Ingrid Rinesch. - Universität Klagenfurt
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<strong>Ingrid</strong> <strong>Rinesch</strong><br />
„Erlebnisperspektiven von ProduktionsarbeiterInnen.<br />
Arbeitsbelastungen, Ressourcen und die Frage nach dem Sinn<br />
der Arbeit“<br />
DIPLOMARBEIT<br />
Zur Erlangung des akademischen Grades<br />
Magistra der Philosophie<br />
Diplomstudium<br />
Psychologie<br />
Alpen-Adria <strong>Universität</strong> <strong>Klagenfurt</strong><br />
Fakultät für Kulturwissenschaften<br />
Begutachter: O. Univ.-Prof. Mag. Dr. Klaus Ottomeyer<br />
Institut: Psychologie<br />
November 2010
Ehrenwörtliche Erklärung<br />
Ich versichere:<br />
dass ich die Diplomarbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen<br />
und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient<br />
habe.<br />
dass ich dieses Diplomarbeitsthema bisher weder im In- noch im Ausland (einer<br />
Beurteilerin/ einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als<br />
Prüfungsarbeit vorgelegt habe.<br />
dass diese Arbeit mit der vom Begutachter beurteilten Arbeit übereinstimmt.<br />
------------------------------ ------------------------------<br />
Datum Unterschrift<br />
I
Vorwort<br />
Das Thema: „Fabrikarbeit“, habe ich faszinierend gefunden, da ich selbst aus einer<br />
Arbeiterfamilie stamme. Schon in meiner Kindheit wollte ich wissen, wie es in<br />
Fabriken aussieht und welche Arbeiten dort verrichtet werden. Im Alter von 18 Jahren<br />
habe ich als Fließbandarbeiterin erstmals selbst Einblicke in den Bereich der<br />
Produktionsarbeit gewonnen.<br />
Während meines Studiums bin ich in den Sommerferien zweimal in einer anderen<br />
Fabrik als “Ferialarbeiterin” beschäftigt gewesen und habe dort Gruppen- und<br />
Einzelarbeitsplätze kennen gelernt. Aufgrund dieser Erfahrungen ist die Idee<br />
entstanden, mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit der Situation von ungelernten<br />
ProduktionsarbeiterInnen zu beschäftigen.<br />
Dabei hat mich primär das subjektive Erleben interessiert: Wie erlebe ich selbst die<br />
Arbeitssituation und wie erleben andere diese Art von Arbeit? Gibt es typische<br />
Arbeitsbelastungen? Welche positiven Aspekte können ProduktionsarbeiterInnen<br />
ihrer Tätigkeit abgewinnen? Sehen sie über das Geld hinaus einen subjektiven Sinn<br />
in dieser Art von Arbeit, die tendenziell durch körperliche Belastungen, Monotonie<br />
und Zeitdruck gekennzeichnet ist?<br />
Ich danke Hr. Prof. Ottomeyer dafür, dass er mir die Gelegenheit gegeben hat, das<br />
Thema in Form einer Diplomarbeit aufzubereiten, und für seine Unterstützung.<br />
Meinen InterviewpartnerInnen bin ich dankbar für ihre Bereitschaft und Offenheit, mit<br />
mir über ihre Arbeitssituation zu sprechen. Ein besonderer Dank gebührt einem<br />
Vorgesetzten, er hat während meines Arbeitens im Betrieb B viel Freundlichkeit,<br />
Mitmenschlichkeit und Humor in den Arbeitsalltag gebracht. Ich danke meiner<br />
Schwester, Frau Mag. Eveline Reiter ganz besonders, für die Vermittlung von zwei<br />
InterviewpartnerInnen und für ihre wertvollen Hilfestellungen bei softwaretechnischen<br />
Fragen. Theresia Orda - Dejtzer und Luzia Mattmann sei Dank für das Korrekturlesen<br />
der Arbeit und weiters danke ich vielen FreundInnen, Verwandten und Bekannten für<br />
die aufmunternden Worte während der länger dauernden „Produktionsphase“ meiner<br />
Diplomarbeit.<br />
II
INHALTSVERZEICHNIS<br />
EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG ........................................................................................ I<br />
VORWORT .............................................................................................................................. II<br />
INHALTSVERZEICHNIS ......................................................................................................... III<br />
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ................................................................................................ VII<br />
LITERATUR- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS .................................................................. IX<br />
A: THEORETISCHER TEIL:<br />
1 EINLEITUNG ................................................................................................................... 1<br />
2 GESCHICHTE DER INDUSTRIEARBEIT ....................................................................... 4<br />
2.1 Vorformen.........................................................................................................................................5<br />
2.2 Der Übergang zur Fabrikarbeit...........................................................................................................8<br />
2.3 Die industrielle Revolution ................................................................................................................9<br />
2.3.1 Definition und Klassifikation.................................................................................................................9<br />
2.3.2 frühe Arbeitsbedingungen; Erlebnisperspektiven..............................................................................12<br />
2.3.3 Veränderungen im Zuge der Industrialisierung..................................................................................16<br />
2.3.4 Die Einführung des Fließbandes durch Henry Ford ............................................................................20<br />
2.3.5 Rationalisierung im tayloristischen System ........................................................................................22<br />
2.4 Geschichte des Widerstandes gegen die „neue Form der Arbeit“.....................................................26<br />
2.4.1 Vorindustrielle Protestaktionen .........................................................................................................26<br />
2.4.2 Konflikte in der industriellen Arbeitswelt: Strukturelle Ursachen......................................................27<br />
2.4.3 Phasen der Arbeiterkämpfe................................................................................................................27<br />
2.4.4 Wissenschaftliche Analysen von Karl Marx ........................................................................................32<br />
3 HUMANISIERUNG DER ARBEIT ................................................................................. 35<br />
3.1 Aufgabenwechsel (job rotation) ......................................................................................................36<br />
3.2 Aufgabenvergrößerung (job enlargement).......................................................................................37<br />
3.3 Aufgabenbereicherung (job enrichment) .........................................................................................38<br />
3.4 Gruppenarbeit.................................................................................................................................39<br />
3.5 Die Beziehung zu den Vorgesetzten .................................................................................................41<br />
3.6 Kritik an Humanisierungsmaßnahmen.............................................................................................43<br />
III
4 BELASTUNGSFAKTOREN IN DER HEUTIGEN INDUSTRIE ..................................... 45<br />
4.1 Begriffsbestimmung ........................................................................................................................45<br />
4.2 Geschichtlicher Rückblick ................................................................................................................46<br />
4.3 Das transaktionale Stressmodell......................................................................................................47<br />
4.4 Arbeitsbelastungen .........................................................................................................................50<br />
4.4.1 Belastungen durch die Art der Arbeit.................................................................................................51<br />
4.4.2 Arbeitsumfeldbelastungen .................................................................................................................55<br />
4.4.3 Die soziale Umgebung als Belastungsfaktor.......................................................................................59<br />
4.4.4 Belastungen durch organisatorische Bedingungen ............................................................................64<br />
4.4.5 Gesellschaftspolitische Belastungen/ Arbeitsplatzunsicherheit.........................................................66<br />
4.4.6 Personale Belastungsfaktoren............................................................................................................71<br />
4.5 Belastungsfolgen .............................................................................................................................71<br />
4.5.1 Allgemeine Belastungsfolgen .............................................................................................................71<br />
4.5.2 spezielle Belastungsfolgen: Ermüdung, Monotonieerleben und psychische Sättigung .....................75<br />
5 RESSOURCEN UND BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN ............................................... 78<br />
5.1 Definitionen und Klassifikationen relevanter Begriffe......................................................................79<br />
5.1.1 Das Konzept der Moderatorvariablen ................................................................................................79<br />
5.1.2 Arbeitszufriedenheit...........................................................................................................................80<br />
5.1.3 Ressourcen .........................................................................................................................................81<br />
5.1.4 Coping.................................................................................................................................................83<br />
5.1.5 Soziale Unterstützung.........................................................................................................................85<br />
5.2 Subjektive Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt .................................................................86<br />
5.2.1 Prädikation und Widerstand...............................................................................................................87<br />
5.2.2 Dramatisierung...................................................................................................................................87<br />
5.2.3 Entdramatisierung..............................................................................................................................88<br />
5.2.4 Intermittierende Szenarien ................................................................................................................89<br />
5.2.5 Eingefügte Selbstinszenierungen........................................................................................................90<br />
6 ARBEIT UND SINN ....................................................................................................... 91<br />
6.1 Begriffsklärung ................................................................................................................................91<br />
6.2 Allgemeine Bedeutung der Erwerbsarbeit für den Menschen ..........................................................93<br />
6.3 Die Dimensionen der Entfremdung bei Karl Marx ............................................................................94<br />
6.3.1 Entfremdung von den Produkten der Arbeit......................................................................................94<br />
6.3.2 Entfremdung vom Arbeitsprozess ......................................................................................................95<br />
6.3.3 Entfremdung von sich selbst ..............................................................................................................95<br />
6.3.4 Entfremdung von den Mitmenschen..................................................................................................96<br />
6.4 Neue Formen der Entfremdung .......................................................................................................96<br />
6.5 Subjektiver Sinn der Industriearbeit für die ArbeiterInnen...............................................................97<br />
6.5.1 Instrumentelle Arbeitseinstellung ......................................................................................................97<br />
6.5.2 Sinnfindung in der Arbeit – eine Frage der Einstellung? ....................................................................98<br />
6.5.3 ambivalente Arbeitseinstellung mit Momenten der Sinnfindung ....................................................100<br />
7 BESCHREIBUNG DES UNTERSUCHUNGSFELDES ............................................... 103<br />
IV
8 VERWENDETE FORSCHUNGSMETHODEN ............................................................ 105<br />
8.1 Methoden der Erhebung ...............................................................................................................105<br />
8.1.1 Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnung ........................................................................................105<br />
8.1.2 Leitfadeninterviews..........................................................................................................................108<br />
8.2 Auswertungsmethoden .................................................................................................................109<br />
8.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse ................................................................................................................109<br />
8.2.2 Szenisches Verstehen .......................................................................................................................111<br />
9 FORSCHUNGSERGEBNISSE: PERSÖNLICHE ERFAHRUNGEN ........................... 112<br />
9.1 Firma A..........................................................................................................................................112<br />
9.1.1 Zugang zum Forschungsfeld .............................................................................................................112<br />
9.1.2 Erleben der Arbeit ............................................................................................................................113<br />
9.1.3 Erleben des Arbeitsklimas ................................................................................................................116<br />
9.1.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen ...............................................................................................117<br />
9.1.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien............118<br />
9.1.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit .....................................................120<br />
9.1.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit .........................................................................................121<br />
9.2 Firma B..........................................................................................................................................121<br />
9.2.1 Zugang zum Forschungsfeld, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zwei Betriebe ...................121<br />
9.2.2 Erleben der Arbeit ............................................................................................................................122<br />
9.2.3 Erleben des Arbeitsklimas ................................................................................................................130<br />
9.2.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen ...............................................................................................136<br />
9.2.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien.............139<br />
9.2.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit .....................................................143<br />
9.2.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit .........................................................................................144<br />
9.3 Reflexion einzelner Szenen:...........................................................................................................145<br />
9.3.1 Szene 1: ............................................................................................................................................145<br />
9.3.2 Szene 2..............................................................................................................................................147<br />
9.3.3 Szene 3..............................................................................................................................................148<br />
9.3.4 Szene 4..............................................................................................................................................149<br />
10 FORSCHUNGSERGEBNISSE: LEITFADENINTERVIEWS ....................................... 151<br />
10.1 Ergebnisse der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse...................................................151<br />
10.1.1 Definitionen und Begriffseingrenzung.........................................................................................151<br />
10.1.2 Vorgehensweise...........................................................................................................................153<br />
10.1.3 Beschreibung der Ergebnisse aus den 6 Interviews.....................................................................157<br />
10.1.4 Querdarstellung...........................................................................................................................162<br />
10.2 Kernsätze aus den Interviews ........................................................................................................164<br />
10.2.1 Arbeiten über eine Leihfirma:......................................................................................................164<br />
10.2.2 Der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit..............................................................166<br />
10.2.3 Erleben der Arbeit........................................................................................................................168<br />
10.2.4 Das Arbeitsklima ..........................................................................................................................172<br />
10.2.5 Persönlicher Sinnbezug zur Arbeit...............................................................................................176<br />
10.2.6 Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben .............................................................................181<br />
10.2.7 Die Vergleichsperspektive ...........................................................................................................182<br />
11 ZUSAMMENFASSUNG ............................................................................................... 185<br />
V
12 SCHLUSSBETRACHTUNG: GEGENWÄRTIGE TRENDS VON<br />
PRODUKTIONSARBEIT ..................................................................................................... 192<br />
12.1 Die These der neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Produktionsarbeit ..................................192<br />
12.2 Veränderung der Anforderungen an LohnarbeiterInnen ................................................................194<br />
12.3 Parallelen von Produktionsarbeit zu Arbeiten außerhalb der Fabrik ..............................................196<br />
VI
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Die neuen Unübersichtlichkeiten innerhalb der Industriearbeit ____________________________ 2<br />
Abbildung 2: Transaktionales Streßmodell (nach Kaluza & Basler, 1991) ______________________________ 50<br />
Abbildung 3: Grundtypen der qualitativen und quantitativen Über-‐ und Unterforderung _________________ 54<br />
Abbildung 4: Klassifikation möglicher Stressfolgen nach Kaufmann, Pornschlegel & Udris, 1982 ___________ 73<br />
Abbildung 5: Belastungen, Beanspruchungen und Folgen__________________________________________ 79<br />
Abbildung 6: Klassifikation gesundheitsförderlicher Faktoren unter dem Ressourcen-‐Aspekt ______________ 82<br />
Abbildung 7: Einteilung unterstützender Fakoren ________________________________________________ 85<br />
Abbildung 8: Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring ____________________ 110<br />
Abbildung 9: zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse; Interview 1: Arbeitsbelastungen____________ 155<br />
Abbildung 10: Ergebnisse aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse: Interview 1 ____________________ 156<br />
Abbildung 11: Querauswertung: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und subj.<br />
Sinnerleben: Ergebnisse aus den 6 Interviews __________________________________________________ 164<br />
VII
A: Theoretischer Teil<br />
1 Einleitung<br />
Zu Beginn der Diplomarbeit stellt sich die Frage, ob die Thematik der<br />
IndustriearbeiterInnen heute noch aktuell ist. Weyrather (2003: 387) spricht von<br />
einem vorläufigen Ende des Interesses an der Erforschung des<br />
ArbeiterInnenbewusstseins. Minssen meint, dass die Bezeichnung<br />
„Industriegesellschaft“ (in Europa) nicht mehr aktuell sei:<br />
„Gesellschaft ist kaum noch allein über industrielle Produktion und Industriearbeit zu<br />
erklären. Zunehmend wird in Zweifel gezogen, ob moderne Gesellschaften<br />
überhaupt noch als Industriegesellschaften begrifflich angemessen zu erfassen sind;<br />
mittlerweile gibt es eine Vielzahl von konkurrierenden Angeboten, seien es nun die<br />
Risikogesellschaft, die Wissensgesellschaft, die Organisationsgesellschaft, die<br />
Erlebnisgesellschaft oder gleich die funktional differenzierte moderne Gesellschaft.<br />
[...]“ (Minssen, 2006, S. 15f.).<br />
Schumann spricht von einer „neuen Unübersichtlichkeit“ im Bereich der<br />
Industriearbeit. Wie die nachfolgende Grafik aus Schumann (2003: 73) zeigt, gibt es<br />
neben der Entwicklung von neuen Produktionskonzepten mit Entfaltungschancen für<br />
die ArbeiterInnen, in manchen Bereichen der Industriearbeit eine<br />
Rekonventionalisierung, in welcher alte Formen der entfremdeten Arbeit erneut an<br />
Aktualität gewinnen (vgl. Schumann, 2003, S. 72f.).<br />
1
Abbildung 1: Die neuen Unübersichtlichkeiten innerhalb der Industriearbeit<br />
Weyrather (2003: 388) sieht trotz des scheinbaren Endes der „Geschichte der<br />
Erforschung der ArbeiterInnen“ Herausforderungen für neue empirische Forschung:<br />
„Vielleicht wächst […] die Chance für eine bisher vernachlässigte empirische<br />
Forschung, die sich darauf konzentriert, Probleme wie die hohen gesundheitlichen,<br />
nervlichen und psychischen Belastungen, denen ungelernte Arbeiterinnen bei<br />
monotoner Fließband- und Akkordarbeit ausgesetzt sind, wissenschaftlich zu<br />
untersuchen und die Lösungsbedingungen für ‚alte’ Fragen wie Gesundheitsschutz<br />
im Betrieb, höhere Löhne, selbstbestimmte Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie zu reflektieren“ (Weyrather, 2003, S. 388).<br />
Die Arbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil untergliedert. Im<br />
theoretischen Teil wird zunächst auf die Geschichte der Industriearbeit eingegangen.<br />
Dabei werden vorindustrielle Arbeitsformen, die wichtigsten Phasen im Prozess der<br />
2
Industrialisierung und Protestaktionen der Arbeitenden im Zusammenhang mit der<br />
Industrialisierung, dargestellt.<br />
Es folgt eine Beschreibung wichtiger Humanisierungsbewegungen des 20.<br />
Jahrhunderts. Die drei zentralen Punkte der Diplomarbeit sind: Arbeitsbelastungen,<br />
Ressourcen und positive Aspekte der Industriearbeit sowie die Sinnfrage im<br />
Zusammenhang mit der konkreten Form von Arbeit.<br />
Im Kapitel 4 geht es um Arbeitsbelastungen, wie sie für den Bereich der industriellen<br />
Produktion typisch sind, sowie mögliche Belastungsfolgen. Kapitel 5 umfasst<br />
Ressourcen und Bewältigungsstrategien im Zusammenhang mit Industriearbeit,<br />
dabei werden relevante Begriffe geklärt. Anschließend wird das Konzept der<br />
subjektiven Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt vorgestellt. Es folgt die<br />
Auseinandersetzung mit dem Sinnkonstrukt im Kapitel 6, wobei zunächst allgemeine<br />
positive Aspekte der Arbeit an sich behandelt werden. Danach wird auf die<br />
Dimensionen der Entfremdung bei Marx eingegangen. Das Kapitel schließt mit der<br />
Auseinandersetzung über die subjektive Bedeutung der Industriearbeit für die<br />
Arbeitenden, es werden hierbei Sichtweisen verschiedener AutorInnen vorgestellt:<br />
die Annahme einer rein instrumentellen Arbeitseinstellung, Sinnfindung in der Arbeit<br />
als eine Frage der Einstellung (Csikszentmihalyi) und die Annahme einer<br />
ambivalenten Arbeitseinstellung (Becker – Schmidt u.a.).<br />
Die zentrale Frage der Diplomarbeit ist, wie ungelernte ProduktionsarbeiterInnen ihre<br />
Arbeit und ihr Arbeitsumfeld erleben. Welche Belastungen und Ressourcen erfahren<br />
sie bei der Arbeit und inwieweit erleben sie die konkrete Arbeit als sinnvoll? Im<br />
empirischen Teil (Kapitel 7) wird zu Beginn das Untersuchungsfeld beschrieben und<br />
(Kapitel 8) die verwendeten Forschungsmethoden werden vorgestellt. Methoden der<br />
Erhebung waren die teilnehmende Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnungen<br />
während meiner eigenen Arbeitstätigkeit in zwei unterschiedlichen Betrieben, sowie<br />
Leitfadeninterviews mit 6 ArbeiterInnen. Für die Auswertung und Darstellung der<br />
Forschungsergebnisse habe ich die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse und das<br />
szenische Verstehen gewählt. Im Kapitel 9 beschreibe ich mein Erleben der<br />
Produktionsarbeit, welches ich in Tagebuchaufzeichnungen festgehalten habe. Aus<br />
meinen eigenen Arbeitserfahrungen in zwei Betrieben werde ich Szenen darstellen<br />
3
und beschreiben, wobei Verknüpfungen mit dem Theorieteil gezogen werden. Es<br />
wird dabei primär auf folgende zentrale Punkte eingegangen: Erleben der Arbeit,<br />
Erleben des Arbeitsklimas, Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der<br />
Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien, das persönliche Sinnerleben im<br />
Zusammenhang mit der konkreten Arbeitstätigkeit und die Auswirkungen der Arbeit<br />
auf die Freizeit.<br />
In der Diplomarbeit spielt der subjektive Standpunkt von ungelernten ArbeiterInnen<br />
eine vorrangige Rolle. Dabei ist zu beachten, dass Menschen dieselbe oder eine<br />
ähnliche Situation ganz unterschiedlich erleben können. Die Ergebnisse aus<br />
Leitfadeninterviews mit 6 (tlw. ehemaligen) ArbeiterInnen werden im Kapitel 10<br />
sowohl mittels Inhaltsanalyse als auch in Form von zentralen Aussagen, in<br />
Anlehnung an die Methode der Kernsatzfindung bei Volmerg u.a. (1986), dargestellt.<br />
Es folgt eine Zusammefassung im Kapitel 11. In der Schlussbetrachtung (Kapitel 12)<br />
geht es um gegenwärtige Trends von Produktionsarbeit. Dabei wird die These von<br />
Schumann, über die neue Unübersichtlichkeit der Produktionsarbeit noch einmal<br />
aufgegriffen. Es folgen die Vorstellung der These von Legnaro, in der es um neue<br />
Anforderungen an LohnarbeiterInnen geht, und die Darstellung von Parallelen der<br />
Produktionsarbeit mit Arbeiten in anderen Sektoren.<br />
2 Geschichte der Industriearbeit<br />
Im Folgenden wird zuerst auf Erscheinungsformen der Arbeit vor der<br />
Industrialisierung eingegangen, um die Besonderheiten der industriellen<br />
Produktionsarbeit besser hervorheben zu können. Anschließend soll die<br />
Entwicklungsgeschichte der Industriearbeit von ihrem Beginn bis zur 3. Phase der<br />
Industrialisierung dargestellt werden. Die Auseinandersetzung mit der<br />
geschichtlichen Entwicklung von Industriearbeit ist wichtig, weil das Handeln der<br />
Menschen oft erst vor ihrem geschichtlichen Hintergrund verständlich wird. (vgl.<br />
Girtler, 2001, S. 32f.). „Wahrnehmungs- und Denkweisen aus früheren Epochen<br />
können noch wirksam bleiben wie z.B. die Religion.“ (Berger, 2008, S. 15).<br />
4
2.1 Vorformen<br />
Es soll hier auf folgende vorindustrielle Arbeitsformen eingegangen werden:<br />
- die Landarbeit im Mittelalter,<br />
- die frühe Handwerksarbeit,<br />
- Lohnarbeit und<br />
- Heimarbeit.<br />
Die Darlegung der verschiedenen Arbeitsformen vor der Industrialisierung ist nicht so<br />
zu verstehen, dass diese danach nicht mehr vorhanden gewesen wären. Es sind im<br />
Zuge der Industrialisierung viele ArbeiterInnen, vor allem aus dem Bereich der<br />
Landarbeit, in die Fabriken gegangen, wodurch die eine Arbeitsform quantitativ<br />
abgenommen und die andere zugenommen hat.<br />
Kuchenbuch und Sokoll meinen, dass es schwierig sei, vorindustrielle Arbeitsformen<br />
mit der späteren industriellen Arbeit zu vergleichen, da sich diese qualitativ<br />
voneinander unterscheiden würden:<br />
„Solange die Erde als fruchtbarer Schoß empfunden wird, kann sie kein<br />
‚Arbeitsgegenstand’ sein; solange Werkzeuge heilig sind, stellen sie keine<br />
‚Produktionsmittel’ dar. [...]. Wo soll man den ‚Arbeitsplatz’ eines hörigen Bauern im<br />
Mittelalter verorten? Neben Haus und Hof wären auch Feld und Flur zu<br />
berücksichtigen, ganz zu schweigen von Wald und Weiher, Weg und Steg,<br />
Marktstand und Gemeindehaus.“ (Kuchenbuch/ Sokoll, 1990, S. 27).<br />
Eine weitere Einschränkung in der Darlegung der Geschichte der Arbeit sehen die<br />
Autoren darin, dass Zeitzeugnisse zumeist nicht von den arbeitenden Menschen<br />
selbst stammen. Es handle sich dabei um Darstellungen der Arbeit durch Mitglieder<br />
der Oberschicht, welche nicht mit den realen Arbeitsbedingungen verwechselt<br />
werden dürften (vgl. Kuchenbuch/ Sokoll, 1990, S. 28).<br />
- die Landarbeit im Mittelalter<br />
Der Begriff „Arbeiter“ bezeichnete im Mittelalter diejenigen, die den Boden bestellten,<br />
also körperlich arbeiteten. Bauern arbeiteten zu dieser Zeit für ihre Landbesitzer,<br />
wobei je nach Freiheitsgrad bestimmte Bauern in einer besseren Lage waren als<br />
5
andere. Sie hatten ihren Grundherrn anfangs Naturalabgaben zu leisten, in späterer<br />
Folge, im Zusammenhang mit der Herausbildung von Städten, wurde die<br />
Naturalwirtschaft von der Geldwirtschaft abgelöst. Die Feudalbindungen wurden<br />
durch einen Pacht- oder Halbpachtvertrag ersetzt, wodurch der Freiheitsgrad vieler<br />
Bauern zunahm. Sie konnten ihre Waren dadurch in den Städten verkaufen, reiche<br />
Bauern beschäftigten Arbeiter, Knechte und Mägde. Die Bedeutung der frühen<br />
Lohnarbeit im ländlichen Bereich stieg, wobei diese oft saisonal beschränkt war. Die<br />
sogenannten „Tagelöhner“ waren mittellose Leute, die ihre Arbeitskraft vermieteten<br />
(vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 155, 167ff.).<br />
- die frühe Handwerksarbeit<br />
Dadurch, dass die ökonomische Selbstbestimmung der Menschen zunahm, kam es<br />
vermehrt zur Arbeitsteiligkeit und einer Spezialisierung von Tätigkeiten bis hin zur<br />
Herausbildung von verschiedenen Berufen. Unter dem Begriff Holz- und<br />
Metallhandwerker wurden beispielsweise die Berufe des Stellmachers, Schmiedes,<br />
Schwertfegers und Schildmachers zusammengefasst. Es bildeten sich sogenannte<br />
„Zünfte“ heraus, die als Vorformen der heutigen Gewerkschaften betrachten werden<br />
können. Bei diesen Zünften handelte es sich um genossenschaftliche,<br />
berufsspezifische Zusammenschlüsse von Handwerkern, durch welche die soziale,<br />
wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit der Mitglieder verbessert werden sollte.<br />
Neben gegenseitiger Unterstützung und Hilfe bei Todes-, Krankheits-, und anderen<br />
Unglücksfällen, wurden den Mitgliedern von einer Zunft auch Einschränkungen<br />
auferlegt. So wurde durch die Festlegung von Minimalpreisen ein gegenseitiges<br />
Unterbieten ausgeschlossen. Auch die Größe des Betriebes, die Anzahl der<br />
Beschäftigten und die Menge des Rohmaterials unterlagen Regelungen. Es gab<br />
Bestimmungen über die Qualität von Waren und der Arbeit der Handwerker sowie<br />
Regelungen darüber, wie die Arbeitszeit und die Lohnzahlung auszusehen hatten<br />
(vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 174ff.).<br />
Bis ins späte 13. Jahrhundert gab es kein besonderes Lehrverhältnis. Der Knecht<br />
oder Gehilfe gehörte, wie das Gesinde, der Familie als Produktionsgemeinschaft an,<br />
an deren oberster Stelle der Hausvater, der Handwerker oder Meister stand. Die<br />
Verbindung zwischen dem Handwerksmeister und seinem Gesellen kann als Vorform<br />
6
der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angesehen werden (vgl.<br />
Eggebrecht u.a., 1980, S. 180).<br />
Bereits im Mittelalter wurden technische Hilfsmittel verwendet, z.B. das Spinnrad. Im<br />
13. Jahrhundert war auch der Gebrauch von Mühlen weit verbreitet, welche mit<br />
Wasser oder Wind angetrieben wurden. Die mechanische Uhr wurde im 14.<br />
Jahrhundert erfunden (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 178f.).<br />
Ruppert beschreibt die mittelalterliche Handwerksarbeit im Gegensatz zur späteren<br />
Industriearbeit: „[...]es gab keine (oder nur eine begrenzte) systematische<br />
Arbeitsteilung bei der Herstellung eines Werkstücks. Jeder Handwerker bearbeitete<br />
sein Produkt von Anfang bis zur Fertigstellung, und vor allem kontrollierte er sich<br />
dabei selbst: Planung und Fertigung, Kopfarbeit und Handarbeit waren noch in einer<br />
Person vereinigt“ (Ruppert, 1993, S. 38).<br />
- Lohnarbeit<br />
Vor allem im Baugewerbe, im Bergbau und in der Tuchindustrie (für den Export)<br />
setzte sich die Lohnarbeit im späten Mittelalter durch: Im Bauhandwerk hatten die<br />
Arbeiter zu dieser Zeit schwere Lasten, wie Steine, Holz, Kalk und Wasser zu tragen.<br />
Sie wurden auch zur Bedienung von Maschinen eingesetzt, z.B. bei den Tretkränen<br />
lief eine Gruppe von Menschen in einem Rad, um den Kran anzutreiben. Wie ihre<br />
höher qualifizierten Kollegen (Gesellen und Meister) wurden sie im Taglohn bezahlt<br />
(vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 184).<br />
In den Silber- und Bleiminen von Pampilieu gab es bereits um 1450 ein<br />
ausgeprägtes Lohngefälle unter den Arbeitern, eine Spezialisierung von Tätigkeiten<br />
und eine Arbeitsdisziplin die sich z.B. in geregelten Arbeitszeiten (mit Schichten und<br />
Überstunden) zeigte. Zur Bearbeitung der engen Stollen wurden Kinder<br />
herangezogen. Es gab zu dieser Zeit schon Arbeiterunruhen, in denen es<br />
hauptsächlich um die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter ging (vgl.<br />
Eggebrecht u.a., 1980, S. 185f.).<br />
Im Bereich der Tuchproduktion war ein arbeitsteiliges Vorgehen üblich und es gab<br />
eine soziale und wirtschaftliche Hierarchie unter den Wollarbeitern: An oberster Stelle<br />
7
standen die Handwerker. Sie besaßen eine Werkstätte mit Geräten und durch ihr<br />
Wissen waren sie unabhängig von den Unternehmern. Eine Stufe tiefer in der<br />
Hierarchie waren die Arbeiter, sie arbeiteten an den Großgeräten. Ihre relative<br />
Unabhängigkeit bestand darin, dass ein Unternehmen nicht alleiniger Besitzer der<br />
Arbeitsgeräte war, sondern andere Unternehmen bzw. die Stadt an deren Besitz<br />
beteiligt waren. Die Weber sieht Eggebrecht ganz unten in der Hierarchie<br />
angesiedelt, da viele von ihnen im 14. Jhdt. keinen eigenen Webstuhl mehr besaßen.<br />
Die im Mittelalter weit verbreitete Tuchproduktion wurde meist von Frauen verrichtet,<br />
in vielen Bauernhäusern stellte sie einen Teil der Selbstversorgung dar (vgl.<br />
Eggebrecht u.a., 1980, S. 186 ff.).<br />
- Heimarbeit<br />
Dadurch, dass Produktions- und Lebenssphäre bei den Heimarbeitern zusammen<br />
fielen, war es leicht möglich, durch einen eigenen Garten, Ackerland und<br />
Nutztierhaltung das Einkommen zu ergänzen. Die wichtigsten Geräte für die<br />
Produktion, wie Webstuhl oder Spinnrad, gehörten meist den Heimarbeitern. Die<br />
Bezahlung nach Stücklohn war die übliche Form der Entlohnung. Es gab sogenannte<br />
Bußgelder (Abzüge vom Lohn) für schlechte Produktqualität oder (vermeintliche)<br />
Entwendung von Rohstoffen. Ein Teil der Entlohnung der Heimarbeiter erfolgte in<br />
Naturalien aus dem Laden des Unternehmers (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 200).<br />
Durch das Verlagssystem kam es zur erhöhten Abhängigkeit der Arbeiter. Die<br />
Verleger lieferten den Heimarbeitern zuerst die Rohstoffe, später auch die<br />
Arbeitsinstrumente (vgl. Sauer, 1984, S. 16).<br />
Das System der Heimarbeit hatte für Unternehmer den Nachteil, dass es nicht<br />
möglich war, eine Produktionssteigerung zu erzielen. Erst durch die Einführung von<br />
zentralisierten Betrieben war eine Verlängerung der Arbeitszeit bzw. die Erhöhung<br />
des Arbeitstempos zu erreichen (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 201).<br />
2.2 Der Übergang zur Fabrikarbeit<br />
Das Verlagsystem wies wirtschaftliche Nachteile auf: die Heimproduzenten konnten<br />
nicht überwacht werden, Entwendungen von Rohmaterialien waren nicht<br />
auszuschließen und die Kosten für Verwaltung und Transport waren hoch. Um diese<br />
8
Nachteile zu überwinden, kam es zur Entwicklung von Manufakturen. Dort waren die<br />
früheren Heimarbeiter an einem zentralen Ort zusammengefasst und konnten<br />
diszipliniert werden. Die Manufakturproduktion kann als Übergang zur<br />
industriekapitalistischen Produktion gesehen werden, die Arbeit wurde zum Zwecke<br />
der Produktionssteigerung bereits hier in Einzelschritte zerlegt (vgl. Sauer, 1984, S.<br />
17f.).<br />
Eine Voraussetzung für die Herausbildung der industriellen Produktion war die<br />
vermehrte Auflösung der Feudalgesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Der<br />
Übergang hin zur industriellen Produktion bestand darin, dass im Verlagssystem die<br />
Arbeiter abhängiger geworden waren, in der Manufakturperiode kam es zur<br />
