong>fahre, ließ er<br />

ihn vor <strong><strong>de</strong>r</strong> H<strong>in</strong>richtung kommen, warnte ihn davor, zu viel zu spre-<br />

chen, und verletzte die Zunge <strong>de</strong>s Sohnes e<strong>in</strong> wenig. Durch diesen<br />

gewaltsamen E<strong>in</strong>griff machte er <strong>de</strong>m Sohne die Rednerlaufbahn un-<br />

möglich, und damit bewahrte er ihn vor allem vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Möglichkeit, An-<br />

stoß zu erregen und "gelten<strong>de</strong> Verbote zu verletzen".<br />

Solche Verkrampfungen hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Freie, <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>s ist mit <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Weltgeschehens, nicht mehr nötig. Dem allen ist er überlegen, da<br />

er im Besitze <strong>de</strong>s Dharma <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktsicher immer das Richtige tut.<br />

Das Zeichen (Striche: Y<strong>in</strong>-Yang-Yang, Yang-Yang-Y<strong>in</strong>) ist aus<br />

<strong>de</strong>m Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n vorhergehen<strong>de</strong>n Stufen zusammengesetzt,<br />

es vere<strong>in</strong>igt die Schau von <strong>de</strong>n Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen her<br />

mit <strong><strong>de</strong>r</strong> vom Wesentlichen her.<br />

Verborgen liegt <strong>in</strong> ihm das doppelte Zeichen <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n, das<br />

erst auf <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Stufe <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt und vorher noch durch<br />

e<strong>in</strong>e Zwischenstufe gehen muss. Das Zeichen dieser Stufe ist aus <strong>de</strong>m<br />

"Buche <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen" (I G<strong>in</strong>g) entnommen und heißt: "Des Großen


Übergewicht".<br />

51<br />

Es gleicht e<strong>in</strong>em großen Balken, <strong>de</strong>ssen En<strong>de</strong>n (oben und unten) zu<br />

schwach s<strong>in</strong>d. "Der Firstbalken (das Symbol <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips) biegt sich<br />

durch."<br />

Das ist ke<strong>in</strong> Dauerzustand. Hier drängt alles zur Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.<br />

Das ist das Zeichen <strong>de</strong>s Umschwungs auf <strong>de</strong>m Wege<br />

<strong>de</strong>s Menschen, er wird <strong>in</strong> die Dynamik <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen<br />

zu neuem, nunmehr zwanglosem Wirken.<br />

Entsprechend <strong>de</strong>n Zeichen gibt das <strong>Meditation</strong>sbild e<strong>in</strong>en weißen Kreis<br />

außen - gleich <strong>de</strong>n schwachen En<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Firstbalkens -, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte<br />

aber ist <strong><strong>de</strong>r</strong> kräftige schwarze Kern:<br />

"Inmitten <strong>de</strong>s Nichts gibts e<strong>in</strong>en Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> trennt vom weltlichen<br />

Staube!"<br />

IV. Stufe: Ankunft <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung 27 .<br />

"S<strong>in</strong>d bei<strong>de</strong> Schwerter gekreuzt, so sollten sie nicht getrennt<br />

wer<strong>de</strong>n. Der Starkarmige ist wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Lotos im Feuer,<br />

Als ob er selbst hat <strong>de</strong>n Willen, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum Himmel emporstößt."<br />

"IV. Stufe: Ankunft <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung."<br />

Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> tiefsten Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Ver<strong>in</strong>nerlichung hatte <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch die Verei-<br />

nigung mit <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip <strong>de</strong>s Weltgeschehens, mit <strong>de</strong>m Dharma, als<br />

<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zig Wirklichen und Wesentlichen erlebt und wird nun gewis-<br />

sermaßen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> die Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen zu neuem Wirken<br />

h<strong>in</strong>ausgeschleu<strong><strong>de</strong>r</strong>t. Der Schüler ist nun e<strong>in</strong> Bodhisattva höchsten<br />

Ranges gewor<strong>de</strong>n, er pflegt <strong>de</strong>n ganzen Tag se<strong>in</strong>en Wan<strong>de</strong>l und se<strong>in</strong>e<br />

Vorstellungen durch <strong>Meditation</strong>, er wirkt die ganze Nacht, aber ist<br />

