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Expedition zum zweithöchsten Berg der Welt K2 8611m - MWGuiding

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Datum: 22.6.04, Bericht: Mischu Wirth<br />

Geschichten und Impressionen von Kobler und Partners <strong>K2</strong> <strong>Expedition</strong> in<br />

Pakistan<br />

Vorspann:<br />

Jakob befindet sich bereits in fortgeschrittenem Alter. Gemütlich sitzt er jeweils auf<br />

seinem Stuhl in seiner kleinen, grünen <strong>Welt</strong>, seinem Garten, <strong>der</strong>weil ich abgekämpft<br />

von meinem Renntraining am Berner Hausberg, dem Gurten, zurückkehre.<br />

Jedes Mal grüssen wir uns und diesmal muss ich wohl ziemlich abgehalftert und in<br />

schräglage dahergekommen sein, denn er fragt mich nach meiner Motivation zu so<br />

viel Anstrengung.<br />

Seine Antwort auf meine Antwort ist ein leichtes lächeln verbunden mit <strong>der</strong><br />

magischen Formel <strong>K2</strong>.<br />

Noch fünf Tage bis <strong>zum</strong> Abflug, nochmals eine Runde am Gurten. Als ich<br />

zurückkehre überrascht mich Jakob mit einem profunden Wissen über den <strong>K2</strong>.<br />

"Weißt du, dass <strong>der</strong> <strong>K2</strong> bei den Einheimischen Baltis auch Chogori genannt wird, die<br />

Englän<strong>der</strong> jedoch nannten ihn Mount Godwin Austen und die Chinesen nennen ihn<br />

nochmals an<strong>der</strong>s, Dapsang nämlich. Schade, dass es bei <strong>der</strong> schnörkellosen<br />

Bezeichnung <strong>K2</strong> geblieben ist.<br />

Jakob hatte kurzerhand ein Buch über diesen <strong>Berg</strong> gekauft, es in windeseile gelesen<br />

und mich kurzerhand aufgeklärt.<br />

Bin ich vorbereitet?<br />

Zeit <strong>zum</strong> Gehen.<br />

10.6.04 Anreise und erste Kontakte mit den Scoiattoli<br />

Weit unter mir dehnt sich die islamische Republik Pakistan im Dunst aus. Von <strong>der</strong><br />

chinesischen Grenze im Norden bis <strong>zum</strong> Arabischen Meer im Süden, zwischen<br />

Afghanistan im Westen und Indien im Osten. Ganze 796 094 Quadratkilometer in<br />

seiner Fläche. Rund 450 000 Quadratkilometer davon sind <strong>Berg</strong>e und Wüsten. Das<br />

entspricht etwa <strong>der</strong> 10-fachen Fläche <strong>der</strong> Schweiz. 123 Millionen Menschen<br />

besiedeln die Fläche Pakistans bis weit in die Wüsten und <strong>Berg</strong>en hinein.


97% <strong>der</strong> Bevölkerung sind Moslems. Der verschwindend kleine Rest von 3% sind<br />

Angehörige <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en grossen <strong>Welt</strong>religionen und wenige Anhänger von<br />

Naturreligionen.<br />

Bis zu 100°C unterschiedliche Temperaturen herrschen in diesem Land. Bis zu 50°C<br />

in den Wüsten von Belutschistan und bis zu – 50° C in den <strong>Berg</strong>en des Karakorums.<br />

Dort also wollen wir hin, denke ich mir, <strong>der</strong>weil ich mich genüsslich an einem Bier<br />

vergehe und gespannt in den Bildschirm schaue, wo mir eine sogenannte<br />

„Downward Camera“ den Anflug auf den Islamabad International Airport<br />

demonstriert.<br />

Aus dem Flugzeug steigen nun fast alle Teilnehmer <strong>der</strong> <strong>K2</strong> <strong>Expedition</strong>. D.h. auch die<br />

10 italienischen Teilnehmer, die Scoiattoli. (Eine genaue Zusammenstellung <strong>der</strong><br />

Teilnehmer unserer <strong>Expedition</strong> folgt später).<br />

Zurück zu den Scoiattoli. Die Eichhörnchen wie sie zu Deutsch genannt werden sind<br />

in <strong>der</strong> italienischen Kletter- und <strong>Berg</strong>welt seit Ende <strong>der</strong> 30er Jahre des letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts so etwas wie ein erratisches Gestein, eine feste Institution halt. Eine<br />

Klettergruppe aus Cortina d Ampezzo in den italienischen Dolomiten. Markenzeichen<br />

dieser berühmten Gruppe ist das Eichhörnchen (Scoiattoli) und eine Vielzahl saftiger<br />

und spektakulärer Erst- und sonstigen Begehungen in den Dolomiten.<br />

Drehen wir das Rad um 50 Jahre zurück auf den 31. Juli 1954. Fokussieren wir<br />

genauer auf den bereits im spätnachmittäglichen Licht stehenden <strong>K2</strong>. Zum ersten<br />

mal haben Menschen den mit <strong>8611m</strong> hohen, zeithöchsten Gipfel dieser Erde<br />

betreten. Es sind dies die Italiener Achille Compagnoni und Lino Lacedelli. Lacedelli<br />

ist ein Mitglied <strong>der</strong> berühmten Scoiattoli.<br />

Der Kreis schliesst sich. 50 Jahre nach diesem denkwürdigen Ereignis wollen also<br />

Linos Nachfahren den <strong>K2</strong> über den Weg <strong>der</strong> Erstbegeher, den Abruzzigrat besteigen.<br />

Kari hat die Organisation dieser Jubiläumsexpedition übernommen.<br />

Kurz: Eine geschichtsträchtige Sache und wir sind so etwas wie Protagonisten in<br />

diesem Spiel.<br />

Und dank Emotionen, Sponsoren, Druckerschwärze und Sendezeit brodelt es in<br />

Italiens Medienwelt bereits kräftig.<br />

11.6.04 Kurzer Aufenthalt in Islamabad und einige Cüplis in <strong>der</strong> italienischen<br />

Botschaft


Pakistan empfängt uns mit <strong>der</strong> üblichen Hitze und den tausenden von Männern in<br />

ihren „Shalvar Khameez“ o<strong>der</strong> Pijamas (typisch leichte Bekleidung <strong>der</strong> Pakistani), wie<br />

sie hierzulande auch genannt werden. Je<strong>der</strong> hat hier was zu tun und alle sind<br />

unglaublich beschäftigt. Inmitten dieser Masse erkennen wir Karis breites Lachen auf<br />

Anhieb und wenig später sind wir bereits unterwegs ins luxuriöse Serena Hotel wo<br />

uns nebst Musik von Tabla und Sitar ein kühler „Aircondition“-Luftzug <strong>zum</strong><br />

Empfangsapéro begleitet.<br />

Gegen Abend fährt Kari dann seine Technik aus. Mit Beamer und Computer werden<br />

wir visuell in den Karakorum entführt. Die Vorfreude steigt bei allen und die Italiener<br />

sind von diesem Empfang so etwas wie beeindruckt.<br />

Abends lädt <strong>der</strong> italienische Konsul zu Cüpli und Smalltalk ein. Neue Kontakte<br />

werden geknüpft und wie so oft an solchen Partys kennt hier je<strong>der</strong> einen, <strong>der</strong> einen<br />

kennt, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um einen kennt , <strong>der</strong> denjenigen kennt. Im Nu sind wir in den<br />

tiefsten Gedärmen <strong>der</strong> Botschafts- und Attachéwelt. Nur das Bewusstsein, dass wir<br />

morgen bereits um fünf Uhr früh aus den Fe<strong>der</strong>n müssen, lässt uns dieses feuchtfröhliche<br />

Fest verlassen.<br />

12. und 13.6.04 Mit viel Sitzle<strong>der</strong> auf dem Karakorum Highway<br />

Bereits <strong>zum</strong> vierten Mal teste ich mein Sitzle<strong>der</strong> auf dieser so scheints unendlichen<br />

Strasse mitten durchs Herz des Karakorums. Und jedes Mal, wenn ich darauf<br />

eingespurt bin, muss ich erstaunt bemerken, schreibt diese Strasse neue<br />

Geschichten und Episoden.<br />

Während zwölf Jahren wurde mit unendlich vielen Mannsstunden, sehr vielen Kilos<br />

Dynamit und einer ganz grossen Anzahl menschlicher Tragödien eine Linie von<br />

Islamabad in Pakistan über den Kunjerab-Pass (4700 müM) nach Kashgar in China<br />

gelegt. 1978 war dieses Joint Venture Project zwischen den beiden Län<strong>der</strong>n<br />

beendet. Ein so gewaltiges Bauwerk, dass es den Pakistani nicht zu verübeln ist,<br />

wenn sie es noch heute als achtes <strong>Welt</strong>wun<strong>der</strong> betrachten.<br />

Heute wird unsere Fahrt beson<strong>der</strong>s lang. Zwischen Islamabad und Chilas, unserem<br />

nächsten Übernachtungsort, liegen etwa 15 Stunden Busfahrt. Zeit genug für<br />

Betrachtungen jeglicher Art und Weise:<br />

Da haben wir morgens früh ein bereits erwachendes Islamabad. Später die vielen<br />

kleinen Dörfer, die unzähligen Menschen, <strong>der</strong> florierende Handel. Alles, was so eine<br />

wichtige Strasse vereinigt.


Dann die Hitze und die nicht enden wollenden Kurven durchs Industal. Tiefer und<br />

tiefer winden sie sich ins Gebirge.<br />

Manchmal zur Rechten, dann wie<strong>der</strong> zur Linken, fliesst die gewaltige, braune<br />

Wassermasse des Indus.<br />

Kurze Halte, kurze Begegnungen mit Menschen, welche uns neugierig betrachten.<br />

Kin<strong>der</strong> kommen dahergerannt. Ihre Frage: „give me pen“ kommt daher wie ein immer<br />

und immer wie<strong>der</strong>holtes Mantra.<br />

Weiter geht’s hinein in die karge, braune Landschaft, welche im Licht des<br />

Sonnenuntergangs faszinierend auf uns hereinfällt. Später dösen wir wie<strong>der</strong> und<br />

nehmen die ruppige Fahrt in unseren Halbschlaf auf.<br />

Dann eine grüne Oase: Chilas.<br />

Übernachten und an<strong>der</strong>ntags geht die Fahrt weiter. Am zweiten Tag begegnen wir<br />

dem „Nanga Parbat“. Gewaltig erhebt sich dieser Achttausen<strong>der</strong> über den kahlen<br />

<strong>Berg</strong>en des Industales. Der „deutsche Schicksalsberg“, wie er auch genannt wird,<br />

lädt ein <strong>zum</strong> Fotografieren.<br />

Auch da Geschichten: Die Erstbegehung durch Herrmann Buhl, sein „Stehbiwak“ in<br />

über achttausend Metern. Dann die schicksalsträchtige Begehung <strong>der</strong> Rupalflanke<br />

durch die Gebrü<strong>der</strong> Messner anfangs <strong>der</strong> Siebzigerjahre.<br />

Kurz bevor wir vom KKH gegen Osten nach Skardu abzweigen, stoppen wir an<br />

einem geografischen Knotenpunkt. Es ist dies <strong>der</strong> Vereinigungspunkt von drei<br />

grossen Gebirgszügen: Dem Hindukusch, dem Himalaya und dem Karakorum.<br />

Die Strasse nach Skardu bewegt sich noch etwas härter am Abgrund und ist noch<br />

etwas kurviger als bisher und nach etwas mehr als zehn Stunden, einem verhärteten<br />

Musculus glutaeaus maximus (= grosser Gesässmuskel) und unendlich vielen<br />

Eindrücken erreichen wir Skardu, wun<strong>der</strong>schön an den Lagunen des Indus gelegen.<br />

Das <strong>K2</strong>-Hotel wird unser „Gardenplace“ für die nächsten zwei Nächte. Das heisst,<br />

morgen ist Ruhetag.<br />

Zum ersten Mal spüre ich die Winde, die von den Achttausen<strong>der</strong>n das Tal herunter<br />

wehen.<br />

14.6.04 Ruhetag und etwas statistische und logistische Betrachtungen<br />

Aber mit den Winden kommen auch die Gerüchte aus den hohen <strong>Berg</strong>en das Tal<br />

heruntergeweht. Und zwar Gerüchte je<strong>der</strong> Couleur, wie mir scheint. Welchen<br />

Gerüchten sollte man glauben schenken und welchen nicht? Nachdem ich meinen


Filter aufgesetzt habe, bleibt folgendes Gerücht: Unsere pakistanischen Hochträger<br />

haben bereits Lager 1 auf 5900 m und Lager 2 auf 6400 m mit je fünf Zelten<br />

eingerichtet und die Fixseile bis Lager 2 montiert.<br />

Wow, da bleibt ja Zeit, sich in <strong>der</strong> Gartenanlage des <strong>K2</strong>-Hotels zurückzulehnen und<br />

sich im Shangri–La zu wähnen, wäre da nicht diese fieberhafte Tätigkeit von Mahdis<br />

Leuten im hinteren Teil des Hotels, den Lagerräumen, welche unmittelbare<br />

Auswirkungen auf die Ruhe in den Gartenanlagen hat.<br />

Der gezielte Blick in die Lagerräume offenbart eine Unmenge von Material und eine<br />

Waage als Mittelpunkt des Geschehens. Nach Einpacken und Umpacken wird<br />

gemessen. Jede Portion Material darf nicht mehr als 25 kg wiegen, denn diese<br />

ominösen 25 kg gehen später für 6 Tage auf den Rücken eines Balti-Trägers (Porter<br />

aus Baltistan). Moment mal, denke ich mir, hat mir nicht Mahdi gestern etwas von<br />

450 Trägern erzählt, welche nötig sind, um das Material <strong>der</strong> <strong>K2</strong>-<strong>Expedition</strong> bis an den<br />

Fuss des <strong>Berg</strong>es auf 5000 m zu transportieren? Die Rechnung ist schnell gemacht:<br />

450 Träger x 25 kg Gepäck ergibt summa summarum über 11 Tonnen Material! Und<br />

da ich eh schon am Zahlen schichten bin, schichte ich doch auch noch die<br />

Teilnehmer dieser <strong>Expedition</strong>.<br />

Beginnen wir beim Kopf dieses mittelgrossen (im wirtschaftlichen Sinne)<br />

Unternehmens:<br />

-Kari Kobler. <strong>Expedition</strong>sleiter und nimmermü<strong>der</strong> Tüftler neuer technischer Gadgets.<br />

(Sprudelmaschine, Gasbackofen...).<br />

-Mischu Wirth. <strong>Berg</strong>führer. Probiert das Geschehen am <strong>Berg</strong> auf Zeilen in den Laptop<br />

zu verbannen.<br />

-Hannes Blaser. <strong>Expedition</strong>sarzt. Läuft selbst im hohen Karakorum mit REGA-Jacke<br />

herum (absolut legitim: Er arbeitet bei <strong>der</strong> REGA).<br />

-Joelle Brupbacher. Durchgesponserte, einzige weibliche Teilnehmerin dieser<br />

<strong>Expedition</strong>. Hat selbst an den Socken noch Kleber ihrer Sponser.<br />

-Cedric Hählen. Mit 22 Jahren das Kücken. Hat eindeutig zu wenig Literatur für<br />

schlechte Tage. (Hoffentlich haben wir vorwiegend gute).<br />

-Daniel Surchat. Mit seiner Brille und Halstuch vermittelt er den Eindruck eines<br />

Professors <strong>der</strong> exakten Wissenschaften. (Astrophysik o<strong>der</strong> so).<br />

Der italienische Beitrag an diese <strong>Expedition</strong> stammt aus den Dolomiten, genauer<br />

Cortina d’Ampezzo und sieht so aus:<br />

Marco da Pozzo. Guida Alpina.


