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Kurze Geschichte der württembergischen Familie Paulus/Hoffmann

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Brü<strong>der</strong>gemeinde Brü<strong>der</strong>gemeinde Brü<strong>der</strong>gemeinde Korntal Korntal bei bei Stuttgart<br />

Stuttgart<br />

Im Königreich Württemberg war um 1815 eine Missstimmung über die politische Lage weit verbreitet. Das autoritäre Regierungssystem<br />

mit überharten Strafen bei je<strong>der</strong> Kritik und die Einführung <strong>der</strong> neuen Liturgie in <strong>der</strong> evangelischen Landeskirche<br />

durch königlichen Erlass ohne Rücksicht auf die Stimmung unter den Gläubigen ließ viele an einer gedeihlichen Zukunft<br />

im Lande zweifeln. Verschärft wurde die politische Situation durch schlechte Ernten infolge schlechten Wetters. Es<br />

setzte ein Auswan<strong>der</strong>ungsstrom ein, <strong>der</strong> auch die Regierung beunruhigte 98 .<br />

In dieser gespannten Situation starb <strong>der</strong> unpopuläre König Friedrich I. am 30. 10. 1816. Sein Sohn Wilhelm I. wurde Nachfolger.<br />

Er verstand es u. a. durch Herabsetzung <strong>der</strong> Verwaltungs- und Repräsentationskosten und durch sein Auftreten in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit das Herz seiner Landeskin<strong>der</strong> für sich zu gewinnen 99 . Als Voraussetzung zu Maßnahmen zur Vermin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ungsquote erhielt <strong>der</strong> Rechnungsrat im Innenministerium Friedrich List den Auftrag, die Auswan<strong>der</strong>er nach<br />

ihren Gründen zu befragen. Kurz danach am 14. Februar 1817 erhielten die Oberämter den Auftrag die Bevölkerung über die<br />

Gefahren einer Auswan<strong>der</strong>ung zu belehren. Dies veranlasste den leonberger Amtsbürgermeister Korntalgrün<strong>der</strong> Gottlieb<br />

Wilhelm <strong>Hoffmann</strong> (H1) am 28. Februar 1817 zur Vorlage eines Vorschlags an den König direkt 100 . Darin heißt es 101 :<br />

Nach genauer Erkundigung und Prüfung fand ich <strong>der</strong> verschiedenen Gattungen von Auswan<strong>der</strong>ern, nämlich<br />

1. Solche, die aus religiöser Schwärmerei eine an<strong>der</strong>en Aufenthaltsort suchen und unter dem Namen Separatisten bekannt sind;<br />

2. Solche, die entwe<strong>der</strong> kein o<strong>der</strong> nur wenig Vermögen besitzen und nicht mehr hinaus sehen, wobei es freilich öfters auch zu<br />

Fleiß und guter Einrichtung <strong>der</strong> Haushaltung fehlt;<br />

3. Solche, die sich in einer Art von Gewissens-Zwang befinden, die neue Liturgie, die erst seit sieben Jahren eingeführt ist, nach<br />

ihrer Überzeugung nicht nach <strong>der</strong> alten lutherische Glaubens-Lehre verfasst finden, deswegen solche nicht annehmen, von ihren<br />

geist- und weltlichen Vorstehern aber öfters mit Geld- und Leibes-Strafen dazu gedrungen werden.<br />

Die erste Klasse ist nicht zu überzeugen; ihre Grundsätze sind eigentlich nicht religiös, sie weichen von dem buchstäblichen<br />

Sinne des göttlichen Wortes ab, und es ist kein Verlust für den Staat, dieselbe zu verlieren.<br />

Die zweite Klasse wäre leicht zu überzeugen, wenn Mittel genug vorhanden wären, sie so zu unterstützen, wie ihre Bedürfnisse<br />

es erfor<strong>der</strong>n. Auch durch ihre Auswan<strong>der</strong>ung leidet <strong>der</strong> Staat keinen Verlust, da sie demselben nur lästig sind.<br />

Die dritte Klasse ist es, die am meisten zu bedauern ist. Sie besteht aus ruhigen, gewissenhaften., fleißigen und zum großen Teil<br />

nicht unvermögenden Leuten, die sich in ihrer Gewissens-Freiheit beschränkt fühlen.<br />

Von diesen könnte ein großer und vermöglicher Teil dadurch von dem Vorsatz auszuwan<strong>der</strong>n abgehalten werden, wenn ihnen<br />

die Anlegung eigener Gemeinden im Königreich gestattet würde, wie solche <strong>der</strong> so genannten Brü<strong>der</strong>-Gemeinde in Königsfeld 102 vor<br />

wenigen Jahren zurzeit, als solches noch zum Königreiche gehörte hatte, zugestanden wurden.<br />

Diese Eingabe verrät die Veranlagung des Korntalgrün<strong>der</strong>s Gottlieb Wilhelm <strong>Hoffmann</strong> (H1) zu guter Verwaltungsarbeit<br />

zusammen mit <strong>der</strong> jahrelangen Erfahrung im Umgang mit den hohen Herren in <strong>der</strong> Regierung einschließlich des Königs<br />

selbst. In übersichtlicher Glie<strong>der</strong>ung und ohne Kritik an den Regierenden bringt sie doch das Problem <strong>der</strong> neuen Liturgie, das<br />

es zu beheben gilt. Es bleibt die Frage, warum sich <strong>der</strong> Korntalgrün<strong>der</strong> so intensiv mit <strong>der</strong> Gründung einer Brü<strong>der</strong>gemeinde<br />

befasste, wo er doch fest davon überzeugt war, dass in weniger als zwanzig Jahren Jesus Christus kommen und sein Reich<br />

aufrichten werde. Es mag ihn die Vorstellung dazu bewogen haben, dass er vor dem neuen Weltenherrscher über sein Tun<br />

