36zett 3–10 / kunst & medieninterviewمقابلةDie <strong>ZHdK</strong>-Studentin Asia Andrzejka Amorinlebte im <strong>So</strong>mmer 2010 als Artist in Residence imHotel Atl<strong>an</strong>tis, dem Durchg<strong>an</strong>gszentrum fürAsylsuchende <strong>der</strong> Stadt Zürich. Die meisten <strong>der</strong>dort untergebrachten Personen wartetenauf <strong>das</strong> Resultat ihres Asyl<strong>an</strong>trags. Grundlage füreinen Entscheid im Asylverfahren bilden in<strong>der</strong> Regel zwei sorgfältig geprüfte Interviews.Ali Osm<strong>an</strong>, Journalist aus Eritrea und selbstBewohner des Zentrums, hat Asia AndrzejkaAmorin* zu ihrem Aufenthalt befragt.عليالصح عثماناللجؤ مركز فيبالعربي ترجمةالفتره كم س:أش أربعة ج :Ali Osm<strong>an</strong> im Gespräch mit Asia Andrzejka Amorin.
kunst & medien / zett 3–1037krieg verbracht. In <strong>der</strong> Schweiz besuchte er mit 29 Jahren zumersten Mal eine (Deutsch-)Schule.Was sagten Ihre Mitstudierenden dazu, als sie erfuhren, <strong>das</strong>sSie in einem Durchg<strong>an</strong>gszentrum für Asylbewerber wohnen?M<strong>an</strong>che waren besorgt und konnten meine Beweggründenicht nachvollziehen. Sie fragten, ob ich keine Angst hätte, undwarnten mich vor kriminellen Asylsuchenden. Doch überallgibt es gute und schlechte Leute. Asylsuchende sind gewöhnlicheMenschen – mit m<strong>an</strong>chmal entsetzlichen Erfahrungen.Hotel Atl<strong>an</strong>tis, Spielende Asylbewerber.Ali Osm<strong>an</strong>: Asia Amorin, Wie l<strong>an</strong>ge wohnten Sie im Durchg<strong>an</strong>gszentrumfür Asylbewerber »Atl<strong>an</strong>tis«?Asia Amorin: Vier Monate.Warum haben Sie <strong>das</strong> Zentrum als Wohnort ausgewählt?Anf<strong>an</strong>gs stellte ich bei <strong>der</strong> Asyl Org<strong>an</strong>isation Zürich (AOZ) einGesuch, mit AsylbewerberInnen zusammen zu wohnen. Icherwartete, <strong>das</strong>s mein Gesuch abgelehnt würde, da ich aus <strong>der</strong>Schweiz komme. Unter <strong>der</strong> Bedingung, <strong>das</strong>s ich mindestenself Wochen bleibe, durfte ich aussuchen, in welchem Zentrumich wohnen wollte. <strong>So</strong> entschied ich mich für <strong>das</strong> ehemaligeHotel Atl<strong>an</strong>tis, in dem vorübergehend bis zu 300 Personenuntergebracht waren.Wie haben Sie sich in den ersten Tagen gefühlt? Hatten Sienicht Angst?Angst hatte ich keineswegs. Ich lernte unterschiedliche undviele nette Leute kennen. Meist wurde ich herzlich empf<strong>an</strong>gen,gegrüsst und oft zum Tee o<strong>der</strong> zum Essen auf ihr Zimmereingeladen.<strong>So</strong> erfuhr ich d<strong>an</strong>n auch vom Leid, den Schwierigkeiten undProblemen <strong>der</strong> Asylsuchenden. Von <strong>der</strong> Situation in ihrer Heimat,unterwegs und in <strong>der</strong> Schweiz. Ich habe von so vielentraurigen Geschichten und Toten gehört, <strong>das</strong>s ich in den erstendrei Wochen kaum essen konnte.Jem<strong>an</strong>d erzählte, wie eine Bombe seine schlafende Familiemitgerissen hat. Ein <strong>an</strong><strong>der</strong>er trauerte um vier Freunde, mitdenen er aufgewachsen und später geflüchtet war. Vom Sud<strong>an</strong>nach Libyen führt ein Fluchtweg über die Sahara, wo einEritreer auf 168 verdurstete L<strong>an</strong>dsleute traf. Ihnen war <strong>das</strong>Wasser und dem Fahrzeug <strong>das</strong> Benzin ausgeg<strong>an</strong>gen.Mich berührte <strong>der</strong> Schmerz, mit <strong>der</strong> eine Person schil<strong>der</strong>te,wie ihre Schwester und <strong>der</strong>en Kind im Meer