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Klinke 36_Layout 1

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Lene in NotSie ist allein. Allein mit ihrer Angst. Unruhig und nervösin erregter, aufgewühlter Anspannung steht siein der Schlange fremder Menschen. Menschen, diesie noch niemals zuvor in ihrem Leben gesehen hat.Menschen, die sie wahrscheinlich, ja, die sie hoffentlich,nie jemals wiedersehen wird, in diesemdunklen, fremden, stickigen Flur. Ein penetranterGeruch nach Bohnerwachs liegt in der Luft, raubtihr die frische Luft zum Atmen, benebelt ihr dieSinne. Sie wäre jetzt lieber an einem anderen Ort.Sie wünscht sich weg, weit weg von hier, egalwohin, nur nicht hier. Die Schlange steht jetzt schonbis zur Haustür und es ist noch nicht einmal neunUhr. Immer neue Menschen kommen jetzt, schiebenvon hinten nach. Es liegt eine aufgestaute Unruhein der Luft. Man kann die unterdrückten Aggressionenförmlich spüren. Sie würde jetzt am liebsten lautaufschreien. Doch sie darf nicht. Sie muß jetzt Ruhebewahren. Jetzt bloß ruhig bleiben. Ruhig Blut, sagtsich Lene. Sie braucht diese Wohnung. Unbedingt!Eigentlich hatte Lene mit Lisa auf Wohnungssuchegehen wollen. Lisa ist, oder vielleicht sollte manbesser sagen, Lisa war Lenes Betreuerin. Doch Lisaist jetzt im Babyurlaub. Mit Annegret, ihrer neuenBetreuerin, versteht sich Lene nicht so gut. Die willdoch sowieso immer nur reden. Quatschen und Kaffeetrinken. Für praktische Sachen ist die sowiesonicht zu gebrauchen. Einmal sollte sie für Lene beimSozialamt anrufen, weil sie an dem Tag wirklichkeine Zeit hatte. Doch sie hat sich einfach geweigert.Hinterher hat sie dann alles abgestritten.Manchmal glaubt Lene, daß diese Annegret noch lebensuntüchtigerist als viele der psychisch Kranken.Für ihr Privatleben interessiertsich Annegret daschon mehr. Manchmalbohrt sie in ihren intimstenGedanken und Gefühlen.Ob sie schon mal einenFreund hatte, hat sie Leneeinmal gefragt. Das war ihrhöchst unangenehm gewesen.Am liebsten wäresie im Boden versunken.Nein, trauen kann mandieser Frau Annegret wirklichnicht. Ob sie nun willoder nicht, bei der Wohnungssucheist Lene aufsich ganz allein gestellt. Damuß sie jetzt durch,gucken, wie sie das irgendwieschafft. In solchen Augenblickenwünscht siesich die alten Zeiten mitLisa zurück. Oft weiß man ja erst hinterher, was manan einem Menschen hatte, dann wenn diese Personnicht mehr da ist. Bei der Wohnungssuche hätte ihr<strong>Klinke</strong> 30Lisa bestimmt gut helfen können, da ist Lene sichsicher. Überhaupt Wohnungssuche. Diese Wohnungssucheist das letzte, was Lene jetzt noch gebrauchenkonnte. Eigentlich besitzt sie ja eineschöne preiswerte Zwei-Zimmer-Wohnung, Altbau,in guter Innenstadtlage gelegen. Eigentlich! Dennaus ihrer Wohnung muß Lene jetzt raus, sagt dasSozialamt. Weil die Wohnfläche zu groß ist. 52 qmgroß ist ihre Wohnung. 45 qm maximal sind erlaubt.Da läßt die Sachbearbeiterin nicht mit sich reden.Da nützt es auch nichts, daß die Wohnung supergünstig ist, viel günstiger als vom Sozialamt erlaubt.Auch nicht, daß sie persönlich mit Annegret bei FrauSchlenker, so heißt ihre Sachbearbeiterin, vorgesprochenhat. Knallhart und eiskalt war sie dort abgewiesenworden. Interessiert hatte sich FrauSchlenker erst ihre Krankheitsbiographie und diebesonderen Lebensumstände angehört. „Das tutmir alles sehr leid“, hatte sie dann in einem beiläufigenkühlen Ton gesagt. „Doch mir sind da leider dieHände gebunden. Ich kann auch nicht einfach dieGesetze ändern.“ Lene hatte sich selten psychischso nackt und hilflos gefühlt. Annegret hatte dieganze Zeit nur still vor sich hingeschwiegen. Richtigpeinlich war Lene das gewesen.Ach wäre damals doch nur Lisa dabei gewesen. Dashatte sich Lene so sehr gewünscht. Die hätte dieserFrau Schlenker sicherlich richtig die Meinunggegeigt. War die erst mal richtig in Fahrt die Lisa,dann war die nicht mehr so leicht zu bremsen. Lisadas Energiebündel, der Powerzwerg haben alle sienur genannt. Alle hat sie angesteckt mit ihrer Vitalitätund Fröhlichkeit. Auch jetzt muß Lene wieder unwillkürlichan Lisa denken.„Hallo! Junge Dame. Hallo!Hallo! Hören sie mich“, wirdLene urplötzlich aus ihrentiefsten Gedanken gerissen.Der Vermieter spricht siepersönlich an. „Wollen siedie Wohnung jetzt habenoder nicht?“ Lene ist richtigbaff. Der Vermieter scheintsie zu mögen. Das hat sieeben schon beim Betretender Wohnung gemerkt. Wieder sie angeschaut hat.Richtig unangenehm ist ihrdas gewesen. „Ja sicher. Sicherdoch“, sagt sie ganzüberrascht. „Ich muß nurnoch erst mit dem Sozialamtreden. Ich bekommenämlich Sozialhilfe. Ist dasein Problem für sie?“ „Wiebitte. Nee. Das kannst du vergessen. Mädchen.Hätte ich gewußt, daß du Sozialhilfe kriegst, hätteich dich niemals eingeladen. Komm schon, Kleine,

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