Marco Anghileri. Commerciante.<br />

Mario Lacedelli. Directore Kappa 2 Mountain - Shop. Guida Alpina (Enkel des Lino.<br />

Genau, dieser Lino, <strong>der</strong> als erster auf dem Gipfel des <strong>K2</strong> stand).<br />

Luciano Zardini. Guida Alpina.<br />

Stefano Dibona. Guida Alpina.<br />

Guiseppe Ghedina. Fotografo.<br />

Davide Alberti. Guida Alpina.<br />

Renato Sottsass. Mountain Rescue (Hat aber keine REGA Jacke. Hmm..)<br />

Marco Sala. Gestore Rifugio Alpino.<br />

Fabrizio Spaziani. Nochmal einer <strong>der</strong> Spezies Homo Medicus. Ganz spaziell <strong>der</strong><br />

Spaziani.<br />

Mario Dibona. Guida Alpina.<br />

Lorenzo Lorenzi. O<strong>der</strong> Lorenzi Lorenzo? Hauptsache Lorenz...<br />

Renzo Benedetti. Kommt aus Trento.<br />

Dann haben wir noch einen Powerimport aus Nepal: 4 Sherpa – Hochträger.<br />

Mingma Sherpa.<br />

Thilen Sherpa.<br />

Nima Dorjee Sherpa<br />

Mingma Sherpa. Der Zweite.<br />

Dieser Powerimport wird ergänzt durch einheimisches Schaffen:<br />

Yussup. Pakistan. Hochträger.<br />

Mahmad. Pakistan. Hochträger.<br />

Mahmad. Der Zweite. Pakistan. Hochträger.<br />

Wir wären alles Hosen, würden wir nicht kulinarisch versorgt von:<br />

Khan. Oberkellner.<br />

Nabhi. Cuisinier <strong>der</strong> Extraklasse. Arbeitet ansonsten in Lahore als Küchenchef.<br />

(Warum wohl treibts den Jungen in die hohen <strong>Berg</strong>e?)<br />

Ibrahim. Hilfskoch. Assistent von Oberkellner Khan.<br />

Isaac. Hilfskoch Nummer 2<br />

Ibrahim. Kitchenboy. Ist so etwas wie <strong>der</strong> Helfer des Hilfskochs. (Spätestens hier wird<br />

klar, warum ich oben von einem mittelgrossen Unternehmen spreche).<br />

Golam. Küchenchef <strong>der</strong> Sherpas und Pakistanis.<br />

Und <strong>zum</strong> Zweitletzten:


Mahdi. Karis rechter Arm in Pakistan. Sirdar. So etwas wie ein Arbeitstier. Organisiert<br />

Träger und vieles mehr. Scheint immer unter Strom zu stehen.<br />

Zum Letzten:<br />

Unser Verbindungsoffizier <strong>der</strong> pakistanischen Armee: Ali. (Schlägt sich im Namen<br />

<strong>der</strong> Regierung 7 Wochen Hochgebirge um die Ohren. Er nennts: „ Experience“. Ist<br />

eine sehr angenehme Type.<br />

Inshallah!!!<br />

Das Unternehmen ist jetzt endlich personifiziert. 35 <strong>Berg</strong>unternehmer auf einen<br />

Streich. Kein Wun<strong>der</strong>, dass sich da Material von 11 Tonnen zusammenfindet.<br />

Unterdessen ist es in Skardu abend geworden. Das Material ist auf den Jeeps<br />

verladen und <strong>der</strong> Bürgermeister (Deputie) von Skardu gibt sich bei einem Galadinner<br />

die Ehre, währenddessen Stefano von den Scoiattoli an einer Liveübertragung, via<br />

Satellit, nach Italien arbeitet...<br />

Datum: 26.6.04, Bericht: Mischu Wirth<br />

15.6.04 Ein Lehrgang an OFF – ROAD und die Anzahl Köpfe entspricht <strong>der</strong><br />

Anzahl Meinungen<br />

Ganze 17 Jeeps setzen diesen morgen früh an zu ihrer rund acht stündigen Fahrt<br />

nach Askole. Und wie bereits im Titel beschrieben könnten sich Zürichs „Goldküsten-<br />

Luxus-4x4-SUV-Möchtegern-Off-Road-nur-auf-Asphalt-Herumfahrer“ hier die richtige<br />

Art und Weise dieses Genres von Fahren holen.<br />

Bereits nach weniger als einer Stunde sind Cedric und ich auf dem Hintersitz mit<br />

einer <strong>der</strong>art deftigen Beule am Kopf versehen, dass wir gewarnt sind auf kommende<br />

fahrerische Einlagen.<br />

Und sie kommen und verfolgen uns den ganzen Tag. Entlang an Abgründen, durch<br />

Gewässer und immer begleitet von Staub bringen wir die Stunden hinter uns. Die<br />

Kurven werden enger. Der Fahrer holt zwei- dreimal Anlauf um die Kurve so etwas<br />

wie souverän zu durchfahren. Dann gerät die Kolonne ins Stocken. Ein paar<br />

Pakistanis eilen mit Dynamitstangen vorbei und wir ergeben uns dem Schicksal.<br />

Alles halb so schlimm. Ein Felssturz hat die Piste unbefahrbar gemacht. 40


Pakistanis und einige Touris machen sich an die Arbeit. Steine werden weggerollt<br />

und Steine werden hingerollt. Wie<strong>der</strong> einmal muss ich feststellen, dass die Anzahl<br />

<strong>der</strong> arbeitenden Köpfe, ziemlich genau <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Meinungen entspricht, wie nun<br />

dieses Problem, nämlich das Instandstellen <strong>der</strong> Piste, gelöst werden soll.<br />

Der langen Rede kurzer Sinn: wir geniessen die Abwechslung, prägen uns die immer<br />

wie<strong>der</strong> neuen Bil<strong>der</strong> ein, um dann schliesslich ohne eine verpulverte Dynamitstange<br />

weiter zu fahren.<br />

Abends erreichen wir die bereits errichtete Zeltstadt in Askole.<br />

Datum: 27.6.04, Bericht: Mischu Wirth<br />

16./17.6.04 Einige Stockhiebe und die ersten Schritte im Baltoro<br />

Eine schier unendlich lange Kolonne von Trägern windet sich diesen Morgen durch<br />

die grünen Fel<strong>der</strong> von Askole. Ein schönes Bild, so viele farbige Punkte inmitten des<br />

saftigen Grüns <strong>der</strong> Fel<strong>der</strong> und im Hintergrund die steil aufragenden, kargen <strong>Berg</strong>e.<br />

Weit hinten im Tal verschwimmen dann die Punkte zur Unkenntlichkeit.<br />

Irgendwie kommt mir <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>weg Schynige Platte – Fulhorn an einem<br />

Spätsommernachmittag mit ganz vielen Wan<strong>der</strong>freudigen, in den Sinn.<br />

Dennoch, Askole ist die doch etwas abgeschiedenere Version eines<br />

Wan<strong>der</strong>spektakels.<br />

Abrupt werde ich aus meinen Gedankengängen gerissen. Hinter mir geht eine<br />

aufgebrachte Gruppe von Trägern auf einen Einzelnen los. Steine fliegen und<br />

Stockhiebe fallen und erst eine viertelstündige Intervention von Mahdi bringt wie<strong>der</strong><br />

Ruhe.<br />

Die soziale Kontrolle ist unter den Trägern <strong>der</strong>art hoch, dass einer, <strong>der</strong> kein Permit<br />

als Träger hat, sofort auffällt und dementsprechend als Paria abserviert wird.<br />

Aber Mahdi nimmts gelassen. Er kennt fast alle Träger. Viele sind aus <strong>der</strong> gleichen<br />

Region von Kande im Hushe-Tal. Umgekehrt ist es nochmals schärfer: Alle kennen<br />

Madhi. Keiner, <strong>der</strong> nicht einen kennt, <strong>der</strong> Mahdi kennt. Er ist eine Institution hier in<br />

<strong>der</strong> Region und nicht viele kommen um ihn herum, beson<strong>der</strong>s wenn so grosse<br />

<strong>Expedition</strong>en ins Land fahren.<br />

Für die Träger ist die Zeitspanne für Arbeit sehr kurz. Drei Monate im Jahr gibt’s<br />

Arbeit. Das heisst für die Baltis drei Monate Hau-Ruck, Finger aus dem... und Geld


verdienen. Klar arbeiten sie hart und leben unter harten Bedingungen, aber sie<br />

verdienen auch gut. Einmal Baltoro-<strong>K2</strong>- Base Camp = 100 SFr. Für die Region sind<br />

sie die guten Verdiener. Nach 3 Monaten kehrt im September Ruhe ein im Baltoro.<br />

Die Träger kehren nach Hause zurück, wo sie sich <strong>zum</strong>eist ihren ruralen Tätigkeiten<br />

als Kleinbauern widmen.<br />

So ziehen die Jahre durchs Land und während sich Menschen den Traum <strong>der</strong> hohen<br />

<strong>Berg</strong>e erfüllen, verdienen an<strong>der</strong>e ihren Lebensunterhalt daran.<br />

Abends erreichen wir nach etwa 7 Stunden gemütlichen Wan<strong>der</strong>ns Yhule, unser<br />

Camp für die Nacht.<br />

An<strong>der</strong>ntags geht’s weiter und weiter hinein ins Herz des Baltoro. Der zweite Tag zieht<br />

vorüber und abends campieren wir dann gemütlich in Payu auf 3480 m.ü.M.<br />

18.6.04 Ruhetag in Payu o<strong>der</strong> Betrachtungen aus dem fast letzten Grün<br />

Payu - Das ist so etwas wie die letzte, grüne Lunge vor dem ewigen Schnee und<br />

dem ewigen Eis. Ein spezieller Platz also, wenn man sich bewusst macht, dass man<br />

nun für 7 Wochen auf <strong>der</strong> grünen Landkarte verschwindet und es sich eben in<br />

diesem ewigen Eis und Schnee bequem macht.<br />

Payu- Das ist aus dieser oben beschriebenen Perspektive eine Augenweide, eine<br />

kleine Bühne inmitten eines gewaltigen Theaters von <strong>Berg</strong>riesen. Eine kleine Bühne,<br />

welche sich an die braunen Hänge schmiegt und welche einlädt <strong>zum</strong> Bleiben. Ein<br />

Platz <strong>zum</strong> Erholen.<br />

Payu ist aber auch ein geschäftiger Ort, ein Treiben, ein Vorbereiten auf den langen<br />

Weg über den mehr als 60 km langen Baltoro-Gletscher.<br />

Payu ist ein Ort des Lebens, aber auch des Todes. Rot verfärbt sich <strong>der</strong> Boden vom<br />

Blut <strong>der</strong> Geissen und Kühe, die hier vor den langen Gletscheretappen geschlachtet<br />

werden.<br />

Payu – Das ist Tanzen und Festen <strong>der</strong> Baltis bis tief in die Nacht.<br />

Payu bleibt mir in Erinnerung, nicht zuletzt, weil ich mitten in <strong>der</strong> Nacht aufschrecke<br />

und von nun an vier Tage von einem grausamen Durchfall und einem nicht enden<br />

wollenden Erbrechen durch die Steinwüste des Baltoro-Gletschers verfolgt werde.


19./ 20./ 21./22.6.04 Tage auf dem Gletscher mit dem Röhrenblick eines<br />

Durchfallreisenden<br />

Diejenigen, die das Schicksal eines Durchfallreisenden bereits einmal eingeholt hat,<br />

wissen genau, von was ich hier spreche. Der Durchfallreisende ist <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong><br />

trotzdem weiterzieht, obwohl ihn <strong>der</strong> Pein des Durchfalls verfolgt.<br />

So geht es mir heute.<br />

Eine Milliarde grosser Steine, eine Milliarde kleiner Steine und dazwischen eine<br />

Milliarde mittelgrosser Steine. Das ist <strong>der</strong> Baltoro-Gletscher, reduziert auf den<br />

kleinsten möglichen Nenner: Stein auf ewigem Eis.<br />

Und wären da nur diese Steine, würde es eng in meinem Hirn. Zum Glück fallen hier<br />

die Trango Towers, die Uli Biaho Towers und die Cathedrals so richtig ins Gewicht.<br />

Gewaltig erheben sich diese Granittürme gen Himmel, so eindrücklich, dass ich<br />

meinen Blick kaum mehr von ihnen wegnehmen kann. Was dann auswegslos <strong>zum</strong><br />

Stolpern meiner selbst führt.<br />

Bumm, ich bin wie<strong>der</strong> die sich hinschleppende Kreatur mit ausgetrocknetem Munde<br />

und unendlich viel Durst. Ich begehe ein bergsteigerisches Sakrileg: Trinke überall<br />

Gletscherwasser, wo ich kann, und merke, wie die Kraft zurückkehrt.<br />

13 Stunden später erreiche ich Urdukas (4080 m.ü.M.). Hinter mir zottelt Mingma<br />

Sherpa. Er hat meinen Rucksack getragen und mich mit stoischer Ruhe auf meinem<br />

Leidensweg begleitet.<br />

Während die gesamte Gruppe weiter <strong>zum</strong> Camp Gore 2 zieht, beschliesse ich, einen<br />

Rasttag in Urdukas zu machen.<br />

Erholt mache ich mich dann an<strong>der</strong>ntags auf den Weiterweg Richtung<br />

Konkordiaplatz.. Die Sonne brennt <strong>zum</strong> Glück nicht so heiss. Schneeschauer<br />

wechseln mit sonnigen Abschnitten und dies ist <strong>zum</strong> Laufen sehr angenehm.<br />

Am Konkordiaplatz kann ich bei <strong>der</strong> Trekkinggruppe von Alex (auch von Kobler &<br />

Partner organisiert) übernachten.<br />

Nun endlich gelange ich bei Schneegestöber am 22.6.2004 um 13h00 ins <strong>K2</strong><br />

Basecamp. Nur ist vom <strong>K2</strong> auch die nächsten Tage lei<strong>der</strong> nichts zu sehen.<br />

Datum: 28.6.04, Bericht: Mischu Wirth<br />

23. – 27.6.04 Schneepracht, kleine Schritte im Basislager und viel verworrene<br />

