Die Typen der Meditation in China - mathias-zdarsky.de
Die Typen der Meditation in China - mathias-zdarsky.de
Die Typen der Meditation in China - mathias-zdarsky.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1<br />
<strong>Die</strong> <strong>Typen</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />
ERWIN ROUSSELLE<br />
Aus:<br />
Ch<strong>in</strong>esisch-Deutscher Almanach 1932<br />
Herausgegeben <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung <strong><strong>de</strong>r</strong> Freun<strong>de</strong> ostasiatischer<br />
Kunst Köln<br />
vom Ch<strong>in</strong>a-Institut Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />
I. EINFÜHRUNG<br />
Dem FAUST, <strong><strong>de</strong>r</strong> zu <strong>de</strong>n Müttern h<strong>in</strong>absteigt, ruft MEPHISTO zu:<br />
"Vers<strong>in</strong>ke <strong>de</strong>nn! ich könnt auch sagen: steige!"<br />
Mit Recht! Denn wenn wir diese Szene <strong>in</strong> psychologischer Auslegung<br />
als e<strong>in</strong>en Gang <strong>in</strong> die Tiefe <strong><strong>de</strong>r</strong> eignen Seele - wo wir <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>n von<br />
Welt und Leben am nächsten s<strong>in</strong>d - ansehen, da wird aller Raum - wie<br />
alle Zeit - wesenlos <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Schau, die sich <strong>de</strong>m Geiste eröffnet und die<br />
die Tiefe <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele mit <strong>de</strong>n Höhen <strong>de</strong>s Metaphysischen verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t.<br />
Wenn schon PLATON <strong>de</strong>m Menschen e<strong>in</strong>e "Anamnesis" zuschreibt, e<strong>in</strong><br />
angeborenes "Gedächtnis", e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> ihm ruhen<strong>de</strong> Er<strong>in</strong>nerung an <strong>de</strong>n i-<br />
<strong>de</strong>alen Weltengrund – e<strong>in</strong> Gedanke, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> die SCHOLASTIK <strong>de</strong>s Mittelal-<br />
ters übergegangen ist – wenn die MAHAYANA-BUDDHISTEN <strong>de</strong>m Men-<br />
schen <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>m universalen kosmischen "Schatzhaus-<br />
Bewusstse<strong>in</strong>" beilegen, so wird damit zugleich an psychologische Er-<br />
kenntnisse über e<strong>in</strong> <strong>in</strong> uns ruhen<strong>de</strong>s über<strong>in</strong>dividuelles, kollektives<br />
Erbgedächtnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit, ja <strong>de</strong>s Lebens 1 gerührt, die uns teil-<br />
1 In dieser Erberfahrung berührt sich das Kosmische mit <strong>de</strong>m Metaphysischen.
2<br />
weise erklären, e<strong>in</strong>erseits aus welchen Tiefen im genialen Menschen<br />
erleuchtete Schau aufsteigt und wozu an<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits die <strong>Meditation</strong><br />
taugt.<br />
Denn die <strong>Meditation</strong> will eben nichts an<strong><strong>de</strong>r</strong>es als <strong>de</strong>n Weg im<br />
Menschen frei machen zu genialer Erkenntnis durch Verb<strong>in</strong>dung<br />
<strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s mit jenem von zeitloser Erfahrung<br />
und Weisheit erfüllten kosmischen "Schatzhaus".<br />
<strong>Die</strong> hier ruhen<strong>de</strong>n angeborenen Urbil<strong><strong>de</strong>r</strong> aber s<strong>in</strong>d uns die Organe,<br />
mit <strong>de</strong>nen wir - gewissermaßen apriori - <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n von Welt und Leben<br />
erfassen. Tritt das so Erfasste <strong>in</strong> solch rezeptivem und zugleich schöp-<br />
ferischem Zustan<strong>de</strong> <strong>in</strong> das verstehen<strong>de</strong> Bewusstse<strong>in</strong>, so wird dieses<br />
mit e<strong>in</strong>em ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>en tiefen Lichte und e<strong>in</strong>er Wärme erfüllt, die wir<br />
als Weisheit o<strong><strong>de</strong>r</strong> als Erleuchtung bezeichnen.<br />
In diesem Wissen um die D<strong>in</strong>ge steckt e<strong>in</strong> Stück genialer, o<strong><strong>de</strong>r</strong> sagen<br />
wir - vielleicht e<strong>in</strong>seitiger, aber schärfer - mystischer Psychologie.<br />
Der tief rauschen<strong>de</strong> Strom dieser mystischen Erfahrung und<br />
Tiefsicht begleitet die Entwicklung aller Religionen <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong>.<br />
Und das Merkwürdige, aber Verständliche ist, dass sie alle <strong>in</strong> ihren<br />
mystischen Richtungen mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger behaupten, dass je<strong>de</strong>m<br />
Menschen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zugang, wenn auch nicht die Höhe eben jener genialen<br />
Wesensschau möglich sei, sei es, dass er durch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiges Cha-<br />
risma hierzu geführt wird, sei es, dass er durch die Schule <strong><strong>de</strong>r</strong> Medita-<br />
tion als <strong><strong>de</strong>r</strong> höchsten geistlichen Kunst gegangen ist.<br />
Also liegt gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Fähigkeit zu jenem ursprünglichen<br />
und <strong>in</strong>tuitiven Erfassen <strong><strong>de</strong>r</strong> alle<strong>in</strong> mögliche Ausgangspunkt<br />
späterer Weisheit, nicht aber <strong>in</strong> re<strong>in</strong> verstan<strong>de</strong>smäßiger Ana-<br />
Natürlich reicht das Psychologische nicht zur Erklärung <strong>de</strong>s letzteren aus, aber es<br />
macht uns das Metaphysische <strong>in</strong> gewisser Beziehung fassbar.
lyse.<br />
Lächelnd und zugleich ernst mahnend sagt LAU DSI (O<strong>de</strong> 81):<br />
" Weiser ist ungelehrt,<br />
Gelehrter ist unweise. "<br />
3<br />
Ist es nicht so, dass wir Abendlän<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> neueren Entwicklung die<br />
Wissenschaft als unsere Domäne, ja als Kennzeichen unseres Geistes<br />
ausgebil<strong>de</strong>t haben, <strong><strong>de</strong>r</strong> Osten aber bis <strong>in</strong> unsere Tage e<strong>in</strong>e Heimstätte<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Weisheit gewesen ist?<br />
Und ist nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Weise doch zugleich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unendlich tieferen S<strong>in</strong>n<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Wissen<strong>de</strong>?<br />
Ersche<strong>in</strong>en nicht untergöttlicher Titanens<strong>in</strong>n und Tragik <strong>de</strong>s selbstbe-<br />
wussten westlichen Menschen von e<strong>in</strong>er höheren, allumfassen<strong>de</strong>n<br />
Warte aus letztlich unwesentlich, als fehlleitend o<strong><strong>de</strong>r</strong> vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gründig?<br />
Und doch hat es auch bei uns im Westen zu allen Zeiten - meist im<br />
Schutze <strong><strong>de</strong>r</strong> Religionen - wahre Weisheit gegeben.<br />
Und so kann uns <strong>de</strong>nn Beschäftigung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Weisheit und<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>serfahrung CHINAS - und nur das kann <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
menschliche S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er solchen Beschäftigung se<strong>in</strong>! - vielleicht<br />
dazu führen, die Tiefen unserer abendländischen<br />
Menschlichkeit besser zu verstehen. und uns wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu <strong>de</strong>n<br />
Quellen unserer Weisheit leiten.<br />
<strong>Die</strong> Be<strong>de</strong>utsamkeit solcher Weisheit wird uns erst recht e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich,<br />
wenn wir uns vor Augen führen, dass das Leben <strong>in</strong> solcher Tiefen-<br />
schau o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr von ihr her notwendigerweise e<strong>in</strong> neues seeli-<br />
sches Gefälle verursacht, e<strong>in</strong>e völlige Verwandlung <strong>de</strong>s Menschen, die<br />
im wesentlichen als das Wer<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>er neuen sittlichen Persönlichkeit<br />
ihren Ausdruck f<strong>in</strong><strong>de</strong>t.
4<br />
Daher lehrt <strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> BUDDHISMUS auch ganz richtig. Dass die Meditati-<br />
on - diese immer als <strong><strong>de</strong>r</strong> Weg zu jener genialen Stufe betrachtet -<br />
zwei D<strong>in</strong>ge erreichen lasse:<br />
1. Wesensschau o<strong><strong>de</strong>r</strong> Tiefsicht (sanskrit: vipasyana, ch<strong>in</strong>esisch:<br />
Guan) und<br />
2. beruhigen<strong>de</strong>n Ausgleich <strong>de</strong>s e<strong>in</strong>bezogenen Trieblebens<br />
(sanskrit: samatha, ch<strong>in</strong>esisch: Dschi).<br />
Ohne hier nun näher auf die Stufenfolge <strong>de</strong>s Weges e<strong>in</strong>er solchen<br />
Entwicklung e<strong>in</strong>zugehen<br />
• die sowohl e<strong>in</strong> Gang über die Innenwelt<br />
• wie über die Außenwelt se<strong>in</strong> kann,<br />
sei hier vorweg bemerkt, dass <strong><strong>de</strong>r</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich <strong>de</strong>m Ziele nähert, nicht zu<br />
e<strong>in</strong>er statischen Größe <strong>de</strong>s Weltgeschehens gelangt, was ihn selber zu<br />
e<strong>in</strong>er Passivität abdrängen könnte,<br />
• son<strong><strong>de</strong>r</strong>n zu e<strong>in</strong>er dynamischen Ordnung o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr e<strong>in</strong>em<br />
Ordnen<strong>de</strong>n, das semper agens, semper quietus ist - wenn<br />
dieser Ausdruck hier gebraucht wer<strong>de</strong>n darf -, ch<strong>in</strong>esisch gesprochen<br />
zum Tao, buddhistisch gesprochen zum Dharma.<br />
Erhaben über Tun und Lassen (ch<strong>in</strong>. über Yu We und Wu We), über<br />
Gewirktes und Ungewirktes (sa. samskrta und asamskrta), nach<strong>de</strong>m<br />
die Versickerung <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele <strong>in</strong> die S<strong>in</strong>neserfahrungen (sa. asrava, ch<strong>in</strong>.<br />
Lou) zum Stillstand gekommen ist, schw<strong>in</strong>gt <strong><strong>de</strong>r</strong> Befreite im ureigenen<br />
<strong>in</strong>neren Rhythmus <strong>de</strong>s Tao, <strong>de</strong>s Dharma.<br />
• Denn mit diesem ist er e<strong>in</strong>s o<strong><strong>de</strong>r</strong> wenigstens willensgleich<br />
gewor<strong>de</strong>n.<br />
Betrachten wir nun kurz, was die verschie<strong>de</strong>nen Religionen CHINAS ü-<br />
ber die <strong>Meditation</strong> als Mittel zum Sich öffnen <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen typi-<br />
schen Ausprägungen zu sagen haben.
II. KONFUZIANISMUS UND MEDITATION<br />
5<br />
Der KONFUZIANISMUS br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> meditativer H<strong>in</strong>sicht, obwohl zutiefst <strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Tao verankert, am wenigsten Aufschlüsse. Ke<strong>in</strong> Wun<strong><strong>de</strong>r</strong>!<br />
• Ist doch die Blickrichtung <strong><strong>de</strong>r</strong> ihn tragen<strong>de</strong>n "Literaten"-<br />
Schicht wesentlich <strong>de</strong>n mehr praktischen Problemen, wie <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
ethischen Ges<strong>in</strong>nung, <strong><strong>de</strong>r</strong> Familien- und Staatsmoral, zugewandt.<br />
• Ist doch das tatsächliche I<strong>de</strong>al <strong><strong>de</strong>r</strong> Betätigung <strong>de</strong>s konfuzianischen<br />
Edlen immer <strong><strong>de</strong>r</strong> Beamte - mit se<strong>in</strong>en gewiss hohen<br />
Aufgaben und se<strong>in</strong>er großen Verantwortung - gewesen.<br />
Aber e<strong>in</strong>e durch Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>te entwickelte, überlieferte und durchge-<br />
bil<strong>de</strong>te psychologische Erfahrung kann man diesem sonst vielfach so<br />
tüchtigen Stan<strong>de</strong> nicht nachrühmen. Spezialisten auf diesem Gebiet<br />
s<strong>in</strong>d überall zunächst e<strong>in</strong>mal die Priesterkasten, die mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Seelenlei-<br />
tung ihres Nachwuchses o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Laienwelt betraut s<strong>in</strong>d.<br />
E<strong>in</strong>e solche psychologische Überlieferung besaß eigentlich nur<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> buddhistische Klerus, dann aber auch die taoistischen Eremitengeme<strong>in</strong>schaften<br />
und die Klöster.<br />
Damit soll jedoch <strong>de</strong>m KONFUZIANISMUS nicht abgestritten wer<strong>de</strong>n, dass<br />
auch <strong>in</strong> ihm von vornhere<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> be<strong>de</strong>utsame Zug zur <strong>in</strong>nerlichen Um-<br />
wandlung <strong>de</strong>s Seelenlebens, wenn auch mehr ethischer Art, angelegt<br />
ist.<br />
Sagt doch schon DSENG DSI, e<strong>in</strong> Schüler <strong>de</strong>s KONFUZIUS (Lun<br />
Yü I, 4):<br />
"Täglich prüfe ich mich selbst dreifach: War ich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Tätigkeit<br />
für an<strong><strong>de</strong>r</strong>e nicht treu? War ich im Verkehr mit Freun<strong>de</strong>n<br />
nicht zuverlässig? Habe ich bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Überlieferung (<strong><strong>de</strong>r</strong> Lehre<br />
sie selber) nicht ausgeübt?"<br />
Sicherlich ist <strong>in</strong> dieser Art täglicher "Gewissenserforschung" Bewusst-
6<br />
heit und Wille, durch Bes<strong>in</strong>nlichkeit die Verwandlung und Vere<strong>de</strong>lung<br />
<strong>de</strong>s Charakters irgendwie zu ermöglichen. Wie sollte auch nicht <strong>in</strong> ei-<br />
ner Lebensanschauung, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s "Edlen" zum erstenmal<br />
<strong>de</strong>m Individualismus Ausdruck und A<strong>de</strong>l verleiht, eben das Individuum<br />
se<strong>in</strong>er selbst bewusst se<strong>in</strong> und von da aus zu e<strong>in</strong>er methodischen<br />
"self-control" kommen? Aber ebenso sicher kann hier von e<strong>in</strong>er Medi-<br />
tation im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er hohen psychologischen Kunst noch ke<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong><br />
se<strong>in</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Verfe<strong>in</strong>erung <strong><strong>de</strong>r</strong> Metho<strong>de</strong>n ist Sache <strong><strong>de</strong>r</strong> Spezialisten,<br />
und als solche auf <strong>de</strong>m Gebiet seelischer Vorgänge und ihrer<br />
eventuellen Zusammenhänge müssen wir die TAOISTEN und<br />
BUDDHISTEN ansehen.<br />
Bei <strong><strong>de</strong>r</strong> überwältigen<strong>de</strong>n Rolle im Geistesleben, die diese bei<strong>de</strong>n Rich-<br />
tungen nache<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung<br />
spielten, ist ihr E<strong>in</strong>fluss auch auf be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> KONFUZIANER nicht weiter<br />
verwun<strong><strong>de</strong>r</strong>lich. Der Raum ist hier zu kurz, um auf die mancherlei<br />
Mischgebil<strong>de</strong> und das <strong>in</strong>teressante H<strong>in</strong> und Her <strong><strong>de</strong>r</strong> kaiserlichen<br />
Staatspolitik zwischen <strong>de</strong>n rivalisieren<strong>de</strong>n Religionen e<strong>in</strong>zugehen.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd für uns ist jedoch, wie sich die neukonfuzianische<br />
Scholastik <strong><strong>de</strong>r</strong> SUNG-ZEIT, die ihrem Meister erst endgültig<br />
die beherrschen<strong>de</strong> Stellung im Geistesleben gegeben hat,<br />
zur <strong>Meditation</strong> stellt.<br />
DSCHOU DUN-I (1017-1073), e<strong>in</strong>er <strong><strong>de</strong>r</strong> Väter <strong>de</strong>s NEUKONFUZIANISMUS,<br />
erklärt (Dschou Dsi Tung Schu, Scheng Hüo) auf die Frage, ob man<br />
die Heiligkeit erlernen könne:<br />
"Man kann es".<br />
Gefragt, ob es da etwas Wichtiges zu beachten gebe, erwi<strong><strong>de</strong>r</strong>t er: Ja,
7<br />
und dies Wichtige sei Sammlung. Sammlung aber sei Wunschlosig-<br />
keit.<br />
"Ist man wunschlos, dann ist man still und leer, und die Seelenbewegung<br />
ist recht.<br />
Ist man still und leer, dann wird man klar.<br />
Ist man klar, dann durchschaut man.<br />
Ist das Durchschauen recht, dann ist man sozial.<br />
Ist man sozial, dann ist man auch universal!<br />
Klarheit, Bewegtheit, Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n, Universalität, das ist es !"<br />
In <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahl <strong><strong>de</strong>r</strong> Worte "still" (Ds<strong>in</strong>g) und "leer" (Hü) dürfen wir wohl<br />
vorzüglich buddhistische und taoistische Term<strong>in</strong>ologie sehen. Freilich,<br />
ob mit diesem Stillse<strong>in</strong> (Ds<strong>in</strong>g) auch schon die <strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong><br />
gleich zu Anfang erfor<strong><strong>de</strong>r</strong>liche Ruhe o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stille geme<strong>in</strong>t ist, bleibe da-<br />
h<strong>in</strong>gestellt. Je<strong>de</strong>nfalls ist das "Stillesitzen" (Ds<strong>in</strong>g Dso) im S<strong>in</strong>ne medi-<br />
tativer Erlebnisse bei se<strong>in</strong>en großen Schülern und Nachfolgern be-<br />
kannt.<br />
YANG SCHI (1053-1135), e<strong>in</strong> Schüler <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Brü<strong><strong>de</strong>r</strong> TSCHENG, die<br />
ihrerseits Jünger <strong>de</strong>s erwähnten DSCHOU DUN-I waren, besuchte e<strong>in</strong>es<br />
Tages - so erzählt uns se<strong>in</strong>e Biographie - zusammen mit YU DSO <strong>de</strong>n<br />
Meister TSCHENG I (1033-1107). Sie treffen ihn, wie er völlig im "Stille-<br />
Sitzen" versunken ist. <strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n wagen nicht, se<strong>in</strong>e Schau zu stören,<br />
und bleiben ganz ruhig stehen. Als TSCHENG I wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu sich gekom-<br />
men ist, die bei<strong>de</strong>n begrüßt und - sich entschuldigend gleich wie<strong><strong>de</strong>r</strong> -<br />
entlassen hat, liegt <strong><strong>de</strong>r</strong> -Schnee vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Tür drei Ellen hoch! So lange<br />
hatte also die Versunkenheit gedauert, soweit die bei<strong>de</strong>n Schüler ihre<br />
Zeugen gewesen waren.<br />
Wir wissen auch, dass YANG SCHI und die bei<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Meisterge-<br />
nerationen LO TSUNG-YEN (1072-1135) und LI TUNG (1088-1158) die
<strong>Meditation</strong> geübt und sie ihren Schülern gelehrt haben.<br />
8<br />
DSCHU HI (1130-1200) nun, <strong><strong>de</strong>r</strong> Fürst <strong><strong>de</strong>r</strong> konfuzianischen Scholastik,<br />
wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>es Tages darüber befragt, ob er <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>smetho<strong>de</strong><br />
se<strong>in</strong>es Lehrers LI TUNG beipflichte. Er antwortete darauf, das sei<br />
schwer zu sagen.<br />
• Wenn man die <strong>Meditation</strong> dazu benutze, um die Wahrheit<br />
(Dau Li) zu erreichen, so sei er nicht dagegen.<br />
• Er verwerfe aber, was die meisten als <strong>Meditation</strong> praktizierten;<br />
<strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Meditation</strong> sei durch <strong>de</strong>n Wunsch veranlasst,<br />
sich von <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeit zu drücken.<br />
Hiermit spielt <strong><strong>de</strong>r</strong> große Hasser <strong>de</strong>s BUDDHISMUS wohl auf die buddhis-<br />
tischen Mönche an, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Dase<strong>in</strong>ss<strong>in</strong>n er nie verstan<strong>de</strong>n hat. Er wen-<br />
<strong>de</strong>t sich daher mehrfach gegen <strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Meditation</strong>stechnik. So schreibt<br />
er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an LIU DSI- YÜO:<br />
"Für e<strong>in</strong>en BUDDHISTEN ist die (metaphysische) Leerheit das<br />
Wichtigste, dagegen für uns KONFUZIANER gera<strong>de</strong> das Reale<br />
(die Ersche<strong>in</strong>ung), und zwar erkennt man Freu<strong>de</strong>, Zorn,<br />
Trauer und Glück schon vor ihrem wirklichen Bewusstwer<strong>de</strong>n."<br />
An e<strong>in</strong>er an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Stelle sagt er,<br />
• das "Stille-Sitzen" (Ds<strong>in</strong>g Dso) habe nicht <strong>de</strong>n Zweck wie<br />
(notabene angeblich) die buddhistische <strong>Meditation</strong>, nämlich<br />