Aufsplitterung von Tätigkeiten und einer vermehrten Spezialisierung und in der<br />
industriellen Produktion wurden in den Fabriken Maschinen verwendet. Durch den<br />
Einsatz von Maschinen wurden die Begrenzungen in der Produktion (durch die<br />
limitierte Muskelkraft, Konzentration und Ausdauer der Arbeiter) überwunden (vgl.<br />
Sauer, 1984, S. 14ff.).<br />
„Von Frühindustrialisierung wird ab jenem Zeitpunkt gesprochen, in dem in den<br />
zentralisierten Manufakturen die ersten Maschinen eingesetzt wurden, also<br />
mechanisierte Werkzeugsysteme, die die unmittelbare Bearbeitung der<br />
Arbeitsgegenstände durchführen konnten und zunächst noch mit Handantrieb, sehr<br />
bald aber mit Wasserkraft- und Dampfantrieb funktionierten“ (Sauer, 1984, S. 19).<br />
2.3 Die industrielle Revolution<br />
Die Entwicklung von mechanischen und elektromechanischen Maschinen war ein<br />
wichtiger Auslöser für die industrielle Revolution gewesen. Durch die Gewerbefreiheit<br />
für Unternehmen und die Modernisierung des Arbeitsprozesses wurde die<br />
Industrialisierung vorangetrieben. Viele handwerkliche Betriebe wurden von<br />
modernen Fabriken verdrängt, die Güter für einen Massenmarkt produzierten (vgl.<br />
Beckenbach, 1991, S. 33).<br />
2.3.1 Definition und Klassifikation<br />
Nach einer Definition des Begriffes „industrielle Revolution“ soll auf die drei Phasen<br />
dieser Entwicklung eingegangen werden, wobei die Besonderheiten jeder Phase<br />
kurz dargestellt werden.<br />
9
Arnold Toynbee führte den Ausdruck „Industrielle Revolution“ ein, um einen Wandel<br />
im 18. und 19 Jahrhundert zu benennen, der zur Industriegesellschaft geführt hat<br />
(vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 24).<br />
Eggebrecht u.a. betonen in der Definition von „Industrialisierung“ den<br />
Zusammenhang von Veränderungen in den Bereichen: Technik, Wirtschaft und<br />
Gesellschaft.<br />
„Wir gehen davon aus, daß die Industrielle Revolution ein umfassender technischer,<br />
ökonomischer und gesellschaftlicher Prozeß war, der – zuerst in Großbritannien – die<br />
Grundlagen der modernen, kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung<br />
geschaffen hat.“ (Eggebrecht u.a., 1980, S. 193).<br />
Die Industrialisierung kann in drei Entwicklungsphasen unterteilt werden. Diese<br />
Phasen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer technischen, auf die Produktion<br />
bezogenen Besonderheiten, der verschiedenen Anforderungen an die arbeitenden<br />
Menschen und der „Handlungszwänge und sozialen Konfliktkonstellationen“ (vgl.<br />
Beckenbach, 1991, S. 33).<br />
- die 1. Phase der Industrialisierung<br />
Die erste Stufe der Industrialisierung war gekennzeichnet durch Veränderungen im<br />
Transportsystem. Die Gussstahlfabrik „Krupp“ z.B. erfuhr in dieser Periode durch die<br />
Zulieferung von Teilen für den Eisenbahnbau ihren Aufschwung:<br />
„Der entscheidende Impuls für den Beginn der Industrialisierung ging vom Bau eines<br />
Eisenbahnnetzes aus, das in zweifacher Hinsicht wichtig wurde: einerseits als<br />
Transportsystem, andererseits als Markt für den entstehenden Maschinenbau.“<br />
(Ruppert, 1993, S. 28f.).<br />
Zeitlich wird diese Periode Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts eingeordnet.<br />
Der Prozess der Industrialisierung begann in England, später in anderen Teilen der<br />
Welt (vgl. Beckenbach, 1991, S. 34).<br />
10
Die wichtigsten technischen Errungenschaften aus dieser ersten Phase sind:<br />
Dampfmaschine, Eisenbahn, Werkbank, Gußeisen, Webstuhl und Selfaktor (vgl.<br />
Mikl-Horke, 1991, S. 25).<br />
- die 2. Phase der Industrialisierung<br />
Die zweite Phase der Industrialisierung begann ab dem 20 Jahrhundert und war<br />
einerseits gekennzeichnet durch die Nutzung der elektrischen Energie in der<br />
Industrie und andererseits durch die sogenannten Prozessindustrien, durch welche<br />
es möglich wurde, Stoffe in industrielle Produkte umzuwandeln (z.B. Eisen und Stahl,<br />
chemische Produkte sowie Nahrungsmittel) (vgl. Beckenbach, 1991, S. 34).<br />
„Die Elektrifizierung des Nahverkehrs, wie der Straßenbahnen, beschleunigte den<br />
innerstädtischen Verkehr. Die Einführung des Glühlichts verbesserte die Beleuchtung<br />
und machte sie zugleich sicherer. Der Fernsprecher schuf ein neues Netz der<br />
individuellen Gesprächmöglichkeit, ohne daß sich die Teilnehmer am selben Ort<br />
aufhalten mußten.“ (Ruppert, 1993, S. 30).<br />
Es kam zu einem schnell fortschreitenden Prozess der Verstädtung; Menschen<br />
zogen vom Land in die Städte, um dort zu arbeiten. Dabei entwickelten sich bäuerlich<br />
bestimmte Dörfer in Stadtnähe zuerst zu Industriedörfern, und schließlich zu<br />
Stadtvierteln (vgl. Ruppert, 1993, S. 31f.).<br />
Eine wichtige technische Entwicklung aus dieser Phase der Industrialisierung war die<br />
Erfindung des Verbrennungsmotors. Die Automobilindustrie entstand in der Folge.<br />
Sie war gekennzeichnet durch die Produktion weniger Modelle in hoher Stückzahl<br />
und später durch den Einsatz der Fließbandarbeit. Neben der Automobilindustrie<br />
stellte die chemische Industrie einen wichtigen Sektor dar. Beispiele hierfür sind die<br />
Farbenherstellung welche schon um 1850 in industriellen Arbeitsformen durchgeführt<br />
wurde, sowie die vermehrte Produktion pharmazeutischer Produkte seit 1880, welche<br />
im Zusammenhang mit der wachsenden naturwissenschaftlichen Forschung stand<br />
(vgl. Ruppert, 1993, S. 34).<br />
11
- die 3. Phase der Industrialisierung<br />
Hinsichtlich der dritten Industrialisierungsphase, und deren Kennzeichen gehen die<br />
Meinungen auseinander:<br />
„In der produktivkraft-logischen Betrachtungsweise stellen die submolekularen und<br />
subatomaren Industrien der Mikroelektronik, der Atomenergie und der Gentechnik<br />
eine dritte Stufe der industriellen Entwicklung dar. [...]. In einer anderen Sichtweise<br />
und unter Zugrundelegung der Verhältnisse von menschlicher und gegenständlicher<br />
(technisierter) Arbeit wird die Automation als „dritte industrielle Revolution“<br />
bezeichnet [...].“ (Beckenbach, 1991, S. 34).<br />
Ruppert datiert die 3. Phase der Industrialisierung ab dem Jahr 1970. Der erste<br />
Rechenautomat wurde 1941 von Zuse entwickelt. Es handelte sich hierbei um ein<br />
großes Gerät, das anstelle des Dezimal- nach einem Binärsystem arbeitete. 1952<br />
wurden von IBM die ersten kleineren Computer produziert. Anfang der 60-er Jahre<br />
stellte die Halbleitertechnik eine weitere Revolution dar. Dadurch konnten komplexe<br />
Schaltungen auf kleinsten Flächen angebracht werden, was eine billige Produktion<br />
ermöglichte (vgl. Ruppert, 1993, S. 36).<br />
2.3.2 frühe Arbeitsbedingungen; Erlebnisperspektiven<br />
Im Folgenden sollen Auszüge aus zwei Biographien die Arbeitsbedingungen zu<br />
Beginn der Industrialisierung veranschaulichen. Sowohl William Dodd als auch<br />
Robert Blincoe sind bereits als Kinder in Fabriken gekommen, Kinderarbeit war zu<br />
Beginn der Industrialisierung weit verbreitet.<br />
„Die Verlängerung der Arbeitszeit bis an die Grenze des Möglichen, unbeschränkte<br />
Frauen- und Kinderarbeit sowie Minimallöhne kennzeichnen den sozialen Skandal<br />
dieser Epoche. Noch mangelte es an Formen des sozialen Zusammenschlusses und<br />
der Interessenvertretung auf Arbeiterseite, die den neuen Verhältnissen angepaßt<br />
gewesen wären.“ (Sauer, 1984, S. 20)<br />
12
- Robert Blincoe<br />
Der Journalist John Brown schrieb zwischen 1824 und 1828 die Lebensgeschichte<br />
des Fabrikkindes, Robert Blincoe, nach dessen Erzählungen, auf. (vgl. Kuczynski,<br />
1983, S. 35).<br />
1799 wurde Blincoe zusammen mit anderen Kindern vom Armenhaus St. Pancras in<br />
die Baumwollspinnerei „Lowdham Mill“ geschickt, um dort angeblich eine Lehre zu<br />
machen. Die Armenaufseher lockten die Kinder mit Versprechungen von Reichtum.<br />
(vgl. Brown, 1983, S. 39, 44f.). Die Realität sah anders aus: Um fünf Uhr hatten die<br />
Kinder bei Androhung von Schlägen und Frühstücksentzug aufzustehen. Sie<br />
mussten bis auf sonntags täglich vierzehn Stunden arbeiten. Der Druck innerhalb<br />
des Fabriksystems wurde von der jeweils höheren Stufe der Hierarchie auf die untere<br />
weitergegeben. Die Kinder standen ganz unten in diesem System. Der Aufseher<br />
musste in einer begrenzten Zeitspanne eine bestimmte Menge an geleisteter Arbeit<br />
vorweisen können, je nachdem, ob ihm das gelang, erhielt er eine Prämie oder<br />
wurde entlassen. Die Kinder wurden daher entsprechend zur Leistung angetrieben.<br />
(vgl. Brown, 1983, S. 55, 58f.).<br />
Die Zustände in „Litton Mill“ bei Tideswell, wo Blincoe später arbeitete, beschrieb er<br />
als katastrophal: „In der Spinnerei, in die Blincoe danach kam, wurden die<br />
Armenkinder wie ein Teil des Rohmaterials betrachtet, behandelt und gebraucht; ihre<br />
Kraft, ihr Lebensmut, ihr Leben wurde verbraucht und in Geld umgewandelt, und<br />
wenn das lebende Inventar, bestehend aus Armenlehrlingen, sich lichtete, kamen<br />
neue Herden von Opfern aus den verschiedensten Richtungen, um ihre Plätze<br />
einzunehmen, ohne die geringsten Unkosten.“ (Brown, 1983, S. 70).<br />
Körperliche Misshandlungen der Kinder in den Fabriken waren üblich und wurden<br />
hauptsächlich von Aufsehern ausgeführt, von denen viele selbst als Kinder in die<br />
Fabrik gekommen waren. Ehemalige Opfer wurden so zu Tätern und gaben das<br />
ihnen widerfahrene Leid an die nächste Generation weiter (vgl. Brown, 1983, S. 84).<br />
Zudem kamen schwere Verletzungen durch nicht abgesicherte Maschinen, beiden<br />
Zeitzeugenberichten zufolge, häufig vor. (vgl. Brown 1983, S. 64ff.; Dodd, 1983, S.<br />
212).<br />
13
Brown beschreibt die Folgen der frühen Fabrikarbeit für Rober Blincoe: „Hätte man<br />
diesen jungen Mann nicht in eine Baumwollspinnerei geschickt, wäre er<br />
wahrscheinlich ein kräftiger, gesunder, gutgewachsener Mann gewesen. Stattdessen<br />
ist er sehr klein von Statur und hat stark verkrümmte, missgestaltete Knie.“ (Brown,<br />
1983, S. 38)<br />
- William Dodd<br />
William Dodd, ein anderes Fabrikkind zur Zeit der 1. Phase der Industrialisierung,<br />
schrieb seine Erfahrungen mit Fabrikarbeit später selbst auf. Im Alter von 6 Jahren<br />
wurde Dodd in eine Fabrik geschickt, wo er als Flicker arbeitete. Er setzte sich im<br />
Erwachsenenalter dafür ein, dass die Arbeitsbedingungen und die Ausnutzung der<br />
Arbeiter im kapitalistischen System, der Öffentlichkeit bekannt wurden.<br />
Die Flicker unterstanden den Spinnern, welche beide einen Aufseher über sich<br />
hatten und nach einer Woche gekündigt werden konnten. Der Spinner versuchte den<br />
Flicker durch verschiedene Methoden zu schneller, guter Arbeit zu bewegen: „[...] so<br />
kann er ihm für eine Woche guter Arbeit eine Belohnung in Höhe von einem oder<br />
zwei Pennys in Aussicht stellen, er kann ihn dazu anhalten zu singen, was – ebenso<br />
wie die Musik beim Militär – eine sehr starke Wirkung hat und ihn länger als sonst<br />
irgend etwas munter und betriebsam bleiben läßt, und als letztes Mittel, wenn gar<br />
nichts mehr hilft, greift er zum Riemen oder zur „Billy – Rolle“. (Dodd, 1983, S. 207).<br />
Dodd berichtet von körperlichen Schmerzen sowie blutigen und geschwollenen<br />
Händen durch die Art der Arbeit. In weiterer Folge kam es bei ihm zur Missbildung<br />
beider Beine, durch die einseitige Körperhaltung während der überlangen<br />
Arbeitstage (vgl. Dodd, 1983, S. 205). Während des Arbeitens sehnte er sich nach<br />
der arbeitsfreien Zeit, welche zur Regeneration und Versorgung der körperlichen<br />
Gebrechen aufgebraucht wurde. Er beschreibt, dass kaum ein Kind, das mit ihm in<br />
der Fabrik gearbeitet hat, falls es diese Zeit überlebt hatte, ohne körperliche Schäden<br />
herausgekommen ist (vgl. Dodd, 1983, S. 212).<br />
In Dodds Schilderungen werden auch die psychischen Belastungen durch die<br />
körperlich übermäßig belastende Arbeit sichtbar: „Tagsüber schaute ich häufig nach<br />
der Uhr und zählte die Stunden, die ich noch würde arbeiten müssen; meine Abende<br />
14
gingen dahin mit Vorbereitungen für den nächsten Tag – ich rieb mir Knie,<br />
Knöchelgelenke, Ellbogen und Handgelenke mit Öl ein und so weiter und umwickelte<br />
sie mit warmen Flanellappen (denn schließlich tat man ja alles zu meinem Wohle, nur<br />
eben nicht das einzig Richtige: mich nicht mehr in die Fabrik zu schicken) [...] ich<br />
weinte mich in den Schlaf und betete, daß der Herrgott mich zu sich nehmen möge,<br />
ehe es Tag wird.“ (Dodd, 1983, S. 209).<br />
Trotz der extrem schlechten Arbeitsbedingungen berichtet Dodd auch von positiven<br />
Erfahrungen mit Arbeitgebern, die sein Leben verändert haben. Als ein Vorgesetzter<br />
entdeckt hatte, dass Dodd ein wenig schreiben konnte, bekam er Geld für<br />
Schreibmaterial und Bücher und wurde gefördert; er durfte eine Stunde früher von<br />
der Arbeit nach Hause gehen, um zu üben. Das Lernen stellte für ihn eine wichtige<br />
Ressource und Gegenwelt zur unbefriedigenden, belastenden Arbeit in der Fabrik<br />
dar. (vgl. Dodd, 1983, S. 213, 230).<br />
Dodd beschrieb die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems, welche darin<br />
bestand, den Einen Reichtum und Wohlstand zu bescheren und den arbeitenden<br />
Massen Armut und Krankheit. Die Fabrikanten schrieben den Eltern die Schuld für<br />
die körperlichen Folgeschäden der Kinder zu.<br />
„[...] umgeben von allem nur erdenklichen Luxus, schauen sie auf uns arme<br />
Fabriksklaven herab, als wären wir eine andere Rasse von Lebewesen, nur<br />
geschaffen, um uns für sie zu Tode zu arbeiten. [...] Wenn wir viel zu tun hatten,<br />
habe ich am Tag volle achtzehn Stunden gearbeitet [...]. Und für diesen erbärmlichen<br />
Betrag habe ich meine Gesundheit, meine Kraft, meine Gestalt, ja, beinahe sogar<br />
mein Leben geopfert; während jene die Früchte meiner Mühen geerntet haben, [...]“.<br />
(Dodd, 1983, S. 222ff.).<br />
Dodd sieht die Leidenden des kapitalistischen Systems auf allen Ebenen der Fabrik<br />
– Hierarchie angesiedelt, nicht nur in den untersten: „Spinner leiden beträchtlich.<br />
Einige meiner früheren Meister sind mit allen Anzeichen vorzeitigen Alterns mit<br />
fünfundvierzig und fünfzig gestorben. [...]. Der verhängnisvolle Einfluß des Systems<br />
erstreckt sich sogar auf die Fabrikbesitzer. Als Beispiel möchte ich den Fall des<br />
freundlichen Brotgebers anführen, [...] besonders nach einer erfolglosen Reise - wo<br />
15
andere Fabrikanten die Ware billiger verkauft hatten – schien es mir, daß ich<br />
nagende Sorge gesehen hätte, die ihn bis ins Mark zerfraß. [...] es ist meine<br />
Überzeugung, daß, wenn er nichts mit den Fabriken zu tun gehabt hätte, er seine<br />
Lebensdauer hätte verlängern können“. (Dodd, 1983, S. 226f.).<br />
Die ersten Gesetze zum Schutz der in Fabriken arbeitenden Kinder wurden oft nicht<br />
eingehalten, da es noch kein Kontrollorgan gab. 1833 wurde ein Gesetz eingeführt,<br />
in welchem das Mindestalter der Fabrikkinder auf 9 Jahre erhöht, und die Arbeitszeit<br />
auf 12 Stunden verkürzt wurden, Fabrikinspektoren kontrollierten die Einhaltung der<br />
gesetzlichen Vorschriften. In diesem Gesetz wurde für Kinder nach der Arbeit der<br />
Besuch einer Abendschule vorgeschrieben. Diese erste, wirksame gesetzliche<br />
Regelung galt nur für die Textilindustrie, was in der Folge dazu führte, dass z.B. in<br />
Lancashire die Kinderarbeit in den Bergwerken zunahm (vgl. Kuczynski, 1983, S.<br />
356f.).<br />
Friedmann fasst die frühen Arbeitsbedingungen in der „Laissez-faire-Periode“ des<br />
Kapitalismus im 19. Jhdt. zusammen: „Der schlecht oder gar nicht geregelte Zustrom<br />
von Frauen und Kindern in die Fabriken stopfte die Löcher und vollzieht regelmäßig<br />
die Auffrischung der von der Industrie – ohne Hygiene, ohne<br />
Arbeitsschutzgesetzgebung und ohne Arbeitszeitbeschränkung – auf eine<br />
fürchterliche Weise verschlissenen Arbeitermassen. [...]. Der Mensch ist in der<br />
Produktion ein Rohmaterial neben anderen Rohmaterialien“ (Friedmann, 1952, S.<br />
38f.).<br />
2.3.3 Veränderungen im Zuge der Industrialisierung<br />
Die Entstehung der industriellen Produktion hat sowohl für die Gesellschaft als<br />
Ganzes, als auch für die ArbeiterInnen im Besonderen, große Veränderungen mit<br />
sich gebracht. Im Folgenden soll auf: - Veränderungen im Allgemeinen und -<br />
Veränderungen für die Arbeitenden, eingegangen werden.<br />
- Veränderungen im Allgemeinen<br />
Die 1. Industrialisierung bedeutete nach Ruppert einen Wandel „nahezu aller<br />
gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebensumstände“, wobei die Fabrik<br />
16
dabei die wichtigste räumliche und soziale Institution war. Für Ruppert sind es<br />
folgende Wirkfaktoren, die unter dem Prozess der „Industrialisierung“ verstanden<br />
werden können:<br />
Im Zuge der Industrialisierung erweiterte sich die Arbeitsteilung. Es wurde (im<br />
Idealfall) für einen immer größer werdenden Markt produziert. Die Methoden zur<br />
Erzeugung und Verarbeitung von Rohstoffen erfuhren Verbesserungen, sowie die<br />
Maschinen, welche zunehmend menschliche und tierische Kraft ersetzten. Der<br />
Unternehmer als Besitzer der Produktionsmittel und des Kapitals stand den Arbeitern<br />
gegenüber, die, in den Fabriken zusammengefasst, für einen Lohn ihre Arbeitskraft<br />
veräußerten. Eine neue Arbeitsdisziplin und damit verbundene Zeitkontrolle bildeten<br />
sich heraus. (vgl. Ruppert, 1993, S. 21).<br />
Textilfabriken wurden oft schon als Großbetriebe geplant, das für deren Bau nötige<br />
Kapital stellten Aktiengesellschaften zur Verfügung. In den meisten Fällen hingegen<br />
war es üblich, dass sich kleine Werkstätten durch die steigende Auftragszahl zu<br />
Fabriken vergrößerten (vgl. Ruppert, 1993, S. 11). Ein Beispiel hierfür ist die<br />
Gussstahlfabrik Krupp in Essen. 1819 fing das Unternehmen mit 8 Beschäftigten an,<br />
1848 waren es bereits 74 Arbeitende. Das Werk wuchs weiter: 1853 waren es 357-,<br />
1861 dann 2108- und 1892 bereits 25000 Beschäftigte (vgl. Ruppert, 1993, S. 19).<br />
Durch die Industrialisierung kam es nach Buggert zur Veränderung der<br />
Gesellschaftsstruktur. Wurde vor der Industrialisierung der soziale Status eines<br />
Menschen durch dessen Hineingeboren – Werden in eine bestimmte Gruppe<br />
festgelegt, so kam es im Zusammenhang mit der Industrialisierung zu einer<br />
Auflösung der festen Gesellschaftsstrukturen. Auf- und Abstiege von einer Schicht in<br />
die andere wurden möglich (vgl. Buggert, 1999, S. 73).<br />
Es kam außerdem zu einem Wandel in den kulturellen Lebensverhältnissen bzw. den<br />
alltäglichen Gewohnheiten, neue Werte und Bedürfnisse bildeten sich heraus (vgl.<br />
Beckenbach, 1991, S. 39).<br />
17
Zu den, durch die Industrialisierung entstandenen Vorteilen zählt eine größere<br />
Anzahl und Auswahl an Produkten, teilweise in verbesserter Qualität, zum Beispiel<br />
im Bereich der Technik (bedingt durch maschinelle Genauigkeit).<br />
„Vor allem aber hat die moderne Technologie Dinge hervorgebracht, die im<br />
vorindustriellen Zeitalter kaum hätten erdacht werden können [...].Erst die industrielle<br />
Revolution machte Tee und Kaffee, die Banane aus Mittelamerika und die Ananas<br />
aus Hawaii zu alltäglichen Nahrungsmitteln“ (Landes, 1973, S. 19).<br />
Sandgruber (1989:14) erwähnt als Vorteile der industriellen Entwicklung die neuen<br />
Möglichkeiten der Mobilität, Kommunikation und Feizeitgestaltung. Nachteile sind für<br />
ihn: die durch die Arbeitsweise bedingten Probleme der Monotonie und Entfremdung<br />
sowie die Gefahren für die Umwelt durch die industriellen Produktionsweisen (vgl.<br />
Sandgruber, 1989, S. 14).<br />
- Veränderungen für die Arbeitenden<br />
Viele Menschen gingen aufgrund der höheren Löhne von sich aus in die Fabriken<br />
arbeiten. Andere sahen sich durch die Umstände dazu gezwungen, z.B. freie<br />
Handwerker durch den Wettbewerbsvorteil der Fabrikanten. (vgl. Buggert, 1999, S.<br />
73).<br />
In erster Linie forderte die industrielle Entwicklung eine hohe Anpassungsleistung<br />
vom Menschen, sowohl im Hinblick auf die Organisation der Arbeit, als auch im<br />
Hinblick auf die Art der Tätigkeit. Für die ArbeiterInnen brachte das neue<br />
Fabriksystem zahlreiche Umwandlungen ihrer bisherigen Lebensgewohnheiten mit<br />
sich, z.B. die Trennung von den Produktionsmitteln. Besitzer dieser war nun der<br />
Fabrikherr und die Lohnarbeiter stellten ihm ihre Arbeitskraft gegen Entgelt zur<br />
Verfügung. Eine Veränderung für die gesamte Familie war die Trennung des<br />
Arbeitsortes vom Wohnort, damit änderten sich in weiterer Folge auch die<br />
traditionellen Lebensgewohnheiten. Die Fabrik als Ort der Produktion hatte für die<br />
Unternehmer den Vorteil der Kontrolle über die Arbeitszeit und in weiterer Folge bot<br />
sie die Möglichkeit zur Erhöhung der Arbeitsintensität. Ein damit verbundener<br />
Nachteil für die ArbeiterInnen war der Arbeitsweg, den viele von ihnen zurück legen<br />
mussten (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 109).<br />
18
Es wurden Strafen eingesetzt, um die Arbeiter an die, für das Produktionssystem<br />
erforderlichen Verhaltensweisen zu gewöhnen. Beispiele hierfür waren: Lohnabzüge,<br />
Aussperrung, Entlassung, Einschüchterung und bei Kindern körperliche Züchtigung.<br />
In Ausnahmefällen gab es auch positive Anreize in Form von Geldprämien oder<br />
Geschenken, um eine „Identifizierung“ mit den Interessen des Unternehmens zu<br />
erreichen (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 212).<br />
„Alles in allem dauerte es etwa zwei bis drei Generationen, bis es gelungen war, die<br />
neue Zeitökonomie, das „Zeit ist Geld“ -Prinzip den Fabrikarbeitern einzubleuen und<br />
das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz, das regelmäßige Arbeiten in der<br />
gesamten Arbeitszeit, die Unterordnung unter den Rhythmus der maschinellen<br />
Produktion, den Verzicht auf eigene Gestaltung der Arbeitszeit im Bewußtsein der<br />
Arbeiter als Norm zu verankern, d.h. die neuen Verhaltensweisen und<br />
Arbeitsgewohnheiten zu internalisieren.“ (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 214).<br />
Die Einheit von Kopf- und Handarbeit, wie sie noch für Handwerksarbeit typisch war,<br />
wurde in der industriellen Massenproduktion getrennt. Monotone, einfache<br />
Arbeitsausführungen sind typisch für die industriekapitalistische Produktionsweise<br />
(vgl. Beckenbach, 1991, S. 31). Die industrielle Produktion führte dazu, dass das<br />
Qualifikationsniveau der Arbeitenden herabgesetzt wurde, was in weiterer Folge<br />
Kinderarbeit begünstigte (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 208).<br />
Es kam zu einer Entfremdung zwischen Arbeit und sinnvoller Tätigkeit. Die Maschine<br />
übernahm das „schöpferische Element“, das „Umformen der Materie“, die<br />
Arbeitsinhalte für die Arbeiter waren: ein Versorgen der Maschinen mit Rohstoff,<br />
Überwachungsaufgaben und teilweise kleine Reparaturaufgaben (vgl. Eggebrecht<br />
u.a., 1980, S. 206).<br />
„Die Aufgaben der Arbeitsausführung können jetzt auf Mensch und Maschine verteilt<br />
werden, wobei der anpassungsfähigere Mensch vorerst mit solchen Arbeiten<br />
beschäftigt wird, die die technisch noch unausgereifte Maschine nicht verrichten<br />
kann oder der Einsatz von Dampfmaschinen noch zu teuer ist. Der Mensch wird zu<br />
einem Lückenbüßer degradiert.“ (Buggert, 1999, S. 73).<br />
19
Durch die Produktionssteigerung im Zusammenhang mit verbesserten Maschinen,<br />
wurde die Arbeitsgeschwindigkeit für die ArbeiterInnen erhöht. Ihren Höhepunkt<br />
erreichte diese Entwicklung mit der Einführung des Fließbandes und den<br />
Bewegungsstudien und Zeitmessungen zum Zwecke der „Rationalisierung“.<br />
Eggebrecht u.a. meinen, dass es schwer zu ermitteln wäre, ob der Lebensstandard<br />
der Arbeiter in der Industriellen Revolution gestiegen sei, vor allem deshalb, weil der<br />
Lebensstandard mehr beinhaltet als nur das Realeinkommen zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt. Vielmehr ginge es dabei auch um ein schwer messbares Empfinden der<br />
Lebensqualität. Die Fabriken waren in städtischen Gebieten konzentriert, wodurch<br />
sich die Wohnqualität der Arbeiter verschlechterte. Früher hatten die Heimarbeiter<br />
nebenbei noch einen Garten und Nutztiere, was ihnen dabei half „Durststrecken“ zu<br />
überbrücken (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 220ff.).<br />
2.3.4 Die Einführung des Fließbandes durch Henry Ford<br />
Es war Fords Ziel gewesen, ein günstiges Auto herzustellen, das sich auch die<br />
Arbeiterklasse leisten konnte. Das Auto verkaufte sich so gut, weil es als<br />
standardisiertes Produkt in nur einer Form und Farbe konzipiert war und durch die<br />
Einführung des Fließbandes und moderner Maschinen schnell produziert werden<br />
konnte, was den niedrigen Verkaufspreis ermöglichte (vgl. Ford, 1930, S. 162).<br />
Fords Autofabrik „Highland Park“ wurde 1924 als die größte produzierende<br />
Autofabrik der Welt bezeichnet. Am 1. Oktober 1908 wurde das erste Exemplar des<br />
Automodells „T“ herausgebracht, von welchem dort bis 26. Mai 1927 15 Millionen<br />
Stück produziert werden sollten (vgl. Ford, 1930, S. 173, 181).<br />
Buggert fasst den Beitrag Fords für die industrielle Entwicklung zusammen: „Ford<br />
vollzieht den Übergang von der handwerklichen Werkstattfertigung zur industriellen<br />
Fließbandfertigung. Die Werkstattfertigung ist durch eine zentrale Anordnung von<br />
Vorrichtungen, Maschinen und Arbeitsplätzen in verschiedenen Werkstätten<br />
gekennzeichnet, in die die Arbeitsobjekte zur Bearbeitung transportiert werden<br />
müssen. [...]. Ford erreicht mit der Fließbandfertigung die Elimination unrationeller<br />
20
Transportwege bei der Weitergabe der Arbeitsobjekte und eine in zeitlicher Hinsicht<br />
ununterbrochene Folge von Bearbeitungsvorgängen.“ (Buggert, 1999, S. 108).<br />
Ein Vorteil der Fließbandorganisation für das Unternehmen bestand darin, dass teure<br />
Facharbeiter von billigeren, ungelernten Arbeitern abgelöst werden konnten, da die<br />
Detailarbeit am Band bereits nach kurzer Einlernzeit beherrscht wurde. Das machte<br />
die Arbeiter leichter austauschbar, ein weiterer Vorteil für den Arbeitgeber. Das<br />
Fließband war auch ein Mittel zur Kontrolle der Arbeiter. Diese wurden unter ein<br />
Zeitdiktat gestellt, die Bandgeschwindigkeit war „der Rhythmus, wo man mit muss“.<br />
(vgl. Buggert, 1999, S. 109f.).<br />
Seit der Entstehung der Industriearbeit hat es immer wieder Versuche gegeben, die<br />
Arbeitsbedingungen humaner zu gestalten. Schon Ford hat den Fehler der<br />
fortschreitenden Rationalisierung im Bereich der Fließbandarbeit „scheinbar“<br />
eingesehen, doch er meinte dass dies bloß ein Entwicklungsschritt gewesen sei und<br />
fand die „Lösung“ in einer differenzierteren, weiter entwickelten Maschinerie und<br />
einer angeblichen Geschwindigkeitsreduktion :<br />
„With crude machinery the man must be a part of the machine and function with it 1 ,<br />
and under these circumstances he is at his best when restricted to a single operation.<br />
We carried that principle farther than ever it had been carried – so far indeed as to<br />
show us it was only a step on the way. […] It is right for a man to resist being made<br />
into a machine. […]. We regulated the speed of the men by the speed of the<br />
conveyor and found it possible to get a large and economic production at a<br />
moderate, steady pace and to reflect it in our wage rates and in our selling prices.”<br />
(Ford, 1930, S. 38f.).<br />
Ford sah Maschinen als eine Erleichterung für den Arbeiter. Manche Maschinen<br />
würden zwar Menschen ersetzen, doch das sei wiederum nur eine Phase in der<br />
Entwicklung (vgl. Ford, 1930, S. 32ff.). Bedenken gegen die Arbeitsbedingungen am<br />
Fließband rechtfertigte Ford mit vergleichsweise hohen Löhnen für die Arbeiter. Die<br />
Auszahlung höherer Löhne war jedoch in erster Linie eine Strategie des<br />
1 Charly Chaplain hat die Tendenz des Industriesystems, den Menschen zum Teil der Maschinerie zu machen, in<br />
seinem Film „Modern Times“ ,anschaulich dargestellt.<br />
21
Unternehmers, um den Absatzmarkt zu fördern. Ford meinte, dass es wichtig wäre,<br />
die Löhne langsam doch kontinuierlich zu erhöhen, die Lohnarbeiter seien die<br />
„potentiellen Kunden“ der Produkte, welche sie herstellen (vgl. Ford, 1930, S. 2; 39).<br />
Ford rechtfertigte die repetitive, auf einfachste Arbeitsschritte zerlegte<br />
Fließbandarbeit auch mit dem Argument, dass es Menschen gäbe, die nicht für<br />
andere Arbeiten geeignet wären: „Formerly we had a certain number of jobs which<br />
required very little mental effort on the part of the worker or attendant; we found that<br />
the men who stayed in those jobs were the men who did not want to exert their minds<br />
or who had very little in the way of minds to exert. It would be most unfortunate if<br />
industry provided places only for the thinking men. For then the unthinking would<br />
become public charges […]. “(Ford, 1930, S. 121).<br />
Es stellt sich die Frage, ob Ford nicht Ursache mit Wirkung verwechselt hat.<br />
ArbeiterInnen haben im Alltagsgespräch und in den Interviews (auf welche ich im<br />
empirischen Teil eingehen werde) die diffuse Angst geäußert, durch die Arbeit zu<br />
„verblöden“.<br />
2.3.5 Rationalisierung im tayloristischen System<br />
Während seiner Tätigkeit als Arbeiter in der Maschinenfabrik Midvale Steel Co.<br />
(1878) beobachtete Taylor bei seinen Kollegen ein, wie er es nannte, „Sich – vor –<br />
der Arbeit – Drücken“. Nach seinem beruflichen Aufstieg wollte er diesen<br />
„unehrlichen Tagesleistungen“ seiner ehemaligen Kollegen ein Ende setzten und<br />
dadurch den Profit steigern (vgl. Taylor, 1995, S. 52).<br />
Taylor versuchte mit Hilfe des so genannten „scientific management“, die<br />
Arbeitsleistung zu erhöhen. Dazu sind nach Taylor (1995:125f.) folgende Schritte<br />
notwendig: Zuerst sollen Arbeiter ausgewählt werden, die sich bei der zu<br />
untersuchenden Arbeitsaufgabe besonders bewährt haben. Danach werden die<br />
einzelnen Arbeitsschritte und das Werkzeug analysiert. Mittels Stoppuhr wird<br />
anschließend die Zeit gemessen, welche die besten Arbeiter für die einzelnen<br />
22
Teilarbeitsschritte brauchen. 2 Nach der Zeitnahme sollen überflüssige Bewegungen<br />
ausgeschaltet werden. Die rationalste Methode von Einzelbewegungen wird zur<br />
Norm gemacht, bis sie von einer besseren Reihe von Bewegungsschritten ersetzt<br />
wird.<br />
„Der Arbeiter erhält gewöhnlich eine ausführliche schriftliche Anleitung, die ihm bis<br />
ins Detail seine Aufgabe, seine Werkzeuge und ihre Handhabung erklärt. [...]. Dieses<br />
Pensum bestimmt nicht nur, was sondern auch wie es getan werden soll, […]. Jeder<br />
Arbeiter, der seine Aufgabe einwandfrei in der vorgeschriebenen Zeit geleistet hat,<br />
erhält eine Zuschlagprämie von 30 bis 100% seines gewöhnlichen Lohnes.“ (Taylor,<br />
1995, S. 41).<br />
Das eindruckvollste Beispiel der Erprobung und Anwendung dieser Methoden ist<br />
das, jenes Roheisenverladers, den Taylor „Schmidt“ genannt hat. Bei der<br />
Roheisenverladung in den Bethlehem – Stahlwerken hob ein Roheisenverlader einen<br />
Eisenbarren von ca. 42 kg hoch und stapelte ihn an einer anderen Stelle. Im<br />
Durchschnitt verlud ein Arbeiter 12 ½ t pro Tag. Taylor kam in seinen Berechnungen<br />
zu dem Schluss, dass ein erstklassiger Arbeiter 47 bis 48 t täglich schaffen sollte<br />
(vgl. Taylor, 1995, S. 43ff.).<br />
Nach Auswahl der stärksten Arbeiter, wurden diese auch in ihren<br />
Freizeitgewohnheiten studiert. Bei einem Arbeiter (Hr. Schmidt) wurde festgestellt,<br />
dass er dem Geld einen hohen Stellenwert beimaß, und vor bzw. nach der Arbeit an<br />
einem Eigenheim baute. An diesem Mann begann die Erprobung des<br />
Pensumsystems. Dem Arbeiter wurde eine 60%ige Lohnerhöhung angeboten, dafür<br />
musste er nach den genauen Anweisungen eines „Lehrers“ arbeitete (vgl. Taylor,<br />
1995, S. 46ff.).<br />
2 Taylor (1995:57f.) meinte, dass es ihm nicht darum ginge, eine Maximalleistung, sondern<br />
die Normalleistung ausfindig zu machen. Diese „Normalleistung“ versuchte er an den<br />
schnellsten, stärksten und geschicktesten Arbeitern zu erforschen, denen er während der<br />
Dauer seiner Untersuchungen den doppelten Lohn bezahlte, und die zusätzlich „motiviert“<br />
wurden durch Androhung der sofortigen Kündigung bei Leistungszurückhaltung.<br />
23
„Wenn Sie nun eine erste Kraft sind, dann werden Sie morgen genau tun, was dieser<br />
Mann Ihnen sagt, und zwar von morgens bis abends. Wenn er sagt, Sie sollen einen<br />
Roheisenbarren aufheben und damit weitergehen, dann heben Sie ihn auf und<br />
gehen damit weiter! Wenn er sagt, Sie sollen sich niedersetzen und ausruhen, dann<br />
setzen Sie sich hin! […]. Und was noch dazu kommt, keine Widerrede! [...]. Das<br />
scheint wohl eine etwas rauhe Art, mit jemandem zu sprechen, und das würde es<br />
auch tatsächlich sein einem gebildeten Mechaniker oder auch nur einem intelligenten<br />
Arbeiter gegenüber. Jedoch bei einem Mann von der geistigen Unbeholfenheit<br />
unseres Freundes ist es vollständig angebracht und durchaus nicht unfreundlich,<br />
besonders da es seinen Zweck erreichte, sein Augenmerk auf die hohen Löhne zu<br />
lenken, die ihm in die Augen stachen, und ihn ablenkte von dem, was er<br />
wahrscheinlich als unmöglich harte Arbeit bezeichnet hätte, wenn er darauf<br />
aufmerksam gemacht worden wäre.“ (Taylor, 1995, S. 48f.).<br />
Auf Kritik wegen der relativ geringen Lohnerhöhung bei 3,6mal soviel Arbeit, weiß<br />
Taylor zahlreiche Argumente: Das Volk als die Verbraucher der Produkte sollte<br />
ebenfalls von dem Fortschritt profitieren. Die Verbesserung in der<br />
Produktionsleistung sei nicht vom Arbeiter selbst, sondern von einem anderen<br />
entwickelt worden (vgl. Taylor, 1995, S. 146ff.). Eine Lohnerhöhung von mehr als 60<br />
% würde den Charakter des Arbeiters verderben und zu Unzuverlässigkeit,<br />
verschwenderischem Verhalten und Vergnügungssucht führen. (vgl. Taylor 1995, S.<br />
77f.). Schließlich wäre ein noch höherer Lohn für einen „einfältigen“<br />
Roheisenverlader unangemessen (vgl. Taylor, 1995, S. 64).<br />
In späteren Untersuchungen kam der Arbeitsphysiologen Lehmann zu dem Schluss,<br />
dass die tägliche Mehrleisstung von 280% eine Überbeanspruchung ist.<br />
Rationalisierungsmaßnahmen würden nur einen Vorteil für die Unternehmer<br />
darstellen, nicht aber für die Arbeiter, denen dadurch Höchstleistungen aufgenötigt<br />
wurden. Wie eine Maschine sollte der Mensch seine Arbeit verrichten, für persönliche<br />
Bedürfnisse blieb kein Platz (vgl. Buggert 1999, S. 103ff.).<br />
Taylor sah neben den Vorteilen seiner Methode für das Unternehmen, auch Vorteile<br />
für die Arbeiter, z.B. höhere Löhne, verkürzte Arbeitszeiten und das Interesse der<br />
24
Leitung an jedem einzelnen Arbeiter 3 . Der Vorteil für die Gesellschaft bestünde in der<br />
Möglichkeit, Produkte zu günstigeren Preisen zu erwerben und auch in einer<br />
besseren Qualität (vgl. Taylor, 1995, S. 74f., 100f.).<br />
Die vielen Nachteile für die Arbeiter sah Taylor nicht. So zum Beispiel die soziale<br />
Isolation, welche die neue Form der Arbeitsorganisation mit sich brachte. In einem<br />
Unternehmen, wo Taylor Untersuchungen durchführte, wurden die ArbeiterInnen so<br />
auseinander gesetzt, dass es ihnen nicht möglich war, sich während der Arbeit<br />
miteinander zu unterhalten (vgl. Taylor, 1995, S. 97). Taylor (1995:76) sprach sich<br />
gegen Gruppenarbeit, sogenannte „Rottenarbeit“ aus, da sie die Leistung des<br />
Einzelnen mindere.<br />
Er empfahl einen langsamen Übergang von der früheren „Faustregelmethode“ zur<br />
wissenschaftlichen Betriebsführung. Denn dieser Übergang erfordere eine geistige<br />
Umstellung bei den Arbeitern hinsichtlich ihrer Einstellung zur Arbeit und zum<br />
Arbeitgeber, sowie das Loslassen von alten Gewohnheiten. Das Pensumsystem<br />
sollte zuerst bei wenigen Arbeitern angewandt werden, und jedem Arbeiter müssten<br />
die Vorteile des neuen Systems klar gemacht werden (vgl. Taylor, 1995, S. 106,<br />
142).<br />
Ist es ein Zeichen der Aktualität von Taylor’s Ansatz, dass sein Buch „die Grundsätze<br />
wissenschaftlicher Betriebsführung“ von 1913 schon mehrfach wiederaufgelegt<br />
worden ist? Theoretiker sprechen davon, dass der ursprüngliche Taylorismus<br />
überwunden sei:<br />
„Der Taylorismus wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen: nicht – tayloristische<br />
Unternehmenskonzepte erwiesen sich als effizienter. Der alte Taylorismus erstickte<br />
an seinen eigenen Erfolgen, die den Unternehmen eine wachsende<br />
Betriebsbürokratie bescherten und rasch an den Punkt gelangten, an dem eine<br />
weitere Reduktion direkter Fertigungsarbeit dazu führte, daß die erzielten<br />
Einsparungen von steigenden bürokratischen Kontrollkosten aufgezehrt wurden.“<br />
(Kocyba, 2000, S. 19).<br />
3 Dieses „Interesse am Arbeiter” beschränkt sich bei Taylor auf das Interesse am Arbeiter als Produktionsfaktor.<br />
25
2.4 Geschichte des Widerstandes gegen die „neue Form der Arbeit“<br />
2.4.1 Vorindustrielle Protestaktionen<br />
„Bet’ und arbeit’!“ ruft die Welt.<br />
Bete kurz, denn Zeit ist Geld!<br />
An die Türe pocht die Not,<br />
bete kurz, denn Zeit ist Brot!<br />
Und du ackerst, und du säst,<br />
und du nietest, und du nähst.<br />
Und du hämmerst, und du spinnst,<br />
sag, o Volk, was du gewinnst?<br />
[...]<br />
Mann der Arbeit, aufgewacht,<br />
und erkenne deine Macht!<br />
Alle Räder stehen still,<br />
wenn dein starker Arm es will!<br />
Text: (Herwegh, Georg, 1980, S. 93).<br />
Es hat schon in vorkapitalistischen Zeiten Protestaktionen der Arbeitenden gegen die<br />
Arbeitsbedingungen gegeben. Als Beispiele können die Proteste der Sklaven in der<br />
Antike sowie die Aufstände und Gewaltaktionen von Handwerkern und gewerblichen<br />
Produzenten im Mittelalter betrachtet werden (vgl. Oppolzer, 1977, S. 31f.).<br />
In der vor – industriellen Produktion fühlten sich die Arbeiter trotz Abhängigkeit z.B.<br />
von Zwischenmeistern und Großhändlern noch nicht als Verkäufer ihrer Arbeitskraft,<br />
sondern als selbständige Produzenten die ihre Produkte verkauften (vgl. Ehmer,<br />
1984, S. 151).<br />
