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10 SPECIAL<br />
100 Jahre Chormusikkultur „von unten“<br />
Festakt zum 100. Gründungsjahr des Deutschen Arbeitersängerbundes<br />
Die meisten Leserinnen und Leser<br />
werden sich erinnern, dass der Deutsche<br />
Chorverband (DCV), dem auch<br />
der Niedersächsische Chorverband als<br />
Mitglied angehört, 2005 aus der Fusion<br />
von Deutschem Allgemeinen<br />
Sängerbund (DAS) und Deutschem<br />
Sängerbund (DSB) entstanden ist.<br />
Weit weniger bekannt ist, dass der<br />
1947 gegründete Deutsche Allgemeine<br />
Sängerbund seinerseits einen Vorläufer<br />
hatte – den Deutschen Arbeitersängerbund,<br />
dessen 100. Gründungsjahr<br />
im November 2008 mit einem<br />
Festakt im Sängermuseum<br />
Feuchtwangen gefeiert wurde.<br />
An dieser Feierstunde nahmen neben<br />
zahlreichen ehemaligen Offiziellen des<br />
DAS, darunter die beiden letzten Präsidenten<br />
Wolfgang Schröfel (Präsident<br />
des Niedersächsischen Chorverbandes<br />
und Vizepräsident des DCV) und Oskar<br />
Radzinski, auch das DCV-Präsidium,<br />
der Präsident des Fränkischen Sängerbundes,<br />
Peter Jacobi, sowie weitere geladene<br />
Gäste teil.<br />
Der Kammerchor „Quodlibet“ aus<br />
Landshut unter der Leitung von Grete<br />
Csibi schuf mit Werken u.a. von Hans<br />
Leo Hassler, Johannes Brahms, Josef<br />
Rheinberger und Knut Nysted einen<br />
würdigen musikalischen Rahmen.<br />
DCV-Präsident Henning Scherf betonte<br />
in seiner kurzen Ansprache, dass die<br />
Gründung des Deutschen Arbeitersän-<br />
Der Tradition verbunden (v.r.n.l.): DCV-Präsident<br />
Henning Scherf, die beiden Vizepräsidenten Wolfgang<br />
Schröfel und Hartmut Doppler, sowie Referent<br />
Helmuth Patzelt (ehemals DAS-Schatzmeister)<br />
vor der Fahne der Nachfolgeorganisation des<br />
Deutschen Arbeitersängerbundes.<br />
Der Kammerchor „Quodlibet“ aus Landshut (Bayern) sorgte für einen würdigen Rahmen der Feierstunde.<br />
gerbundes Anfang des 20. Jahrunderts<br />
Ausdruck des Wunsches der Menschen<br />
nach kultureller Betätigung in einem<br />
angstfreien Umfeld war, ein Privileg,<br />
das von der Obrigkeit lange Zeit nur<br />
den bürgerlichen Vereinigungen zugestanden<br />
worden war.<br />
Auch der Festvortrag von Günter<br />
Ziesemer, Leiter des Archivs des Sängermuseums<br />
in Feuchtwangen, bestätigte<br />
die Motive, die zur Gründung geführt<br />
hatten. Allerdings zeigte er auch<br />
auf, dass die Wurzeln der Arbeiter-<br />
Sängerbewegung noch viel weiter in<br />
die Geschichte zurückreichen. So gelten<br />
die zwischen 1830 und 1860 vielerorts<br />
gegründeten, vom liberalen<br />
Bürgertum propagierten Arbeiterbildungsvereine<br />
als eine Quelle der Arbeiter-Sängerbewegung.<br />
Im weiteren<br />
Verlauf des 19. Jahrhunderts wirkten<br />
aber auch politische Einflüsse auf die<br />
Kultur „von unten“ ein; so wurden<br />
1854 alle Arbeitervereine, die „politische,<br />
sozialistische und kommunistische<br />
Zwecke verfolgten“, verboten.<br />
Nichtsdestotrotz ließen sich die politischen<br />
Wurzeln des späteren Sängerbundes<br />
nicht gänzlich ausschalten.<br />
So vereinten sich 1875 der Allgemeine<br />
Deutsche Arbeiterverein und die Sozialdemokratische<br />
Arbeiterpartei zur Sozialistischen<br />
Arbeiterpartei Deutschland.<br />
In der Folge entstand in Gotha<br />
1877 ein Allgemeiner Deutscher Arbeiter-Sängerbund,<br />
dem jedoch kein<br />
langer Bestand gewährt war, da bereits<br />
1878 die sog. Sozialistengesetze die<br />
Aktivitäten der Arbeitervereine als ungesetzlich<br />
brandmarkten.<br />
Mit Aufhebung der Sozialistengesetze<br />
im Jahre 1890 war schließlich<br />
der Weg frei für die Gründung neuer<br />
bzw. die Reaktivierung zwischenzeitlich<br />
verbotener Vereine und Vereinigungen.<br />
Im Juni 1908 zu Pfingsten<br />
wurde in Köln der Deutsche Arbeitersängerbund<br />
gegründet, der von Beginn<br />
an über 100 000 singende Menschen<br />
aus 27 regionalen Bünden unter einem<br />
gemeinsamen Verbandsdach vereinte.<br />
Nach wie vor bekannte sich die Arbeiter-Sängerbewegung<br />
zur Sozialdemokratie;<br />
dies fand u.a. darin seinen Ausdruck,<br />
dass der Deutsche Arbeitersängerbund<br />
von Anbeginn auch Frauen<br />
offen stand. Er setzte damit in seinem<br />
Rahmen die Gleichberechtigung der<br />
Frau durch, die schon der Erfurter<br />
SPD-Parteitag von 1891 gefordert hatte.<br />
Öffentliche Anerkennung gewann<br />
der Verband in der Folge durch künstlerisch<br />
auf hohem Niveau stehende<br />
Aufführungen und insbesondere das<br />
erste Bundessängerfest 1928 in Hannover.<br />
In den Folgejahren geriet der Deutsche<br />
Arbeitersängerbund zunehmend in<br />
die Mühlen der sich zuspitzenden Gesellschaftsverhältnisse,<br />
ehe am 25. Mai<br />
1933 die Generalversammlung unter<br />
dem Druck der nationalsozialistischen<br />
Diktatur die Auflösung des Verbandes<br />
beschließen und die Arbeitersängerkultur<br />
in den „Untergrund“ gehen musste.<br />
Volker Christiansen<br />
Textquelle: Günter Ziesemer – „Zwischen Klassenkampf und Harmonien“; Festvortrag anlässlich 100 Jahre Deutscher Arbeitersängerbund Fotos: Volker Christiansen