Gedanken und Sorgen absolut auszuschei<strong>de</strong>n,<br />
• son<strong><strong>de</strong>r</strong>n lediglich <strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Sammlung, damit die Gedanken<br />
nicht auf unnötige und falsche Bahnen geraten.<br />
• So wird die Seele re<strong>in</strong> und ruhig, sie kann sich sammeln und<br />
ist dann im Stan<strong>de</strong>, sich richtig zu entschei<strong>de</strong>n.<br />
DSCHU HI zitiert <strong>de</strong>n Satz aus <strong>de</strong>m Anfang <strong><strong>de</strong>r</strong> "Höheren Ausbildung"<br />
(Da Hüo):<br />
"Kennt man das Ziel (Dschi), so hat man Festigung (D<strong>in</strong>g);
ist man gefestigt, dann kann man still (Ds<strong>in</strong>g) se<strong>in</strong>;<br />
ist man still, so vermag man voll Frie<strong>de</strong>n (An) zu se<strong>in</strong>;<br />
ist man voll Frie<strong>de</strong>n, so vermag man nachzu<strong>de</strong>nken;<br />
durch Nach<strong>de</strong>nken erreicht man (das Ziel)."<br />
9<br />
In diesen uralten Sätzen kommen die Begriffe vor, die später im<br />
BUDDHISMUS und im TAOISMUS Fachausdrücke <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>stechnik<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
• So bezeichnet "Dschi" nicht e<strong>in</strong>fach „Haltmachen, Grenze,<br />
Ziel", son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die "Beruhigung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lei<strong>de</strong>nschaften" (sa. samatha),<br />
• "D<strong>in</strong>g" nicht Festigung, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n Versenkung (sa. samadhi)<br />
und <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e vorstellungsmäßige Verlegung <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s<br />
<strong>in</strong> das Lebenszentrum (Sonnengeflecht) - vergleiche<br />
im <strong>in</strong>dischen YOGA dharana,<br />
• und "Ds<strong>in</strong>g" nicht e<strong>in</strong>fach Ruhe o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stille - also Freise<strong>in</strong> von<br />
Störung -, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n gera<strong>de</strong>zu Versenkungsstufe o<strong><strong>de</strong>r</strong> meditativer<br />
Zustand (sa. dhyana),<br />
• "An" aber nicht nur Frie<strong>de</strong>, Festigkeit, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n jenen rezeptiven<br />
und zugleich schöpferischen Frie<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />
alle<strong>in</strong> spontan die tieferen Kräfte wirken können (sa. sthairya).<br />
•<br />
<strong>Die</strong> drei Worte D<strong>in</strong>g, Ds<strong>in</strong>g, An s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> taoistischen Kreisen e<strong>in</strong>e fest-<br />
stehen<strong>de</strong> Formel für <strong>de</strong>n Versenkungsablauf zu Beg<strong>in</strong>n je<strong><strong>de</strong>r</strong> Meditati-<br />
on.<br />
1. Man verlegt vorstellungsmäßig se<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> zwecks<br />
Ausschaltung alles stören<strong>de</strong>n Gedankenspiels <strong>in</strong> das Lebenszentrum<br />
(etwa Sonnengeflecht). Das ist noch e<strong>in</strong> Willensakt:<br />
"D<strong>in</strong>g", die Fixierung <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s.<br />
2. Darauf erreicht man e<strong>in</strong>en Zustand völliger Ruhe und Stille.<br />
Alle stören<strong>de</strong>n Gemütsbewegungen und alle Vorstellungen<br />
s<strong>in</strong>d ausgeschaltet. Das ist "Ds<strong>in</strong>g", die Ruhe.<br />
3. Darauf wird man, ohne dass man etwas will, von e<strong>in</strong>em Zustand<br />
e<strong>in</strong>es erwartungsvollen und zugleich seligen Frie<strong>de</strong>ns<br />
erfüllt. Man braucht sich nicht mehr um die Fixierung und
10<br />
Aufrechterhaltung <strong><strong>de</strong>r</strong> Ruhe zu bemühen, man ist versunken,<br />
h<strong>in</strong>gegeben und auf diese Weise bereit, aufsteigen<strong>de</strong><br />
geniale Erkenntnisse zu erleben und bisher unbewusste o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
unbekannte D<strong>in</strong>ge und Vorgänge zu spüren. Sie treten spontan<br />
<strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>. Man ist also nicht <strong>in</strong> Konzentration (willentlicher<br />
Anspannung) befangen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n frei, gelöst und<br />
doch gesammelt, nämlich durch "Kontention" (unwillentliche<br />
Gespanntheit). Das ist <strong><strong>de</strong>r</strong> schöpferische Zustand.<br />
DSCHU HI ist sich offenbar sehr wohl bewusst, dass die psychischen Ei-<br />
genschaften, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>m zitierten Spruch vorkommen, gera<strong>de</strong> Eigen-<br />
schaften <strong>de</strong>s <strong>Meditation</strong>svorgangs s<strong>in</strong>d und von an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Richtungen<br />
so ausgelegt wer<strong>de</strong>n. Er schätzt diese Seelenlagen hoch e<strong>in</strong>, aber e<strong>in</strong>e<br />
Kunstlehre, e<strong>in</strong>e systematische Bearbeitung <strong><strong>de</strong>r</strong> Methodik <strong><strong>de</strong>r</strong> Medita-<br />
tion (wie auf se<strong>in</strong>en an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Arbeitsgebieten) hat er nicht geschaffen.<br />
Auch als später manche hervorragen<strong>de</strong>n KONFUZIANER vom Ausgang<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> SUNG-ZEIT bis zur MING-ZEIT zum BUDDHISMUS und zum mystischen<br />
Subjektivismus neigten, "mehr meditierten als studierten" - um e<strong>in</strong>en<br />
Ausdruck von WIEGER zu gebrauchen -,<br />
• hat die konfuzianische Schule <strong>de</strong>n Wert <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong><br />
zwar wohl erkannt, aber nie e<strong>in</strong>e eigene konfuzianische<br />
Systematik <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung, ke<strong>in</strong>e eigne Methodik geschaffen.<br />
Man kann wohl sagen, dass jener gehobene meditative Zustand, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
zugleich voll Frie<strong>de</strong>n und zugleich voll Überwachheit ist, als fruchtbare<br />
Basis <strong><strong>de</strong>r</strong> Wesensschau und Charakterpflege für <strong>de</strong>n Weisen und Edlen<br />
gewürdigt und geübt wur<strong>de</strong>, dies aber <strong>de</strong>n KONFUZIANERN genügte.<br />
Sie haben sich gescheut vor <strong><strong>de</strong>r</strong> ungeheuerlichen Mystik <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
TAOISTEN und BUDDHISTEN mit ihrem Zug, <strong>in</strong>s Unbetretene,<br />
nicht zu Betreten<strong>de</strong> e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und von da aus Himmel und<br />
Er<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n Angeln zu heben, um so selber völlig <strong>in</strong>s Letzte
<strong>de</strong>s Universums e<strong>in</strong>zugehen.<br />
III. VOM BOGENSCHIESSEN<br />
11<br />
E<strong>in</strong> ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>es Gebiet, auf <strong>de</strong>m sich <strong><strong>de</strong>r</strong> meditative Zustand e<strong>in</strong>-<br />
gebürgert hat, s<strong>in</strong>d die Künste, die dadurch e<strong>in</strong>e Vergeistigung und<br />
Ver<strong>in</strong>nerlichung ohnegleichen erfahren haben. Bekannt ist, dass die<br />
Herstellung jener schöpferischen Haltung, unter Verwendung <strong>de</strong>s<br />
Weihrauchopfers, für viele Künste zeitweise gepflegt wur<strong>de</strong>. So ist das<br />
Spielen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zither (ch<strong>in</strong>. K<strong>in</strong>) gera<strong>de</strong>zu e<strong>in</strong> sakraler Akt. Mit feierli-<br />
chem Zeremoniell, <strong>in</strong> beson<strong><strong>de</strong>r</strong>em Ornat wird das K<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>n Tisch<br />
gestellt, Weihrauch verbrannt und jener e<strong>in</strong>e Zustand <strong><strong>de</strong>r</strong> Gesam-<br />
meltheit hergestellt, aus <strong>de</strong>m heraus alle<strong>in</strong> die gera<strong>de</strong>zu kosmische<br />
Wirkung <strong>de</strong>s Zitherspiels erreicht wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Aber auch alle Künste, die <strong>in</strong> EUROPA nur als Sport bekannt<br />
s<strong>in</strong>d, unterliegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>.<br />
Da ist vor allem die Kunst <strong>de</strong>s Bogenschießens zu nennen, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Ed-<br />
le zu erlernen hat.<br />
Schon im Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Riten (Li Gi, Kap. 43) f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir e<strong>in</strong>e geistige<br />
Durchdr<strong>in</strong>gung <strong>de</strong>s Bogenschießens, die es aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Ebene <strong>de</strong>s re<strong>in</strong><br />
Technischen gera<strong>de</strong>zu zu e<strong>in</strong>er feierlichen Handlung erhebt und e<strong>in</strong>e<br />
Beziehung zwischen sittlicher Haltung und Schießkunst herstellt.<br />
<strong>Die</strong> Rangordnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gäste wird beobachtet, die Bewegungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Schützen gehen nach <strong>de</strong>n Regeln <strong><strong>de</strong>r</strong> Sitte vor sich, die sorgfältige<br />
und fest zugreifen<strong>de</strong> Handhabung von Bogen und Pfeilen gestattete<br />
nach diesem Buche Rückschlüsse auf die sittliche Tüchtigkeit und <strong>de</strong>n<br />
Lebenswan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Schützen.<br />
"Das Bogenschießen war das Tao <strong><strong>de</strong>r</strong> Humanität. Man er-
12<br />
strebte die Geradheit im eigenen Innern. War man selbst gera<strong>de</strong>,<br />
dann konnte man schießen. Verfehlte man beim Schießen<br />
das Ziel, so zeigte man sich nicht zornig gegenüber <strong>de</strong>m,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>em überlegen war. Prüfend suchte man <strong>in</strong> sich selbst<br />
(<strong>de</strong>n Fehler) und nicht sonst wo. KONFUZIUS sprach (Lun Yü<br />
HI, 7): Der Edle hat nichts, worum er kämpfen wür<strong>de</strong>; o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
etwa beim Bogenschießen? (Vor <strong>de</strong>m Schuss) lässt er grüßend<br />
<strong>de</strong>n Vortritt und steigt (auf die Schießbahn) h<strong>in</strong>auf.<br />
(Nach <strong>de</strong>m Schuss) kommt er herunter und tr<strong>in</strong>kt (<strong>de</strong>n Siegesbecher).<br />
Auch im Kampf ist er e<strong>in</strong> Edler. " 2<br />
LIE DSI erzählt uns (II, 5), dass e<strong>in</strong> Meister <strong>de</strong>s Bogenschießens e<strong>in</strong>em<br />
Meister <strong>de</strong>s Tao se<strong>in</strong>e Kunst vorführt. Er hält <strong>de</strong>n Bogen so fest und<br />
ruhig gespannt, dass beim Abschuss e<strong>in</strong> auf die Faust gestellter Be-<br />
cher Wasser ke<strong>in</strong>en Tropfen verliert. Aber <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister <strong>de</strong>s Tao sagt:<br />
"Das ist Schießen <strong>de</strong>s Schießens, nicht Schießen <strong>de</strong>s<br />
Nichtschießens!"<br />
Er führt <strong>de</strong>n Schützen auf e<strong>in</strong>en hohen Berg an e<strong>in</strong>en hun<strong><strong>de</strong>r</strong>t Klafter<br />
tiefen Abgrund und stellt sich selbst so an die Kante, dass zwei Drittel<br />
se<strong>in</strong>er Fußsohlen <strong>in</strong> die leere Luft ragen. Nun for<strong><strong>de</strong>r</strong>t er <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
auf, es ihm gleichzutun. Der aber kann es nicht, <strong><strong>de</strong>r</strong> Angstschweiß<br />
bricht ihm aus. Der Meister <strong>de</strong>s Tao belehrt ihn, dass er also ke<strong>in</strong><br />
vollkommener Schütze sei, <strong>de</strong>nn er sei noch äußeren E<strong>in</strong>drücken un-<br />
terworfen!<br />
Der Schütze kannte also noch nicht die völlige Versunkenheit<br />
<strong>in</strong> das Ziel, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> alle<strong>in</strong> heraus meisterhaft geschossen<br />
wird, o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr wo nicht geschossen wird, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Pfeil sich gewissermaßen von selbst löst und unfehlbar <strong>in</strong>s<br />
Schwarze trifft.<br />
2 Nach an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Auslegung (und <strong>in</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Betonung): "lässt er (<strong>de</strong>n Besiegten<br />
<strong>de</strong>n Strafbecher) tr<strong>in</strong>ken."
13<br />
Gar mannigfache Schulen dieser edlen Kunst hat es später <strong>in</strong> CHINA<br />
gegeben- vielfach mit taoistischem, aber auch mit buddhistischem<br />
E<strong>in</strong>schlag-, und das Wichtigste wird auch heute noch - übrigens wie <strong>in</strong><br />
INDIEN - nur als Geheimlehre überliefert.<br />
Der Knabe, <strong><strong>de</strong>r</strong> diese Kunst erlernen will, bekommt von se<strong>in</strong>em Lehrer<br />
ke<strong>in</strong>eswegs gleich Bogen und Pfeil <strong>in</strong> die Hand gedrückt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
muss zunächst e<strong>in</strong>mal lernen. sich geistig <strong>in</strong> das Ziel zu versenken.<br />
Der Lehrer setzt ihn auf e<strong>in</strong>en Hocker o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stuhl, lässt ihn e<strong>in</strong>e ruhige<br />
Haltung e<strong>in</strong>nehmen und hängt an die Wand, zwei, drei Schritt von<br />
<strong>de</strong>m Schüler entfernt, e<strong>in</strong>e rote (etwa zwei Zoll große) Scheibe auf<br />
weißem Papier. Der Schüler muss alle stören<strong>de</strong>n Gedanken ausschal-<br />
ten und nur die rote Scheibe, das Ziel, anblicken. Er fixiert se<strong>in</strong>en<br />
Geist dorth<strong>in</strong> und versenkt sich <strong>in</strong> völliger Ruhe und voll Seelenfrie<strong>de</strong>n<br />
<strong>in</strong> die Zielscheibe.<br />
Da ergreift ihn das Ziel, es kommt ihm so vor, als ob die<br />
Scheibe wüchse und größer wür<strong>de</strong>, so etwa bis zu <strong><strong>de</strong>r</strong> Größe,<br />
wie wir <strong>de</strong>n Mond wahrnehmen. Auch die Täuschung tritt e<strong>in</strong>,<br />
als ob die Zielscheibe auf ihn zukäme.<br />
Erst nach<strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong> Schüler diese geistige Versenkung längere Zeit ge-<br />
übt hat, auch die Entfernung zwischen Mensch und Ziel allmählich<br />
immer mehr vergrößert wor<strong>de</strong>n ist, lernt er die Handhabung von Bo-<br />
gen und Pfeil. Wer so das Ziel erlebt hat, <strong><strong>de</strong>r</strong> trifft auch, wenn er spä-<br />
ter zu Bogen und Pfeil greifen darf, unfehlbar, und zwar ohne Zielen,<br />
<strong>in</strong>s Zentrum. Aber es kommt eigentlich gar nicht darauf an, ob man<br />
wirklich das Ziel trifft - bei e<strong>in</strong>em Knaben reicht oft die Kraft nicht
14<br />
aus, <strong><strong>de</strong>r</strong> Pfeil fällt vorher zu Bo<strong>de</strong>n 3 ; als Mann wird er das Ziel schon<br />
erreichen! -, wichtig alle<strong>in</strong> ist die richtige Geisteshaltung, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> her-<br />
aus geschossen wird.<br />
Es han<strong>de</strong>lt sich also gar nicht um etwas, was wir Sport nennen,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um e<strong>in</strong>e geistige Schulung.<br />
Erwähnt sei auch, dass die Haltung beim Schießen - <strong>in</strong> dieser Schul-<br />
richtung 4 - e<strong>in</strong>e eigentümliche ist: die Füße etwas vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> ent-<br />
fernt und parallel gestellt, die Knie fast im rechten W<strong>in</strong>kel gebeugt,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> l<strong>in</strong>ke Arm hält <strong>de</strong>n Bogen waagerecht, <strong><strong>de</strong>r</strong> rechte zieht <strong>de</strong>n Pfeil<br />
ab. <strong>Die</strong>se nicht e<strong>in</strong>fach zu erlernen<strong>de</strong> Haltung gibt <strong>de</strong>m Körper nicht<br />
nur, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele die Haltung e<strong>in</strong>er ganz ungeme<strong>in</strong>en Fes-<br />
tigkeit und Unerschütterlichkeit, ohne je<strong>de</strong> Verkrampfung.<br />
In an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Schulen <strong>de</strong>s Bogenschießens gibt es natürlich noch aller-<br />
hand Abwandlungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Metho<strong>de</strong> und <strong><strong>de</strong>r</strong> zu erleben<strong>de</strong>n Inhalte.<br />
Wird z. B. <strong><strong>de</strong>r</strong> Bogen senkrecht gehalten, so wird <strong>in</strong> aufrechter Hal-<br />
tung geschossen. In <strong>de</strong>n buddhistischen Kreisen wird das Ziel zugleich<br />
als die <strong>de</strong>m Weltall zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Buddha-Natur aufgefasst.<br />
Aber auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Schütze ist ja selber gleich BUDDHa. Bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>s.<br />
Der räumliche Abstand zwischen bei<strong>de</strong>n ist eigentlich Illusion, Illusion<br />
auch die Bewegung <strong>de</strong>s Pfeils. . . . . 5<br />
3<br />
Vergl. Lun Yü III, 16: Der Meister sprach: Beim Bogenschießen kommt es nicht<br />
darauf an, die Le<strong><strong>de</strong>r</strong>scheibe zu durchschießen, <strong>de</strong>nn die Kraft (<strong><strong>de</strong>r</strong> Menschen) ist<br />
verschie<strong>de</strong>n. So war wenigstens das Tao <strong>de</strong>s Altertums.<br />
4<br />
Nach mündlicher Mitteilung von Herrn Lektor W. Y. TING, Assistent am CHINA-<br />
INSTITUT.<br />
5<br />
In dieser geistig ungeme<strong>in</strong> vertieften Form ist das Bogenschießen auch beson-<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>s nach JAPAN verpflanzt wor<strong>de</strong>n. So nach mündlicher Mitteilung von EUGEN HER-
15<br />
Es han<strong>de</strong>lt sich also gar nicht um etwas "Sportliches", son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um ei-<br />
ne Ausbildung <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele. E<strong>in</strong> meditativ geschulter Schütze trifft mit<br />
Sicherheit <strong>in</strong>s Zentrum. Warum? Er zielt nicht mehr mit Absicht, mit<br />
Verkrampfung, auch ist er durch ke<strong>in</strong>erlei stören<strong>de</strong> Momente mehr zu<br />
bee<strong>in</strong>flussen, er schießt meditativ, spontan, d. h. hier reflexmäßig,<br />
ohne zielen zu müssen.<br />
IV. TAOISTISCHE MEDITATION<br />
Dem mystischen TAOISMUS lag die <strong>Meditation</strong> von se<strong>in</strong>em Wesen aus<br />
beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s, <strong>de</strong>sgleichen auch all die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Ratschläge zur Entwick-<br />
lung e<strong>in</strong>es Lebens auf e<strong>in</strong>em verfe<strong>in</strong>erten geistigen Niveau, so die<br />
Empfehlung <strong><strong>de</strong>r</strong> E<strong>in</strong>samkeit, <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Atemtechnik, die Luft-,<br />
Sonnen- und Mondbä<strong><strong>de</strong>r</strong>, die körperliche und seelische Diätetik usw.,<br />
kurz das, was man später (unter <strong>de</strong>m - auch sonst sehr starken - E<strong>in</strong>-<br />
fluss <strong>de</strong>s BUDDHISMUS) gern mit <strong>de</strong>m <strong>in</strong>dischen Worte YOGA (ch<strong>in</strong>. Yü<br />
Kia) bezeichnete.<br />
Es ist hier nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Ort, auf die Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen Meditati-<br />
onstechnik e<strong>in</strong>zugehen. Statt <strong>de</strong>ssen möchte ich mit kurzen Strichen<br />
e<strong>in</strong> Bild von <strong><strong>de</strong>r</strong> Eigenart e<strong>in</strong>es heutigen philosophischen Bun<strong>de</strong>s ge-<br />
ben, <strong><strong>de</strong>r</strong> die alte Mystik und die Technik <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er - <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Art - vollen<strong>de</strong>ten Weise lehrt 6 .<br />
Der Bund, <strong><strong>de</strong>r</strong> über ganz CHINA verbreitet ist, schart sich um e<strong>in</strong>en<br />
Meister, <strong><strong>de</strong>r</strong> das Charisma <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung und e<strong>in</strong>es hohen Se<strong>in</strong>s be-<br />
sitzt. In <strong>de</strong>m weiteren Kreise dieser Gesellschaft wird lediglich die phi-<br />
HERRIGEL, Professor <strong><strong>de</strong>r</strong> Philosophie <strong>in</strong> ERLANGEN, früher <strong>in</strong> SENDAI [JAPAN], e<strong>in</strong>em<br />
ausgezeichneten Kenner und Könner <strong>de</strong>s japanischen Bogenschießens.