In der Zeit der Proto – Industrialisierung war der „Teuerungsaufruhr“, an dem ganze<br />
Gemeinden teilnahmen, im Gegensatz zum später vorherrschenden Lohnkampf, die<br />
am weitesten verbreitete Konfliktart. Ausgelöst durch Preisschwankungen von<br />
26
Lebensmittel wurde der Konflikt in Form von Gewalt gegen den Unternehmer und<br />
seine Besitztümer ausgetragen (vgl. Ehmer, 1984, S. 151).<br />
2.4.2 Konflikte in der industriellen Arbeitswelt: Strukturelle Ursachen<br />
Die Konflikte der Arbeitswelt sind nach Ehmer unter anderem strukturell bedingt, d.h.<br />
durch den Widerspruch zwischen den Interessen der Lohnarbeiter und denen der<br />
Kapitalisten verursacht.<br />
„Aus unterschiedlichen Produktionszielen resultieren Interessengegensätze: der<br />
Unternehmer strebt – unter dem Druck der Konkurrenz – nach Profitsteigerung zur<br />
weiteren Akkumulation, der Arbeiter nimmt an der Produktion teil, um seinen<br />
Lebensunterhalt zu erwerben. Das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer im<br />
industriekapitalistischen Betrieb ist damit ein latentes Konfliktfeld.“ (Ehmer, 1984, S.<br />
148).<br />
Was in der betrieblichen Praxis ein Vorteil für den Unternehmer ist, führe meistens zu<br />
einer Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitenden (vgl.<br />
Oppolzer, 1977, S. 35).<br />
2.4.3 Phasen der Arbeiterkämpfe<br />
Oppolzer (1977: 32) zeichnet in Anlehnung an Engels die vier Phasen in der<br />
Geschichte des Arbeitskampfes nach. Es soll auf folgende Phasen der<br />
Arbeiterkämpfe eingegangen werden: - Gewaltaktionen, - Maschinensturm,<br />
Gewerkschaft und Streik, - politischer Kampf, und in Ergänzung dazu noch der -<br />
passive Widerstand.<br />
- Gewaltaktionen<br />
Am Anfang der Geschichte der Industriearbeit sei es zu „individueller Feindseligkeit<br />
der Arbeiter gegenüber der Bourgeoisie, ihren Personen und ihrem Besitz“<br />
gekommen, die sich in verschiedenen Formen von Verbrechen, wie Diebstahl, Raub<br />
und Mord gezeigt hat (vgl. Oppolzer, 1977, S. 27f.).<br />
27
Eine friedlichere Variante stellte das Lärmen vor den Häusern der Unternehmer dar,<br />
welches als „Katzenmusik“ bezeichnet wurde: „Katzenmusiken vor den Wohnhäusern<br />
von Fabrikanten waren äußerst populär, sie spielten in Deutschland und in Österreich<br />
noch in der Revolution von 1848 eine große Rolle. Unzufriedene Arbeiter zogen<br />
dabei zu den Wohnungen der Unternehmer, erzeugten auf mitgebrachten Gefäßen<br />
und Kochgeschirren einen höllischen Lärm, erregten damit die Aufmerksamkeit der<br />
Passanten und brachten ihre Klagen vor. Erst wenn der Unternehmer erschienen war<br />
und die Erfüllung der Wünsche versprochen hatte, zogen die Arbeiter wieder ab.“<br />
(Ehmer, 1984, S. 152).<br />
- Maschinensturm<br />
In der darauffolgenden Phase sei die Aggression gegen die Produktionsmittel<br />
vorherrschend gewesen. Darunter wird die „kollektive Zerstörung von Maschinen und<br />
Fabriken“ verstanden. Die sogenannten „Maschinenstürmer“ war eine Gruppe von<br />
Arbeitern, die sich gemeinsam gegen die Maschinerie wehrte, sowie gegen deren<br />
Erfinder und Konstrukteure. Die Arbeiter befürchteten u.a. durch Maschinen ersetzt<br />
zu werden (vgl. Oppolzer, 1977, S. 27f.).<br />
„In England war der Maschinensturm über eineinhalb Jahrhunderte hinweg – von<br />
1663 bis 1831 – ein häufig angewandtes Kampfmittel der Arbeiter, das seinen<br />
Höhepunkt in der Ludditenbewegung von 1811 bis 1825 erreichte. Auf dem Kontinent<br />
waren vor allem im Vormärz Maschinenstürmer aktiv, und sie spielten noch in der<br />
Revolution von 1848 eine große Rolle.“ (Ehmer, 1984, S. 154).<br />
Ehmer (1984:156) sieht in der Wahl der Kampfmethode „Maschinensturm“ soziale<br />
Ursachen. In der frühen Zeit der industriellen Produktion, wo noch viele Arbeiter in<br />
der Hausindustrie oder kleinen Gewerben tätig waren, wäre die Organisation eines<br />
Streiks kaum möglich gewesen. Die Maschinenstürmer hatten durchaus Erfolge,<br />
doch in weiterer Folge verließen Unternehmer die Regionen mit hohem<br />
Konfliktpotential und suchten sich andere Standorte.<br />
„Diese Erfahrungen setzten Lernprozesse in Gang, die dadurch unterstützt wurden,<br />
daß trotz allen Widerstandes immer mehr Arbeiter in der Fabrikindustrie<br />
Beschäftigung fanden. Ab 1831 kam es in England nur mehr selten – und als<br />
28
Ausnahme – zur Zerstörung von Maschinen, obwohl gerade dieser Zeitraum durch<br />
einen stürmischen technischen Fortschritt gekennzeichnet war.“ (Ehmer, 1984, S.<br />
156f.).<br />
- Gewerkschaft und Streik<br />
Während bei früheren Streikformen, wie Katzenmusik oder Maschinensturm die<br />
Einstellung der Arbeit bloß eine Begleiterscheinung und notwendige Voraussetzung<br />
war, wurde die Arbeitsverweigerung im Streik bewusst eingesetzt. Ab ca. 1830 wurde<br />
in Mitteleuropa der Streik als Arbeitskampf gebräuchlich, einen ersten Höhepunkt<br />
erreichte die Streikbewegung zwischen 1871 – 1873. Mitte 1873 kam es durch die<br />
Wirtschaftskrise wieder zur Abnahme der Streiks (vgl. Ehmer, 1984, S. 157ff.).<br />
Oppolzer (1977:27f.) bezeichnet den Streik als „[...]wirksamste, weil in das Zentrum<br />
des kapitalistischen Verwertungsinteresses zielende, planvoll angelegte und bewußt<br />
überlegte kollektive Aktion der Arbeiterklasse zur Durchsetzung ihrer<br />
arbeitsplatzbezogenen Forderungen [...].“<br />
Ehmer (1984:159f.) sieht die Gründung von gewerkschaftlichen Organisationen als<br />
die Voraussetzung für einen Streik. Die Streikenden waren auf finanzielle<br />
Unterstützung angewiesen. Forderungen in Streiks waren z.B.: höhere Löhne,<br />
Arbeitszeitverkürzung, Abschaffung der Fabrikordnung sowie das Recht auf<br />
gewerkschaftliche und politische Beteiligung im Betrieb.<br />
„Sowohl die finanzielle Absicherung als auch die Breite von Streiks konnte letztlich<br />
nur dann dauerhaft gewährleistet werden, wenn die Arbeiter gewerkschaftliche<br />
Organisationen gründeten. Umgekehrt wurden gerade in Streiks die Grundlagen für<br />
eine Organisierung gelegt: Während des Arbeitskampfes musste die kollektive<br />
Meinungsbildung gewährleistet sein, Organe mußten gewählt werden, die die<br />
Verhandlungen mit den Unternehmern führten, und ähnliches mehr.“ (Ehmer, 1984,<br />
S. 162).<br />
Zunächst kam es zur Bildung von illegalen Arbeitervereinigungen. Durch die<br />
„erkämpfte Koalitionsfreiheit“ konnten „gewerkschaftliche Vereinigungen der Arbeiter“<br />
entstehen. Ihnen ging es vor allem um die Durchsetzung von Lohnerhöhungen, die<br />
29
Verbesserung von Arbeitsbedingungen und die finanzielle Absicherung der Arbeiter<br />
in schwierigen Situationen (Oppolzer, 1977, S. 27f.).<br />
Das Streikverbot von 1852 wurde in Österreich mit dem Koalitionsrecht aufgehoben.<br />
Vorerst durften die Arbeiter gewerkschaftliche Organisationen gründen und Streiks<br />
organisieren. Es kam zu Einschränkungen dieser Rechte, erst ab 1890 war die<br />
gesetzliche Basis gegenüber Streiks liberal. Im Faschismus gab es wieder ein<br />
gesetzliches Verbot von Arbeiterkoalitionen. Und nach 1945 wurde das Koalitions-<br />
und Streikrecht erneut anerkannt (vgl. Ehmer, 1984, S. 163ff.).<br />
Bei den Gewerkschaften war teilweise ein Widerspruch der Interessen zwischen<br />
Streikverhinderung und Unterstützung der Arbeiter zu beobachten. Dadurch<br />
entwickelte sich der so genannte wilde Streik als neue Arbeitskampfform, der sich<br />
sowohl gegen Unternehmer als auch gegen die Gewerkschaftsführung richtete (vgl.<br />
Ehmer, 1984, S. 163).<br />
Ehmer (1984:172) beschreibt einen geschichtlichen Wandel im Streikverhalten.<br />
Während früher in Krisenzeiten gestreikt wurde, kam es später in Phasen der<br />
wirtschaftlichen Blüte vermehrt zu Streiks. Zu diesen Zeiten war Entlassung weniger<br />
bedrohlich und die Chance eines erfolgreichen Streiks höher. Die Streikmotivation<br />
war erhöht, die ArbeiterInnen wollten auch einen Anteil von den steigenden<br />
Gewinnen.<br />
In verschiedenen geschichtlichen Epochen standen unterschiedliche<br />
Konfliktursachen im Vordergrund. Entweder ging es vorrangig um Lohn, Arbeitszeit,<br />
Arbeitsbedingungen oder Mitbestimmungsrechte. In der Zeit vor dem Ersten<br />
Weltkrieg ging es den Streikenden hauptsächlich um höhere Löhne und<br />
Arbeitszeitverkürzungen. Kurz vor Ausbruch des ersten WK rückten hauptsächlich in<br />
der Automobilindustrie die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen in den<br />
Mittelpunkt. Dies muss im Zusammenhang mit der Einführung des tayloristischen<br />
Systems gesehen werden. Die Automation stellt die Frage nach der<br />
Arbeitsplatzsicherheit in den Vordergrund (vgl. Ehmer, 1984, S. 169ff.).<br />
30
Unternehmer hatten verschiedene Mittel gegen die Streikbereitschaft der<br />
ArbeiterInnen. In den Anfangszeiten gab es sogenannte „schwarze Listen“ in denen<br />
Arbeiter, die in Arbeitskämpfen aktiv gewesen sind, aufgelistet waren. Sie wurden<br />
entlassen und andere Betriebe wurden gewarnt, diese Arbeiter einzustellen (vgl.<br />
Ehmer, 1984, S. 166).<br />
Durch die „Aussperrung“ sollte eine Uneinigkeit unter den ArbeiterInnen entstehen,<br />
da auch solche davon betroffen waren, die ursprünglich nicht am Streik beteiligt<br />
waren. Den Gewerkschaften war die Unterstützung der hohen Anzahl von<br />
Ausgesperrten, d.h. meist gekündigten Arbeitenden, schwer möglich. In Österreich<br />
wurde das Kampfmittel der Aussperrung in der 2. Republik selten angewandt, ein<br />
Grund dafür ist das weit entwickelte System der Sozialpartnerschaft (vgl. Ehmer,<br />
1984, S. 167).<br />
- politischer Kampf<br />
In politischen Vereinigungen kommt es zu einem Kampf der gesamten Arbeiterklasse<br />
gegen die Bourgeoisie. Nach Engels stellt diese Form der Auseinandersetzung die<br />
am weitest Entwickelte dar. Arbeiterparteien unterstützen die Forderungen nach<br />
verbesserten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter (vgl. Oppolzer, 1977, S.<br />
29).<br />
Die von Oppolzer nachgezeichneten geschichtlich aufeinanderfolgenden Phasen des<br />
Arbeiterkampfes dürfen nicht so verstanden werden, dass Arbeiter heute nur mehr<br />
über politische Parteien gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgehen würden. So<br />
sind aggressive Handlungen im industriellen Bereich auch heute noch aktuell:<br />
„Die bewußtlos-ohnmächtige Protestation der Arbeitenden richtet sich dabei gegen<br />
alle Elemente industrieller Produktion: Gegen die sachlichen Produktionsmittel, die<br />
Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel ebenso wie gegen die fertigen Produkte und<br />
gegen unmittelbare Vorgesetzte und Arbeitskollegen, aber auch gegen sich selbst,<br />
gegen den eigenen Körper.“ (Oppolzert, 1977, S. 30).<br />
31
- passiver Widerstand<br />
Absentismus und Fluktuation sowie geringe Qualität der Arbeit (hoher Ausschuß)<br />
können nach Frese (1977:87) als passiver Widerstand bezeichnet werden.<br />
Demgegenüber betrachtet er Streik, Arbeitszurückhaltung und Sabotage als Formen<br />
des aktiven Widerstandes gegen die Arbeitsbedingungen.<br />
Ein vermehrtes Auftreten der Unzufriedenheit stellt Braverman in den 1970ern fest.<br />
Dass sich die Arbeiter trauten, ihre Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen z.B.<br />
in unentschuldigtem Fehlen zu äußern, hing mit dem Absinken der<br />
Arbeitslosenzahlen Ende der sechziger Jahre zusammen (Braverman, 1977, S. 34f.).<br />
Von Anbeginn der Industrialisierung hat es immer wieder Proteste bzw. passiven<br />
Widerstand gegen diese gegeben. Daraus entstehen für das Unternehmen große<br />
Kosten, was es zu verschiedenen „Humanisierungsmaßnahmen“ 4 bewegt, auf<br />
welche im Kapitel 3. genauer eingegangen wird (Frese, 1977, S. 87).<br />
2.4.4 Wissenschaftliche Analysen von Karl Marx<br />
Karl Marx hat die Besonderheiten der industriekapitalistischen Produktionsweise im<br />
19. Jhdt. analysiert und sich dafür eingesetzt, dass der damals im hohen Ausmaß<br />
ausgebeuteten Arbeiterklasse ihre Lage bewusst wird; in der Hoffnung auf<br />
Revolution und darauf folgende positive Veränderungen für die Arbeitenden.<br />
Marx (1969:262) sieht die Unterschiede der fabrikmäßigen Produktionsweise<br />
gegenüber dem Manufakturzeitalter in einer erhöhten Forderung zur Anpassung des<br />
Arbeiters an die Maschine sowie in einer Sinn – Entleerung der Arbeit:<br />
„In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie werden<br />
ihm als lebendige Anhängsel einverleibt. Während die Maschinenarbeit das<br />
Nervensystem aufs äußerste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der<br />
Muskeln und konfisziert alle freie körperliche und geistige Tätigkeit. Selbst die<br />
Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den<br />
4 Unter der Motivation der Kostensenkung für das Unternehmen kann genau genommen nicht von<br />
Humanisierung gesprochen werden, da eine echte Humanisierung in erster Linie durch die<br />
Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitenden motiviert sein müsste.<br />
32
Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt.“ (Marx, 1969, S.<br />
262).<br />
Im Rahmen der Diplomarbeit wird primär auf das Verhältnis des Arbeiters zu seiner<br />
Arbeit eingegangen, daher wird im Folgenden von Marxens Analysen dieser Bereich<br />
herausgearbeitet. Im Kapitel 6 werde ich noch auf die Formen der Entfremdung von<br />
Marx eingehen.<br />
Marx zufolge ist die Arbeitskraft unter den Produktionsbedingungen des Kapitalismus<br />
eine Ware, vergleichbar mit anderen Waren, gemessen wird sie nach der Uhr. Der<br />
Gebrauchswert von Waren sei in der industriekapitalistischen Produktion zweitrangig,<br />
deren Tauschwert stünde im Vordergrund. Dieser bemisst sich nach Marx durch die<br />
durchschnittliche Arbeitszeit, die zur Produktion einer Ware notwendig ist (vgl. Marx,<br />
1998, S. 147, 19f.).<br />
Der Wert der Ware Arbeitskraft wird ähnlich wie bei anderen Waren durch Angebot<br />
und Nachfrage bestimmt. Daraus entstünden verschiedene Konkurrenzverhältnisse:<br />
„Es findet also eine Konkurrenz unter den Verkäufern statt, die den Preis der von<br />
ihnen angebotnen Waren herabdrückt. Es findet aber auch eine Konkurrenz unter<br />
den Käufern statt, die ihrerseits den Preis der angebotnen Waren steigen macht. Es<br />
findet endlich eine Konkurrenz unter den Käufern und Verkäufern statt; die einen<br />
wollen möglichst wohlfeil kaufen, die andern wollen möglichst teuer verkaufen.“<br />
(Marx, 1998, S. 22).<br />
Da der Arbeiter nicht selbst Besitzer der Produktionsmittel ist, sondern diese dem<br />
jeweiligen Kapitalisten gehören, ist er gezwungen, seine Arbeitskraft an diesen zu<br />
verkaufen. Lohnarbeit und Kapital bedingen einander gegenseitig: „Die Existenz<br />
einer Klasse, die nichts besitzt als die Arbeitsfähigkeit, ist eine notwendige<br />
Voraussetzung des Kapitals.“ (Marx, 1998, S. 28).<br />
Unter kapitalistischen Produktionsbedingungen arbeitet der Arbeiter mehr, als für<br />
seine Lebenserhaltungskosten notwendig wäre. Über diese „notwendige Arbeitszeit“<br />
hinaus, leistet er „Mehrarbeit“ für den Kapitalisten (vgl. Marx, 1872, S. 195).<br />
33
Im Zuge der Fabrikisierung der Produktion ist es zu zahlreichen Veränderungen für<br />
die Arbeiter gekommen: Durch den vermehrten Einsatz von Maschinen kam es zur<br />
Veränderung in der Struktur der Arbeiterschaft. Es wurden „[...] geschickte Arbeiter<br />
durch ungeschickte, Männer durch Weiber, Erwachsene durch Kinder verdrängt [...]“.<br />
(Marx, 1998, S. 39).<br />
Die Aufsplitterung und Teilung der Arbeit in sich wiederholende Einzelschritte, führte<br />
nach Marx (1998:39) dazu, dass ein Arbeiter nun die Arbeit von Vielen verrichten<br />
konnte, was wiederum zu einer vermehrten Konkurrenz unter den Arbeitern beitrug.<br />
Außerdem kommt es durch die Teilung der Arbeit dazu, dass diese vereinfacht wird.<br />
Es sind keine besonderen Fähigkeiten mehr notwendig, um diese Art von Arbeit zu<br />
verrichten, der Arbeiter wird leicht austauschbar und durch die geringen<br />
Qualifikationsanforderungen sinken sein Lohn sowie die Produktionskosten. Der<br />
Arbeiter würde versuchen, seinen Lohn zu erhöhen, indem er mehrere Stunden<br />
arbeitet oder in derselben Stunde mehr produziert. Dadurch aber würde er nur die<br />
schlechten Arbeitsbedingungen verstärken (vgl. Marx, 1998, S. 39).<br />
Marx beschreibt das entfremdete Verhältnis des Arbeiters zu seiner Arbeit, wie es<br />
durch die industriekapitalistische Produktionsweise entstünde:<br />
„Seine Lebenstätigkeit ist für ihn also nur ein Mittel, um existieren zu können. Er<br />
arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist<br />
vielmehr ein Opfer seines Lebens. [...]. Das Leben fängt da für ihn an, wo diese<br />
Tätigkeit aufhört, am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett. Die zwölfstündige Arbeit<br />
dagegen hat ihm keinen Sinn als Weben, Spinnen, Bohren usw., sondern als<br />
Verdienen, das ihn an den Tisch, auf die Wirtshausbank, ins Bett bringt.“ (Marx,<br />
1998, S. 20).<br />
Seit den Anfangszeiten der Industrialisierung hat sich Vieles geändert und es kann<br />
zumindest in Europa im Allgemeinen von einer Verbesserung der<br />
Arbeitsbedingungen gesprochen werden. Schumann nennt folgende<br />
Verbesserungen für die Arbeitenden:<br />
34
„Wahlrecht, soziale Sicherungen, Koalitionsfreiheit, Streikrecht, Arbeitszeitreduktion,<br />
ergonomische Verbesserungen, höhere Löhne, betriebliche Sonderabsicherungen<br />
und Gratifikationen, begrenzte innerbetriebliche Aufstiegschancen. Also: Teilhabe am<br />
gesellschaftlichen Fortschritt und am materiellen Wohlstand.“ (Vgl.) Schumann<br />
Michael: Industriearbeit zwischen Entfremdung und Entfaltung (2000), Online im<br />
WWW unter URL: http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc/le/sofi/2000_28/schumann.pdf<br />
[Stand: 25.05.09].<br />
Im Folgenden sollen wichtige Humanisierungsmaßnahmen im Bereich der<br />
Industriearbeit dargstellt und kritisch betrachtet werden.<br />
3 Humanisierung der Arbeit<br />
Unter dem Begriff „Humanisierung“ der Arbeit werden Maßnahmen zur Verbesserung<br />
des Arbeitsinhaltes und der Arbeitsbedingungen verstanden, um die Arbeitswelt<br />
menschengerechter zu gestalten. (Vgl.) Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort:<br />
Humanisierung der Arbeit, Online im Internet unter URL:<br />
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/55074/humanisierung-‐der-‐arbeit-‐v7.html [Stand:<br />
14.10. 2010].<br />
Mikl-Horke fasst die Kritikpunkte verschiedener Autoren an der<br />
industriekapitalistischen Produktion zusammen. Dazu zählen z.B. psychophysische<br />
Über bzw. Unterforderung durch die Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Existenzangst<br />
der Arbeiter und Fremdbestimmung der Arbeit, mangelnder individueller<br />
Gestaltungsspielraum bei der Arbeit sowie geringe Qualifikations- und<br />
Aufstiegschancen (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 274f.).<br />
Im Gegensatz dazu beschreibt sie, was im Allgemeinen unter positiven<br />
Arbeitsbedingungen verstanden werden kann:<br />
„Alle diese Faktoren: Autonomie, Sinnhaftigkeit, soziale Beziehungen, physische und<br />
psychische Eignung, Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten, existentielle<br />
Sicherheit, Absenz von Arbeitsleid werden als Bedingungen menschengerechten<br />
Arbeitens angeführt. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß diese<br />
35
positiven Eigenschaften der Arbeit durchaus auch aus subjektiver Sicht mit<br />
Belastungen verbunden sein können, z.B. mit erhöhter Verantwortung […].“ (Mikl-<br />
Horke, 1991, S. 275).<br />
In den Anfangszeiten der industriellen Produktion konzentrierten sich<br />
Humanisierungsbemühungen hauptsächlich darauf, die körperlich belastende Arbeit<br />
sowie die langen Arbeitszeiten zu verändern. Durch die zunehmende<br />
Mechanisierung traten dann die Probleme der repetitiven, einseitig belastenden<br />
Arbeit, sowie das damit zusammenhängende Monotonieerleben und die psychische<br />
Anstrengung in den Vordergrund (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 275).<br />
Humanisierungsmaßnahmen können hinsichtlich ihrer Ansatzpunkte unterschieden<br />
werden. So können sie die Bedingungen unter denen gearbeitet wird (die<br />
Arbeitsumwelt) betreffen. Hierzu zählen z.B. Lohnerhöhungen, erhöhte Sicherheit,<br />
oder ein verbessertes Betriebsklima. Maßnahmen, welche die Arbeitsmittel betreffen<br />
werden unter dem Stichwort „Ergonomie am Arbeitsplatz“ zusammengefasst. Es geht<br />
bei diesen darum, die menschlichen Bedürfnisse bei der technischen Gestaltung mit<br />
einzubeziehen. Andere Humanisierungsstrategien setzen an der Macht- und<br />
Entscheidungsverteilung im Betrieb an. Das Mitspracherecht und die<br />
Selbstbestimmung der Arbeitenden, wie auch deren Kompetenz sollen dabei erhöht<br />
werden. Humanisierungsmaßnahmen, welche die gesellschaftlichen<br />
Klassenverhältnisse betreffen, sind beispielsweise „Gewinnbeteiligungsprogramme,<br />
Vermögensbildungsförderung, Demokratisierung der Bildung etc.“ Schließlich gibt es<br />
Humanisierungsstrategien, welche die Organisation der Arbeit betreffen. Hier sollen<br />
durch eine Umgestaltung, die Arbeitsinhalte oder die sozialen Bedingungen am<br />
Arbeitsplatz verbessert werden (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 276).<br />
Im Folgenden möchte ich genauer auf arbeitsorganisatorische<br />
Humanisierungsmaßnahmen eingehen, und eine kritische Betrachtung von<br />
Humanisierungsbemühungen anschließen.<br />
3.1 Aufgabenwechsel (job rotation)<br />
Es geht hierbei um einen, in regelmäßigen Abständen erfolgenden Wechsel des<br />
Arbeitsplatzes. Ziel des Arbeitsplatzwechsels ist es, Ermüdungserscheinungen und<br />
36
Monotoniesymptome, infolge von sich wiederholenden Arbeitsabläufen vorzubeugen.<br />
Außerdem entsteht eine kurze Pause beim Wechsel von einem Arbeitsplatz zum<br />
anderen. Für das Unternehmen hat „job rotation“ den Vorteil, dass die Mitarbeiter an<br />
mehreren Arbeitsplätzen eingesetzt werden können. Ein Nachteil für die Mitarbeiter<br />
ist, dass sie sich dadurch oft schnell an neue Bewegungsabläufe gewöhnen müssen.<br />
Viele ArbeiterInnen haben Angst, bei einem Tätigkeitswechsel bei den neuen<br />
Aufgaben nicht schnell genug zu sein, was im Falle von Akkordlohn einen Einfluss<br />
auf die Höhe ihres Lohnes und in weiterer Folge auf die Sicherheit ihres<br />
Arbeitsplatzes haben könnte (Buggert, 1999, S. 195).<br />
Die Maßnahme des „job rotation“ kann auch aus Gründen der Gewöhnung an einen<br />
Arbeitsplatz und der Identifikation mit diesem, von den ArbeiterInnen abgelehnt<br />
werden: „Schließlich kann auch darauf verwiesen werden, daß sich zahlreiche<br />
Arbeitende in deutlicher Weise mit ihrem Arbeitsplatz oder „ihrer“ Maschine<br />
identifizieren. Diese Identifikation ist verbunden mit der Sicherheit, dem Bewußtsein,<br />
daß man an diesen bestimmten Platz hingehört […]“. (Gubser, 1968, S. 143).<br />
Gubser empfiehlt das periodische Ablösesystem gleich von Anfang an einzuführen,<br />
da es durch spätere Änderung bei den ArbeiterInnen sonst leicht zu Widerständen<br />
kommt. Außerdem sei bei dem System des Arbeitsplatzwechsels darauf zu achten,<br />
dass jede Person jeweils eine Haupttätigkeit hat und einen Arbeitsplatz als den ihren<br />
bezeichnen kann (Gubser, 1968, S. 143).<br />
3.2 Aufgabenvergrößerung (job enlargement)<br />
Beim sogenannten Job enlargement geht es darum, den MitarbeiterInnen dadurch<br />
mehr Abwechslung zu verschaffen, dass sie anstatt einer, mehrere kleine<br />
Teilaufgaben in einer längeren Zeitspanne auszuführen haben. Dabei bleiben sie auf<br />
ihrem eigenen Arbeitsplatz.<br />
„In einigen Fällen wird die Forderung nach Job enlargement Anlaß zur völligen<br />
Abkehr vom Fließband und Übergang zu Einzelarbeitsplätzen oder teilautonomen<br />
Gruppen.“ (Buggert, 1999, S. 196).<br />
37
3.3 Aufgabenbereicherung (job enrichment)<br />
Bei Maßnahmen des „job enrichment“ wird der Aufgabenbereich erweitert und die<br />
ArbeiterInnen haben mehr Verantwortung sowie einen erweiterten Kontroll- und<br />
Handlungsspielraum. Beispielsweise können ihnen die Kontrolle der Produkte, die<br />
Wartung und Instandhaltung der Maschine oder Anlage, die Besorgung des<br />
Rohstoffes für die Produktion und Verwaltungsaufgaben, übergeben werden:<br />
„Mit Job enrichment soll die rigide Trennung zwischen ausführenden und dispositiven<br />
Tätigkeiten aufgehoben werden. Mitarbeiter übernehmen Aufgaben, die in tradierten<br />
Organisationsformen höheren Ebenen der Arbeitspyramide vorbehalten sind (vertical<br />
job enlargement).“ (Buggert, 1999, S. 196f.).<br />
Der Wechsel von Fließbandarbeit zu Einzelarbeitsplätzen wird oft mit dieser<br />
Humanisierungsmaßnahme in Zusammenhang gebracht. Buggert sieht die Vorteile<br />
der Einzelarbeit für das Unternehmen in einer höheren fertigungstechnischen<br />
Flexibilität und leichterer Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen. Wenn<br />
Arbeitnehmer ausfallen, hat das nicht mehr Auswirkungen auf das gesamte<br />
Fließband. Das Wegfallen des vorgegebenen Fließbandtakts kann als Vorteil für die<br />
Arbeitenden gewertet werden. Der Einzelne ist in seiner Bezahlung (nach dem<br />
Akkordsystem) nicht mehr von seinen Kollegen abhängig, wie dies z.B. bei der<br />
Bandarbeit der Fall ist.<br />
„In humanitärer Hinsicht bringt Einzelarbeit den Arbeitnehmern sowohl horizontale<br />
Arbeitsvergrößerung als auch mehrdimensionale Bereicherung der Arbeitsinhalte. Da<br />
Arbeitnehmer die Komplettmontage eines Gerätes oder eines wesentlichen Teiles<br />
vornehmen, kann die Arbeit als sinnvoll empfunden und das erbrachte<br />
Leistungsergebnis somit positiv erlebt werden.“ (Buggert, 1999, S. 198).<br />
Die erwähnten Vorteile dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Praxis<br />
monotone, auf wenige Handgriffe beschränkte „Einzelarbeit“ gibt. Eine solche habe<br />
ich im Laufe meiner Arbeitserfahrungen einige Wochen lang verrichtet. Dabei war nur<br />
der Hebel einer Maschine zu bedienen, um kleine Plastikteilchen an etwas größeren<br />
Metallteilen zu befestigen. Dieser Arbeitsplatz war bei den ArbeiterInnen sehr<br />
unbeliebt, und ist außerdem durch hohe Akkordvorgaben gekennzeichnet gewesen.<br />
38
3.4 Gruppenarbeit<br />
Gruppenarbeit gilt als Möglichkeit zur Verwirklichung vielfältiger<br />
Humanisierungsmaßnahmen wie: Aufgabenwechsel, Aufgabenvergrößerung- und<br />
Bereicherung. Je nach Freiheitsgrad der ArbeiterInnen im Gruppenverband wird<br />
zwischen teilautonomen und autonomen Arbeitsgruppen unterschieden (Buggert,<br />
1999, S. 195, 199).<br />
Schumann unterscheidet zwischen strukturkonservativen und strukturinnovativen<br />
Gestaltungsansätzen der Gruppenarbeit als zwei Pole der Umsetzung von<br />
Gruppenarbeit (wobei er darauf hinweist, dass es in der Realität Zwischenformen<br />
gibt). In strukturkonservativer Gruppenarbeit wird die traditionelle Arbeitspolitik mit<br />
hoher Arbeitsteilung, einer strengen Trennung von Planung und Ausführung sowie<br />
einer hierarchischen Führung, in modernisierter Form angewandt (Schumann, 2003,<br />
S. 32).<br />
„Nicht nur eröffnet das nach wie vor höchst restriktive Aufgabenprofil wenig<br />
Entfaltungschancen; auch der von den Vorgesetzten eingesetzte und finanziell<br />
prämierte Gruppensprecher garantiert mit eigenen Kontroll- und<br />
Anweisungsbefugnissen die Engführung der freigegebenen Leine.“ (Schumann,<br />
2003, S. 33).<br />
Im Gegensatz dazu ist strukturinnovative Gruppenarbeit durch die Rücknahme von<br />
Arbeitsteilung und hierarchischen Vorgaben gekennzeichnet, den ArbeiterInnen wird<br />
mehr Verantwortung übertragen. Die Arbeitsaufgaben sind anspruchsvoller,<br />
attraktiver und erfordern eine höhere Qualifikation. Außerdem werden Aufgaben aus<br />
dem Bereich Wartung und Instandhaltung sowie Qualitätssicherung, Logistik und<br />
Planung mit einbezogen. Die hierarchische Position des Meisters wird dabei in den<br />
Hintergrund gedrängt, der von der Gruppe gewählte Gruppensprecher ist hier ein<br />
gleichberechtigtes Mitglied der Arbeitsgruppe (Schumann, 2003, S. 32f.).<br />
Ein wichtiges humanitäres Ziel von Gruppenarbeit ist es, das arbeitende Individuum<br />
aus der Isolation zu führen und kollegiale Arbeitsbeziehungen zu fördern. Mit einem<br />
soziometrischen Verfahren in Anlehnung an Moreno können die kollegialen<br />
39
Beziehungen der Menschen in einem Betrieb untersucht, und ideale Arbeitsgruppen<br />
zusammengestellt werden. Auf einer Liste mit den Namen der Mitarbeiter kann jeder<br />
ankreuzen, wie er seinen jeweiligen Kollegen und Vorgesetzten gegenüber<br />
eingestellt ist. Durch die Auswahl der Mitglieder einer Arbeitsgruppe können Konflikte<br />
und Spannungen in Arbeitsgruppen vorgebeugt werden, die sich möglicherweise<br />
negativ auf die Leistung auswirken würden (Buggert, 1999, S. 130f., 206).<br />
Wie wichtig ein angenehmes Betriebsklima ist, zeigen die Ergebnisse der Hawthorn –<br />
Experimente (1924) von Elton Mayo u.a. Die Leistungssteigerung in der Produktion<br />
wurde nicht wie vermutet vorrangig von verschiedenen Einflussfaktoren wie:<br />
Beleuchtung, Temperatur, Pausen, Arbeitszeit u.a. verursacht, sondern stand im<br />
Zusammenhang mit mitmenschlichen Beziehungen, sowie der Aufmerksamkeit, die<br />
den ArbeiterInnen entgegengebracht wurde. Bei einem anderen Experiment konnte<br />
die leistungssteigernde Wirkung ebenfalls in erster Linie den sozialen Beziehungen<br />
zugeschrieben werden:<br />
„Die Leistungssteigerung kann nach Auswertung des Experiments mit ziemlicher<br />
Sicherheit auf die mitmenschlichen Beziehungen zurückgeführt werden; denn<br />
während beide Gruppen nach demselben Lohnanreizsystem arbeiten, müssen<br />
demgegenüber die Glimmerspalterinnen Einzelarbeit und die Relaisarbeiterinnen<br />
Gruppenarbeit verrichten. Bei den isoliert arbeitenden Glimmerspalterinnen steigt die<br />
Leistung nur um ca. 15%, dagegen bei den gesellig arbeitenden Relaisarbeiterinnen<br />
aber um ca. 30% an.“ (Buggert, 1999, S. 126f.).<br />
Oft sind es nicht in erster Linie humanitäre Überlegungen, die zur Einführung einer<br />
neuen Arbeitsorganisation führen. Sowohl bei Volvo als auch bei Saab – Scania<br />
(Schweden) herrschte in den frühen 70ern bei den ArbeiterInnen eine hohe<br />
Fluktuations- und Abwesenheitsrate vor, welche für die Unternehmen, wirtschaftliche<br />
Nachteile mit sich brachte. Nach Arbeitsplatzanalysen wurde der Grund für die<br />
Unzufriedenheit der Mitarbeiter in der Arbeitsorganisation, allem voran in der<br />
Fließbandarbeit erkannt, was u.a. zur Einführung von Gruppenarbeit führte:<br />
„Die innovativen Maßnahmen zur Neugestaltung der Arbeitsbedingungen finden<br />
damals bei den Mitarbeitern die von der Geschäftsführung erhoffte Resonanz. Die<br />
40
Arbeitnehmer empfinden es als angenehm, nicht mehr am Band mit<br />
aufgezwungenem Arbeitstempo arbeiten zu müssen. Der größere gestalterische<br />
Aktionsradius wirkt dem Desinteresse an der Arbeit und den Monotoniereaktionen<br />
entgegen und führt zu mehr Arbeitszufriedenheit.“ (Buggert, 1999, S. 204).<br />
Führungskräfte können eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie Veränderungen<br />
im Betrieb von den MitarbeiterInnen aufgenommen werden. Es spielt eine Rolle, ob<br />
sie selbst hinter den Neuerungen stehen oder diese als bloße „Anordnung von oben“<br />
werten (Flügge, 1994, S. 238). Vor allem ältere Arbeitnehmerinnen stehen<br />
arbeitsorganisatorischen Änderungen oft skeptisch gegenüber. 5 :<br />
„Diese Mitarbeiter waren bisher nur Befehlsempfänger und Befehlsausführende und<br />
sollen nun im Rahmen neuer Führungskonzepte Verantwortung tragen und<br />
selbständiges Arbeiten praktizieren. [...]. Die jüngeren Mitarbeiter sind bereits in der<br />
Schule zur Durchsetzung demokratischer Rechte und Freiheiten ermuntert worden<br />
und empfinden eine Arbeitssituation als unzumutbar, die sie zu unmündigen<br />
menschlichen Robotern degradiert. Ihre Erwartungshaltung, Lebens- und<br />
Arbeitsphilosophie kann auch als die eigentliche Ursache angesehen werden, die die<br />
Etablierung menschengerechter Arbeitsverhältnisse im Unternehmen fordert.“<br />
(Buggert, 1999, S. 207).<br />
3.5 Die Beziehung zu den Vorgesetzten<br />
Auf die Wichtigkeit eines angenehmen Arbeitsklimas unter den Mitarbeitern ist im<br />
vorherigen Punkt hingewiesen worden. Die Beziehung zu den unmittelbaren<br />
Vorgesetzten spielt für die Arbeitszufriedenheit ebenfalls eine bedeutende Rolle,<br />
weshalb auf diesen Faktor gesondert eingegangen wird.<br />
Die Art, wie sich z.B. der Meister gegenüber den ArbeiterInnen verhält, hat Einfluss<br />
auf die Leistungsmotivation der Mitarbeiter sowie auf deren Arbeitsmoral und das<br />
„Betriebsklima“. Der Vorgesetzte hat eine Balance zu finden, zwischen den<br />
Interessen des Unternehmens (z.B. eine hohe Produktion) und denen der Arbeiter.<br />
Werden ausschließlich Unternehmensziele in den Vordergrund gestellt, zu Lasten<br />
5 Vielleicht haben sie in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass arbeitstechnische Veränderungen nicht<br />
immer zu ihrem Besten geschehen sind?<br />
41
der Mitarbeiter, so reagieren die Mitarbeiter unter Umständen mit verschiedenen<br />
Formen des Widerstandes:<br />
„Die Arbeiter werden sich gegen einen Meister zur Wehr setzen, der ihre<br />
elementaren mitmenschlichen Bedürfnisse missachtet und in ihnen nur einen<br />
sachlichen Produktionsfaktor zur Erfüllung betrieblicher Arbeitsaufgaben sieht. [...].<br />
Die Arbeiter werden die verschiedenen Abwehrmaßnahmen ergreifen, um sich zu<br />
schützen und ihre Interessen durchzusetzen. Dazu zählen die vielen Formen der<br />
Leistungsresistenz, beispielsweise Strecken und Sabotieren der Arbeit sowie<br />
absichtliche Arbeitsversäumnisse und schließlich Kündigung. [...]. (Buggert, 1999, S.<br />
130).<br />
Im günstigen Fall ist der Meister zugänglich für die Wünsche und Sorgen seiner<br />
Mitarbeiter. Es gibt ein „menschliches“ Arbeitsklima mit gegenseitiger<br />
Rücksichtnahme und Verständnis:<br />
„Ein mit den Arbeitern sympathisierender Meister fühlt sich kaum als Vorgesetzter,<br />
sondern ist in seinem Inneren den Arbeitern als Kollege verbunden; er besitzt ein<br />
höheres Maß an Fachkompetenz und agiert mehr als Berater, denn als Vorgesetzter.<br />
Der soziale Abstand zu den Arbeitern ist gering.“ (Buggert, 1999, S. 130).<br />
Die Beziehung zwischen ArbeiterInnen und Vorgesetzten sieht heute anders aus als<br />
in den frühen Jahren der Industrialisierung. So sind die ArbeiterInnen heute im<br />
Allgemeinen weniger „Autoritätshörig“ und setzten sich gegen Ungerechtigkeiten zur<br />
Wehr. Auch die Religion als Orientierungsmaßstab für das Verhalten, hat für Viele an<br />
Bedeutung verloren.<br />
Flügge sieht diese Veränderung unter anderem verursacht durch den jeweils<br />
vorrangigen „Zeitgeist“, d.h. den vorherrschenden Werten, der Bedeutung von Arbeit,<br />
ob die Menschen in ihr beispielsweise mehr ein Mittel zur Existenzsicherung oder zur<br />
Selbstverwirklichung sehen. Im Zusammenhang mit „politischen<br />
Demokratisierungsprozessen“ haben sich die Erwartungen der Arbeitnehmer an das<br />
Verhalten der Vorgesetzten gewandelt (vgl. Flügge, 1994, S. 225).<br />
42
Unter den Begriff „kooperatives Führen“, das nach heutigen Erkenntnissen als<br />
erstrebenswert gilt, fallen Dinge wie: gemeinsame Entscheidungsfindung,<br />
Rücksichtnahme und Wertschätzung. Kommunikation beinhaltet sowohl eine<br />
Beziehungs- als auch eine Sachebene. Bei der Beziehungsebene geht es um die<br />
gefühlsmäßigen Botschaften und Signale, die jemand aussendet, bei der Sachebene<br />
um den Inhalt einer Mitteilung (Flügge, 1994, S. 228f., 236).<br />
3.6 Kritik an Humanisierungsmaßnahmen<br />
Viele Vorschläge von Arbeitspsychologen bezüglich der Arbeitsumfeldfaktoren<br />
(Raumtemperatur, Musik, Betriebsklima), stellen zwar Verbesserungen dar, doch sie<br />
ändern nicht das eigentliche Problem, das im „Charakter der Arbeit“ liegt.<br />
Stattdessen würden sie bloß die Abwehrkräfte des Individuums stärken, meint<br />
Volmerg:<br />
„Zu der eigentlichen Ursache: der Sinnlosigkeit, der Eintönigkeit und dem<br />
Wiederholungscharakter der Tätigkeit, werden keine Veränderungen vorgeschlagen.<br />
Somit dient die Arbeitspsychologie, indem sie die Individuen befähigt, repetitive<br />
Arbeit besser auszuhalten, der Fortsetzung repetitiver Arbeit auf lange Sicht und der<br />
Einsparung der Kosten weitergehender Automatisierung. Solche Art der<br />
Humanisierung führt sich selbst ad absurdum; sie humanisiert, indem sie die<br />
Inhumanität ermöglicht und verlängert.“ (Volmerg, 1978, S. 107).<br />
Aufgabenwechsel und Aufgabenvergrößerung werden von vielen Autoren nicht als<br />
wirkliche, qualitative Humanisierungsmaßnahmen betrachtet. Diese beiden Formen<br />
der Humanisierung würden noch tayloristische Züge aufweisen:<br />
„Der Aufgabenwechsel sieht den Wechsel des Arbeitsplatzes nach einem<br />
bestimmten Plan vor. Der Arbeiter kann also verschiedenen repetitiven Arbeiten zu<br />
unterschiedlichen Zeiten nachgehen. Die Aufgabenvergrößerung beinhaltet die<br />
Zusammenfassung ähnlicher Tätigkeiten. Darin wird allerdings weitgehend<br />
übereinstimmend lediglich eine Aneinanderreihung von sinnlosen<br />
Aufgabenelementen gesehen, wenn der Arbeiter z.B. statt nur 4 Schrauben<br />
einzudrehen auch 4 Nieten aufsetzen muß.“ (Frese, 1977, S. 86).<br />
43
Im Gegensatz dazu gelten Maßnahmen der Aufgabenbereicherung sowie die<br />
Einführung von teilautonomen Arbeitsgruppen als echte<br />
Humanisierungsbemühungen. Der Arbeiter erhält dabei mehr Kontrolle und die<br />
Trennung von körperlicher und geistiger Tätigkeit, Ausführung und Planung, wird<br />
teilweise gelockert (Frese, 1977, S. 88).<br />
Volmerg (1978:148) sieht den Gruppendruck auf den Einzelnen als einen negativen<br />
Faktor von Gruppenarbeit. Die Zeit, in der die Gruppe eine Aufgabe erledigt haben<br />
muss ist außerdem häufig knapp berechnet, so dass die Arbeiter sich dazu<br />
gezwungen sehen, die Arbeit so aufzuteilen, dass jeder die Handgriffe übernimmt,<br />
bei denen er am schnellsten ist. Die Arbeitsteilung wird scheinbar „freiwillig“ von den<br />
Gruppenmitgliedern fortgeführt.<br />
„Konnte der Einzelne sich bisher vom Soll des Produzierens als einem äußeren<br />
Zwang distanzieren, dem er kostbare Kommunikationsminuten abtrotzte, so erscheint<br />
