Interdisziplinarität: Forschen in den Zwischenräumen
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ständig und bewegen uns nur h<strong>in</strong> und wieder“, so<br />
der Ernährungswissenschaftler. Wir verlangen nach<br />
e<strong>in</strong>em Zusatznutzen von Nahrungsmitteln: Sie sollen<br />
etwa chronischen Krankheiten vorbeugen und als<br />
„Happy Food“, „Comfort Food“ oder „Mood Food“<br />
unser Wohlbef<strong>in</strong><strong>den</strong> steigern.<br />
Nahrungsmittel, die e<strong>in</strong>en solchen Zusatznutzen<br />
aufweisen, wer<strong>den</strong> auch als „functional foods“<br />
bezeichnet. „Beauty to go“-Quellwasser, „Erotik<br />
Senf“, „Anti-Ag<strong>in</strong>g-Bier“ und pulverförmige „Glücksnahrung“<br />
s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige der unzähligen Produkte,<br />
die uns der Markt als solche anbietet. Was hat es<br />
tatsächlich damit auf sich? „Israel Goldberg def<strong>in</strong>iert<br />
functional food <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em gleichnamigen<br />
Buch als jegliches Lebensmittel, das zusätzlich zu<br />
se<strong>in</strong>em Nährwert e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss auf die<br />
Gesundheit, die physische Leistungsfähigkeit oder<br />
die Gemütsverfassung e<strong>in</strong>es Individuums hat. Damit<br />
kann aber praktisch jedes Nahrungsmittel potenziell<br />
e<strong>in</strong> funktionelles se<strong>in</strong> – ob Kaffee, Tomate oder<br />
Schokolade“, sagt Semler. Was aber macht uns nun<br />
schön, klug und sexy?<br />
„Studien haben gezeigt, dass die Hautoberflächenstruktur<br />
stark mit der Konzentration von Carot<strong>in</strong>oi<strong>den</strong><br />
zusammenhängt, die der Haut darüber h<strong>in</strong>aus<br />
<strong>den</strong> gelblichen Te<strong>in</strong>t geben“, so Semler. Diese Carot<strong>in</strong>oid-Konzentration<br />
sei bei Vegetariern im Durchschnitt<br />
deutlich höher. Wer also regelmäßig Obst<br />
und Gemüse verzehre, erzeuge e<strong>in</strong>en effektiven<br />
Eigenschutz der Haut gegen schädliche Umwelte<strong>in</strong>flüsse<br />
und beuge so der Hautalterung vor. „Zudem<br />
wirkt man gesünder und attraktiver auf andere.“<br />
E<strong>in</strong>e Ernährungsweise, die sich zu großen Teilen aus<br />
frischen pflanzlichen Komponenten zusammensetzt,<br />
ist die mediterrane Ernährung. Sie gilt als präventiv<br />
und therapeutisch wirksam. Dabei spielen aber auch<br />
andere Faktoren e<strong>in</strong>e sicherlich nicht unwichtige<br />
Rolle: „Die Lebensmittel wer<strong>den</strong> frisch zubereitet,<br />
wenig verarbeitet und <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft verzehrt,<br />
und die Menschen leben aktiver und stressärmer<br />
mit Zeiten der Muße“, erklärt Semler. „Der soziale<br />
Aspekt spielt dabei e<strong>in</strong>e besonders große Rolle.“<br />
Ob e<strong>in</strong>e solche Ernährung uns auch klüger macht,<br />
lässt sich schwer sagen. Sie vermag aber wohl der<br />
Alzheimer-Demenz vorzubeugen, wie e<strong>in</strong>e Studie<br />
mit über 2200 Proban<strong>den</strong> mitunter hohen Alters<br />
zeigte. „Je mediterraner die Menschen sich<br />