16<br />
losophische Beschäftigung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Mystik gelehrt, <strong>de</strong>nn diese wird als<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kern aller Weltreligionen angesehen.<br />
In e<strong>in</strong>em engeren R<strong>in</strong>ge dagegen unterrichtet <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister persönlich<br />
se<strong>in</strong>e Schüler – e<strong>in</strong>zeln und <strong>in</strong>dividuell verschie<strong>de</strong>n - <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kunst <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Meditation</strong>. <strong>Die</strong> Tradition ist - wie <strong>in</strong> INDIEN - e<strong>in</strong>e von Geschlecht zu<br />
Geschlecht fortgepflanzte mündliche.<br />
<strong>Die</strong> Seelenleitung durch e<strong>in</strong>en erfahrenen Meister ist - wegen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> teilweisen seelischen Gefährlichkeit bestimmter <strong>Meditation</strong>en<br />
- unbed<strong>in</strong>gt notwendig.<br />
Bezüglich <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong><strong>de</strong>r</strong> großen Religionen <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong> untere<strong>in</strong>-<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong> wird gelehrt, dass die sittlichen I<strong>de</strong>ale <strong>de</strong>s BUDDHISMUS und <strong>de</strong>s<br />
CHRISTENTUMS, wenn sie buchstäblich genommen wer<strong>de</strong>n, so hoch ge-<br />
griffen seien, dass sie <strong>in</strong> Wirklichkeit ke<strong>in</strong> Mensch erfüllen könne.<br />
<strong>Die</strong> menschliche Gesellschaft müsse nun als erstes von ihren<br />
Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n verlangen, dass sie wenigstens die menschlichen<br />
Beziehungen richtig regelten.<br />
<strong>Die</strong>s lehre am besten KONFUZIUS. Mit ihm müsse man also anfangen.<br />
Se<strong>in</strong> vornehmes, sittliches I<strong>de</strong>al vom Menschen, <strong><strong>de</strong>r</strong> "Edle", und se<strong>in</strong>e<br />
sozialethischen Lehren seien nicht so hoch gegriffen, dass man ihre<br />
Verwirklichung nicht von je<strong>de</strong>m Menschen verlangen könne.<br />
Freilich für e<strong>in</strong>e wahrhaft tiefe Gestaltung <strong>de</strong>s Innenlebens<br />
<strong>de</strong>s Menschen reiche <strong><strong>de</strong>r</strong> KONFUZIANISMUS nicht aus, da müsse<br />
man zu <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Meistern <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit weiterschreiten<br />
- BUDDHA, LAU DSI, MOHAMMED, CHRISTUS -, die alle von e<strong>in</strong>em<br />
mystischen Leben erfüllt gewesen seien.<br />
Als das Ziel <strong>de</strong>s Menschen wird die Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Urgrund <strong>de</strong>s<br />
6 E<strong>in</strong> Bund, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n se<strong>in</strong>erzeit RICHARD WILHELM und <strong><strong>de</strong>r</strong> Verfasser als e<strong>in</strong>zige EURO-<br />
PÄER aufgenommen wor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d.
17<br />
Weltgeschehens, <strong>de</strong>m "Großen Tao", das <strong>in</strong> beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er Beziehung mit<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Gottheit e<strong>in</strong>s ist, angesehen. Der Weg hierzu ist die Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt.<br />
<strong>Die</strong>se wird <strong>de</strong>mjenigen Menschen zuteil, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich e<strong>in</strong>erseits<br />
durch <strong>Meditation</strong> die Empfängnis <strong>de</strong>s puer aeternus - <strong>de</strong>s ewigen<br />
K<strong>in</strong><strong>de</strong>s - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innern erschließt und <strong><strong>de</strong>r</strong> zugleich<br />
charismatisch erwählt ist.<br />
<strong>Die</strong> Vorbed<strong>in</strong>gung <strong><strong>de</strong>r</strong> Zulassung zu <strong><strong>de</strong>r</strong> Seelenleitung durch <strong>de</strong>n Meis-<br />
ter ist die religiöse Haltung <strong>de</strong>s Glaubens o<strong><strong>de</strong>r</strong> Vertrauens (ch<strong>in</strong>. S<strong>in</strong>,<br />
vgl. die buddhistische sraddha) zu <strong>de</strong>n ewigen Mächten und zu <strong><strong>de</strong>r</strong> -<br />
durch die Jahrtausen<strong>de</strong> nur mündlich überlieferten - Lehre und Anwei-<br />
sung, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister erteilt.<br />
<strong>Die</strong> Zulassung ist daher verbun<strong>de</strong>n mit e<strong>in</strong>em Devotionsakt<br />
vor Gott (Schang Di), und zwar sowohl se<strong>in</strong>er sich offenbaren<strong>de</strong>n<br />
(Yu We) wie se<strong>in</strong>er verborgenen (Wu We) Seite.<br />
Der sich offenbaren<strong>de</strong> Gott wird als <strong><strong>de</strong>r</strong> "allerheiligste, höchste Herr<br />
sämtlicher Religionen (<strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit)" bezeichnet. <strong>Die</strong>ser Akt religi-<br />
öser H<strong>in</strong>gabe an Gott wird zugleich metaphysisch als etwas betrach-<br />
tet, das <strong>de</strong>m Menschen die Anwartschaft gibt auf e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nigeres Ver-<br />
hältnis zu ihm.<br />
Zu dieser Eigenschaft <strong>de</strong>s Glaubens o<strong><strong>de</strong>r</strong> Vertrauens treten nun vier<br />
äußere Ratschläge, die zu beobachten s<strong>in</strong>d:<br />
1. arbeitsam se<strong>in</strong>,<br />
2. sich Musse nehmen,<br />
3. heiteren Gemütes se<strong>in</strong>,<br />
4. täglich an das Tao <strong>de</strong>nken.<br />
Wer <strong>de</strong>n Glauben o<strong><strong>de</strong>r</strong> das Vertrauen hat, <strong><strong>de</strong>r</strong> bewahrt auch <strong>in</strong> sich<br />
die ursprüngliche himmlische Natur (S<strong>in</strong>g). <strong>Die</strong>se hält zugleich <strong>de</strong>n<br />
Menschen <strong>in</strong> Bewegung und am Leben - so wie das Tao das Weltall <strong>in</strong>
Bewegung und am Leben hält.<br />
18<br />
Es gibt jedoch außer dieser geistigen Kraft se<strong>in</strong>er Natur noch<br />
die re<strong>in</strong>e Lebenskraft (MING).<br />
Als Sitz <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Kräfte wird <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> angenommen:<br />
• Für die himmlische "Natur" e<strong>in</strong>e Stelle kurz über <strong>de</strong>m<br />
Herzen (am sogenannten "Polarstern" <strong>de</strong>s Himmels),<br />
• für das "Leben" kurz unter <strong><strong>de</strong>r</strong> Nabelgegend im Innern<br />
<strong>de</strong>s Leibes (etwa Sonnengeflecht), auf <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten<br />
"Er<strong>de</strong>".<br />
• <strong>Die</strong> Natur <strong>de</strong>s Menschen, die Anlage, ist das Schöpferische;<br />
• se<strong>in</strong> Leben, se<strong>in</strong> Schicksal, ist das Empfangen<strong>de</strong>.<br />
• Bei<strong>de</strong> zusammen s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong> Tao.<br />
<strong>Die</strong> Aufgabe <strong>de</strong>s Menschen ist es, diese bei<strong>de</strong>n Kräfte, die sich wie<br />
Yang und Y<strong>in</strong> zue<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> verhalten, <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang, ja zur E<strong>in</strong>heit zu br<strong>in</strong>-<br />
gen.<br />
Ferner aber muss e<strong>in</strong>e Selbsterziehung geübt wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n ganzen<br />
Menschen umspannt:<br />
• das irdische Ich, das von <strong>de</strong>n Eltern stammt,<br />
• das seelische Ich, das die Keime von Himmel und Er<strong>de</strong><br />
enthält,<br />
• und das metaphysische Ich, das letztlich mit <strong>de</strong>m Tao<br />
e<strong>in</strong>s ist.<br />
Entsprechend <strong><strong>de</strong>r</strong> angeborenen Natur <strong>de</strong>s Menschen und se<strong>in</strong>er Le-<br />
benskraft umfasst die geheime Überlieferung zwei Gebiete:<br />
1. die "Pflege <strong>de</strong>s Lebens" o<strong><strong>de</strong>r</strong> die "Arbeit an <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft"<br />
(M<strong>in</strong>g Gung) und<br />
2. die "Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur" (S<strong>in</strong>g Gung).<br />
<strong>Die</strong> Pflege <strong>de</strong>s Lebens umfasst ihrerseits wie<strong><strong>de</strong>r</strong> drei Abteilungen,
die <strong>de</strong>n "drei Flüssen" (San Ho) im Menschen entsprechen:<br />
19<br />
1. Atem o<strong><strong>de</strong>r</strong> O<strong>de</strong>m (Ki),<br />
2. 2. Same o<strong><strong>de</strong>r</strong> Keim (Ds<strong>in</strong>g),<br />
3. Geist o<strong><strong>de</strong>r</strong> Genius (Schen).<br />
(Zu bemerken ist, dass die bei<strong>de</strong>n ersten nicht i<strong>de</strong>ntisch s<strong>in</strong>d mit<br />
<strong>de</strong>n körperlichen Entsprechungen und dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Geist nicht gleich<br />
unserem Bewusstse<strong>in</strong> ist.)<br />
<strong>Die</strong> "Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur" umfasst zwei Gebiete:<br />
1. Ethische Vervollkommnung <strong>de</strong>s Charakters,<br />
2. religiöse Vertiefung <strong>de</strong>s Geistes.<br />
Zur rechten Pflege von "Natur" und "Leben" ist es nun notwendig, zu<br />
meditieren. Denn durch die <strong>Meditation</strong> bereitet man sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />
<strong>in</strong>nerer Alchemie unter Verwendung <strong><strong>de</strong>r</strong> drei Flüsse zur Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt<br />
und zur Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Tao vor.<br />
Bei diesem Vorgange e<strong>in</strong>er Alchemie kann es nicht ausbleiben,<br />
dass das wahre Heilmittel e<strong>in</strong>es verlängerten Lebens eben<br />
durch die Pflege <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft gefun<strong>de</strong>n wird. Jedoch<br />
ist das nicht wesentlich, wichtiger ist die Gew<strong>in</strong>nung <strong>de</strong>s wahren<br />
Gol<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>s unsterblichen unauflösbaren, ewigen Ich 7 .<br />
Zur <strong>Meditation</strong> setzt man sich <strong>in</strong> völlig entspannter Seelenstimmung<br />
h<strong>in</strong>, entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> mit verschränkten Be<strong>in</strong>en, o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong><strong>de</strong>m man - auf e<strong>in</strong>em<br />
Stuhl o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>er Bank sitzend - die Be<strong>in</strong>e auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n stellt (Knie<br />
und Füße entfernt vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> und die Fußspitzen etwas nach au-<br />
7 Sehr richtig hat EVELYN UNDERHILL <strong>in</strong> ihrem Buch über "Mystik" (<strong>de</strong>utsch bei ERNST<br />
REINHARDT, München 1928) Seite 185ff. die E<strong>in</strong>kleidung <strong><strong>de</strong>r</strong> I<strong>de</strong>e <strong><strong>de</strong>r</strong> Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt<br />
<strong>in</strong> alchemistische Symbolik dargelegt und dabei zugleich auch auf die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
h<strong>in</strong>gewiesen, dass diese ganze Alchemie von CHINA nach <strong>de</strong>m Abendlan<strong>de</strong><br />
gekommen ist. In CHINA, im Orient wie im Abendland haben die "Su<strong>de</strong>lköche"<br />
nicht verstan<strong>de</strong>n, dass es sich um geistige, nicht um materielle Vorgänge<br />
han<strong>de</strong>lt, aber sie haben dabei die Grundlagen <strong><strong>de</strong>r</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Chemie ge-
20<br />
ßen 8 ). Es kommt lediglich darauf an, dass e<strong>in</strong>e ungezwungene Hal-<br />
tung angenommen wird, die <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper - ohne sich rühren zu müssen<br />
und dadurch abgelenkt zu wer<strong>de</strong>n - etwa e<strong>in</strong>e halbe Stun<strong>de</strong> lang er-<br />
tragen kann. Der Rücken ist gera<strong>de</strong> aufgerichtet, die Nasenspitze<br />
senkrecht über <strong>de</strong>m Nabel (als <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegend <strong>de</strong>s Lebenszentrums). <strong>Die</strong><br />
Augen s<strong>in</strong>d halb offen 9 und sen<strong>de</strong>n zum Lebenszentrum ihre Blicke,<br />
wie die Sonne ihre Strahlen zur Er<strong>de</strong> sen<strong>de</strong>t. <strong>Die</strong> Hän<strong>de</strong> ruhen be-<br />
quem im Schoß. <strong>Die</strong> rechte Hand ist zur Faust geformt, die L<strong>in</strong>ke um-<br />
schließt die Rechte, so dass <strong><strong>de</strong>r</strong> l<strong>in</strong>ke Daumen über <strong>de</strong>n rechten zu<br />
liegen kommt.<br />
Das ist wie die Vere<strong>in</strong>igung von Yang, <strong><strong>de</strong>r</strong> schöpferischen<br />
männlichen Kraft (rechts), mit Y<strong>in</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> empfangen<strong>de</strong>n weiblichen<br />
Kraft (l<strong>in</strong>ks), zugleich e<strong>in</strong>e An<strong>de</strong>utung <strong><strong>de</strong>r</strong> unio mystica.<br />
Nach<strong>de</strong>m das "Meer <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" (Ki Hai) <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Bauchhöhle durch<br />
ganz ruhiges dreimaliges (höchstens fünfmaliges) Tiefatmen angeregt<br />
ist, achtet man weiter nicht mehr auf die Atmung. Sie soll sich wäh-<br />
rend <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> von selbst beruhigen. Man atmet immer mit ge-<br />
schlossenem Mun<strong>de</strong>. Alle Muskeln s<strong>in</strong>d entspannt.<br />
<strong>Die</strong>se äußerlichen, re<strong>in</strong> technischen Vorschriften bezwecken nichts<br />
weiter als die Herstellung e<strong>in</strong>es körperlichen Zustan<strong>de</strong>s, aus <strong>de</strong>m kei-<br />
ne Störungen für die <strong>Meditation</strong> erwachsen, <strong><strong>de</strong>r</strong> also ke<strong>in</strong>e erzwunge-<br />
ne o<strong><strong>de</strong>r</strong> unbequeme Haltung hat, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> man sich durch e<strong>in</strong>e plötzli-<br />
che Bewegung befreien müsste, wodurch man <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> ge-<br />
schaffen - e<strong>in</strong> metaphysischer Witz <strong><strong>de</strong>r</strong> Weltgeschichte!<br />
8 Der Umriss <strong>de</strong>s Menschen gleicht dann - langes Gewand vorausgesetzt - e<strong>in</strong>er<br />
"Glocke", wie man <strong>in</strong> CHINA sagt.
stört wür<strong>de</strong>.<br />
21<br />
Man kann also eigentlich <strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> Lage meditieren. <strong>Die</strong> oben<br />
angegebene ist nur e<strong>in</strong>e als erprobt empfohlene.<br />
Nunmehr kann die geistige Stimmung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> hergestellt wer-<br />
<strong>de</strong>n.<br />
Das geschieht, <strong>in</strong><strong>de</strong>m man durch die oben schon erwähnten<br />
drei Stufen <strong>de</strong>s "D<strong>in</strong>g, Ds<strong>in</strong>g, An" <strong>in</strong>s Reich <strong>de</strong>s Halbbewussten<br />
gleitet und so jene Aufnahmefähigkeit <strong>in</strong> sich herstellt, <strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> dann die großen Erlebnisse und Erfahrungen als schöpferische<br />
Erkenntnisse aufflammen, so <strong>de</strong>n Menschen vertiefen<br />
und ihn zugleich verwan<strong>de</strong>ln.<br />
Man schaltet also zunächst alle Gedanken aus, erweckt jedoch e<strong>in</strong> Ge-<br />
fühl religiöser Verbun<strong>de</strong>nheit und tritt darauf <strong>in</strong> die erste Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Versenkung e<strong>in</strong>.<br />
1. "D<strong>in</strong>g", die Festlegung <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s. Man <strong>de</strong>nkt an das<br />
Lebenszentrum, und zwar so, dass man <strong>in</strong> sich die Vorstellung<br />
erweckt, man <strong>de</strong>nke nicht mit <strong>de</strong>m Gehirn, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
das Bewusstse<strong>in</strong> bef<strong>in</strong><strong>de</strong> sich <strong>in</strong> eben jenem Zentrum. So<br />
vere<strong>in</strong>igt man <strong>de</strong>n Geist mit <strong>de</strong>m Leben, das Yang mit <strong>de</strong>m<br />
Y<strong>in</strong>. Auf diese Weise wird mit Leichtigkeit je<strong><strong>de</strong>r</strong> stören<strong>de</strong><br />
Gedanke ausgeschaltet. Tauchen trotz<strong>de</strong>m welche auf, so<br />
muss man "die Affen festb<strong>in</strong><strong>de</strong>n" (Schuan Hou-Dsi). "Das<br />
Herz ist wie e<strong>in</strong> Pferd, die Gedanken s<strong>in</strong>d wie die Affen."<br />
Jegliche Gedanken, die im Hirn auftauchen sollten, wer<strong>de</strong>n<br />
vorstellungsmäßig gepackt und im Lebenszentrum festgebun<strong>de</strong>n,<br />
dann s<strong>in</strong>d sie erledigt, <strong>de</strong>nn die Vere<strong>in</strong>igung von<br />
Gedanke (Logos) und Leben (Eros) wirkt wie e<strong>in</strong> Kurzschluss.<br />
2. Tauchen nun ke<strong>in</strong>e Gedanken mehr auf, so tritt e<strong>in</strong> Stadium<br />
wun<strong><strong>de</strong>r</strong>barer Ruhe und Stille e<strong>in</strong>: "Ds<strong>in</strong>g", die Stille. Aber<br />
etwas Willentliches ist noch <strong>in</strong> dieser Stille vorhan<strong>de</strong>n, e<strong>in</strong><br />
9 S<strong>in</strong>d sie ganz offen, wird man leicht durch äußere Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>, s<strong>in</strong>d sie ganz geschlossen,<br />
durch <strong>in</strong>nere Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> gestört. Dem gleichen Zwecke dient übrigens die Vorschrift,<br />
dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Raum we<strong><strong>de</strong>r</strong> ganz hell noch ganz dunkel se<strong>in</strong> soll.