jetzt das Produzieren als ein Ziel der Gruppenaktivität. Eine Distanzierung davon<br />
bedeutet, sich von der Gruppe zu distanzieren. [...] die individuelle<br />
Leistungszurückhaltung schädigt alle Mitglieder der Gruppe, jeden einzelnen<br />
Kollegen, von dem man weiß, daß er auf die Gruppenprämie angewiesen ist.“<br />
(Volmerg, 1978, S. 148)<br />
Viele als Humanisierungsmaßnahmen bezeichnete Änderungen dienen in erster<br />
Linie der Profitmaximierung. Schon Ford’s Überlegungen (z.B. höhere Löhne und<br />
mehr Freizeit für die Arbeiter) können als Beispiele für Verbesserung von<br />
Arbeitsbedingungen aufgrund von Effizienzüberlegungen des Unternehmens<br />
gewertet werden. Man könnte argumentieren, dass es sich dabei nicht um wirkliche<br />
Humanisierungsmaßnahmen handle, da ihre Motivation nicht in erster Linie eine<br />
Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für den Arbeiter sind, sondern<br />
die Profitmaximierung für das Unternehmen.<br />
So hat Ford (1930:80) im September 1926 die fünf Tage - Woche mit einer täglichen<br />
Arbeitszeit von acht Stunden eingeführt, um durch die erhöhte Freizeit der Arbeiter,<br />
deren Kaufkraft, und somit den Gewinn für das Unternehmen zu steigern.<br />
44
“The man who worked fifteen and sixteen hours a day desired only a corner to lie in<br />
and a hunk of food. He had no time to cultivate new needs. No industry could ever be<br />
built up by filling his needs because he had none but the most primitive. […]. It is the<br />
influence of leisure on consumption that makes the short day and the short week so<br />
necessary. The people who consume the bulk of goods are the people who make<br />
them. That is a fact we must never forget – that is the secret of our prosperity.” (vgl.<br />
Ford, 1930, S. 85).<br />
4 Belastungsfaktoren in der heutigen Industrie<br />
Grundsätzlich gibt es zwei Arten, Belastungsfaktoren ausfindig zu machen: einerseits<br />
durch die Prüfung des Arbeitsplatzes und andererseits über den Zugang des<br />
berichteten Erlebens der Individuen. (vgl. Marstedt/ Mergner, 1982, S. 473f.).<br />
Während an dieser Stelle eine theoretische Übersicht der wichtigsten<br />
Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit Produktionsarbeit gegeben wird, steht<br />
dann im empirischen Teil das subjektive Erleben von verschiedenen<br />
Arbeitsbelastungen im Vordergrund.<br />
Das Kapitel beginnt mit Definitionen relevanter Begriffe. Es folgen ein geschichtlicher<br />
Rückblick und die Darstellung des transaktionalen Stressmodells. Danach wird auf<br />
die unterschiedlichen Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit Produktionsarbeit<br />
eingegangen. Zum Zweck der Übersichtlichkeit soll eine Unterscheidung<br />
vorgenommen werden zwischen Belastungen durch: - die Art der Arbeit, - das<br />
Arbeitsumfeld, - die soziale Umgebung, -die organisatorischen Bedingungen, -die<br />
gesellschaftspolitischen Gegebenheiten und –personale Faktoren. In der Realität<br />
überlappen sich die einzelnen Bereiche und viele Beispiele passen in mehrere<br />
Kategorien. Außerdem werden Belastungen in ihrer Gesamtheit erlebt und können<br />
oft schwer voneinander differenziert werden (vgl. Marstedt/ Mergner, 1982, S. 476).<br />
Das Kapitel schließt mit einer theoretischen Darstellung möglicher Belastungsfolgen.<br />
4.1 Begriffsbestimmung<br />
Richter definiert psychische Belastung (stress) nach einer internationalen Norm von<br />
1995 als: „Die Gesamtheit aller erfaßbaren Einflüsse, die von außen auf den<br />
45
Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ Die Begriffe „Belastungen“<br />
und „Stressoren“ werden häufig synonym verwendet z.B. von Bamberg (2003).<br />
Psychische Beanspruchung (strain) ist definiert als: „Die zeitlich unmittelbare und<br />
nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung auf die Einzelperson in<br />
Abhängigkeit von ihren eigenen habituellen und augenblicklichen Voraussetzungen<br />
einschließlich der individuellen Auseinandersetzungsstrategien.“ (Richter, 1998, S.<br />
32).<br />
Stressoren werden als von Außen kommende Einflüsse verstanden, die auf das<br />
Individuum einwirken. Die gleiche Belastung wird von verschiedenen Personen<br />
unterschiedlich erlebt und kann verschiedenste Auswirkungen haben, das hängt z.B.<br />
mit individuellen Persönlichkeitsunterschieden oder Erfahrungen zusammen und<br />
auch mit Moderatorvariablen und Ressource, auf welche in einem eigenen Kapitel<br />
noch genauer eingegangen wird.<br />
Marstedt und Mergner weisen darauf hin, dass Belastungen auch als positiv, im<br />
Sinne von „ein Bestandteil von befriedigender Arbeit“ verstanden werden sollten (vgl.<br />
Marstedt/ Mergner, 1982, S. 473). Im Folgenden geht es um Belastungsfaktoren, die<br />
grundsätzlich eine negative Komponente beinhalten, als negativ erlebt werden und<br />
ebensolche Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden haben können.<br />
4.2 Geschichtlicher Rückblick<br />
Zur Zeit der Frühindustrialisierung waren Arbeitsbedingungen vorherrschend, die sich<br />
in kürzester Zeit negativ auf die Gesundheit der Arbeitenden ausgewirkt haben. Die<br />
Arbeitstage waren lange, das Tempo in dem gearbeitet wurde hoch, es gab kaum<br />
Schutzmaßnahmen bei Maschinen und Sozialeinrichtungen in den Betrieben waren<br />
selten vorhanden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts stieg das öffentliche Interesse an<br />
der Gesunderhaltung der Arbeiterschaft. Unternehmer waren an einem<br />
störungsfreien Produktionsablauf interessiert und daran, den schnellen Verschleiß<br />
der Arbeitskraft zu verhindern. Auch patriarchalisches, soziales<br />
Verantwortungsgefühl mag als Motiv mitgewirkt haben. Für den Staat war die<br />
Wehrtüchtigkeit der Bürger ein wichtiges Motiv, um sich für deren Gesunderhaltung<br />
einzusetzen. Es kam zu Schutzvorschriften über Unfallverhütung und<br />
Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz (Österreich: Gewerbeordnung 1885); sowie zur<br />
46
Einführung von Gewerbeinspektoren (in Ö: 1883; heute: Gewerbeaufsicht) (vgl.<br />
Baryli, 1984, S. 126ff.).<br />
Sicherheitsbestimmungen im Zusammenhang mit gesundheitsgefährdenden<br />
Werkstoffen wurden vorgeschrieben, gesundheitsschädigende Materialien wurden<br />
teilweise verboten. Hierbei stehen grundsätzlich die Interessen der Beschäftigten<br />
denen der produzierenden Industrien gegenüber. So wurde mit einem Gesetz vom<br />
13. Juli 1909 weißer Phosphor zur Produktion von Zündwaren verboten, 60 Jahre,<br />
nachdem seine gesundheitsschädliche Wirkung festgestellt worden war (vgl. Baryli,<br />
1984, S. 140). Ein anderes Beispiel ist die Bearbeitung und Verwendung von<br />
asbesthaltigem Material, dessen gesundheitsschädigende Wirkung heute allgemein<br />
bekannt ist.<br />
In Österreich und Deutschland sind seit 1928 die Unfallversicherungsträger zur<br />
Entschädigung von Berufskrankheiten verpflichtet. Als historisches Beispiel für eine<br />
erfolgreiche Bekämpfung einer damals häufigen Berufskrankheit, können die<br />
österreichischen Maßnahmen zur Beseitigung von Silikose erwähnt werden. Die<br />
1949 in Österreich gegründete Staub- (Silikose-) Bekämpfungsstelle nahm z.B. in<br />
Betrieben Staubmessungen vor und setzte Methoden zu einem verbesserten Schutz<br />
vor Staub ein (vgl. Baryli, 1984, S. 142f.).<br />
„Alle diese Maßnahmen führten dazu, daß etwa in Österreich in den Jahrzehnten<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg die Silikoseerkrankungen tatsächlich erheblich gesenkt<br />
werden konnten. An ihre Stelle als Spitzenreiter der entschädigten Berufskrankheiten<br />
trat die Lärmschwerhörigkeit [...]“. (Baryli, 1984, S. 144).<br />
4.3 Das transaktionale Stressmodell<br />
Wegen der umfassenden Perspektive soll in diesem Rahmen selektiv auf das<br />
transaktionale Stressmodell eingegangen werden. Bei diesem wird Stress als<br />
Prozess betrachtet, was seine Veränderbarkeit impliziert. Die Auseinandersetzung<br />
der Person mit den Stressoren wird mit bedacht, sowie „Bewertungs- und<br />
Bewältigungsprozesse, personale und situative Ressourcen“. Es spielt eine Rolle, ob<br />
ein Stressor z.B. als irrelevant, bedrohlich oder als eine Herausforderung bewertet<br />
wird. Auch die Einschätzung des Individuums, bezüglich seiner Möglichkeiten der<br />
47
Stressbewältigung fließt mit ein und führt zu einer Neubewertung der Situation,<br />
wodurch sich deren Qualität verändern kann (vgl. Bamberg/Busch/Ducki, 2003, S.<br />
41ff.).<br />
Bezüglich der kognitiven Bewertung (appraisal) hat Lazarus (1966) die Unterteilung<br />
in primäre Bewertung, sekundäre Bewertung und Neueinschätzung getroffen.<br />
„Kognitive Bewertungen (appraisals) werden dabei verstanden als kontinuierliche<br />
Überprüfung der Umweltgegebenheiten daraufhin, ob sie irgendwie bedeutsam für<br />
das persönliche Wohlbefinden sind. Handlungen (coping) dienen der<br />
Aufrechterhaltung bzw. der Wiederherstellung dieses Wohlbefindens.“ (Jerusalem,<br />
1990, S. 7).<br />
Nach Jerusalem (1990:10) geht es bei der primären Bewertung zunächst darum<br />
abzuschätzen, ob eine Situation für das persönliche Wohlergehen irrelevant, positiv<br />
oder stressbezogen ist. Im Falle einer Stressrelevanz erfolgt eine weitere kognitive<br />
Einteilung in: „Schaden/Verlust, Bedrohung oder Herausforderung“.<br />
„Herausforderung und Bedrohung sind zukunftsbezogene Kognitionen, die durch<br />
Vorherrschen von Erfolgszuversicht bzw. Mißerfolgserwartung charakterisierbar sind.<br />
Verlust/ Schaden bezieht sich auf gegenwärtige bzw. vergangene Ereignisse, durch<br />
die eine Schädigung des subjektiven Wohlbefindens bereits eingetreten ist.“<br />
(Jerusalem, 1990, S. 10).<br />
Bei der sekundären Bewertung geht es um die Einschätzung der subjektiven<br />
Ressourcen. Beispiele für Ressourcen sind: soziale Unterstützung, körperliche<br />
Gesundheit, persönliche Fähigkeiten, Vertrauen in die eigene Kompetenz, materielle<br />
Besitztümer oder technische Hilfsmittel. Die Neueinschätzung schließlich ist inhaltlich<br />
vergleichbar mit primären und sekundären Bewertungsprozessen, sie erfolgt nur<br />
später (vgl. Jerusalem, 1990, S. 11ff.).<br />
„Streß tritt dann ein, wenn ein Ungleichgewicht zwischen den wahrgenommenen<br />
Anforderungen und den subjektiven Fähigkeiten entsteht, so daß die erfolgreiche<br />
Bewältigung der Situation aus der Sicht der handelnden Person gefährdet ist. Dies<br />
48
gilt allerdings nur, wenn Erfolg oder Misserfolg mit persönlich wichtigen<br />
Konsequenzen verbunden sind.“ (Jerusalem, 1990, S. 4).<br />
Die folgende Abbildung 2 aus Richter und Hacker (1998:21) zeigt das transaktionale<br />
Stressmodell nach Kaluza und Basler. Bei diesem Modell sind<br />
Persönlichkeitsmerkmale und Bewertungsprozesse hinsichtlich der Stressreaktionen<br />
und Stressbewältigung mitgedacht:<br />
49
Abbildung 2: Transaktionales Streßmodell (nach Kaluza & Basler, 1991)<br />
4.4 Arbeitsbelastungen<br />
Unter Arbeitsbelastungen können beispielsweise: soziale Konflikte, hohe<br />
Arbeitsintensität oder Zeitdruck, Unsicherheit und organisatorische Probleme<br />
verstanden werden (vgl. Bamberg/Busch/Ducki, 2003, S. 46).<br />
50
Im Folgenden wird näher auf Belastungen durch: - die Art der Arbeit, - das<br />
Arbeitsumfeld, - die soziale Umgebung, - organisatorische – und gesellschaftliche<br />
Bedingungen sowie - personale Faktoren, eingegangen.<br />
Poppelreuter und Mierke unterscheiden bei psychischen Belastungsfaktoren am<br />
Arbeitsplatz zwischen: apersonalen Belastungsfaktoren (aus dem Arbeitsumfeld),<br />
interpersonalen Belastungsfaktoren (hier: die soziale Umgebung) und personalen<br />
Belastungen (Faktoren, die in der Person liegen) (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S.<br />
7ff.).<br />
„Arbeitsbedingter Stress entsteht aus belastenden und unpassenden<br />
Arbeitsbedingungen. Im Zentrum von Veränderungsmaßnahmen muss daher zuerst<br />
das Arbeitsumfeld stehen. Ergänzend dazu tragen persönliche Maßnahmen zur<br />
Stressreduktion und Ressourcenerweiterung bei.“ (Molnar/ Geißer-Gruber/ Haiden,<br />
2002, S. 17).<br />
4.4.1 Belastungen durch die Art der Arbeit<br />
Arbeitsbereiche innerhalb der Produktion weisen sehr große Unterschiede auf. Sie<br />
unterscheiden sich z.B. hinsichtlich des Grades, innerhalb dessen den Mitarbeitern<br />
(zeitliche und andere) Freiheitsspielräume zur Verfügung stehen. Weitere<br />
Unterschiede der Arbeiten finden sich in Bezug auf die körperliche und geistige<br />
Anstrengung, die geforderte Arbeitsgeschwindigkeit und den Umfang der<br />
Arbeitsaufgabe (ob es sich um kurzfrequente, sich wiederholende Teilaufgaben<br />
handelt, oder ob mehrere Montageschritte zu erfüllen sind). Andererseits sind einige<br />
Merkmale typisch für industrielle Produktionsarbeit von „Ungelernten“, um die es hier<br />
gehen soll: die Aufteilung der Arbeit in einzelne, einfach zu erlernende Handgriffe,<br />
die vielfache Wiederholung derselben Arbeitsschritte und Belastungen durch die<br />
geforderte, hohe Arbeitsgeschwindigkeit.<br />
Die von Molnar u.a. aufgelisteten Beispiele für Stressfaktoren bei der Arbeit treffen in<br />
hohem Ausmaß auf Produktionsarbeit zu. Die Autorinnen nennen: ein geringes<br />
Ausmaß an Handlungsspielraum, wenig Vielseitigkeit, geringe Ganzheitlichkeit,<br />
51
wenig soziale Rückendeckung, wenig Information und Zusammenarbeit, geringe<br />
Entwicklungsmöglichkeiten, sowie: inhaltliche Arbeitsbelastungen, Belastungen<br />
durch die Menge der zu leistenden Arbeit, Belastungen durch<br />
Arbeitsunterbrechungen, und zahlreiche Umgebungsbelastungen (vgl. Molnar/<br />
Geißer-Gruber/ Haiden, 2002, S. 13).<br />
Es soll beispielhaft auf folgende Merkmale eingegangen werden, die<br />
Belastungsmomente in sich tragen:<br />
- die einseitige körperliche Belastung bei der Arbeit,<br />
- der repetitive Charakter der Arbeit,<br />
- geringe Dispositionsmöglichkeiten<br />
- qualitative Unterforderung bei gleichzeitiger<br />
quantitativer Überforderung und<br />
- die Schwierigkeit, sich mit der Produktionsarbeit zu<br />
identifizieren.<br />
Mittels Verfahren der Arbeitsanalyse lassen sich belastende Faktoren aus dem<br />
Arbeitsinhalt ausfindig machen. Gros verweist darauf, dass sowohl objektive als auch<br />
subjektive Belastungen erfasst werden sollen (vgl. Gros, 1994, S. 96f.).<br />
Als vergleichsweise wenig belastend, da Entlastungsmöglichkeiten wie z.B.<br />
Dispositionschancen vorhanden sind, sieht Volmerg: „Steuerarbeit, Schaltarbeit,<br />
Maschinenführung, Apparateführung, Anlagenführung, Automatenführung,<br />
Anlagenkontrolle, Messwartentätigkeit und die Instandhaltungsarbeiten.“ Unter<br />
Dispositionschancen werden in diesem Zusammenhang Freiheitsspielräume<br />
verstanden, wie z.B. die Möglichkeit, sich kurzfristig von seinem Arbeitsplatz zu<br />
entfernen oder Variationsmöglichkeiten beim Arbeitsablauf. Durch die knapp<br />
berechnete Zeit für die einzelnen Arbeitsschritte, und die geforderte Qualität, bleiben<br />
die Dispositionschancen an den meisten Arbeitsplätzen gering (vgl. Volmerg, 1978,<br />
S. 65f.).<br />
Zu den Arbeiten, die sehr belastend sind zählt Volmerg: „die einfache Handarbeit, die<br />
Fließbandarbeit, die Maschinen- und Apparatebedienung und die Automatenkontrolle<br />
[...]. Die Arbeit findet unter starkem Zeitdruck statt, der entweder von der<br />
52
Bandgeschwindigkeit, dem Maschinentakt, der zum Akkord erforderlichen Stückzahl<br />
oder, beim Automatenkontrolleur, von der Häufung der Maschinenstillstände<br />
ausgeht. [...]. “ (Volmerg, 1978, S. 64f.).<br />
- die einseitige körperliche Belastung bei der Arbeit<br />
Einseitige Beanspruchung der Muskeln führt zu einem viel höheren Energieaufwand<br />
als bei ganzheitlicher Arbeit (vgl. Volmerg, 1978, S. 87). Schmerzen in bestimmten<br />
Körperteilen sind durch die einseitigen Bewegungen üblich, häufig vorkommende<br />
Schmerzen sind: (nach meinen eigenen Erfahrungen und Erzählungen von<br />
KollegInnen) Rückenschmerzen, Stechen in den Fußsohlen sowie Schmerzen in den<br />
Händen.<br />
- der repetitive Charakter der Arbeit<br />
Eine unmittelbare Folge der Verrichtung repetitiver, anspruchsloser Arbeit, sind<br />
Zustände der Übersättigung und Monotonie. Während Übersättigung mit<br />
Unlustgefühlen und affektiver Gereiztheit verbunden ist, zeigt sich der<br />
Monotoniezustand in geringer Aktiviertheit, Schläfrigkeit und herabgesetzter<br />
Aufmerksamkeit. Der Monotoniezustand setzt die Reaktionsgeschwindigkeit herab<br />
und steigert die Unfallgefahr (vgl. Frese, 1977, S. 77). Auf beide Phänomene soll<br />
unter dem Punkt „Belastungsfolgen“ noch genauer eingegangen werden.<br />
- geringe Dispositionsmöglichkeiten<br />
Weitere Belastungsfaktoren in diesem Zusammenhang sind die häufig fehlenden<br />
Dispositionschancen, fehlende Möglichkeiten zur Kommunikation und der Mangel an<br />
Möglichkeiten, Qualifikationen zu erwerben und in die Arbeit einzubringen (vgl.<br />
Volmerg 1978, S. 63f., 87).<br />
- qualitative Unterforderung bei gleichzeitiger<br />
quantitativer Überforderung<br />
Die meisten Tätigkeiten von ArbeiterInnen im Produktionsbereich finden unter Einzel-<br />
oder Gruppenakkord statt, eine hohe Produktionsgeschwindigkeit ist typisch.<br />
Gleichzeitig handelt es sich um geistig wenig anregende Tätigkeiten, mit einem<br />
hohen Grad an Wiederholung derselben Einzelschritte.<br />
53
In der folgenden Tabelle aus Poppelreuter und Mierke (2008:23), nach Udris (1982),<br />
lässt sich die Arbeit von An- und Ungelernten im Produktionsbereich meiner<br />
Erfahrung nach durch Überforderung im quantitativen Bereich (Zeitdruck, Hetzte,<br />
Akkord etc.) bei gleichzeitiger Unterforderung im qualitativen Bereich (inhaltlich<br />
monotone Arbeit; Nichtausnutzung von Fähigkeiten und Fertigkeiten) kennzeichnen.<br />
quantitativ<br />
qualitativ<br />
Überforderung<br />
- Zeitdruck<br />
- Hetze<br />
- Akkord<br />
- zu viel zu tun<br />
- Schwierigkeit<br />
- Kompliziertheit<br />
- Unklarheit<br />
Unterforderung<br />
- zeitlich monoton<br />
(z.B. Überwachung)<br />
- zu wenig zu tun<br />
- inhaltlich monoton<br />
- Nichtausnutzung von<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
Kombinationen von Unter- und Überforderung<br />
in unterschiedlichen Bereichen der Arbeit sind ebenfalls möglich<br />
Abbildung 3: Grundtypen der qualitativen und quantitativen Über-‐ und Unterforderung<br />
Viele ArbeiterInnen reagieren auf die monotone Arbeit mit einem geringen Interesse<br />
an ihrer Tätigkeit, was nach Frese zwar eine notwendige Konsequenz, doch für die<br />
ArbeiterInnen selbst unangenehm sei. Die Befürchtung, „bei der Arbeit zu verblöden“,<br />
wie ich sie auch im empirischen Teil darstellen werde, hat nach Frese durchaus ihre<br />
Berechtigung. Er verweist auf eine Untersuchung von Schleicher (1973), in der<br />
Personen die ungelernte, repetitive Arbeit verrichteten, nach einiger Zeit bei<br />
Intelligenztest einen Leistungsabfall zeigten (vgl. Frese, 1977, S. 76f.).<br />
„Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, daß Arbeitstätigkeiten mit<br />
eingeschränktem Tätigkeitsspielraum „zu Störungen im Wohlbefinden und zu<br />
andauernden psychischen und körperlichen Beschwerden, zu einem Abbau der<br />
intellektuellen Leistungsfähigkeit, insbesondere der geistigen Beweglichkeit, zu<br />
einem passiveren Freizeitverhalten sowie zu geringerem Engagement im politischen<br />
54
und gewerkschaftlichen Bereich“ führen und sich auch darauf auswirken, „wie<br />
jemand seine Kinder erzieht“ (Betschart, 1989, S. 129).<br />
- die Schwierigkeit, sich mit der Produktionsarbeit zu<br />
identifizieren<br />
Volmerg hebt als besonderen Belastungsfaktor die Bedrohung des Identitätsgefühls<br />
durch die allgemeine Art der Produktionsarbeit hervor. Es sei nicht möglich, sich mit<br />
einer Arbeit zu identifizieren, die einen repetitiven Charakter hat und keine speziellen<br />
Qualifikationen erfordert (vgl. Volmerg, 1978, S. 83f.).<br />
„Als psychisch belastend muß zunächst der allgemeine Charakter der industriellen<br />
Lohnarbeit angesehen werden. [...]. Die „Teilung“ der Persönlichkeit des Arbeiters in<br />
produktive und unproduktive Funktionen und die Reduzierung der menschlichen<br />
Arbeitsleistung auf die Wiederholung einzelner Teilverrichtungen bei gleichzeitiger<br />
Ausschaltung der bewußten Beteiligung des Individuums bedrohen das<br />
Identitätsgefühl an seiner Basis. Lebensgeschichtlich ist die Integration des<br />
psychischen Selbst und des Körperselbst eine Vorraussetzung der Identitätsbildung.<br />
Mit der Spaltung der physischen und psychischen Anteile der Arbeitskraft und ihrer<br />
getrennten Verwertung wird diese Integration faktisch negiert.“ (Volmerg, 1978, S.<br />
63).<br />
4.4.2 Arbeitsumfeldbelastungen<br />
Beispiele für Belastungen aus dem Arbeitsumfeld sind:<br />
- Lärm,<br />
- mechanische Schwingungen,<br />
- physikalisches Klima,<br />
- Lichtverhältnisse,<br />
- Gerüche und Schadstoffe<br />
Im Folgenden wird etwas ausführlicher auf den Belastungsfaktor „Lärm“<br />
eingegangen, da dieser meiner Erfahrung nach im industriellen Produktionsbereich<br />
sehr präsent ist. Die anderen Arbeitsumfeldbelastungen werden jeweils kürzer<br />
dargestellt.<br />
55
- Lärm<br />
Lärm wirkt einerseits auf das Sinnesorgan Ohr (aurale Wirkung) und andererseits auf<br />
den Gesamtorganismus, den psychischen und sozialen Bereich (extraaurale<br />
Wirkung). Zu den extraauralen Lärmwirkungen zählen einmal psychophysiologische<br />
Wirkungen wie die Zunahme der Herz- und Atmungsfrequenz, ein erhöhter Blutdruck,<br />
Schweißabsonderung und Hormonausschüttung sowie die Abnahme der Parameter:<br />
Magensaftproduktion, Hautdurchblutung, Schleimabsonderung und Hautwiderstand.<br />
Zudem können Kommunikationsstörungen, Leistungsveränderungen, Gefühle von<br />
Belästigung und eine Störung des Wohlbefindens auftreten. Am Beispiel von<br />
Belastungen durch Lärm zeigt sich, dass es hier eine objektive und eine subjektive<br />
Komponente gibt (vgl. Gros, 1994, S. 99ff.).<br />
Es gab in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) von 1977 Richtwerte im Bezug<br />
auf Lärm, die nicht überschritten werden sollten. Empfohlen wurden bei vorrangig<br />
geistiger Arbeit nicht mehr als 55 dB(A), 70dB(A) bei einfachen, mechanischen<br />
Büroarbeiten und höchstens 85 dB(A) bei allen sonstigen Arbeiten (vgl. Gros, 1994,<br />
S. 102). In der neuen Ausgabe der Arbeitsstättenschutzverordnung sind bis auf den<br />
höchsten zulässigen Lärmpegel von 85dB, keine konkreten Maßzahlen angegeben,<br />
sondern allgemeine Schutzziele (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 49).<br />
Die Lärmschwerhörigkeit gilt laut Gros im deutschsprachigen Raum als eine der<br />
häufigsten Berufskrankheiten, und kann folgendermaßen definiert werden: „Die<br />
Lärmschwerhörigkeit ist gekennzeichnet durch einen isolierten Hörverlust im Bereich<br />
um 4000 Hz; d.h. der Betroffene kann oberhalb und unterhalb des Bereiches von<br />
4000 Hz im Vergleich zu seiner Altersgruppe als normal-hörend bezeichnet werden.“<br />
(Gros, 1994, S. 101).<br />
Zum Lärmschutz können technische Maßnahmen (Minderung der Schallentstehung,<br />
-abstrahlung und –übertragung), Gehörschutzmaßnahmen (Gehörschutzstöpsel etc.)<br />
und organisatorische Maßnahmen (Änderung im Arbeitsverfahren, zeitliche<br />
Verlegung und räumliche Trennung lauter Arbeiten sowie das Einlegen von<br />
Lärmpausen) beitragen (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 50).<br />
56
- mechanische Schwingungen<br />
Eine häufige Belastungs- Kombination an bestimmten Arbeitsplätzen ist die von Lärm<br />
mit mechanischen Schwingungen; darunter werden physikalisch „zeitabhängige<br />
Schwankungen fester Körper um einen Bezugspunkt“ verstanden.<br />
Ganzkörperschwingungen wirken sich auf den gesamten Körper aus, während<br />
Teilkörperschwingungen einzelne Körperteile in Schwingung versetzen. Es wird<br />
zwischen verschiedenen Schwingungsachsen unterschieden, je nachdem ob die<br />
Einwirkung in Richtung Wirbelsäule (z – Achse), Brust – Rücken (x – Achse) oder<br />
Schulter – Schulter (y – Achse) stattfindet. Beeinträchtigungen ergeben sich im<br />
psychophysiologischen Bereich (z.B. negative Auswirkung auf das Wohlbefinden,<br />
Änderung im Blut – Kreislaufsystem), im Leistungsbereich sowie im gesamten<br />
Bereich der Gesundheit (z.B. Rückenbeschwerden) (vgl. Gros, 1994, S. 104ff.).<br />
- physikalisches Klima<br />
Unter dem physikalischen Begriff „Klima“ werden folgende Faktoren verstanden: die<br />
Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Luftbewegung und die Wärmestrahlung.<br />
Menschen haben klimatische Präferenzen. Der Begriff „thermische Behaglichkeit“<br />
bezeichnet den subjektiv idealen Klimabereich für eine Person. Es gibt verschiedene<br />
Vorschriften über klimatische Bedingungen (wie über andere Bedingungen) am<br />
Arbeitsplatz, wobei für Arbeiten unter extremen Klimabedingungen (Hitze- und<br />
Kältearbeit) eigene Richtlinien gelten, damit gesundheitliche Schäden vermieden<br />
werden (vgl. Gros, 1994, S. 107f.).<br />
In der DIN 33430 z.B. sind Grenzwerte für klimatische Rahmenbedingungen bei<br />
verschiedenen Arten von Arbeit aufgelistet (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 42)<br />
Folgen einer zu hohen Raumtemperatur (in Abhängigkeit von der Art der Arbeit)<br />
können: Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Langsamkeit bis hin zu Gefäßschäden<br />
und Hitzeschlag sein. Zu niedrige Temperatur führt zu einem erhöhten<br />
Bewegungsbedürfnis und begünstigt Erkältungen, Rheuma bis hin zu Erfrierungen<br />
(vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 40).<br />
Die relative Luftfeuchtigkeit soll mit steigender Temperatur geringer werden, Folgen<br />
einer zu hohen Luftfeuchtigkeit (über 70% relative Feuchte) sind ein<br />
57
Unbehaglichkeitsgefühl und die Verringerung der Schweißverdunstung, wodurch<br />
schneller eine Überwärmung entstehen kann. Ist die Luftfeuchtigkeit zu gering (unter<br />
30 % relative Feuchte), kann es zur Austrocknung der Nasenschleimhäute, Mund<br />
und Rachenraum sowie der Augen kommen, in der Folge zu Augenbrennen und<br />
Augenrötung (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 41).<br />
Die Luftgeschwindigkeit wird im Bereich von 0,1 bis 0,15 m/s als angenehm<br />
empfunden, starke Zugluft ist zu vermeiden. Ein Mangel an Frischluft am Arbeitsplatz<br />
kann zu Müdigkeit und Konzentrationsschwäche führen und vor allem in Neubauten<br />
die Entstehung des sogenannten „Sick-Building-Syndrom“ begünstigen (vgl.<br />
Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 42).<br />
- Lichtverhältnisse<br />
Zu beachten ist nach Poppelreuter und Mierke (2008:44f.) neben der<br />
Beleuchtungsstärke auch die Beleuchtungsqualität (Maße wie:<br />
Blendungsbegrenzung, Leuchtdichteverteilung, Farbwiedergabeeigenschaften,<br />
Lichtfarbe, Lichtrichtung und Schattigkeit). Generell ist das Tageslicht die zu<br />
bevorzugende Lichtquelle.<br />
Bei Nachmittags- bzw. Nachtschichtarbeit lässt sich künstliche Beleuchtung nicht<br />
vermeiden. Gute Lichtverhältnisse wirken sich positiv auf die Qualität der Arbeit, die<br />
Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der ArbeiterInnen aus. Auch Merkfähigkeit<br />
und Konzentrationsvermögen sollen positiv mit Beleuchtungsstärke und –qualität<br />
zusammenhängen. Schlechte Beleuchtung stellt eine psychische Belastung dar und<br />
kann das Unfallrisiko erhöhen (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 43ff.).<br />
Es gibt in Abhängigkeit von der Arbeit Normen, die sich mit der Beleuchtung am<br />
Arbeitsplatz und der Arbeitsumgebung beschäftigen, z.B. gibt die DIN 5035 (für<br />
Deutschland) Auskünfte über Nennbeleuchtungsstärken bei verschiedenen<br />
Sehaufgaben (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 43f.).<br />
- Gerüche und Schadstoffe<br />
Als Berufskrankheit ähnlich weit verbreitet wie die Lärmschwerhörigkeit, sind<br />
Hauterkrankungen. Verursacht sind diese oft durch verschiedene Schadstoffe am<br />
58
Arbeitsplatz. Nach ihren physikalischen Eigenschaften werden Schadstoffe unterteilt<br />
in: Flüssigkeiten, Pasten, Feststoffe einerseits sowie Gase, Dämpfe und<br />
Schwebstoffe andererseits. Durch die Beachtung von sogenannten MAK – Werte<br />
(Maximale Arbeitsplatz-Konzentrationen), wird versucht, den Schadstoffgehalt und<br />
damit die gesundheitliche Gefahr für die Mitarbeiter möglichst gering zu halten (vgl.<br />
Gros, 1994, S. 110ff.).<br />
Ein Problem ist allerdings, dass viele Stoffe erst im Nachhinein als gefährlich erkannt<br />
werden. So ist in einem der Betriebe, in denen ich Arbeitserfahrungen sammeln<br />
konnte, lange Zeit über mit Asbesthaltigem Material gearbeitet worden, dessen<br />
krebserregende Wirkung heute allgemein bekannt ist.<br />
Abschließend sei als Belastungsfaktor aus der Arbeitsumgebung noch eine nicht<br />
angepasste ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes erwähnt, welche z.B. zu<br />
Zwangshaltungen beim Arbeiten führen kann (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S.<br />
16).<br />
4.4.3 Die soziale Umgebung als Belastungsfaktor<br />
Zu den interpersonalen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz zählen nach<br />
Poppelreuter und Mierke (2008:8): Konflikte, Mobbing und sexuelle Belästigung. Im<br />
Folgenden soll auf alle drei Bereiche eingegangen werden.<br />
- Konflikte<br />
Poppelreuter und Mierke (2008:52) schlagen folgende Definition von Konflikten vor:<br />
„Konflikte sind Spannungssituationen in denen zwei oder mehr voneinander<br />
abhängige oder aufeinander angewiesene Personen oder Parteien jeweils<br />
versuchen, ihre eigenen Vorstellungen, Interessen oder Ziele zu vertreten oder zu<br />
verwirklichen. Die Konfliktparteien sind sich dabei in der Regel ihrer Gegnerschaft<br />
bewusst. Die Austragung ist meist durch negative Emotionen und Affekte begleitet,<br />
wie z.B. Ärger, Stress, Aggression, Angst, Unsicherheit und Frustration.“<br />
Konflikte können innerhalb einer Person stattfinden, intrapersonell sein (z.B. manche<br />
Rollen- und Entscheidungskonflikte), und zwischen zwei Personen (interpersonell)<br />
59
auftreten. Durch bestimmte Bedingungen am Arbeitsplatz können Konflikte<br />
begünstigt werden, z.B. durch Situationen, die sich durch starke Konkurrenz um<br />
materielle Ressourcen, Anerkennung und Aufstiegschancen auszeichnen. Konflikte<br />
können zu einer Verschlechterung des Betriebsklimas und einer Minderung der<br />
Arbeitsleistung führen, bei entsprechender Konfliktlösung aber auch konstruktiv<br />
wirken (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 50ff.).<br />
Poppelreuter und Mierke (2008:53ff.) unterscheiden in Anlehnung an Berkel (2000)<br />
und Rüttinger (1980) folgende Konfliktarten:<br />
- Rollenkonflikte: wenn Jemand unterschiedlichen<br />
Anforderungen und Erwartungen gerecht werden<br />
muss, wie z.B. eine Person in mittlerer<br />
Führungsposition, die sich sowohl für die Anliegen<br />
der Mitarbeiter als auch für die der Leitung<br />
einsetzen soll,<br />
- Entscheidungskonflikte: eine Person muss<br />
zwischen Alternativen eine Entscheidung treffen,<br />
was im Allgemeinen (unvorhersehbare) Nachteile<br />
mit sich bringt,<br />
- Verteilungskonflikte: entstehen bei der Verteilung<br />
knapper Ressourcen wie z.B. betriebliche<br />
Urlaubsplanung,<br />
- Wert- und Zielkonflikte: liegen dann vor, wenn die<br />
Konfliktpartner unvereinbare Auffassungen oder<br />
Ziele vertreten,<br />
- Sachkonflikte: bei solchen Konflikten ist man sich<br />
über das Ziel einig, nicht über die Schritte zur<br />
Erreichung desselben und<br />
- Beziehungskonflikte: sind gekennzeichnet durch<br />
emotional gefärbtes Verhalten; mit dem Ziel, den<br />
Gegner zu demütigen oder bloßzustellen.<br />
Ausgelöst werden solche Konflikte oft durch Ziel-,<br />
Sach-, Verteilungs-, oder Rollenkonflikte, bei denen<br />
eine Person objektiv oder subjektiv benachteiligt<br />
60
worden ist. Der Übergang zu systematischen<br />
Mobbing - Handlungen ist ein fließender.<br />
- Mobbing<br />
Leymann versteht Mobbing als einen ausgeweiteten Konflikt hinsichtlich Frequenz<br />
und Dauer. Außerdem bekommt ein Konflikt in einer solchen Situation oft einen<br />
privaten Touch (vgl. Leymann, 1996, S. 168, 179).<br />
Von Mobbing könne gesprochen werden, wenn bestimmte feindliche Aktivitäten einer<br />
Person gegenüber regelmäßig, d.h. mindestens einmal pro Woche und über einen<br />
längeren Zeitraum hinweg, mindestens ein halbes Jahr lang, auftreten (vgl.<br />
Leymann, 1996, S.167f.).<br />
„Psychological terror or mobbing in working life involves hostile and unethical<br />
communication, which is directed in a systematic way by one or a few individuals<br />
mainly towards one individual who, due to mobbing, is pushed into a helpless and<br />
defenceless position, being held there by means of continuing mobbing activities.<br />
These actions occor on a very frequent basis (statistical definition: at least once a<br />
week) and over a long period of time (statistical definition: at least six month of<br />
duration).” (Leymann, 1996, S. 168).<br />
Mobbing umfasst beispielsweise folgende Verhaltensweisen: das Opfer bekommt<br />
sinnlose, erniedrigende Arbeitsaufgaben zugewiesen, wird sozial isoliert, verbal<br />
bedroht, körperlich misshandelt, es werden Gerüchte über die Person verbreitet und<br />
abwertende Scherze über sein Privatleben gemacht (vgl. Zapf, 1996, S. 161).<br />
Die gesundheitlichen Folgen können, psychologische, psychosomatische und soziale<br />
Probleme sein. Auch die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung<br />
kann in Zusammenhang mit Mobbing am Arbeitsplatz stehen (vgl. Leymann, 1996, S.<br />
168, 179).<br />
Mobbing kann als Prozess betrachtet werden, der verschiedene Phasen durchläuft:<br />
1. Am Anfang steht oft ein Konflikt als kritisches Ereignis. Dieser weitet sich dann<br />
bei Nicht – Lösung aus und es entsteht eine Mobbing – Situation.<br />
61
2. Mobbing – Aktivitäten finden statt, die durch aggressive Manipulation<br />
charakterisiert sind. Es kommt in feindseligen Angriffen zur Stigmatisierung<br />
des/ der Opfer.<br />
3. In einer nächsten Phase kommen das Management, bzw. die Vorgesetzten<br />
ins Spiel und der Fall wird damit offiziell. Im Zusammenhang mit den<br />
Stigmatisierungen wird die Situation von den Vorgesetzten oft falsch beurteilt,<br />
Vorurteile werden übernommen und dem Opfer wird die Schuld<br />
zugesprochen, es kommt zu Verletzungen seiner Rechte.<br />
4. Die Folge kann ein Verweis von der Arbeitsstelle sein sowie soziale und<br />
gesundheitliche Beeinträchtigungen (vgl. Leymann, 1996, S. 171f.).<br />
Alle Arbeitsplätze, wo Mobbing auftritt, haben nach Leymann folgende<br />
Charakteristika gemeinsam: Es herrscht eine schlechte Organisation in der<br />
Produktion vor, (z.B. bei den Arbeitsmethoden) bei gleichzeitigem Vorhandensein<br />
eines uninteressierten, sich hilflos fühlenden Managements. Eine besondere Quelle<br />
für sich ausweitende Konflikte am Arbeitsplatz ist ein schlechtes<br />
Konfliktmanagement. Probleme entstehen, wenn Vorgesetzte Partei ergreifen und in<br />
die Gruppendynamik involviert sind oder wenn sie leugnen, dass ein Konflikt existiert<br />
(vgl. Leymann, 1996, S. 177f.).<br />
Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) finden sich gesetzliche<br />
Bestimmungen hinsichtlich Diskriminierung und Benachteiligung von Arbeitnehmern<br />
aufgrund von Aspekten, die für die Arbeit unbedeutend sind, auch die Mobbing -<br />
Problematik ist dort behandelt (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 51).<br />
Es stellt sich die Frage, ob Industriearbeit, durch ihre spezifischen Belastungen für<br />
die ArbeiterInnen, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Konflikten und<br />
Mobbing – Szenen erhöht.<br />
„Bei der innerbetrieblichen Mobbing – Dynamik, [...] spielt die Nicht – Thematisierung<br />
struktureller Identitätsspannungen von entfremdeten und geängstigten Lohnarbeitern<br />
mit nachfolgender Personalisierung in vielen Fällen ebenfalls mit. Oftmals vermögen<br />
sich ganze Abteilungen oder Teams nur in bösartiger Abgrenzung von einem<br />
62
einzelnen Leistungszurückhalter oder aber (was selten ist) vom stressverbreitenden<br />
Vielarbeiter zu stabilisieren.“ (Ottomeyer, 2000, S. 47).<br />
- Sexuelle Belästigung<br />
Der Vollständigkeit halber sei die diese dritte Kategorie von interpersonalen<br />
Belastungen am Arbeitplatz (nach Poppelreuter und Mierke) erwähnt. In einer<br />
Richtlinie der europäischen Union von 2005 ist sexuelle Belästigung auf EU – Ebene<br />
definiert worden, sie gilt als eine Form von Ungleichbehandlung aufgrund des<br />
Geschlechts. Der Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, sexuelle Belästigung<br />
am Arbeitsplatz vorzubeugen und bei deren Auftreten einzugreifen (vgl.<br />
Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 87).<br />
Sexuelle Belästigung beinhaltet nach AGG: unerwünschtes sexualisiertes Verhalten,<br />
unerwünschte sexuelle Handlungen oder Aufforderungen, körperliche Berührungen,<br />
die sexuelle bestimmt sind, Bemerkungen sexuellen Inhaltes, unerwünschtes Zeigen<br />
oder zur Schau stellen pornografischer Darstellungen und Ähnliches. Das Opfer wird<br />
durch solches Verhalten in seiner Würde verletzt (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S.<br />
88).<br />
So wie die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz, kann auch die Familie sowohl eine<br />
Ressource als auch einen Belastungsfaktor darstellen. Die familiären Beziehungen<br />
als Stressor werden dann umso mehr Gewicht haben, je weniger ein Mensch<br />
außerhalb der Familie sozialen und emotionalen Rückhalt hat. Bestimmte<br />
Eigenschaften der Produktionsarbeit (z.B. Schichtarbeit, erhöhte Anstrengung bei der<br />
Arbeit etc.) würden dabei die Tendenz zur Privatisierung und zum Rückzug in die<br />
Familie fördern (vgl. Frese, 1977, S. 154).<br />
Um die Frustrationen im Arbeitsleben auszugleichen, werden an die Familie häufig<br />
hohe Erwartungen gesetzt, die sie nicht erfüllen kann: „Die Entfremdung der<br />
zwischenmenschlichen Privatbeziehungen kommt nämlich wesentlich durch die<br />
zwanghafte Suche gerade der Gegenerfahrung zu den kapitalistischen<br />
