schwerpunkt „ZU VIEL"Sich schön machen zwischen Für und WiderFortsetzung<strong>SMZ</strong> INFO dezember 2010wollen. Gesetzliche Regulierungen zu ästhetisierendenProdukten und Dienstleistungensowie zur medialen Inszenierungdes Körpers können hingegen weiterhin alszaghaft eingestuft werden.Was also tun, wie umgehen mit Schönheitsstandards?Wilhelm Trapp hat einen interessantenVorschlag. Es lohnt sich, sagt er,die Wertung vom „normalen“ Konsum derSchönheitstechnologien und dem „pathologischen“Schönheitswahn einmal umzukehren.Das Überzeichnende – die Frau etwa,die sich zur Barbiepuppe umoperieren lässt– als das „Normale“ und die sich nicht Verschönerndenals das „Pathologische“ zu betrachten.Erst diese Perspektive der allgemeinenLeitbilder, so Trapp, „macht derenmonströse Dimension sichtbar“.Lassen Sie uns diese Utopie weiterdenken:Wie stark würde bei einer Pathologisierungnicht geschönter Körper der Druckauf Politik und Krankenkassen anwachsen,Schönheitsmedizin auf Krankenschein zuermöglichen? Wie ähnlich würden sich unsereKörper werden, wenn finanzielle Hürdenfielen? Würde die soziale Ungleichheitverringert? Würden Menschen mit nichtgeschönten, also pathologisierten Körpernkeine Arbeit mehr bekommen und keinePartner mehr finden? Wie sehr würde sichder Nutzen eines schönen oder geschöntenKörpers potenzieren? Oder würde sich derNutzen durch Verschönerungen verringern,weil Schönheit plötzlich wirklich Massenwarewäre?Würden Kinder nur mehr möglichst frühmit Kaiserschnitt auf die Welt geholt, umdas Ausdehnen der Bauchhaut zu verringern?Wäre es, wenn der unbehandelte,nicht geschönte Körper normaler wäre alsder behandelte, sinnvoller, in die Attraktivierungdes Äußeren zu investieren als etwa inBildung? Wäre es dann das Beste, seinenKindern nahezulegen, Schönheitschirurgin,Kosmetikerin oder Wellness-Berater zuwerden statt Juristin, Soziologe oder Tischlerin?Wären noch ähnliche Kriterien wiejetzt „ideal schön“, oder würden sich dieseKriterien ändern, weil zu viele Menschen„ideal schön“ wären? Würde irgendwanndie Suche nach natürlichen, nicht geschöntenMenschen beginnen? Würden Einzelneanfangen, Muster zu durchbrechen und sichNasen nicht verkleinern, sondern vergrößernlassen? Würden wir in größerer Angstleben als jetzt?Soziale Konstruktionen wie das Schönheitsidealhaben Einfluss auf unser Leben.Schönheit scheint heute als selbstverständlichgegebene soziale wie individuelle Wohlfühl-und Erfolgs-Praxis, die kaum mehr inFrage gestellt wird. Genauso wenig jedoch,wie wir uns „nur für uns selbst“ schön machen,ist jedes Schönheitshandeln pathologischund Ausdruck mangelnden Selbstbewusstseins.Es gibt einen Zwischenbereich,in dem wohl die Grenzen individuell wiestrukturell immer wieder aufs Neue ausgelotetwerden müssen.Waltraud Posch,Autorin von „Projekt Körper – Wie derKult um die Schönheit unser Lebenprägt“ (Campus 2009), studierte Soziologie,Pädagogik und Medienkunde.Sie lebt und arbeitet in Graz.18
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