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SEGELFLUG<br />

<strong>Schatzkistle</strong><br />

Der Jantar von Lenger<br />

Flieger mit (Über?)Flieger.<br />

Der Jantar - ein <strong>Schatzkistle</strong>.<br />

Frank Witt<br />

Bisher habe ich mich immer für jemanden gehalten,<br />

der ein Flugmodell einzig und allein nach seinen Leistungen<br />

beurteilt. Nicht, daß mir die äußere Erscheinung<br />

gleichgültig wäre: im Gegenteil! Aber aus der Einheit<br />

von Zweck und Form entsteht eine eigene Schönheit<br />

ohne überflüssige Schnörkel. Daß dabei der Spiel-Raum<br />

für die individuelle Note offenbar schrumpft und man<br />

fast bei der Uni-Form landet, liegt auf der Hand und<br />

läßt sich an unzähligen Beispielen belegen. Doch warum<br />

soll man auf Leistung verzichten? Bloß um die mehr<br />

oder weniger schlechte Kopie eines Manntragenden<br />

zu fliegen, für den doch ganz eigene Bedingungen<br />

gelten? O.K., in meine „Sammlung“ gehören auch ein<br />

Grunau-Baby und ein Swift. Und ich liebe sie.<br />

Dann kam der Jantar<br />

Die Firma Lenger, seit Jahren für<br />

preisgünstige Holzbausätze bekannt,<br />

bietet diesen polnischen<br />

Segler moderner Auslegung neuerdings<br />

in ihrem Programm an –<br />

als maßstabsgetreue Nachbildung<br />

mit einer Spannweite von 2,40 m.<br />

ARF heißt die Zauberformel:<br />

„Almost Ready to Fly“, also na-<br />

hezu flugfertig. Der Preis von<br />

319,- DM ruft den Skeptiker auf<br />

den Plan. Er wird beim Öffnen<br />

des „Baukastens“ sogleich nach<br />

der Bestätigung seines Vorurteils<br />

suchen: „Siehste, hab’ ich doch<br />

gleich gesagt!“ Prüfen wir also.<br />

Inhalte<br />

Daß der Rumpf makellos laminiert<br />

ist, darf man schon fast als<br />

Standard voraussetzen. Der Jantar<br />

bietet mehr: GFK-Seitenruder,<br />

bereits fertig installiert – spaltfrei.<br />

Kabinenhaube mit im GFK-Rahmen<br />

vorgeformtem Instrumentenpilz<br />

und fertig eingeklebtem<br />

Schnappverschluß. Das Ganze bei<br />

einem gelungenen Kompromiß<br />

zwischen leichter Bauweise und<br />

guter Festigkeit. Und das Höhenleitwerk?<br />

Eine kleine Sensation:<br />

dieses Leichtgewicht besteht<br />

ebenfalls aus GFK, inklusive<br />

Elastic-Flaps, und ist absolut sauber<br />

gearbeitet.<br />

Schlank und leicht sind die<br />

Tragflächen, fertig weiß bebügelt<br />

einschließlich der bereits fertig<br />

installierten Querruder. Bei genauer<br />

Prüfung entdecke ich ein<br />

Zusammenstecken und ... tatsächlich: almost ready to fly!<br />

paar kleine Unebenheiten (Einschlüsse<br />

bzw. Dellen). Nun ja,<br />

nobody is perfect.<br />

Als i-Tüpfelchen liegen dem<br />

„Baukasten“ noch zwei federleichte<br />

GFK-Winglets (oder besser:<br />

Sichelrandbögen) bei und<br />

geben dem Äußeren das gewisse<br />

Etwas. Für ein erstes Foto stecke<br />

ich rasch einmal alle Teile zusam-<br />

22 10 /99


Der Kabinenhaubenbereich - noch<br />

vor den ersten eigenen Handgriffen!<br />

men. Perfekt! Die Flächen passen<br />

spaltfrei an den Rumpf. Sie werden<br />

von einem 8-mm-GFK-Stab<br />

gehalten: Auch hier eine Investition<br />

in Sachen Leichtbau bei guter<br />