ertr<strong>an</strong>ken, alssie mit einem kleinen Schlepperboot unterwegs waren, <strong>das</strong>sie nach Italien hätte bringen sollen.Eine Person aus Eritrea berichtete mir von ihrem Verw<strong>an</strong>dten,<strong>der</strong> mit 24 Jahren zum Militär musste. Ein Einzelkind, dessenVater bereits 1989 im Krieg gegen Äthiopien gefallen war. Erselbst verlor beide Beine, als von 1998 bis 2000 zwischen diesenStaaten erneut Krieg herrschte. Im Militärspital weinte erfast ununterbrochen. Drei Wochen l<strong>an</strong>g konnte er verhin<strong>der</strong>n,<strong>das</strong>s seine Mutter informiert wurde.Der einzige Überlebende eines Massakers in Westafrika, beidem die g<strong>an</strong>ze Familie nie<strong>der</strong>gemetzelt und die umliegendenDörfer zerstört wurden, hatte sein g<strong>an</strong>zes Leben im Bürger-Haben Sie während Ihres Aufenthalts im Durchg<strong>an</strong>gszentrumFreundschaften geschlossen?Ja, da viele verschiedene Personen aus Eritrea, <strong>So</strong>malia, Kolumbien,dem Irak, Tunesien, Sri L<strong>an</strong>ka, Angola, Westafrikastammten, freundete ich mich nicht nur mit ihnen, son<strong>der</strong>nauch mit ihren Gepflogenheiten, Gewohnheiten und Traditionen<strong>an</strong>. Das Zentrum ist inzwischen geschlossen, doch wirtauschen uns nach wie vor rege aus.Erlebten Sie lustige Situationen mit den Asylsuchenden?Zahlreiche!Jem<strong>an</strong>d aus Eritrea wollte beispielsweise Pouletfleisch kaufen,doch f<strong>an</strong>d er dieses we<strong>der</strong> im Laden noch erinnerte er sich <strong>an</strong><strong>das</strong> deutsche Wort dafür. Mit einer Eierschachtel in <strong>der</strong> H<strong>an</strong>dging er zur Kasse und fragte: »Wo ist die Mutter?«Unter <strong>So</strong>maliern kursierte eine Zeit l<strong>an</strong>g <strong>das</strong> Gerücht, <strong>das</strong>sich mich im Atl<strong>an</strong>tis vor <strong>der</strong> Polizei verstecke. An<strong>der</strong>e hieltenmich für ein Mitglied des Geheimdiensts und meine Diplomausstellungfür eine »nette Inszenierung«.Was würden Sie nach Ihrem Aufenthalt im Asylzentrum <strong>der</strong>Schweizer Bevölkerung gerne mitteilen?Während <strong>der</strong> vier Monate habe ich vieles verstehen gelernt.Tatsache ist, <strong>das</strong>s die meisten Personen es gar nicht bis hierherschaffen. Sie sterben unterwegs o<strong>der</strong> bevor sie sich überhauptauf den Weg machen können. Wer <strong>das</strong> Risiko auf sich genommenhat, nach Europa zu gel<strong>an</strong>gen, nimmt unfreiwillig <strong>das</strong>nicht min<strong>der</strong>e Risiko auf sich, <strong>das</strong>s sein Asyl<strong>an</strong>trag abgelehnt<strong>wird</strong>. Legale Auswege sind rar.Bei wem möchten Sie sich am Ende unseres Gesprächsbed<strong>an</strong>ken?Ich möchte mich bei <strong>der</strong> Asyl-Org<strong>an</strong>isation Zürich bed<strong>an</strong>ken,bei Freunden, Professoren und bei den Asylsuchenden, mitdenen ich eine sehr intensive Zeit verbracht habe. G<strong>an</strong>z beson<strong>der</strong>sd<strong>an</strong>ke ich denjenigen, die mir in schwierigen Situationeno<strong>der</strong> beim Arabisch lernen beist<strong>an</strong>den.Weitere Informationen sowie Bil<strong>der</strong> zum Aufenthalt unter: www.amorin.ch* Asia Andrzejka Amorin, Studium des Master of Arts in Fine Arts im DepartementKunst & Medien (asia@amorin.ch).Das Interview wurde in Sud<strong>an</strong>esisch-Arabisch geführt, von Ali Osm<strong>an</strong> schriftlichin Hocharabisch verfasst und von Haysam Serrieh ins Deutsche übersetzt.