GL 5/2008 - der Lorber-Gesellschaft eV

38 Die Bekehrungsgeschichte des Johannes Tauler GL 5/2008Kreuz abzuschütteln. Das sollen Sie aber nicht tun, sondern willig,demütig und gehorsam leiden, was Ihnen immer begegnet. Sie müssen dasKreuz auf sich nehmen, dem Herrn Jesus Christus nachfolgen und SeinemBild in Demut und Geduld wahrhaftig ähnlich werden. Die stolzeVernunft, die sich auf ihre papierene Gelehrsamkeit so viel einbildet, musssich beugen und gefangen geben. Sie sollen jetzt weder studieren nochpredigen noch Beichte hören. Sagen Sie Ihren Beichtkindern: Ich will mirselbst zuerst raten lernen; und wenn ich dieses kann, will ich auch euchwieder Rat erteilen.“„Was soll ich aber dann anfangen?“ fragte der Doktor.„Gehen Sie in Ihre Zelle (halten Sie Ihre klösterliche Ordnung), und dieZeit, die Ihnen davon übrig bleibt, wenden Sie an zur Betrachtung desLeidens Jesu Christi. Und dann, wenn die Stunde des Herrn schlägt, sowird Er aus Ihnen einen neuen Menschen machen, und Sie werden ausGott - von neuem geboren werden. Darum verkaufen Sie nun, was Siehaben, d. h., verleugnen Sie alles, womit Sie den Stolz Ihrer Vernunft unddie Eitelkeit Ihres Sinnes genährt haben und worin Sie Ihre Ehre und Lustgesucht und gefunden haben. Opfern Sie es in Demut dem Herrn, undsetzen Sie sich mit Maria zu den Füßen Jesu, um mit allem Ernst die Sacheanzugreifen. - Es dürfte Ihnen Gott wohl den Kelch Seines Sohnes zutrinken geben und es fügen, dass Sie von den Ihrigen verachtet, verlassenund für einen Narren gehalten würden. - Dabei wird Ihnen nichtszuträglicher sein als eine grundlose, große, demütige Gelassenheit in allenDingen, indem Sie sich Gott selbst mit innigster Ergebung opfern, was Erimmer über Sie kommen lässt.“Der Doktor wird nach schweren Leidenvon Gott erleuchtet und besuchtEhe ein Jahr verfloss, wurde der Doktor in seinem Kloster verachtet.Alle seine Freunde und Beichtkinder taten so fremd, als wenn sie ihn niegekannt hätten. Das ging ihm so nahe, dass er fast krank darüber wurde. Erließ den Mann rufen und klagte ihm seine Not. Dieser tröstete ihn, dass esnun recht gut mit ihm stehe, er solle mit aller Zuversicht auf Gottvertrauen, seinen Weg fröhlich wandeln, denn sein Heil sei ihm jetzt nahe.Nachdem er zwei Jahre viele innere Anfechtungen, große Verachtungvon seinen Freunden und eine schwere Krankheit mit herzlicher Demutausgehalten hatte und dabei so arm geworden war, dass er seine Bücherversetzen musste, kam endlich seine Erlösung. Von allem Trost verlassen,in der äußersten Schwachheit des Körpers, in der heißesten Angst seiner