Festigkeit und hoher Qualität.<br />

Das angegebene Fluggewicht von<br />

1.080 g scheint realistisch. Zugleich:<br />

Welch eine schlanke Erscheinung!<br />

Vor allem diese Strekkung!<br />

Wenn der so fliegt, wie er<br />

aussieht ... Mein Herz schlägt<br />

schneller. Ich glaube, ich bin verliebt.<br />

Wenn das nur gutgeht!<br />

Was bleibt zu tun?<br />

Nicht viel. Die Servos müssen<br />

natürlich installiert werden. Dazu<br />

ist ein Servobrett aus Flugzeug-<br />

10 /99<br />

Welches Wölkchen nehmen wir denn heute? Das Flugbild des Jantar ist<br />

sehr elegant.<br />

sperrholz (!) in den Rumpf einzupassen.<br />

In die Fläche sind noch<br />

die Kabel einzuziehen und gegebenenfalls<br />

Stecker einzubauen<br />

(beides nicht enthalten). Für die<br />

Anlenkung von Höhen- und Seitenruder<br />

wurden die Bowdenzüge<br />

im Rumpf bereits perfekt verlegt.<br />

Der Hersteller hat dafür lediglich<br />

0,8-mm-Stahldraht plus<br />

Kunststoffhülle vorgesehen. Bei<br />

der zu erwartenden Flächenbelastung<br />

mag das ausreichen. Die<br />

Praxis wird es zeigen. In wenigen<br />

Stunden ist alles leicht zu bewäl-<br />

Nach wenigen Arbeitsstunden: ready to fly.<br />

tigen; denn die Arbeiten können<br />

nahezu reibungslos vonstatten<br />

gehen. Die Bauanleitung enthält<br />

in prägnanter Form alles Wissenswerte<br />

für den weniger Geübten.<br />

Zeichnungen vervollständigen<br />

den Text sinnvoll.<br />

Zwei Ungereimtheiten<br />

Die von mir verwendeten Flächenservos<br />

C 341 von Graupner<br />

erwiesen sich noch als etwas sperrig,<br />

sowohl für die Aussparungen<br />

in den Flächen als auch für die<br />

beiliegenden ABS-Abdeckungen,<br />

aber mit Messer und Feile bekommt<br />

man dies Problemchen<br />

leicht in den Griff.<br />

Das zweite Hindernis blieb zunächst<br />

rätselhaft. Die Höhenruderanlenkung,<br />

vorschriftsgemäß<br />

eingebaut, bot phasenweise heftigen<br />

Widerstand. Ohne das Ruder<br />

ließ sich das Ganze hingegen vollkommen<br />

leicht bewegen. Grund:<br />

Die Seele wurde je nach Ruderausschlag<br />

(Kreisbogen!) z.T. so<br />

stark gegen die Wand des Außenrohres<br />

gepreßt, daß sich der Reibungswiderstand<br />

rapide erhöhte.<br />

Ich befreite den Stahldraht auf<br />

den letzten 2 cm von seiner Ummantelung,<br />

und schon war die<br />

notwendige Bewegungsfreiheit<br />

hergestellt. Das Innenröhrchen<br />

klebte ich mit Sekundenkleber fest<br />

ein. Nun funktioniert alles optimal.<br />

Mit roter Farbe und dem<br />

beiliegenden Dekorsatz wurde das<br />

Modell schließlich noch gefinisht.<br />

Wenn schon, denn schon...! Ganze<br />

30 g Blei in der Rumpfspitze<br />

genügten, um den Schwerpunkt<br />

nach Plan einzustellen. Gewichtsbilanz:<br />

1.050 g. Wow! Zusammen<br />

mit dem Selig 3021 wohl ein<br />

echter Soarer, wie?<br />

Auf geht’s!<br />

Tag für Tag verstrich ohne Aussicht<br />

auf Klärung dieser Frage.<br />

Das Zucken, Jucken und Kribbeln<br />

in den Fingern wurde langsam<br />

unerträglich. Der auf Ost drehende<br />

Wind eröffnete dann end-<br />

23


SEGELFLUG<br />

Leicht und bekömmlich, ja sogar für Querruder-Einsteiger empfehlenswert: der Jantar von Lenger.<br />