Arbeitsbeziehungen, über den Zwang zur Kompensation ihres mangelhaften,<br />
anstrengenden und enttäuschenden Charakters zustande.“ (Ottomeyer, 2004, S.<br />
123).<br />
63
4.4.4 Belastungen durch organisatorische Bedingungen<br />
Im Bereich der Arbeitsorganisation soll beispielhaft auf die Schichtarbeit als<br />
Belastungsfaktor eingegangen werden. Andere organisatorische Belastungen wären<br />
z.B.: typische Belastungen wie sie durch Einzel- oder Gruppenarbeitsplätze zustande<br />
kommen, bestimmte Arbeitszeitregelungen und Überstunden.<br />
Es gibt in der Industrie verschiedene Schichtmodelle, wobei das Zweischichtmodell<br />
(mit einer wechselnden Arbeitszeit von z.B. 6.00 – 14.00 und 14.00 – 22.00) das<br />
Weitverbreitetste ist (vgl. Ehrenstein u.a., 1989, S. 13).<br />
Obwohl es finanzielle Zulagen für Schichtarbeit gibt, sind es nach Betschart nicht in<br />
erster Linie finanzielle Motive, die zur Arbeit in verschiedenen Schichtmodellen<br />
führen. Vielmehr sei die schwierige Beschäftigungslage Anlass dafür, einen Zwei –<br />
oder Dreischichtarbeitsplatz anzunehmen (vgl. Betschart, 1989, S. 148).<br />
Für die Firmen sind es vorrangig finanzielle Vorteile, die für Schichtarbeit sprechen:<br />
„Nacht- und Schichtarbeit ermöglicht die Ausnutzung des konstanten Kapitals am<br />
besten.“ (Frese, 1977, S. 71).<br />
Es gibt auch Vorteile der Schichtarbeit für die Arbeitnehmer, die nicht unerwähnt<br />
bleiben sollen. So erlaubt die Frühschicht z.B. eine optimale Ausnutzung der Freizeit<br />
am Tag. Nach dem Arbeitsende um 14.00 bleibt noch reichlich Zeit, um sich z.B. im<br />
Sommer an einem See zu entspannen. Die Spätschicht bietet den Vorteil, dass<br />
vormittags Ämtergänge oder Arztbesuche unternommen bzw. Dinge erledigt werden<br />
können, für die man sich sonst frei nehmen müsste. Ein Vorteil der Nachtschicht ist<br />
die geringere Kontrolle durch Vorgesetzte und die damit verbundenen<br />
Freiheitsspielräume sowie Verdienstzuschläge.<br />
In einer Befragung wurden von Schichtarbeitern bei den Vorteilen des<br />
Zweischichtsystems vor allem die Freizeiteinteilung und der bessere Verdienst (in<br />
Form von Schichtzulagen) genannt (vgl. Fürstenberg/ Glanz/ Steininger, 1989, S.<br />
108f.).<br />
64
Im Allgemeinen überwiegen bei Schichtarbeit die Nachteile. So gestaltet es sich bei<br />
einem wöchentlichen Wechsel der Arbeitszeit viel schwieriger, sich beruflich weiter<br />
zu bilden; z.B. einen Abendkurs zu besuchen. Früh – und Nachmittagsschicht gelten<br />
als körperlich weniger schädlich im Vergleich zur Nachtschicht. Im<br />
Zweischichtsystem überwiegen nach Betschart (1989: S. 72ff.) soziale<br />
Auswirkungen, während im Dreischichtsystem (mit zusätzlicher Nachtschicht)<br />
Schlafstörungen und Beeinträchtigung vegetativer Rhythmen vermehrt hervortreten.<br />
Der Grund für Schichtarbeitsspezifische Befindlichkeitsstörungen liegt nach<br />
Ehrenstein u.a. (1989:14) in der Phasenverschiebung circadianer Rhythmen. Bei<br />
einem wöchentlichen Wechsel der Arbeitszeit ist es besonders schwierig, sich darauf<br />
einzustellen.<br />
Auch bei Zweischichtarbeit ist die Schlafdauer während der Frühschicht – Woche<br />
nach Betschart (1989:145f.) verkürzt im Vergleich zur Schlafdauer von<br />
Regelzeitarbeitern. Zweischichtarbeiter würden öfter an Schlafstörungen leiden, als<br />
die Vergleichsgruppen: „Einschlafstörungen kommen nach den Angaben der<br />
Befragten eher in der Spätschichtwoche vor; vielen Zweischichtarbeitern fehlt<br />
anscheinend der Feierabend mit seiner Abschaltphase. Durchschlafstörungen<br />
kommen vermehrt in der Frühschichtwoche vor, u.a. deshalb, weil viele<br />
Zweischichtarbeiter befürchten, den Wecker zu überhören.“ (Betschart, 1989, S.<br />
145f.).<br />
Am Wochenende müsse das Schlafdefizit aufgeholt werden und auch unter der<br />
Woche wird bei Schichtarbeitern die Freizeit vermehrt für Regeneration genutzt, im<br />
Vergleich zu RZA (vgl. Ehrenstein u.a., 1989, S. 72ff.).<br />
Die Nachmittagsschicht bringt laut Ehrenstein Nachteile in der sozialen<br />
Freizeitgestaltung mit sich: „Familiäre Kontakte sind wegen eingeschränkter<br />
Möglichkeiten stark, [...], soziale Kontakte außerhalb der Familie sehr stark reduziert<br />
[...]. Der Ausschluß von der „Abendgesellschaft“ mit ihren optimalen Möglichkeiten für<br />
familiäre und außerfamiliäre Kommunikation kann durch die sehr beschränkten<br />
65
Möglichkeiten des Vormittags offenbar nicht ausgeglichen werden.“ (Ehrenstein u.a.,<br />
1989, S. 78).<br />
Betschart und Ulich (1989:119,143) verweisen auf mögliche Rollenkonflikte im<br />
Zusammenhang mit Zweischichtarbeit. So könnten Anforderungen aus der Vater -<br />
und Bürgerrolle von Schichtarbeitern aufgrund der Arbeitszeit beispielsweise weniger<br />
gut erfüllt werden als von Nichtschichtarbeitern.<br />
Die Autoren erwähnen verschiedene Lösungsansätze, durch welche Belastungen<br />
von Zweischichtarbeit gemildert oder beseitigt werden können. Eine Möglichkeit läge<br />
in der Verkürzung der Arbeitszeit. Es empfiehlt sich, langjährigen bzw. älteren<br />
Zweischichtarbeitern die Möglichkeit für einen gleichwertigen Arbeitsplatz ohne<br />
Schichtarbeit zu gewähren. Auch eine vorzeitige Pensionierungsmöglichkeit für<br />
Zweischichtarbeiter wäre denkbar sowie die Möglichkeit für die Wahl von Dauerspät-<br />
bzw. Frühschichtarbeit nach persönlichen Bedürfnissen. Verbesserungen in der<br />
Gestaltung der Arbeitsaufgabe könnten die negativen Folgen von Schichtarbeit<br />
abschwächen (vgl. Betschart/ Ulich, 1989, S. 156f.).<br />
4.4.5 Gesellschaftspolitische Belastungen/ Arbeitsplatzunsicherheit<br />
Die Arbeitsplatz – Unsicherheit wird verstärkt durch die Anstellung über Leihfirmen.<br />
Daher soll dieser Punkt im Folgenden herausgearbeitet werden. Zuvor eine<br />
allgemeine Darstellung der Belastungszusammenhänge durch „kapitalistische<br />
Verhältnisse“.<br />
- Arbeitsbelastungen durch gesellschaftliche Bedingungen im Kapitalismus<br />
Frese (1977:67ff.) beschreibt den Zusammenhang zwischen Stressoren und<br />
gesellschaftlichen Gegebenheiten im Kapitalismus. In kapitalistischen Verhältnissen<br />
geht es primär um eine Mehrwertproduktion, wodurch es zu einer Intensivierung der<br />
Arbeit für den Einzelnen kommt. Während in den Frühzeiten des Kapitalismus<br />
aufgrund mangelnder Schutzbestimmungen die Arbeitszeit beliebig verlängert<br />
worden ist, wurde später versucht, durch eine Intensivierung der Arbeit die<br />
Mehrwertproduktion zu fördern. Eine verbesserte Maschinerie und die Optimierung<br />
von Bewegungsabläufen dienten dieser Entwicklung. Die Arbeiter wurden ferner<br />
66
durch Lohnanreize wie Akkordzulagen dazu angehalten, ihre Arbeitsgeschwindigkeit<br />
zu erhöhen.<br />
Weber (1920:44) schreibt, dass in den Anfangszeiten der Industrialisierung eine<br />
Heraufsetzung der Akkordsätze oft das Gegenteil von dem bewirkt hat, was damit<br />
erzielte werden sollte: der Arbeiter reagierte darauf mit einer Herabsetzung seiner<br />
Tagesleistung.<br />
„Der Mehrverdienst reizte ihn weniger als die Minderarbeit; er fragte nicht: wieviel<br />
kann ich am Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste,<br />
sondern: wie viel muß ich arbeiten, um denjenigen Betrag [...] zu verdienen, den ich<br />
bisher einnahm und der meine traditionellen Bedürfnisse deckt?“ Der<br />
Traditionalismus musste erst durch einen langen Erziehungsprozess überwunden<br />
werden, denn „[...] der Mensch will „von Natur aus“ nicht Geld und mehr Geld<br />
verdienen, sondern einfach leben, so wie er zu leben gewohnt ist und soviel<br />
erwerben, wie dazu erforderlich ist.“ (Weber, 1920, S. 44).<br />
Heute scheint die Logik des Kapitalismus in den Individuen bereits soweit<br />
verinnerlicht zu sein, dass es als Selbstverständlichkeit gilt, möglichst viel in<br />
möglichst kurzer Zeit zu produzieren. Werbung und Medien haben ihren Beitrag dazu<br />
geleistet, neue Bedürfnisse zu wecken, deren Befriedigung erhöhte Ausgaben mit<br />
sich bringt.<br />
Um das konstante Kapital bestmöglich ausnutzen zu können, sind Nacht- und<br />
Schichtarbeit notwendig. Durch die Intensivierung der Arbeit und die Ökonomie des<br />
konstanten Kapitals entstünden aversive Bedingungen und Stressoren für die<br />
Arbeiter (vgl. Frese, 1977, S. 71ff.). Auf die negativen Auswirkungen von Nacht- und<br />
Schichtarbeit habe ich schon an anderer Stelle hingewiesen, wie auch auf die<br />
Belastungen durch repetitive, sinnentfremdete Arbeit.<br />
Die Arbeit wird unter kapitalistischen Bedingungen auf abstrakte menschliche Arbeit<br />
reduziert. Daraus und aus der damit verbunden Gleichgültigkeit ihr gegenüber<br />
entstehen wiederum Belastungen für die Arbeiter. Es käme zu einer<br />
Interessensverlagerung: Statt am Inhalt der Arbeit interessiert zu sein, gelte das<br />
67
Interesse dem Tauschwert. Durch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Arbeitsinhalt<br />
sind Disziplinierungsmaßnahmen notwendig, Beispiele hierfür sind Lohnminderung,<br />
Versetzung und Kündigung (vgl. Frese, 1977, S. 76ff.).<br />
Frese führt die Schikanen der Arbeiter untereinander auf die gesellschaftlichen<br />
Bedingungen unter kapitalistischen Verhältnissen zurück. Unter den Arbeitern<br />
herrsche ein Konkurrenzverhältnis „um die bestmögliche individuelle Nutzung ihrer<br />
Ware, der Arbeitskraft, zu gewährleisten. “ Konkurrenzverhalten kann im Kampf um<br />
den günstigeren Arbeitsplatz, Vergünstigungen und die Vermeidung der Entlassung<br />
bestehen. Von Schikanen der KollegInnen betroffen wären vor allem ArbeiterInnen<br />
die neu sind und solche, die zum „diskriminierten Bestandteil der Arbeiterklasse“<br />
gehören, wie ausländische Arbeitskräfte. Andererseits gäbe es die Tendenz zur<br />
Solidarität aufgrund der gesellschaftlichen Stellung der ArbeiterInnen (vgl. Frese,<br />
1977, S. 79f.).<br />
Die gesellschaftlichen Bedingungen der kapitalistischen Verhältnisse wirken sich auf<br />
das Privatleben der ArbeiterInnen aus. Ottomeyer spricht von einem erhöhten<br />
Bedürfnis an Harmonie im Privatbereich um die Belastungen in der kapitalistischen<br />
Produktionssphäre auszugleichen. Das führt in Beziehungen zu Konfliktvermeidung<br />
und im extremen Fall zu Pseudo – Gemeinschaften deren krankmachende Wirkung<br />
durch die Schizophrenieforschung bekannt ist (vgl. Ottomeyer, 2004, S. 121ff.).<br />
„Der ökonomische Zwang zur Wiederherstellung, Reproduktion der eigenen<br />
leiblichen und seelischen Arbeitsfähigkeit schlägt sich auf die<br />
Zwischenmenschlichkeit der Lohnarbeiter als beständige Suche nach möglichst<br />
angenehmen, anstrengungslos-konfliktfreien und kompensierenden Sozialkontakten<br />
nieder.“ (Ottomeyer, 2004, S. 116).<br />
- Leiharbeit<br />
Grundsätzlich entspricht Leiharbeit der neuen „Flexibilität der Arbeit“ von der Senett<br />
in seinem Buch, „Der flexible Mensch“ spricht. Für die Betroffenen führt das zu einer<br />
vermehrten Unsicherheit.<br />
68
Zeitarbeit liegt im Trend und die Anzahl der Leihfirmen steigt. „Von 1996 bis 2006 hat<br />
sich ihre Zahl in Österreich von 676 auf 1442 mehr als verdoppelt. 20 Prozent aller<br />
Stellen werden mittlerweile über Zeitarbeitsfirmen vermittelt [...].“ (Vgl.) Studie:<br />
Leiharbeiter an der Armutsgrenze (06.08.2007), Online im WWW unter URL:<br />
http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/321612/index.do [21.07.2008].<br />
Ofner und Schindler verweisen auf die gesetzliche Definition des Begriffs:<br />
„Arbeitskräfteüberlassung“ (umgangssprachlich wird meistens von Leiharbeit<br />
gesprochen):<br />
„Unter Arbeitskräfteüberlassung versteht das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz<br />
(AÜG), dass Arbeitskräfte Dritten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden.<br />
Arbeitnehmer arbeiten nicht für „ihren“ Arbeitgeber, sondern werden ausdrücklich<br />
eingestellt, um in „fremden“ Firmen tätig zu sein. Es besteht also ein<br />
Vertragsverhältnis zwischen drei Personen [...]“ (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke; Schindler,<br />
Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007), Online im<br />
WWW unter URL: http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf<br />
[21.07.2008].<br />
Ursprünglich wollten Gewerkschaften und die Arbeiterkammer ein Verbot der<br />
Leiharbeit erreichen. Da dies gescheitert ist, geht es den Vertretern beider<br />
Institutionen nun darum, für die überlassenen Arbeitskräfte, das Arbeiten unter<br />
gleichen Bedingungen wie fix Beschäftigte sicherzustellen (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke;<br />
Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007),<br />
Online im WWW unter URL: http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf<br />
[21.07.2008].<br />
Die Vorteile der Leiharbeit sehen Heinz-Ofner und Schindler darin, dass illegale<br />
Überstunden durch die Beschäftigung von Leiharbeitern eher vermieden werden.<br />
Außerdem stellen Leiharbeitsfirmen oft auch Personen ein, die schwerer zu<br />
vermitteln sind wie „gesundheitlich nicht mehr voll einsetzbare Arbeitnehmer,<br />
Arbeitnehmer aus sozialen Randgruppen (z.B. Vorbestrafte)“ sowie Menschen mit<br />
Behinderungen. Durch die Einstellung von Menschen über eine Leihfirma, kann ein<br />
69
Betrieb zusätzliche Aufträge annehmen und somit führt das indirekt zu einer<br />
größeren Sicherheit für die Menschen mit fixer Anstellung (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke;<br />
Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007),<br />
Online im WWW unter URL: http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf<br />
[21.07.2008].<br />
“Nur wenn überlassene Arbeitnehmer zwischen den einzelnen Einsätzen<br />
durchgängig beschäftigt werden (Stehzeiten auch bezahlt werden), ist Leiharbeit eine<br />
korrekte Form der Beschäftigung. Anderenfalls nähert sie sich unzulässiger „Arbeit<br />
auf Abruf“. (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke; Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung –<br />
„Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007), Online im WWW unter URL:<br />
http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf [21.07.2008].<br />
Schumann (2003:114f.) zählt die Nachteile für LeiharbeiterInnen auf: Ein geringer<br />
Lohn und geringe Qualifikation ist für Menschen in dieser Beschäftigungsgruppe<br />
typisch. Die Betroffenen sind zur Flexibilität und zum häufigen Wechsel ihrer<br />
Arbeitsstelle gezwungen, sie sind abhängig von der jeweiligen Situation und<br />
Nachfrage am Arbeitsmarkt und leicht austauschbar. Schumann zählt<br />
LeiharbeiterInnen zur Gruppe der „Modernisierungs-Bedrohten“:<br />
„Unsicherheit der Beschäftigungsperspektiven und deren materielle Nachteile sind für<br />
das gesellschaftliche Selbstverständnis bestimmend. Aber auch das Wissen darum,<br />
innerhalb der Betriebe, von Vorgesetzten ebenso wie von Kollegen, oft keine<br />
Anerkennung als vollwertige Arbeitskräfte zu finden. Ihren Erwerbsstatus empfinden<br />
sie deswegen häufig als Stigma. [...]. Ihr Schutz vor weiterer Deklassierung oder<br />
auch ihre Chance, in die Gruppierung der Dauer-Beschäftigten aufgenommen zu<br />
werden, besteht nicht selten in individueller (Über-)Anpassung.“ (Schumann, 2003, S.<br />
114f.).<br />
Wie ich selbst und meine InterviewpartnerInnen die Anstellung über Leihfirmen erlebt<br />
haben, soll im empirischen Teil herausgearbeitet werden.<br />
70
4.4.6 Personale Belastungsfaktoren<br />
Unter personalen Belastungsfaktoren verstehen Poppelreuter und Mierke Faktoren,<br />
die innerhalb der Person liegen (was nicht heißt, dass diese für die Belastung<br />
verantwortlich sein muss oder diese selbst bewältigen soll). Beispiele die bei den<br />
Autoren aufgeführt werden sind: emotionale Belastungen, wie sie aus Merkmalen der<br />
Arbeit entstehen können, Belastungen durch kritische Lebensereignisse (auch<br />
außerhalb der Arbeit, wie z.B. den Tod eines nahen Angehörigen), Ängste (Angst vor<br />
steigenden Lebenserhaltungskosten – Arbeitsplatzunsicherheit etc.) sowie Burnout<br />
und Arbeitssucht als Ursache und Folge von starken Belastungen (vgl. Poppelreuter/<br />
Mierke, 2008, S. 97).<br />
„Persönlichkeits- und Verhaltensdispositionen werden in der Literatur sowohl als<br />
Vulnerabilitätsfaktoren für Krankheit wie auch als Ressource für die<br />
Aufrechterhaltung der Gesundheit behandelt.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 132).<br />
Ein Beispiel für Verhaltensgewohnheiten als Vulnerabilitätsfaktor ist das sogenannte<br />
„Typ – A – Verhalten“ nach Rosenman und Friedman. Den Autoren zufolge<br />
kennzeichnet sich dieses Verhaltensmuster aus durch: hohes Leistungsstreben,<br />
Konkurrenzverhalten, Ungeduld, einem hohen Muskeltonus und<br />
Geschwindigkeitsorientiertheit. Sie fanden dieses Verhaltensmuster vermehrt bei<br />
Herzpatienten (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 132). Eine Kombination von<br />
Persönlichkeitsfaktoren, die als Ressource betrachtet werden, ist der Kohärenzsinn,<br />
welcher im folgenden Kapitel, wo es um Ressourcen geht, dargestellt wird.<br />
4.5 Belastungsfolgen<br />
4.5.1 Allgemeine Belastungsfolgen<br />
„Streß kennzeichnet eine komplexe psychophysiologische Reaktion auf als<br />
unannehmbar bis bedrohlich erlebte, konflikthafte Fehlbeanspruchung, die aus<br />
extremer Überforderung, aber durchaus auch aus Unterforderung der<br />
Leistungsvoraussetzungen und dem Infragestellen persönlich bedeutsamer Ziele<br />
sowie widersprüchlichen Anforderungen folgen kann. Kennzeichnend sind negative<br />
Emotionen, die sich in Unruhe und erregt-geängstigter Gespanntheit äußern.“<br />
(Richter/ Hacker, 1998, S. 69f.).<br />
71
Grundsätzlich kann bei den möglichen Konsequenzen von psychischen und<br />
physischen Stressoren am Arbeitsplatz zwischen drei Formen unterschieden werden,<br />
wobei es in der Realität Überlappungen gibt. An der Grenze zwischen körperlichen<br />
und psychischen Krankheiten liegen die psychosomatischen Störungen. Lanndy u.a.<br />
unterscheiden in Anlehnung an Nelson u.a. zwischen körperlichen, psychischen und<br />
verhaltensbezogenen Stresswirkungen. Beispiele für physiologische Stressfolgen<br />
sind: Herzerkrankungen, Verdauungsprobleme, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen,<br />
erhöhter Blutdruck und die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen.<br />
Psychologische Wirkungen sind beispielsweise: Burnout, Depression, Angst,<br />
familiäre Probleme, Schlafprobleme und Unzufriedenheit mit der Arbeit. Stress kann<br />
im Verhalten zu Fernbleiben von der Arbeit oder häufigem verspäteten Erscheinen<br />
am Arbeitsplatz, zu Alkohol-, Drogen- und Genussmittelmissbrauch, Unfällen,<br />
Sabotage, sowie schlechter Arbeitsleistung führen (vgl. Landy u.a., 2007, S. 426).<br />
In der folgenden Tabelle aus Poppelreuter und Mierke (2008 :29) sind mögliche<br />
physiologische, psychische und verhaltensmäßige Stressfolgen dargestellt :<br />
72
Abbildung 4: Klassifikation möglicher Stressfolgen nach Kaufmann, Pornschlegel & Udris, 1982<br />
In der Realität kommt es zu Überlappungen einzelner Belastungsfolgen. So hat das<br />
Monotonieerleben, auf welches im nächsten Kapitel genauer eingegangen wird, auch<br />
eine körperliche und verhaltensmäßige Komponente.<br />
Durch die Regelungen über die Berufskrankheiten gibt es in Fällen, wo die<br />
Ursächlichkeit der Erkrankung in den Arbeitsbelastungen nachgewiesen werden<br />
kann, eine finanzielle Entschädigung. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn der<br />
Kontakt mit bestimmten Schadstoffen körperliche Krankheiten nach sich zieht. Im<br />
psychischen Bereich ist der Nachweis einer Kausalität schwierig.<br />
Durch bestimmte Merkmale in der Art der Arbeit wird nach Volmerg ein psychischer<br />
Zusammenbruch (in der Alltagssprache wird oft von „Nervenzusammenbruch“<br />
gesprochen) provoziert. Die Stabilität der Identität sowie eine hohe<br />
73
Integrationsfähigkeit können hier als personale Ressource einen Zusammenbruch<br />
verhindern (vgl. Volmerg, 1978, S. 98).<br />
„Der psychische Zusammenbruch am Arbeitsplatz steht immer am Ende einer<br />
Entwicklung, in deren Verlauf das Individuum einer anhaltenden Bedrohung seiner<br />
Identität ausgesetzt war. […]. Das ist in besonderem Maße der Fall bei Arbeiten mit<br />
repetitivem Charakter und bei Dauerbeobachtungstätigkeiten. Ihre gemeinsamen<br />
Merkmale sind Eintönigkeit, Gleichförmigkeit, Wiederholung und Reizarmut. Nach der<br />
Aktivierungstheorie braucht das Individuum, um die zur Erfüllung der Arbeitsaufgabe<br />
erforderliche Wachsamkeit und Leistungsfähigkeit aufrechterhalten zu können, eine<br />
ständige sensorische Stimulation durch wechselnde Außenweltreize.“ (Volmerg,<br />
1978, S. 101).<br />
Wenn ein Arbeitskräfteüberangebot vorhanden ist, kann ein länger dauernder<br />
Krankenstand unter Umständen zur Entlassung führen. Viele versuchen durch<br />
Einnahme von Schmerzmitteln und anderen Medikamenten, Krankheitssymptome zu<br />
verdrängen, anstatt ihrer Ursache auf den Grund zu gehen.<br />
Notbohm (1994:123f.) verweist darauf, dass sich Beschwerden aufgrund von<br />
Arbeitsbelastungen oft erst nach längerer Latenzzeit zeigen. Außerdem wirken in der<br />
Regel mehrere Belastungen auf einen Menschen ein, man spricht dann von<br />
„Mehrfachbelastungen“. Eine Wirkungsverstärkung liegt vor, wenn sich mehrere<br />
Belastungsfaktoren in ihrer Wirkung verstärken, sodass eine stärkere Belastung<br />
vorliegt als bei Einzelfaktoren. Von Wirkungsgleichheit oder indifferentem<br />
Zusammenwirken kann dann gesprochen werden, wenn die Kombinationsbelastung<br />
keine stärkere Wirkung hervorruft. Und eine Wirkungsabschwächung<br />
(kompensatorisches Zusammenwirken) ist gegeben, wenn die kombinierte Belastung<br />
zu einer geringeren Reaktion führt als Einzelfaktoren. So kann bei schwierigen<br />
Aufgaben, die viel Konzentration erfordern, ein Lärmreiz störend wirken, während bei<br />
monotoner Arbeit das nebenher laufende Radio Erleichterung schafft (vgl. Notbohm,<br />
1994, S. 124f.).<br />
74
4.5.2 spezielle Belastungsfolgen: Ermüdung, Monotonieerleben und<br />
psychische Sättigung<br />
Im Zusammenhang mit dem repetitiven Charakter vieler Arbeiten im industriellen<br />
Produktionsbereich, stehen die Phänomene der psychische Sättigung, Ermüdung<br />
und Monotonie. Im Folgenden soll auf alle drei Erscheinungen kurz eingegangen<br />
werden.<br />
- Psychische Sättigung<br />
Bei der Psychischen Sättigung handelt es sich um einen Spannungszustand, der von<br />
Gefühlen des Ärgers, der Unruhe und Unlust begleitet ist. Auch<br />
abwechslungsreichere Arbeitsaufgaben können zu Übersättigung führen, wenn sie<br />
nicht als sinnvoll erlebt werden. Das Gefühl der Sinnlosigkeit kann z.B. aus dem<br />
Widerspruch zwischen der Arbeitsaufgabe und den persönlichen Wertvorstellungen<br />
entspringen (vgl. Richter/Hacker, 1998, S. 69).<br />
Volmerg zählt die Symptome psychischer Sättigung auf: „[...] wie affektive<br />
Ausbrüche, Ablehnung der Tätigkeit, der Vorgesetzten, der eigenen Person,<br />
Leistungsabfall, Variieren und schließlich die Tendenz zum Abbrechen der Tätigkeit<br />
[...]“. (Volmerg, 1978, S. 110).<br />
- Ermüdung<br />
Der Zustand der Ermüdung ist, wie der Monotoniezustand, gekennzeichnet durch<br />
einen Leistungsabfall und dem Erleben von Müdigkeit. Im Gegensatz zur Monotonie<br />
handelt es sich bei der Ermüdung nicht um eine spezifische Folge einförmiger<br />
Arbeiten. Ermüdung kann auch nicht, wie Monotoniezustände, durch einen<br />
Tätigkeitswechsel beseitigt werden. Außerdem führt eine Erhöhung des<br />
Arbeitstempos bei Ermüdung (im Gegensatz zur Monotonie) zu einem weiteren<br />
Leistungsabfall (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 69).<br />
Bei beginnender Ermüdung, versucht das Individuum durch Abwechslung und<br />
Veränderungen in den Arbeitsschritten, durch eine Senkung des Anspruchsniveaus<br />
und einer Steigerung der Anstrengung und des Aufwandes, den<br />
Ermüdungssymptomen entgegenzuwirken (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 38).<br />
75
- Monotoniezustand<br />
Ein Monotoniezustand entsteht durch einförmige Arbeiten und lässt sich als einen<br />
Zustand herabgesetzter Aktivität beschreiben. Es handelt sich bei der Monotonie um<br />
eine „Überforderung durch Unterforderung“ (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 69).<br />
Die Gemeinsamkeiten zwischen Monotonie und Ermüdung sehen Richter und<br />
Hacker (1998:69) in einem Leistungsabfall und dem Erleben von Müdigkeit. Im<br />
Unterschied zur Monotonie kann Ermüdung nicht wie Monotonie, teilweise abrupt<br />
beseitigt werden, sondern bildet sich nur langsam durch Erholungsprozesse, wie<br />
Pausen und Schlaf, zurück.<br />
Monotoniezustände entstehen dann, wenn die (Arbeits)-aufgabe folgende<br />
Bedingungen aufweist: „Die Aufgabenerfüllung erlaubt einerseits kein vollständiges<br />
Lösen von der Tätigkeit, gewährt andererseits aber zugleich keine ausreichenden<br />
Möglichkeiten zur sachbezogenen gedanklichen Auseinandersetzung mit der<br />
Tätigkeit selbst.“ Bartenwerfer (1960) nennt diese zwei Bedingungen „Zuwendung mit<br />
eingeengtem Beobachtungsumfang.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 115).<br />
Folgende Merkmale in der Arbeitstätigkeit sind nach Richer und Hacker (1998:116)<br />
dazu geneigt, diese zwei Bedingungen zu erfüllen und ein Monotonieerleben<br />
hervorzurufen:<br />
- wenig Anforderungsvielfalt (z.B. kurzer<br />
Aufgabenzyklus), wenig verschiedene<br />
Arbeitsschritte sowie geringe Abwechslung bei<br />
körperlicher Arbeit<br />
- geringe oder fehlende Freiheitsgrade<br />
- geringe Entscheidungserfordernisse<br />
- wenig intellektuelle Anforderungen<br />
- und ein hoher Grad an psychischer<br />
Automatisierbarkeit.<br />
Weitere situative Bedingungen, die das Auftreten eines Monotoniezustandes fördern<br />
können, sind:<br />
76
- Reizarmut der Situation (z.B. Dunkelheit oder<br />
fehlende Möglichkeit zu sozialen Kontakten)<br />
- Eintönig – rhythmische Dauerreize mittlerer<br />
Ausprägung (z.B. gleichförmige Geräusche)<br />
- Mangel an Möglichkeit für körperliche Bewegung<br />
bei Wärme am Arbeitsplatz (vgl. Richter/ Hacker,<br />
1998, S. 116).<br />
Kennzeichen eines Monotoniezustandes sind nach Richter und Hacker folgende:<br />
- „ […] Die Situation wird als eintönig, langweilig und<br />
abstumpfend erlebt.<br />
- Die Zeit wird lang.<br />
- Es stellt sich eine gleichgültig-apathische Haltung<br />
ein.<br />
- Die Aufmerksamkeit läßt nach<br />
- Die zunehmende Müdigkeit einschließlich einer<br />
körperlichen Schlaffheit geht in ein „Dösen“ über.<br />
[…]<br />
- In sehr weit fortgeschrittenen Monotoniezuständen<br />
können in den Dämmerphasen traumähnliche<br />
Bilder auftreten; Amnesien für solche kurzen<br />
Zeitabstände sind nachgewiesen.“ (Richter/<br />
Hacker, 1998, S. 112f.).<br />
Mögliche Folgen des Arbeitens im Monotoniezustand sind nach Richter und Hacker<br />
(1998:113): eine geringere Durchschnittsleistung, eine höhere Fehlerquote sowie<br />
eine verlängerte Reaktionszeit. Es kommt ferner zu vermehrtem Lidschluß, die<br />
Großmotorik ist verlangsamt und die Körperhaltung wirkt erschlafft.<br />
Dieses Erleben des Monotoniezustandes entspricht nach Richter und Hacker<br />
objektiven Befunden: „In physiologischer Hinsicht sind veränderte Kreislaufaktivität<br />
sowie zentralnervöse und neuroendokrine Veränderungen nachgewiesen. Nicht eine<br />
generelle Aktivitätssenkung, sondern der Verlust eines stabilen Aktivitätszustandes<br />
ist kennzeichnend. Bei langzeitig ausgeübter einförmig-unterfordernder Arbeit<br />
77
wurden Durchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Abnahme des Minutenvolumens<br />
sowie erhöhte Adrenalin- und Noradrenalinausscheidungen nachgewiesen. Die<br />
psychosomatischen Beschwerden sind erhöht. Das spricht für eine „Überforderung<br />
durch Unterforderung“ mit der Folge von Ermüdung bis hin zu Gesundheitsrisiken.“<br />
(Richter/ Hacker, 1998, S. 113).<br />
Richter und Hacker weisen in Anlehnung an Caplan u.a. (1982) und Richter (1985)<br />
auf mögliche Langzeitfolgen von Monotoniezuständen hin, wobei nicht sicher<br />
festzustellen ist, ob es sich um direkte Auswirkungen von Monotoniezuständen<br />
handelt, oder um Selektionseffekte dahingehend: „daß bestimmte Menschen<br />
bevorzugt in monotonieerzeugenden Anforderungssituationen verbleiben und daß<br />
deren Eigenschaften bzw. Befindensbesonderheiten fälschlich gedeutete werden als<br />
Ergebnis langzeitiger Monotoniezustände.“ (Richter/Hacker, 1998, S. 114).<br />
Mögliche Langzeitfolgen von Monotoniezuständen sind den Autoren zufolge:<br />
- eine Verschlechterung geistiger Leistungen sowie vorzeitiger altersbedingter Abbau<br />
durch fehlende geistige Anforderungen,<br />
- geringe Arbeitszufriedenheit und Demotivation<br />
- ein geringes Ausmaß an aktiven und kreativen Freizeitaktivitäten<br />
- vermehrte Befindensbeeinträchtigungen körperlicher und psychischer Art. (z.B.<br />
Schmerzen, depressive und ängstliche Verstimmung) (vgl. Richter/Hacker, 1998, S.<br />
114).<br />
Volmerg kritisiert die Einteilung von Personen in mehr oder weniger<br />
Monotonieresistente (z.B. bei Gubser). Dadurch würden die Problemursachen von<br />
der Arbeit weg in die Persönlichkeitsstruktur des Menschen verlagert. Durch<br />
Maßnahmen wie eine Eignungsauslese von sogenannten „Monotonieresistenten<br />
Personen“, würde repetitive Teilarbeit aufrecht erhalten (vgl. Volmerg, 1978, S. 114).<br />
5 Ressourcen und Bewältigungsstrategien<br />
Welche konkreten Auswirkungen Arbeitsbelastungen auf ein Individuum haben,<br />
hängt unter anderem mit Ressourcen zusammen, auf die im nächsten Kapitel näher<br />
eingegangen wird. Die folgende Abbildung aus Poppelreuter und Mierke (2008:186)<br />
78
veranschaulicht das Zusammenwirken von Belastungen, Ressourcen und möglichen<br />
Folgen.<br />
Abbildung 5: Belastungen, Beanspruchungen und Folgen<br />
Während im vorherigen Kapitel auf verschiedene Arbeitsbelastungen und mögliche<br />
Folgen eingegangen worden ist, sollen in diesem Kapitel Ressourcen und verwandte<br />
Begriffe betrachtet werden. Danach werde ich das Modell der „subjektiven<br />
Verarbeitungsmechanismen“ von Steinhardt vorstellen.<br />
5.1 Definitionen und Klassifikationen relevanter Begriffe<br />
5.1.1 Das Konzept der Moderatorvariablen<br />
Zwischen den Belastungen und Beanspruchungen stehen Moderatorvariablen, die<br />
einen Einfluss auf die Belastungsauswirkung haben. Im Konzept der<br />
Moderatorvariablen wird davon ausgegangen, dass die Belastungswirkung von<br />
79
unabhängigen Faktoren (sowohl in der Person als auch der Situation) moderiert wird.<br />
Notbohm zählt Arbeitszufriedenheit, Ressourcen, Coping und social support (soziale<br />
Unterstützung) zu den wichtigsten moderierenden Faktoren (vgl. Notbohm, 1994, S.<br />
140f.). Im Folgenden soll auf diese Begriffe eingegangen werden.<br />
5.1.2 Arbeitszufriedenheit<br />
Der Begriff „Arbeitszufriedenheit“ fasst die Einstellung einer Person zu ihrer Arbeit<br />
zusammen, hinsichtlich: KollegInnen, Vorgesetzten, Aufstiegschancen und<br />
Bezahlung (vgl. Frieling & Sonntag, 1987 zitiert in: Gros, 1994, S. 141). Bei der<br />
Arbeitszufriedenheit spielen die Wertvorstellungen und Ansprüche der arbeitenden<br />
Person eine Rolle sowie ihre Beurteilung der Arbeitssituation (vgl. Lenert, 1982, S.<br />
9).<br />
Verschiedene Prozesse haben nach Bruggemann, Groskurth und Ulich (1975:132)<br />
Einfluss auf die Höhe der Arbeitszufriedenheit: - die Befriedigung oder Nicht –<br />
Befriedigung von Bedürfnissen und Erwartungen des Arbeitenden, - der Prozess der<br />
Erhöhung, Aufrechterhaltung oder Senkung des Anspruchsniveaus als Folge und -<br />
Prozesse im Umgang mit dem Problem bei Nicht- Befriedigung (Problemlösung, -<br />
fixierung, -verdrängung). Die Autoren unterscheiden demnach verschiedene<br />
Ausprägungen von Arbeitszufriedenheit (AZ):<br />
Führt der Vergleich zwischen Ist- und Sollwert zur Feststellung, dass die Situation<br />
befriedigend ist, tritt stabilisierende AZ ein. Diese Periode ist charakterisiert durch<br />
Entlastung und Stabilisierung. Erhöht die Person in weiterer Folge ihre<br />
Zielvorstellungen und Erwartungen, die Arbeitssituation betreffend, kann eine<br />
progressive AZ entstehen. Durch die erhöhten Ansprüche entsteht wieder eine<br />
Unzufriedenheit, obwohl die positive Einstellung der Arbeit gegenüber, grundsätzlich<br />
erhalten bleibt. Wenn der Arbeitende aufgrund der für ihn befriedigenden<br />
Arbeitssituation, keine weiteren Ansprüche entwickelt und sich stattdessen auf<br />
andere Lebensbereiche konzentriert, kann von einer stabilisierten AZ gesprochen<br />
werden (vgl. Bruggemann/ Groskurth/ Ulich, 1975, S. 132f.).<br />
80
Betrachtet der Arbeitende seine Situation als unbefriedigend, tritt eine Form von AZ<br />
auf, welche die Autoren als diffuse Unzufriedenheit bezeichnen. Wird das Problem<br />
gelöst, indem die Person ihre Ansprüche verringert, kann von resignativer AZ<br />
gesprochen werden. Eine andere Form der Bewältigung wäre ein Lösungsversuch<br />
der unbefriedigenden Situation, unter dem Begriff „konstruktive<br />
Arbeitsunzufriedenheit“ zusammengefasst. Eine fixierte Arbeitsunzufriedenheit<br />
kann entstehen, wenn die Person keine Lösung sieht, die Frustrationstoleranz der<br />
Person ist hier noch groß genug, um sich der Situation als eine Unbefriedigende<br />
bewusst zu bleiben. Bei der Pseudo-Arbeitszufriedenheit übersteigen die<br />
unbefriedigende Situation und die Wahrnehmung einer Nicht – Lösbarkeit die<br />
Frustrationstoleranz, es kommt zur verzerrten Wahrnehmung der Arbeitssituation (als<br />
ausreichend oder positiv). Die Person kann ferner ihr Anspruchsniveau (z.B.<br />
aufgrund einer hohen Leistungsmotivation) nicht senken. (vgl. Bruggemann/<br />
Groskurth/ Ulich, 1975, S. 133 ff.).<br />
5.1.3 Ressourcen<br />
Richter und Hacker definieren den Begriff „Ressourcen“ allgemein folgendermaßen:<br />
„Der Begriff der Ressourcen beinhaltet Komponenten, die es erlauben, die eigenen<br />
Ziele anzustreben und unangenehme Einflüsse zu reduzieren.“ (Richter/ Hacker,<br />
1998, S. 25).<br />
Bezogen auf die Belastungsforschung kann unter dem Begriff Folgendes verstanden<br />
werden: „Als Ressourcen werden in der Belastungsforschung alle Merkmale der<br />
Person und der Situation bezeichnet, die die Bewältigung einer Belastung<br />
unterstützen“. (Schönpflug, 1987 zitiert in Notbohm, 1994, S. 141).<br />
Eine mögliche Einteilung von Ressourcen ist die von Udris, Kraft & Mussmann<br />
(1992). Sie unterscheiden zwischen äußeren (organisationalen sowie sozialen) und<br />
inneren (personalen) Ressourcen. (Udris, Kraft & Mussmann 1992 zitiert in: Richter/<br />
Hacker, 1998, S. 25).<br />
Beispiele für organisationale Ressourcen sind: Aufgabenvielfalt, Tätigkeitsspielraum,<br />
Qualifikationspotential und Partizipationsmöglichkeiten. (vgl. Richter/ Hacker 1998, S.<br />
81
25). Humanisierungsbewegungen beschäftigen sich unter anderem mit Ressourcen,<br />
welche die Organisation der Arbeit betreffen, z.B. Aufgabenerweiterung und<br />
Erhöhung der Freiheitsgrade bei der Arbeit.<br />
Zu den sozialen Ressourcen zählen die Unterstützung durch: Vorgesetzte,<br />
Arbeitskollegen, Lebenspartner und andere Personen. Personale Ressourcen<br />
beinhalten einerseits kognitive Kontrollüberzeugungen wie: Kohärenzerleben,<br />
Optimismus und ein positives Selbstkonzept (Kontaktfähigkeit, Selbstwertgefühl),<br />
andererseits Handlungsmuster z.B.: positive Selbstinstruktionen,<br />
Situationskontrollbemühen und Copingstile. (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 25).<br />
Ressourcen können eine direkte Wirkung auf Stress haben oder auch moderierende<br />
Effekte (vgl. Sonnentag & Frese, 2003 zitiert in Bamberg u.a., 2003).<br />
In Abbildung 6 haben Richter und Hacker (1998:25) in Anlehnung an Udris u.a. eine<br />
Einteilung der Ressourcen nach organisationalen, sozialen und personalen Aspekten<br />
dargestellt. Im Folgenden soll auf alle drei Bereiche kurz eingegangen werden.<br />
Abbildung 6: Klassifikation gesundheitsförderlicher Faktoren unter dem Ressourcen-‐Aspekt<br />
82
- organisationale Ressourcen<br />
Präventiv können Veränderungen der Arbeitsbedingungen die emotionalen<br />
Belastungen für die Arbeitenden mindern. Bei Überwachungsarbeiten in der<br />
chemischen Industrie zeigte sich: „Je mehr Kontrolloperationen in der Arbeitstätigkeit<br />
enthalten waren, desto geringer waren die am Schichtende auftretenden emotionalen<br />
Belastungen.“ Auch vollständige Tätigkeitsstrukturen können das Streßerleben<br />
verringern (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 139).<br />
- soziale Ressourcen<br />
Unter sozialen Ressourcen wird die Unterstützung z.B. durch Vorgesetzte und<br />
ArbeitskollegInnen sowie durch Personen außerhalb der Arbeit verstanden. Auf das<br />
Konzept der sozialen Unterstützung wird an anderer Stelle noch genauer<br />
eingegangen.<br />
- personale Ressourcen<br />
Ein Konzept, dass die Frage nach den personalen Ressourcen in den Vordergrund<br />
stellt, gegenüber der Frag nach Belastungen, ist das der Salutogenese (Antonovsky).<br />
In diesem Zusammenhang sind Faktoren untersucht worden, die den Menschen trotz<br />
Belastungen gesund erhalten (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 22). Ein Bündel von<br />
gesunderhaltenden Faktoren ist unter dem Begriff: „Kohärenzgefühl“<br />
zusammengefasst worden:<br />
„Das SOC (Kohärenzgefühl) ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem<br />
Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl<br />
des Vertrauens hat, daß 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der<br />
inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar<br />
sind; 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die<br />
diese Stimuli stellen, zu begegnen; 3. diese Anforderungen Herausforderungen sind,<br />
die Anstrengung und Engagement lohnen.“ (Antonovsky, 1997, S. 36).<br />
5.1.4 Coping<br />
83
In Anlehnung an Stone und Neale (1984) beschreiben Veiel und Ihle Coping als „eine<br />
bewußte, zielgerichtete Handlung“, um mit stressvollen Situationen fertig zu werden.<br />
Unbewusste Prozesse (z.B. Abwehrmechanismen) sowie automatisierte,<br />
gewohnheitsmäßige Anpassungsleistungen stellen nach dieser Definition kein<br />