Geschichten um den <strong>K2</strong>


Je<strong>der</strong> hat nun sein eigenes kleines Zelt aufgestellt, bis auf Kari: <strong>der</strong> hat sich ein<br />

grosses aufgestellt. Ist ihm ja nicht zu verübeln, dem alten Hasen. Auf jeden Fall hat<br />

jetzt je<strong>der</strong> so was wie ein eigenes Zimmer hier oben auf 5000 m und die Sicht wäre<br />

ja auch gewaltig, wenn nicht Nebel und Schnee die Sicht behin<strong>der</strong>n würden.<br />

Aber dies sind, wie man so schön sagt, Äusserlichkeiten. Zuerst gilt es das<br />

Basislager mit allen seinen Annehmlichkeiten auszuschmücken. Langsam wachsen<br />

Küche, Esszelte, Bürozelt, Dusche, Toilette aus <strong>der</strong> Moräne. Ja, man hat viel gehört<br />

vom Everest und von Gleichungen, die stark fäkalienhaltig sind. Von so und so vielen<br />

<strong>Berg</strong>steigern und so und so viel Abfall (in diesem Fall menschliche Exkremente).<br />

Tatsache ist nun, dass <strong>der</strong> <strong>K2</strong>, trotz seines 50 Jahre- Jubiläums, nicht <strong>der</strong> Everest ist,<br />

und sehr wahrscheinlich auch nicht werden wird. Die Abfallvorschriften sind streng in<br />

Pakistan.<br />

Als ich abends <strong>zum</strong> ersten Mal ins Esszelt trete, stehen 18 sehr angenehme Stühle,<br />

nein, Sessel, an einem schier unendlich langen Tisch. Ein leicht animierendes,<br />

tuchähnliches Innenzelt spannt sich durchs ganze Zelt. Überall hat es (klar sind es<br />

solche aus Plastik) Blumen an den Gestängen des Zeltes, und ein leicht parfümierter<br />

Windhauch eilt mir entgegen. Mann, wo bin ich hier eingetaucht? Nur für kurze Zeit<br />

wähne ich mich im falschen Film, dann werde ich kulinarisch entführt von einer<br />

Küche, die, wie ich sagen muss, eine starke Nummer setzt. Wer sich in dieser Höhe<br />

und unter diesen Umständen in <strong>der</strong> Küche <strong>der</strong>art verwirklichen kann, dem gehört ein<br />

grosses Lob!<br />

Und nicht nur das. Im Schneetreiben entsteht ein kleines Dorf. Die Stromversorgung<br />

wird aufgebaut und dementsprechend stehen nun Solarpanels herum. Das Büro wird<br />

bestückt mit Computer und Drucker. Wir bekommen eine Satellitenverbindung und<br />

sind so per Telefon und E-Mail erreichbar.<br />

Es ist wie<strong>der</strong>um Gadget-Kari zu verdanken, dass wir eine Sprudelmaschine und viele<br />

verschiedene Sorten Sirup dazu haben. Der Nicht-<strong>Expedition</strong>s-Erfahrene kann sich<br />

gar nicht vorstellen, wie das ist, so eine Riesenauswahl zwischen Greentee,<br />

Greentee, Greentee und Greentee und dann nochmals Greentee zu haben. Da<br />

sprengt die Sprudelmaschine schon alle Grenzen. Eine so einfache Sache und<br />

dennoch so effizient! Schon Ein Schluck Sprudelwasser mit einem Hauch Sirup (z.B.<br />

Exotik) nach einem anstrengenden Tag und die <strong>Welt</strong> sieht auch durch den Nebel und<br />

den Schnee wie<strong>der</strong> schön aus. Im Ernst, diese Maschine wird uns noch viel Freude<br />

bereiten. Ich komme später nochmals darauf zurück.


Um den Nebel und den Schnee nochmals anzusprechen: Als ich mich in <strong>der</strong> Nacht<br />

vom 25./26.6. zwecks Urinwurfes aus meinem Schlafsack schäle, stehe ich<br />

Angesicht zu Angesicht mit Mister <strong>K2</strong>! Und zwar direkt. Nichts mehr von Nebel und<br />

Schnee. 3600m schaue ich den verschneiten Graten und Couloirs entlang nach oben<br />

<strong>zum</strong> Gipfel. Der Mond gibt mir die nötige theatralische Lichteinlage. Während ich<br />

pinkle, schaue und schaue ich <strong>zum</strong> Gipfel dieses Kolosses, in dem das Matterhorn<br />

glatt 30 x Platz hätte. Fast falle ich rückwärts in die Steine und setze mich dann zur<br />

Sicherheit auf einen grossen Stein.<br />

Rechts von mir zieht <strong>der</strong> Abruzzengrat, <strong>der</strong> heute als sogenannter Normalweg gilt,<br />

nach unten. Schon nur diese Route beinhaltet mysteriöse und verworrene<br />

Geschichten. Geschweige denn alle an<strong>der</strong>en Routen an diesem <strong>Berg</strong>.<br />

1919 schaffte es <strong>der</strong> Herzog <strong>der</strong> Abruzzen bis auf knapp 6000 m Höhe. Dann musste<br />

<strong>der</strong> Versuch abgebrochen werden. Der Herzog war damals mit 360 Trägern und 13<br />

europäischen <strong>Berg</strong>steigern dem <strong>Berg</strong>e zu Leibe gerückt. Von drei Seiten wurde <strong>der</strong><br />

<strong>Berg</strong> angegangen, und später erwies sich <strong>der</strong> Süd-Ost-Grat als <strong>der</strong>jenige Grat, <strong>der</strong><br />

am einfachsten besteigbar war. Sein Name war dem Adligen aus den Abruzzen<br />

gewidmet: Abruzzengrat.<br />

Ende <strong>der</strong> 30-er Jahre kam dann ein amerikanisches Team unter <strong>der</strong> Leitung von<br />

Charles Housten bis <strong>zum</strong> unteren Teil <strong>der</strong> Schulter am Abruzzigrat. Sie mussten<br />

wegen fehlen<strong>der</strong> Verpflegung und schlechtem Wetter umkehren.<br />

1939 gelang es dann Fritz Wiessner, einem in die USA ausgewan<strong>der</strong>ten Dresdner,<br />

und dem nepalesischen Sherpa Pasang Dawa Lama bis 230 (!) Meter unter den<br />

Gipfel zu klettern. Der bis dato erfolgreichste Versuch endete in einer Tragödie.<br />

1953 stellte wie<strong>der</strong>um Charles Housten eine Gruppe von <strong>Berg</strong>steigern zusammen.<br />

Sie kamen bis auf 7800 Meter und warteten vergebens auf besseres Wetter - eine<br />

weitere Tragödie nahm seinen Verlauf. Kurz: Der <strong>K2</strong> ist umgarnt von unglaublichen<br />

Geschichten, noch bevor er bestiegen wurde. Eine <strong>der</strong> unglaublichsten ist aber die<br />

Erstbegehungsgeschichte des Jahres 1954:<br />

Die Eroberung eines Achttausen<strong>der</strong>s war auch nach dem zweiten <strong>Welt</strong>krieg eine<br />

nationale Sache, geprägt von nationalem Stolz und nicht selten von grossem<br />

politischem Einfluss. Und wenn ich sehe, mit welchen „Emozioni“ auch fünfzig Jahre<br />

später die Italiener an die Sache gehen, dann muss ich annehmen, dass damals die<br />

Hölle los war. Seit <strong>der</strong> Herzog <strong>der</strong> Abruzzen dem vermeintlichen Grat den Namen<br />

gegeben hatte, war dieser <strong>Berg</strong> eine italienische Sache. Zumindest für die Italiener.


Der zweithöchste <strong>Berg</strong> wurde generalstabsmässig mit einem schier unglaublichen<br />

Aufwand an Bürokratie und Auswahlkriterien <strong>der</strong> Teilnehmer organisiert. Der<br />

Professor Ardito Desio war <strong>Expedition</strong>sleiter. Unter knallharten Tests wurde ein<br />

Topteam von 12 <strong>Berg</strong>steigern zusammengestellt. Alle mussten einen Vertrag<br />

unterschreiben, welcher Verhaltensregeln festlegte: unter an<strong>der</strong>em durfte kein<br />

Mitglied bis 3 Jahre nach <strong>der</strong> <strong>Expedition</strong> seine Erlebnisse und von den Ereignissen<br />

<strong>der</strong> <strong>Expedition</strong> berichten.<br />

Die <strong>Expedition</strong> wurde bereits beim Anmarsch vor riesige Probleme gestellt. Ebenfalls<br />

das Einrichten <strong>der</strong> Route und <strong>der</strong> 9 Hochlager war von vielen Rückschlägen geprägt.<br />

Der grösste Rückschlag ist nun die Geschichte zwischen Compagnoni, Lacedelli,<br />

Bonattti und Gallotti.<br />

Kommunikationsprobleme, Eifersüchteleien, Missverständnisse? Lacedelli und<br />

Compagnoni stehen am 31. Juli 1954 auf dem Gipfel und Bonatti ist lebenslänglich<br />

frustriert. Generationen von <strong>Berg</strong>steigern, jegliche Gerichte und Instanzen und<br />

Bonattis Buchversion „<strong>Berg</strong>e, meine <strong>Berg</strong>e“ beschäftigten sich von da an mit dem<br />

Missgeschick von damals. Was in den Stunden vor dem Gipfel wirklich geschehen<br />

ist, wird sehr wahrscheinlich nie geklärt werden.<br />

Ich auf jeden Fall werde mal bei Lino (Lacedelli) vorbeischauen, wenn er hier im<br />

Basecamp eingetroffen ist. Vielleicht hat er News von damals.<br />

Es ist nun kalt geworden, und länger als erwartet bin ich auf dem Stein sitzen<br />

geblieben. Zeit, sich zurück in den warmen Schlafsack zu tollen.<br />

28./29./30.6.04 In Tuchfühlung mit Deposit Camp und Lager 1 auf 6000m<br />

Irgendwann ist das schlechte Wetter zu Ende und irgendwann mal sind auch die<br />

Verhältnisse als „sicher“ einzustufen. Gerade am Vortag haben wir eine gewaltige<br />

Pulverschneelawine herunterkommen sehen. In etwa dort, wo unser Weg ins Deposit<br />

Camp durchgeht. Also lieber noch einen Tag warten. Der Ralph Rickli von Meteotest<br />

Bern hat uns eine gnadenlos schöne Woche versprochen.<br />

Aber am 28. gehen wir morgens um 4 Uhr 45 los, um dann 2 Stunden später beim<br />

Deposit Camp (ist nur als Materialdepot gedacht) zu stehen. Durch den Gletscher,<br />

durch ein Labyrinth von Eiswürfeln führt <strong>der</strong> Weg bis auf etwa 5300 Meter, gerade<br />

unterhalb des steilen Aufstiegs zu Lager 1.<br />

Ja, gewaltig sieht diese Schneeflanke, die sich hier nach oben zieht und sich dann in<br />

den Felsen verliert, aus.


Zum Glück erst morgen, denke ich mir und trotte gemütlich <strong>zum</strong> Basecamp zurück.<br />

Im Basislager steht ein Altar, den die (nepalischen) Sherpas gebaut haben. In jede<br />

Windrichtung hängen Gebetsfahnen, die zu den Zelten gespannt sind. Die<br />

Gebetsfahnen haben nebst geschriebenen Gebeten auch geflügelte Pferde darauf,<br />

welche die Gebete, die auf den Gebetsfahnen stehen, mit jedem Windstoss in den<br />

Himmel tragen sollen. Eine schöne Sherpa-Tradition, sich vor je<strong>der</strong> Besteigung eines<br />

<strong>Berg</strong>es das Wohlwollen <strong>der</strong> Götter zu holen. Am Vortag haben wir den Altar<br />

eingeweiht mit Feuer und Rauch, Zampa-Mehl und Räucherstäbchen. Auf unser<br />

Glück an diesem <strong>Berg</strong>!<br />

Wow, bereits ist <strong>der</strong> Morgen angebrochen, und ich hänge in dieser eben noch so<br />

schön beschriebenen Schneeflanke. Bereits seit Stunden geht’s aufwärts und Schritt<br />

für Schritt und Atemzug um Atemzug müssen vollbracht werden. Am Anfang gings ja<br />

harzig zu und her, aber mit <strong>der</strong> Zeit erlaube ich mir sogar Gedanken, welche mit hier<br />

überhaupt nichts zu tun haben. Wenn ich nach oben schaue, begegne ich so etwas<br />

wie einem kollektiven Delirium. Kollektiv ist falsch ausgedrückt. Je<strong>der</strong> kämpft sich<br />

den <strong>Berg</strong> hinauf und alle haben heute ein Ziel: Lager 1.<br />

Nach 6 1/2 Stunden haben es alle erreicht und zu unserer Überraschung stehen hier<br />

fast keine Zelte. Nach einigem Graben kommen dann nach und nach Zelte <strong>zum</strong><br />

Vorschein. Aber nicht alle erheben den Anspruch auf Vollständigkeit. Drei Zelte muss<br />

sich Kobler & Partner <strong>zum</strong>indest vorläufig ans Bein streichen. 2 Zelte sind i.O. und<br />

das Zelt, wo Kari und ich drin schlafen, ist etwas flach: Das Gestänge ist gebrochen.<br />

Aber das stört den Kari nicht, denn kaum im Zelt und im Schlafsack zieht er sich hier<br />

auf 6000 Metern den Monsterschlaf rein und ist bis am nächsten Morgen um 6 Uhr<br />

nicht mehr richtig zu wecken. Glatte 15 Stunden. Nach etwas Herumfummeln am<br />

Gaskocher, etwas Essen und Trinken, tun wirs ihm gleich. Heute sind alle Schweizer<br />

hier oben, um sich zu Akklimatisieren. Morgen sind dann die Scoiattoli dran.<br />

Am 30. morgens um 6 Uhr weckt mich die Sonne, und ein leichter Wind streicht mir<br />

übers Gesicht. Das Zelt ist die ganze Nacht offen geblieben und hätte ich nicht<br />

gestern abend noch meine Sonnenbrille abgezogen, ich würde sie immer noch<br />

tragen. Aber heissts nicht: Guter Schlaf = gute Akklimatisation? Wir sind auf alle<br />

Fälle gut ausgeschlafen und machen uns bereit <strong>zum</strong> Abstieg. Unterwegs treffen wir<br />

auf unsere italienischen Freunde, und es ist immer das Gleiche: Zum Glück müssen<br />

sie rauf und nicht ich. Aber eben: Ich bin ja übermorgen auch wie<strong>der</strong> dran. Morgen ist<br />

Ruhetag.