22<br />
Bestreben, die Stille zu erhalten.<br />
3. Dann tritt das dritte Stadium e<strong>in</strong>: "An", <strong><strong>de</strong>r</strong> Frie<strong>de</strong>n. Der<br />
Meditieren<strong>de</strong> bemüht sich nicht mehr um Stille, er hat sie,<br />
er wird - versunken <strong>in</strong> sich selbst - erfüllt von unaussprechlichem<br />
Frie<strong>de</strong>n und e<strong>in</strong>er seligen Heiterkeit.<br />
Jetzt ist <strong><strong>de</strong>r</strong> rezeptive Zustand hergestellt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m nun die ersten Er-<br />
kenntnisse aufleuchten können, das Merken auf <strong>in</strong>nere Vorgänge<br />
stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n kann, <strong><strong>de</strong>r</strong> rezeptive Zustand also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en schöpferischen,<br />
überwachen umschlägt.<br />
Das erste Erlebnis, das man erfährt, ist das "Erwachen <strong>de</strong>s Men-<br />
schen". <strong>Die</strong>s wird spürbar <strong>in</strong> zwei Zeichen (und häufig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorü-<br />
bergehen<strong>de</strong>n Störung). Wer diese Zeichen erlebt - die er vorher nicht<br />
ahnen kann! -, <strong><strong>de</strong>r</strong> bekommt die nächste <strong>Meditation</strong> mitgeteilt, und so<br />
geht es fort. Aber nieman<strong>de</strong>m wird weiteres mitgeteilt, ehe er nicht<br />
die "Zeichen" erlebt hat 10 . <strong>Die</strong>se Seelenleitung ist also e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wei-<br />
hung im geistigsten S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s Wortes. Das Gesagte mag zur Darstel-<br />
lung <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten <strong>Meditation</strong> genügen.<br />
Durch diese <strong>Meditation</strong> wird nun <strong><strong>de</strong>r</strong> Fluss <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms geweckt, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
durch e<strong>in</strong>e Reihe späterer <strong>Meditation</strong>en <strong>in</strong> bestimmter Weise rück-<br />
wärts zum Rückgrat (<strong>de</strong>m "Himmelsfluss", d. h. <strong><strong>de</strong>r</strong> Milchstraße) ge-<br />
leitet und diesem entlang vorstellungsmäßig zum Kopf (am H<strong>in</strong>terkopf<br />
ist das Tor <strong><strong>de</strong>r</strong> himmlischen "Nephritstadt"!) hochgezogen wird. <strong>Die</strong><br />
E<strong>in</strong>zelheiten können hier wegbleiben. Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Stirne tritt er <strong>in</strong> das<br />
"dritte Auge" e<strong>in</strong>, das - schon vorher durch Verschmelzung <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n<br />
Augen geweckt - nunmehr gewaltig aufleuchtet, das ist <strong><strong>de</strong>r</strong> "Glanz <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
10 <strong>Die</strong>se "Zeichen" wer<strong>de</strong>n geheim gehalten. Je<strong><strong>de</strong>r</strong> muss sie selbst f<strong>in</strong><strong>de</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
erleben. Sie wer<strong>de</strong>n auch regelmäßig <strong>in</strong> taoistischen Lehrbüchern verschwiegen<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> symbolisch verhüllt.
23<br />
(angeborenen) Natur" (S<strong>in</strong>g Guang), e<strong>in</strong> Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> religiösen Er-<br />
leuchtung durchströmt <strong>de</strong>n Menschen, dann wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Strom bis zum<br />
Lebenszentrum herabgeschickt und kreist so wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n selben Weg.<br />
Das "Rad <strong>de</strong>s Dharma" (Dharmacakra, wie man auch gelegentlich mit<br />
e<strong>in</strong>em Ausdruck buddhistischer <strong>Meditation</strong>stechnik sagt) dreht sich<br />
jetzt, <strong><strong>de</strong>r</strong> "Fluss <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" kreist.<br />
Hier hat man nun zum ersten Male auf <strong>de</strong>m <strong>Meditation</strong>sweg e<strong>in</strong> ganz<br />
großes metaphysisches Erlebnis, nämlich das <strong>de</strong>s eigenen Sterbens,<br />
das mit namenlosem Grauen beg<strong>in</strong>nt, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> Seligkeit<br />
und Freiheit umschlägt, sofern man gleichgültig gegen alles, was ge-<br />
schehen mag - "und wenn ich auch jetzt sterben muss!" -, die Medita-<br />
tion entschlossen fortsetzt.<br />
In dieser Ersche<strong>in</strong>ung kündigt sich das "Sterben <strong>de</strong>s natürlichen Men-<br />
schen" an. <strong>Die</strong> erste Abteilung auf <strong>de</strong>m mystischen Pfa<strong>de</strong>, die e<strong>in</strong>e Art<br />
Läuterung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Re<strong>in</strong>igung darstellt, geht zu En<strong>de</strong>.<br />
Mit diesem Erlebnis schließt die eigentliche Ausbildung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> "Pflege<br />
<strong>de</strong>s Flusses <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms". <strong>Die</strong> Lebenskraft ist jetzt <strong><strong>de</strong>r</strong>artig angeregt<br />
(die <strong>in</strong>nere Sekretion spielt dabei e<strong>in</strong>e bestimmte Rolle), dass e<strong>in</strong>e<br />
Stärkung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft resultiert. Das Erlebnis <strong>de</strong>s eigenen To<strong>de</strong>s<br />
ist dabei von grundlegen<strong><strong>de</strong>r</strong> Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>nn es ruft e<strong>in</strong>e neue<br />
E<strong>in</strong>stellung <strong>de</strong>s Menschen hervor.<br />
Der Mensch verliert die Verhaftung an die Welt. <strong>Die</strong>s ist<br />
natürlich e<strong>in</strong> Prozess, <strong><strong>de</strong>r</strong> nicht auf e<strong>in</strong>mal abgeschlossen ist,<br />
aber <strong><strong>de</strong>r</strong> im wesentlichen im Laufe von zwei Jahren zu e<strong>in</strong>em<br />
Grundmotiv e<strong>in</strong>es neuen Lebens wird. Hiermit gew<strong>in</strong>nt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Mensch Überlegenheit über Welt und Leben.<br />
Nunmehr aber beg<strong>in</strong>nt erst zweitens das eigentliche große Werk <strong><strong>de</strong>r</strong>
24<br />
Zeugung und Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuen Menschen aus Feuer und<br />
Wasser - unter Verwendung <strong>de</strong>s Stromes <strong><strong>de</strong>r</strong> Keime -, <strong><strong>de</strong>r</strong> dann sei-<br />
nerseits drittens wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zum göttlichen Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Weltgeschehens <strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>nigster Beziehung - durch <strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>s Geistes o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>s Genius -<br />
steht.<br />
Das Gesagte mag genügen, um e<strong>in</strong>e Vorstellung von <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen<br />
<strong>Meditation</strong>stechnik zu geben und zugleich zu zeigen,<br />
dass sie ganz schlicht und mit re<strong>in</strong> äußerlichen Verhaltungsmaßregeln<br />
beg<strong>in</strong>nt, um aber <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ungeheuersten Erlebnissen<br />
e<strong>in</strong>en neuen, völlig gewan<strong>de</strong>lten Menschen zuzubereiten,<br />
e<strong>in</strong>en Menschen, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt, nicht von <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt<br />
ist 11 .<br />
E<strong>in</strong>e Tabelle mag e<strong>in</strong> Bild <strong><strong>de</strong>r</strong> drei Flüsse, Pr<strong>in</strong>zipien usw. - die im<br />
Grun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d - geben (die Stellung <strong>de</strong>s himmlischen Drachen als<br />
<strong>de</strong>s höchsten Symbols - übrigens auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> westlichen Alchemie - ist<br />
dadurch ohne weiteres verständlich, <strong>de</strong>sgleichen die Stellung <strong>de</strong>s erd-<br />
gebun<strong>de</strong>nen Tigers - im Westen "grüner Löwe"):<br />
I.Der transzen<strong>de</strong>nten Sonne Der immanenten<br />
Welt GENIUS Welt<br />
schöpferische (Kien) Feuerelement feurig-leuchten<strong>de</strong>s (Li)<br />
Natur Holzelement Leben<br />
(S<strong>in</strong>g) Drache (M<strong>in</strong>g)<br />
II. Des Schöpferischen Des Himmels<br />
(Kien) ODEM (Tien)<br />
und <strong>de</strong>s Empfangen<strong>de</strong>n Er<strong>de</strong>lement und <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong><br />
(Kun) (Tu) (Di)<br />
Pforte Mitte
25<br />
III. Der transzen<strong>de</strong>nten Mond Der immanenten<br />
Welt KEIM Welt<br />
schöpferisches (Kien) Wasserelement wässerig-abgründige (Kan)<br />
Leben Erzelement Natur<br />
(M<strong>in</strong>g) Tiger (S<strong>in</strong>g)<br />
V. VOM UNBEWAFFNETEN HANDKAMPF<br />
Schon beim Bogenschießen hatten wir die Vermutung ausgesprochen,<br />
dass diese edle Kunst durch taoistische E<strong>in</strong>flüsse, aber bestimmt auch<br />
durch buddhistische, e<strong>in</strong>e Vertiefung und Vergeistigung erfahren hat,<br />
so dass an Stelle e<strong>in</strong>es "Sportes" über die Wandlung zu e<strong>in</strong>er konfuzi-<br />
anischen Zeremonie etwas getreten ist, das von <strong>in</strong>nen her gesehen<br />
auf e<strong>in</strong>em meditativen Zustand beruht, aus <strong>de</strong>m heraus re<strong>in</strong> reflex-<br />
mäßig geschossen wird.<br />
<strong>Die</strong> Pflege e<strong>in</strong>er solchen Kunst dürfte <strong>de</strong>n Menschen auch irgendwie<br />
zu e<strong>in</strong>er Art Inst<strong>in</strong>ktsicherheit zurückführen.<br />
E<strong>in</strong>e ähnliche Vergeistigung können wir nun auch bei an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Waffen-<br />
künsten beobachten. So gibt es unter <strong>de</strong>n "Kampfgeräten" (Wu Ki o-<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> B<strong>in</strong>g Ki) außer Bogen, Schwert, Lanze usw. e<strong>in</strong>e Gruppe sog.<br />
"verborgener Geräte" (An Ki), die geheim <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Tasche, im Gürtel<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> im Stiefel mitgeführt wer<strong>de</strong>n und <strong><strong>de</strong>r</strong>en Handhabung re<strong>in</strong> re-<br />
flexmäßig zu geschehen hat. So wird z. B. e<strong>in</strong> na<strong>de</strong>lartiger Dolch<br />
plötzlich auf <strong>de</strong>n Gegner geschleu<strong><strong>de</strong>r</strong>t o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Ste<strong>in</strong>. <strong>Die</strong>s<br />
Werfen muss ohne bewusstes Zielen vor sich gehen. Auch hier be-<br />
11 Der Raum gebietet Kürze. E<strong>in</strong>e Darstellung <strong>de</strong>s ganzen Weges - übrigens unter<br />
treuer Verschweigung <strong><strong>de</strong>r</strong> "Zeichen" - hat RICHARD WILHELM <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em "Geheimnis<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Gol<strong>de</strong>nen Blüte" <strong>in</strong> großen Umrissen gegeben.
26<br />
steht die Erziehung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Erlernung <strong><strong>de</strong>r</strong> reflexmäßigen Handhabung.<br />
Ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Metho<strong>de</strong>n aber haben sich bei <strong><strong>de</strong>r</strong> unbewaffneten<br />
"Faustkampfkunst" (Küan Schu) herausgebil<strong>de</strong>t, und zwar unter<br />
buddhistischem E<strong>in</strong>fluss.<br />
Boxen ist also im Gegensatz zum Westen gera<strong>de</strong>zu e<strong>in</strong>e geistige,<br />
e<strong>in</strong>e buddhistische Angelegenheit.<br />
Bekanntlich spaltete sich die <strong>Meditation</strong>ssekte nach <strong>de</strong>m 5. PATRIAR-<br />
CHEN <strong>in</strong> zwei Richtungen,<br />
• e<strong>in</strong>e südliche unter HUI NENG, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehre von <strong><strong>de</strong>r</strong> plötzlichen<br />
Erleuchtung,<br />
• und e<strong>in</strong>e nördliche unter SCHEN SIU, <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>e allmähliche,<br />
immer mehr zunehmen<strong>de</strong> Erleuchtung lehrte.<br />
E<strong>in</strong>e gleiche Unterscheidung von Süd- und Nordsekte treffen wir nun<br />
auch - wohl unter buddhistischem E<strong>in</strong>fluss - <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Malerei.<br />
Aber auch bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Faustkampfkunst f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir:<br />
• e<strong>in</strong>e "Südsekte" (Nan Dsung)<br />
• und e<strong>in</strong>e "Nordsekte" (Be Dsung).<br />
Gemäß <strong><strong>de</strong>r</strong> Überlieferung wur<strong>de</strong> diese waffenlose Kampfkunst zuerst<br />
von buddhistischen Mönchen systematisch durchgebil<strong>de</strong>t und zugleich<br />
aufs höchste vergeistigt 12 .<br />
• <strong>Die</strong> "Nordsekte" <strong>de</strong>s Faustkampfes hat e<strong>in</strong> "äußerliches Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g"<br />
(Wai Gung), sie br<strong>in</strong>gt starke muskulöse <strong>Typen</strong> hervor,<br />
• die südliche dagegen hat e<strong>in</strong> "<strong>in</strong>neres Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g" (Ne Gung),<br />
das auf Geschicklichkeit, Verfe<strong>in</strong>erung <strong>de</strong>s Körpergefühls<br />
und Vergeistigung beruht.<br />
12 <strong>Die</strong> Abstammung dieser Art Faustkampf von <strong>de</strong>n buddhistischen Klöstern tritt <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>n Bezeichnungen manchmal sehr ausgesprochen zutage. So gibt es z. B. auch<br />
e<strong>in</strong>e Tien-Tai-Sekte <strong>de</strong>s Faustkampfs neben <strong><strong>de</strong>r</strong> Nord- und Südrichtung, welch<br />
letztere offenbar aus Klöstern <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte stammten.
27<br />
E<strong>in</strong>e beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s fe<strong>in</strong>e Art <strong>de</strong>s Faustkampfes ist <strong><strong>de</strong>r</strong> "Faustkampf (nach<br />
Art) <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips" (Tai Gi Küan). Bei diesem wer<strong>de</strong>n die Hän<strong>de</strong> flach<br />
ausgestreckt, die Daumen rechtw<strong>in</strong>klig e<strong>in</strong>gebogen und an die Wurzel<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeigef<strong>in</strong>ger gelegt. Man bewegt nun vor sich bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> neben-<br />
e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> etwa <strong>in</strong> Form unseres Unendlichkeitszeichens 13 und br<strong>in</strong>gt<br />
<strong>de</strong>n Gegner durch <strong>de</strong>ssen eigene Kraft und Wucht zu Fall. <strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n<br />
Hän<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n bei ihrer Bewegung bald vor, bald mehr zurück gehal-<br />
ten, immer <strong>in</strong> leichter Fühlung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Faust o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Gegners. Merkt man, dass man durch Nachdrücken o<strong><strong>de</strong>r</strong> durch Herü-<br />
berziehen <strong><strong>de</strong>r</strong> Bewegungen <strong>de</strong>s Gegners diesen zu Fall br<strong>in</strong>gen kann,<br />
so führt man die Bewegung aus, sonst zieht man bereits wie<strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />
Hand zurück, um das eigene Gleichgewicht nie zu gefähr<strong>de</strong>n und um<br />
Kraftvergeudung zu vermei<strong>de</strong>n. Der Gegner dagegen stößt z. B. mit<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Faust stark vor, er verausgabt hierzu Kraft, ferner verliert er die<br />
Sicherheit <strong>de</strong>s Stehens, da er sich zu weit nach vorne beugt.<br />
Der "Urpr<strong>in</strong>zipkämpfer" aber stößt nicht gegen ihn, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
weicht aus, er fängt mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Stoß ganz leise<br />
auf und lenkt ihn nach rechts o<strong><strong>de</strong>r</strong> l<strong>in</strong>ks an sich vorbei.<br />
Das muss so geschmeidig und leicht ausgeführt wer<strong>de</strong>n, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> bo-<br />
xen<strong>de</strong> Gegner das Gefühl hat, er stieße <strong>in</strong>s Leere. Er verausgabt nutz-<br />
los se<strong>in</strong>e Kraft und muss nun außer<strong>de</strong>m noch die Anstrengung ma-<br />
chen, se<strong>in</strong> Gewicht wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> die Ausgangshaltung zurückzuverlegen<br />
und <strong>de</strong>n Arm zurückzuziehen. Ist er aber zu weit ausgefallen und da-<br />
13 Da die Figur dieser Bewegung an die S-L<strong>in</strong>ie er<strong>in</strong>nert, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Kreise die dunkle von <strong><strong>de</strong>r</strong> lichten Hälfte trennt, wenn man das Urpr<strong>in</strong>zip (Tai Gi)<br />
darstellen will, das Y<strong>in</strong> und Yang <strong>in</strong> sich enthält, so hat man diese Art Kampfkunst<br />
nach <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip benannt. Man wird aber weiter sehen, dass auch die ganze
28<br />
durch erheblich unsicher auf <strong>de</strong>n Füßen gewor<strong>de</strong>n, so zieht ihn <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
"Urpr<strong>in</strong>zipkämpfer" noch weiter mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n seitlich an sich<br />
vorbei, so dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer durch die Wucht se<strong>in</strong>es eigenen Stoßes h<strong>in</strong>-<br />
stürzt. Zieht sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer zu heftig zurück, so dass er ebenfalls er-<br />
heblich unsicher steht, so drängt <strong><strong>de</strong>r</strong> "Urpr<strong>in</strong>zipkämpfer" mit bei<strong>de</strong>n<br />
Hän<strong>de</strong>n nach, so dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer im Schwung <strong>de</strong>s eigenen Rückzuges<br />
nach h<strong>in</strong>ten stürzt.<br />
Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s zu beachten ist, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Boxer nutzlos se<strong>in</strong>e Kraft<br />
verausgabt und immer <strong>in</strong>s Leere stößt, bis er bei zu heftiger<br />
Bewegung und ermü<strong>de</strong>t zu Fall gebracht wird.<br />
Der Urpr<strong>in</strong>zip-Kämpfer gleicht aber wirklich <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip: mühelos,<br />
wie spielend bewegt er <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> seltsamen L<strong>in</strong>ienführung die bei<strong>de</strong>n<br />
Hän<strong>de</strong> bald näher, bald weiter, niemals zu fassen, niemals zu treffen<br />
wie die "Leerheit" <strong>de</strong>s Pr<strong>in</strong>zips selber.<br />
Nie angreifend, drängt er doch <strong>de</strong>n überlaufen<strong>de</strong>n Gegner <strong>in</strong> <strong>de</strong>ssen<br />
eigene Richtung weiter, so dass dieser sich selber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sich vor-<br />
und zurückbeugen<strong>de</strong>n Verblendung zugrun<strong>de</strong> richtet 14 .<br />
Das "<strong>in</strong>nere Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g" <strong><strong>de</strong>r</strong> "Südsekte" umfasst nun "acht Arten"<br />
(Ba Duan G<strong>in</strong>), e<strong>in</strong>e von diesen ist das "Kreisenlassen<br />
<strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" (Jun Ki), e<strong>in</strong>e regelrechte Yoga-<strong>Meditation</strong>.<br />
Zu <strong><strong>de</strong>r</strong>en Erklärung ist vorauszuschicken, dass bestimmte physiologi-<br />
sche Ansichten <strong>in</strong> CHINA geläufig s<strong>in</strong>d, über <strong><strong>de</strong>r</strong>en Berechtigung hier<br />
nicht weiter zu sprechen ist. Zu diesen Ansichten gehört z. B., wie wir<br />
Art dieses Kampfes die Eigenschaften zur Geltung br<strong>in</strong>gt, die <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip zugeschrieben<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
14 Zu <strong>de</strong>n vielen D<strong>in</strong>gen, die von CHINA nach JAPAN gewan<strong><strong>de</strong>r</strong>t s<strong>in</strong>d, gehört auch<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Handkampf. Das Ju-Jitsu o<strong><strong>de</strong>r</strong> JUDO ist mit ähnlichen Pr<strong>in</strong>zipien die Hauptstärke<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> JAPANER gewor<strong>de</strong>n, gilt es doch wegen se<strong>in</strong>er geistigen Art, <strong>de</strong>n Gegner
29<br />
schon bei <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen <strong>Meditation</strong> bemerkten, dass die ch<strong>in</strong>esische<br />
Ärztekunst und ebenso alle Yoga-Übungen <strong>de</strong>n Sitz <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebenskraft<br />
im Innern <strong>de</strong>s Unterleibes suchen2 15 . Auch die Bezeichnung <strong>de</strong>s Un-<br />
terleibs als "Meer <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" lernten wir dabei kennen.<br />
Nun wird <strong><strong>de</strong>r</strong> ganze Unterleib mediz<strong>in</strong>isch <strong>in</strong> drei Gegen<strong>de</strong>n zerlegt:<br />
• die oberste Abteilung etwa <strong>in</strong> Magenhöhe;<br />
• die mittlere etwa <strong>in</strong> Nabelhöhe;<br />
• die untere etwa <strong>in</strong> Blasenhöhe;<br />
<strong>in</strong> allen dreien wirkt <strong><strong>de</strong>r</strong> "O<strong>de</strong>m" (Ki) beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s stark.<br />
Endlich ist noch zu sagen, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Speichel von <strong><strong>de</strong>r</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />
Ärztekunst gera<strong>de</strong>zu als e<strong>in</strong>e Verdichtung <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms<br />
angesehen und hoch geschätzt wird.<br />
<strong>Die</strong> Yoga-Übung <strong>de</strong>s "Kreisenlassens <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" (Jun Ki) besteht nun<br />
<strong>in</strong> folgen<strong>de</strong>m 16 :<br />
• man wölbt die Zunge nach oben, so dass sie <strong>de</strong>n Gaumen<br />
berührt2 17 ;<br />
• dann kitzelt man mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Zunge leicht <strong>de</strong>n Gaumen, und es<br />
wird e<strong>in</strong>e starke Speichelabson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n;<br />
• diesen verschluckt man, bis man etwa e<strong>in</strong>en Mundvoll hervorgebracht<br />
und h<strong>in</strong>untergeschluckt hat;<br />
• die Speichelmasse ist also jetzt im Magen, und da sie als<br />
verdichteter O<strong>de</strong>m gilt, so wird <strong><strong>de</strong>r</strong> oberen Abteilung <strong>de</strong>s<br />
"Meeres <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" e<strong>in</strong>e ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Stärkung zuteil;<br />
• wenn man die Bauchwand von außen betastet, muss man<br />
<strong>de</strong>n Speichel so etwa wie e<strong>in</strong>e feste, aber elastische Kugel<br />
durch <strong>de</strong>ssen eigene Stärke zu besiegen, für edler als das Schwertfechten. Aber<br />
wie viel edler ist noch die Kunst <strong>de</strong>s "Urpr<strong>in</strong>zip-Kämpfers" <strong>in</strong> CHINA!<br />
15<br />
Und zwar genau <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte <strong>de</strong>s Innern, etwa <strong>in</strong> Nabelhöhe (genauer: ,,1 Zoll,<br />
3 Strich tiefer als <strong><strong>de</strong>r</strong> Nabel").<br />
16<br />
Nach mündlicher Mitteilung von Herrn W. Y. TING.<br />
17<br />
DIESE ZUNGENHALTUNG IST SOWOHL DEN TAOISTEN WIE DEN Buddhisten bei <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong><br />
sehr wohl bekannt. Jedoch wird die Zunge ganz ruhig gehalten. <strong>Die</strong>se Lage<br />
hilft u. a., bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Rücksendung <strong>de</strong>s "Flusses <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms" zum Lebenszentrum (<strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen <strong>Meditation</strong>) die Zerteilung <strong>de</strong>s Flusses zu vermei<strong>de</strong>n.