lich die erste Perspektive und zugleich<br />

die schlechteste; denn zum<br />

Landen an der dafür geeigneten<br />

Steilküste braucht man neben voller<br />

Konzentration und Geschick<br />

eine Blindflugerlaubnis (es geht<br />

um eine Baumgruppe herum), eine<br />

Sondergenehmigung (über einen<br />

Modellname: Jantar<br />

Verwendungszweck: Semi-Scale-Segler<br />

für Hang und Thermik<br />

Modelltyp: Fertigmodell<br />

Hersteller: Koado Model Sport<br />

Preis:<br />

Abmessungen:<br />

DM 319,–<br />

Spannweite 2400 mm<br />

Länge ü.a.<br />

Tiefe Tragfläche<br />

1030 mm<br />

Wurzel 160 mm<br />

Rand 65 mm<br />

Spannweite HLW 450 mm<br />

Leitwerk: T-Leitwerk<br />

Tragflächeninhalt: 29 dm 2<br />

Flächenbelastung:<br />

Profile:<br />

27 g/dm²<br />

Tragfl.-Wurzel S 3021<br />

HLW<br />

Gewicht:<br />

symmetrisch<br />

Herstellerangabe 1080 g<br />

Rohbaugewicht Testmodell 770 g<br />

Fluggewicht Testmodell 1050 g<br />

viel benutzten Spazierweg hinweg),<br />

Radar (wegen des Zaunes<br />

und der Bäume), gut funktionierende<br />

Bremsklappen (es ist abschüssig)<br />

sowie ein kleines (wegen<br />

der Enge), präzise zu steuerndes,<br />

altvertrautes Modell – oder<br />

eine halbwegs leere Mülltonne...<br />

Ruderfunktionen: Seite, Höhe, Quer (direkt),<br />

folgende Mischer: Querruder, Quer-Seite,<br />

Brems-Quer-Tiefe, Wölb-Quer<br />

Im Testmodell verwendete Ausrüstung<br />

Empfänger: Graupner C 16<br />

Empfänger Akku Sanyo 1100 mAh<br />

Servos für folgende Funktionen:<br />

Seite Futaba S 3003<br />

Höhe Futaba S 3003<br />

Quer Graupner C 341<br />

Bezug direkt bei: Lenger Modellbau,<br />

Weidbach 10, D-83329 Waging,<br />

Tel.: 0 86 81 / 9281<br />

Das Modell ist für Fortgeschrittene<br />

Kurzbewertung:<br />

sehr gut: Ausstattung, Vorfertigungsgrad, Verarbeitung,<br />

Preis/Leistungs-Verhältnis, Überzieh-Verhalten,<br />

Flugeigenschaften innerhalb des vorgegebenen<br />

Rahmens<br />

gut: Vollständigkeit, Bauanleitung, Festigkeit in<br />

Relation zum Gewicht<br />

befriedigend: Bügelfinish, Steifigkeit der Flächen<br />

ausreichend: –<br />

mangelhaft: –<br />

�<br />

Test-Datenblatt Segelflug<br />

Abendstimmung über dem<br />

Wasser. Eine gleichmäßige Brise<br />

von vier bis fünf Windstärken<br />

weht senkrecht gegen den Hang.<br />

Einige Wanderer bleiben stehen,<br />

als ich den Jantar mit leichtem<br />

Schwung seinem Element übergebe.<br />

Völlig ruhig, ja vorbildgetreu<br />

majestätisch gleitet der Jantar<br />

dahin und gewinnt dabei beträchtlich<br />

an Höhe. Eher träge,<br />

aber nicht unwillig geht er in die<br />

Kurven. Trimmkorrekturen sind<br />

nicht erforderlich. Alles scheint<br />

auf Anhieb zu passen.<br />

Als ich das Modell behutsam<br />

ansteche, kommt Leben in die<br />

Szenerie. Der Jantar nimmt erstaunlich<br />