1.7.04 Geschichten aus dem Basislager<br />

Der bekannte englische Sportkletterer Jerry Moffat hat mal behauptet: „Restdays are<br />

shitdays“. Mann, das nehme ich ihm nicht ab. Ich auf jeden Fall geniesse diese Tage<br />

vollumfänglich.<br />

Ruhetage – Das sind jene Tage, an denen man sich am Morgen nochmals im<br />

Schlafsack drehen kann, ohne in die Kälte hinaus zu müssen.<br />

Ruhetage – Das sind jene Tage, an denen man das Brummen <strong>der</strong> Kerosinkocher in<br />

den Halbschlaf aufnimmt und es in ein Rauschen des Meeres verwandelt, um dann<br />

von <strong>der</strong> Wärme aus dem Zelt getrieben zu werden, um dann höchstens in ein Meer<br />

von Eis und Schnee zu schauen...<br />

Ruhetage – Das sind Tage, in denen komische Geschichten <strong>zum</strong> Besten gegeben<br />

werden. So <strong>zum</strong> Beispiel die Geschichte von Hannes, unserem Doktor. Gewissenhaft<br />

wie er ist, organisiert er sich das Neuste vom Neuen aus <strong>der</strong> Höhenmedizin-Szene:<br />

Wer sich in <strong>der</strong> Höhe ein Lungenödem einheimst, dem geht’s definitiv nicht gut.<br />

Allerdings kann man diesem Problem mit einem Medikamentencocktail Gegensteuer<br />

geben. Nun, dieser Medikamentencocktail besteht aus dem Blutdruck-Medikament<br />

Adalat (Nifedipin) und dem Medikament Cialis (Tadalafil), einem Nachfolgeprodukt<br />

von Viagra (Sildenafil).<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten: Adalat und das Potenzmittel Cialis miteinan<strong>der</strong> eingenommen,<br />

ergeben eine positive Wirkung auf das Höhen-Lungenödem.<br />

Das Problem, das unser Doktor aber hatte, war, als er in Bern das wohlverstanden<br />

rezeptpflichtige (neu auf dem Markt) Cialis einkaufen wollte, dass alles innerhalb<br />

eines Tages ausverkauft war. Keine Apotheke hatte auch nur eine Pille dieses<br />

Potenz-för<strong>der</strong>nden Mittels. Alles war bereits in den Gedärmen <strong>der</strong> Berner Männer<br />

verschwunden. Der Rest ist in Gedanken weiter zu spinnen...<br />

Ruhetage – Das sind jene Tage, an denen genügend Zeit vorhanden ist, um, wie es<br />

Kari tut, alle <strong>Expedition</strong>slea<strong>der</strong> <strong>der</strong> 12 <strong>Expedition</strong>en am <strong>Berg</strong> zusammen zu rufen, um<br />

etwas System am <strong>Berg</strong> zu schaffen. Dies ist unbedingt nötig, sonst herrscht Anarchie<br />

da oben.<br />

Ruhetage – Das sind die Tage, an denen wie aus dem Nichts Personen auftauchen,<br />

die man noch nie gesehen, aber schon viel davon gehört hat. So eine Spezies ist<br />

<strong>zum</strong> Beispiel Juanito, <strong>der</strong> baskische Höhenbergsteiger. Klein, mit einer krächzenden<br />

Stimme und immer eine Vollladung an Fluchreden. Als ich ihn <strong>zum</strong> ersten Mal sehe,


kommen mir die spanischen Conquistadores des 15. und 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts in den<br />

Sinn. Genau, <strong>der</strong> Mann ist ein Generikum von Pizzaro o<strong>der</strong> Cortez! Heute ist die<br />

Erde lei<strong>der</strong> entdeckt und das Gold verteilt. Aber in den Achttausen<strong>der</strong>n, dem<br />

vertikalen Spielplatz, da findet sich noch genügend Raum, um Herrscher zu spielen,<br />

auch wenn es nur ein Herrscher über Fels und Eis ist.<br />

Ruhetage – Das ist die wenige Zeit, in <strong>der</strong> man sich mal richtig um die wichtigste<br />

Nebensache <strong>der</strong> <strong>Welt</strong> kümmern kann: Die Fussball – EM, welche hier oben sträflich<br />

vernachlässigt wird.<br />

Ruhetage – Das sind jene Tage <strong>der</strong> Ruhe, an denen <strong>der</strong> Mensch einen sechsten<br />

Sinn entwickelt und seine übernatürliche Seite gewahr wird. So geschehen bei<br />

Mahdi:<br />

Mahdi hat am Morgen vor unserem Esszelt einen wirklich schönen Blumengarten mit<br />

viel Liebe und Hingabe gebaut. Immer wie<strong>der</strong> hat er die verschiedenen Blumen neu<br />

arrangiert und umgestellt. Solange, bis er zufrieden und in sich versunken vor dem<br />

Gärtlein gestanden hat. Einige Stunden später kommt die Nachricht von Kande,<br />

seinem Wohnort im nahe gelegenen Hushe-Valley, dass sein Vater vor 10 Tagen<br />

gestorben sei...<br />

Datum: 5.7.04, Bericht: Mischu Wirth<br />

2./3./4.7.04 Strategiespiele am <strong>Berg</strong><br />

Ja, jetzt sind wir mitten im grossen Strategiespiel von Akklimatisation,<br />

Wetterprognosen und persönlicher Verfassung. Immer auf <strong>der</strong> Suche nach dem<br />

persönlichen Gleichgewicht, welches hier oben so unendlich schnell durcheinan<strong>der</strong><br />

geraten kann. So viele Faktoren (Essen, Kopfweh, Durchfall, Sonne, Kälte, Höhe,<br />

Tagesleistung, Psyche, Motivation, usw.) spielen hier zusammen, so dass je<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />

das perfekte Zusammenspiel zwischen all den Faktoren gefunden hat (und dies auch<br />

so halten kann), etwas wie einen Meisterwurf auf psychisch-physischer Ebene<br />

gelandet hat.<br />

Der 2.7.04 beginnt früh. Bereits um 2 Uhr probieren wir so etwas wie Morgenessen<br />

und wenig später sind wir unterwegs in den relativ warmen Morgen. Das Deposit<br />

Camp auf 5300 Metern ist in weniger als zwei Stunden erreicht, kleine Pause, und<br />

dann <strong>der</strong> Aufstieg in einer ca. 40- 45° Flanke zu Lager 1 auf 6000 Metern. Bereits bin


ich wie<strong>der</strong> in meine eigene Zeit eingetaucht. Hier oben herrscht eine eigene Zeit.<br />

Nennen wir sie mal <strong>Berg</strong>zeit o<strong>der</strong> spezifischer <strong>K2</strong> – Zeit. Eine Zeit, welche nur von<br />

Tag und Nacht, Wind, Sonne und Kälte, mir selber und meinem Rhythmus<br />

gezeichnet ist. Mein Rhythmus befindet sich auf <strong>der</strong> Skala irgendwo zwischen<br />

langsam und durchstartend. Mit <strong>der</strong> Sonne kommt die Wärme und mit dem Wind<br />

kommt die Ungemütlichkeit. Die Nacht bringt die Ruhe und <strong>der</strong> Tag ruft immer wie<strong>der</strong><br />

das grossartige Panorama des Karakorums hervor.<br />

Der Pickel in <strong>der</strong> Rechten, den Jümar befestigt am Fixseil, erreiche ich Lager 1,<br />

welches 1000 Meter über dem Godwin Austen Gletscher thront. Bereits für diese<br />

Aussicht würde ein Durchschnitts-<strong>Berg</strong>-Begeisterter einen Film durchlassen. Das<br />

verspreche ich!<br />

Joelle, Hannes und Cedric bleiben in Lager 1 und übernachten hier. Daniel und ich<br />

steigen noch weiter auf, zu Lager 2 auf 6500 Metern. Ich genehmige mir noch ein<br />

warmes Süppchen, extra zubereitet von Hannes, <strong>der</strong>weil Daniel bereits weit oben im<br />

steilen Gelände, gerade hinter den Sherpas, herumturnt. Einige Zeit später tu ich’s<br />

ihm gleich und klettere mit immer gleichem Takt in einer unheimlichen Ambience<br />

nach oben. Nebel umgibt mich und nur gerade die Fixseile weisen mir den Weg.<br />

Dann öffnen sich, wie einem Theater-Vorhang gleich, die Nebelschwaden. Auftakt zu<br />

einem <strong>Berg</strong>flankenspiel <strong>der</strong> nobleren Sorte. Und ich ganz alleine mittendrin. Vorhang<br />

zu und wie<strong>der</strong> heult <strong>der</strong> Wind und Nebelschwaden ziehen vorbei. Das bleibt dann<br />

auch so bis oben. Kurz vor Lager 2 durchackere ich den bekannten House- Kamin.<br />

Ein steiler Kamin, welcher während 30 Metern mit Fixseilen und Strickleiter<br />

eingerichtet ist. Während ich kräftig zulange, muss ich schmunzeln. Ich stelle mir vor,<br />

wie das in den Alpen aussehen würde. Ich, volles Rohr ins Seil und Leiter greifend,<br />

herumwürgend, schnaufend, mit allen nur möglichen Hilfsmitteln arbeitend. O<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>s ausgedrückt: Der puritanische Freikletterer in mir kämpft mit dem Karakorum-<br />

Haudegen. Der Karakorum-Haudegen obsiegt und ich greife mit Elan in den Seilund<br />

Strickleitersalat.<br />

Daniel erwartet mich im Zelt, ich arrangiere mich, schlüpfe in den Schlafsack und<br />

beginne mit Wasserkochen.<br />

Mit einem kurzen „arrangiere mich“ bin ich etwas gar schnell über die<br />

Einstiegszeremonie ins Zelt gerutscht. Wer weiss, wie dieses Arrangieren vonstatten<br />

geht, <strong>der</strong> kann sich jetzt im Sessel zurücklehnen und diese Zeilen überspringen. Wer


es nicht weiss, <strong>der</strong> verfolge diese Zeilen sorgfältig. Vielleicht ist er auch mal in dieser<br />

Situation und hat somit eine Art Gebrauchsanweisung.<br />

Der im Sturm Ankommende ist dicht verpackt, hat Kapuze, Kappe, Helm, Sturmbrille,<br />

Windjacke, Handschuhe, Gore-Überhosen, Thermo-Unterwäsche,<br />

<strong>Expedition</strong>sschuhe und vielleicht Gamschen montiert. In <strong>der</strong> Hand hält er einen<br />

Pickel, <strong>der</strong> Sitzgurt ist regelkonform an <strong>der</strong> Hüfte montiert und die Steigeisen sitzen<br />

an den <strong>Expedition</strong>sschuhen.<br />

So, dieses Pack steht also vor dem Zelt und will hereingelassen werden.<br />

Zuerst gilt es, die Handschuhe auszuziehen, es kommen dünne Unterhandschuhe<br />

<strong>zum</strong> Vorschein, welche sich nun an den Bändeln <strong>der</strong> Steigeisen zu schaffen machen.<br />

Endlich lösen sich die Steigeisen und sie finden mit dem Pickel vorläufig Ruhe im<br />

Schnee vor dem Zelt.<br />

Das Pack setzt sich nun rückwärts ins Zelt und öffnet erst mal die Kapuze, worauf<br />

<strong>der</strong> Helm <strong>zum</strong> Vorschein kommt. Löst den Helm, zieht die Sturmbrille aus, zieht die<br />

Kappe aus und beginnt an den Reissverschlüssen <strong>der</strong> <strong>Expedition</strong>s-Schuhe zu<br />

fummeln. Das Zelt ist, wohlverstanden, noch halb offen. Schliesslich will das Pack ja<br />

nicht allen Schnee, <strong>der</strong> sich auf den Schuhen angesammelt hat, ins Zelt schaufeln.<br />

Die Schuhe lassen sich öffnen, die speziellen Backofen-Innenschuhe kommen<br />

heraus, und nun wird das Zelt geschlossen, die Aussenschuhe bleiben im Vorzelt.<br />

Zumindest vorläufig.<br />

Jetzt wird angesetzt <strong>zum</strong> Jacken-Ausziehen, Innenhandschuhe-Ausziehen,<br />

Faserpelz-Ausziehen, Backofen-Innenschuh-Ausziehen, Thermopullover-Ausziehen.<br />

Eine richtige Entkleidungszeremonie in grosser Höhe.<br />

Die Thermomatte wird ausgerollt, <strong>der</strong> Schlafsack in Position gebracht.<br />

Hineinschlüpfen, warm kriegen, alle Utensilien im Zelt einordnen.<br />

Kocher in Betrieb nehmen und Carpe Diem.<br />

Der Tag vergeht dösend und schlafend. Die Nacht bringt die Dunkelheit.<br />

Ich träume von einer wun<strong>der</strong>schönen Blume, welche ich in meiner Hand halte. Der<br />

Name dieser Blume lautet, wie könnte es an<strong>der</strong>s sein - <strong>K2</strong>. Ich ziehe dieser Blume<br />

ein Blütenblatt nach dem an<strong>der</strong>en aus mit den Worten: „Er liebt mich, er liebt mich<br />

nicht... bis <strong>zum</strong> letzten Blatt, welches ich mit den Worten: „Er liebt mich, <strong>der</strong> <strong>K2</strong>“,<br />

ziehe. Ich schrecke auf, und <strong>der</strong> Wind zerrt am Zelt, dass es unaufhörlich knattert.<br />

Wie<strong>der</strong> verschwinde ich im Tiefschlaf.


Der 3.7.04 bringt uns Neuigkeiten in Form von Joelle, Cedric und Hannes und bald<br />

schon schnurren auf beiden Seiten unseres Zeltes die Kocher. Cedric hat sich im Zelt<br />

auf unzähligen Sauerstoff-Flaschen, Kochern, Thermomatten und sonstigem<br />

Hochlager-Gerümpel bequem gemacht und scheint höchst zufrieden zu sein. Joelle<br />

hat ihre Matte auf einen vermeintlichen Stein gelegt, welcher sich bei genauerer<br />

Betrachtung als vertikal aus dem Schnee stehende Zeltstange entpuppt, und Hannes<br />

kocht für das Kollektiv Brupbacher, Blaser.<br />

Der Tag vergeht im Dösen <strong>der</strong> Akklimatisation. Wie<strong>der</strong> ein Symptom <strong>der</strong> <strong>Berg</strong>-Zeit.<br />

Stunden, die vergehen und wie<strong>der</strong> ist abend. Draussen schlägt das Wetter Kapriolen<br />

und drinnen im Zelt drehen wir uns im Schlafsack. Ich fühle mich voller Energie, die<br />

ich aber im Moment kontemplativ in mich verweisen muss.<br />

Am nächsten Tag steigen Daniel und ich ab. Zwei Nächte in dieser Höhe, das muss<br />

genügen. Einerseits abseilend, an<strong>der</strong>erseits absteigend gelangen wir innerhalb von 3<br />

Stunden an den Fuss des Grates, dort wo das Deposit Camp steht. Dort treffe ich auf<br />

9 Scoiattoli, welche heute <strong>zum</strong> Camp 2 aufsteigen wollen.<br />

Sonst ist keine an<strong>der</strong>e <strong>Expedition</strong> am <strong>Berg</strong>. Alle warten ab und fast scheint mir, als<br />

sei das Strategie-Spiel um eine Komponente erweitert. Niemand will sich zu früh<br />

verausgaben und alle warten, bis <strong>der</strong> Kobler und seine Mannschaft den Weg nach<br />

oben frei gemacht haben. Danach ist es ein Leichtes, zu folgen.<br />

Auf dem Brettspiel mit den 64 Fel<strong>der</strong>n würde man diese Situation als Patt<br />

bezeichnen. Denn eigentlich sollten ja alle mithelfen, um den Weg <strong>zum</strong> Gipfel<br />

begehbar zu machen.<br />

Datum: 15.7.04, Bericht: Mischu Wirth<br />

5./6./7./8./9./10.7.04 Zeltinseln, schnuppern an <strong>der</strong> 8000 Meter-Grenze,<br />

verstrickte Geschichten und römischer Jet-Set<br />

Die Tage ziehen dahin und nur an den Zelten, die scheinbar in die Höhe wachsen,<br />

d.h. am Gletscher, <strong>der</strong> um die Zelte herum abschmilzt, ist zu erkennen, dass die<br />