30<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>en Ball <strong>in</strong> diesem Magen spüren;<br />
• man dreht nun durch die Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorstellung diese Kugel<br />
dreimal nach l<strong>in</strong>ks und dreimal nach rechts;<br />
• darauf versenkt man die Kugel <strong>in</strong> die zweite Abteilung (Nabelgegend),<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holt hier dieselben Drehungen;<br />
• dann versenkt man sie <strong>in</strong> die Blasengegend, wo die gleiche<br />
Bewegung ausgeführt wird;<br />
• darauf lenkt man diesen zusammengeballten O<strong>de</strong>m rückwärts<br />
zum Rückgrat-En<strong>de</strong> und lässt dann die Kugel durch<br />
das Rückgrat zum Gehirn h<strong>in</strong>aufsteigen;<br />
• oben angekommen träufelt <strong><strong>de</strong>r</strong> O<strong>de</strong>m alsbald wie<strong><strong>de</strong>r</strong> als<br />
Speichel <strong>in</strong> die Mundhöhle.<br />
<strong>Die</strong>se für westliche Mediz<strong>in</strong> höchst abson<strong><strong>de</strong>r</strong>liche Prozedur soll nun ei-<br />
ne beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Wirkung haben:<br />
• <strong><strong>de</strong>r</strong> also Geübte vermag die Kraft <strong>de</strong>s O<strong>de</strong>ms je<strong><strong>de</strong>r</strong>zeit beim<br />
Kampf an die Stelle zu lenken, wo er gefähr<strong>de</strong>t ist, dort<br />
wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper fest, ja unverwundbar;<br />
• schlägt e<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d mit <strong>de</strong>m blanken Schwerte auf ihn e<strong>in</strong>, so<br />
verlegt er "O<strong>de</strong>m" <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e rechte Hand und packt mit dieser<br />
das bloße Schwert - er ist unverwundbar gewor<strong>de</strong>n!<br />
Also wird von Augenzeugen behauptet 18 .<br />
VI. BUDDHISTISCHE MEDITATIONEN<br />
Wen<strong>de</strong>n wir uns nun endlich zum ch<strong>in</strong>esischen BUDDHISMUS, so betre-<br />
ten wir damit e<strong>in</strong> feenhaftes Geistesreich, das <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> systematischsten<br />
und anziehendsten Weise die Kunst <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> auf allen Gebieten<br />
ausgebil<strong>de</strong>t hat. Nichts Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gründiges und nichts Tiefes, das hier<br />
nicht durch die Versenkung erst Kraft, Leben und Glut erhielte. Er-<br />
leuchtung strahlt aus allen diesen Übungen von <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>fachsten bis zu<br />
18 Ich darf wohl darauf verzichten, auf naheliegen<strong>de</strong> Erklärungen unserer westli-<br />
chen Mediz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zugehen.
31<br />
<strong>de</strong>n erhabensten, und e<strong>in</strong>e wun<strong><strong>de</strong>r</strong>bar fe<strong>in</strong>e Seelenkenntnis offenbart<br />
sich <strong>in</strong> allen Anweisungen und Ratschlägen <strong><strong>de</strong>r</strong> durch die Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>-<br />
te überlieferten und vervollkommneten <strong>Meditation</strong>stechnik.<br />
Hier s<strong>in</strong>d die religiösen Mystiker <strong>in</strong> ihrem Wesenselement, hier auch<br />
die geistesklaren Philosophen genialer Tiefenschau.<br />
Hatte doch BUDDHA selbst die <strong>Meditation</strong> als notwendige Stufe<br />
auf <strong>de</strong>m viergliedrigen Heilspfa<strong>de</strong> erklärt, als das unerlässliche<br />
Mittel zur Erlangung <strong><strong>de</strong>r</strong> erlösen<strong>de</strong>n Erkenntnis.<br />
Ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch durch "Zucht" gere<strong>in</strong>igt, so bereitet er sich durch "Me-<br />
ditation" auf die Erlangung <strong><strong>de</strong>r</strong> "Erkenntnis" vor, und diese endlich<br />
br<strong>in</strong>gt ihm die "Befreiung", die Erlösung.<br />
Genau wer<strong>de</strong>n von BUDDHA die verschie<strong>de</strong>nen Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> Versenkung<br />
unterschie<strong>de</strong>n und beschrieben, und als Themen <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung f<strong>in</strong>-<br />
<strong>de</strong>n wir vorzüglich die verschie<strong>de</strong>nen Wahrheiten, die BUDDHA lehrt,<br />
aber auch "Anmutungen" 19 erhabener Gefühle s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Meditation</strong>, ja auch - wohl nicht von BUDDHA selbst herrührend - die<br />
Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> fortschreiten<strong>de</strong>n Abstraktion <strong>de</strong>s Vorstellens 20 .<br />
Im Pali-Kanon f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir aber auch bereits e<strong>in</strong>e systematisch ange-<br />
ordnete Kette von <strong>Meditation</strong>en, also Exerzitien, die wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilspfad<br />
selber im Vierer-Rhythmus schw<strong>in</strong>gt 21 .<br />
<strong>Die</strong>s Exerzitienbüchle<strong>in</strong> f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir sogar zweimal im Kanon, nämlich<br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Längeren Sammlung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehrre<strong>de</strong>n Buddhas (Nr. 22)<br />
19 Um diesen Ausdruck westlicher <strong>Meditation</strong>stechnik zu verwen<strong>de</strong>n.<br />
20 Vergleiche die sehr <strong>in</strong>struktive Abhandlung von FRIEDRICH HEILER: "<strong>Die</strong> buddhistische<br />
Versenkung", 2. Auflage, bei ERNST REINHARDT, München 1922.<br />
21 Dabei sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass im Westen die Exerzitien <strong>de</strong>s IGNATIUS V.<br />
LOYOLA ebenfalls im Vierer-Rhythmus schw<strong>in</strong>gen, <strong>de</strong>n man <strong>in</strong> Annäherung an die<br />
neuplatonischen Ausdrücke bezeichnen kann als: Re<strong>in</strong>igung, Erleuchtung, Heiligung,<br />
Vere<strong>in</strong>igung.
32<br />
und zweitens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mittleren (10). Se<strong>in</strong> Titel lautet: "<strong>Die</strong> Pfeiler <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
E<strong>in</strong>sicht".<br />
Zu diesen alten Gegenstän<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> buddhistischen Versenkung<br />
traten <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Folgezeit, beför<strong><strong>de</strong>r</strong>t durch die Eigenart verschie<strong>de</strong>ner<br />
Sekten, e<strong>in</strong>e ganze Reihe an<strong><strong>de</strong>r</strong>e.<br />
Hierher gehört zunächst e<strong>in</strong>mal alles, was mit YOGA im engeren S<strong>in</strong>ne<br />
zusammenhängt, die beruhigen<strong>de</strong> Atembetrachtung, <strong><strong>de</strong>r</strong> Schlangen-<br />
kraft-Yoga, <strong><strong>de</strong>r</strong> die Sexualkraft alchemistisch zum Geiste sublimiert,<br />
die Erzeugung <strong>de</strong>s unvergänglichen "Diamant-Leibes" aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Lotos-<br />
blume auf <strong>de</strong>m Scheitel als <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburtsstätte <strong>de</strong>s wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geborenen<br />
Menschen, kurz e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Übungen, die uns <strong>in</strong> gleicher<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> ähnlicher Form im <strong>in</strong>dischen YOGA und im ch<strong>in</strong>esischen TAOISMUS<br />
begegnen.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Bereicherung erfährt das <strong>Meditation</strong>swesen durch <strong>de</strong>n Ri-<br />
tualismus und alles, was mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Magie <strong>de</strong>s TANTRA-WESENS zusam-<br />
menhängt.<br />
<strong>Die</strong> symbolisch-magischen F<strong>in</strong>gerstellungen, die mystischen Silben,<br />
die Verehrung <strong>de</strong>s Kultbil<strong>de</strong>s und an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Symbole usw. boten <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
ver<strong>in</strong>nerlichten Auffassung durch <strong>Meditation</strong> neue Gegenstän<strong>de</strong>.<br />
<strong>Die</strong> sog. buddhistische "Messe" <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> - <strong>in</strong> CHINA heute erloschenen -<br />
"esoterischen Sekte" (MI DSUNG) 22 ist e<strong>in</strong> fortlaufen<strong>de</strong>s <strong>Meditation</strong>s-<br />
formular, das se<strong>in</strong>en Höhepunkt im YOGA <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung aller drei<br />
menschlichen Funktionen:<br />
• <strong>de</strong>s Geistes:<br />
• <strong>de</strong>s Wortes<br />
• und <strong>de</strong>s Körpers<br />
22 In JAPAN als SHINGON bekannt.
mit BUDDHA f<strong>in</strong><strong>de</strong>t.<br />
33<br />
E<strong>in</strong> neues Gebiet erschloss sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung durch die "Sekte <strong>de</strong>s<br />
re<strong>in</strong>en Lan<strong>de</strong>s", die die bildhafte Betrachtung <strong>de</strong>s AMITABHA bzw.<br />
AMITAYUS BUDDHA und se<strong>in</strong>es westlichen Paradieses lehrt (z. B. im Ami-<br />
tayur-dhyäna-sutra).<br />
Endlich aber ist die philosophische und dogmatische Entwicklung<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n neu entstan<strong>de</strong>nen Sekten <strong>in</strong> CHINA von ungeheurer<br />
Be<strong>de</strong>utung für das <strong>Meditation</strong>swesen gewor<strong>de</strong>n.<br />
So bil<strong>de</strong>t z. B. <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> TIEN-TAI-SEKTE das Mo-Ho-Dschi-Guan, <strong><strong>de</strong>r</strong> große<br />
Text über Beruhigung <strong><strong>de</strong>r</strong> Lei<strong>de</strong>nschaften (ch<strong>in</strong>. Dschi, sa. samatha)<br />
und über Wesensschau o<strong><strong>de</strong>r</strong> Tiefsicht (ch<strong>in</strong>. Guan, sa. vipasyana), al-<br />
so über die bei<strong>de</strong>n Wirkungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Versenkung, e<strong>in</strong>e fortlaufen<strong>de</strong> Kette<br />
von philosophischen Wahrheiten, die e<strong>in</strong>zeln nache<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> durchmedi-<br />
tiert wer<strong>de</strong>n müssen und von <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>fachsten zu gewaltigsten Er-<br />
kenntnissen fortschreiten.<br />
Gegenüber dieser mehr scholastischen Richtung steht die Metho<strong>de</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte, die mit e<strong>in</strong>er äußerst ger<strong>in</strong>gen<br />
Zahl allgeme<strong>in</strong>ster Dogmen auskommt und das Wesentliche<br />
<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> persönlichen <strong>in</strong>neren Erfahrung <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>zelnen sieht.<br />
Ihr kommt daher alles darauf an, im E<strong>in</strong>zelnen <strong>de</strong>n Durchbruch genia-<br />
ler Erkenntnis herbeizuführen, und sie hat hierfür e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige<br />
Metho<strong>de</strong> ersonnen:<br />
• die Seelenleitung durch das Paradox.<br />
Am Gegensatz, ja Wi<strong><strong>de</strong>r</strong>spruch <strong><strong>de</strong>r</strong> vere<strong>in</strong>ten - meist <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er<br />
Anekdote gegebenen - Gedankenreihen soll sich das Aufflammen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Erkenntnis <strong><strong>de</strong>r</strong> übergegensätzlichen letzten E<strong>in</strong>heit <strong>de</strong>s S<strong>in</strong>nes von<br />
Welt und Leben entzün<strong>de</strong>n.
34<br />
Es sei mir nun gestattet, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> ungeheuren Fülle <strong>de</strong>s Materials zwei<br />
<strong>Typen</strong> herauszugreifen, die im Gegensatz ihrer Metho<strong>de</strong> etwa anzu-<br />
<strong>de</strong>uten vermögen, <strong>in</strong> wie verschie<strong>de</strong>ner Weise die <strong>Meditation</strong> im Ge-<br />
biete <strong>de</strong>s ch<strong>in</strong>esischen BUDDHISMUS verwandt wer<strong>de</strong>n kann. Das e<strong>in</strong>e<br />
Beispiel will ich aus <strong><strong>de</strong>r</strong> esoterischen Sekte (Mi Dsung) nehmen, näm-<br />
lich die sogenannte "Mond-<strong>Meditation</strong>", da dieses <strong>Meditation</strong>sthema<br />
auch von an<strong><strong>de</strong>r</strong>n Sekten übernommen wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Zwar ist diese Sekte heute, wie schon oben erwähnt, <strong>in</strong> CHINA<br />
erloschen, aber ihre Schriften wer<strong>de</strong>n nach wie vor studiert,<br />
<strong>in</strong> JAPAN blüht sie unter <strong>de</strong>n Namen SHINGON( =Mantra)-Sekte<br />
noch heute ungeme<strong>in</strong> stark, und ich gebe diese <strong>Meditation</strong> <strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Form, wie sie mir selber von <strong>de</strong>n Priestern an ihrem Patriarchatssitze<br />
auf <strong>de</strong>m heiligen Berge Koyasan gelehrt wor<strong>de</strong>n<br />
ist.<br />
• Man setzt sich <strong>in</strong> <strong>Meditation</strong>shaltung und völlig entspannter<br />
Seelenverfassung h<strong>in</strong> und stellt sich vor, man sähe vor sich<br />
die klare Scheibe <strong>de</strong>s Vollmon<strong>de</strong>s 23 .<br />
• Nach<strong>de</strong>m man das Bild e<strong>in</strong>e Zeitlang betrachtet hat, bekommt<br />
man <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, es nähere sich.<br />
• Auf e<strong>in</strong>mal hat man <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond sei nicht außerhalb<br />
<strong>de</strong>s Betrachten<strong>de</strong>n, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n ruhe im eigenen Inneren.<br />
• Es tritt also e<strong>in</strong>e mystische Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m betrachteten<br />
Symbol e<strong>in</strong>.<br />
• Nun hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond e<strong>in</strong>e von alters her feststehen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung,<br />
er ist das Symbol <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis <strong><strong>de</strong>r</strong> ewigen Wahrheit<br />
24 .<br />
23 Anfänger. die nicht genügend starke optische Vorstellungskraft haben, bekommen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Entfernung von etwa zwei Metern e<strong>in</strong> Rollbild aufgehängt, das auf<br />
dunkelblauem Grun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e silberne Mondscheibe zeigt.<br />
24 Vergleichsweise sei bemerkt: In <strong><strong>de</strong>r</strong> Mystik <strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond Symbol<br />
<strong>de</strong>s hl. Geistes und se<strong>in</strong>es Wirkens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche <strong><strong>de</strong>r</strong> vielen E<strong>in</strong>zelseelen. Ihm<br />
steht gegenüber die Sonne als Symbol CHRISTI und se<strong>in</strong>es Wirkens <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte<br />
und im Geiste <strong>de</strong>s Menschen. - Im BUDDHISMUS wird aber die hellleuchten<strong>de</strong><br />
(mittägliche) Sonne nicht gerne meditiert, da die psychologische Erfahrung
35<br />
<strong>Die</strong>se ist aber die göttliche Buddha-Natur <strong>de</strong>s ganzen Weltalls,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e also auch die Buddha-Natur, die das letzte<br />
Wesen unsrer selbst ist.<br />
<strong>Die</strong>se Natur hat drei Eigenschaften:<br />
1. sie ist erleuchtet;<br />
2. sie ist re<strong>in</strong> von Begier<strong>de</strong>n;<br />
3. sie ist ungetrübt von zornigen Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />
Ich fühle also nun <strong>de</strong>n Mond <strong>in</strong> mir ruhend als me<strong>in</strong>e eigene Buddha-<br />
Natur:<br />
• jetzt lasse ich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorstellung <strong>de</strong>n Mond langsam und<br />
schrittweise größer wer<strong>de</strong>n;<br />
• zunächst ist er so groß wie me<strong>in</strong> Leib, dann wie me<strong>in</strong> ganzer<br />
Körper, dann größer als me<strong>in</strong> Körper, jetzt so groß wie das<br />
Zimmer, dann so groß wie das ganze Haus, jetzt schwebt er,<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> vielmehr ich als Mond, über <strong><strong>de</strong>r</strong> Er<strong>de</strong>, jetzt ist er so groß<br />
wie die Er<strong>de</strong>, jetzt ist er größer als die Er<strong>de</strong>, jetzt umfasst er<br />
Er<strong>de</strong> und alle Sterne, nun ist er so groß wie das Weltall: "Ich,<br />
Buddha-Natur, b<strong>in</strong> das Weltall, außer mir ist nichts";<br />
• nach<strong>de</strong>m man e<strong>in</strong>e Zeitlang <strong>in</strong> dieser Vorstellung und ihren<br />
begleiten<strong>de</strong>n Gefühlen verharrt hat, lässt man <strong>de</strong>n Mond genau<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>nselben Stufen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> kle<strong>in</strong>er wer<strong>de</strong>n, bis er wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Herzgegend ruht;<br />
• dann entlässt man ihn aus sich heraus.<br />
<strong>Die</strong>se Übung kann man zwei-, dreimal h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> vornehmen. <strong>Die</strong><br />
besten Tageszeiten für <strong>Meditation</strong>en s<strong>in</strong>d <strong><strong>de</strong>r</strong> frühe Morgen und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
späte Abend. <strong>Die</strong> Wirkung dieser <strong>Meditation</strong> soll <strong>de</strong>m Menschen zur<br />
Erkenntnis se<strong>in</strong>er Buddha-Natur verhelfen, <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e aber soll sie<br />
gelehrt haben soll, dass dies Symbol im allgeme<strong>in</strong>en zu stark für <strong>de</strong>n Menschen<br />
ist. - Sonne und Mond bezeichnen zugleich die Polarität, nämlich im TAOISMUS und<br />
KONFUZIANISMUS Yang und Y<strong>in</strong> (siehe die Tabelle am Schluss <strong><strong>de</strong>r</strong> taoistischen <strong>Meditation</strong>),<br />
im mystischen BUDDHISMUS DIAMANTWELT und Matrixwelt. In dieser Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Polarität traten sie auch im Westen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> KABBALA, bei <strong>de</strong>n ALCHEMISTEN<br />
u. a. auf.