Coping – Verhalten dar. Coping – Verhalten setzt Stress voraus und kann, muss<br />
aber nicht, zum Erfolg führen (vgl. Veiel/ Ihle, 1993, S. 57ff.).<br />
In der Copingforschung wird zwischen emotions- und problemzentriertem Coping –<br />
Verhalten unterschieden. Emotionszentriertes Coping zielt auf die Kontrolle negativ<br />
erlebter Emotionen, welche die belastende Situation begleiten. Bei<br />
Problemzentriertem Coping wird versucht, die belastende Situation direkt zu<br />
beeinflussen (vgl. Veiel/ Ihle, 1993, S. 60).<br />
Sowohl beim problemzentrierten, als auch beim emotionszentrierten Coping können<br />
verschiedene Arten von Bewältigung angewandt werden: „[...] Informationssuche,<br />
direkte Handlung, Unterdrückung von Handlungen und intrapsychische Prozesse.“<br />
(Jerusalem, 1990, S. 14).<br />
Lazarus & Launier (1981) nennen Beispiele für problem- bzw. emotionszentriertes<br />
Coping. Instrumentelle Bewältigungsformen beinhalten demnach: „[...]<br />
problemlösende kognitive Prozesse, gezielte Informationssuche von<br />
Bewältigungsmöglichkeiten, direkten Aktionen gegen die Bedrohung<br />
beziehungsweise Unterlassungen von Handlungen, die die Gefährdung verstärken<br />
könnten. Unter palliativen Bewältigungsformen werden Emotionsregulationen<br />
verstanden, die eine vorübergehende Entlastung der Bedrohung ermöglichen, ohne<br />
die Ursachen des Stresses zu verändern. Zu dieser Klasse symptomorientierter<br />
Verhaltensweisen gehören: Einnahme von Psychopharmaka, Alkoholkonsum,<br />
Entspannungsübungen, aber auch kognitive Umbewertungen durch Ablenkungen,<br />
Bagatellisierung oder Wunschdenken.“ (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 20).<br />
Abbildung 7 aus Veiel und Ihle (1993:63) stellt die zwei wesentlichen Formen von<br />
Ressourcen, Coping bzw. sozialer Unterstützung dar. Während beim Coping das<br />
84
Handeln der Person im Vordergrund steht, ist bei sozialer Unterstützung die Aktivität<br />
des sozialen Umfelds vorrangig.<br />
Ressourcen<br />
Coping<br />
Soziale<br />
Unterstützung<br />
äußere<br />
problemzentriert<br />
instrumentelle Unterstützung<br />
Abbildung 7: Einteilung unterstützender Fakoren<br />
5.1.5 Soziale Unterstützung<br />
Innere<br />
emotionszentriert<br />
Psychologische Unterstützung<br />
Das Konzept der sozialen Unterstützung (Social support) hängt eng mit dem<br />
Ressourcenbegriff zusammen und soll daher in weiterer Folge auch unter diesen<br />
subsummiert werden.<br />
Es gibt unterschiedliche Definitionen von sozialer Unterstützung, Veiel und Ihle<br />
verstehen in einer funktionalen Definition des Konzepts darunter: „[...] die „Funktion<br />
der sozialen Umwelt einer Person bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse“. [...]. Dies<br />
impliziert, daß nicht alle sozialen Beziehungen und Transaktionen unterstützenden<br />
Charakter haben, sondern eben nur solche, für die ein Bedürfnis besteht. (Diese<br />
Bedürfnisse können sowohl subjektiv erlebt als auch objektiv feststellbar sein.)“<br />
(Veiel/ Ihle, 1993, S. 58).<br />
Es wird zwischen alltäglicher und stressbezogener sozialer Unterstützung<br />
unterschieden. Die positive Wirkung sozialer Unterstützung auf die psychische<br />
Gesundheit eines Menschen kann unabhängig von Stressbelastungen sein, oder<br />
soziale Unterstützung kann als Linderung oder Pufferung von Stressbelastungen<br />
wirken (vgl. Veiel/ Ihle, 1993, S. 59).<br />
85
House unterscheidet zwischen instrumentell – materieller (Veränderung der<br />
belastenden Situation, Unterstützung in Form von Geld, Informationen etc.) und<br />
psychologisch – emotionaler Sozialer Unterstützung (der Person wird Vertrauen,<br />
Empathie, Zuneigung, Wertschätzung, Zugehörigkeitsversicherung etc.<br />
entgegengebracht). Wie bei Coping – Aktivitäten kann soziale Unterstützung direkt<br />
die situative Belastung verändern oder die psychische Widerstandsfähigkeit des/der<br />
Betroffenen erhöhen (House, 1981 zitiert in Veiel/ Ihle, 1993, S. 60f.).<br />
5.2 Subjektive Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt<br />
Der weitgefasste Begriff „Verarbeitungsmechanismen“ beinhaltet neben Coping-<br />
Strategien, welche mehr oder weniger erfolgreich sein können, auch (unbewusste)<br />
Abwehrmechanismen im Zusammenhang mit Arbeitsbelastungen. Steinhardt<br />
verweist auf die körperlichen Folgen (z.B. Schmerzen) und psychischen Folgen (z.B.<br />
Erschöpfung und ein Gefühl von Leere) von Arbeitsbelastungen in verschiedenen<br />
Berufen, u.a. in der Produktionsarbeit. In seiner Untersuchung stellt er die subjektiv<br />
erlebten Belastungen von Arbeiterinnen dar und beschreibt verschiedene Formen<br />
des Umgangs mit diesen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 132).<br />
„Durch die Organisationsform von Lohnarbeit im entfalteten Kapitalismus wird – wie<br />
Volmerg in ihren Studien zum Zusammenhang von Arbeit und Identität aufgezeigt hat<br />
– die Ausbildung von Selbstwert und Selbstgefühl im Arbeitsprozeß prekär. [...]. In<br />
dem Maße, als Aspekte der eigenen Arbeitstätigkeit allzu bedrohlich für die eigene<br />
Identität werden und die Gefahr einer gravierenden Einschränkung der eigenen<br />
Handlungsspielräume besteht, muß das Individuum Aktivitäten entwickeln, die ihm<br />
ermöglichen, selbst unter vorfindlichen repressiven Strukturen Identität und eine<br />
Selbstkonzeption als handlungsfähiges Subjekt aufrechtzuerhalten.“ (Steinhardt,<br />
1991, S. 132ff. ).<br />
Welche Abwehrstrategien ein Mensch gegen Arbeitsbelastungen anwendet, hinge<br />
von dessen gegenwärtiger Lebenssituation sowie seinen lebensgeschichtlichen<br />
Erfahrungen ab. Ziel dieser Widerstandsformen sei es, die Bedrohlichkeit der<br />
belastenden Arbeitsmomente für das Subjekt zu verringern (vgl. Steinhardt, 1991, S.<br />
86
133). Im Folgenden sollen die subjektiven Verarbeitungsmechanismen nach<br />
Steinhardt vorgestellt werden:<br />
5.2.1 Prädikation und Widerstand<br />
Prädikation und Widerstand sind nach Steinhardt aktive Formen der<br />
Auseinandersetzung mit Arbeitsbelastungen. Bei der aktiven Auseinandersetzung<br />
erfährt sich das Individuum als Hauptakteur seines Arbeitslebens, der gestaltend<br />
Einfluss auf dieses nehmen kann (vgl. Steinhardt, 1991, S. 142).<br />
„Prädikation“ meint in diesem Zusammenhang, dass die Belastung und das damit<br />
verbundene Leid subjektiv erlebt werden, ohne dass diese Erfahrung abgewehrt,<br />
abgeschwächt oder relativiert wird. Neben dieser Wahrnehmung liegt eine<br />
Selbsteinschätzung vor, in der sich der Arbeitende als aktiv handelndes Individuum<br />
erlebt, das fähig ist, die (selbst erlebte) belastende Arbeitssituation zu verändern (vgl.<br />
Steinhardt, 1991, S. 136ff.).<br />
„Das Sich – Wehren manifestiert sich kaum in offenen und kollektiven<br />
Widerstandsformen, sondern vorwiegend in Einzelhandlungen, die teilweise auch<br />
defensiven Charakter haben.“ (Steinhardt, 1991, S. 163).<br />
Als potentielle Gefahr des Widerstandes gegen konkrete Arbeitsbelastungen, ist der<br />
Verlust des Arbeitsplatzes zu sehen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 140). Dies spielt vor<br />
allem dann eine Rolle, wenn ArbeiterInnen durch die organisationale Struktur der<br />
Arbeit, leicht ersetzbar sind und auf dem Arbeitsmarkt ein Überangebot an<br />
ArbeiterInnen besteht, wie es im Bereich der Produktionsarbeit bei Anlerntätigkeiten<br />
grundsätzlich der Fall ist.<br />
5.2.2 Dramatisierung<br />
„Im Kontext der Lebenswelt der von uns befragten Arbeiterinnen soll<br />
„Dramatisierung“ jenen Prozeß bezeichnen, der dadurch charakterisiert ist, daß über<br />
Konnotationen und übergeordnete Sinnzusammenhänge die Leiderfahrung in einen<br />
persönlichen Entwurf integriert wird, in dem das Subjekt zwar noch als Mitspieler<br />
87
vorhanden ist; allerdings nicht mehr als Hauptakteur, sondern in einer Nebenrolle.“<br />
(Steinhardt, 1991, S. 145).<br />
Der Ablauf des „Arbeits – Dramas“ wird als schicksalhaft, unabwendbar und nur in<br />
geringem Maße durch das Individuum beeinflussbar erlebt und passiv hingenommen.<br />
Die Entwicklung von Veränderungsperspektiven wird unwahrscheinlich. Als Beispiel<br />
für eine Form von Dramatisierung beschreibt Steinhardt die Verinnerlichung von Zeit-<br />
und Leistungsnormen, durch welche schlechte Arbeitsbedingungen gerechtfertigt<br />
werden. Diese Internalisierungen wären oft begleitet von einer starken Identifikation<br />
mit dem Betrieb und seinen Zielen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 144f.).<br />
„Der Zeit- und Leistungsdruck, unter dem die Arbeiterinnen stehen, wird nach innen<br />
genommen und in ein eigenes Anliegen umdefiniert. Dadurch wird er auch nicht<br />
mehr als etwas erfahren, was einem widerfährt, sondern verwandelt in eine<br />
selbstgeschaffene Komponente der eigenen Arbeitstätigkeit, die bewußt in Kauf<br />
genommen wird [...]“ (Steinhardt, 1991, S. 145).<br />
Aspekte, die sich nicht in erster Linie auf die Arbeit selbst beziehen, würden wichtiger<br />
werden, je weniger die Arbeit selbst psychischen Zugewinn verschafft. Beispiel<br />
hierfür wäre das Bewusstsein über die eigene Wichtigkeit im Betrieb. Szenische<br />
Arrangements im Betrieb, wie Ehrungen bei Geburtstagen und langer<br />
Fabrikzugehörigkeit, spiegeln dieses Bedürfnis nach Anerkennung wider (vgl.<br />
Steinhardt, 1991, S. 147).<br />
Nicht die Arbeitssituation oder die hergestellten Produkte werden von vielen<br />
Arbeiterinnen als sinnstiftend gesehen, sondern Gegenwelten zum Arbeitsalltag, wie<br />
z.B. das Wochenendhaus am Land, welches die Mühen der Arbeit subjektiv<br />
legitimiert (vgl. Steinhardt, 1991, S. 149).<br />
5.2.3 Entdramatisierung<br />
Diesen Umgangsmodus mit Arbeitsbelastungen definiert der Autor als „resignatives<br />
Akzeptieren des Vorfindlichen“. Arbeitbelastungen werden dabei als universell und<br />
selbstverständlich dargestellt und Selbstverständliches wird kaum thematisiert und<br />
88
eflektiert. Die Belastungen am Arbeitsplatz können zum Beispiel durch das<br />
Argument der Gewöhnung externalisiert werden, was zudem zur Gestaltung eines<br />
Selbstbildes beiträgt, als Jemand, der stark ist und hart arbeiten kann (vgl.<br />
Steinhardt, 1991, S. 151f.).<br />
Bei diesem Verarbeitungsmodus wird die Rolle der Akteurin aufgegeben, die<br />
Arbeiterin wird zur Zeugin des Dramas, das für sie als nicht beeinflussbar erlebt wird.<br />
Individuelle und psychosoziale Abwehrformen begleiten die Entdramatisierung und<br />
stellen sicher, dass negative Gefühle im Zusammenhang mit der Arbeitsrealität<br />
verdrängt werden. Steinhardt erwähnt die Verlagerung des Konflikterlebens auf die<br />
psychosomatische Ebene als eine Form von resignativer Entdramatisierung (vgl.<br />
Steinhardt, 1991, S. 152ff.). Abwehrmechanismen tragen dazu bei, dass die<br />
belastenden Momente der Arbeit nicht ins Bewusstsein gelangen. Trotz starker<br />
Belastungen wird die Arbeitssituation als nicht veränderungsbedürftig gesehen (vgl.<br />
Steinhardt, 1991, S. 164).<br />
„Neben der Verleugnung nicht integrierbarer Realitätsanteile und der affektiven<br />
Neutralisierung durch die Isolierung der für das Ich bedrohlichen Aspekte des<br />
Arbeitslebens von den damit verbundenen Gefühlen und Affekten ist die Reduktion<br />
der Ursache von Belastungsfolgen auf individuelle Dispositionen oder das Alter eine<br />
häufige Abwehrstrategie“. (Steinhardt, 1991, S. 153).<br />
5.2.4 Intermittierenden Szenarien<br />
Intermittierende Szenarien sind in das Muster der Dramatisierung oder<br />
Entdramatisierung eingefügt. Dadurch wird die Wahrnehmung der eigenen Person<br />
als Nebendarsteller (bei der Dramatisierung) oder als Zuseher (bei der<br />
Entdramatisierung) kurzfristig durchbrochen und die aktive Rolle wieder<br />
eingenommen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 155).<br />
Wenn eine Arbeiterin beispielsweise ihre, durch die Arbeitssituation angestaute Wut<br />
(unbeobachtet) am Produkt auslässt, wird sie (partiell und kurzfristig) wieder zur<br />
Hauptakteurin ihres Arbeitslebens, wenn die Inszenierung auch nicht funktional für<br />
den Arbeitsprozeß ist und zu keinen Veränderungen in den Arbeitsbedingungen<br />
89
führt, so wird die Abfuhr der Aggressionen doch als erleichternd erlebt. Ein anderes<br />
Beispiel für ein intermittierendes Szenario ist der kurzfristige Durchbruch angestauter<br />
Emotionen. Adressaten solcher Durchbrüche sind nach Steinhardt selten diejenigen,<br />
die für die Zustände verantwortlich sind, sondern Kolleginnen, Familienmitglieder<br />
oder Unbeteiligte (vgl. Steinhardt, 1991, S. 155ff.).<br />
Auch die Selbstversicherung, dass man sich wehren würde, wenn die Belastungen<br />
am Arbeitsplatz stärker würden, kann hierzu gezählt werden. Der Autor interpretiert<br />
diese Aussagen als „Selbstvergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit“. Es<br />
kann die eigene Identität als handlungsfähiges Individuum stärken, wenn sich die<br />
Arbeiterin als Jemand erlebt, der sich bestimmte Dinge nicht gefallen lässt. Nach<br />
Steinhardt könne auch die Identifikation mit den Produkten der Arbeit (oder anderen<br />
Bereichen der Arbeitsrealität) identitätsbildend und –stützend wirken. Selbstwert und<br />
Selbstgefühl können daraus bezogen werden (vgl. Steinhardt, 1991, S. 158f.).<br />
Ein gutes Arbeitsklima, das sich z.B. durch konfliktfreie Beziehungen, freundliche und<br />
wertschätzende Kontakte und gegenseitige Unterstützung auszeichnet, wirkt<br />
entlastend und kann Nachteile der Arbeit ausgleichen. Integriert in<br />
Verarbeitungsformen der Dramatisierung oder Entdramatisierung kann ein gutes<br />
Arbeitsklima als sekundärer Zugewinn gesehen werden, der die Arbeit erträglicher<br />
macht, aber meistens Nichts an der Struktur der Arbeitssituation selbst ändert (vgl.<br />
Steinhardt, 1991, S. 160f.).<br />
5.2.5 Eingefügte Selbstinszenierungen<br />
Steinhardt versteht unter eingefügten Selbstinszenierungen: „[...] Aspekte der<br />
Arbeitstätigkeit, in denen deutlich wird, daß bei allen Belastungen die Arbeit an sich –<br />
und nicht durch akzessorische Aspekte – schön ist [...]“. (Steinhardt, 1991, S. 162).<br />
Diese Szenen werden in das Drama eingebaut, wobei die Arbeiterinnen sich als<br />
Regieführende erleben. Erfolge bei der Arbeitstätigkeit werden von den Arbeiterinnen<br />
auf eigene Tüchtigkeit (z.B. Schnelligkeit, Geschick, Kreativität) zurückgeführt,<br />
wodurch Selbstgefühl und Selbstbewusstsein ansteigen. Nach Steinhardt treten<br />
90
Selbstinszenierungen dort eher auf, wo die Arbeiterinnen einen<br />
Gestaltungsspielraum bei ihrer Arbeit haben und eine „Interdependenz zwischen<br />
Endprodukt und Tätigkeit“ objektiv gegeben ist, und auch subjektiv wahrgenommen<br />
wird (vgl. Steinhardt, 1991, S. 162).<br />
„Resignative Verarbeitung und Abwehr der bedrohlichen Anteile der Berufsrealität<br />
sind manchmal die einzigen Möglichkeiten, sich selbst nicht bloß als einer<br />
bedrückenden Wirklichkeit ohnmächtig ausgeliefert zu konzipieren und zu erleben.<br />
Subjekte können jedoch nicht so weit reglementiert werden, daß sie selbst nicht<br />
innerhalb dieser Situation Möglichkeiten aktiver Handlungsanteile für sich entdecken.<br />
In „intermittierenden Szenarien“ und „eingefügten Selbstinszenierungen“ gelingt es<br />
den Frauen immer wider, ein Stück aktiver Verfügung über die eigene Arbeitsrealität<br />
zurückzugewinnen.“ (Steinhardt, 1991, S. 164).<br />
6 Arbeit und Sinn<br />
Im Folgenden soll nach einer Begriffsklärung die allgemeine Bedeutung der Arbeit für<br />
den Menschen dargestellt werden. Danach werde ich auf den Entfremdungsbegriff<br />
bei Marx eingehen und anschließend verschiedene theoretische Ansätze darstellen: -<br />
die Annahme einer instrumentellen Arbeitseinstellung, - die Sinnfindung bei der<br />
Arbeit als eine Frage der Einstellung (Csikszentmihalyi) und – die Voraussetzung<br />
einer ambivalenten Arbeitseinstellung mit Momenten der Sinnfindung (Becker –<br />
Schmidt u.a.). Im empirischen Teil soll darauf eingegangen werden, inwieweit eine<br />
instrumentelle Arbeitseinstellung im Bereich der Produktionsarbeit noch aktuell ist<br />
und ob bzw. wie die ArbeiterInnen ihrer Arbeitstätigkeit Sinn abgewinnen (können).<br />
6.1 Begriffsklärung<br />
Aristoteles unterschied zwischen sinnentfremdeten Aufgaben (Sklavenarbeit) und<br />
sinnvollem Handeln (des autonomen Herrn), wenn auch seine Begriffe andere sind<br />
als bei Marx. Unter dem Begriff „praxis“ (Handeln) versteht Aristoteles eine Tätigkeit,<br />
die ihr Ziel in sich trägt (politisches Handeln, Kriegsdienst, die Wissenschaft),<br />
während sich bei „poiesis“ (Hervorbringen) das Ziel im Produkt findet. (vgl. Walther,<br />
1990, S. 14).<br />
91
Der Begriff entfremdete Arbeit steht in engem Zusammenhang mit sinnentleerten,<br />
zersplitterten Arbeiten von repetitivem Charakter, wie sie für ungelernte und<br />
angelernte ArbeiterInnen in der industriellen Produktion typisch sind. Mikl – Horke<br />
(1991:51) sieht Entfremdung grundsätzlich als ein Charakteristikum der Lohnarbeit:<br />
„Die Situation des Arbeiters, der mangels ertragabwerfenden Eigenvermögens<br />
gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu vermarkten, ist durch Entfremdung<br />
gekennzeichnet. [...]. Die Arbeit selbst ist dem Arbeiter daher etwas Äußerliches, ein<br />
Instrument, um zu Lohn und damit zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu gelangen;<br />
sie hat keine Beziehung zu seinem Wesen als Mensch.“ (Mikl-Horke, 1991, S. 51)<br />
Jaeggi beschreibt den Begriff Entfremdung folgendermaßen: „Entfremdung bedeutet<br />
Indifferenz und Entzweiung, Machtlosigkeit und Beziehungslosigkeit sich selbst und<br />
einer als gleichgültig und fremd erfahrenen Welt gegenüber. Entfremdung ist das<br />
Unvermögen, sich zu anderen Menschen, zu Dingen, zu gesellschaftlichen<br />
Institutionen und damit auch […] zu sich selbst in Beziehung zu setzen. Eine<br />
entfremdete Welt präsentiert sich dem Individuum als sinn- und bedeutungslos,<br />
erstarrt oder verarmt, als eine Welt, die nicht „die seine“ ist. Das entfremdete Subjekt<br />
erfährt sich nicht mehr als „aktiv wirksames Subjekt“, sondern als „passives Objekt“<br />
(Joachim Israel)“, das Mächten ausgeliefert ist, die es nicht beeinflussen kann.“ (Vgl.)<br />
Jaeggi, Rahel: Unscharf am Rand: Entfremdung (20.02.2004), Online im WWW unter<br />
URL: http://www.freitag.de/2004/09/04092301.php [04.08.2009].<br />
Von einem instrumentellen Arbeitsverhältnis kann dann gesprochen werden,<br />
wenn Arbeiter ein „emotional indifferentes, gleichgültiges Verhältnis zu ihrer Arbeit<br />
haben. (Knapp u.a., 1981, S. 7). Kern definiert die instrumentelle Arbeitseinstellung<br />
nach dem MOW International Research Team folgendermaßen: „Die Beschäftigung<br />
nimmt keine zentrale Stelle im Leben ein und wird primär als Möglichkeit zum<br />
Geldverdienen gesehen. Intrinsische Motive spielen kaum eine Rolle.“ (Kern, 2004,<br />
S. 24).<br />
Bei der Frage nach dem Sinn in der Arbeit geht es um die subjektive Bedeutung,<br />
welche die konkrete Arbeit für Jemanden hat. Es ist unwahrscheinlich, dass Arbeiter<br />
ihre Arbeit als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, zum Ausdruck ihrer Individualität<br />
92
sehen, wie es z.B. viele Künstler tun. Es interessieren die Fragen: Können Un- bzw.<br />
Angelernte der Produktionsarbeit für sich einen Sinn abgewinnen, der über das Geld<br />
– Verdienen hinausgeht?<br />
6.2 Allgemeine Bedeutung der Erwerbsarbeit für den Menschen<br />
Über den primären Zweck hinaus, der ein wirtschaftlicher ist, kann die Erwerbsarbeit<br />
im Allgemeinen, den Arbeitenden durch ihre Struktur eine Vielzahl von Erfahrungen<br />
ermöglichen. Marie Jahoda hat anhand von Untersuchungen an erwerbslosen<br />
Menschen festgestellt, welche Erfahrungskategorien im Zusammenhang mit<br />
Erwerbsarbeit stehen:<br />
„Bei der Erfahrung der Erwerbslosigkeit in den dreißiger Jahren sind fünf Aspekte<br />
unterschieden worden: die Zeiterfahrung, die Reduktion der sozialen Kontakte, die<br />
fehlende Beteiligung an kollektiven Zielen, das Fehlen eines anerkannten Status mit<br />
seinen Folgen für die persönliche Identität, und das Fehlen einer regelmäßigen<br />
Tätigkeit. Erwerbslose fühlten sich in allen fünf Aspekten psychisch verarmt.“<br />
(Jahoda, 1986, S. 70).<br />
Grundsätzlich könnten diese Erfahrungen nach Jahoda in jeder Arbeit gemacht<br />
werden. Die Qualität dieser Erfahrungen kann je nach Arbeit große Unterschiede<br />
aufweisen (vgl. Jahoda, 1986, S. 70f, 99). In Gesellschaften, wo Erwerbstätigkeit als<br />
Institution nicht vorhanden ist, würden Rituale (religiöse, gemeinschaftliche<br />
Praktiken) vergleichbare psychologische Funktionen befriedigen, wie bei uns die<br />
Erwerbsarbeit (Jahoda, 1986, S. 100f.).<br />
Ottomeyer beschreibt in Anlehnung an Marx, wie ein unentfremdetes Produktions-<br />
und Sozialleben konkret aussehen könnte. Indem wir uns in einem Produkt<br />
vergegenständlichen, würde uns unsere Individualität bewusst, die Anerkennung des<br />
Produktes durch die Menschen, für die es bestimmt ist, fördert die Bildung von<br />
Selbstbewusstsein als Produzent und von Selbstgefühl:<br />
„Die Arbeitstätigkeit ist etwas, bei dem man sich in der Auseinandersetzung mit dem<br />
widerborstigen Arbeitsmaterial selber spürt und erfährt und deren Fortgang und<br />
Gelingen trotz aller Arbeitsmühe ein positives Lebensgefühl, einen Genuß vermitteln<br />
93
kann. Im Vergleich von vorgestelltem und tatsächlichen Produkt erfährt der<br />
Produzierende, was er kann, was er nicht kann, ob er sich über sich selbst Illusionen<br />
gemacht hat, in welcher Hinsicht er dazulernen muß. [...]. Über sein Produkt oder<br />
seinen Anteil an einem Produkt gebraucht und anerkannt zu werden – das ist ein<br />
Gefühl, ohne das man kaum leben kann“ (Ottomeyer, 2004, S. 18f.).<br />
6.3 Die Dimensionen der Entfremdung bei Karl Marx<br />
Es scheint unwahrscheinlich, dass sich ein Arbeiter in der Produktion bei<br />
routinisierten Bewegungsabläufen seiner Individualität bewusst werden kann,<br />
allenfalls noch im Kontakt mit seinen ArbeitskollegInnen und Vorgesetzten, sofern<br />
dieser stattfindet. Das Gegenteil von einer sinnvollen Arbeit ist eine entfremdende.<br />
Die äußeren, entfremdeten Arbeitsbedingungen können sich in einer entsprechenden<br />
Arbeitseinstellung des Individuums spiegeln (bzw. umgekehrt werden Individuen mit<br />
einer instrumentellen Arbeitseinstellung sich andere Arbeitsplätze suchen).<br />
Karl Marx ging von einem instrumentellen, gleichgültigen Verhältnis der Lohnarbeiter<br />
zu ihrer Arbeit aus, da das Kapital sich gegenüber dem einzelnen Arbeiter ebenfalls<br />
gleichgültig verhalte (vgl. Marx, 1998, S. 20). Es soll im Folgenden auf die<br />
Dimensionen der Entfremdung nach Marx eingegangen werden, um anschließend<br />
die Aktualität der instrumentellen Arbeitseinstellung bei Ungelernten in der heutigen<br />
Produktion zu überprüfen. Marx hat in der industriekapitalistischen Produktion vier<br />
Formen der Entfremdung erkannt; die Entfremdung: - von den Arbeitsprodukten, -<br />
vom Arbeitsprozess, - von sich selbst und – den Mitmenschen gegenüber (vgl. Marx,<br />
1974).<br />
6.3.1 Entfremdung von den Produkten der Arbeit<br />
Der Arbeiter ist von dem Produkt seiner Arbeit entfremdet, in dem Sinn, dass es ihm<br />
nicht selbst gehört, sondern dem Kapitalisten (vgl. Marx 1974, S. 1521f.).<br />
„Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes<br />
Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. [...]. Je mehr<br />
der Arbeiter sich ausarbeitet, um so mächtiger wird die fremde, gegenständliche<br />
94
Welt, die er sich gegenüber schafft, um so ärmer wird er selbst, seine innre Welt, um<br />
so weniger gehört ihm zu eigen.“ (Marx, 1974, S. 151f.).<br />
6.3.2 Entfremdung vom Arbeitsprozess<br />
Das Entfremdungsverhältnis drückt sich auch in der Produktion, der Tätigkeit des<br />
Arbeiters aus. Die Arbeitskraft wird zu einer Ware, der Arbeiter verkauft sie an den<br />
Kapitalisten und enthält dafür einen Lohn, mit dem er seinen Lebensunterhalt sichern<br />
kann: „[...] so ist die Tätigkeit des Arbeiters nicht seine Selbsttätigkeit. Sie gehört<br />
einem andren, sie ist der Verlust seiner selbst.“ (Marx, 1974, S. 155).<br />
Die Arbeit ist nicht mehr Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck der<br />
Bedürfnisbefriedigung, zu Marx’s Zeit ist sie für den Arbeiter bloß eine Notwendigkeit,<br />
um sein Überleben zu sichern (vgl. Marx, 1998, S. 20). Die Entfremdung des<br />
Arbeitsprozesses drückt sich nach Marx in verschiedener Weise aus:<br />
„Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen<br />
gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl,<br />
sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt,<br />
sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich<br />
daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. [...]. Seine Arbeit ist<br />
daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. [...]. Ihre Fremdheit tritt<br />
darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die<br />
Arbeit als eine Pest geflohen wird.“ (Marx, 1974, S. 155).<br />
6.3.3 Entfremdung von sich selbst<br />
Als dritte Kategorie der Entfremdung beschreibt Marx die Entfremdung des<br />
Menschen von seinem „Gattungswesen“: „Die entfremdete Arbeit macht also: [...] das<br />
Gattungswesen des Menschen, sowohl die Natur als sein geistiges<br />
Gattungsvermögen, zu einem ihm fremden Wesen, zum Mittel seiner individuellen<br />
Existenz. Sie entfremdet dem Menschen seinen eignen Leib, wie die Natur außer<br />
ihm, wie sein geistiges Wesen, sein menschliches Wesen.“ (Marx, 1974, S. 159).<br />
95
Durch Detailarbeit kommt es zur Beschränkung von „Arbeits- und Lebensfunktionen“.<br />
Der Mensch wird in seinen Entfaltungsmöglichkeiten behindert, Selbstverwirklichung<br />
wird ihm unmöglich und seine Persönlichkeit wird durch die Art der Arbeit negativ<br />
beeinflusst (vgl. Oppolzer, 1977, S. 37).<br />
6.3.4 Entfremdung von den Mitmenschen<br />
Die Entfremdung von den Mitmenschen zeigt sich einmal an der entfremdeten<br />
Beziehung zwischen Produzenten und Kapitalisten. Das Produkt seiner Arbeit gehört<br />
einem anderen ihm fremden und feindlich gegenüberstehenden Wesen: „Wenn seine<br />
Tätigkeit ihm Qual ist, so muß sie einem andern Genuß und die Lebensfreude eines<br />
andern sein.“ (Marx , 1974, S. 161).<br />
Oppolzer verweist auf die Entfremdung unter den MitarbeiterInnen, die er dadurch<br />
begründet sieht, dass sie sich in einem ihnen fremden, vom Kapital erkauften<br />
Kooperationszusammenhang befinden und Kapitalisten sowie ihre Vertreter nur<br />
sachlich an ihrer Arbeitsleistung interessiert sind (vgl. Oppolzer, 1977, S. 37).<br />
Die Folgen kapitalistischer Produktionsverhältnisse sind nach Volmerg für den<br />
einzelnen Arbeiter Isolation und Konkurrenz (z.B. um bessere, gut bezahlte<br />
Arbeitsplätze, Positionen am Arbeitsplatz etc.) (vgl. Volmerg, 1978, S. 53).<br />
6.4 Neue Formen der Entfremdung<br />
Mikl – Horke erinnert daran, dass ein entfremdetes Verhältnis zur Arbeit auch<br />
außerhalb der Produktionsarbeit verbreitet ist:<br />
„Ein Kennzeichen unserer entwickelten Wirtschaftsgesellschaften ist die wachsende<br />
Sinnlosigkeit auch der “geistigen” oder “intellektuellen” Arbeit des einzelnen. Das<br />
Problem der Entfremdung in der postindustriellen Gesellschaft erwächst nicht so sehr<br />
aus der Zerlegung der Arbeit in der Fabrik selbst und es betrifft nur mehr zum Teil die<br />
Arbeiterberufe.“ (Mikl-Horke, 1991, S. 287).<br />
Kocyba spricht von Veränderungen im Produktionsprozess, die neue Anforderungen<br />
an die Arbeitnehmer stellen und zu neuen Formen der Entfremdung führen würden.<br />
Im Gegensatz zu Zeiten des Taylorismus soll Subjektivität (zur Gewinnmaximierung)<br />
im Arbeitsprozess eingebaut werden. Im Zusammenhang mit neuen Modellen der<br />
96
Arbeitsorganisation z.B. „selbstgesteuerten“ Arbeitsgruppen, wird von den Arbeitern<br />
vermehrt verlangt, Verantwortung zu übernehmen und sich zu engagieren. Sie sollen<br />
sich als selbstverantwortliche Individuen darstellen, die ihre Arbeitssituation frei<br />
gewählt haben, und nicht als Menschen, die durch äußere Zwänge wie z.B.<br />
Klassenunterschiede geprägt sind (vgl. Kocyba, 2000, S. 13, 17ff.).<br />
„Arbeit muß als „Berufung“ erlebt oder zumindest kommuniziert werden. Was dem<br />
Arbeitenden widerfährt, muß als Wahl, als Entscheidung dargestellt werden können.<br />
Es zeichnet sich so etwas wie der Zwang zur Selbststilisierung ab, der faktisch auf<br />
eine neue Gestalt von Entfremdung hinauszulaufen droht, die aus der Notwendigkeit<br />
resultiert, sich stets als authentisch und autonom darzustellen. Hierdurch wird den<br />
arbeitenden Individuen die zumindest partiell auch entlastende Flucht in Routine und<br />
Instrumentalismus abgeschnitten.“ (Kocyba, 2000, S. 20).<br />
6.5 Subjektiver Sinn der Industriearbeit für die ArbeiterInnen<br />
Bei Marx ist Entfremdung vorrangig eine objektive Kategorie, deren Ursache er in<br />
den Produktionsverhältnissen sieht. In dieser objektiven Sichtweise von Entfremdung<br />
kommt das subjektive Erleben der ArbeiterInnen nicht zum Ausdruck. Nach Mikl –<br />
Horke sei Sinn nur subjektiv erfahrbar, und das Erleben von Sinn spiele eine wichtige<br />
Rolle für die Gesamtzufriedenheit eines Menschen mit seinem Leben (vgl. Mikl –<br />
Horke, 1991, S. 50).<br />
6.5.1 Instrumentelle Arbeitseinstellung<br />
In Anlehnung an Marx sind viele AutorInnen in der Folge von einem instrumentellen<br />
Verhältnis der ArbeiterInnen zu ihrer Arbeit ausgegangen, z.B. Goldthorpe et al, 1970<br />
(vgl. Knapp, 1981, S. 28), Stiegler oder Eckart u.a. (vgl. Weyrather, 2003, S. 371).<br />
Mikl – Horke fasst eine instrumentelle Arbeitseinstellung und ihre strukturelle<br />
Ursache folgendermaßen zusammen:<br />
„Unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen ist der konkrete Arbeitsprozeß völlig<br />
dem Verwertungsprozeß untergeordnet, ausschließlich auf die Wertbildung<br />
ausgerichtet. Auch der Lohnarbeiter ist an den konkreten Aspekten seiner Tätigkeit<br />
desinteressiert, da die Nutzung seiner Arbeitskraft Sache des Kapitalisten ist und ihm<br />
97
alle Handlungsnotwendigkeiten als solche des Kapitalisten entgegentreten. Sein<br />
Grundinteresse ist, daß der Verkauf der Ware Arbeitskraft nach den Gesetzen des<br />
Äquivalenten-Tausches ihm einen angemessenen Lebensunterhalt sichert und daß<br />
seine Arbeitskraft nicht über Gebühr ausgenutzt wird.“ (Mikl-Horke, 1991, S. 51).<br />
Bei einer instrumentellen Einstellung zu seiner Arbeit, verhält sich der Arbeiter ihr<br />
gegenüber als gleichgültig (vgl. Knapp, 1981, S. 7) Der Arbeit kommt ein geringer<br />
Stellenwert im Leben der Betroffenen zu, und intrinsische Motive treten im<br />
Zusammenhang mit der Beschäftigung kaum auf. Die Arbeit selbst trägt bei der<br />
instrumentellen Arbeitseinstellung keinen Sinn in sich, sondern gilt in erster Linie als<br />
Mittel zum Zweck des Gelderwerbs (vgl. Kern, 2004, S. 24). Die Annahme einer<br />
(rein) instrumentellen Arbeitseinstellung bei IndustriearbeiterInnen ist kritisiert<br />
worden, z.B. bei Knapp (1981) und Becker – Schmidt (1982).<br />
6.5.2 Sinnfindung in der Arbeit – eine Frage der Einstellung?<br />
Im Gegensatz zur Annahme, dass die objektiven Arbeitsbedingungen zu einer<br />
instrumentellen Arbeitseinstellung führen, steht die Sichtweise, dass Alles nur eine<br />
Frage der subjektiven Einstellung sei, so auch das Glücksempfinden und die<br />
Sinnfindung bei der Arbeit.<br />
Viktor Frankl hat das Streben nach Sinn zum zentralen Motiv der Menschen<br />
herausgearbeitet. Daraus leitet Frankl drei Wertekategorien ab: „schöpferische<br />
Werte“, „Erlebniswerte“ und „Einstellungswerte“, wobei den Einstellungswerten die<br />
höchste Bedeutung zukomme (vgl. Frankl, 1972, S. 31).<br />
„Zunächst einmal sieht er einen Sinn darin, etwas zu tun oder zu schaffen. Darüber<br />
hinaus sieht er einen Sinn darin, etwas zu erleben, jemanden zu lieben; aber auch<br />
noch in einer hoffnungslosen Situation, der er hilflos gegenübersteht, sieht er unter<br />
Umständen einen Sinn. Worauf es ankommt, ist die Haltung und Einstellung, mit der<br />
er einem unvermeidlichen und unabänderlichen Schicksal begegnet.“ (Frankl, 1972,<br />
S. 29).<br />
Csikszentmihalyi verweist darauf, dass Erwachsene bei der Arbeit häufiger<br />
sogenannte „flow – Erlebnisse“ hätten als in ihrer Freizeit. Unter „flow“ versteht er<br />
98
einen Zustand des mühelosen Handelns und Aufgehens in einer Tätigkeit, der mit<br />
innerer Freude einhergeht (vgl. Csikszentmihalyi, 2001, S. 45).<br />
„Augenblicke, in denen sich jemand in einer Situation befindet, die hohe<br />
Anforderungen an ihn stellt und große Fähigkeiten verlangt und die von Gefühlen der<br />
Konzentration, Kreativität und Befriedigung begleitet wird, ergaben sich eher am<br />
Arbeitsplatz als zu Hause. [...]. Somit hat Arbeit in der Regel die gleiche Struktur wie<br />
andere intrinsische lohnende Tätigkeiten, bei denen sich flow einstellt, wie zum<br />
Beispiel Spiele, Sport, Musik und Malen.“ (Csikszentmihalyi, 2001, S. 80f.).<br />
Einerseits seien bestimmte Arten von Arbeit (z.B. künstlerisches Tun) eher geneigt,<br />
flow – Erlebnisse auszulösen als andere (z.B. in einem südafrikanischen Bergwerk<br />
arbeiten), andererseits verweist Csikszentmihalyi auf die wichtige Rolle der eigenen<br />
inneren Einstellung zur Arbeit, um ihr Befriedigung abzugewinnen. Dem Autor<br />
zufolge, kann grundsätzlich während jeder Art von Aktivität ein flow – Zustand erlebt<br />
werden, z.B. auch bei Fließbandarbeit (vgl. Csikszentmihalyi, 2004, S. 68).<br />
„Doch selbst die banalste und anspruchloseste Beschäftigung kann unsere<br />
Lebensqualität steigern, anstatt sie zu schmälern, wenn man an sie ohne allzu viele<br />
kulturell geprägte Vorurteile herangeht und sich entschließt, sie so zu gestalten, daß<br />
sie für uns persönlich einen Sinn ergibt. [...]. Es sind nicht die äußeren Bedingungen,<br />
die bestimmen, in welchem Maße die Arbeit zu einem hervorragenden Leben<br />
beiträgt. Entscheidend ist, wie man arbeitet und welche Erfahrungen man machen<br />
kann, wenn man sich den Herausforderungen der Aufgabe stellt.“ (Csikszentmihalyi,<br />
2001, S. 81, 83, 85).<br />
Mihaly Csikszentmihalyi charakterisiert das von ihm erforschte Flow – Erleben<br />
folgendermaßen: - es herrscht Klarheit über die Ziele wobei die unmittelbar zu<br />
bewältigende Aufgabe im Fokus der Aufmerksamkeit steht und nicht das<br />
Endergebnis, - es gibt ein feedback, entweder durch Personen oder durch die<br />
Tätigkeit selbst bedingt, - Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten sind<br />
ausgewogen, - die Konzentration steigt, - wichtig ist die Gegenwart, - der Betreffende<br />
hat das Gefühl, die Situation bewältigen zu können, - das Zeitgefühl verändert sich<br />
und – das Ich – Bewusstsein setzt aus. Der Betreffende vergisst sich selbst in<br />
99
seinem Tun (vgl. Csikszentmihalyi, S. 63-79). Er beschreibt einen Fließbandarbeiter,<br />
dessen Arbeitseinstellung sich auffallend von der seiner KollegInnen unterschied:<br />
„Die meisten Fließbandarbeiter langweilten sich und empfanden die Tätigkeit als<br />
unter ihrer Würde. Dann lernte ich Rico kennen, der an seine Arbeit völlig anders<br />
heranging. Er hielt sie für schwierig und fand, daß sie großes Geschick erforderte.<br />
[...]. Ungefähr vierhundertmal am Tage hielt eine Filmkamera an seiner<br />
Arbeitsstation, worauf er dann 43 Sekunden Zeit hatte, zu prüfen, ob das<br />
Lautsprechersystem den Anforderungen bzw. technischen Daten entsprach. Im<br />
Laufe der Jahre hatte er mit diversen Werkzeugen und Bewegungsabläufen<br />
experimentiert, wobei es ihm gelungen war, die Durchschnittszeit für die Überprüfung<br />
jeder Kamera auf 28 Sekunden zu verringern. Auf diesen Erfolg war er ebenso stolz,<br />
wie es ein Olympiasportler gewesen wäre, wenn er die gleiche Anzahl von Jahren<br />
damit verbracht hätte, die 44-Sekunden-Marke im 400-Meter-Lauf zu unterschreiten.“<br />
(Csikszentmihalyi, 2001, S. 139f.).<br />
Diese von Csikzentmihaly beschriebene Arbeitshaltung scheint bei der Art von Arbeit,<br />
wie sie ungelernten ProduktionsarbeiterInnen in Fabriken verrichten, in der Realität<br />
eine Ausnahme zu sein.<br />
6.5.3 ambivalente Arbeitseinstellung mit Momenten der Sinnfindung<br />
Heute wird (einem Mittelweg entsprechend) von vielen ForscherInnen angenommen,<br />
dass die „objektive Gleichgültigkeit des Kapitals“ dem einzelnen Arbeiter gegenüber<br />
sich nicht ungebrochen in einer subjektiven Gleichgültigkeit des Arbeiters seiner<br />
Arbeit gegenüber zeigt, wie Marx es angenommen hatte. Es gibt Widersprüche im<br />
Subjekt zwischen Identifikation mit der (auf den ersten Blick sinnentfremdeten) Arbeit<br />
und Sinnfindung in ihr einerseits, und einer Job – Mentalität, getragen von subjektiver<br />
Gleichgültigkeit, andererseits. In ihren Untersuchungen stellen z.B. Knapp oder<br />
Becker – Schmidt u.a. ein rein instrumentelles Verhältnis der LohnarbeiterInnen zu<br />
ihrer Arbeit in Frage.<br />
Durch die Methode der Perspektivenverschränkung, der Gegenüberstellung von<br />
Akkordarbeit und Hausarbeit, konnten Becker – Schmidt u.a. neben den Belastungen<br />
der Arbeit in der Fabrik auch positive Momente der Fabrikarbeit für die Arbeiterinnen,<br />
100
ausfindig machen. Von 30 befragten Frauen hatten 6 ein ambivalent – negatives<br />
Verhältnis zur Fabrikarbeit und würden die Hausarbeit vorziehen, bei 11 Frauen<br />
waren die Vor- und Nachteile von Fabrik- bzw. Hausarbeit ausgeglichen und 13 der<br />
Befragten hatten ein ambivalent – Positives Verhältnis zur Arbeit in der Fabrik<br />
gegenüber der Hausarbeit (vgl. Becker – Schmidt, u.a.1982, S. 13).<br />
Zusammenfassend zeigt diese Untersuchung, dass nicht von einem rein<br />
instrumentellen Verhältnis zur Fabrikarbeit gesprochen werden kann, sondern<br />
vielmehr von einem ambivalenten. „Die Ambivalenz, die hier zum Ausdruck kommt,<br />
teilt sich in allen unseren Interviews mit. [...]. Selbst die Arbeit am unteren Ende der<br />
Betriebshierarchie, selbst die belastende Arbeit im Akkord, wird nicht nur als<br />
notwendiges Übel, als bloßes Mittel zum Geldverdienen gesehen. Sie ist es auch.“<br />
(Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 12).<br />
Die positiven Momente und der Sinn werden weniger in der Arbeit selbst gesehen,<br />