Tage vergehen. Hier im Basislager werden kleine Angelegenheiten zu grossen<br />

Projekten. So wird <strong>der</strong> Duschgang <strong>zum</strong> Ritual, zu einer Art Reinkarnation auf<br />

hygienischer Ebene und das Waschen <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong> zu einem immer wie<strong>der</strong><br />

hinausgeschobenen „Muss“. Das eben gerade begonnene Buch neigt sich auch


schon wie<strong>der</strong> dem Ende zu und immer wie<strong>der</strong> werden mit dem Feldstecher Grate<br />

und Flanken abgesucht nach Punkten, welche Menschen sein könnten.<br />

Zwischendurch Funksprüche von Kari, den Sherpas und den Scoiattoli, die<br />

momentan am <strong>K2</strong> herumturnen.<br />

Dort oben am <strong>Berg</strong> geht wahrlich etwas ab. Lager 3 auf ca 7230 Metern ist von den<br />

Sherpas bereits aufgestellt und 5 Mitglie<strong>der</strong> unserer <strong>Expedition</strong> sind auf dem Weg<br />

nach Lager 3. Nur einen Tag später haben die Sherpas das Lager 4 in ca 8000<br />

Metern erreicht!<br />

Die Wetterprognose scheint für die nächsten Tage etwas mehr Bewölkung und Wind<br />

vorauszusagen. Aber bereits ab Sonntag wird’s wie<strong>der</strong> gut mit wenig Wind. Pantha<br />

Rei – Alles scheint zu fliessen.<br />

Wäre da nicht diese bereits sehr eng gestrickte Geschichte aus Italien: Wie bereits<br />

angedeutet landet eigentlich alles was hier so etwas wie „News“ bedeutet ziemlich<br />

direkt auf Druckerschwärze in Italiens Zeitungen o<strong>der</strong> sonstigen Medien. Der<br />

Rummel nimmt ungeahnte Masse an und treibt Auswüchse <strong>der</strong> ganz beson<strong>der</strong>en Art.<br />

Reinhold Messner hat den Rummel am Everest einmal als „Jahrmarkt <strong>der</strong> Eitelkeiten“<br />

bezeichnet und das dürfte an diesem 50-Jahr-Jubiläum am <strong>K2</strong> in etwas verkleinerter<br />

Form auch <strong>der</strong> Fall sein. Man vergisst manchmal fast, dass, nebst den vielen<br />

Eitelkeiten und Spezialeinlagen <strong>der</strong> verschiedenen Gruppen und Personen, am <strong>Berg</strong><br />

oben viel und hart gearbeitet wird. So soll es auch sein und je<strong>der</strong> erneute Aufstieg in<br />

die verschiedenen Lager bringt einen schnell aus diesem Rummel und <strong>der</strong> schwere<br />

Atem hoch oben am <strong>Berg</strong> lässt einen auf das Wesentliche besinnen: Der <strong>Berg</strong>, die<br />

magische Formel <strong>K2</strong>, diese unglaublich imposante Pyramide.<br />

Dennoch will und muss ich nochmals <strong>zum</strong> Basislager zurückkehren, denn eine o<strong>der</strong><br />

zwei Müsterchen aus diesem Jahrmarkt sollten nicht unerwähnt bleiben:<br />

Diese eng gestrickte Geschichte aus Italien: In Italien kocht es zurzeit im<br />

Medienwald. Das 50-Jahr-Jubiläum <strong>der</strong> Erstbegehung des <strong>K2</strong> durch Italiener schlägt<br />

Wellen bis weit in Regierungskreise hinauf.<br />

Zwei Gruppen von <strong>Berg</strong>steigern und <strong>Berg</strong>führern haben sich im Jubiläumsjahr auf<br />

eine Begehung des Abruzzigrates am <strong>K2</strong> vorbereitet. Mehr als ein Jahr dauerten die<br />

Vorbereitungen für diese <strong>Expedition</strong>en.<br />

Die eine Gruppe kennen wir bereits: Die Scoiattoli. Sie haben eigenhändig mit<br />

Sponsoren Kontakte aufgenommen und das ganze Unternehmen minutiös<br />

vorbereitet. Ihre Motivation ist ganz klar: Lino Lacedelli ist einer <strong>der</strong> Erstbegeher des


<strong>K2</strong> und ein Scoiattoli. Ihre Idee ist es, als Gruppe <strong>der</strong> Scoiattoli 50 Jahre später<br />

nochmals über den Abruzzigrat <strong>zum</strong> Gipfel zu steigen. Da die ganze Logistik und<br />

Durchführung einer <strong>Expedition</strong> bereits einem Aufwand eines mittleren Unternehmens<br />

entspricht und es dazu sehr viel spezifisches Know-How braucht, haben die Scoiattoli<br />

für die Organisation und Durchführung dieser <strong>Expedition</strong> Kari, d.h. Kobler & Partner<br />

angefragt. Wie sich dann später herausstellt, ist diese Wahl eine glückliche, denn<br />

Kari ist als Organisator aus <strong>der</strong> Schweiz unabhängig und neutral von irgendeinem<br />

Einfluss aus <strong>der</strong> italienischen Soap-Opera um den <strong>K2</strong>.<br />

Die an<strong>der</strong>e Gruppe von <strong>Berg</strong>steigern und <strong>Berg</strong>führern aus Italien unter <strong>der</strong> Leitung<br />

von Agostino da Polenza hat eher den politischen Weg beschritten. Da Polenza ist<br />

auf Prestige und Reputation aus und sonnt sich gerne in <strong>der</strong> Oeffentlichkeit. Er ist ein<br />

gewiefter aalglatter Stratege und hat es mit viel Geschick zu Wege gebracht, über<br />

Minister und Politiker vom Staat über 2 Millionen Euro für seine <strong>Expedition</strong> zu<br />

bekommen! Da sind die gesponserten Barilla-Produkte und die wenigen Gel<strong>der</strong> von<br />

<strong>der</strong> (nie<strong>der</strong>gehenden) Alitalia, welche die Scoiattoli bekommen haben, ein dürftiges<br />

Sandkorn im grossen Sandkasten <strong>der</strong> Geldspen<strong>der</strong>.<br />

Kurz: Zwei Gruppen, verschiedene Ideen, an<strong>der</strong>e Motivationen und ein Ziel.<br />

Bereits in <strong>der</strong> Vorbereitungsphase in Italien sind die verschiedenen Philosophien<br />

zusammengeprallt und es hat sich gezeigt, dass die Emozioni unter <strong>der</strong> Oberfläche<br />

brodelten wie bei einer frischen Polenta, die darauf wartet, gegessen zu werden,<br />

damit sich jemand den Mund verbrennt.<br />

Die Soap-Opera hat nun einen Nährboden für Szenen jeglicher Art und damit<br />

entsteht eine Art Rivalität zwischen diesen Gruppen (wer hat Erfolg?). Da Polenza<br />

verbrennt sich den Mund als erster: Mario Dibona, ein Scoiattoli, besteigt als<br />

Vorbereitung den 8047 Meter hohen Broad Peak, ein Nachbar des <strong>K2</strong>.<br />

Worauf Agostino da Polenza einen Blick durch den Feldstecher wirft, viel Wind in <strong>der</strong><br />

Gipfelgegend vermutet und daraus schliesst, dass Mario Dibona unmöglich auf dem<br />

Gipfel gewesen sein kann. Diese Vermutung geht direkt in den virtuellen Äther und<br />

tags darauf weiss ganz Italien, dass Dibona nicht auf dem Gipfel war, <strong>der</strong>weil im<br />

Basislager des Broad Peaks ausgiebig auf den Gipfelerfolg geprostet wird.<br />

Nur zu dumm, dass Agostino da Polenza nicht zuerst nachgefragt hat und er Mario<br />

Dibona, nachdem dieser ihm versichert hat, dass er auf dem Gipfel war (zusammen<br />

mit an<strong>der</strong>en), als Pinocchio bezeichnet.


Diese Episode giesst natürlich Öl ins Feuer <strong>der</strong> Rivalität und bereits ahnt <strong>der</strong><br />

Weitsichtige weitere Skandale um den <strong>K2</strong>. An<strong>der</strong>s gesagt: Die verworrenen<br />

Geschichten, die vor 50 Jahren stattfanden, scheinen sich in <strong>der</strong> jüngsten<br />

Vergangenheit fortzusetzen. Die restlichen <strong>Expedition</strong>steilnehmer unserer <strong>Expedition</strong><br />

verfolgen diesen Schlagabtausch von <strong>der</strong> Seitenlinie aus und irgendwann mal setzt<br />

sich Kari als neutraler Organisator an den Verhandlungstisch mit Agostino da<br />

Polenza und man findet eine Lösung: Man konzentriert sich wie<strong>der</strong> auf die<br />

wesentlichen Sachen.<br />

Diese Koinzidenz von <strong>Berg</strong> und Jubiläum zieht noch an<strong>der</strong>e Kreaturen zu diesem<br />

<strong>Berg</strong>, wie Motten <strong>zum</strong> Licht.<br />

Der Blick fällt dieses Mal auf Rom. In Roms Jet-Set-Szene verkehrt Pesci. Eine<br />

multireiche Type. Sein Vater hat eine <strong>der</strong> grössten Strassen- und<br />

Eisenbahnbaufirmen in Italien und seine Mutter ist eine bekannte Filmschauspielerin.<br />

Sohnemann vergnügt sich bei Prosecco in Roms urbanem Gelände und manchmal<br />

auf dem vertikalen Spielplatz, den <strong>Berg</strong>en.<br />

Selbst organisiert sich nun Pesci eine Kleinexpedition <strong>zum</strong> <strong>K2</strong>. Mit Permit für den<br />

Gipfel, welches er von Agostino da Polenza zur Verfügung gestellt bekommt. Nur zu<br />

dumm, dass seine Erfahrung in Sachen <strong>Berg</strong> sehr, sehr limitiert ist, aber das spielt ja<br />

keine Rolle, denn die High Society in Rom wird ihm so o<strong>der</strong> so eine Standing Ovation<br />

zukommen lassen. Seit die Szene nun weiss, dass er in die hohen <strong>Berg</strong>e fährt, wird<br />

er allerseits Kukuczka von Rom genannt. Eine Ehre für ihn und ein Held für Roms<br />

Upper Class.<br />

Der Pesci steigt nun zu Camp 1 auf, die bereits beschriebene, steile Flanke,<br />

notabene ohne Helm, obwohl das seiner schönen Frisur bös abträglich sein könnte<br />

und erreicht also Camp 1 auf 6000 Metern, wo wir ihm auf dem Abstieg vom Lager 3<br />

begegnen. Nette Worte und ein gemeinsamer Abstieg <strong>zum</strong> Deposit Camp auf 5300<br />

Metern folgt. Der Abstieg im nachmittäglichen nassen und tiefen Schnee erfor<strong>der</strong>t<br />

einiges Geschick und irgendwann überschlägt es den Pesci und er stürzt an Daniel<br />

vorbei Richtung Deposit Camp. Er fängt sich <strong>zum</strong> Glück auf und Daniel hilft ihm so<br />

gut es geht nach unten. Aber Pesci hat offensichtlich den „Fuss gebrochen“. Gehen<br />

ist also in diesem Zustand eine schwierige Angelegenheit.<br />

Pesci greift also <strong>zum</strong> Satellitentelefon und erreicht seinen Hausarzt in Rom und<br />

schil<strong>der</strong>t ihm den Sachverhalt, worauf ihm <strong>der</strong> Hausarzt einen Helikopter verschreibt.<br />

Pesci telefoniert nun mit <strong>der</strong> Militärbasis in Skardu und beor<strong>der</strong>t einen Helikopter.


Völlig in <strong>der</strong> Annahme, dass dies ohne weiteres möglich sei. Ist es aber nicht, denn<br />

es spielen noch an<strong>der</strong>e Faktoren als Geld eine Rolle. Worauf er ganz ruhig bemerkt,<br />

dass er ja noch einen Helikopter <strong>der</strong> italienischen Armee herbeor<strong>der</strong>n könnte.<br />

Dennoch, am gleichen Tag läuft nichts mehr zu Luft und Pesci schleppt sich, nach<br />

initialer Verarztung durch unseren Doktor Hannes, mit Hilfe an<strong>der</strong>er ins Basislager<br />

zurück. Am nächsten Tag ist <strong>zum</strong> Glück für ihn Flugwetter, <strong>der</strong> Helikopter <strong>der</strong><br />

pakistanischen Armee landet im Basislager auf 5000 Metern, lädt Pesci ein und hebt<br />

ab Richtung Konkordiaplatz. 15 Minuten später kehrt <strong>der</strong> Helikopter zurück, fliegt<br />

eine tiefe Schleife über dem Basislager des <strong>K2</strong> und im Helikopter sitzt ein mit beiden<br />

Armen erhobenen Pesci und setzt <strong>zum</strong> „Victory“-Zeichen an. Diese Schleife hat ihn<br />

sicherlich gerade mal noch zusätzliche 1000 Dollar gekostet. Aber wen interessiert<br />

das: Denn obwohl seine Präsenzzeit am <strong>Berg</strong> nur von kurzer Dauer war, <strong>der</strong> Held<br />

des <strong>K2</strong> wird er in <strong>der</strong> Römer Jet-Set-Szene sein!<br />

11./12./13.7.04 Eine Art Liebesgeschichte und bloss 410 Millibar Luftdruck<br />

Man stelle sich eine Liebesgeschichte, ein Buch von 400 Seiten vor. In diesem Buch<br />

rennt er ihr und sie ihm während 399 Seiten nach und sie verpassen sich genau 399<br />

Seiten lang, um sich dann auf <strong>der</strong> letzten Seite zu treffen, Seite 400. Aber dann ist<br />

die Geschichte zu Ende. Für mich hätte diese Liebesgeschichte einen etwas fahlen<br />

Nachgeschmack.<br />

So eine Art Geschichte hat Hannes mit seinem Helm und seiner Stirnlampe. Anfangs<br />

<strong>Expedition</strong> hat er die Stirnlampe mit viel Liebe auf den Helm montiert und mit viel<br />

Tape zusätzlich befestigt. Die dafür vorgesehene Befestigungsmöglichkeit seines<br />

„Camp“-Helmes hat sich nämlich als völlig unzureichend erwiesen. Das Problem ist<br />

nun, dass er den Helm erst vom Deposit Camp an braucht, die Stirnlampe aber vom<br />

Basislager bis Deposit Camp (wir starten jeweils in <strong>der</strong> Nacht um 2 Uhr morgens). Da<br />

er aber den Helm nicht immer ins Basislager tragen will, deponiert er ihn im Deposit<br />