36<br />
drei E<strong>in</strong>zelwirkungen haben, die psychologisch ganz richtig als aus<br />
<strong>de</strong>m Symbol selber hervorgehend angesehen wer<strong>de</strong>n:<br />
1. diese <strong>Meditation</strong> wirkt beruhigend auf das Triebleben .<strong><strong>de</strong>r</strong> Begier<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond ist kühl und re<strong>in</strong>;<br />
2. wirkt die Mondmeditation beruhigend auf die zürnen<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften,<br />
<strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond ist klar und hell.<br />
<strong>Die</strong>se bei<strong>de</strong>n Wirkungen bil<strong>de</strong>n also die schon mehrmals erwähnte ei-<br />
ne Hauptwirkung aller <strong>Meditation</strong>en, die sittliche Veredlung <strong>de</strong>s Men-<br />
schen durch „Beruhigung" <strong>de</strong>s Trieblebens, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en höheren<br />
Weltzusammenhang e<strong>in</strong>bezogen wird.<br />
3. Endlich hat die Mond-<strong>Meditation</strong> noch e<strong>in</strong>e 3. Wirkung, sie erleuchtet<br />
<strong>de</strong>n Menschen und lehrt ihn, die allem zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong><br />
e<strong>in</strong>e Wahrheit, die auch <strong>in</strong> ihm enthaltene Buddha-<br />
Natur, zu schauen, <strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond ist die "himmlische Lampe",<br />
die Leuchte <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht.<br />
Das ist also die an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Hauptwirkung jeglicher <strong>Meditation</strong>, die We-<br />
sensschau o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Tiefsicht".<br />
<strong>Die</strong> Metho<strong>de</strong> dieser Betrachtung ist e<strong>in</strong>e synthetische (im Gegensatz<br />
zu aller abendländischen Analyse).<br />
E<strong>in</strong> Bild imprägniert o<strong><strong>de</strong>r</strong> t<strong>in</strong>giert mit <strong><strong>de</strong>r</strong> ihm eigenen E<strong>in</strong>druckskraft<br />
die Seele, und zwar gera<strong>de</strong> ihre tieferen Schichten.<br />
Alle Gefühlswerte, die sich an das Bild knüpfen, wer<strong>de</strong>n damit eben-<br />
falls <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele e<strong>in</strong>geprägt 25 .<br />
<strong>Die</strong> bildhafte <strong>Meditation</strong>, die "Imag<strong>in</strong>ation", wirkt auf diese<br />
Weise - um mit PARACELSUS zu re<strong>de</strong>n - zeugend auf <strong>de</strong>n Seelengrund<br />
e<strong>in</strong>.<br />
25 Auf dieser psychologischen Tatsache beruht <strong><strong>de</strong>r</strong> Wert und S<strong>in</strong>n aller Symbolik,<br />
aller Erziehung durch Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>.
37<br />
Dadurch entsteht e<strong>in</strong> Neues, e<strong>in</strong>e Seelenform, die bisher nicht so da<br />
war, o<strong><strong>de</strong>r</strong>, wie wir auch sagen können, e<strong>in</strong>e Verwandlung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Über-<br />
formung <strong><strong>de</strong>r</strong> Seele f<strong>in</strong><strong>de</strong>t statt.<br />
Als Gegensatz zu dieser bildmäßigen Schau möchte ich - aus<br />
Raumgrün<strong>de</strong>n - unter Verzicht auf Vorführung von <strong>Meditation</strong>sbeispielen<br />
mit Themen aus <strong>de</strong>m YOGA, aus <strong>de</strong>n Riten und<br />
<strong>de</strong>n philosophisch-dogmatischen Sätzen e<strong>in</strong> Beispiel aus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Meditation</strong>ssekte anführen - e<strong>in</strong>e Anekdote, <strong><strong>de</strong>r</strong>en entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
<strong>Meditation</strong>sstelle bildlose Worte s<strong>in</strong>d:<br />
Der fünfte Patriarch hat se<strong>in</strong>em Schüler HUI NENG <strong>de</strong>n "Buddha-Geist"<br />
übertragen, d. h. er hat ihm zur vollen Schau <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wahrheit<br />
verholfen und ihm auch die äußeren Zeichen <strong>de</strong>s Patriarchates - Ge-<br />
wand und Almosenschale BUDDHAS - übergeben und ihn dann wegge-<br />
schickt.<br />
Der Scholar SCHEN SIU ist eifersüchtig und setzt <strong>de</strong>m HUI NENG nach.<br />
Als er HUI NENG e<strong>in</strong>geholt hatte, warf dieser Gewand und Schale auf<br />
e<strong>in</strong>en Felsen h<strong>in</strong> und rief:<br />
"Der Mantel vers<strong>in</strong>nbildlicht <strong>de</strong>n Glauben, kannst Du ihn mit<br />
Gewalt erstreiten?"<br />
Er lag nämlich <strong>in</strong>mitten von Gestrüpp versteckt.<br />
SCHEN SIU kam herzu und wollte ihn aufheben, aber er bewegte sich<br />
nicht. Da tritt e<strong>in</strong>e plötzliche S<strong>in</strong>neswandlung bei <strong>de</strong>m neidischen Ver-<br />
folger e<strong>in</strong>, und er ruft:<br />
"Heiliger! Ich b<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Dharma (<strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wahrheit) wegen<br />
gekommen und nicht <strong>de</strong>s Gewan<strong>de</strong>s wegen!"<br />
Da kam HUI NENG hervor und setzte sich auf e<strong>in</strong>e Felsplatte.<br />
SCHEN SIU begrüßte ihn durch Stirnaufschlag und sagte:<br />
"Bitte, Heiliger, lehre mich <strong>de</strong>n Dharma!"
HUI NENG sagte:<br />
"Da es um <strong>de</strong>s Dharma willen ist, dass Du gekommen bist, so<br />
mögest Du alle Vorstellungen abstellen. Br<strong>in</strong>ge überhaupt<br />
ke<strong>in</strong>en Gedanken hervor! Dann will ich Dir <strong>de</strong>n Dharma erklären!"<br />
38<br />
SCHEN SIU muss also nun wie beim Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> alle Gedan-<br />
ken ausschalten. Nach e<strong>in</strong>er geraumen Weile - also nach<strong>de</strong>m HUI NENG<br />
merkt, dass SEHEN SIU jetzt so weit ist, <strong>de</strong>n meditativen Zustand her-<br />
gestellt zu haben - ruft HUI NENG <strong>in</strong> diese rezeptive Stimmung die lö-<br />
sen<strong>de</strong>n Worte schöpferischer Erkenntnis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>:<br />
"Nicht <strong>de</strong>nkend Gutes, nicht <strong>de</strong>nkend Böses, - gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> diesem<br />
Augenblick! - was ist <strong>de</strong><strong>in</strong> ursprüngliches Antlitz vor De<strong>in</strong>er<br />
Zeugung?"<br />
SCHEN SIU erlebte bei diesen Worten die große Erwachung, <strong>de</strong>nn das<br />
Paradox <strong>de</strong>s Antlitzes e<strong>in</strong>es noch nicht e<strong>in</strong>mal gezeugten Wesens<br />
verhilft ihm plötzlich zum Aufleuchten <strong><strong>de</strong>r</strong> übergegensätzlichen letz-<br />
ten Wahrheit, <strong>de</strong>m Dharma, <strong><strong>de</strong>r</strong> Buddha-Natur <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt und <strong>de</strong>s ei-<br />
genen Lebens.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte, die alles noch e<strong>in</strong>mal neu gedacht hat, hat auch<br />
<strong>de</strong>n alten buddhistischen Heilspfad umgedacht:<br />
• sie hat das Bodhisattva-I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Heiligen, <strong><strong>de</strong>r</strong> - obwohl<br />
letzter Erkenntnis teilhaftig - nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt entschw<strong>in</strong><strong>de</strong>t,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n an ihrer fortschreiten<strong>de</strong>n Erlösung weiterarbeitet,<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> älteren Anschauung folgerichtig verbun<strong>de</strong>n;<br />
• sie hat ferner das taoistische I<strong>de</strong>al erfüllt: verborgen wie <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Urgrund <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt selber, im Alltag beschei<strong>de</strong>n weiter zu leben,<br />
trotz<strong>de</strong>m o<strong><strong>de</strong>r</strong> gera<strong>de</strong> weil die letzten Höhen <strong>de</strong>s<br />
Menschse<strong>in</strong>s erreicht s<strong>in</strong>d.<br />
Zum Abschluss unserer Betrachtungen wollen wir daher noch e<strong>in</strong>en<br />
Blick auf die Lehre vom Heilspfad werfen, wie ihn die <strong>Meditation</strong>ssekte
lehrt.<br />
39<br />
Der Heilspfad hat e<strong>in</strong>e psychologische Begründung für die Stufen sei-<br />
ner Entwicklung - wenn wir von <strong><strong>de</strong>r</strong> Besprechung <strong>de</strong>s Metaphysischen<br />
absehen - <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> seelischen Reifung <strong>de</strong>s Menschenlebens<br />
von <strong><strong>de</strong>r</strong> Volljährigkeit bis zum Alter.<br />
Eigentlich f<strong>in</strong><strong>de</strong>t aber ke<strong>in</strong>e Aufe<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>folge von streng getrennten<br />
Stufen statt, vielmehr wird bei zunehmen<strong><strong>de</strong>r</strong> Reife<br />
e<strong>in</strong>e immer tiefere Schicht <strong>de</strong>s Menschen mit se<strong>in</strong>em Bewusstse<strong>in</strong><br />
verbun<strong>de</strong>n, aber alle Schichten und alle Stufen erkl<strong>in</strong>gen<br />
schon auf <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Stufe mit.<br />
Da nun die <strong>Meditation</strong> ganz <strong>de</strong>n gleichen Gang geht wie diese Reifung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> menschlichen Seele, so hilft sie e<strong>in</strong>erseits am besten mit, <strong>de</strong>n<br />
Menschen reifen zu lassen, und för<strong><strong>de</strong>r</strong>t ihn bei <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zig möglichen<br />
Fortschritt, eben <strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong> Reifung se<strong>in</strong>es Se<strong>in</strong>s.<br />
Umgekehrt ersche<strong>in</strong>t von da aus vergleichsweise <strong><strong>de</strong>r</strong> ganze<br />
Heilspfad wie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Riesige ausge<strong>de</strong>hnte <strong>Meditation</strong>, die<br />
<strong>de</strong>n Menschen bis zur letzten Tiefe gelangen lässt und ihn<br />
dann wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zur Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ung gewan<strong>de</strong>lt zurückholt.<br />
LIANG-GIE von DUNG SCHAN (807-869), <strong><strong>de</strong>r</strong> 10. Patriarch nach<br />
BODHIDHARMA und Begrün<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> TSAU-DUNG-SEKTE, e<strong>in</strong>er Unterabtei-<br />
lung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong>ssekte, hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hymnus unter Benutzung von<br />
Zeichen <strong>de</strong>s ehrwürdigen altch<strong>in</strong>esischen "Buches <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen" (I<br />
G<strong>in</strong>g), die fünf Stufen <strong>de</strong>s Heilspfa<strong>de</strong>s besungen.<br />
<strong>Die</strong>se fünf Stufen bauen sich so auf:<br />
• dass zunächst <strong><strong>de</strong>r</strong> Weg <strong><strong>de</strong>r</strong> Ver<strong>in</strong>nerlichung beschritten wird<br />
und das e<strong>in</strong>e Wesentliche <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> bunten Mannigfaltigkeit geschaut<br />
wird;<br />
• sodann wird von diesem Wesentlichen her <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung<br />
alle Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung aufgehoben (2. Stufe);<br />
• <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> dann e<strong>in</strong>treten<strong>de</strong>n unio mystica mit <strong>de</strong>m letzten Grun<strong>de</strong>
<strong>de</strong>s Weltgeschehens wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch jedoch <strong>in</strong> die Dynamik<br />
eben dieses letzten Grun<strong>de</strong>s h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen (3. Stufe);<br />
• und vollzieht wie<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>e Wendung nach außen.<br />
40<br />
Zur Ver<strong>in</strong>nerlichung tritt daher die Tätigkeit als gleich starkes Element<br />
(4. Stufe). Daher schw<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>de</strong>m so weit Vorgeschrittenen alle Unter-<br />
schie<strong>de</strong> von Ver<strong>in</strong>nerlichung und Wendung nach außen, von Wesentli-<br />
chem und Geson<strong><strong>de</strong>r</strong>tem, von Jenseits und <strong>Die</strong>sseits.<br />
• Befreit von allen B<strong>in</strong>dungen und Verkrampfungen lebt er beschei<strong>de</strong>n<br />
und hilfsbereit se<strong>in</strong>en Alltag, nach<strong>de</strong>m er das Ungeheuerste<br />
erlebt hat und als durch Erleuchtung Vollen<strong>de</strong>ter<br />
<strong>in</strong> sich trägt (5. Stufe).<br />
Um diesen Pfad <strong>de</strong>s Menschen im e<strong>in</strong>zelnen verständlich zu machen,<br />
greift <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch zu <strong>de</strong>n Zeichen <strong>de</strong>s "Buches <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen".<br />
Denn dieses weise Orakelbuch, <strong>de</strong>ssen Haupttext ("Urteile" und "Bil-<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>") - abgesehen von lexikalischen Erklärungen - zwar reichlich dun-<br />
kel ist, hat im Laufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>te durch e<strong>in</strong>e Reihe hervorragen-<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kommentare e<strong>in</strong>e ganz bestimmte Auslegung erfahren, so dass es<br />
nach und nach zu e<strong>in</strong>em immer großartigeren Kompendium <strong><strong>de</strong>r</strong> Weis-<br />
heit für <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>zelnen und das soziale Leben gewor<strong>de</strong>n ist.<br />
Von dieser Art <strong><strong>de</strong>r</strong> Auslegung her ist es auch zu verstehen,<br />
dass das Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen nicht nur auf KONFUZIANISMUS<br />
und TAOISMUS e<strong>in</strong>e ungeheure Wirkung gehabt hat, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
dass es auch <strong>de</strong>n ch<strong>in</strong>esischen BUDDHISMUS, ja sogar <strong>de</strong>n tibetischen<br />
LAMAISMUS <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bann gezogen hat.<br />
Der Patriarch geht nun davon aus, dass er <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Arten Strichen,<br />
aus <strong>de</strong>nen alle Zeichen <strong>de</strong>s Buches zusammengesetzt s<strong>in</strong>d, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />
naheliegen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utungen beilegt, nämlich<br />
Yang-Strich : Y<strong>in</strong>-Strich:
41<br />
das Wesentliche die Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />
das Wirkliche die Wirkung<br />
das Herrschen<strong>de</strong> das Untergebene<br />
die Leerheit das Gestaltete<br />
das Wahre das Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gründige<br />
das D<strong>in</strong>g an sich die Ersche<strong>in</strong>ung<br />
schwarz weiß<br />
(weil ganzstrichig) (weil <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte hell unterbrochen)<br />
Er nimmt nun das Trigramm <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n (Li, Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-<br />
Yang) das auf diesem Wege <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung das Gegebene ist, <strong>de</strong>nn<br />
es be<strong>de</strong>utet die Seele <strong>in</strong> ihrer Verklärung, die Yang-Striche <strong>de</strong>s Himm-<br />
lischen s<strong>in</strong>d herausgetreten aus <strong>de</strong>m Y<strong>in</strong>-Strich <strong>de</strong>s Körperlichen.<br />
Zwischen <strong>de</strong>n starken Strichen außen ist <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte <strong><strong>de</strong>r</strong> unterbrochene<br />
Strich wie e<strong>in</strong> leerer Raum, dadurch wer<strong>de</strong>n die<br />
Außenstriche hell.<br />
Das ist wie e<strong>in</strong>e Flamme, die <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte auch leer ist und außen ge-<br />
schlossen ihre Stärke und ihren Glanz zeigt. <strong>Die</strong> Flamme aber zeigt<br />
symbolisch ihr himmlisches Wesen, dadurch dass sie zwar durch Irdi-<br />
sches bed<strong>in</strong>gt ist, von <strong>de</strong>m sie sich nährt - so haftet <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilige am<br />
Rechten -, aber dass sie zum Himmel lo<strong><strong>de</strong>r</strong>t und alles um sich hell<br />
macht.<br />
Der Patriarch nimmt nun das Zeichen <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
höchsten Verstärkung, das ist das Hexagramm <strong>de</strong>s verstärkten Leuch-<br />
ten<strong>de</strong>n (Nr. 30, Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-Yang, Yang-Y<strong>in</strong>-Yang)<br />
Das ist das wahre Abbild <strong>de</strong>s Weisen, d. h. <strong>de</strong>s durch das<br />
Feuer <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung selber Licht Gewor<strong>de</strong>nen. Er strahlt <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Vollendung - ohne sich zu bemühen das Licht aus wie<br />
die Sonne und erleuchtet die vier Weltgegen<strong>de</strong>n.
