6<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> Tim es J 0 19<strong>84</strong>Horror-Film verkörpert er die dritteSpielart des phantastischen Kinos, wobeidie ohnehin nur schwer zu fassendenAbgrenzungen zunehmend verschwinden,da jedes Subgenre Elemente desanderen in sich aufnimmt. So lassen sichbeispielsweise in der STAR WARS-Trilogiefür die Fantasy typische märchenhaft-romantischeElemente nachweisen(Prinzessin, Ritter, (Laser-)Schwertetc.), während KRULL SF-Motive enthält(die aus dem Weltall kommende'schwarze Festung', Laserwaffen) undCONAN einen gewissen Horroreinschlagnicht verleugnen kann (Halbwesen Priester/Schlange).Die eigentlichen Themen des Fantasy-Films,sofern diese überhaupt existieren,sind nicht originär, sondern entstammender reichhaltigen filmgeschichtlichenSchatzkiste, aus der im phantastischenFilm selbst noch die gegensätzlichstenVersatzstücke Verwendung fanden.Dieses Phänomen dürfte mitentscheidendsein für das innovative Potential,welches dem oft totgeglaubtenphantastischen Film zumindest theoretischneue Perspektiven eröffnen kann.Daß dennoch häufig nur "futuristischesDekor mit alten Themen (gefüllt) oderalte Hüte auf utopisch (getrimmt)" 2werden, mag in der Phantasielosigkeitder Filmemacher oder in den genormtenPublikumserwartungen begründetliegen.Die Erschaffung imaginärer Weltenist so alt wie das Kino selbst. Bereitsder französische Filmpionier GeorgesM~lie s (1861 · 1938) ließ in seinen im. eigenen Filmstudio gedrehten Filmendie Akteure in phantastische Weltenaufbrechen, welche die Zuschauer niezuvor gesehen hatten. In LE VOY AGEDANS LA LUNE (J 902) fUhrt die Reisezum Mond, während die Mitglieder der'Gesellschaft für inkohärente Geographie'in LE VOY AGE A TRAVERSL'IMPOSSIBLE (1904) mit einem Zugu. a. den Weg zur Sonne sowie den Meeresgrunderkunden. In LES QUATRECENTS FARCES DU DIABLE (1906)läßt ein vom Teufel verführter Wissenschaftlerseine Kutsche von einem mechanischenPferd durchs All ziehen.Eines der ersten Ungeheuer des nochjungen phantastischen Films kreierteM~li~ s 1912 in dem Film A LA CONQUETE DU POLE, der immerhin bereitseine Länge von rund 40 Minutenaufwies. Eine Forschungsexpedition begibtsich darin mit einem vogelähnlichenFlugfahrzeug zum Nordpol, wo einunvermutet auftauchender Schneeriesemit einer Kanone bekämpft werdenmuß.Wichtig bei all diesen Filmen ist dasReisemotiv. Die Helden sind unterwegs;nur durch die Reise wird die Geschichteüberhaupt möglich und erlebbar.Sie bleiben in Bewegung, weil sieauf der Suche nach einer Prinzessin,einem Schatz, einer Wunderwaffe , einerlangersehnten Rache - oder einfacher:ihrer Erfüllung, ihrem Schicksal sind.Während den Fantasy-Filmern heuteeine ausgefeilte Tricktechnik zur VerfUgungsteht, ließ M~li~s seine naive Fabulierfreudemittels einfachster Methodenauf der Leinwand Gestalt annehmen.Der ehemalige Zauberer und lllusionistverwandte sämtliche Möglichkeitender Theatermechanik und bediente sichphotographischer Tricks wie Doppelbelichtung,Einzelbildaufnalune oder'Kasch', deren Entdeckung er, wennman der Historie glauben darf, flir sichverbuchen kann. Das Ungeheuer in ALA CONQUETE DU POLE ließ M~li~sgar in Originalgröße aus Holz im Studioerrichten und mittels Scharnieren undSeilen bewegen.M~li ~s verkaufte seine Filme (was damalsnoch ein übliches Verfahren war,nach Gründung der ersten Verleihfirmenaber mit zu seinem Bankrott beitrug)überwiegend an Wanderbühnenund Jahrmärkte, die zur Entstehungszeitdes Mediums Film bekanntermaßeneine wichtige Rolle spielten.Au f diese Vergangenheit