27 Später sagte man: Ankunft, nämlich Rückkehr, <strong>in</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.


weit entfernt, an Verdienstlichkeit se<strong>in</strong>es Wirkens zu <strong>de</strong>nken.<br />

52<br />

Zur Ver<strong>in</strong>nerlichung tritt jetzt <strong>in</strong> "Vere<strong>in</strong>igung" das Wirken im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wahrheit und <strong>de</strong>s Weltgesetzes, "<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung" auch<br />

s<strong>in</strong>d jetzt Wesentliches und Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.<br />

"S<strong>in</strong>d bei<strong>de</strong> Schwerter gekreuzt, so sollten sie nicht getrennt<br />

wer<strong>de</strong>n."<br />

Das Schwert <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis <strong><strong>de</strong>r</strong> höchsten Wahrheit muss <strong>in</strong> Kreuzung<br />

gebun<strong>de</strong>n bleiben mit <strong>de</strong>m Schwert <strong><strong>de</strong>r</strong> barmherzigen Rettung aller<br />

Lebewesen.<br />

Ver<strong>in</strong>nerlichung und Wendung nach außen, kontemplatives und akti-<br />

ves Leben dürfen nicht vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> getrennt wer<strong>de</strong>n, bei<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n<br />

jetzt gleichzeitig vollzogen.<br />

"Der Starkarmige ist wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Lotos im Feuer."<br />

Der <strong><strong>de</strong>r</strong> Sage nach im Feuer erwachsene Lotos ist unverwelklich.<br />

So wird auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch durch das Feuer <strong><strong>de</strong>r</strong> barmherzigen<br />

Liebe geglüht und ist unversehrbar gegenüber Schmutz und<br />

Vergänglichkeit.<br />

"Als ob er selbst hat <strong>de</strong>n Willen, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum Himmel emporstößt!"<br />

Der Starkarmige ist mächtig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wirkung; unversehrbar <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Liebe, gestaltet er die Welt im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s Urgrun<strong>de</strong>s um und arbeitet<br />

an <strong><strong>de</strong>r</strong> Erlösung <strong>de</strong>s Ganzen. <strong>Die</strong>se Tatkraft ist so überwältigend<br />

mächtig, dass er ist wie e<strong>in</strong>er, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum Himmel emporsteigen will.<br />

Das Zeichen (Striche: Yang-Yang-Y<strong>in</strong>, Y<strong>in</strong>-Yang-Yang) be<strong>de</strong>utet die<br />

"Innere Wahrheit".<br />

In wun<strong><strong>de</strong>r</strong>voller Harmonie stehen sich die Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n<br />

ersten Stufen (diesmal umgekehrt als beim letzten Zei-


chen) e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüber.<br />

53<br />

<strong>Die</strong> starken Striche stehen nun außen, e<strong>in</strong>e gewaltige Aktivität hat<br />

e<strong>in</strong>gesetzt, im Inneren aber s<strong>in</strong>d die bei<strong>de</strong>n schwachen Striche, hier<br />

ist die "Leerheit", <strong><strong>de</strong>r</strong> Besitz <strong><strong>de</strong>r</strong> "Inneren Wahrheit", wo alle Beson<strong>de</strong>-<br />

rung r<strong>in</strong>gs vom Wesentlichen umfasst wird.<br />

Das <strong>Meditation</strong>sbild zeigt <strong>in</strong> entsprechen<strong><strong>de</strong>r</strong> Weise außen <strong>de</strong>n starken<br />

schwarzen Kreis, die aktive Entfaltung <strong>de</strong>s Wesentlichen und <strong>in</strong>nen<br />

<strong>de</strong>n Kern, das Zurücktreten <strong>de</strong>s Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en. Zeichen und Bild s<strong>in</strong>d die<br />

genauen Gegenstücke zu Zeichen und Bild <strong><strong>de</strong>r</strong> vorhergehen<strong>de</strong>n Stufe.<br />

V. Stufe: Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung.<br />

"Neigt e<strong>in</strong>er nicht zum Se<strong>in</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> Nichtse<strong>in</strong>, wer könnte wohl<br />

wagen, da mitzumachen? Jedwe<strong><strong>de</strong>r</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> wirklich aus <strong>de</strong>m Alltagsstrom<br />

heraustreten will,<br />

Kehrt - alles zusammengenommen - zu se<strong>in</strong>em Sitze <strong>in</strong>mitten<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kohlen zurück!"<br />