Camp. Mit <strong>der</strong> Stirnlampe, versteht sich. Aber eigentlich hat Hannes die Stirnlampe<br />

auf den Helm montiert, um vom Lager 4 in 8000 Metern Höhe in <strong>der</strong> Nacht zu starten<br />

und mit Licht <strong>zum</strong> Gipfel zu gelangen. Sonst braucht er die Stirnlampe nicht, bis auf<br />

den Weg vom Basislager ins Deposit Camp. So hat Hannes nun die Stirnlampe fix<br />

auf dem Helm montiert, braucht sie nie, weil sie zur Zeit, wann er sie gebrauchen<br />

könnte, nicht zur Verfügung steht, und wartet geduldig bis zur Seite 400, dem


Gipfeltag, dem Tag, an dem seine Stirnlampe endlich nach über einem Monat <strong>zum</strong><br />

Einsatz kommen wird. Das Grande Finale sozusagen.<br />

Hoffentlich funktionieren die Batterien dann noch, sonst wäre Hannes sicherlich<br />

enttäuscht.<br />

Ich sitze auf ca. 7230 Metern vor unserem Zelt in einem Luftdruck von 410 Millibar.<br />

„Dünn“ ist die Luft also da oben, wenn man bedenkt, dass auf Meereshöhe <strong>der</strong> Druck<br />

1013 Millibar beträgt. Hinter uns liegen zwei Tage anstrengenden Aufstiegs ins Lager<br />

3. Der erste Tag Aufstieg zu Lager 2 war gezeichnet von Neuschnee und Spurerei.<br />

Danach hatten wir etwas Platzprobleme und das Einschlafen ging bei einigen fast<br />

ohne Schlafsack vonstatten.<br />

Am zweiten Tag brauchte ich ewig bis ich mich <strong>zum</strong> Aufbruch aufgerafft hatte.<br />

Später, im Laufe des Tages, fand ich mich irgendwo in den Fixseilen zwischen Lager<br />

2 und 3 wie<strong>der</strong>. Daniel, Cedric, Hannes und Marco Anghileri waren bereits weiter<br />

oben im Couloir verschwunden. Hinter mir waren Renzo, Marco da Pozzo und <strong>der</strong><br />

pakistanische Hochträger Mahmad.<br />

Joelle hatte sich entschlossen, umzukehren und nochmals im Lager 2 zu<br />

übernachten.<br />

Unangenehm kratzen meine Steigeisen auf dem Fels und immer wie<strong>der</strong> versuchte<br />

ich einen Rhythmus zu finden, einen Rhythmus, welcher mich mit kleinstmöglicher<br />

Anstrengung nach oben hieven würde. Ich suchte und suchte ihn, fand ihn nicht und<br />

fing nun an dem <strong>Berg</strong> die Schuld zuzuschieben – gespickt mit einigen nicht ganz<br />

druckreifen Aeusserungen. Unendlich dehnte sich die Zeit, ich kam mir vor wie in<br />

einem Film, <strong>der</strong> in „Slow Motion“ ablief. Endlich schien sich die Steilheit zu neigen.<br />

Einfach unglaublich dieser <strong>Berg</strong>, ab Deposit Camp gehts aufwärts mit einer<br />

<strong>der</strong>massen gleichförmigen penetranten Steilheit und ohne wirklich flache Teile, dass<br />

ich mir an den Seilen wie an einem Lift nach oben vorkomme. Nur eben - <strong>der</strong> Motor<br />

dieses Lifts bin ich selber.<br />

Ich hatte den etwas flacheren Teil auf ca 7100 Metern erreicht, freute mich auf Lager<br />

3 und musste feststellen, dass es noch lange ging. Und dann gings nochmals lange<br />

bis <strong>zum</strong> Lager.<br />

Endlich oben, endlich hatte das Rennen nach den Sauerstoffmolekülen ein Ende. Wir<br />

stellen noch zwei weitere Zelte auf, verkriechen uns darin und beginnen mit <strong>der</strong><br />

Nachmittagszeremonie: Wasserkochen. Wie<strong>der</strong> scheint irgendetwas mit <strong>der</strong> Anzahl<br />

Schlafsäcken nicht zu stimmen. Aber dann löst sich auch dieses Problem wie<strong>der</strong>.


Mahmad, <strong>der</strong> pakistanische Hochträger, bringt 6 Schlafsäcke nach oben. Dünne<br />

Hochschlafsäcke. Wir testen <strong>zum</strong> ersten Mal wie das ist, mit Daunenanzug und<br />

Schlafsack eine Nacht zu verbringen.<br />

13.7.04<br />

Der Morgen weckt uns mit keinem Wind, viel Sonne und einem Weitblick in die<br />

schiere Erdkrümmung.<br />

Möglichst ökonomisch beginnen wir uns jetzt zu bewegen, denn jede Bewegung<br />

bedeutet Anstrengung und diese Anstrengung führt zu Atembeschwerden, welche<br />

wie<strong>der</strong>um Schwere in den Körper setzt. Diese Schwere im Körper führt wie<strong>der</strong>um zu<br />

verlangsamten Bewegungen, welche so langsam werden, dass <strong>der</strong> angebissene<br />

Nussstengel einfach nicht verschwinden will. Dieser Kausalnexus liesse sich ins<br />

Unendliche weiterführen, aber ich lasse es jetzt sein und versorge den angebissenen<br />

Nussstengel wie<strong>der</strong> im Sack.<br />

Die drei Bisse in den Nussstengel, besser gesagt ihr Energiewert bringt mich in 6<br />

Stunden ins Basislager zurück.<br />

Der Körper sollte jetzt akklimatisiert sein, nun heisst es Abwarten, eine<br />

Schönwetterperiode herauspflücken, und <strong>zum</strong> Gipfel fahren. Aber zuerst verspricht<br />

uns Meteotest aus Bern schlechtes Wetter und viel Wind. Längerfristig könnte sich<br />

ab dem 21.7.04 eine Wetterverän<strong>der</strong>ung einstellen. Wir haben also Zeit <strong>zum</strong> Atmen,<br />

Zeit <strong>zum</strong> Erholen und Zeit für mentale Arbeit.<br />

14.7.04 Lino<br />

Das Pantheon <strong>der</strong> Erstbesteiger <strong>der</strong> 14 Achttausen<strong>der</strong> auf unserem Planet ist ein<br />

illustres. Umso anregen<strong>der</strong> ist es für einmal, sich im Dunstkreis eines solchen<br />

Erstbegehers zu bewegen. Zumal die Zeit auch Arbeit leistet und nicht alle<br />

Erstbegeher in diesem Pantheon noch unter uns weilen.<br />

Lino Lacedelli, <strong>der</strong> den <strong>K2</strong> mit Achille Compagnoni erstbestiegen hat, ist noch und er<br />

bewegt sich auch noch. Zu Fuss ist er mit seinen 79 Jahren den Baltorogletscher<br />

nach oben gewan<strong>der</strong>t, um seine Scoiattoli mit unserer <strong>Expedition</strong> zu besuchen. Ein<br />

echtes Ereignis zeichnet sich nun also ab. Hier in diesem abgelegenen Winkel <strong>der</strong><br />

Erde wird also Geschichte geschrieben. Das Jubiläum hinterlässt Spuren und wie


ereits erwähnt, sind wir Beteiligten dieser <strong>Expedition</strong>en ungewollt o<strong>der</strong> gewollt in<br />

den Dunstkreis dieses Ereignisses gelangt.<br />

Da kommt also die Gruppe an, zuerst eine trommelschlagende Combo von Baltis,<br />

dann eine unüberschaubare Gruppe von Medienvertretern mit Kameras, gespitzten<br />

Bleistiften, Live- Telefon-Anrufen nach Europa und vielen Fragen, dann die Scoiattoli<br />

und irgendwo inmitten des Trubels, anfänglich absolut nicht zu erkennen, Lino.<br />

Er trägt einen grossen Schlapphut, hat eine imposante und grosse Gestalt, wie er da<br />

so mit angemessenen Schritten zu unserem Esszelt schreitet. Unser Esszelt füllt und<br />

füllt sich, das Abendessen wird serviert und dann gibt sich inmitten des Getöses Lino<br />

Lacedelli ein Stelldichein, erhebt sich und spricht: „Grazie....“ Der Rest seiner Rede<br />

geht im Blitzlicht und Getümmel unter...<br />

Am nächsten Morgen ist er schon wie<strong>der</strong> weg, <strong>der</strong> Alltag nimmt im Basislager<br />

Ueberhand und <strong>der</strong> Rausch von Geschichtsbewusstsein flaut allmählich wie<strong>der</strong> ab.<br />

24.8.04 Aufbruchstimmung<br />

Ich weiss, vier Tage sind ins nichts verschwunden...es sind genau jene Tage des<br />

Wartens auf den richtigen Zeitpunkt <strong>zum</strong> Durchstarten am <strong>Berg</strong>. Die sogenannte<br />

Kehrseite <strong>der</strong> Medaille. Das Loch des sich Ergebens in die Situation, in das man<br />

taucht, solange <strong>der</strong> Startschuss noch nicht gefallen ist. Ein herumbalancieren im<br />

Basislager zwischen Wetterberichten und definitivem Entscheid <strong>zum</strong> Start. Eine<br />

Chance haben wir und vielleicht gibt uns das Wetter im Karakorum genau diese.<br />

Aleister Crowley <strong>der</strong> englische Anarchist und Okkultist beschwerte sich bereits 1902<br />

bei einem Besteigungsversuch am <strong>K2</strong> über das Wetter, denn die <strong>Expedition</strong>sgruppe<br />

hatte von den 68 Tagen die sie auf dem Baltoro-Gletscher und am <strong>K2</strong> verbracht hatte<br />

insgesamt nur 8 Schönwettertage,mit den Worten: "Das Klima war ziemlich<br />

gewöhnlich - nämlich schrecklich.“<br />

Der Morgen weckt uns mit Sonne und mit einer Aufregung in <strong>der</strong> Luft,<br />

welche etwas erhahnen lässt...<br />

Gipfelsymphonie – Partitur 1 - Später Start<br />

...Bis anhin machen wir Aleister Crowley und seiner Crew mächtig Konkurrenz in<br />

Sachen Wetter.


Doch <strong>der</strong> Morgen des 24.7.04 weckt uns mit Sonne, und es liegt eine Aufregung in<br />

<strong>der</strong> Luft, welche den Übergang von Intuition zur Tätigkeit unmissverständlich anzeigt.<br />

Ein letzter Blick auf die Meteonews und die Entscheidung ist gefallen: Wir starten.<br />

Und bevor wir uns richtig bewusst werden, dass es jetzt los geht und es bereits<br />

fortgeschrittener Morgen ist (10 Uhr), ist die erste Gruppe mit Hannes, Mario Dibona,<br />

Renzo, Davide, Marco Anghileri, Marco Da Pozzo, Renato, Thilan Sherpa, Mingma<br />

Sherpa, Hassan und mir nun gestartet. 10 Stunden Aufstieg ins Lager 2 liegen vor<br />

uns. Genug Zeit, um uns auf die nächsten Tage mental vorzubereiten, denn dieser<br />

Schnellstart vom Basislager hat vorläufig nur mal die Beine in Aktion gesetzt. Das<br />

Hirn sitzt noch im Basislager und ist eigentlich auf einen faulen Tag im Dunstkreis<br />

des Basislagers eingestellt. Aber mit dem Rhythmus kommt <strong>der</strong> Nachmittag, wir<br />

haben Lager 1 bereits hinter uns gelassen, und <strong>der</strong> Abend bricht herein. Es ist völlig<br />

windstill geworden, und die sich ausbreitende Ruhe überträgt sich auf mich. Zum<br />

ersten Mal fühle ich eine Art Übereinstimmung zwischen mir und dem <strong>Berg</strong>.<br />

Der House-Kamin empfängt uns mit <strong>der</strong> Abenddämmerung, und im Schein <strong>der</strong><br />

Stirnlampe erreichen wir Lager 2. An diesem <strong>Berg</strong> ist es wichtig, in Etappen zu<br />

denken. Nur nicht zu weit nach oben <strong>zum</strong> Gipfel denken, das erhöht den Trieb nach<br />

unten. Also froh sein, dass man hier ist und sich auf die nächste Etappe - Lager 3 -<br />

konzentrieren. Es ist <strong>der</strong> 24. Juli 2004. Der erste Hochsommertag mit uns am <strong>Berg</strong><br />

verschwindet in <strong>der</strong> Nacht.<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 2 - Von Skalierungen und Zeltinseln<br />

Marco Anghileri fällt aus wegen Magenproblemen. So sind wir am nächsten Tag<br />

noch zehn, die <strong>zum</strong> Gipfel wollen.<br />

Ich persönlich habe die Etappe von Lager 2 zu Lager 3 auf einer Beliebtheitsskala<br />

von eins bis zehn auf eine <strong>der</strong> untersten Skalierungen gesetzt. Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

Die in Partitur 1 beschriebene wun<strong>der</strong>bare Übereinstimmung mit dem <strong>Berg</strong> ist im<br />

Nichts verschwunden. In diesem Zustand muss mein Etappendenken massiv auf die<br />

nächsten 20 Schritte verkürzt werden. Somit wird Lager 3 zu meinem heutigen Gipfel<br />

und als ich den Jümar für heute <strong>zum</strong> letzten Mal aus den Fixseilen nehme, ist die<br />

Vorstellung an den Aufstieg von morgen ein wachsen<strong>der</strong> Unsicherheitsfaktor mit<br />

vielen Unbekannten.<br />

Die Zelte in den jeweiligen Lagern werden nach einem langen, anstrengenden<br />

Aufstieg wie zu kleinen Inseln inmitten des Ozeans aus <strong>Berg</strong>, Ausgesetztheit, Kälte,


Wind, Sonne und Höhe. Nachdem man sich im Schlafsack eingebettet und den<br />

Kocher in Betrieb genommen hat, ist die <strong>Welt</strong> "da draussen“ in weite Ferne gerückt.<br />

Der Horizont reicht nun gerade ans Zelttuch und <strong>der</strong> gelegentliche Blick durch den<br />

Ausgang offenbart eine Umgebung, die weit weg ist vom Hier und Jetzt <strong>der</strong> Zeltinsel.<br />

Ein weiterer Hochsommertag im Karakorum, <strong>der</strong> 25. Juli 2004, geht dem Ende zu.<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 3 – Neuland und fast verhängnisvoller Wind<br />

Der Wind hat wie<strong>der</strong> zugenommen. Ich erwache in <strong>der</strong> Nacht, unsere Zeltinsel ist<br />

<strong>zum</strong> knatternden Wrack geworden. Es bleibt nur noch die Möglichkeit, sich in den<br />

Schlafsack zurückzuziehen und sich noch weiter von <strong>der</strong> <strong>Welt</strong> abzukapseln, in <strong>der</strong><br />