42<br />
Der Patriarch hat dieses Zeichen als Symbol <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten o<strong><strong>de</strong>r</strong> 5. Stufe,<br />
als Bezeichnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollendung, angenommen.<br />
Nun schließt er auf die vorhergehen<strong>de</strong>n Stufen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er das Zeichen<br />
umwan<strong>de</strong>lt. Dabei bedient er sich <strong>de</strong>s Mittels <strong><strong>de</strong>r</strong> Verlegung <strong><strong>de</strong>r</strong> Stri-<br />
che - e<strong>in</strong> sonst auch vorkommen<strong>de</strong>s Verfahren.<br />
Er nimmt also die bei<strong>de</strong>n Yang-Striche aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte heraus<br />
und legt je e<strong>in</strong>en nach oben und unten, das ergibt das Hexagramm<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> "Inneren Wahrheit" (Nr. 61, Striche: Yang-Yang-<br />
Y<strong>in</strong>, Y<strong>in</strong>-Yang-Yang).<br />
<strong>Die</strong>ses Zeichen ist von e<strong>in</strong>er wun<strong><strong>de</strong>r</strong>vollen Harmonie <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegensätze -<br />
die unteren drei Striche s<strong>in</strong>d das Gegenbild <strong><strong>de</strong>r</strong> drei oberen. Das gibt<br />
e<strong>in</strong> gutes Symbol für die Vere<strong>in</strong>igung von Innerlichkeit und Außenwir-<br />
kung, für die vierte Stufe.<br />
<strong>Die</strong> <strong>in</strong>nere "Leerheit" <strong><strong>de</strong>r</strong> mittleren Striche zeigt zugleich <strong>de</strong>n<br />
freien, erlösten Geist an, aber nach außen wirkt mächtig die<br />
ungebrochene Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> starken Striche.<br />
Nun verwan<strong>de</strong>lt <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch abermals das Zeichen durch Heraus-<br />
nahme <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n mittleren Striche und ihr Verlegen nach außen,<br />
nämlich wie<strong><strong>de</strong>r</strong> nach oben und unten.<br />
So erhält er das Hexagramm Nr. 28:"Des Großen Übergewicht"<br />
(Striche: Y<strong>in</strong>-Yang-Yang, Yang-Yang-Y<strong>in</strong>)<br />
<strong>Die</strong>ses Zeichen wird als Bild <strong>de</strong>s Firstbalkens angesehen. Da an se<strong>in</strong>en<br />
En<strong>de</strong>n, oben und unten, schwache Striche stehen, so ist er zu<br />
schwach, er biegt sich durch und will nachgeben.<br />
Das ist ke<strong>in</strong> dauern<strong><strong>de</strong>r</strong> Zustand, er muss verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Der Firstbalken ist nun seit alters e<strong>in</strong> Symbol <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips, und so<br />
gibt das Zeichen e<strong>in</strong>e ausgezeichnete Symbolisierung <strong>de</strong>s Um-
43<br />
schwungs <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong>neren Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen durch die unio<br />
mystica.<br />
Hat er durch höchste Ver<strong>in</strong>nerlichung die Vere<strong>in</strong>igung mit<br />
<strong>de</strong>m Urgrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Geschehens erhalten, so wird er selber <strong>in</strong><br />
die wuchten<strong>de</strong> Bewegung <strong>de</strong>sselben h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen und wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
zur Aktivität, zur Wendung nach außen getrieben (3. Stufe).<br />
Nimmt man nun zum drittenmal die bei<strong>de</strong>n mittleren Striche heraus<br />
und legt je e<strong>in</strong>en nach oben und unten, so verwan<strong>de</strong>lt sich das Hexa-<br />
gramm zurück <strong>in</strong> das Zeichen <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n (Nr. 30).<br />
Drei Umschichtungen s<strong>in</strong>d möglich, mehr nicht.<br />
Es bleibt aber noch übrig, die bei<strong>de</strong>n Anfangsstufen von <strong><strong>de</strong>r</strong> Dynamik-<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> unio mystica durch Zeichen zu ver<strong>de</strong>utlichen.<br />
Hierfür nimmt <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch ke<strong>in</strong>e Hexagramme - <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch ist ja<br />
noch nicht durch die mystische Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Urgrun<strong>de</strong> stärker<br />
gewor<strong>de</strong>n - , son<strong><strong>de</strong>r</strong>n e<strong>in</strong>fache, schwache Zeichen.<br />
Er nimmt also nicht das verstärkt "Leuchten<strong>de</strong>", das aus zwei leuch-<br />
ten<strong>de</strong>n Feuerzeichen besteht, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n das e<strong>in</strong>fach Leuchten<strong>de</strong> Li<br />
(Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-Yang), e<strong>in</strong>es <strong><strong>de</strong>r</strong> acht Urzeichen <strong>de</strong>s Weltgesche-<br />
hens.<br />
Er nimmt hier die e<strong>in</strong>e mittlere L<strong>in</strong>ie heraus und legt sie nach<br />
unten, so erhält er das Urzeichen Sun (Striche: Yang-Yang-<br />
Y<strong>in</strong>), das Bild <strong>de</strong>s W<strong>in</strong><strong>de</strong>s o<strong><strong>de</strong>r</strong> Holzes, d. h. <strong>de</strong>s sanft E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n<br />
(wie das Wehen <strong>de</strong>s W<strong>in</strong><strong>de</strong>s, wie die zarten Wurzeln<br />
<strong>de</strong>s Baumes).<br />
Das sanft E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> ist das passen<strong>de</strong> Symbol zur Veranschauli-<br />
chung <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Stufe.<br />
Auf dieser dr<strong>in</strong>gt das Wesentliche, das <strong>in</strong> aller Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung
44<br />
(Individuation) enthalten ist, <strong>in</strong> die <strong>in</strong>nere Erfahrung <strong>de</strong>s<br />
Menschen e<strong>in</strong>.<br />
Endlich legt <strong><strong>de</strong>r</strong> Patriarch <strong>de</strong>n mittleren schwachen Strich nach oben,<br />
so verwan<strong>de</strong>lt er das leuchten<strong>de</strong> Feuerzeichen <strong>in</strong> das Urzeichen Dui<br />
(Striche:Y<strong>in</strong>-Yang-Yang), das Bild <strong>de</strong>s stillen Wassers, <strong>de</strong>s Sees o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>de</strong>s Heiteren.<br />
Wie die bei<strong>de</strong>n starken Striche unten sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n schwachen oberen<br />
äußern, so verwan<strong>de</strong>ln sie <strong>de</strong>ssen weiche Schwermut <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerlich be-<br />
grün<strong>de</strong>te Heiterkeit.<br />
So auch verwan<strong>de</strong>lt sich im Menschen, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong>nerlich stark ist,<br />
nämlich vom Wesentlichen her alles anschaut und von dorther<br />
lebt, alle äußerlich verschie<strong>de</strong>ne Ersche<strong>in</strong>ung eben zu<br />
nichts als Ersche<strong>in</strong>ung <strong>de</strong>s alle<strong>in</strong> Wesentlichen und unter sich<br />
gleich.<br />
Vermittels dieser fünf Diagramme also war es <strong>de</strong>m Patriarchen DUNG<br />
SCHAN möglich, die verschie<strong>de</strong>nen Mischungsgra<strong>de</strong> von Seichtheit und<br />
Tiefe bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege <strong>de</strong>s höheren Lebens darzustellen. Man bezeichnet<br />
die fünf Stufen als die "fünf Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> Hel<strong>de</strong>ntaten".<br />
Zugleich kann man an diesen Diagrammen <strong>de</strong>n gegenseitigen<br />
Zusammenhang und die Durchdr<strong>in</strong>gung von D<strong>in</strong>g an sich und<br />
Ersche<strong>in</strong>ung darlegen.<br />
(An Stelle von "Wesentliches" [D<strong>in</strong>g an sich] und "Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung" [Er-<br />
sche<strong>in</strong>ung] kann man auch die Ausdrücke "Herrschen<strong>de</strong>s" und "Un-<br />
tergebenes" verwen<strong>de</strong>n.<br />
Der Ausdruck "die fünf Stufen <strong><strong>de</strong>r</strong> Hel<strong>de</strong>ntaten" gibt DUNG SCHANS ur-<br />
sprüngliche Auffassung wie<strong><strong>de</strong>r</strong>, während die Bezeichnung "die fünf<br />
Stufen <strong>de</strong>s Herrschen<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>s Untergebenen" e<strong>in</strong>e Auslegung TSAU
SCHANS darstellen.)<br />
45<br />
Und nun wen<strong>de</strong>n wir uns zum Schlusse <strong>de</strong>m Hymnus <strong>de</strong>s Patriarchen<br />
LIANG-GIE von DUNG SCHAN zu, durch <strong>de</strong>n er die fünf Stufen von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
ersten bis zur letzten <strong>in</strong> geistvoller Weise beschreibt 26 .<br />
I. Stufe: Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung im Wesentlichen.<br />
"In <strong><strong>de</strong>r</strong> dritten Wache, zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht, bevor <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond<br />
leuchtet –<br />
Wundre dich nicht, wenn e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Begegnen<strong>de</strong> sich nicht erkennen!<br />
Ganz geheim hegt man doch Verdächtiges aus früheren Tagen!"<br />
"I. Stufe: Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung im Wesentlichen!"<br />
• Das Wesentliche ist die Wirklichkeit, die Leerheit, das D<strong>in</strong>g<br />
an sich. <strong>Die</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung ist die Wirkung, das Gestaltete,<br />
die Ersche<strong>in</strong>ung.<br />
• Der Schüler erkennt auf dieser Stufe die Wirkung <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirklichkeit,<br />
die Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong>mitten <strong>de</strong>s D<strong>in</strong>ges an sich und betrachtet<br />
se<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> als Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflege se<strong>in</strong>es sittlichen Wan<strong>de</strong>ls.<br />
"In <strong><strong>de</strong>r</strong> dritten Wache, zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht, bevor <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond<br />
leuchtet -."<br />
Der Schüler versenkt sich <strong>in</strong> die Nacht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kontemplation, <strong>in</strong> die Dun-<br />
kelheit <strong>de</strong>s eigenen Innern, noch ist ihm <strong><strong>de</strong>r</strong> Mond <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahrheit nicht<br />
voll aufgegangen.<br />
"Wundre dich nicht, wenn e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Begegnen<strong>de</strong> sich nicht erkennen!"<br />
Im Geheimnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht wer<strong>de</strong>n alle Unterschie<strong>de</strong> verhüllt, daher ist<br />
26 Der Hymnus ist bereits übersetzt und erklärt <strong>in</strong> OHASAMA-FAUST: "Zen, <strong><strong>de</strong>r</strong> lebendige<br />
Buddhismus <strong>in</strong> Japan", lei<strong><strong>de</strong>r</strong> ohne Erwähnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Beziehungen zu <strong>de</strong>m<br />
Buche <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen und <strong>de</strong>ssen Zeichen nebst <strong>de</strong>n <strong>Meditation</strong>sbil<strong><strong>de</strong>r</strong>n.
46<br />
es unmöglich, das E<strong>in</strong>zelne zu unterschei<strong>de</strong>n, "e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Begegnen<strong>de</strong><br />
zu erkennen". So verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kontemplation erlebter<br />
Gleichheit (P<strong>in</strong>g Deng) <strong>de</strong>s Absoluten alle Unterschie<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Erschei-<br />
nungen. Aber:<br />
"Ganz geheim hegt man doch Verdächtiges aus früheren Tagen",<br />
die Spur <strong>de</strong>s vergangenen Lebens ist, wenn auch durch die Dunkelheit<br />
und die Gleichheit <strong>de</strong>s Absoluten ver<strong>de</strong>ckt, noch vorhan<strong>de</strong>n. Das Se<strong>in</strong><br />
ist noch nicht völlig gewan<strong>de</strong>lt. <strong>Die</strong>se völlige Wandlung wird e<strong>in</strong>gelei-<br />
tet durch <strong>de</strong>n mystischen "großen Tod" <strong>de</strong>s alten Menschen.<br />
Das Urzeichen Sun (Striche: Yang-Yang-Y<strong>in</strong>) stellt das sanft E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>-<br />
gen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s W<strong>in</strong><strong>de</strong>s und <strong>de</strong>s Holzes - - dar.<br />
Es teilt sich unten, wird licht, ohne doch die Kraft <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gens<br />
zu verlieren.<br />
So wie <strong><strong>de</strong>r</strong> W<strong>in</strong>d, auch, wenn er sich teilt, überall e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt, so wie die<br />
zarten Ausläufer <strong><strong>de</strong>r</strong> Wurzeln e<strong>in</strong>es Baumes überall e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen, so<br />
dr<strong>in</strong>gt auf dieser Stufe das Wesentliche überall <strong>in</strong> die Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />
sanft e<strong>in</strong>.<br />
Jegliche Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung wird als teilhaftig <strong>de</strong>s Wesentlichen geschaut.<br />
Das <strong>Meditation</strong>sbild zeigt entsprechend <strong><strong>de</strong>r</strong> Verteilung von ganzen,<br />
schwarzen L<strong>in</strong>ien und <strong><strong>de</strong>r</strong> hellen, unterbrochenen L<strong>in</strong>ie im Urzeichen<br />
die obere Hälfte schwarz, das ist das kräftige Wesentliche, die untere<br />
Hälfte weiß, das s<strong>in</strong>d die schwachen Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen.<br />
Der Mensch erkennt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung das Wesentliche,<br />
von <strong>de</strong>m er nun Wirkung, Ersche<strong>in</strong>ung ist.
47<br />
II. Stufe: Wesentliches <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.<br />
"E<strong>in</strong>e alte Frau, die die Morgendämmerung versäumte, tritt<br />
vor <strong>de</strong>n alten Spiegel. Obwohl sie ganz klar e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüberstehen,<br />
ist doch nichts Wirkliches da. Lass ab, schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
verwirrten Kopfes, abermals nach Schatten zu suchen!"<br />
,,II. Stufe: Wesentliches <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung": Jetzt ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Standort<br />
gewechselt, vom Wesentlichen her wird die e<strong>in</strong>zelne Ersche<strong>in</strong>ung ge-<br />
schaut.<br />
Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> so gewonnenen erleuchten<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>sicht erkennt man<br />
<strong>in</strong> allen Ersche<strong>in</strong>ungen das „Wesentliche", diese Welt als jene<br />
Welt, man dr<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> alle Dharmas und alle Schulme<strong>in</strong>ungen<br />
e<strong>in</strong> und betrachtet die leere Wahrheit als die unterschiedslose<br />
Ebene <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen.<br />
Alle Ersche<strong>in</strong>ungen wer<strong>de</strong>n unter sich gleich.<br />
"E<strong>in</strong>e alte Frau, die die Morgendämmerung versäumte, tritt<br />
vor <strong>de</strong>n alten Spiegel."<br />
Der Morgen, das helle Tageslicht, lässt im Gegensatz zur Nacht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kontemplation wie<strong><strong>de</strong>r</strong> alle Verschie<strong>de</strong>nheiten <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen her-<br />
vortreten, so treten auch Frau und Spiegel als sche<strong>in</strong>bare Verschie-<br />
<strong>de</strong>nheiten hervor.<br />
Aber bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d "alt", d. h. sie haben schon die Erfahrung <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten<br />
Stufe h<strong>in</strong>ter sich, die "alte Frau" (<strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch auf dieser Stufe) hat die<br />
Arbeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachtstufe h<strong>in</strong>ter sich und daher die "Morgendämmerung<br />
versäumt".<br />
„Obwohl sie ganz klar e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüberstehen. ist doch<br />
nichts Wirkliches da."<br />
<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen stehen ganz klar e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüber,<br />
aber man schaut sich und sie jetzt vom Wesentlichen her an: da er-
48<br />
kennt man, dass sie im Wesentlichen alle unter sich gleich s<strong>in</strong>d, es<br />
gibt ke<strong>in</strong>e Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen mehr, es „ist doch<br />
nichts Wirkliches da".<br />
Alles ist wesentlich, und das ist das e<strong>in</strong>zig Wirkliche (Dschen) und<br />
zugleich Wahre, das Tao, obwohl es von <strong>de</strong>n Ersche<strong>in</strong>ungen her früher<br />
als das vollen<strong>de</strong>te Nichts erschienen ist.<br />
"Lass ab, schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong> verwirrten Kopfes, abermals nach<br />
Schatten zu suchen!“<br />
E<strong>in</strong> Tor, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum erstenmal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Spiegel blickte, hielt se<strong>in</strong> Spie-<br />
gelbild für e<strong>in</strong>e Wirklichkeit, dabei war es doch nur e<strong>in</strong> nichtiger<br />
"Schatten" se<strong>in</strong>er falschen Vorstellungskraft.<br />
Solch verblen<strong>de</strong>tes Verhalten muss auf dieser Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Erleuchtung<br />
aufhören, wo die E<strong>in</strong>heit von Spiegel und Betrachter,<br />
von allen Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen erschaut und das Wesentliche<br />
als das e<strong>in</strong>zig Wirkliche erkannt ist.<br />
Das Urzeichen Dui (Striche: Y<strong>in</strong>-Yang-Yang) stellt das stille Wasser<br />
e<strong>in</strong>es Sees dar und bezeichnet das Heitere.<br />
Von <strong><strong>de</strong>r</strong> Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> starken unteren Striche her wird die schwache obe-<br />
re L<strong>in</strong>ie mild verklärt.<br />
So verklärt das Wesentliche alle E<strong>in</strong>zelersche<strong>in</strong>ungen.<br />
Das <strong>Meditation</strong>sbild gibt wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um die obere äußere L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> ihrer Wei-<br />
cheit als Weiß wie<strong><strong>de</strong>r</strong>, die unteren starken L<strong>in</strong>ien als das zugrun<strong>de</strong> lie-<br />
gen<strong>de</strong> kräftige Schwarz. Zeichen und Bild s<strong>in</strong>d entsprechend <strong>de</strong>m ver-<br />
än<strong><strong>de</strong>r</strong>ten Standort <strong>de</strong>s Bewusstse<strong>in</strong>s die genaue Umkehrung von Zei-<br />
chen und Bild <strong><strong>de</strong>r</strong> I. Stufe.<br />
III. Stufe: Hervorkommen im Wesentlichen.
49<br />
"Inmitten <strong>de</strong>s Nichts gibts e<strong>in</strong>en Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> trennt vom weltlichen<br />
Staube!<br />
Ist man nur fähig, nicht zu verletzen die gelten<strong>de</strong>n Verbote,<br />
So ist man auch überlegen <strong>de</strong>m zungenschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Talent<br />
aus <strong><strong>de</strong>r</strong> früheren Dynastie! "<br />
"III. Stufe: Hervorkommen im Wesentlichen."<br />
Auf dieser Stufe ist die Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Wesentlichen erlangt, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Mensch ist mit <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wirklichkeit und Wahrheit e<strong>in</strong>s gewor<strong>de</strong>n,<br />
alle Dharmas, alle Träger <strong>de</strong>s Weltbestan<strong>de</strong>s, alle Kausalketten <strong>de</strong>s<br />
Geschehens wer<strong>de</strong>n hier klar, <strong>de</strong>nn von hier gehen sie aus, von hier<br />
"kommen sie hervor", so erlebt auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch hier <strong>de</strong>n ungeheuren<br />
Umschwung se<strong>in</strong>es Weges, er geht aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m We-<br />
sentlichen zu neuem zwanglosen Wirken hervor. Das erleuchtet-<br />
unerleuchtete Absolute drängt zu erlösen<strong><strong>de</strong>r</strong> Tat.<br />
"Inmitten <strong>de</strong>s Nichts gibts e<strong>in</strong>en Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> trennt vom weltlichen<br />
Staube!"<br />
Wer quietistisch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m Wesentlichen<br />
verharren wollte, erlebte dies Wesentliche vor allem als Nichts; das ist<br />
aber nicht die volle Wahrheit, <strong>de</strong>nn dieses Nichts ist zugleich actus<br />
purus, ständig Wirken<strong>de</strong>s.<br />
Wer das versteht, <strong>de</strong>m ersche<strong>in</strong>t sogar diese hohe Stufe noch als Vor-<br />
läufiges, als "weltlicher Staub". Aber aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Vere<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>m<br />
Nichts führt dieses selbst <strong>de</strong>n Menschen heraus, nämlich durch die<br />
ihm eigene Dynamik, durch die es sich und die Welt erlöst.<br />
In diese Dynamik wird <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen und arbeitet, selbst<br />
erlöst wer<strong>de</strong>nd, nunmehr an <strong><strong>de</strong>r</strong> Erlösung <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt und <strong>de</strong>s Absoluten<br />
mit.