"V. Stufe: Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung."<br />

Der Weg <strong>de</strong>s Menschen hat sich zu e<strong>in</strong>em Kreislauf geschlossen. Er ist<br />

wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Alltagsleben zurückgekehrt, aber als völlig Verwan<strong>de</strong>l-<br />

ter: Wirklichkeit und Wirkung s<strong>in</strong>d jetzt vere<strong>in</strong>igt, D<strong>in</strong>g an sich und<br />

Ersche<strong>in</strong>ung gehen jetzt völlig zusammen. Er hat die allerhöchste<br />

Buddhafrucht gepflückt. Er ist angekommen, er ist da. und zwar "<strong>in</strong><br />

Vere<strong>in</strong>igung" aller Gegensätze, aber auch aller vorangegangenen Stu-<br />

fen <strong>in</strong> dieser letzten vollkommenen.<br />

"Neigt e<strong>in</strong>er nicht zum Se<strong>in</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> Nichtse<strong>in</strong>, wer könnte wohl<br />

wagen, da mitzumachen?"<br />

Se<strong>in</strong> und Nichtse<strong>in</strong>, also bei<strong>de</strong> Seiten <strong>de</strong>s Geschehens, Ersche<strong>in</strong>ung


54<br />

und D<strong>in</strong>g an sich, Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung und Wesentliches s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> völliger<br />

Harmonie e<strong>in</strong>s, auch <strong><strong>de</strong>r</strong> schmutzige, mühevolle Alltag <strong>de</strong>s also Voll-<br />

en<strong>de</strong>ten steht nicht mehr im Gegensatz zu <strong><strong>de</strong>r</strong> hohen Heiligkeit.<br />

E<strong>in</strong>e Neigung, nur die e<strong>in</strong>e Seite <strong>de</strong>s Weltgeschehens zu bejahen, e-<br />

xistiert nicht mehr. Für <strong>de</strong>n Vollen<strong>de</strong>ten ist das Nirvana diese Wan-<br />

<strong>de</strong>lwelt und Nichtwissen erleuchtete Buddhanatur, das Absolute<br />

zugleich dunkel und gut. Wer diese Wahrheit nicht nur kennt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

sie verkörpert, <strong><strong>de</strong>r</strong> ist schlechth<strong>in</strong> weltüberlegen, erhaben.<br />

"Wer könnte wohl wagen, da mitzumachen, d. h. es ihm<br />

gleichzutun?"<br />

"Jedwe<strong><strong>de</strong>r</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> wirklich aus <strong>de</strong>m Alltagsstrom heraustreten<br />

will. . . "<br />

Wer so weit gekommen ist, <strong>de</strong>m ist auch das Verdienst o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Be-<br />

lohnung im Jenseits nur Alltagsstrom, also gleichgültig gewor<strong>de</strong>n.<br />

"Kehrt - alles zusammengenommen - zu se<strong>in</strong>em Sitze <strong>in</strong>mitten<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kohlen zurück!"<br />

Das Ziel <strong>de</strong>s ganzen Weges ist wie<strong><strong>de</strong>r</strong> gleich <strong>de</strong>m Ausgangspunkt ge-<br />

wor<strong>de</strong>n. Alle Stufen zusammengenommen führen dazu, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Voll-<br />

en<strong>de</strong>te, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n von Welt und Leben völlig erfasst hat und ihn<br />

verkörpert, wie <strong><strong>de</strong>r</strong> unerfahrenste Mensch und <strong><strong>de</strong>r</strong> Tor das armselige<br />

Leben im Schmutz (Kohlen!) <strong>de</strong>s Alltags wie<strong><strong>de</strong>r</strong> aufnimmt.<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>en Unterschied mehr von Wesentlichem und Unwesentlichem,<br />

von Heiligkeit und Alltag.<br />

So scheut <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollen<strong>de</strong>te nicht die ger<strong>in</strong>ge, kle<strong>in</strong>e Pflicht <strong>de</strong>s Alltags.<br />

und er a<strong>de</strong>lt durch se<strong>in</strong> Verhalten die ganze Welt. Weiser und Tor s<strong>in</strong>d<br />

letztlich e<strong>in</strong>s, Heiliger und Verbrecher <strong>de</strong>sgleichen; wo aber unsere<br />

Ersche<strong>in</strong>ungswelt sich doch noch nicht ganz mit <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zig Wesentli-