Hoffnung, dort etwas Ruhe zu finden. Ich schlafe weiter und nur hie und da flattert<br />

eine beson<strong>der</strong>s heftige<br />

Windböe durch mein Bewusstsein.<br />

Am Morgen, beim Blick in die Sonne, ist das alte Hochgefühl wie<strong>der</strong> da. Ich weiss es,<br />

diesmal wird es klappen, wir sind bereits weit oben. Warum auch sollte es nicht noch<br />

weiter nach oben gehen. Weit unter mir die grossen Eisströme, die irgendwie zu<br />

wachsen scheinen, je länger ich hinschaue. Der Godwin Austen-Gletscher zieht sich<br />

einer Riesenschlange gleich Richtung Konkordiaplatz, wo er sich mit dem Abruzzi<strong>zum</strong><br />

Baltoro-Gletscher vereinigt. Vor mir liegt <strong>der</strong> Broad Peak als Koloss und weit hinten<br />

verlieren sich die <strong>Berg</strong>e im Dunst. Von dort sind wir gekommen - vor langer Zeit - wie<br />

mir scheint. Ein weiterer Blick auf den Alltag des Gletschermoränen- und<br />

Basislagerlebens lässt mich<br />

aufschrecken. Endlich habe ich mich aus meinen Gedanken geschält und bewege<br />

mich. Entschlossen stehe ich auf, nehme den Rucksack und mache ein paar Schritte<br />

nach oben.<br />

Lei<strong>der</strong> fällt auch heute jemand weiteres aus: Davide - auch ihm hat <strong>der</strong> Magen einen<br />

Streich gespielt und so sind wir noch <strong>der</strong>en neun, die Richtung Gipfel gehen.<br />

Aus den paar Schritten nach oben werden mehr und mehr, und bereits befinden wir<br />

uns auf ca. 7700 Metern, als ich zur vereinbarten Zeit - nämlich 12 Uhr mittags - mit<br />

Kari Funkkontakt aufnehme: „Kari von Mischu - Antworten!“ und schon ist mein<br />

Daunenhandschuh weg. Dort


treibt er wie Strandgut im Wind, um sich dann in die Tiefen <strong>der</strong> Flanken des <strong>K2</strong> zu<br />

verlieren. Die Befestigung des Handschuhs an meinem Daunenanzug hat sich<br />

irgendwie gelöst. Komischerweise nehm ich’s gelassen, schaue dem Handschuh<br />

nach und beginne bereits an die Finger zu frieren. Es gibt nichts an<strong>der</strong>es, als ins<br />

Lager 3 abzusteigen und zu<br />

hoffen, dass irgendwo noch Daunenhandschuhe <strong>zum</strong> Vorschein kommen. Im<br />

Sturmwind verabschiede ich die restliche Gruppe, die nun noch aus acht Personen<br />

besteht und mache mich auf den Weg nach unten. Keine Frustration kommt in mir<br />

auf - immer noch das Hochgefühl und die Sicherheit, dass ich auf dem Gipfel stehen<br />

werde. Während ich auf die<br />

zweite Gruppe mit Kari, Cedric, Joelle, Daniel, Mario Lacedelli und Lares warte, die<br />

einen Tag später gestartet ist, probiere ich mit Kari Funkkontakt zu bekommen, aber<br />

die Batterien sind tot und mein Hirn schaltet in dieser Höhe etwas langsamer und<br />

wohl aus diesem Grund habe ich vergessen, dass ich noch Batterien im Rucksack<br />

habe...<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 4 – Von Mondmenschen und Sauerstoff<br />

Dieser Tag hievt mich nun definitiv nach oben ins Lager 4 auf knapp 8000 Metern.<br />

Die kleine „Détour“ zurück ins Lager 3 hat mir ungewollt noch eine Nacht auf 7300<br />

Metern gebracht und dies war genau das Richtige für mich. Erstens habe ich ein paar<br />

gute Daunenhandschuhe<br />

ergattert und zweitens lege ich an diesem Tag mit viel Elan in Kopf und Beinen die<br />

ca. 700 Höhenmeter zurück, welche <strong>zum</strong> Lager 4 führen.<br />

Auch in <strong>der</strong> zweiten Gruppe haben wir Verluste: Joelle kämpft mit <strong>der</strong> Höhe. Das<br />

etwas aufgedunsene Gesicht lässt nichts Gutes erahnen. Sie bleibt zurück - mit dem<br />

Wehmutstropfen, jedenfalls ins Lager 3 gelangt zu sein.<br />

Lager 4 empfängt mich mit den ersten Gipfelgängern. Wie leblose Mondmenschen<br />

sehen sie aus, wie sie in ihren Daunenanzügen da sitzen, sichtlich gezeichnet vom<br />

Gipfelgang. Hannes hat es geschafft, als 9. Schweizer auf dem Gipfel des <strong>K2</strong> zu<br />

stehen, und seine bereits legendäre Helm–Stirnlampen–Kombination hat ihm<br />

tatkräftig dabei geholfen.


Nun kommt <strong>der</strong> Entscheid vom Sauerstoffgebrauch. Viel diskutiert und als „Tod am<br />

Unmöglichen“ bezeichnet (Zitat Messner), scheidet er die Geister und zeichnet ein<br />

manichäisches <strong>Welt</strong>bild, welches unterscheidet zwischen „Gut und Böse“.<br />

Ich habe mich bereits im Voraus entschieden für zusätzlichen Sauerstoff. Es ist das<br />

erste Mal, dass ich an einem „hohen“ Achttausen<strong>der</strong> bin. Zuerst will ich mich an die<br />

Höhe herantasten. Ich will diesbezüglich kein Risiko eingehen. "By fair men’s“ - ohne<br />

"englische Luft“ - ist und bleibt für mich ein Ideal, d.h. aber nicht, dass <strong>der</strong> Sauerstoff<br />

deswegen <strong>zum</strong> Schlechten gezählt werden muss. Vielmehr scheint mir die klare<br />

Kommunikation um den Gebrauch zusätzlichen Sauerstoffs im Vor<strong>der</strong>grund zu<br />

stehen, was bei zahlreichen<br />

<strong>Expedition</strong>en lei<strong>der</strong> etwas unterzugehen scheint.<br />

Der letzte ganze schöne Hochsommertag - insgesamt <strong>der</strong> sechste im Karakorum<br />

während unserer Zeit am <strong>K2</strong> - neigt sich dem Ende zu. Es ist <strong>der</strong> 27.7.2004.<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 5 – Teil Eins: Das ewige Gewinde bis <strong>zum</strong> Ende...<br />

Gipfel<br />

12 Uhr nachts wollen wir starten. Davor endet das Gesumme des Kochers fast nicht.<br />

Ich koche so vor mich hin, esse den Speck von Kari weg, während er vor sich<br />

hindöst. Die Zeit fliesst förmlich vor sich hin: Ich sehe vor meinem inneren Auge eine<br />

Sanduhr, in welcher sich im unteren Teil ein <strong>Berg</strong> anhäuft, <strong>der</strong> aussieht wie <strong>der</strong> <strong>K2</strong>.<br />

Ein sicheres Zeichen, dass die Zeit unwi<strong>der</strong>stehlich läuft.<br />

Aber dann übermannt auch mich <strong>der</strong> Schlaf für kurze Zeit, nachdem auch meine<br />

Füsse endlich warm geworden sind.<br />

Um 22 Uhr beginnt das Kochen wie<strong>der</strong>. Eine Ladung Peronin – Powernahrung mit<br />

Vanille-Geschmack füllt meinen im Moment wirklich nicht hungrigen Magen.<br />

Wenn an diesen hohen <strong>Berg</strong>en genügend Details zusammenkommen, welche gegen<br />

einen Gipfelgang sprechen, dann wird die Gasammtsumme des Negativen rasch<br />

einmal zu gross, um einen Gipfelgang zu verunmöglichen. So ergeht es Kari: Er ist<br />

nicht in Form. Zu viele Einzelteile stimmen nicht zusammen. Irgendwie ist seine<br />

Motivation im Schlafsack<br />

verschwunden. Sein zerknittertes Gesicht spricht Bände. Vielleicht belastet ihn <strong>der</strong><br />

letztjährige Unfall am <strong>K2</strong> noch. Zudem gibt’s Probleme mit Sauerstoffflaschen und –


masken. Jedenfalls zieht er sich zurück vom Gipfelversuch, überlässt den Sauerstoff<br />

einem seiner Gäste und koordiniert den Gipfelgang von Lager 4 aus.<br />

Ich bin schnell bereit, <strong>der</strong> Daunenanzug sitzt, auch die Steigeisen habe ich<br />

festgezurrt. Die Sauerstoffmaske sitzt. Irgendwie komme ich mir vor, wie ein<br />

Schnorcheltier. Mit <strong>der</strong> Maske auf dem Gesicht und <strong>der</strong> Skibrille auf <strong>der</strong> Stirn - bereit,<br />

sie beim ersten Sonnenstrahl vor die<br />

Augen zu schieben.<br />

Daniel, Cedric, Mario, Lares, Mahmad und Nim Dorjee sind auch bereit. Wir starten<br />

und ich bin überrascht, wie gut ich heute in Form bin. Meine ganze Energie habe ich<br />

konzentriert auf heute, auf diesen Zeitpunkt X, den Punkt <strong>zum</strong> Durchstarten. Ständig<br />

habe ich das Gefühl,<br />

dass meine Sauerstoffflasche sich zu schnell entleert. Ich drehe auf 1 Liter/min<br />

zurück und bin beruhigt und sicher, dass es bis auf den Gipfel reicht.<br />

Nun beginnt das ewige Gewinde. Aufwärts geht es im Takt von Atmen – Schritt –<br />

Atmen. Das Gewinde dreht sich langsam nach oben. Ich mache praktisch keine<br />

Pausen. Weit unter mir sehe ich die Lichter <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en und seitlich von mir hängt<br />

ein Vollmond am Himmel, <strong>der</strong> gross und unheimlich bleiern auf mich herabscheint.<br />

Jetzt bin ich bereits ungefähr auf <strong>der</strong> Höhe, auf <strong>der</strong> Bonatti und ein Hunza-Träger<br />

biwakiert haben, als sie bei <strong>der</strong> ersten Besteigung 1954 den Gipfelmännern<br />

Compagnoni und Ladecelli Sauerstoffflaschen gebracht haben. Am Anfang des<br />

„Flaschenhalses“ (bottleneck) stecke ich bereits tief drin in <strong>der</strong> "Todeszone“, wie das<br />

R. M. bezeichnen würde, und fühle<br />

mich voll im Saft. Diejenige Zone nämlich, in <strong>der</strong> ein längeres Überleben unmöglich<br />

wird. Auf das Biwak <strong>der</strong> zwei von anno da<strong>zum</strong>al kann und muss ich heute verzichten,<br />

denn bereits hat mich die Wolke oberhalb von mir in Anspruch genommen. Bei<br />

genaueren Hinschauen erkenne ich statt dieser vermeintlichen Wolke, die wie riesige<br />

Zuckerwatte über mir hängt, den gigantischen Serac, unter dem meine Route<br />

hinaufzieht. Den Kopf ganz in den Nacken gedrückt sehe ich nach oben und vom<br />

Atmen–Schritt–Atmen-Gewindedrehen verbleibt mir nur <strong>der</strong> Atem, <strong>der</strong> ebenfalls zu<br />

stocken beginnt!<br />

Eine ganze Weile muss ich wohl stehen geblieben sein, dann kommt intuitiv wie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Aufwärtsgang und somit wie<strong>der</strong> die Normalität des Atmen–Schritt-Atmens... aber<br />

das Bild dieser riesigen Zuckerwatte, die da so über mir hängt, bleibt haften.


Das Gewinde dreht sich weiter. Bereits bin ich durch den Quergang unter dem<br />

Eiswulst durch, befinde mich in den Gipfelhängen und sitze bereits um 5 Uhr 30 in<br />

einem kleinen Sattel ca. 200 Meter unter dem Gipfel. Alleine mit <strong>der</strong><br />

hereinbrechenden Morgendämmerung, gedenke ich auf die an<strong>der</strong>en zu warten. Aber<br />

sie sind nirgends zu entdecken.<br />

Mit dem Teetrinken trifft die Sonne die ersten Hänge des <strong>K2</strong>. Die Flanken beginnen<br />

zu leben und eine gewisse Wärme durchdringt mich. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite hängt<br />

nun bleich und verblassend <strong>der</strong> Mond. Seine Zeit ist abgelaufen. Während Stunden<br />

hat er mir nun sein fahles Licht zugesandt und die Eiswelt um mich herum zu<br />

erkennen gegeben. Ihm ist denn auch das Bild <strong>der</strong> ominösen Zuckerwatte zu<br />

verdanken.<br />

Die Wärme <strong>der</strong> Sonne zieht mich nach oben <strong>zum</strong> höchsten Punkt dieser magischen<br />

Formel <strong>K2</strong>.<br />

Ein steiler Grat - rechts eine Flanke und links das Nichts bis hinab <strong>zum</strong> Basislager -<br />

folgt nun. Stellenweise ist <strong>der</strong> Firn nun hart und Steigeisen und Pickel kommen richtig<br />

<strong>zum</strong> Einsatz. Zähflüssig wird das Vorwärtskommen, die Zeit scheint still zu stehen<br />

und <strong>der</strong> Gipfelhang ohne Ende. Immer wie<strong>der</strong> ein Aufschwung, und dann ist das<br />

scheinbar<br />

ewige Gewinde zu Ende - <strong>der</strong> Gipfel erreicht!<br />

Da stehe ich nun, knapp sieben Stunden nach Aufbruch von Lager 4 ganz alleine auf<br />

dem <strong>zweithöchsten</strong> aller Gipfel unseres Planeten. Laut Statistik <strong>der</strong> 10. Schweizer<br />

auf diesem Punkt. Ich schalte den Funk ein und melde irgendetwas in den Äther,<br />

worauf – Knack! - Karis Stimme aus dem irgendwo mir via Funk entgegenkrächzt...<br />

Alles fällt von mir ab und aus meinem inneren quellen Emotionen, welche sich in<br />

meinen Augen zu Tränen verwandeln. Bis jetzt war alles auf Funktionieren gestellt.<br />

Ausgerichtet auf den höchsten Punkt. Keine Zeit <strong>zum</strong> Denken, son<strong>der</strong>n nur ein Ziel,<br />

ein Fokus. Und jetzt das! Wow! Irgendwie keine Gravitation mehr. Ich sitze und ziehe<br />

meine Maske ab, schaue und sehe eines <strong>der</strong> eindrücklichsten und auch<br />

unwirklichsten Panoramen, die ich je gesehen habe. Wohl dreihun<strong>der</strong>t Kilometer weit<br />

ist die Sicht und tief unten - durch farbige Punkte angedeutet - liegt das Basislager in<br />

leichtem Dunst. Hie und da liegen kleine Quellwolken in<br />

<strong>der</strong> Atmosphäre unter mir. Unweigerlich frage ich mich, in welcher...sphäre ich nun<br />

sitze, da erscheint <strong>der</strong> Spanier Inaki Ochoa und wir widmen uns <strong>der</strong> Gipfelzeremonie.