gut Fahrt auf und reagiert<br />

nun angenehm temperamentvoll<br />

auf die Ruderausschläge. Die<br />

aerodynamische Gesamtauslegung<br />

ist offenbar so günstig, daß<br />

er dabei nur ein geringes Pfeifen<br />

hören läßt und die Fahrt sehr schön<br />

in Höhe umsetzt. Das schnelle<br />

Fliegen scheint ihm sogar auch in<br />

dieser Hinsicht gut zu tun. Der<br />

Jantar hat also gehalten, was sein<br />

Äußeres versprach. Und die Landung<br />

klappte auch ohne alle Lizenzen<br />

angenehm problemlos.<br />

Die hochgestellten Querruder,<br />

gepaart mit 15 % Tiefenruder zeigen<br />

gute Wirkung. Die Querruderausschläge<br />

habe ich noch ein<br />

wenig vergrößert (10 mm/8 mm).<br />

Nun ist die Wirkung auch im<br />

Langsamflug direkter und Rollen<br />

werden in einer passablen Zeit<br />

ohne zu großen Höhenverlust beendet.<br />

Unter allen Figuren gefallen<br />

mir mit dem Jantar Turns am<br />

besten. Loops sehen, groß geflogen,<br />

ebenfalls sehr elegant aus.<br />

Für enge Radien ist dieser Leichtbau<br />

ohnehin nicht gemacht. Ein<br />

paar Kohlerovings würden der<br />

Fläche zu höherer Steifigkeit verhelfen,<br />

ohne dem Modell seine<br />

eindeutigen Stärken zu nehmen.<br />

Andererseits will dieser Semi-<br />

Scale-Vogel auch ein wenig vorbildgetreu<br />

geflogen werden, und<br />

dafür reicht seine Festigkeit allemal.<br />

Zum reinen Heizen gibt es<br />

andere Modelle. Der Jantar ist<br />

dafür viel zu schön und viel zu<br />

schade.<br />

Aufsehen erregt<br />

Unter den Kollegen hat der kleine<br />

Pole aus Tschechien schon für allerlei<br />

Aufsehen gesorgt. Und allmählich<br />

verstand ich auch die unablässig<br />

wiederholte Frage des<br />

jungen Piloten neben mir immer<br />

besser. Ob ich ihm nicht einen<br />

Querrudertrainer empfehlen könne.<br />

Gemacht ist der Jantar dafür<br />

wohl kaum. So gutmütig wie er<br />

fliegt längst nicht jedes Querrudermodell.<br />

Und auch sonst hat dieser<br />

ja noch einiges zu bieten. Also,<br />

warum nicht, meinetwegen auch<br />

Querrudertrainer, aber du mußt<br />

ihn gut behandeln; denn mein<br />

Fazit lautet: Der Baukasten entpuppte<br />

sich als kleine Schatzkiste.<br />

Das Modell ist auf geringes Gewicht<br />

bei absolut ausreichender<br />

Festigkeit ausgelegt. Die äußere<br />

Erscheinung fasziniert nicht nur<br />

Scale-Fans. In der Luft gilt: Hochstarteigenschaften<br />

problemlos.<br />

Enges Kreisen in der Thermik<br />

gut möglich. Abreißverhalten unkritisch.<br />

Kunstflugeigenschaften<br />

durchaus beachtlich. Der Jantar<br />

von Lenger hat mich überzeugt.<br />

Ich glaube, ich muß meine eigenen<br />

Ansprüche an Optik und Leistung<br />

eines Flugmodells neu überdenken,<br />

keinesfalls aber revidieren.<br />

Beim Jantar stimmt beides.<br />

24 10 /99

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