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SFT 10/84 - Science Fiction Times

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<strong>Science</strong><strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> <strong>10</strong>/19<strong>84</strong>13Neue Wege- aber keine AvantgardeDie Autoren der hardcore-sf legten beiihren Büchern ihr Augenmerk bisher aufdie Technik und die "harten" Wissenschaften,wie Physik, Chemie, Geo- oderKosmologie, mit deren Hilfe ihr Helddie Menschheit vor einer Katastropherettete oder einem geheimnisvollenArtefakt sein Rätsel entlockte. DieCharaktere blieben dabei unterentwikkelt,der Stil holprig. Gregory Benfordhilft diesem Subgenre jetzt auf dieSprünge. In seinem Roman ZEIT­SCHAFT vollzieht er, was schon längstgang und gäbe sein sollte, er widmet seinenCharakteren ebensoviel Platz wieder wissenschaftlichen Idee.Die Handlung des vielfach ausgezeichnetenRomans (Nebula-, John W.Campbell Memorial-, Ditmar Award) istschnell erzählt. Im Jahre 1998 herrschenkatastrophale ökologische Verhältnisse:Hungersnöte in Afrika, Energierationierungund horrende Fleischpreise in denIndustrieländern und eine giftige, durchein Düngemittel ausgelöste Kieselalgenblüteim Südatlantik, die mit exponentiellemWachstum die Ozeane zu überwucherndroht. Eines der Projekte zurWiederherstellung der Umwelt ist, miteinem Tachyonenstrahl eine Botschaftin die Vergangenheit zu senden und sievor den Gefahren eines bestimmtenDüngemittels zu warnen.Zwei SpannungselementeAllein wenn man diese simple Handlungmit den stattlichen 430 Seiten des Buchesvergleictrt, ahnt man, wieviel RaumBenford auf die Charakterisierung seinerPersonen verwendet hat. Und tatsächlich,dieses Buch lebt davon, daß seineCharaktere leben. Benford schildert sowohldas everyday-life der Protagonisten,ihre Probleme mit den (Ehe-)Frauen, mit ihren Eltern und Kindern,Probleme, die jeder einmal hatte, nochhat oder erst haben wird, als auch - undhier hat der Durchschnittsmensch wenigerEinblick - ihre Arbeit als Wissenschaftler.Da ist z. B. John Renfrew, einbiederer, fast uninteressanter Typ, aberLeiter des Tachyonenexperiments, dereinen listigen und nicht ganz uneigennützigenCasanova von der Wichtigkeitdes Projekts überzeugen muß, damit dieserbeim Rat etwas von den ohnehinknappen Geldmitteln locker macht,oder Gordon Bernstein, der Physikeran der University of California, der mitjedermann Schwierigkeiten bekommt,mit seinem blasierten Vorgesetzten, weilGregory BenfordZEITSCHAFT(<strong>Times</strong>cape)Rastatt 19<strong>84</strong>, Moewig 3652, 432 S.,DM 9 ,80Deutsch von Bemd Holzrichterer Botschaften aus der Zukunft empfangt,mit seiner Freundin, weil er zuvielZeit bei seiner Arbeit verbringt, mitseiner jüdischen Mutter, weil er mit einemnicht-jüdischen Mädchen zusammenlebt,noch dazu ohne Trauschein.Benfords Verdienst ist , daß er das Klischeedes mad scientist oder das verklärteBild des Wissenschaftler-Techniker­Krieger-in-einem-Helden beiseite fegt zugunsteneiner vorurteilsfreien und :mthentischenSicht. (Benford ist o:dentlicherProfessor an der University o1 Californiaund müßte daher eigentlich wissen,wovon er schreibt.)Aber ZEITSCHAFT kann nicht nurmit hervorragenden Charakteren aufwarten,sondern auch, wie es sich ftir einenhardscience-Roman gehört, mit einemausgefeilten physikalischen Problem, daseiniges zur Faszinationskraft des Buchesbeiträgt. Hier ist es wieder einmal dasPhänomen der Zeit. Ein Tachyon (zugrch. tachys "schnell") ist ein hypothetischesTeilchen, das sich nur schnellerals das Licht, und, um mit der Relativitätstheoriein Einklang zu bleiben, rückwärtsdurch die Zeit bewegt. Dies machtTachyonen zu einem Vehikel ftir eineZeitreise, bei der zwar keine Materie,wohl aber Informationen transportiertwerden können. Benford geht ausfuhrliehauf den physikalischen Hintergrundein - ohne daß die Zeit flir den Leserdadurch weniger rätselhaft wird -, wobeier Fakt (das Wheeler-FeynmannscheModell von zugleich in Zukunft undVergangenheit gerichteten elektromagnetischenWellen; die Theorie vonzwei entgegengesetzten Zeitsträngen)und Fiktion (Aufspürung der Tachyonendurch Nuklearresonanz) zu einemftir einen Laien wie den Rezensenten untrennbarenGanzen verquickt. Die Technik,Wahres oder Mögliches mit Erlogenemzu mischen, wendet Benford auchan anderen Stellen dieses Buches an. Esist durchsetzt von vertrauten Szenen ausdem Alltag, die sich hier und heute genausogutabspielen (könnten), was denRoman sehr glaubwürdig erscheinenläßt. Auch die ziemlich eindrucksvollenEpisoden, die in den Jahren 1962/63spielen, wohin (wannhin?) die Botschaftgesandt wird, streifen Ereignisse, diedem Leser bekannt sind, den Vietnamkriegoder die Ermordung Kennedy'szum Beispiel. Benford zeichnet hier einsubtiles Portrait dieser Jahre: die raschexpandierende Wirtschaft, die aufblühendenWissenschaften mit dem Mondprogrammals Zugpferd und das ersteAufkeimen der 68er-Bewegung.MainstreamZEITSCHAFT ist einer der besten SF­Romane der letzten Jahre, besonders,weil er so wirklichkeitsnah wirkt, daßman ihm über lange Passagen gar nichtoder nur kaum anmerkt, daß er überhauptzur SF, noch dazu zur harten SFmit ihren Hau-Ruck-Methoden gehört.Was dem Buch noch fehlt, ist eine ansprechendeAusgabe außerhalb der gettoisiertenSF-Taschenbuchverlage. Damithätte es aufgrund seiner Nähe zumMainstream erstens gute Chancen zumBestseller zu werden und könnte zweitensder SF ein paar neue Leser gewinnen.Rainer Kuchler

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