55<br />

chen <strong>de</strong>cken sollte, da arbeitet <strong><strong>de</strong>r</strong> zu <strong>de</strong>n Kohlen Zurückgekehrte an<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Erlösung <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit, aller Lebewesen, <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt.<br />

Endlich ist das Zeichen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er vollen Herrlichkeit erschienen. Zwei<br />

Feuerzeichen ergeben zusammen das Zeichen (Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-<br />

Yang, Yang-Y<strong>in</strong>-Yang) <strong>de</strong>s verstärkten Leuchten<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Buche<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen. So ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollen<strong>de</strong>te selber völlig Licht gewor<strong>de</strong>n,<br />

und er erleuchtet mühelos wie die Sonne die vier Weltgegen<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> starken Striche treten zugleich im Inneren wie im Äußeren<br />

auf, die schwachen Striche s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> ihren Zusammenhang.<br />

E<strong>in</strong>e völlige Durchdr<strong>in</strong>gung bei<strong><strong>de</strong>r</strong> Arten hat stattgefun<strong>de</strong>n, D<strong>in</strong>g an<br />

sich und Ersche<strong>in</strong>ung lassen sich nicht mehr trennen, Heiligkeit und<br />

Alltag, Nirvana und Wan<strong>de</strong>lwelt s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>s gewor<strong>de</strong>n. Das <strong>Meditation</strong>s-<br />

bild zeigt gleicherweise e<strong>in</strong>e starke Ausfüllung durch die schwarze Flä-<br />

che <strong>de</strong>s Wesentlichen, aber sowohl nach oben wie nach unten streckt<br />

sich - entsprechend <strong>de</strong>m Zeichen - die schwache weiße Fläche. Ge-<br />

heimnisvoll leuchtet das Bild <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er mondhaften Verteilung von<br />

Dunkel und Hell wie das Bild <strong>de</strong>s gereiften Vollen<strong>de</strong>ten.<br />

VII. Schlußbetrachtung<br />

Werfen wir e<strong>in</strong>en Blick zurück auf die mancherlei verschlungenen We-<br />

ge, die wir gegangen s<strong>in</strong>d. Manch helles Licht e<strong>in</strong>er tieferen Erkennt-<br />

nis unseres Lebens leuchtete da plötzlich auf, aber auch manch Ge-<br />

fährliches aus unseren Tiefen sah man wohl nur eben mit Namen an-<br />

ge<strong>de</strong>utet - im Dunkel sich regen.<br />

Sehr vieles wäre hier noch zu sagen. Beschränken wir uns darauf,<br />

dass die Weisheit, die auf solchem Wege gefun<strong>de</strong>n wird, allumfassend


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Himmel und Er<strong>de</strong> mite<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t und gera<strong>de</strong> dadurch mutig<br />

sich als Besitzer<strong>in</strong> <strong>de</strong>s echten R<strong>in</strong>ges ausweisen will.<br />

Auch auf allerhand Magie o<strong><strong>de</strong>r</strong> allerhand okkulte Ersche<strong>in</strong>ungen ist<br />

hier nicht e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Ihre Beherrschung ist noch lange ke<strong>in</strong> Zeichen e<strong>in</strong>er höheren<br />

Reife, wenn auch ungewöhnliche Fähigkeiten, gewissermaßen<br />

als Nebenprodukt, bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Durchmessung <strong>de</strong>s Weges und bei<br />

<strong>de</strong>n <strong>Meditation</strong>en auftreten.<br />

<strong>Die</strong> hohe Weisheit verachtet diese D<strong>in</strong>ge, und man bekommt als<br />

Schüler gerne folgen<strong>de</strong> Anekdote <strong>in</strong> gewissen ch<strong>in</strong>esischen Bün<strong>de</strong>n<br />

erzählt:<br />

E<strong>in</strong> buddhistischer Meister unterrichtete se<strong>in</strong>e Schüler <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

geheimen Lehre. Nun war unter <strong>de</strong>n Schülern e<strong>in</strong> vorwitziger<br />

Novize, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich allerhand magische Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

erworben hatte und nun gerne damit prahlen wollte.<br />

E<strong>in</strong>es Tages also, als <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister die Menge <strong><strong>de</strong>r</strong> Schüler vor<br />

sich sitzen hatte und sie <strong>in</strong> die Geheimnisse <strong><strong>de</strong>r</strong> seelischen<br />