Er ist <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> in diesem Moment einen lebendigen Bezugspunkt zu mir<br />

bildet... wir umarmen uns an diesem einmaligen und abgelegenen Punkt in genau<br />

dem Wissen, dass dieser Augenblick unvergesslich sein wird.<br />

Mahmad, unser pakistanischer Hochträger, schafft es als sechster Pakistani, den<br />

Gipfel des <strong>K2</strong> zu erreichen. Vor mir schwingt die grüne Pakistanflagge und <strong>der</strong><br />

weisse Halbmond tanzt mir vor den Augen. Dahinter drängt mich die aufgeregte<br />

Stimme von Mahmad: „Picture please!“.<br />

Mario Lacedelli und Lares erreichen nun den Gipfel. Es ist 9 Uhr 45.<br />

50 Jahre nach Lino Lacedelli hat es also wie<strong>der</strong> ein Lacedelli geschafft: sein Neffe<br />

Mario.<br />

Bereits sitze ich über drei Stunden auf dem fast windstillen <strong>zweithöchsten</strong> Punkt<br />

dieser Erde.<br />

Wann bin ich wohl jemals so lange auf einem Gipfel geblieben? Ich kann mich<br />

wirklich nicht erinnern...<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 5 – Teil Zwei: Demonstration <strong>der</strong> Kehrseite<br />

10 Uhr: Der Wind hat schlagartig zugenommen. Von China her zieht es innert 10<br />

Minuten Schleierwolken über den Gipfel. Langgezogen und ergonomisch zieht es sie<br />

über den Gipfel hinweg. Wie wilde Tatzen greifen die Wolken nach Pakistan hinein.<br />

Meine innere Warnsignallampe leuchtet bereits, da erscheint noch Cedric. Er steckt<br />

eine Schweizerfahne in die Gipfelkuppe und schaut ins grosse, weisse Nichts. Die<br />

Wolken sind bereits seriös eingefahren.<br />

Jetzt noch Daniel. Mit ihm ist die Sicht auf ein Minimum gesunken und <strong>der</strong> Wind<br />

nimmt ständig zu. Aber auch er hats geschafft!<br />

Jetzt nichts als abhauen hier oben. Ein letzter Blick auf die Stätte, an welcher ich 3<br />

1/2 Stunden meines Lebens verbracht habe. Eine unvergessliche Zeit an einem sehr<br />

ungewöhnlichen Ort, ein 3 1/2-stündiger Ausnahmezustand, sozusagen.<br />

Eingeklemmt zwischen Himmel und Erde dümpelnd, in einem Zustand, an dem ich<br />

noch Wochen später<br />

herumstudiere werde, wie und was es denn genau gewesen ist (ein Hoch dem O2-<br />

Mangel!).<br />

Zum Teil vor und <strong>zum</strong> Teil rückwärts steigen wir nun wie<strong>der</strong> in den kleinen Sattel ab.


Mario und Lares haben beim Aufstieg alles gegeben und sind beim Abstieg völlig am<br />

Ende.<br />

Jetzt heisst es nur nicht hetzen, sonst wird es gefährlich. Wir beginnen mit Absteigen<br />

und Abseilen. Immer weiter ins weisse, stürmische Nichts hinein. Keine Sicht, dafür<br />

Fixseile und immer wie<strong>der</strong> ein Tritt ins Leere. Beson<strong>der</strong>s die Traverse unter dem<br />

Eiswulst wird <strong>zum</strong><br />

Eiertanz und zur Gleichgewichtsübung über dem Abgrund. Dann eine ewig lange<br />

Abseilerei im bottleneck, um am Ende im totalen "witheout“ zu stecken. Eine gewisse<br />

Hektik macht sich über Funk breit. Bereits haben sich einige Andalusier und ein<br />

Russe scheinbar im Nebel auf dem etwas flacheren Teil <strong>der</strong> sogenannten Schulter<br />

verloren. Zum Glück stecken ab hier Fähnlein im Schnee und auch <strong>der</strong> Nebel lichtet<br />

sich ab und zu, so dass wir immer bei etwas besserer Sicht weiter Richtung Lager 4<br />

vordringen. Im schlimmsten Fall hätte Cedric noch ein GPS, in welchem er bereits<br />

festgelegte Punkte programmiert hat. Vor Lager 4 empfängt<br />

uns Kari, sichtlich froh, dass uns nichts passiert ist sowie Nim Dorjee, <strong>der</strong> den<br />

Gipfelversuch abgebrochen hat.<br />

Der letzte Hochsommertag während unserer Zeit im Karakorum endet mit einem<br />

Sturm. Es ist <strong>der</strong> 28.7.2004.<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 6 – Von Sardinenbüchsen und Liveberichten aus<br />

dem Sturm<br />

Mitten in <strong>der</strong> Nacht schrecke ich auf. Im Halblicht bietet sich mir ein Szenario,<br />

vergleichbar mit einer Büchse voller Sardinen. Die Sardinen sind wir: nämlich Cedric,<br />

Daniel, Mario, Lares, ich und vier Andalusier. Die Büchse ist ein Kuppelzelt, das als<br />

einziges noch in Lager 4 zurückgeblieben ist.<br />

Wir haben uns entschlossen, im Lager 4 zu bleiben, weil Mario und Lares nach dem<br />

Gipfelgang sichtlich am Ende den weiteren Abstieg nicht mehr geschafft hätten.<br />

Neun Personen, welchen die Anstrengung des Tages noch in den Beinen sitzt, acht<br />

dünne Schlafsäcke, ein Zelt auf ca. 8000 Metern und draussen Nebel und stetiger<br />

Schneefall.<br />

Ich ziehe meine Füsse unter einem Haufen Beine hervor und beginne sie zu<br />

massieren. Langsam dringt in mein Hirn die Sorge, dass <strong>der</strong> stetige Schneefall uns<br />

noch <strong>zum</strong> Verhängnis werden könnte. Durst überfällt mich und gleichzeitig bin ich


doch zu träge, auch nur irgendeine Aktion zu starten. Ich lege mich zurück ins<br />

Getümmel und döse ein...<br />

Ätzend langsam beginnen wir am Morgen mit Wasserkochen und <strong>der</strong> Aufbruch zieht<br />

sich dahin wie eine Teigmasse. 30 - 40 cm tiefer Neuschnee begleitet uns beim<br />

Abstieg und unsere Beine wühlen, während unsere Lungen langsam wie<strong>der</strong> in<br />

Betrieb kommen.<br />

Lager 3 haben wir bereits passiert, die Abseilerei geht nun, trotz immer stärker<br />

werdendem Sturm, rassiger vorwärts.<br />

Ich habe den Funk eingeschaltet und hänge gerade irgendwo in <strong>der</strong> schwarzen<br />

Pyramide, inmitten des Sturms. Von oben fallen Pulverschneelawinen über mich und<br />

von unten bläst <strong>der</strong> Wind mir Schnee ins Gesicht. Etwas ungemütlich, finde ich, und<br />

hänge den Abseilachter<br />

um ins nächste Seil, als mir das Steigeisen abfällt und am Fuss herumhängt.<br />

Da höre ich Karis Stimme im Funk, wie er sich von Wolfgang, einem Journalisten des<br />

Magazins "Stern“ im Basislager mit den Worten verabschiedet: "Hier unten ist das<br />

Wetter nun viel besser, die Situation hat sich beruhigt.“<br />

"Scheisse“ murmle ich vor mich hin. Wenn die sehen könnten, wie wir hier oben im<br />

Sturm herumturnen. Das Steigeisen hat sich nun gänzlich von meinen Schuh<br />

verabschiedet und meine Skibrille ist so angelaufen, dass meine Sicht in die<br />

Aussenwelt einer Nebelwand gleicht. Ich kann mir nicht verklemmen, Wolfgang einen<br />

kurzen Livebericht durch den Äther<br />

zu geben, nur so um zu klarzustellen, wie es ein bisschen weiter oben aussieht...<br />

Lager 2 wird zur Endstation für heute. Ich bleibe mit Mario und Lares noch eine<br />

weitere Nacht am <strong>Berg</strong>, währenddessen die an<strong>der</strong>en weiter Richtung Basislager<br />

vordringen.<br />

Gipfelsymphonie - Partitur 7 – Basislager<br />

Nochmals die Entdeckung <strong>der</strong> Langsamkeit, das systematische Eines-nach-dem-<br />

An<strong>der</strong>en. Keinen Fehler machen und Schritt für Schritt, Meter für Meter nach unten.<br />

Kontrolle ist besser. Jede Verankerung <strong>der</strong> Fixseile wird nochmals kontrolliert,<br />

eingehängt und abgeseilt.


Der "House Kamin“ ist bereits Geschichte, in weite Ferne gerückt. Lager 1 nur noch<br />

eine Reflexion im Hirn und das Deposit Camp bleibt in Erinnerung, weil dort kühles<br />

Coca-Cola durch meine völlig ausgetrocknete Kehle floss. Der Weg über den<br />

Gletscher <strong>zum</strong> Basislager<br />

bleibt nur zurück, weil er so an<strong>der</strong>s ausgesehen hat als das erste Mal, als ich ihn<br />

zurückgelegt habe...<br />

Wir sind zurück!<br />

Ein Empfang mit vielen Facetten!<br />

"Home, sweet Home“: das Basislager, unser Zuhause hat uns wie<strong>der</strong> und mein<br />

"Zimmer“ auf Geröll steht nur wenig schräger in <strong>der</strong> Landschaft. Ein Zeichen, dass<br />

eine Woche vergangen ist.<br />

4.8.04 Skardu<br />

Ich stehe am gleichen Ort, wo ich bereits fast zwei Monate zuvor gestanden habe.<br />

Vor mir die grandiose Lagunenlandschaft und <strong>der</strong> sich darin windende Indus und<br />

über mir die Milchstrasse. Hinter uns liegt ein dreitägiger Marsch aus dem Baltoro<br />

über den Ghondogoro–Pass und eine an sich noch mo<strong>der</strong>ate Jeep-Fahrt durchs<br />

Hushe-Tal.<br />

Zurück bleibt nebst vielen neuen Eindrücken <strong>der</strong> Empfang in Kanday, dem Wohnort<br />

von Mahdi.<br />

Ein grosser Teil des Dorfes hatte sich versammelt und als wir mit den Jeeps im Dorf<br />

einfuhren, skandierte die versammelte Menge: „Gongratulation, gongratulation Koblar<br />

Group, Koblar, Koblar...wobei interessanterweise das "e“ in Kobler <strong>zum</strong> "a“<br />

umfunktioniert<br />

wurde...Koblar... und weiter unten - kurz vor Skardu - fanden wir uns in einer Kolonne<br />

von Jeeps wie<strong>der</strong>, vornab ein grosses Plakat, wie<strong>der</strong>um: Koblar, Koblar.<br />

Eine Synthese aus Beziehungen von Madhi im Hushetal, guten Löhnen an alle<br />

Mitarbeiter während <strong>der</strong> <strong>Expedition</strong>en und zwischendurch finanzielle Unterstützung<br />

an die Bewohner von Kanday, haben Kari weit über das Hushe-Tal hinaus zu einer<br />

robusten Institution Koblar werden lassen. Koblar ist und bleibt...<br />

Im Rausche <strong>der</strong> Festerei fuhren wir dann in Skardu ein.


Der Kreis hat sich geschlossen. Wir sind wie<strong>der</strong> an unseren Ausgangspunkt gelangt,<br />

nach fast zwei Monaten Gletscherleben auf Moränenhügeln nun wie<strong>der</strong> sattes Grün<br />

und die Annehmlichkeiten <strong>der</strong> Zuvilisation. Und dennoch möchte ich das Erlebte nie<br />

missen. Im<br />

Nachhinein wird das Vergangene, das Erlittene, das Unangenehme, das<br />

Anstrengende und das viele Schöne zu einem einzigen, unglaublich schönen,<br />

unvergesslichen und traumhaft intensiven Erlebnis <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>klasse.<br />

Dank gebührt Hannes Blaser für seine Korrekturen und <strong>der</strong> Bevölkerung des Hushe-<br />

Tals für Karis neuen Nachnamen: Koblaaaaaaar.<br />

Er passt! (Mischu Wirth).<br />

Karimabad (Hunza): Berichterstattung im Abendlicht beendet, Mischu Wirth.<br />

7.8.04 Nachspiel o<strong>der</strong> das Pünktchen auf dem i<br />

Wer etwas geleistet hat, dem gebührt auch ein rechter Lohn.<br />

Wir verschwinden von Skardu Richtung Hunza Valley nach Karimabad, um dort die<br />

letzten Tage zu verbringen. Kari hat nicht zu viel versprochen. Hier oben tauchen wir<br />

in eine an<strong>der</strong>e <strong>Welt</strong>. Als Höhepunkt und Schlusspunkt unserer <strong>Expedition</strong> werden wir<br />

abends ins bekannte 750 jährige Baltitfort <strong>zum</strong> Nachtessen geladen. Früher haben<br />

dort die Mir (Könige) des Hunza gewohnt und ihre Galadinners <strong>zum</strong> besten gegeben,<br />

heute sind wir dran.<br />

Hochgelegen über dem Tal ist das Fort gelegen, mit einer Aussicht und einem<br />

Tiefblick. Als wir am eingang des Forts stehen, streifen die letzten Sonnenstrahlen<br />

die umliegenden <strong>Berg</strong>e.<br />

Der Eingang ist das Tor <strong>zum</strong> Anfang von „Tausend und eine Nacht“.<br />

Nach einer Führung werden wir verführt in die kulinarischen Höhepunkte <strong>der</strong> hiesigen<br />

Gegend.<br />

Hoch oben thronen wir, sitzen auf purpurnen Kissen mit einer unvergesslichen<br />

Aussicht auf das nächtliche Tal und bedienen uns an einem Buffet, dass wirklich<br />

nichts zu wünschen übrig lässt.


Langsam und mit Lust essen wir uns durch Vorspeise, Hauptspeise und Dessert um<br />

dann mit wun<strong>der</strong>baren frischen Früchten weiter zu fahren um dann wie<strong>der</strong> von vorne<br />

zu beginnen...<br />

Derweil spielt spielt sanft eine Sitar und Hunza’s altes Liedgut wird <strong>zum</strong> Besten<br />

gegeben.<br />

Tausend und eine Nacht ist nun ganz eingetroffen.<br />

Umsorgt und bedient, bespielt und gesättigt, werden wir nun gebeten, unter freiem<br />

Himmel den Kaffe o<strong>der</strong> Tee zu geniessen. Die Musik begleitet uns nach draussen,<br />

und ehe wir uns versehen, sind wir inmitten von <strong>der</strong>wischähnlichen Tänzen gelandet.<br />

Als erster Höhepunkt reitet unser <strong>Expedition</strong>sleiter zu den Rhytmen <strong>der</strong> Trommel<br />

<strong>zum</strong> Tanze, und als zweiter Höhepunkt gibt ein Hunza einen Schwerttanz <strong>zum</strong><br />

Besten mit einer <strong>der</strong>massen geschickten Behändigkeit, dass die Zeit still zu stehen<br />

scheint.<br />

Langsam landen wir auf unseren fliegenden Teppichen wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Abend ist bereits<br />

fortgeschritten. Tausend und eine Nacht entlässt uns und schreitet <strong>zum</strong> Ausklang...

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