ernährten, desto ger<strong>in</strong>ger fiel ihr Risiko aus, an<br />
Alzheimer-Demenz zu erkranken.“ In positivem<br />
Verdacht stehen diesbezüglich vor allem Omega-<br />
scientia halensis 4/2012 forschen und publizieren<br />
3-Fettsäuren, die <strong>in</strong> Fisch wie etwa Sardellen oder<br />
Lachs, <strong>in</strong> Walnüssen oder Rapsöl vorkommen. „Stu<strong>den</strong>tenfutter“,<br />
Bananenchips und Brokkoli gelten als<br />
„Bra<strong>in</strong> Food“. Während es als gesichert gilt, dass die<br />
Ernährung aufs Gehirn wirkt, s<strong>in</strong>d die genauen Wirkmechanismen<br />
bislang jedoch nicht geklärt.<br />
Bereits Ovid beschreibe e<strong>in</strong>e „Kost zur Aufrechterhaltung<br />
des ehelichen Liebesfeuers“, bestehend<br />
aus Eiern, Zwiebeln, grünem Gemüse, Honig und<br />
P<strong>in</strong>ienkernen, wie Semler weiter berichtet. „Diese<br />
Kost ist zum<strong>in</strong>dest gesund, tatsächlich aber genauso<br />
wenig aphrodisierend wie die <strong>in</strong> der Signaturenlehre<br />
beschriebenen Aphrodisiaka Ananas, Möhre<br />
oder St<strong>in</strong>kmorchel.“ Nachweislich wirke neben dem<br />
sehr giftigen Cantharid<strong>in</strong>, das <strong>in</strong> der pulverisierten<br />
Spanischen Fliege enthalten ist, nur das aus der<br />
R<strong>in</strong>de des Yohimbebaums gewonnene Alkaloid Yohimb<strong>in</strong><br />
anregend. Doch auch ohne entsprechende<br />
Inhaltsstoffe könnten diese Pflanzen aphrodisierend<br />
wirken – der psychische Effekt sei nicht zu unterschätzen.<br />
„Ist die Grundstimmung positiv, wer<strong>den</strong><br />
mehr stimmungsbee<strong>in</strong>flussende Hormone wie Endorph<strong>in</strong>,<br />
Noradrenal<strong>in</strong>, Seroton<strong>in</strong> oder Dopam<strong>in</strong><br />
ausgeschüttet.“<br />
Diverse Lebensumstände und Inhaltsstoffe der<br />
Nahrung wirken also zusammen. Wir wer<strong>den</strong> nicht<br />
schöner, <strong>in</strong>dem wir uns hauptsächlich von Möhren<br />
oder Tomaten ernähren, nicht klüger durch eifriges<br />
Nüsseknabbern, wenn wir dabei andere Nährstoffe<br />
ermangeln. „Entschei<strong>den</strong>d ist die Ernährung als Ganzes,<br />
das Ernährungsmuster“, so Semler. Er hält sich<br />
an Regeln wie „Essen Sie nichts, was ihre Urgroßmutter<br />
nicht als Nahrungsmittel erkennen würde“<br />
oder Konfuzius' „Hara hachi bu“ (grob: „zu 80 Prozent<br />
satt essen“), mit dem die Bewohner Ok<strong>in</strong>awas<br />
ihrer Heimat <strong>den</strong> Titel „Insel der Hundertjährigen“<br />
e<strong>in</strong>handelten bzw. „e<strong>in</strong>-aßen“. Der Ernährungswissenschaftler<br />
bilanziert: „Wer hauptsächlich frische<br />
und frisch zubereitete Nahrungsmittel verzehrt,<br />
sich regelmäßig bewegt, auf Nachschlag verzichtet,<br />
normalgewichtig bleibt und h<strong>in</strong> und wieder fastet,<br />
hat gute Chancen, lange gesund zu leben.“ Und damit<br />
fit, vital und vielleicht auch glücklich. Melanie<br />
Zimmermann<br />
Kontakt: Dr. Edmund Semler<br />
Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften<br />
Tel.: 0345 55 22702<br />
E-Mail: edmund.semler@landw.uni-halle.de<br />
Dr. Edmund Semler<br />
(Foto: privat)<br />
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