zurückweisendeSpuren lassen sich auch heutenoch im Fantasy-Film aufspuren 3 : DieMuskelmänner, die ihre Bizeps flir daszahlende Publikum spielen lassen, diedem Voyeurismus preisgegebenen biologischenKuriositäten, die ausgestelltenwilden Tiere oder ganz einfach die groteskenVerkleidungen.Der Fantasy-Film bezieht seineGrundstrukturen, seine Themen undTypen aus zahlreichen Filmsparten, welcheer zu einer eigen- und einzigartigenSynthese zusammenfUhrt.Bei den nachfolgend aufgeführtenFilmen kann in der Regel (mit Ausnahmen)nicht von lupenreinen FantasyProduktionen gesprochen werden, obwohldie verschiedensten Elemente sicherlichenthalten sind. Die "Fantasyals Genre ist ein Kind der 60er und frühen70er Jahre" 4 und ist erst ab den70er Jahren als "kommerzielle Kategoriegreifbar" 5 .Die Filmbeispiele auf den nächstenSeiten sollen vielmehr dokumentieren,aus welchen Bereichen die Fantasy-Filmeder letzten Jahre (die in der nächstenFolge zu behandeln sein werden)ihre Inspirationen bezogen haben undauf welchen enormen filmgeschichtlichenFundus sie zurückgreifen konnten.Der Schneeriese aus "A Ia Conquete du Pöle" (I 912) im Studio.MärchenfilmMärchenfilme thematisieren keine technologischenErrungenschaften, bei ihnensteht statt dessen eine Fabulierfreude
<strong>Science</strong><strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> <strong>10</strong>/19<strong>84</strong>7im Vordergrund, bei der frei von ernstgemeinterDarstellung einer bekanntenRealität mit den Möglichkeiten desFilms spielerisch umgegangen werdenkann. 6Prinzipiell ist alles möglich undnichts unwahrscheinlich: Zauberer beherrschendie Naturgewalten, Hexen reitenauf ihren Besen durch die Lüfte,einzige Grundvoraussetzung: der Siegdes Guten. Denn Märchenfilme (oftmalsmit kindlichen Protagonisten oderan ein junges Publikum gerichtet) zeichnensich neben Vergröberung bzw. Verniedlichunggesellschaftlicher Zuständeauch durch eine schulmeisterliche Moralisierungaus.Für Deutschland ist als MärchenfilmMONCHHAUSEN erwähnenswert, einPrestigeobjekt der Nazis, das 1942 flir6,6 Millionen Reichsmark unter der Regievon Josef von Baky in den UFAFilmstudios Babelsberg abgedreht wurde.Die Hauptrolle des legendären Lügenbaronsin diesem farbigen 7 Leinwandopus,zu dem der verbotene AutorErich Kästner unter dem PseudonymBerthold Bürger das Drehbuch schreibendurfte, verkörpert Hans Albers. MÜNCHHAUSEN orientiert sich, vor allem beiden Szenen im Orient, an ausländischenVorbildern. Pate dürfte der 1939/40vom englischen Filmmogul AlexanderKorda produzierte Farbfilm THETHIEF OF BAGDAD (Der Dieb vonBagdad) gestanden haben, die Neufassungeines bereits 1924 mit DouglasFairbanks in der Hauptrolle verfilmtenStoffes. In dieser Geschichte aus <strong>10</strong>01Nacht gibt es fliegende Teppiche undSpielzeugpferde, riesenhafte Dschinnis,geheimnisvolle Tempel, sechsarmigeDerwische und vieles mehr - ein Arsenal,das mehr oder weniger abgewandeltauch heute noch in Fantasy-Filmen Verwendungfindet. Die Szene aus KRULL(Krull, England 1982/83), in der ein Ak·teur ein gigantisches Spinnennetz aufdem Weg zum Ziel überwinden muß,gibt es z. B. bereits im THIEF OF BAGDAD rund 40 Jahre zuvor. Wichtig flirden Film ist die märchenhafte = orientalischeAtmosphäre, wobei der Orientnicht als geographisch exakt zu definierendesGebiet, sondern als <strong>10</strong>01-NachtWunderland verstanden werden muß.Nachdem sämtliche weiße Fleckenauf der Weltkarte beseitigt waren,mußte die Sehnsucht der Zuschauernach anderen Lebensformen und Plätzen,in die sie ihre Wünsche