als in anderen Faktoren. Der Kontakt zu den KollegInnen und das<br />
Zusammenarbeiten wird in der Untersuchung von Becker – Schmidt u.a. als positives<br />
Moment der Fabrikarbeit hervorgehoben, gegenüber der Arbeit im Haushalt. (vgl.<br />
Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 13f.).<br />
„Heute ist die Balance zwischen dem sich identifizierenden, verausgabenden Teil<br />
und dem bremsenden, gleichgültigen Teil der Lohnarbeiter – Identität<br />
vergleichsweise hochindividualisiert, von sehr privat erscheinenden Ängsten, Scham-<br />
und Schuldgefühlen reguliert.“ (Ottomeyer, 2000, S. 38).<br />
Ein wichtiges Bedürfnis, dass die Fabrikarbeit trotz ihrer belastenden Momente (oder<br />
gerade deshalb) zu befriedigen vermag, ist das der Selbstbestätigung, die<br />
Akkordarbeit zu schaffen und dafür Anerkennung von außen zu erhalten (vgl.<br />
Becker-Schmidt u.a., 1982, S. 14f.).<br />
„Empörung über die Arbeitsbedingungen, aber auch ein gewisser Stolz auf die<br />
Fähigkeiten liegen nahe beieinander.“ (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 8).<br />
101
Die Frauen in den Interviews sprechen davon, dass sie „ganze Arbeit leisten wollen“<br />
und fühlen sich für die Qualität der Produkte verantwortlich. (Becker – Schmidt u.a.,<br />
1982, S. 32f.). Viele Arbeiterinnen haben schon in ihrer Kindheit zu Hause<br />
mitarbeiten müssen.<br />
„Das Rückdenken an die Kinderarbeit ist zwiespältig: dem Lob des Vaters stehen die<br />
Erinnerungen an schmerzliche Verzichte auf Spiel und Freizeit gegenüber [...].<br />
Bestimmte Selbstansprüche, die ihr im Laufe ihrer Lebensgeschichte im Umgang mit<br />
Arbeit selbstverständlich geworden sind, bestimmen auch heute ihr Verhältnis zur<br />
Akkordarbeit: Sie ist verhaßte Mußarbeit, aber dennoch will Frau Q. sie so ausführen,<br />
daß sie von sich sagen kann: „Also ganz persönlich jetzt: Mädchen, du hast ganz gut<br />
gearbeitet.““ (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 21).<br />
Die Sinnfindung in der entfremdeten Produktionsarbeit kann als eine aktive<br />
Zusatzleistung der ArbeiterInnen betrachtet werden, wie das nächste Zitat<br />
veranschaulicht:<br />
„In der Vorstellung komplettieren sie ihre Teilprodukte und geben ihnen einen Ort<br />
und eine Bestimmung. Dadurch messen sie der entleerten Arbeit einen Sinn zu, der<br />
über ihre eigenen, auf die Erwerbsarbeit gerichteten Motive hinausweist. Indem sie<br />
auch an die denken, für die sie produzieren müssen, ohne sie zu kennen, holen sie<br />
mit dem Bild des Konsumenten ein Stück Sozietät in ihre Arbeit zurück.“ (Becker –<br />
Schmidt u.a., 1982, S. 33).<br />
102
B: Empirischer Teil:<br />
Untersuchung zum subjektiven Erleben von Produktionsarbeit in der<br />
metallverarbeitenden Industrie im Hinblick auf Arbeitsbelastungen,<br />
positive Aspekte, Ressourcen und der Frage nach dem Sinn der Arbeit<br />
In der Diplomarbeit geht es um Erlebnisperspektiven von ungelernten ArbeiterInnen.<br />
Marianne Herzog schrieb 1976 über ihre Arbeit in einer Fabrik: „Ungelernt täglich im<br />
Akkord arbeiten. Das ist für mich so: einer Frau, die lesen und schreiben kann, nur 8<br />
Buchstaben vom Alphabet zu geben: eine Arbeiterin, die Dreherin,<br />
Werkzeugmacherin, Tischlerin sein kann, zwingen, jede Minute 5 bis 20 Einzelteile<br />
zu montieren, zu stanzen, zu falten, zu schweißen. Die Gedanken und die<br />
Ausdrucksfähigkeit der Arbeiterinnen werden verstümmelt bei dieser Akkordarbeit,<br />
bei Stückzahlen von 400 bis 5000 Stück täglich, und das jahrelang, jahrzehntelang.“<br />
(Herzog, 1976, S. 93). Wie erleben ArbeiterInnen heute ihre Arbeit?<br />
7 Beschreibung des Untersuchungsfeldes<br />
Im Folgenden sollen die drei Betriebe beschrieben werden, in welchen meine<br />
InterviewpartnerInnen tätig (gewesen) sind. Ich selbst habe in allen drei Betrieben<br />
Erfahrungen gesammelt und werde im Rahmen der Diplomarbeit auf meine<br />
Erfahrungen in Betrieb B und C eingehen, da hierfür Tagebuchaufzeichnungen<br />
vorliegen. Die Arbeit in Firma A am Fließband liegt lange zurück (ich bin damals 18<br />
Jahre alt gewesen) und es gibt für diese Zeit keine systematischen Aufzeichnungen.<br />
Zur Sicherung der Anonymität soll nicht erwähnt werden, wo meine<br />
InterviewpartnerInnen beschäftigt sind bzw. waren und auch ihre Namen sind<br />
anonymisiert bzw. geändert worden. Am Anfang möchte ich auf Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschiede der betreffenden Firmen eingehen:<br />
Es handelt sich bei allen drei Betrieben um Firmen, die der metallverarbeitenden<br />
Industrie zugeordnet werden können. Dieser Industriezweig unterscheidet sich von<br />
anderen z.B. durch einen bestimmten Kollektivvertrag und eine eigene<br />
Gewerkschaft, die IG – Metall. Die Arbeiten für Ungelernte sind repetitive<br />
Teilaufgaben, die unter Zeitdruck gemacht werden sollen. Während es in Betrieb A<br />
und B Akkordarbeit gibt (Arbeiten unter Einzel- oder Gruppenakkord), wird die Arbeit<br />
im Betrieb C unter einem „persönliches Antriebsmodell“ (Aufforderungen zum<br />
103
schnellen Arbeiten durch Vorgesetzte und KollegInnen) ausgeübt, es gibt keine<br />
offiziellen Akkordvorgaben. Wer nicht schnell genug ist, hat zu gehen. Dieses<br />
Vorgehen wird durch die leichte Austauschbarkeit von LeiharbeiterInnen gefördert.<br />
In Betrieb A mit derzeit rund 700 Beschäftigten (davon ca. 550 ArbeiterInnen)<br />
herrscht Fließbandarbeit vor. Eine Arbeitsorganisation in Zweischichtarbeit (Früh und<br />
Nachmittagsschicht) ist hier für ungelernte ArbeiterInnen üblich. Diese Firma befindet<br />
sich, wie auch die Nächstgenannte in der Steiermark.<br />
Betrieb B ist mit derzeit ca. 1100 Beschäftigten der größte Arbeitgeber von den drei<br />
Firmen. Es ist auch der am Modernsten ausgestattete Betrieb, mit Industrierobotern.<br />
In dieser Firma ist die Arbeit vielfach in Gruppenarbeitsplätzen organisiert (mit<br />
Gruppenakkord), was Vor- und Nachteile (je nach Arbeitsgruppe) mit sich bringt. Es<br />
gibt hier auch viele Einzelarbeitsplätze z.B. solche, wo Industrieroboter bestückt<br />
werden müssen. Die Arbeit findet größtenteils in einem Dreischicht – Modell statt,<br />
wobei ein einwöchiger Wechsel der Schicht üblich ist, Ausnahmen hiervon stellen<br />
gelegentliche, individuelle Arbeitszeitregelungen dar, z.B. Teilzeitarbeit für Mütter<br />
oder Zweischichtarbeit.<br />
In Betrieb C, welcher derzeit ein Kleinbetrieb ist (mit weniger als 50 Beschäftigten),<br />
ist die Arbeit in Einzelarbeitsplätzen organisiert. Es gibt kein Akkordsystem, doch im<br />
kollektiven Unterbewusstsein scheint die Arbeitsnorm: „Zeit ist Geld“ fest verankert<br />
zu sein, schnelles Arbeiten gilt als selbstverständlich. Außerdem ist durch den hohen<br />
Anteil an LeiharbeiterInnen der Druck auf den einzelnen Arbeiter hoch; ist man nicht<br />
schnell genug, wird man „ausgetauscht“. Die Arbeitszeit ist gleichbleibend in<br />
Tagschicht organisiert, wobei freitags früher zum Arbeiten aufgehört wird. Dieser<br />
Betrieb befindet sich in Niederösterreich.<br />
Die Arbeitsplätze in den drei Firmen, an denen Ungelernte tätig sind, unterscheiden<br />
sich im Detail voneinander, doch sie weisen auch Gemeinsamkeiten auf. In allen drei<br />
Betrieben gibt es Arbeiten, die durch einen hohen Grad an Monotonie und<br />
Wiederholung derselben Handgriffe charakterisiert werden können. Für diese<br />
Arbeiten ist keine Ausbildung notwendig, es handelt sich dabei um schnell zu<br />
erlernende, „angelernte“ Tätigkeiten, die unter Zeitdruck ausgeführt werden sollen.<br />
104
Im Folgenden geht es um das subjektive Erleben dieser Art von Arbeit, wie sie in der<br />
Produktionsarbeit für angelernte ArbeiterInnen typisch ist. Dabei werden<br />
Arbeitsplätze beschrieben, an denen ich selbst, und solche, an denen die<br />
Interviewten Erfahrungen gesammelt haben.<br />
8 Verwendete Forschungsmethoden<br />
Für die Erhebung der Daten habe ich die teilnehmende Beobachtung (mit<br />
Tagebuchaufzeichnung) und das Leitfadeninterview gewählt. Bei der Auswertung<br />
wurden die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (zusammenfassender Art) und<br />
das szenische Verstehen angewandt. Die Forschungsmethoden sollen in diesem<br />
Kapitel dargestellt werden.<br />
8.1 Methoden der Erhebung<br />
8.1.1 Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnung<br />
Diese Art der angewandten Beobachtung lässt sich nach Friedrichs (1973 in: Flick,<br />
2002, S. 200) folgendermaßen charakterisieren:<br />
- teilnehmend,<br />
- verdeckt,<br />
- unsystematisch (vor allem zu Beginn),<br />
- in natürlicher Situation und<br />
- in erster Linie als Selbstbeobachtung.<br />
- teilnehmende Beobachtung<br />
Ich habe die teilnehmende Beobachtung aufgrund einer beruflichen Eingliederung in<br />
den Arbeitsalltag von IndustriearbeiterInnen gewählt. Diese Art der Beobachtung<br />
kann folgendermaßen definiert werden:<br />
„Teilnehmende Beobachtung ist eine Feldstrategie, die gleichzeitig<br />
Dokumentenanalyse, Interviews mit Interviewpartnern und Informanten, direkte<br />
Teilnahme und Beobachtung sowie Introspektion kombiniert“ (Denzin 1989, in Flick<br />
2002, S. 206).<br />
Nach Girtler handelt es sich dabei um die Übernahme der Beobachterrolle einerseits,<br />
und um die Identifikation mit der Rolle eines echten Mitglieds andererseits (vgl.<br />
105
Girtler 2001, S. 97). Vorteil der teilnehmenden Beobachtung ist, dass durch die<br />
Übernahme der „Innenperspektive“ ein tieferes Verständnis möglich wird, als es aus<br />
der Außenperspektive auf das Feld, als nicht – teilnehmender Beobachter, möglich<br />
wäre. (Flick 2002, S. 204).<br />
Teilnehmende Beobachtung wird als Prozess betrachtet, der Forscher soll sich<br />
immer mehr in das Feld integrieren und die Beobachtung soll im Laufe des<br />
Prozesses konkretisiert werden, um die Aspekte, welche für die Fragestellung<br />
relevant sind, in den Vordergrund zu stellen. Spradley nennt drei Stufen in der<br />
teilnehmenden Beobachtung: Eine deskriptive Beobachtung am Anfang ermöglicht<br />
ein umfangreiches Erfassen des Feldes, konkrete Fragestellungen können<br />
herausgearbeitet werden. Bei der fokussierten Beobachtung werden primär für die<br />
Fragestellung relevante Dinge beobachtet. Die selektive Beobachtung schließlich soll<br />
zum Schluss dazu dienen, Beispiele für die, während der fokussierten Beobachtung<br />
herausgearbeiteten Typen von Verhaltensweisen oder Abläufe, ausfindig zu machen<br />
(vgl. Spradley 1980 in Flick 2002, S. 207).<br />
- Verdeckte Beobachtung<br />
Nach dem gescheiterten Versuch, als „Forscherin“, Zugang zum Feld zu finden, habe<br />
ich die verdeckte Beobachtung gewählt. Vorteile eines solchen Vorgehens sind nach<br />
Girtler die Ermöglichung des Zugangs zum Forschungsfeld (das sonst für den<br />
Forschenden schwer zugänglich wäre), und die Möglichkeit, Misstrauen der<br />
ArbeitskollegInnen und Vorgesetzten zu umgehen (vgl. Girtler 2001, S. 98).<br />
Andererseits kann gerade durch die Verheimlichung der wahren Absichten<br />
Misstrauen geschürt werden.<br />
Girtler spricht sich aufgrund ethischer Bedenken grundsätzlich für eine Feldforschung<br />
aus, bei der die zu erforschende Gruppe nicht über das Forschungsvorhaben<br />
bescheid weiß (vgl. Girtler 2001, S. 98). „Allerdings vermag ein „verdeckter“<br />
Beobachter Alltagswirklichkeiten und Alltagsideologien mitunter eher als andere<br />
Forscher herauszuarbeiten“ (Girtler 2001, S. 77).<br />
106
- Unsystematische Beobachtung<br />
Es handelt sich bei der gewählten Forschungsmethode (vor allem zu Beginn) um<br />
eine unstrukturierte bzw. freie Beobachtung (vgl. Girtler 2001, S. 62), da ich mein<br />
Wahrnehmungsfeld durch vorher festgelegte Kategorien nicht einengen wollte. Ziel<br />
war es, in der Lebenswelt so viele Aspekte wie möglich zu erfassen.<br />
In Form von Tagebuchaufzeichnungen habe ich nach (fast) jedem Arbeitstag ein<br />
Gedächtnisprotokoll verfasst. Es ging mir dabei einerseits um mein eigenes Erleben<br />
der Produktionsarbeit, andererseits um Beobachtungen von ArbeitskollegInnen und<br />
Vorgesetzten. Zur Übersichtlichkeit habe ich in einer Spalte rechts in Stichworten<br />
zusammengefasst, welchen Bereich der entsprechende Absatz betrifft, z.B.<br />
Arbeitsbelastungen, Gespräche in der Pause, Konflikte, Ressourcen, Freizeit, etc.<br />
Das ermöglicht in der Auswertung das Durchgehen des Protokollierten nach den<br />
Schwerpunkten der Fragestellung (Arbeitsbelastungen, Ressourcen und positive<br />
Aspekte der Arbeit, subjektiver Sinn bzw. Bedeutung der Arbeit). Im Nachhinein<br />
betrachtet wäre es besser gewesen, im Verlauf der Dokumentation die<br />
„Sparsamkeitsregel“ (vgl. Flick 2002, S. 250) zu beachten, und dementsprechend nur<br />
das aufzuschreiben, was im Hinblick auf die Forschungsfrage notwendig gewesen<br />
wäre.<br />
- Beobachtung in natürlicher Situation<br />
Die Beobachtung hat in natürlicher Umgebung stattgefunden, sie bezieht sich auf<br />
den Arbeitsalltag von IndustriearbeiterInnen.<br />
- Selbstbeobachtung<br />
Durch die ökonomischen Zwänge des Forschungs- und Arbeitsfeldes (in erster Linie<br />
den Zwang zum schnellen Arbeiten) war ich während der Arbeit mehr „Teilnehmerin -<br />
als – Beobachterin“ (vgl. Gold 1958, in Girtler 2001, S. 64) und die Beobachtungen<br />
haben sich vorwiegend in introspektiver Form auf mein eigenes Erleben bezogen<br />
(Selbstbeobachtung). Vor der Arbeit, in den Pausen und danach, sowie bei<br />
Stehzeiten ist auch die Beobachtung des Außen möglich gewesen.<br />
Intersubjektivität ist dadurch erreicht worden, dass in Leitfadeninterviews<br />
ArbeitskollegInnen über ihre Erlebnisperspektiven befragt worden sind. Dabei sind<br />
107
interessante, meine eigene Sichtweise erweiternde Aspekte aufgetaucht. Z.B. hat<br />
Frau F bei der Darstellung ihrer Sichtweise zur Leiharbeit auch auf einen positiven<br />
Aspekt in dieser verwiesen. Frau C hat die Fließbandarbeit als vergleichsweise<br />
abwechslungsreich erlebt und ihr viel Positives abgewinnen können, was für mich<br />
schwer nachvollziehbar gewesen ist.<br />
8.1.2 Leitfadeninterviews<br />
Es handelt sich bei dem verwendeten Forschungsinstrument um fokussierte<br />
Interviews als eine Form des Leitfaden– Interviews. Durch die verhältnismäßig offene<br />
Gestaltung der Interviewsituation sollen die subjektive Sichtweise und das<br />
persönliche Erleben besser zum Ausdruck kommen als durch standardisierte<br />
Verfahren (vgl. Flick 2002, S. 117).<br />
In den Interviews ist entsprechend der Forschungsfrage auf folgende Schwerpunkte<br />
eingegangen worden:<br />
- Beschreibung der konkreten Arbeit bzw. eines Arbeitstages<br />
- Erleben der Arbeit<br />
- Das Arbeitsklima<br />
- Mögliche Arbeitsbelastungen<br />
- Mögliche positive Aspekte in der Arbeit<br />
- Das Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit<br />
Mit einer offenen Frage zu Beginn des Interviews („Wie läuft bei dir ein Arbeitstag<br />
ab?“) ist versucht worden, den Erzählfluss anzuregen. In unterschiedlicher<br />
Reihenfolge sind dann die Fragen aus dem Leitfaden eingeflossen, wenn sie nicht<br />
vom Interviewten selbst aufgegriffen worden sind.<br />
Bei den Interviewten handelte es sich um 4 Frauen und 2 Männer, die als ungelernte<br />
ArbeiterInnen tätig sind bzw. waren. Alle Interviews haben 2008 stattgefunden. Die<br />
Hälfte der Interviewten arbeitet noch in einem der drei erwähnten<br />
metallverarbeitenden Betriebe. Drei Interviewte haben in einer dieser Firmen<br />
gearbeitet und sind zum Zeitpunkt des Interviews seit weniger als einem Jahr in<br />
einem anderen Arbeitsfeld beschäftigt. Es war interessant, auch Leute zu befragen,<br />
108
die vor kurzem ihren Arbeitsplatz verlassen hatten, da durch die neue, andersartige<br />
Art von Arbeit eine interessante Vergleichsperspektive zum Tragen gekommen ist.<br />
Becker – Schmidt hat gezeigt, dass gerade durch die Vergleichsperspektive (in ihrem<br />
Fall der Vergleich von Hausarbeit und Fabrikarbeit), das Besondere eines Feldes<br />
herausgearbeitet werden kann.<br />
Drei der Interviews haben am neuen Arbeitsplatz der ehemaligen FabrikarbeiterInnen<br />
stattgefunden, zwei Interviews bei mir zu Hause, und eines im Haus des<br />
Interviewten. Frau A., C. und D. sind mir als InterviewpartnerInnen vermittelt worden.<br />
Frau A. hat mir Herrn B. vorgestellt, der sich auch bereit erklärt hat, ein Interview zu<br />
geben. Ich habe vor 2 Fabriken per Fleyer nach weiteren InterviewpartnerInnen<br />
gesucht, Herr E. hat sich daraufhin bereit erklärt, mir ein Interview zu geben. Frau F.<br />
war eine ehemalige Arbeitskollegin von mir.<br />
8.2 Auswertungsmethoden<br />
8.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse<br />
Die Leitfadeninterviews habe ich mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse<br />
ausgearbeitet und zwar mit der qualitativen Technik der Zusammenfassung. Dabei<br />
geht es darum, die wesentlichen Aussagen auf den Punkt zu bringen, die<br />
Zusammenfassung wird im Laufe der einzelnen Arbeitsschritte zunehmend abstrakt<br />
(vgl. Mayring, 2008, S. 59ff.). Die folgende Grafik aus Mayring (2008: 60)<br />
veranschaulicht die Schritte der zusammenfassenden Inhaltsanalyse:<br />
109
Abbildung 8: Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring<br />
Konkret habe ich die Interviews zunächst nach inhaltsrelevanten Textteilen<br />
durchsucht. Bei den Analyseeinheiten handelt es sich um wesentliche Themen der<br />
Fragestellung der Diplomarbeit: 1. Arbeitsbelastungen, 2. positive Aspekte in der<br />
Arbeit; Ressourcen und 3. den subjektive Sinnbezug zu der konkreten Arbeit. Alle<br />
drei Themenschwerpunkte wurden in einem 3- Schritt – Verfahren bearbeitet. So<br />
erfolgte zunächst eine Paraphrasierung jedes einzelnen Interviews, anhand der<br />
Interviewpassagen, in denen zu Arbeitsbelastungen Stellung genommen worden ist.<br />
110
Danach fand eine Generalisierung der einzelnen Aussagen statt. Und schließlich<br />
habe ich die Aussagen im Verlauf des Prozesses der Reduktion in<br />
zusammenfassenden Kategorien dargestellt. So entstanden für alle 6 Interviews<br />
zusammenfassende Kategorien bezüglich der drei Themenschwerpunkte.<br />
8.2.2 Szenisches Verstehen<br />
Beim szenischen Verstehen handelt es sich um eine Ebene des Verstehens nach<br />
Alfred Lorenzer. Es wird zwischen vier Verstehensweisen unterschieden:<br />
- das logische Verstehen (worüber gesprochen wird; der sachliche Gehalt von<br />
Kommunikation und Interaktion)<br />
- das psychologische Verstehen (in welcher Weise die Verständigung<br />
untereinander erfolgt; der Beziehungsgehalt, Emotionen etc.)<br />
- das szenische Verstehen (welche szenischen Muster bzw. Interaktionsmuster<br />
zu erkennen sind, welche Rollen die Akteure einnehmen)<br />
- das tiefenhermeneutische Verstehen (Absichten; intentionaler Gehalt der<br />
Sprache) (vgl. Leithäuser in Volmerg u.a., 1986, S. 275).<br />
Da Kategorisierung immer eine Reduktion des komplexen Materials bedeutet, soll in<br />
Anlehnung an die Methode der Kernsatzfindung (vgl. Leithäuser in Volmerg u.a.,<br />
1986) im Kapitel 10.2. auf wichtige Punkte aus den Interviews eingegangen werden.<br />
Ziel der „Kernsatzfindung“ sei es, die Fülle des Materials zu reduzieren ohne dabei<br />
den Kontextbezug zu verlieren. Diskussionsabschnitte werden meistens mit<br />
Kernsätzen zusammengefasst. Die AutorInnen bezeichnen Kernsätze als „natürliche<br />
Verallgemeinerungen im Fluß der Diskussion“:<br />
„[…]. Ein Kernsatz ist ein signifikanter Satz eines Textes, in dem<br />
– die Perspektive des oder der Sprecher<br />
– der Sachverhalt, über den gesprochen wird<br />
– der oder die Angesprochenen, an die sich die Äußerung richtet und<br />
– die Intention der Sprecher<br />
sprachlich zum Ausdruck kommen.“ (Leithäuser 1986, S. 271).<br />
111
Vor der Darstellung der Interviewergebnisse erfolgt im nächsten Kapitel eine<br />
Beschreibung meines subjektiven Erlebens im Zusammenhang mit meinen<br />
Erfahrungen als Industriearbeiterin in zwei Betrieben. Am Ende des nächsten<br />
Kapitels (9.3.) werde ich in Anlehnung an die Methode des szenischen Versthens auf<br />
vier Szenen aus meinen Tagebuchaufzeichnungen genauer eingehen.<br />
9 Forschungsergebnisse: persönliche Erfahrungen<br />
Ich werde in der Beschreibung meiner Erfahrungen mit Produktionsarbeit auf<br />
folgende zentrale Punkte eingehen:<br />
- Erleben der Arbeit<br />
- Erleben des Arbeitsklimas<br />
- Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen<br />
- Positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien<br />
- Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit<br />
- Die Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit<br />
Es sollen Szenen aus meinem Arbeitsalltag in zwei Betrieben geschildert werden,<br />
welche mit der vorhandenen Literatur und dem theoretischen Teil der Arbeit in<br />
Beziehung gesetzt werden.<br />
9.1 Firma A<br />
9.1.1 Zugang zum Forschungsfeld<br />
Ich habe mich über eine Leihfirma im Betrieb A als Ferialarbeiterin beworben, das ist<br />
derzeit die übliche Vorgehensweise, um dort aufgenommen zu werden. Ein paar<br />
Tage vor Arbeitsbeginn hat durch die Leihfirma eine kurze Einschulung<br />
stattgefunden, wir haben uns einen Film über den Betrieb angesehen und<br />
Informationen erhalten. Es handelt sich bei dieser Firma um ein Werk, das zum<br />
Bereich der metallverarbeitenden Industrie gehört, mit rund 1100 Beschäftigten. Die<br />
folgenden Textpassagen stammen aus 17 Tagebucheintragungen, die ich während<br />
meines einmonatigen Arbeitens dort gemacht habe. Die Arbeit findet in einem 3 –<br />
Schicht – Betrieb statt, ich habe sowohl Früh- als auch Nachmittags- und<br />
Nachtschicht kennen gelernt.<br />
112
9.1.2 Erleben der Arbeit<br />
Am 1. Arbeitstag habe ich zu Beginn eine Arbeitsanweisung mit<br />
Sicherheitshinweisen unterschreiben müssen. Danach wurde ich vom Meister an den<br />
Arbeitsplatz geführt, wo mich eine Arbeiterin einschulen sollte. Es handelte sich um<br />
einen Gruppenarbeitsplatz mit 6 Stationen, an dem 4 Frauen beschäftigt waren. Bei<br />
der Arbeit konnte man sitzen. Meine erste Arbeit sah folgendermaßen aus: „Die<br />
ersten 5 Minuten konzentriere ich mich: Winkel auf die Maschine stecken nachdem<br />
ich ein Eisenteil raufgegeben habe. Winkel nach vorne schieben und Fußpedal (zum<br />
nieten) betätigen. Neues Stück.“ (Tagebuch 1, 1.8.07).<br />
Meine Arbeit war durch wenige, einfache, sich in kurzen Abschnitten wiederholende<br />
Arbeitsschritte gekennzeichnet. Es gab ein Gruppenakkordsystem mit vorgegebenen<br />
Stückzahlen, die FerialarbeiterInnen waren grundsätzlich vom Akkordsystem<br />
ausgenommen, obwohl ich mich aus Gruppendynamischen Gründen bemüht habe,<br />
so schnell wie möglich zu arbeiten. Ein Arbeitsplatzwechsel ist hier möglich gewesen,<br />
obwohl sich die Arbeitsschritte an den einzelnen Stationen bei genauerem Hinsehen<br />
kaum voneinander unterschieden haben. „Ich gehe zur 2. Maschine. Freue mich<br />
anfangs über die Abwechslung, die nur eine scheinbare ist. Bei der 1. Maschine<br />
habe ich ein Teilchen rauf gesteckt – den Winkel darüber und genietet. Bei der 2.<br />
mache ich das Selbe ohne Fußpedal und bei der 3. wieder das Gleiche mit<br />
Fußpedal.“ (T1, 1.8.07).<br />
Ich habe den ersten Tag als sehr anstrengend erlebt (T1, 1.8.07). Die einfachen<br />
Arbeitsschritte waren schnell beherrscht (wenn auch nicht in der üblichen<br />
Geschwindigkeit) und schon am ersten Tag war ein Gefühl von Langeweile<br />
vorherrschend. Durch geistige Ablenkung von der Arbeit habe ich versucht, der,<br />
durch die monotone Arbeit entstehenden Müdigkeit, entgegenzuwirken. Außerdem<br />
ist die Zeit dadurch subjektiv schneller vergangen. „Ich fadisiere mich unheimlich bei<br />
der Arbeit. […] Als ich die Monotonie nicht mehr aushalte, stopfe ich mir die Ohren<br />
mit Kopfhörern zu – höre Italienisch – Vokabeln.“ (T1, 1.8.07).<br />
Ablenkung von der Arbeit und Abwechslung in die Arbeit bringen, sind häufig<br />
erwähnte Strategien von ArbeiterInnen, um mit der Müdigkeit fertig zu werden, die<br />
113
hauptsächlich durch eintönige Arbeit und fehlende Möglichkeit zu Gesprächen<br />
während der Arbeit entsteht (vgl. Volmerg u.a., 1986, S. 107f.).<br />
Bei der Arbeit an einem Gruppenarbeitsplatz muss sich der Einzelne an die<br />
vorherrschende Geschwindigkeit anpassen. Dies hat in mir Stress ausgelöst: „Als ich<br />
länger bei der 2. Maschine sitze, stauen sich bei der 1. die Teile an. Fühle mich<br />
gestresst, wechsle zur 1. Maschine. Dann wieder schnell zur Anderen. Zum Glück<br />
hört Erna dann auf, neue Teile herunter zu lassen und hilft mir zuerst, die alten<br />
aufzuarbeiten.“ (T1, 1.8.07).<br />
In mir ist auch ein Gefühl von Wut entstanden, wegen der subjektiv als übertrieben<br />
erlebten Geschwindigkeit, mit der manche KollegInnen gearbeitet haben. „Nach der<br />
Pause kommt eine junge Helferin zu uns […]. Sie hat Kopfhörer auf, hört Musik und<br />
produziert in einer Geschwindigkeit und mit einer Energie, als ob es dabei um Leben<br />
oder Tod ginge. […]. Es ist für mich anstrengend, weil ich mit der Folgearbeit kaum<br />
nachkomme. Die Teile stauen sich am Tisch und ich finde das voll unangenehm. Es<br />
bringt mich in ein Stressgefühl. Am Anfang nehme ich es noch mit Humor, sage zu<br />
Erna, dass ich ihr jetzt eine ruhige, klassische Musik gebe, damit sie langsamer<br />
arbeitet. Dann bin ich schon eher wütend, weil sie nicht damit aufhört, im<br />
Eilzugstempo zu produzieren. Denke mir, dass es schade um die Energie ist, die sie<br />
durch übersteigertes Arbeitstempo verschwendet. Finde es unbedacht von ihr, dass<br />
sie so viel macht – die Akkordstückzahl könnte dadurch in der Folge erhöht werden<br />
und alle anderen müssten in Zukunft auch noch schneller arbeiten. Ärgere mich<br />
auch, weil sie so voll Energie geladen wirkt und ich körperlich und geistig schon völlig<br />
erschöpft bin. Freue mich, als sie dann kurz eine Rauchpause macht – hat für diese<br />
vorgearbeitet. Dann geht der Schnellzug weiter. Irgendwann nach dem 2000sten<br />
genieteten Teil (1600 sind nötig!) kann ich meine Verärgerung nicht mehr<br />
zurückhalten und sage zu Erna, dass wir jetzt doch schon wirklich genug produziert<br />
hätten, und damit aufhören sollten. Sie meint, dass das gut sei – als Vorrat für<br />
morgen“ […]. (T1, 8.8.07).<br />
In weiterer Folge habe ich dann an einem Einzelarbeitsplatz, neben einer anderen<br />
Ferialarbeiterin gearbeitet. Dieselbe Kollegin, die beim Gruppenarbeitsplatz geholfen<br />
und mit einer enormen Geschwindigkeit produziert hatte, hat mich und eine andere<br />
114
Ferialarbeiterin später einmal am Einzelarbeitsplatz beobachtet. Wir haben gerade<br />
gescherzt und gelacht, als die Kollegin zu unserem Arbeitsplatz gekommen, und<br />
unseren Stückzahl – stand kontrolliert hat.<br />
„Plötzlich kommt eine andere Arbeiterin […] und schaut auf Silvias Anzeige bei der<br />
Maschine. Ich halte meinen Zählstand verdeckt und sie meint: „das würde ich auch<br />
verstecken an deiner Stelle!“ Wir sind schockiert, empfinden ihr Verhalten als dreist<br />
und frech. Silvia meint, dass die andere jetzt bei ihr erreicht hätte, dass sie schneller<br />
arbeitet. Wir reden über mögliche, schlagfertige Antworten, die uns in dem Moment<br />
leider nicht eingefallen sind.“ (T1, 24.8.07).<br />
Die ArbeiterInnen werden nicht nur durch die vorgegebenen Akkordzahlen zu<br />
schnellerem Arbeiten getrieben, sondern treiben sich auch gegenseitig an. Die Kritik<br />
der Arbeitskollegin hat bei uns in der Folge, trotz Ärger zu einer Leistungssteigerung<br />
geführt, wer steht schon gerne als „faul“ da?<br />
Selbstbestätigung ist schwerer durch eine Arbeit zu erlangen, für welche keine<br />
Qualifikationen im engeren Sinn notwendig sind, und die theoretisch Jede/ Jeder<br />
ausüben kann. Das Selbstwertgefühl wird bei dieser Art von Arbeit durch die (Selbst -<br />
) Bestätigung gestärkt, eine schnelle Arbeiterin zu sein. Bezahlt wird diese<br />
Bestätigung durch Erschöpfung und körperlichen Verschleiß. Die Wut richtet sich in<br />
dem Fall gegen diejenigen, welche in dem Rennen um Geschwindigkeit nicht<br />
mitmachen (müssen). Als FerialpraktikantInnen sind wir vom Akkordsystem<br />
ausgenommen gewesen.<br />
Habe ich mich beim Gruppenarbeitsplatz über die hohe Produktionsgeschwindigkeit<br />
der Kollegin geärgert, so erweckt später unsere relative Langsamkeit bei der Arbeit<br />
ihren Unmut. Vielleicht wünscht sie sich auch mehr Gemütlichkeit bei der Arbeit,<br />
gesteht sich diesen Wunsch aber nicht ein, weil es ihrem Selbstbild, eine schnelle<br />
Arbeiterin zu sein, widersprechen würde.<br />
In diesem Fall hat sich der Konflikt mit der Kollegin nicht ähnlich einer Mobbing –<br />
Dynamik hochgeschaukelt (dafür bin ich auch nicht lange genug in der Fabrik<br />
gewesen), sondern ist durch gegenseitiges Verständnis für die Situation der jeweils<br />
115
anderen Seite aufgelöst worden: „Silvia versucht Verständnis für sie zu wecken, sie<br />
meint, eigentlich täte ihr Jeder leid, der länger hier arbeitet. Die anderen seien auch<br />
viel abhängiger von der Firma als wir Ferialer. „Wenn die nicht genug produzieren,<br />
müssen sie gehen! Wenn uns irgendein Vorgesetzter blöd anredet können wir<br />
einfach Tschüss sagen. […]. Heute geht die Kollegin bei uns vorbei (mit zwei Kaffees<br />
in der Hand) und meint, dass wir ihr eigentlich leid täten. Sie habe diese Arbeit selbst<br />
einmal zwei Wochen lang machen müssen und Jedem erzählt, dass dies der Grund<br />
für ihr Durchdrehen sei, falls sie eingeliefert werden sollte.“ (T1, 25.8.07).<br />
Eine häufig erwähnte Befürchtung im Zusammenhang mit monotoner Fabrikarbeit ist<br />
die, dass einen die Arbeit verrückt machen könnte. „Erzähle auf Gertis Frage hin,<br />
dass ich Psychologie studiere. Sie meint, dass sie dann jemanden hier hätten, der<br />
ihre Psyche betreuen könnte. Sagt zu Erna scherzhaft: „Die <strong>Ingrid</strong> kann uns<br />
psychisch betreuen!“ (T1, 1.8.07).<br />
9.1.3 Erleben des Arbeitsklimas<br />
Zu den Vorgesetzten habe ich, außer am Einschulungstag, während meiner Zeit in<br />
der Firma keinen Kontakt gehabt. Die Arbeit ist mir von Kolleginnen gezeigt worden.<br />
Das Arbeitsklima habe ich in dieser Fabrik an den Plätzen, wo ich gearbeitet habe,<br />
als positiv erlebt. Ein gutes Arbeitsklima setzt sich im subjektiven Erleben konkret<br />
aus verschiedenen Merkmalen zusammen: Gespräche, gemeinsame Rituale (z.B.<br />
Kaffeepausen), gegenseitige Hilfsbereitschaft (z.B. Bereitschaft zum<br />
Arbeitsplatztausch), Akzeptanz von Andersartigkeit (z.B. AusländerInnen). (vgl. T1,<br />
12.8.07).<br />
Dadurch, dass das Arbeitsklima beim Gruppenarbeitsplatz sehr gut gewesen ist,<br />
konnte ein Arbeitsplatzwechsel mühelos durchgeführt werden und stellte trotz der<br />
Ähnlichkeit der Arbeiten eine Erleichterung dar. „Erna bittet mich um einen<br />
Arbeitsplatztausch, da sie schon Kreuzschmerzen habe. Tausche später auch einmal<br />
mit der Ferialarbeiterin Jenny, sie meint, sonst bliebe ihr Hirn stehen, wenn sie immer<br />
das Gleiche macht.“ (T1, 12.8.07).<br />
Am Einzelarbeitsplatz ist die Unterhaltung mit meiner Kollegin für mich eine wichtige<br />
Ressource gewesen und hat die monotone Arbeit für uns beide erleichtert. Als ich in<br />
116
der Nachtschicht erschöpft und müde gewesen bin, hat mich meine Kollegin<br />
unterstützt. „Ich jammere meiner Kollegin etwas vor. Sie versucht das Ganze positiv<br />
zu sehen. Ich: „Noch 5 Stunden, ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll!“ Sie: „ Nur<br />
mehr eine Stunde bis zur Pause!“ Ich trinke einen energy drink, um mich<br />
aufzuwecken. Fühle mich kurz wacher […]. Nach der Pause erscheint mir mein<br />
Kampf gegen die Müdigkeit noch schlimmer. […]. Silvia gibt mir einen scharfen<br />
Kaugummi, weil sie meint, dass dies einen aufwecken würde.“ (T1,15.8.07).<br />
9.1.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen<br />
- Lärm<br />
Am ersten Arbeitstag habe ich den Lärm als ungewohnt und unangenehm<br />
empfunden. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich mich daran gewöhnt und der<br />
Maschinenlärm ist mir nur mehr nach einem Stromausfall und damit einhergehender<br />
längerer Stille aufgefallen. „Wir genießen die ungewohnte Stille, die uns den Lärm<br />
der Maschinen bewusst werden lässt, der hier sonst herrscht. […]. Nach einer halben<br />
Stunde schaltet sich das Licht wieder ein. Zur gleichen Zeit stoßen ich und Erna<br />
spontan Unlustlaute aus […]“. (T1, 11.8.07).<br />
- körperliche Belastungen und Monotonie<br />
Für mich waren die vorrangigen Arbeitsbelastungen bei der Arbeit in dieser Fabrik: -<br />
körperliche Beschwerden (in erster Linie durch die einseitigen Bewegungen), - das<br />
Ankämpfen gegen die, durch monotone Arbeit oder Nachtschicht entstehende<br />
Müdigkeit, und – das Gefühl der Sinnlosigkeit und des Zeitverlustes im<br />
Zusammenhang mit der Arbeit.<br />
Sowohl bei der ersten Arbeit am Gruppenarbeitsplatz, als auch bei der späteren<br />
Tätigkeit am Einzelarbeitsplatz habe ich die meisten Beschwerden im Rücken und in<br />
den Händen gespürt: Fühle, wie mein Rücken schmerzt und meine Hände sich<br />
geschwollen und müde anfühlen. […]. (T1, 1.8.07). Meine Finger fühlen sich<br />
geschwollen an, von der Fingerspitzenarbeit. Arbeite mit beiden Händen gleichzeitig,<br />
weil ich so schneller bin. Mir tut der Rücken weh vom langen Sitzen. (T1, 14.8.07).<br />
117
Durch die monotone Arbeit habe ich mich oft sehr müde gefühlt, durch das, für mich<br />
ungewohnte Arbeiten während der Nacht, ist der Kampf gegen die Müdigkeit noch<br />
verstärkt worden. Die ArbeiterInnen haben verschiedene Strategien angewandt, um<br />
während der Arbeit wach zu bleiben, unter Anderem Gespräche, soweit dies möglich<br />
gewesen ist. „Erna teilt Traubenzucker aus, für neue Energie und damit wir wach<br />
bleiben, weil wir heute länger arbeiten müssen. Sie sagt, dass sie bei der<br />
Nachtschicht immer solchen dabei hätten.“ (T1, 7.8.07).<br />
Meine persönliche Strategie, um wach zu bleiben, bestand im Gebrauch von<br />
(legalen) Aufputschmitteln und dem Hören von schneller Musik. „Halte mich mit<br />
schwungvoller elektronischer Musik am Laufen. […]. Bin den ganzen Tag über eher<br />
schweigsam und damit beschäftigt, wach zu bleiben.“ (T1, 9.8.07). In der<br />
Nachtschicht, als der Kampf gegen die Müdigkeit unerträglich erscheint, beende ich<br />
in der Phantasie die Arbeit und lasse meiner Wut in der Vorstellung freien Lauf.<br />
Dieses Erleben, welches durch Gefühle von Ärger, Unlust und Unruhe<br />
gekennzeichnet ist entspricht dem Zustandsbild der psychischen Sättigung (vgl. z.B.<br />
Richter/Hacker, 1998, S. 69). Steinhardt spricht von „intermittierenden Szenarien“,<br />
wenn angestaute Wut tatsächlich am Produkt ausgelassen wird oder die KollegInnen<br />
negative Emotionen abbekommen. Ziel solcher Aktionen sei es, sich selbst<br />
(kurzfristig) wieder als handlungsfähiges Individuum wahrzunehmen (vgl. Steinhardt,<br />
1991, S. 155ff.).<br />
„Ich würde mich am liebsten in eine der großen, leerstehenden Metallkisten legen.<br />
Ob es Jemandem auffallen würde? Traue mich dann doch nicht. Möchte schon<br />
unbedingt nach Hause ins Bett. Bin dann kurz wütend, weil ich einfach nicht mehr<br />
mag. Stelle mir vor, wie ich die Teile von mir schleudere“ (T1, 14.8.07).<br />
9.1.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und<br />
Bewältigungsstrategien<br />
Die Beziehung zu den Kolleginnen hat für mich sowohl am Gruppenarbeitsplatz als<br />
auch beim Einzelarbeitsplatz, neben einer anderen Ferialarbeiterin, den<br />
vorrangigen, positiven Aspekt dargestellt. Gespräche haben die Arbeitszeit subjektiv<br />
schneller vergehen lassen und die Arbeit an sich angenehmer gestaltet. Es haben<br />
sich an beiden Arbeitsplätzen gemeinsame Rituale herausgebildet, welche unter<br />
Anderem dazu beigetragen haben, die Zeit zu strukturieren. Steinhardt bezeichnet<br />
118
ein gutes Arbeitsklima als sekundären Zugewinn, die Struktur der Arbeitssituation<br />
selbst würde dadurch nicht verändert. Ein positives Arbeitsklima könne aber andere<br />
Nachteile der Arbeit ausgleichen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 160f.).<br />
„Ich werde wie jeden Tag bisher um ca. 16.00 und 20.00 auf Kaffee und<br />
selbstgemachten Kuchen eingeladen.“ (T1, 5.8.07). „Ein Ritual, das sich<br />
herausgebildet hat, zur Zeitstrukturierung und zum Zeitvertreib, sieht so aus: Bis zur<br />
„großen“ Pause immer wieder Phasen der Unterhaltung, nachdem ich 200 Stück<br />
„produziert“ habe, belohne ich mich und meine Kollegin mit einem Eiskaffee. Ist eine<br />
Art Selbstmotivation. Damit die Zeit schneller vergeht. Nach der Pause verzieht sich<br />
Jede in ihre individuelle Musikwelt.“ (T1, 22.8.07).<br />
Gegen – Welten zur Fabrik dienen den ArbeiterInnen dazu, Kraft für die<br />
anstrengende Arbeit zu sammeln. Für manche ist es das Wochenend – Haus, für<br />
Andere einfach Zeit in der Natur:<br />
„Erfahre, dass Gerti schon seit 11 Jahren hier arbeitet […]. Wundere mich, wie sie es<br />
so lange mit dieser Arbeit ausgehalten hat und warum sie noch immer so fröhlich und<br />
gut gelaunt wirkt. Sie erzählt, dass sie zum Ausgleich viel Rad fährt – lange Strecken<br />
– und dort die Natur genießt. Sie ist auch 45 Minuten zu Fuß zur Arbeit gekommen<br />
und freut sich schon auf das Heimgehen – Dabei könne sie wunderbar Stress<br />
abbauen.“ (T1, 1.8.07). Die Energie meiner (älteren) Kollegin hat mich verwundert<br />
und ich habe sie zugleich bewundert, da ich mich selbst nach der Arbeit ausgelaugt<br />
gefühlt habe und keine Kraft mehr für aktive Freizeitgestaltung wie Sport gehabt<br />
hätte.<br />
Bei der Arbeit in dieser Fabrik ist im Vergleich zur Arbeit am Fließband (welche ich<br />
vor meinem Studium gemacht habe) mehr Freiheitsspielraum möglich gewesen.<br />
„Signal für Pausen – Aus ertönt. Gerti sagt, dass sie jetzt noch schnell auf die Toilette<br />
gehen würde – Erna auch. Ich sage, dass ich das beim nächsten Mal auch<br />
außerhalb der Pausenzeit machen würde – die Pause wäre ohnehin so kurz. Wir<br />
scherzen und sind uns darüber einig, dass die Pause zu schade zum Klo – gehen<br />
ist.“ (T1, 1.8.07).<br />
119
Ein optimaler Grad an geistiger Ablenkung von der Arbeit ist notwendig, um<br />