Rechenschaft zu leisten habe, was er denn bei seiner Gabe für die Lösung von Verwaltungsfragen für die die Liturgie Ablehnenden<br />

getan habe. Außerdem mag es ihn gelockt haben, eine Stützpunkt für diejenigen aufzubauen, die nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kunft<br />

Christi an dem Aufbau <strong>der</strong> neuen Welt mitwirken sollten.<br />

Nach einigem hin und her, während die Verwaltung die Gründung einer solchen Gemeinde möglichst zu verhin<strong>der</strong>n<br />

suchte, die nicht in ihre Verwaltungsschema passte, erwarb er am 4. 2. 1819 das Rittergut Korntal bei Stuttgart mit den zugehörigen<br />

Grundstücken für 113 700 Gulden. Unmittelbar darauf beantragte er bei <strong>der</strong> zuständigen Kreisbehörde die Erteilung<br />

eines Privilegiums und legte dem Antrag eine Liste von 68 Personen bei, die sich mit ihren <strong>Familie</strong>n in Korntal nie<strong>der</strong>gelassen<br />

hätten. 103 . Am 22. 8. 1819 erließ <strong>der</strong> württembergische König Wilhelm I ein Privilegium. In ihm wurde genehmigt,<br />

dass die Gemeinde eine eigene Kirchen-Ordnung Disziplin, Liturgie und Zeremonien .... nach Maßgabe des von dem Bürgermeister<br />

<strong>Hoffmann</strong> in Leonberg in ihrem Namen übergebene Glaubens-Bekenntnis und nach nachgesuchter und erhaltenen landesherrlichen<br />

Bestätigung einführen darf 104 . Der Korntalgrün<strong>der</strong> Gottlieb Wilhelm <strong>Hoffmann</strong> (H1) hatte als Glaubensbekenntnis die<br />

Confessio Augustana nur mit Weglassung <strong>der</strong> Verdammungen und <strong>der</strong> Zulassung des Eides vorgelegt 105 . Durch das für seine<br />

Gemeinde erteilte Privilegium hatte er für diejenigen, die die neue Liturgie ablehnten, einen Ort geschaffen, <strong>der</strong> ihnen die<br />

Möglichkeit gab, ihren Gottesdienst nach <strong>der</strong> überkommenen Liturgie zu feiern.<br />

Um diese Ausnahmestellung innerhalb des Königreichs Württemberg aufrecht zu erhalten, wurde <strong>der</strong> Gemeinde vorbehalten,<br />

die Aufnahme neuer Gemeindeglie<strong>der</strong> unter Vorbehalt <strong>der</strong> oberamtlichen Bestätigung selbst durchzuführen. Außerdem<br />

musste <strong>der</strong> Bewerber sich durch Unterschrift zu diesem Privilegium bekennen. Wollte ein Bürger <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>gemeinde an<strong>der</strong>swohin<br />

umziehen, musste er seine Grundstücke an einen von <strong>der</strong> Gemeinde anerkannten Käufer o<strong>der</strong> an die Gemeinde<br />

verkaufen. Ein Bürger konnte aus <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>gemeinde aber nur dann ausgeschlossen werden, wenn er an<strong>der</strong>swo das Bürgerrecht<br />

erworben hatte.<br />

Nach <strong>der</strong> Erteilung des Privilegiums gab es in Württemberg eine heftige Diskussion. In liberalen Kreisen fürchtete man das<br />

Schlimmste. Aber Korntalgrün<strong>der</strong> Gottlieb Wilhelm <strong>Hoffmann</strong> (H1) ließ sich auf keine öffentliche Diskussion ein. Er las alle<br />

Schriften genau, die sich zu dem Thema äußerten. Aber er pflegte zu sagen: Gott sei Dank, dass das nicht wahr ist! Und sorgen<br />

98 Konrad Gottschick und Gerhard Schäfer (Hrsg.), Lesebuch zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Landeskirche in Württemberg, 3. Band Seite 76<br />

99 WGSR Seite 221<br />

100 Fritz Grünzweig, aaO Seite 158<br />

101 Konrad Gottschick und Gerhard Schäfer Band 3 S. 76 bis 78<br />

102 Königsfeld im Schwarzwald wurde 1810 mit Zustimmung von König Friedrich I. von Württemberg als Herrenhuter Brü<strong>der</strong>gemeine<br />

gegründet, fiel später aber an Baden.<br />

103 Theodor Steimle, Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung <strong>der</strong> <strong>württembergischen</strong> Brü<strong>der</strong>gemeinden Korntal und Wilhelmsdorf, Korntal<br />

1929 Seite 46 bis 47<br />

104 Theodor Steimle, aaO. Seite 220 bis 226<br />

105 Zum Andenken an den vollendeten Gottlieb Wilhelm <strong>Hoffmann</strong>, aaO Seite 21<br />

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