projizierenkonnten (zugleich eine Flucht ausder eigenen Realität), in Kunstweltenverlegt werden, woflir die Fantasy prädestiniertist. Deren Ursprünge siehtHelmut W. Pesch dementsprechend auchim "phantastischen Abenteuerroman, indem sich Elemente der Reiseliteratur,des Okkulten und des Exotismus mischen"8.So existieren als Subgenre im phantastischenFilm die sogenannten Expeditionsfilme,in denen weiße zivilisierteMänner in unerforschte (und natürlichauch völlig frei erfundene) phanta·stische Welten eindringen, die nicht seltenihre Gemütsverfassung oder ihr eigenesUnterbewußtsein widerspiegeln. DieReisen fiihren zu geheimnisvollen Inseln,tiefen Dschungeln, unentdeckten Hochplateausuhd sogar unter die Erde. 9Die SF verlegte die neue 'frontier'einfach, ins Weltall. Nachdem aber "diereale Raumfahrt zwar die Erflillung,zugleich aber auch die Zerstörung eineselementaren utopischen Mythos geschaffenhatte" <strong>10</strong> , war eine Neuorientierungvonnöten, von der die Fantasy profitierte.Ihre imaginären Fabelwelten sind jedwedenaktuellen Bezuges enthoben undzeitlich nicht genau zu fassen. Angesiedeltsind sie vor 12.000 Jahren oder vordem Untergang von Atlantis oder auchnur in einer obskuren 'vorchristlichenÄra', in jedem Falle aber in einer prä·(unter Umständen auch post-) technischenZeit. Die Wissenschaft spielt inder Fantasy keine Rolle und ist höchstensin Form von Alchimie vertreten.Aus "Star Wars Ill".Der Thematik des Kampfes zwischen'weißer' und 'schwarzer' <strong>Science</strong> in derSF entsprechen in der Fantasy die Auseinandersetzungenvon guten und bösenZauberern. Erst in neueren Filmen (z.B. KRULL) werden vereinzelt technischeElemente integriert.Als zwei weitere gelungene Märchenfilmemit Fantasybezug seien noch erwähnt:In LOST HORIZON (ln denFesseln von Shangri-La, USA 1937)wird eine unbekannte, in völliger Har·monie zusammenlebende Kultur im asia·tischen Hochgebirge entdeckt (ein Remakedes Stoffes erfolgte 1972).THE WIZARD OF OZ (Das zauberhafteLand, USA 1939), ein auch heutenoch häufig zitierter Film, schildert, wiedas Mädchen Dorothy gemeinsam miteiner Vogelscheuche, einem Löwen undeinem Blechmann eine böse Hexe bezwingt.Der 'sense of wonder' sowie die Liebezum phantasievollen Detail, welchesich in diesem Film wiederfinden, wärevielen Produktionen der neueren Zeit zuwünschen.Antik-, Sagen- und RitterfilmeEine exakte Trennung zwischen diesenFilmsparten bzw. herausgebildeten Subgenresanhand von Erzählstrukturenoder Themenvorstellungen läßt sichnicht vornehmen. Sagen, Märchen, My·then und Legenden vermischen sich mittatsächlicher Historie, wobei die Filmemachernicht gerade kleinlich sämtlicheZu taten mit einem gehörigen SchußPhantasie versehen in ein kinogerechtesSpektakel münden lassen. Der FantasyFilm darf als legitimer Nachfolger dieserSparten gelten, wobei seine Produktionendie aller anderen an Abenteuerlichkeitund Geschichtsklitterung oftmalssogar noch überragen. So ist die'Sword & Sorcery' (Schwert und Magie),eine Spielart der Fantasy, auch als Analogiebildungzu 'Cloak & Dagger' (Mantelund Degen) zu verstehen 11 , womitbestimmte Ritter- und Kostümfllme bezeichnetwerden.Die barbarischen Muskelprotze, diein der S & S-Fantasy schwertschwingendund frauenschändend durch die archaischenLande ziehen (Conan & Epigonen)haben ihre direkten Vorläufer inden Antik- (respektloser: Sandalen-)Filmen, die vor allem in den 50er und60er Jahren in der römischen FilmstadtCinecitta im Dutzend billiger auf denMarkt geworfen wurden. Bereits in derStummfllmzeit hatte der italienische