Reifung e<strong>in</strong>führte, schnalzte <strong><strong>de</strong>r</strong> junge Novize nur mal eben<br />

magisch mit <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>gern. Der ganze Raum erbebte unter e<strong>in</strong>em<br />

gewaltigen Blitz und Donnerschlag.<br />

Entsetzt fuhren die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Novizen <strong>in</strong> die Höhe.<br />

Der Meister aber fuhr ruhig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrage fort, als ob<br />

überhaupt nichts geschehen wäre, und nach <strong>de</strong>m Unterricht<br />

bestrafte er <strong>de</strong>n vorwitzigen Schüler. Wegen Unfugs.<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich eben bei <strong><strong>de</strong>r</strong> hohen Kunst <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> nicht um Ab-<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>liches, nicht um die Erreichung ungewöhnlicher Seelenlagen -<br />

obwohl das natürlich auch vorkommt -, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um die Gew<strong>in</strong>nung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> "himmlischen Perle", mit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> göttliche Geist <strong><strong>de</strong>r</strong> seraphischen<br />

Drachen spielt.<br />

<strong>Die</strong>s wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um nicht aus freventlicher Neugier, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n als<br />

Mittel <strong><strong>de</strong>r</strong> völligen Verwandlung <strong>de</strong>s Menschen zu e<strong>in</strong>em reife-


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ren, vertieften Wesen, das <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang mit <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>n von Welt<br />

und Leben ist.<br />

Nun wird zwar angenommen, e<strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> könne <strong>in</strong> dieser genialen Weise<br />

zu <strong>de</strong>nken lernen, aber die Erfahrung zeigt, dass <strong>de</strong>n meisten die E<strong>in</strong>-<br />

stellung fehlt, die sie diesen Weg - <strong>de</strong>n doch ihre eigene Natur sie sel-<br />

ber leise durch die Lebensalter führt - auch wirklich ernst bewusst<br />

e<strong>in</strong>schlagen.<br />

Kehrt nun auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollen<strong>de</strong>te - alles zusammengenommen - wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

zu se<strong>in</strong>en Kohlen zurück, so kann man mit <strong>de</strong>n Meistern <strong><strong>de</strong>r</strong> Meditati-<br />

onssekte sagen:<br />

"Es gibt ke<strong>in</strong>en Weg!<br />

Es gibt ke<strong>in</strong> Tor <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis!<br />

Wir lehren euch also <strong>de</strong>n Nicht-Weg und das Nicht-Tor!<br />

Wer es fassen kann, <strong><strong>de</strong>r</strong> fasst es."<br />

Wer es aber fasst, <strong><strong>de</strong>r</strong> kann mit FAUST zum Erdgeiste - nach GOETHES<br />

ursprünglicher Absicht zum Weltengeiste - sagen, da ihm <strong>in</strong> ihm<br />

selbst, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur und <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>geglie<strong><strong>de</strong>r</strong>theit <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong>en letzten S<strong>in</strong>n zur Eigennatur gewor<strong>de</strong>n ist:<br />

Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,<br />

Worum ich bat. Du hast mir nicht umsonst<br />

De<strong>in</strong> Angesicht im Feuer zugewen<strong>de</strong>t.<br />

Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,<br />

Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht<br />

Kalt staunen<strong>de</strong>n Besuch erlaubst du nur,<br />

Vergönnest mir, <strong>in</strong> ihre tiefe Brust,<br />

Wie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Busen e<strong>in</strong>es Freunds, zu schauen.<br />

Du führst die Reihe <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebendigen<br />

Vor mir vorbei und lehrst mich me<strong>in</strong>e Brü<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Im stillen Busch, <strong>in</strong> Luft und Wasser kennen<br />

...............................................................<br />

Dann führst du mich zur sichren Höhle, zeigst


Mich dann mir selbst, und me<strong>in</strong>er eignen Brust<br />

Geheime tiefe Wun<strong><strong>de</strong>r</strong> öffnen sich.<br />

Und steigt vor me<strong>in</strong>em Blick <strong><strong>de</strong>r</strong> re<strong>in</strong>e Mond<br />

Besänftigend herüber, schweben mir<br />

Von Felsenwän<strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>m feuchten Busch<br />

Der Vorwelt silberne Gestalten auf<br />

Und l<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung strenge Lust.<br />

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