50<br />
"Ist man nur fähig, nicht zu verletzen die gelten<strong>de</strong>n Verbote.<br />
. . ."<br />
Der Mensch, <strong><strong>de</strong>r</strong> so weit gekommen ist, ist selber die Verkörperung<br />
<strong>de</strong>s Weltgesetzes und <strong><strong>de</strong>r</strong> höchsten Wahrheit, <strong>de</strong>s Dharma, gewor<strong>de</strong>n,<br />
er braucht sich nicht mehr um Tugend zu bemühen, er wirkt mühelos,<br />
von <strong>in</strong>nen heraus s<strong>in</strong>nvoll. Er bedarf ke<strong>in</strong>er "Verbote" mehr: <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Freiheit han<strong>de</strong>lt er, da er vom Dharma erfüllt ist, <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktsicher richtig.<br />
"So ist man auch überlegen <strong>de</strong>m zungenschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Talent<br />
aus <strong><strong>de</strong>r</strong> früheren Dynastie!"<br />
E<strong>in</strong> großer Redner aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> SUI-DYNASTIE wur<strong>de</strong> von se<strong>in</strong>en<br />
Gegnern verleum<strong>de</strong>t und auf kaiserlichen Befehl, obwohl unschuldig,<br />
h<strong>in</strong>gerichtet. Damit se<strong>in</strong>em Sohn nicht e<strong>in</strong> Gleiches wi<strong><strong>de</strong>r</strong>fahre, ließ er<br />
ihn vor <strong><strong>de</strong>r</strong> H<strong>in</strong>richtung kommen, warnte ihn davor, zu viel zu spre-<br />
chen, und verletzte die Zunge <strong>de</strong>s Sohnes e<strong>in</strong> wenig. Durch diesen<br />
gewaltsamen E<strong>in</strong>griff machte er <strong>de</strong>m Sohne die Rednerlaufbahn un-<br />
möglich, und damit bewahrte er ihn vor allem vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Möglichkeit, An-<br />
stoß zu erregen und "gelten<strong>de</strong> Verbote zu verletzen".<br />
Solche Verkrampfungen hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Freie, <strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>s ist mit <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Weltgeschehens, nicht mehr nötig. Dem allen ist er überlegen, da<br />
er im Besitze <strong>de</strong>s Dharma <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktsicher immer das Richtige tut.<br />
Das Zeichen (Striche: Y<strong>in</strong>-Yang-Yang, Yang-Yang-Y<strong>in</strong>) ist aus<br />
<strong>de</strong>m Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n vorhergehen<strong>de</strong>n Stufen zusammengesetzt,<br />
es vere<strong>in</strong>igt die Schau von <strong>de</strong>n Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen her<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> vom Wesentlichen her.<br />
Verborgen liegt <strong>in</strong> ihm das doppelte Zeichen <strong>de</strong>s Leuchten<strong>de</strong>n, das<br />
erst auf <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Stufe <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt und vorher noch durch<br />
e<strong>in</strong>e Zwischenstufe gehen muss. Das Zeichen dieser Stufe ist aus <strong>de</strong>m<br />
"Buche <strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen" (I G<strong>in</strong>g) entnommen und heißt: "Des Großen
Übergewicht".<br />
51<br />
Es gleicht e<strong>in</strong>em großen Balken, <strong>de</strong>ssen En<strong>de</strong>n (oben und unten) zu<br />
schwach s<strong>in</strong>d. "Der Firstbalken (das Symbol <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips) biegt sich<br />
durch."<br />
Das ist ke<strong>in</strong> Dauerzustand. Hier drängt alles zur Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.<br />
Das ist das Zeichen <strong>de</strong>s Umschwungs auf <strong>de</strong>m Wege<br />
<strong>de</strong>s Menschen, er wird <strong>in</strong> die Dynamik <strong>de</strong>s Urpr<strong>in</strong>zips h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen<br />
zu neuem, nunmehr zwanglosem Wirken.<br />
Entsprechend <strong>de</strong>n Zeichen gibt das <strong>Meditation</strong>sbild e<strong>in</strong>en weißen Kreis<br />
außen - gleich <strong>de</strong>n schwachen En<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Firstbalkens -, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte<br />
aber ist <strong><strong>de</strong>r</strong> kräftige schwarze Kern:<br />
"Inmitten <strong>de</strong>s Nichts gibts e<strong>in</strong>en Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> trennt vom weltlichen<br />
Staube!"<br />
IV. Stufe: Ankunft <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung 27 .<br />
"S<strong>in</strong>d bei<strong>de</strong> Schwerter gekreuzt, so sollten sie nicht getrennt<br />
wer<strong>de</strong>n. Der Starkarmige ist wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Lotos im Feuer,<br />
Als ob er selbst hat <strong>de</strong>n Willen, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum Himmel emporstößt."<br />
"IV. Stufe: Ankunft <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung."<br />
Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> tiefsten Stufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Ver<strong>in</strong>nerlichung hatte <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch die Verei-<br />
nigung mit <strong>de</strong>m Urpr<strong>in</strong>zip <strong>de</strong>s Weltgeschehens, mit <strong>de</strong>m Dharma, als<br />
<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zig Wirklichen und Wesentlichen erlebt und wird nun gewis-<br />
sermaßen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> die Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen zu neuem Wirken<br />
h<strong>in</strong>ausgeschleu<strong><strong>de</strong>r</strong>t. Der Schüler ist nun e<strong>in</strong> Bodhisattva höchsten<br />
Ranges gewor<strong>de</strong>n, er pflegt <strong>de</strong>n ganzen Tag se<strong>in</strong>en Wan<strong>de</strong>l und se<strong>in</strong>e<br />
Vorstellungen durch <strong>Meditation</strong>, er wirkt die ganze Nacht, aber ist<br />
27 Später sagte man: Ankunft, nämlich Rückkehr, <strong>in</strong> Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.
weit entfernt, an Verdienstlichkeit se<strong>in</strong>es Wirkens zu <strong>de</strong>nken.<br />
52<br />
Zur Ver<strong>in</strong>nerlichung tritt jetzt <strong>in</strong> "Vere<strong>in</strong>igung" das Wirken im S<strong>in</strong>ne<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Wahrheit und <strong>de</strong>s Weltgesetzes, "<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung" auch<br />
s<strong>in</strong>d jetzt Wesentliches und Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung.<br />
"S<strong>in</strong>d bei<strong>de</strong> Schwerter gekreuzt, so sollten sie nicht getrennt<br />
wer<strong>de</strong>n."<br />
Das Schwert <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis <strong><strong>de</strong>r</strong> höchsten Wahrheit muss <strong>in</strong> Kreuzung<br />
gebun<strong>de</strong>n bleiben mit <strong>de</strong>m Schwert <strong><strong>de</strong>r</strong> barmherzigen Rettung aller<br />
Lebewesen.<br />
Ver<strong>in</strong>nerlichung und Wendung nach außen, kontemplatives und akti-<br />
ves Leben dürfen nicht vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> getrennt wer<strong>de</strong>n, bei<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n<br />
jetzt gleichzeitig vollzogen.<br />
"Der Starkarmige ist wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Lotos im Feuer."<br />
Der <strong><strong>de</strong>r</strong> Sage nach im Feuer erwachsene Lotos ist unverwelklich.<br />
So wird auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch durch das Feuer <strong><strong>de</strong>r</strong> barmherzigen<br />
Liebe geglüht und ist unversehrbar gegenüber Schmutz und<br />
Vergänglichkeit.<br />
"Als ob er selbst hat <strong>de</strong>n Willen, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum Himmel emporstößt!"<br />
Der Starkarmige ist mächtig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wirkung; unversehrbar <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Liebe, gestaltet er die Welt im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s Urgrun<strong>de</strong>s um und arbeitet<br />
an <strong><strong>de</strong>r</strong> Erlösung <strong>de</strong>s Ganzen. <strong>Die</strong>se Tatkraft ist so überwältigend<br />
mächtig, dass er ist wie e<strong>in</strong>er, <strong><strong>de</strong>r</strong> zum Himmel emporsteigen will.<br />
Das Zeichen (Striche: Yang-Yang-Y<strong>in</strong>, Y<strong>in</strong>-Yang-Yang) be<strong>de</strong>utet die<br />
"Innere Wahrheit".<br />
In wun<strong><strong>de</strong>r</strong>voller Harmonie stehen sich die Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n<br />
ersten Stufen (diesmal umgekehrt als beim letzten Zei-
chen) e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> gegenüber.<br />
53<br />
<strong>Die</strong> starken Striche stehen nun außen, e<strong>in</strong>e gewaltige Aktivität hat<br />
e<strong>in</strong>gesetzt, im Inneren aber s<strong>in</strong>d die bei<strong>de</strong>n schwachen Striche, hier<br />
ist die "Leerheit", <strong><strong>de</strong>r</strong> Besitz <strong><strong>de</strong>r</strong> "Inneren Wahrheit", wo alle Beson<strong>de</strong>-<br />
rung r<strong>in</strong>gs vom Wesentlichen umfasst wird.<br />
Das <strong>Meditation</strong>sbild zeigt <strong>in</strong> entsprechen<strong><strong>de</strong>r</strong> Weise außen <strong>de</strong>n starken<br />
schwarzen Kreis, die aktive Entfaltung <strong>de</strong>s Wesentlichen und <strong>in</strong>nen<br />
<strong>de</strong>n Kern, das Zurücktreten <strong>de</strong>s Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en. Zeichen und Bild s<strong>in</strong>d die<br />
genauen Gegenstücke zu Zeichen und Bild <strong><strong>de</strong>r</strong> vorhergehen<strong>de</strong>n Stufe.<br />
V. Stufe: Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung.<br />
"Neigt e<strong>in</strong>er nicht zum Se<strong>in</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> Nichtse<strong>in</strong>, wer könnte wohl<br />
wagen, da mitzumachen? Jedwe<strong><strong>de</strong>r</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> wirklich aus <strong>de</strong>m Alltagsstrom<br />
heraustreten will,<br />
Kehrt - alles zusammengenommen - zu se<strong>in</strong>em Sitze <strong>in</strong>mitten<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kohlen zurück!"<br />
"V. Stufe: Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>igung."<br />
Der Weg <strong>de</strong>s Menschen hat sich zu e<strong>in</strong>em Kreislauf geschlossen. Er ist<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Alltagsleben zurückgekehrt, aber als völlig Verwan<strong>de</strong>l-<br />
ter: Wirklichkeit und Wirkung s<strong>in</strong>d jetzt vere<strong>in</strong>igt, D<strong>in</strong>g an sich und<br />
Ersche<strong>in</strong>ung gehen jetzt völlig zusammen. Er hat die allerhöchste<br />
Buddhafrucht gepflückt. Er ist angekommen, er ist da. und zwar "<strong>in</strong><br />
Vere<strong>in</strong>igung" aller Gegensätze, aber auch aller vorangegangenen Stu-<br />
fen <strong>in</strong> dieser letzten vollkommenen.<br />
"Neigt e<strong>in</strong>er nicht zum Se<strong>in</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> Nichtse<strong>in</strong>, wer könnte wohl<br />
wagen, da mitzumachen?"<br />
Se<strong>in</strong> und Nichtse<strong>in</strong>, also bei<strong>de</strong> Seiten <strong>de</strong>s Geschehens, Ersche<strong>in</strong>ung
54<br />
und D<strong>in</strong>g an sich, Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>ung und Wesentliches s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> völliger<br />
Harmonie e<strong>in</strong>s, auch <strong><strong>de</strong>r</strong> schmutzige, mühevolle Alltag <strong>de</strong>s also Voll-<br />
en<strong>de</strong>ten steht nicht mehr im Gegensatz zu <strong><strong>de</strong>r</strong> hohen Heiligkeit.<br />
E<strong>in</strong>e Neigung, nur die e<strong>in</strong>e Seite <strong>de</strong>s Weltgeschehens zu bejahen, e-<br />
xistiert nicht mehr. Für <strong>de</strong>n Vollen<strong>de</strong>ten ist das Nirvana diese Wan-<br />
<strong>de</strong>lwelt und Nichtwissen erleuchtete Buddhanatur, das Absolute<br />
zugleich dunkel und gut. Wer diese Wahrheit nicht nur kennt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
sie verkörpert, <strong><strong>de</strong>r</strong> ist schlechth<strong>in</strong> weltüberlegen, erhaben.<br />
"Wer könnte wohl wagen, da mitzumachen, d. h. es ihm<br />
gleichzutun?"<br />
"Jedwe<strong><strong>de</strong>r</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong> wirklich aus <strong>de</strong>m Alltagsstrom heraustreten<br />
will. . . "<br />
Wer so weit gekommen ist, <strong>de</strong>m ist auch das Verdienst o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Be-<br />
lohnung im Jenseits nur Alltagsstrom, also gleichgültig gewor<strong>de</strong>n.<br />
"Kehrt - alles zusammengenommen - zu se<strong>in</strong>em Sitze <strong>in</strong>mitten<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kohlen zurück!"<br />
Das Ziel <strong>de</strong>s ganzen Weges ist wie<strong><strong>de</strong>r</strong> gleich <strong>de</strong>m Ausgangspunkt ge-<br />
wor<strong>de</strong>n. Alle Stufen zusammengenommen führen dazu, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Voll-<br />
en<strong>de</strong>te, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n von Welt und Leben völlig erfasst hat und ihn<br />
verkörpert, wie <strong><strong>de</strong>r</strong> unerfahrenste Mensch und <strong><strong>de</strong>r</strong> Tor das armselige<br />
Leben im Schmutz (Kohlen!) <strong>de</strong>s Alltags wie<strong><strong>de</strong>r</strong> aufnimmt.<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>en Unterschied mehr von Wesentlichem und Unwesentlichem,<br />
von Heiligkeit und Alltag.<br />
So scheut <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollen<strong>de</strong>te nicht die ger<strong>in</strong>ge, kle<strong>in</strong>e Pflicht <strong>de</strong>s Alltags.<br />
und er a<strong>de</strong>lt durch se<strong>in</strong> Verhalten die ganze Welt. Weiser und Tor s<strong>in</strong>d<br />
letztlich e<strong>in</strong>s, Heiliger und Verbrecher <strong>de</strong>sgleichen; wo aber unsere<br />
Ersche<strong>in</strong>ungswelt sich doch noch nicht ganz mit <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zig Wesentli-
55<br />
chen <strong>de</strong>cken sollte, da arbeitet <strong><strong>de</strong>r</strong> zu <strong>de</strong>n Kohlen Zurückgekehrte an<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Erlösung <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheit, aller Lebewesen, <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt.<br />
Endlich ist das Zeichen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er vollen Herrlichkeit erschienen. Zwei<br />
Feuerzeichen ergeben zusammen das Zeichen (Striche: Yang-Y<strong>in</strong>-<br />
Yang, Yang-Y<strong>in</strong>-Yang) <strong>de</strong>s verstärkten Leuchten<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Buche<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Wandlungen. So ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollen<strong>de</strong>te selber völlig Licht gewor<strong>de</strong>n,<br />
und er erleuchtet mühelos wie die Sonne die vier Weltgegen<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Die</strong> starken Striche treten zugleich im Inneren wie im Äußeren<br />
auf, die schwachen Striche s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> ihren Zusammenhang.<br />
E<strong>in</strong>e völlige Durchdr<strong>in</strong>gung bei<strong><strong>de</strong>r</strong> Arten hat stattgefun<strong>de</strong>n, D<strong>in</strong>g an<br />
sich und Ersche<strong>in</strong>ung lassen sich nicht mehr trennen, Heiligkeit und<br />
Alltag, Nirvana und Wan<strong>de</strong>lwelt s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>s gewor<strong>de</strong>n. Das <strong>Meditation</strong>s-<br />
bild zeigt gleicherweise e<strong>in</strong>e starke Ausfüllung durch die schwarze Flä-<br />
che <strong>de</strong>s Wesentlichen, aber sowohl nach oben wie nach unten streckt<br />
sich - entsprechend <strong>de</strong>m Zeichen - die schwache weiße Fläche. Ge-<br />
heimnisvoll leuchtet das Bild <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er mondhaften Verteilung von<br />
Dunkel und Hell wie das Bild <strong>de</strong>s gereiften Vollen<strong>de</strong>ten.<br />
VII. Schlußbetrachtung<br />
Werfen wir e<strong>in</strong>en Blick zurück auf die mancherlei verschlungenen We-<br />
ge, die wir gegangen s<strong>in</strong>d. Manch helles Licht e<strong>in</strong>er tieferen Erkennt-<br />
nis unseres Lebens leuchtete da plötzlich auf, aber auch manch Ge-<br />
fährliches aus unseren Tiefen sah man wohl nur eben mit Namen an-<br />
ge<strong>de</strong>utet - im Dunkel sich regen.<br />
Sehr vieles wäre hier noch zu sagen. Beschränken wir uns darauf,<br />
dass die Weisheit, die auf solchem Wege gefun<strong>de</strong>n wird, allumfassend
56<br />
Himmel und Er<strong>de</strong> mite<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t und gera<strong>de</strong> dadurch mutig<br />
sich als Besitzer<strong>in</strong> <strong>de</strong>s echten R<strong>in</strong>ges ausweisen will.<br />
Auch auf allerhand Magie o<strong><strong>de</strong>r</strong> allerhand okkulte Ersche<strong>in</strong>ungen ist<br />
hier nicht e<strong>in</strong>gegangen.<br />
Ihre Beherrschung ist noch lange ke<strong>in</strong> Zeichen e<strong>in</strong>er höheren<br />
Reife, wenn auch ungewöhnliche Fähigkeiten, gewissermaßen<br />
als Nebenprodukt, bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Durchmessung <strong>de</strong>s Weges und bei<br />
<strong>de</strong>n <strong>Meditation</strong>en auftreten.<br />
<strong>Die</strong> hohe Weisheit verachtet diese D<strong>in</strong>ge, und man bekommt als<br />
Schüler gerne folgen<strong>de</strong> Anekdote <strong>in</strong> gewissen ch<strong>in</strong>esischen Bün<strong>de</strong>n<br />
erzählt:<br />
E<strong>in</strong> buddhistischer Meister unterrichtete se<strong>in</strong>e Schüler <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
geheimen Lehre. Nun war unter <strong>de</strong>n Schülern e<strong>in</strong> vorwitziger<br />
Novize, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich allerhand magische Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
erworben hatte und nun gerne damit prahlen wollte.<br />
E<strong>in</strong>es Tages also, als <strong><strong>de</strong>r</strong> Meister die Menge <strong><strong>de</strong>r</strong> Schüler vor<br />
sich sitzen hatte und sie <strong>in</strong> die Geheimnisse <strong><strong>de</strong>r</strong> seelischen<br />
Reifung e<strong>in</strong>führte, schnalzte <strong><strong>de</strong>r</strong> junge Novize nur mal eben<br />
magisch mit <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>gern. Der ganze Raum erbebte unter e<strong>in</strong>em<br />
gewaltigen Blitz und Donnerschlag.<br />
Entsetzt fuhren die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Novizen <strong>in</strong> die Höhe.<br />
Der Meister aber fuhr ruhig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrage fort, als ob<br />
überhaupt nichts geschehen wäre, und nach <strong>de</strong>m Unterricht<br />
bestrafte er <strong>de</strong>n vorwitzigen Schüler. Wegen Unfugs.<br />
Es han<strong>de</strong>lt sich eben bei <strong><strong>de</strong>r</strong> hohen Kunst <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Meditation</strong> nicht um Ab-<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>liches, nicht um die Erreichung ungewöhnlicher Seelenlagen -<br />
obwohl das natürlich auch vorkommt -, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um die Gew<strong>in</strong>nung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> "himmlischen Perle", mit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> göttliche Geist <strong><strong>de</strong>r</strong> seraphischen<br />
Drachen spielt.<br />
<strong>Die</strong>s wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um nicht aus freventlicher Neugier, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n als<br />
Mittel <strong><strong>de</strong>r</strong> völligen Verwandlung <strong>de</strong>s Menschen zu e<strong>in</strong>em reife-
57<br />
ren, vertieften Wesen, das <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang mit <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>n von Welt<br />
und Leben ist.<br />
Nun wird zwar angenommen, e<strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> könne <strong>in</strong> dieser genialen Weise<br />
zu <strong>de</strong>nken lernen, aber die Erfahrung zeigt, dass <strong>de</strong>n meisten die E<strong>in</strong>-<br />
stellung fehlt, die sie diesen Weg - <strong>de</strong>n doch ihre eigene Natur sie sel-<br />
ber leise durch die Lebensalter führt - auch wirklich ernst bewusst<br />
e<strong>in</strong>schlagen.<br />
Kehrt nun auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Vollen<strong>de</strong>te - alles zusammengenommen - wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
zu se<strong>in</strong>en Kohlen zurück, so kann man mit <strong>de</strong>n Meistern <strong><strong>de</strong>r</strong> Meditati-<br />
onssekte sagen:<br />
"Es gibt ke<strong>in</strong>en Weg!<br />
Es gibt ke<strong>in</strong> Tor <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis!<br />
Wir lehren euch also <strong>de</strong>n Nicht-Weg und das Nicht-Tor!<br />
Wer es fassen kann, <strong><strong>de</strong>r</strong> fasst es."<br />
Wer es aber fasst, <strong><strong>de</strong>r</strong> kann mit FAUST zum Erdgeiste - nach GOETHES<br />
ursprünglicher Absicht zum Weltengeiste - sagen, da ihm <strong>in</strong> ihm<br />
selbst, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur und <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>geglie<strong><strong>de</strong>r</strong>theit <strong>in</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>en letzten S<strong>in</strong>n zur Eigennatur gewor<strong>de</strong>n ist:<br />
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,<br />
Worum ich bat. Du hast mir nicht umsonst<br />
De<strong>in</strong> Angesicht im Feuer zugewen<strong>de</strong>t.<br />
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,<br />
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht<br />
Kalt staunen<strong>de</strong>n Besuch erlaubst du nur,<br />
Vergönnest mir, <strong>in</strong> ihre tiefe Brust,<br />
Wie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Busen e<strong>in</strong>es Freunds, zu schauen.<br />
Du führst die Reihe <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebendigen<br />
Vor mir vorbei und lehrst mich me<strong>in</strong>e Brü<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Im stillen Busch, <strong>in</strong> Luft und Wasser kennen<br />
...............................................................<br />
Dann führst du mich zur sichren Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und me<strong>in</strong>er eignen Brust<br />
Geheime tiefe Wun<strong><strong>de</strong>r</strong> öffnen sich.<br />
Und steigt vor me<strong>in</strong>em Blick <strong><strong>de</strong>r</strong> re<strong>in</strong>e Mond<br />
Besänftigend herüber, schweben mir<br />
Von Felsenwän<strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>m feuchten Busch<br />
Der Vorwelt silberne Gestalten auf<br />
Und l<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtung strenge Lust.<br />
58