einerseits monotone, kurzfrequente Arbeit besser auszuhalten und andererseits mit<br />
der Aufmerksamkeit gerade noch so viel bei der Arbeit zu bleiben, dass sie fehlerfrei<br />
gemacht werden kann. „Die neuen Lieder wecken mein Interesse und halten meine<br />
Aufmerksamkeit, wodurch die Zeit schneller vergeht. Ich schaffe es einfach nicht, mit<br />
allen Sinnen voll bei der Arbeit zu bleiben, fliehe in die Musik, um das auszuhalten.<br />
Meine Kollegin macht das Selbe. […]. Wir sehen beide immer wieder auf die Uhr. Für<br />
mich vergeht die Zeit heute subjektiv schnell, weil ich voll bei der Musik, und nicht bei<br />
der Arbeit bin.“ (T1, 17.8.07).<br />
Als Bewältigung der spezifischen Belastung durch Nachtschicht habe ich einerseits<br />
Aufputschmittel wie Energy Drinks und Kaffee konsumiert und andererseits versucht,<br />
mich mit flotter Musik wach zu halten. Viele Arbeitskolleginnen haben vor<br />
Arbeitsbeginn geraucht und Kaffee getrunken.<br />
9.1.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit<br />
Anfangs bestand für mich der Sinn in der Arbeit neben dem Verdienst darin,<br />
Erfahrungen zu sammeln. Die monotone Arbeit selbst habe ich als sinnlos erlebt. Als<br />
Reaktion auf dieses Gefühl der Sinnlosigkeit und Zeitverschwendung durch die<br />
Arbeit, habe ich damit begonnen, während der Arbeit Italienisch – Vokabeln und<br />
Musik zu hören, auch um der Müdigkeit entgegenzuwirken. „Höre Italienisch –<br />
Vokabeln. Jedes Wort wird von einer monotonen Männerstimme 2mal wiederholt. Im<br />
Hintergrund läuft dabei gleichbleibende Musik. Die 3. Arbeitskollegin hat sich auch<br />
die Ohren zugestöpselt. Jetzt habe ich das Gefühl, meine Zeit mit dem Lernen<br />
sinnvoll zu nutzen.“ (T1, 1.8.07).<br />
Viele KollegInnen waren, im Gegensatz zu mir, bei der mir wenig sinnvoll<br />
erscheinenden Arbeit, sehr gewissenhaft und bemüht. „Gerti fällt bei der<br />
Schichtübernahme auf, dass die von der vorherigen Schicht alles bloß unter den<br />
Tisch gekehrt haben, das mag sie nicht. Wir kehren zusammen auf. Einmal fordert<br />
sie mich auf, die Teile schöner zu schlichten […]. Ich bin da weniger gewissenhaft<br />
und ordentlich. Da ist ein gewisses Wurstigkeitsgefühl in mir.“ (T1, 2.8.07). Erna stellt<br />
fest, dass Teile bei Winkeln teilweise herunterfallen bzw. leicht heruntergehen, sie<br />
holt fachlichen Rat – warten lange, bis Jemand kommt. Lassen den Arbeitsschritt an<br />
120
der betreffenden Maschine inzwischen aus. Finde Ernas Sorgen um die Qualität der<br />
Teile sehr gewissenhaft. Mir ist das mehr oder weniger egal.“ (T1, 10.8.07).<br />
Volmerg u.a. meinen, dass die Arbeiterinnen durch Haltungen wie Verantwortung<br />
und Mitdenken der zerteilten Arbeit einen Sinn geben. Dadurch würden die<br />
Arbeiterinnen auch ihren Selbstwert stärken und der „Kränkung, zum bloßen<br />
Maschinenteil gemacht zu werden“ entgegenwirken. „Mitdenken, Voraussicht und<br />
Umsicht sind Tugenden, die in die Arbeit eingebracht werden, um sich in ihr als<br />
lebendiges Wesen erfahren zu können“. (Volmerg u.a., 1986, S. 110).<br />
Eine gewisse Identifikation mit der Arbeit ist eine Zusatzleistung der Arbeiterinnen,<br />
die sie trotz der wenig sinnstiftenden Eigenschaften der Produktionsarbeit<br />
aufbringen. Im Interview spricht Herr E davon, dass ihm diese Identifikation erst nach<br />
jahrelanger Fabrikzugehörigkeit gelungen ist. Führt die erzwungene Flexibilität, der<br />
LeiharbeiterInnen heute ausgesetzt sind, zu einer Erschwerung der Identifikation mit<br />
der ohnehin wenig sinnstiftenden Arbeit?<br />
9.1.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit<br />
Vor allem während der Nachtschicht habe ich einen Freizeitmangel empfunden, da<br />
durch die ungewohnte Arbeitszeit für mich viel Zeit für Regeneration nötig gewesen<br />
ist. Diese Art von Arbeit verlangt keine Vorbereitungszeit zu Hause, es ist auch nicht<br />
notwendig sich für die Arbeit weiterzubilden. Dafür ist nach der Arbeit durch<br />
körperliche Erschöpfung eine gewisse Regenerationszeit notwendig, wobei für das<br />
Ausmaß der Erholungszeit individuelle Faktoren und z.B. auch die Gewöhnung an<br />
die Arbeit eine Rolle spielen. Ich habe nach der Arbeit kaum noch Energie für aktive<br />
Freizeitgestaltung übrig gehabt.<br />
9.2 Firma B<br />
9.2.1 Zugang zum Forschungsfeld, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der<br />
zwei Betriebe<br />
Ich habe mich beim AMS um eine Stelle als Produktionsarbeiterin beworben.<br />
Ungefähr zwei Monate später bekomme ich einen Anruf von einer Leihfirma, diese<br />
hat meine Daten vom AMS. Das Homogenitätskriterium mit dem ersten Betrieb war<br />
die Art der Arbeit, welche ich verrichtet habe. Es war Produktionsarbeit für<br />
121
Ungelernte, die durch einen hohen Grad an Wiederholbarkeit und Monotonie sowie<br />
kurzfrequente Arbeitsschritte gekennzeichnet war. Es handelte sich dabei um einen<br />
Einzelarbeitsplatz hinter einer Maschine. Außerdem zählte dieser Betrieb, wie auch<br />
die erste Firma zum Bereich der metallverarbeitenden Betriebe. Im Unterschied zum<br />
erstgenannten, hat es in diesem Betrieb (noch) keine Akkordarbeit und auch keine<br />
Schichtarbeit gegeben. Gearbeitet wurde (im alten Firmengebäude) montags bis<br />
Donnerstags von 7.00 bis 16.00, freitags kürzer. Es hat während meiner Zeit dort ein<br />
Firmenumzug stattgefunden. Im neuen Gebäude haben sich Arbeitsbeginn- und<br />
ende etwas nach vorne verschoben, um bei der Heimfahrt die beste Zugverbindung<br />
zu haben. Im Vergleich zur ersten Firma, wo es zwei zehnminütige Pausen gegeben<br />
hat, hatten wir in diesem Betrieb eine Mittagspause von einer halben Stunde.<br />
Es handelte sich bei meiner neuen Arbeitsstelle um einen Kleinbetrieb mit weniger<br />
als 30 Mitarbeiterinnen. Produziert wurden dort Teile für Maschinen und Fahrzeuge,<br />
welche an andere Firmen verschickt worden sind. Die folgenden Erfahrungen<br />
beziehen sich auf 88 Tagebucheintragungen, welche ich während meiner Zeit dort<br />
(rund ein halbes Jahr) gemacht habe. Da ich länger in diesem Betrieb gearbeitet<br />
habe, als in der ersten Firma, sind die folgenden Beschreibungen umfangreicher.<br />
9.2.2 Erleben der Arbeit<br />
- Arbeiten über eine Leihfirma<br />
Ich habe mich nicht aktiv bei der konkreten Leihfirma beworben, diese hat meine<br />
Daten vom AMS bekommen und mich daraufhin kontaktiert. Mir wird eine Stelle als<br />
Produktionsarbeiterin in einem metallverarbeitenden Betrieb angeboten, die Chefin<br />
der Leihfirma wusste nicht, was in dem Betrieb, in welchem ich arbeiten sollte<br />
produziert wird. Da ich bereits am nächsten Tag dort erscheinen sollte, hatte ich<br />
selbst keine Zeit mehr, Etwas über die Firma, in der ich arbeiten würde<br />
herauszufinden.<br />
Ich habe es als peinlich empfunden, dem Meister, welcher mich einschulen sollte, auf<br />
seine Frage hin, was ich über die Firma wüsste, Nichts antworten zu können. Nach<br />
einer zweitägigen Einarbeitungszeit ist ein Mitarbeiter von der Leihfirma gekommen<br />
und hat mir den Arbeitsvertrag zum Unterschreiben gegeben.<br />
122
Das Arbeiten über die Leihfirma habe ich als ein „Nicht wissen, wo man dazugehört“<br />
empfunden. Einerseits war ich bei diesem Personalvermittlungsbüro als zu<br />
vermietende Arbeiterin gemeldet und habe von diesem Betrieb meinen Lohn<br />
bekommen, andererseits habe ich die konkrete Arbeit für die Firma gemacht, welche<br />
mich „gemietet“ hat und die Vorgesetzten dieser Firma waren meine direkten<br />
Ansprechpersonen, deren Anweisungen ich zu befolgen hatte. Die Chefin von der<br />
Leihfirma, meine „eigentliche Chefin“ habe ich nie gesehen.<br />
Die folgende Szene ist ein Beispiel für den Versuch, die Unpersönlichkeit des<br />
Verhältnisses zwischen Vorgesetzten der Leihfirma und den dort gemeldeten<br />
ArbeiterInnen zu durchbrechen: „Rufe bei der Leihfirma zurück – kenne die Chefin<br />
nur von einer Visitenkarte. Sie sagt, dass sie mir nur zum Geburtstag gratulieren<br />
wollte (freut mich) und fragt, ob in der Firma Alles in Ordnung sei.“ (T2 5.3.08).<br />
Als Leiharbeiterin ist man in der Betriebshierarchie eher unten angesiedelt, und<br />
gehört irgendwie nicht richtig dazu, was von den Kolleginnen, die fix in der Firma<br />
arbeiten oft betont wird, vor allem in Konfliktsituationen: „Fühle mich genervt von<br />
Kollegin Hannah, da sie mindestens zehnmal wegen Kleinigkeiten zu mir kommt und<br />
mich ausbessert: „wir machen das so!“ […]. Fühle mich ausgeschlossen. Die Neue<br />
gegen „uns Experten“. […]. Frage Hannah, wie lange sie schon hier arbeiten würde.<br />
[…]. Sie meint, sie sei aber fix hier, arbeite nicht für eine Leihfirma wie ich. (T2<br />
21.11.07). Rede mit Kollegin über Mobbing – sie fühlt sich u.a. von Ute gemobbt;<br />
diese habe ihr auch schon damit gedroht, zum Chef zu gehen. Sie hat Ute daraufhin<br />
gefragt, ob sie glauben würde, dass sie keine Rechte hat, nur weil sie von der<br />
Leihfirma ist. – Leiharbeiter stehen in der Hierarchie der Arbeiterinnen weit unten.“<br />
(T2, 22.4.08).<br />
- Die Arbeitstätigkeit<br />
Meine primäre Arbeitsaufgabe bestand darin, mittels Knopfdruck bei einer<br />
„Stanzmaschine“, mit Hilfe unterschiedlicher Vorlagen (Werkzeugen) Teile aus<br />
verschiedenen Materialien „auszustechen“. Für diese Arbeit, die von Frauen<br />
ausgeübt wird, sind keine Qualifikationen im Sinne einer Ausbildung notwendig. Sehr<br />
wohl werden bestimmte Fähigkeiten verlangt wie: Geschwindigkeit, Resistenz<br />
gegenüber Monotonie, Belastbarkeit etc. Die gestanzten Teile werden nach dem<br />
123
Stanzen von Materialresten befreit, gestapelt und zusammengebunden oder<br />
verpackt. Beim ersten Arbeitsschritt, dem Stanzen der Teile, bin ich hinter der<br />
Maschine gestanden, beim Verpacken bzw. Zusammenbinden konnte man sitzen.<br />
- Vorteile der konkreten Arbeit aus der Vergleichsperspektive<br />
Becker – Schmidt hat darauf hingewiesen, dass die Bewertung der konkreten<br />
Arbeitstätigkeit von dem Vergleichsstandpunkt abhängt, den eine Person einnimmt,<br />
so kommt es z.B. zu Auf- und Abwertungen der Fabrikarbeit, wenn diese mit der<br />
Hausarbeit verglichen wird. (vgl. Becker – Schmidt, 1982). Aus der<br />
Vergleichsperspektive zu meiner vorherigen Arbeit als Leiterin einer Kindergruppe<br />
habe ich die Arbeit anfangs als angenehm empfunden, da ich nicht denken und<br />
planen musste, sondern nur automatisch dieselben Bewegungen auszuführen hatte,<br />
und das noch dazu (zu Beginn) ohne Zeitdruck. „Es gibt auch Vorteile der Arbeit hier:<br />
- weniger psychischer Stress, weniger Denken müssen, kein Planen – müssen,<br />
wenig Verantwortung, - ich habe zu Hause keine Vorbereitung für die Arbeit; gehe<br />
raus und bin frei von der Arbeit.“ (T2, 21.11.07).<br />
Auf der Negativseite stehen tendenziell ein geringer Handlungsspielraum, geistige<br />
Unterforderung bei gleichzeitiger Überforderung hinsichtlich<br />
Produktionsgeschwindigkeit etc. Die belastenden Aspekte der Produktionsarbeit<br />
werden im Folgenden unter „Arbeitsbelastungen“ noch behandelt.<br />
- Die geistige Entlastung wird zur Belastung<br />
„Herr Max spricht von uns als Stanzerinnen. […]. Er meint: „Wir haben es hier gerne,<br />
wenn Jemand selbständig arbeitet und mitdenkt!“ Die Arbeit würde immer nach<br />
demselben Prinzip funktionieren – man würde hier geistig nicht sehr gefordert<br />
werden.“ (T2, 9.11.07).<br />
Die von ArbeiterInnen geäußerte, diffuse Angst, bei der Arbeit zu verblöden erhält<br />
ihre Berechtigung im Zusammenhang mit Erkenntnissen von Hirnforschern. Gerald<br />
Hüther verweist darauf, dass das Gehirn noch im Erwachsenenalter „strukturell<br />
formbar“ sei. (vgl. Hüther, 2010, S. 11).<br />
124
„Wenn nun aber die Struktur und damit auch die Funktion unseres Gehirns ganz<br />
entscheidend davon abhängt, wie und wozu wir es benutzen und bisher benutzt<br />
haben, lautet dann nicht die entscheidende Frage, wie und wozu wir es benutzen<br />
sollten, damit die in unserem Gehirn angelegten Möglichkeiten auch wirklich in<br />
vollem Umfang entfaltet werden können?“ (Hüther 2010, S. 17).<br />
Ich habe der, durch die geistige Unterforderung entstehenden Langeweile, durch das<br />
Lernen von Italienisch – Vokabel während dem Arbeiten entgegenzuwirken versucht.<br />
Durch das Gefühl, die Zeit damit sinnvoll nutzen zu können, ist die Arbeitszeit<br />
subjektiv schneller vergangen.<br />
- Die Forderung nach Geschwindigkeit<br />
Die entspannende Seite der Arbeit rückt in den Hintergrund, wenn die Forderung<br />
nach Geschwindigkeit hinzukommt: „Ich zeige Hr. Max wie schön ich die Ware<br />
verpackt habe. Er meint, es ginge auch darum schnell zu sein, der Kunde will seine<br />
Ware und das wäre hier ja keine Beschäftigungstherapie! […]. Herr Max meint, dass<br />
ich noch viel Schweiß hier lassen werde, bis die Geschwindigkeit passt. […] ich solle<br />
den beiden KollegInnen einmal zuschauen.“ (T2, 22.11.07).<br />
Der Vergleich der Arbeit mit einer „Beschäftigungstherapie“ beschreibt deren<br />
Charakter als geistige Unterforderung. Viele Kolleginnen, welche schon jahrelang in<br />
der Fabrik gearbeitet hatten, haben mit einer beachtlichen Geschwindigkeit gestanzt,<br />
und das ohne Akkordvorgaben. Ist die Forderung nach Mehrwertproduktion von der<br />
Marx gesprochen hat, schon so weit verinnerlicht worden, dass es dem Einzelnen<br />
(mit Ausnahmen) als Selbstverständlichkeit gilt, in kurzer Zeit möglichst viel zu<br />
produzieren, obwohl hier die Arbeitsgeschwindigkeit nicht durch den Takt der<br />
Maschine oder Akkordzahlen vorgegeben worden ist?<br />
„Herr Max meint, dass ich gerade soviel produzieren würde, dass es sich mit meinem<br />
Lohn ausginge. […]. Wenn der Chef von dem, was ich gemacht habe, die Firma<br />
erhalten müsste, würde es schlecht ausschauen.“ (T2, 26.02.08).<br />
Es hat in dieser Firma zwar (noch) kein Akkordsystem gegeben, dafür stetige<br />
persönliche Aufforderungen von Seiten der Vorgesetzten und Mitarbeiter, schneller<br />
125
zu arbeiten. Vom Meister waren diese Forderungen nach Geschwindigkeit bei der<br />
Arbeit mir gegenüber meistens humorvoll formuliert, nicht so von den Kolleginnen,<br />
von denen einige nach anfänglichem Verständnis für meine „Anfänger -<br />
Langsamkeit“ verbal Druck gemacht haben. Will man Konflikte vermeiden kann das<br />
leicht zu einer Art „Selbstausbeutung“ führen, wie folgende Passagen zeigen:<br />
„Bemühe mich um Geschwindigkeit, damit Kolleginnen mich in Ruhe lassen. Denke<br />
die ganze Zeit darüber nach, wann der beste Zeitpunkt für die Kündigung ist.“ (T2,<br />
18.04.08); „Die Maschine von Frau Steffi ist kaputt, sie steht viel herum und tut<br />
wenig (Recht hat sie!) Ich hingegen arbeite schnell und räume immer gleich auf um<br />
1) mir selbst zu beweisen, dass ich es kann und 2) die Kolleginnen von mir<br />
fernzuhalten.“ (T2, 22.04.08).<br />
Obwohl ich die Aufforderung, schneller zu arbeiten von Seiten der Kolleginnen und<br />
teilweise Vorgesetzten als unangenehm empfunden habe, bleibt noch Raum für<br />
Diskussionen und Verharren bei der eigenen Geschwindigkeit, was nicht mehr<br />
möglich ist, wenn das Tempo maschinell erzwungen wird, wie dies z.B. am Fließband<br />
der Fall ist oder durch bestehende Akkordvorgaben die Höhe des Lohnes und die<br />
Sicherheit der Arbeitsstelle von der Produktionsgeschwindigkeit abhängen.<br />
Herr Max kommt noch öfters vorbei und meint: „hopp, hopp! Jetzt sind’s noch immer<br />
nicht fertig!“ Ich nehme es gelassen und lasse mich nicht von ihm hetzen. Es wäre<br />
etwas Anderes, wenn eine Maschine rücksichtslos den Takt vorgeben würde, wie am<br />
Band, da könnte ich dann meine Wut wegen dem aufgezwungenen Tempo nur<br />
gegen die Maschine oder gegen mich selbst richten. Sie hätte kein Verständnis<br />
dafür, wenn ich einmal Bauchschmerzen habe […]. (T2 28.01.08).<br />
Der Konflikt zwischen der Forderung nach schnellem Arbeiten einerseits und dem<br />
Wunsch, sich nicht übermäßig zu verausgaben, ist in der Auseinandersetzung mit<br />
dem Meister oft durch Humor aufgelöst worden: „Herr Max meint, dass das schneller<br />
gehen müsste. Sage, dass Frau Steffi natürlich schneller ist als ich. Er meint, dass<br />
dies keine Leistung sei, und er auch so schnell arbeiten könnte, wenn er das ein Jahr<br />
machen würde. Ich entgegne, dass es aber eine Leistung ist, diese Arbeit ein Jahr<br />
lang zu machen! (T2 25.02.08). Hr. Max meint, dass ich beim Ausputzen die Hosen<br />
126
verlieren würde. (Spruch dafür, wenn Etwas sehr langsam geht). Er meint, dass die<br />
Kollegin es anders machen würde – mit Fingern – ich mache es mit Eisenstäbchen.<br />
Fordere ihn zu Wettrennen auf – bin doppelt so schnell wie er, er sagt Nichts mehr.<br />
(T2 11.3.08).<br />
Aufgrund fehlender Akkord – Vorgaben haben sich ArbeiterInnen und Vorgesetzte<br />
subjektive Definitionen von einem „akzeptablem Maß an Arbeit“ kreiert: „Herr Max<br />
meint: „Wenn sie am Abend so müde sind, dass sie nicht mehr mit ihrem Freund<br />
reden können, wissen sie, dass sie genug getan haben!“ (T2 24.1.08). Herr Max<br />
kommt zu mir, sagt, dass er mich jetzt einmal ein wenig antreiben müsse (in<br />
scherzendem Ton). Fragt, wie viel ich schon gemacht habe – 200 Teile – meint, die<br />
Kollegin habe schon das Doppelte gemacht, in der gleichen Zeit. […]. Herr Max<br />
meint, dass mir nicht kalt sein dürfe, denn dann wäre ich zu langsam. Solange ich<br />
auf Betriebstemperatur wäre würde es passen“ (T2 21.11.07).<br />
- funktionieren müssen<br />
Ich bin in der 2. Arbeitswoche krank geworden (drei Tage Krankenstand) und habe<br />
erlebt, dass Krankenstand in dieser Firma äußerst unbeliebt war und mit großer<br />
Skepsis betrachtet worden ist. Eine Arbeiterin hat erzählt, dass sie nach 7 Jahren<br />
das erste Mal in Krankenstand gegangen ist und Viele sind trotz starker Verkühlung<br />
in die Arbeit gekommen. Andererseits ist Krankenstand auch als Möglichkeit bekannt<br />
und von manchen dafür genutzt worden, sich eine Auszeit von der auslaugenden<br />
Arbeit zu gönnen. „Bei „meiner“ Maschine steht eine andere Kollegin, Herr Max meint<br />
(verärgert wirkend), dass er geglaubt hätte, ich komme nicht mehr, dass ich schon<br />
wieder so eine wäre. Auch der Chef kommt zu mir und fragt, was ich gehabt hätte. Er<br />
meint, dass sie mich kündigen würden, wenn ich das wo anders machen würde im<br />
Probemonat […].“ (T2, 19.11.07).<br />
Bei einer Arbeitssituation, wo der Einzelne leicht austauschbar ist (Arbeit für<br />
Ungelernte; Leiharbeit), kann häufiges Fehlen (auch aufgrund von echter Krankheit)<br />
zum Verlust des Arbeitsplatzes führen: „Der Neue kommt um 7.00 (15 Minuten<br />
später) im Jogginganzug – wundere mich, frage Hr. Max, ob er jetzt glücklich sei. Er<br />
meint: „Ich glaube, der Kollege will mir was sagen, der geht wieder heim –<br />
Krankenstand = Kündigung. Das können nur sie sich erlauben! […]. Er erinnert mich<br />
127
(vorwurfsvoll) daran, dass ich in der 2. Woche in Krankenstand gegangen bin […].<br />
(T2, 21.01.08).<br />
Dadurch, dass Krankenstand in einer Lebenswelt sozial geächtet wird, neigt man<br />
vielleicht eher dazu, auch dann noch weiterzuarbeiten, wenn man sich krank fühlt.<br />
Ich wollte es nicht riskieren, durch einen zweiten Krankenstand, die Arbeitsstelle zu<br />
verlieren, da ich einerseits noch keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung<br />
gehabt hätte und andererseits noch Erfahrungen für meine Diplomarbeit sammeln<br />
wollte. „Fühle mich am Montag nach der Arbeit krank […]. Wache um 4.00 auf –<br />
messe Temperatur – 38,3 Grad. Entscheide mich aus Trotz, Stolz, Protest etc. dazu,<br />
trotzdem zur Arbeit zu erscheinen und dann wieder heim zu gehen (wegen Reaktion<br />
auf meinen letzten Krankenstand) – Druck hat anscheinend funktioniert. (T2, 4.2.08).<br />
Herr Max kommt, sagt „Guten Morgen!“ sieht mich an, meint: „oh je, da geh ich gleich<br />
zur Nächsten weiter. Geht’s ihnen besser?“ Sage ihm, dass ich, glaube ich, besser<br />
wieder heim gehen sollte. Er meint: „Sie können mich jetzt nicht in Stich lassen. Ich<br />
habe Niemanden, der das stanzt!“ Arbeite weiter – im Sitzen. Hannah fragt, ob es mir<br />
nicht gut geht, soll heim gehen, er meint, ob ich andere Arbeit im sitzen machen<br />
könnte – schimpft, dass das hier das reinste Lazarett sei. Ich warte, er kommt nicht,<br />
gehe zu ihm. Er fragt, ob ich heimgehen wolle, stimme zu.“ (T2, 5.2.08).<br />
- Gewöhnung an die Arbeit?<br />
Anfangs habe ich kleinere Aufträge mit weniger als 1000 Stück bekommen, im<br />
Prinzip bleiben die Arbeitsschritte gleich, das Material und die Art, wie die Teile<br />
verpackt werden, ändert sich je nach Auftrag. Das bringt eine minimale Abwechslung<br />
in das gleichförmige Tun. Smith hat in seinem Werk „Der Wohlstand der Nationen“<br />
1776 darauf hingewiesen, dass Routine (bei der Arbeit) den Geist abstumpfen<br />
würde: „An einem bestimmten Punkt wird die Routine selbstzerstörerisch, weil die<br />
Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Handlungen verlieren; der Verlust der<br />
Kontrolle über die Arbeit bedeutet, geistig abzusterben.“ (Sennett 2006 , S. 45).<br />
„Mache Teile von gestern fertig. 1000 Stück. Hr. Max fragt mich danach, was ich<br />
machen will, kleineren Auftrag oder was Größeres. Er sagt, dass er mir so einen<br />
großen Auftrag – 5000 Stück noch nicht geben kann, das müsse Jemand machen,<br />
der schon mehr abgestumpft sei, z.B. Frau Elke möge es, wenn sie eine Woche<br />
128
vorher schon weiß, was sie nächste Woche macht, andere wechseln die Arbeit<br />
wieder lieber alle 2 Stunden, das hänge von der Person ab. […]. Er meint, dass ich<br />
diese hohe Stückzahl nervlich noch nicht durchhalten würde“ (T2, 20.11.07).<br />
- darauf warten, dass die Zeit vergeht<br />
„Gehe mit Ines zur Firma. Sie meint: „hoffentlich vergeht die Zeit heute schnell!“ (T2,<br />
9.1.08).<br />
Ich habe während der Arbeitszeit immer wieder auf die Uhr gesehen, die Zeit scheint<br />
sich durch die kurzfrequente, monotone Art der Arbeit subjektiv oft unerträglich<br />
auszudehnen. Die Pause war der erste Höhepunkt, auf den ich hingearbeitet habe,<br />
dann das Heimgehen. Eine Kollegin, Raucherin, hat sich dadurch motiviert, dass sie<br />
die Arbeitszeit in kleinere Brocken eingeteilt und zwischendurch kurze Rauchpausen<br />
eingelegt hat. „Ines denkt sich immer: „so, jetzt noch 2 Zigaretten, dann gehen wir<br />
heim“. (T2, 18.03.08).<br />
Das Warten ist eine häufig zu beobachtende Reaktion auf monotone, geistig<br />
unterfordernde Arbeit. Die Arbeit gilt als Mittel zum Zweck, der Wunsch nach<br />
Befriedigung und Erfüllung wird auf die Zukunft verschoben, auf die Pause, das Ende<br />
des Arbeitstages, das Wochenende, den nächsten Urlaub, die Pension. In<br />
Gesprächen kommt das unbefriedigende dieser Haltung zum Ausdruck. So hat ein<br />
älterer Kollege im Alltagsgespräch einmal gemeint, dass er hofft, dass er die Pension<br />
überhaupt noch erlebt. Ein Freund von ihm sei vor kurzem verstorben und hat die<br />
lange ersehnte Pension nicht mehr erlebt.<br />
Weber hat auf das Unrealistische in der Forderung des Kapitalismus nach Erfüllung<br />
in der Zukunft hingewiesen: „Das Aufschieben hat nie ein Ende, während die<br />
gegenwärtige Selbstverleugnung schonungslos ist; der versprochene Lohn kommt<br />
niemals.“ (Sennett, 2006, S. 138).<br />
- die Arbeit muss dich freuen<br />
„Treffe Elfi, sie erzählt, wie ungern sie derzeit zur Arbeit geht: „Mit Widerwillen!<br />
Früher (in der alten Firma) sei Alles besser gewesen; (Pause) anders halt.<br />
Gemütlicher, man ist öfters rauchen gegangen, es war abgeschlossener. Hier kommt<br />
129
man sich vor wie ein Sklave. (T2 9.1.08). Gespräch mit Elfi über ihre momentane<br />
Unlust zur Arbeit. Auch ich bin diese Woche jeden Tag nach der Arbeit schlafen<br />
gegangen. Die meisten von uns stehen jetzt früher auf. (T2 11.1.08).<br />
Arbeitsfreude sowie Identifikation mit der Arbeit werden nicht durch die konkrete<br />
Arbeit provoziert, sondern sind eine notwendige Zusatzleistung der Arbeiterinnen, um<br />
diese Art von Arbeit auszuhalten. Beim Sprechen über die fehlende Arbeitsfreude<br />
scheint bei der Kollegin ein schlechtes Gewissen darüber mitzuschwingen, dass sie<br />
es (nur derzeit?) nicht schafft, sich auf die Arbeit und bei der Arbeit zu freuen. „Treffe<br />
Elfi und Hannah vor der U – Bahn – Halle. Elfi fragt mich: „Was ist die Freude?“<br />
Sage, dass ich mich auf mein Frühstückskipferl freue. Elfi wiederholt die Frage.<br />
Erzähle vom Wochenende – sie scheint immer noch nicht zufrieden mit der Antwort –<br />
scheine die Frage nicht verstanden zu haben. Elfi: „ Wir waren auch ehrlich und<br />
haben gesagt: Nein! Sei ehrlich! Freut dich heute das Arbeiten?“ Ich: „Natürlich<br />
nicht!“ (T2, 14.1.08).<br />
Steinhardt verweist darauf, dass nicht die Arbeitssituation oder die Produkte von den<br />
Arbeiterinnen sinnstiftend erlebt werden, sondern die Gegenwelten zum<br />
Arbeitsalltag. So können ein schöner Urlaub, das Wochenendhaus etc., die Mühen<br />
des Arbeitslebens subjektiv gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. Steinhardt, 1991,<br />
S. 149).<br />
9.2.3 Erleben des Arbeitsklimas<br />
- das Arbeitsklima als Ressource und als Belastung<br />
Ich beschreibe hier unter dem Begriff „Arbeitklima“ die subjektiv erlebte Qualität der<br />
Beziehung zu den KollegInnen und Vorgesetzten. Die Beziehung zu den KollegInnen<br />
habe ich teilweise als positiv und unterstützend, teilweise als belastend erlebt, das<br />
hatte unter anderem auch damit zu tun, dass ich mich nicht ausreichend anpassen<br />
konnte, keine gute Arbeiterin im Sinne von „schnell“ gewesen bin, was das Missfallen<br />
einiger Kolleginnen ausgelöst hat. Die Stanzmaschinen waren in einer Reihe<br />
nebeneinander aufgestellt, mit soviel Abstand zwischen den einzelnen Maschinen,<br />
dass man sich wegen dem Lärm nicht unterhalten hat können, wenn man nicht<br />
seinen Arbeitsplatz verlassen hat, um seine „Nachbarin“ zu besuchen. Der Abstand<br />
war aber klein genug, um den Anderen bei der Arbeit beobachten zu können. Es gab<br />
130
ein bis zwei Kolleginnen, mit denen man sich gut verstanden und gerne unterhalten<br />
hat, und die einzelnen „Paare“ oder Kleingruppen haben sich von den Anderen<br />
abgrenzt.<br />
- Ein Nährboden für Konflikte?<br />
Es ist ein unausgesprochenes Gesetz im Betrieb, dass diejenigen, die zu langsam<br />
arbeiten, wieder gehen müssen. Das System der Leiharbeit macht es für den Chef<br />
einfach, als langsam eingestufte ArbeiterInnen gegen schnellere einzutauschen. Will<br />
Jemand seine Arbeit behalten, muss er sich als schnell und geschickt hervortun. Da<br />
kein offizielles Akkordsystem vorhanden ist, müssen andere Wege gefunden werden,<br />
um sich von „Leistungszurückhaltern“ abzugrenzen und selbst als gute Arbeiterin<br />
hervorzuheben. Andere werden beobachtet und als langsam beurteilt und das wird<br />
den Vorgesetzten kommuniziert. Die relativ leichte Ersetzbarkeit ungelernter<br />
Arbeiterinnen schafft eine Atmosphäre der Konkurrenz und Feindseligkeit.<br />
„Beim Ausstempeln (am Freitag) steht der Chef da und holt zwei Leiharbeiterinnen<br />
zu sich, er sagt, dass er im Moment keine Verwendung für sie hätte und sich wieder<br />
bei der Leihfirma melden würde, wenn er Jemanden braucht. Die zwei schauen<br />
verdutzt drein. Mira meint erstaunt: „Aha!?“ Ich finde dieses Vorgehen total arg! Er<br />
sagt das noch so locker, mit einem grinsenden Gesicht! Die Beiden haben nicht<br />
einmal mehr die Gelegenheit, sich von ihren Arbeitskolleginnen zu verabschieden.<br />
[…]. So einfach ist das. Für ihn! […]. Silvia hat gerade eine hohe Werkstattrechnung<br />
bekommen. Mira hat mir Geld für unsere neu eröffnete Kaffeegemeinschaft gegeben.<br />
Und jetzt ist sie plötzlich weg. Beide sind ca. 2 Monate hier gewesen. Ich bleibe<br />
heute verschont […]. Im Zug meint Maria, dass sie gespannt ist, wer am Montag<br />
Neues kommt. Wir sind überrascht. Maria erzählt, dass genug Aufträge sind, noch<br />
vom Februar, und dass die Beiden einfach zu langsam gewesen sind und deshalb<br />
ausgetauscht werden.“ (T2 11.04.08).<br />
Vor allem LeiharbeiterInnen fallen immer wieder aus dem, für sie „subjektiv<br />
bedeutsamen Beziehungsnetz“ (vgl. Volmerg u.a., 1986) heraus und müssen sich<br />
wiederholt an neue KollegInnen und Arbeitsbedingungen in einer anderen<br />
Arbeitsumgebung anpassen.<br />
131
Es mag bei dem System des Beobachtens und Verpetzens auch Wut auf diejenigen<br />
mitspielen, welche trotz der Gefahr einer Kündigung, nicht so schnell arbeiten und<br />
damit die eigenen unbewussten Wünsche der „schnellen ArbeiterInnen“ nach<br />
gemütlicherem Arbeiten ausleben. Da ich ohnehin nicht länger als notwendig bleiben<br />
wollte (bis ich wieder Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben würde), war die<br />
mögliche Kündigung für mich keine Motivation zum schnellerem Arbeiten (in<br />
gewissem Unfang schon das Antreiben durch die Kolleginnen und die<br />
Aufforderungen vom Meister, schneller zu werden):<br />
„Hannah meint, dass ich mittlerweile schon viel schneller arbeiten müsste, ich müsse<br />
halt schneller greifen, sie müssten auch schnell tun und könnten es sich hier nicht so<br />
bequem machen wie ich. […]. Sie droht, dass sie sich beim Chef über mich<br />
beschweren müsse – und das wolle ich doch sicher nicht! […]. Sie bittet den Meister<br />
um ein Gespräch – gleich neben mir beschwert sie sich über meine Langsamkeit<br />
[…]. (T2, 21.03.08). „Kollegin Elke kommt, meint (aggressiv), dass sie so einen<br />
dicken Hals bekomme, wenn sie mir beim Arbeiten zusieht: „Das mache ich doch<br />
nicht so umständlich!“ (T2, 18.04.08).<br />
- Fehlersuche beim Anderen (um selbst besser dazustehen?)<br />
Meine Reaktion auf die verbalen Angriffe mancher KollegInnen war schließlich der<br />
(erfolglose) Versuch des Rückzugs.<br />
„Fühle mich jetzt wohler, vor Kollegin „beschützt“, habe zwischen uns Wagen mit<br />
hohem Material darauf, hingeschoben, sie kann nicht mehr zu mir rüber sehen – wie<br />
schützende Wand, andererseits fühle ich mich isoliert und eingemauert, doch das ist<br />
mir viel lieber, als ihre „Attacken“. Habe meine Ruhe. Oder doch nicht. Ute (eine<br />
andere Kollegin) kommt. Lässt sich von meiner Mauer nicht abschrecken. Mit<br />
Händen in Hüften gestemmt fragt sie mich, wie genau ich die Teile ansehe. Sage,<br />
wenn mir was auffällt, gebe ich das Teil weg. Sie sagt (entrüstet), dass bei den Teilen<br />
noch viele Fehlerhafte dabei gewesen wären, und sogar welche, wo ein Eck gefehlt<br />
hat! „Das nächste mal schaust genauer!“ befiehlt sie mir […] und geht zu Elke, um ihr<br />
meinen Fehler zu petzen – die 2 sehen zu mir rüber.“ (T2 7.4.08). Zu derjenigen,<br />
welche die fehlerhaften Teile produziert hat, ist Nichts gesagt worden, da sie schon<br />
132
zu den Firmen - Ältesten gehört und in der Hierarchie unter den ArbeiterInnen viel<br />
höher gestanden ist, als ich.<br />
- „Hinterrückskultur“<br />
Im vorherigen Beispiel habe ich offene Kritik von KollegInnen beschrieben, häufiger<br />
als diese war ein Schimpfen über Jemanden, wenn die betreffende Person nicht<br />
anwesend war. „In der Früh haben Elke und Elfi über Ute gelästert, die Gelegenheit<br />
genutzt, dass sie nicht da ist.“ (T2, 4.12.07). „Ute und Steffi lästern über einige<br />
Kolleginnen. Steffi meint, dass Maria es auf sie abgesehen hätte, diese wäre so<br />
gemein. […] Ines meint, dass sie diese Falschheit nicht mag, hinter deren Rücken<br />
über andere reden. Elke und Elfi wären voll okay. Erzählt, dass junger Chef zu<br />
seinem Vater gemeint hätte, dass die eine nur telefonieren würde – der Chef hat<br />
gemeint: die schmeiß ich eh raus!“ (T2 2.1.08).<br />
Von dieser „Hinterrückskultur“ sind auch die Vorgesetzten nicht ausgeschlossen<br />
gewesen: „Herr Max fragt Steffi, ob wir in der Pause alle in einem Raum wären – sie<br />
bejaht – er meint daraufhin: „blöd, Niemand, über den sie schimpfen können –<br />
(Pause) – außer über mich!“ Steffi (trocken): „machen wir eh!“ (stimmt). (T2 8.1.08).<br />
In den Alltagsgesprächen ist mir häufig eine abwertende Haltung vieler ArbeiterInnen<br />
jenen Menschen gegenüber aufgefallen, die nicht so schwer arbeiten (müssen), wie<br />
sie selbst, ob das nun Personen sind, die aufgrund ihres hohen sozialen Status (z.B.<br />
Politiker oder Prominente) reichlich Geld haben, oder ob sich Menschen durch ihren<br />
niedrigen sozialen Status vor der Arbeit „drücken“, z.B. Alkohol- und<br />
Drogenabhängige, Arbeitslose, Asylwerber etc. Spiegeln Menschen der genannten<br />
Subkulturen den ArbeiterInnen (wie vermeintliche Leistungszurückhalter im Betrieb)<br />
ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse wider, welche diese bei sich selbst<br />
unterdrücken? Volmerg u.a. meinen, dass angepasste Arbeiterinnen kein<br />
Verständnis für KollegInnen haben, welche sie durch ihr Verhalten (z.B.<br />
Langsamkeit) an eigene Widerstandstendenzen erinnern (vgl. Volmerg u.a., 1986, S.<br />
111).<br />
133
- die Beziehung zu den Vorgesetzten<br />
Die Vorgesetzten haben sich im Umgang mit den Arbeiterinnen unterschiedlich<br />
geschickt verhalten. Durch Sprache und Handlungen können Rückschlüsse auf die<br />
dahinterliegende Einstellung den ArbeiterInnen gegenüber gezogen werden.<br />
- „da fühlst du dich wie ein Mensch“<br />
Der pensionierte Altchef hat sich im Betrieb großer Beliebtheit erfreut. Er ist offen auf<br />
die Arbeiterinnen zugegangen und hat zu besonderen Anlässen immer wieder<br />
Geschenke verteilt. Die Arbeiterinnen haben ihn liebevoll „Papa Hans“ genannt und<br />
sich immer sehr gefreut, wenn er auf Besuch gekommen ist. „Der Altchef gibt Jedem<br />
persönlich die Hand, wechselt ein paar Worte mit den Mitarbeitern. Sein Auftreten<br />
den Arbeiterinnen gegenüber zeichnet sich aus durch: ehrlich wirkende<br />
Freundlichkeit, Offenheit, Zugänglichkeit und (echtes) Interesse.“ (T2, 19.11.07).<br />
Durch mangelnde Möglichkeit zu Gesprächen während der Arbeit „dürstet“ man nach<br />
Jemandem Nettes, der herkommt und ein paar Worte mit einem wechselt. „Papa<br />
Hans (sie lächelt, als sie den Namen erwähnt), sei früher immer hergekommen, habe<br />
Scherze gemacht, ein paar Worte gewechselt: „das muss nicht viel sein, aber da<br />
fühlst du dich als Mensch!“ Der junge Chef sei ganz anders, sein Sohn auch, grüßt<br />
zwar freundlich – aber das war’s. (T2, 9.1.08)<br />
Steinhardt sieht „szenische Arrangements im Betrieb“ wie z.B. Geburtstagsfeiern als<br />
Anlässe, in denen sich die Arbeiterinnen ihrer eigenen Wichtigkeit bewusst werden<br />
können. Die Befriedigung des Bedürfnisses nach Anerkennung und Aufmerksamkeit<br />
wirkt dem Gefühl entgegen, leicht austauschbar zu sein. Wenn die Arbeit an sich<br />
wenig psychischen Zugewinn ermöglicht, würden Aspekte, die sich nicht primär auf<br />
die Arbeit beziehen wichtiger werden (vgl. Steinhardt, 1991, S. 147).<br />
Der Altchef geht mit einem Wagen voller Blumenstöcke durch. Suche mir einen aus.<br />
[…]. Helga kommt und meint strahlend: „Was hab ich dir gesagt? Der schaut auf<br />
uns!“ (T2, 14.02.08).<br />
Wie wichtig Aufmerksamkeit den ArbeiterInnen gegenüber ist (z.B. in Form von<br />
kleinen Gesprächen mit den Vorgesetzten) hat das Experiment von Elton Mayo im<br />
134
Hawthorn Werk gezeigt. Sich auch bei der Arbeit als Mensch fühlen zu können wirkt<br />
den stumpfsinnigen und einfältigen Eigenschaften dieser Art von Arbeit entgegen:<br />
„Außerdem wurde Smiths „stumpfsinniges und einfältiges“ Geschöpf bei der Arbeit<br />
deprimiert, und das verminderte seine Produktivität. Experimente wie das im Werk<br />
Hawthorn der General Electric zeigten, dass fast jede Art von Aufmerksamkeit, die<br />
man den Arbeitern als Menschen widmete, ihre Produktivität steigerte.“ (Sennett,<br />
2006, S. 51).<br />
Produziere dies und das. Hr. Max entschuldigt sich dafür, dass er momentan so viel<br />
zu tun hat und mir nicht die Aufmerksamkeit und Zeit schenkt, die mir gebührt<br />
(scherzhaft gemeint, finde es trotzdem sehr nett von ihm). Elfi sagt, wie wichtig ihr<br />
hier kleine Gespräche sind. „Sonst fühlst du dich wie ein Viech! Schlimmer noch!“ Sie<br />
freut sich auf die Rückkehr ihrer Freundin Elke, die neben ihr arbeitet (T2 11.1.08).<br />
- Der Vorgesetzte als Mitarbeiter?<br />
Das Verhalten des Meisters den Arbeiterinnen gegenüber hat sich durch<br />
gegenseitigen Respekt und viel Humor ausgezeichnet. Ich habe das Gefühl gehabt,<br />
dass er den Arbeiterinnen auf gleicher Ebene begegnet ist, die Einstellung von<br />
Gleichwertigkeit ist zum Beispiel zum Ausdruck gekommen, wenn er mitgearbeitet<br />
hat, von seinem Privatleben erzählt hat oder uns Informationen über die Arbeit, das<br />
Material, die Produkte etc. gegeben hat. Herr Max ist in seiner Rolle als Meister in<br />
einer schwierigen Zwischenposition gewesen: einerseits war er verantwortlich dafür,<br />
dass die Leistung der StanzerInnen stimmt, andererseits war es wichtig (gerade<br />
deshalb), eine gute Beziehung zu den Mitarbeiterinnen aufrecht zu erhalten. Dieser<br />
Balanceakt ist im gut gelungen. Seine Aufforderungen zum schnelleren Arbeiten<br />
waren gebrochen durch Humor und Verständnis für die Situation der Arbeiterinnen.<br />
Herr Max kommt und hilft mir, Teile zu ordnen, bedanke mich, er meint, dass man<br />
alles ausprobieren müsse, damit man mitreden kann (denke mir, dass der Chef das<br />
auch tun könnte)“. (T2 4.12.07). Erfahre: Altchef hat selbst mitgestanzt bei<br />
Engpässen, hat auch in der Früh um die gleiche Zeit angefangen, wie die<br />
Arbeiterinnen (T2, 18.02.08).<br />
- autoritäres Verhalten<br />
135
Der Chef war in seinem Verhalten den Arbeiterinnen gegenüber eher autoritär, und<br />
man hat wenig Wertschätzung von ihm gespürt. Er hat kaum mit den Arbeiterinnen<br />
gesprochen und primär nur Beschwerden geäußert. Leiharbeiterinnen sind schnell<br />
ausgetauscht worden, wenn sie angeblich zu langsam gewesen sind. „Der Chef,<br />
kommt vorbei und sagt: „Maschine abdrehen und zum Raucherplatz kommen!“ Keine<br />
Erklärung was und warum… Zuerst schimpft er mit Anton […] (vor allen Anderen!)<br />
Dieser versucht, sich zuerst zu verteidigen. Der Chef übertrumpft ihn von der<br />
Lautstärke her: „das hab ich Ihnen schon 100 mal gesagt!“ Anton verschränkt die<br />
Arme vor dem Körper, einige andere Mitarbeiterinnen auch. Dann folgt Beschwerde<br />
zwecks Tür […] Klagt über mangelnde Sauberkeit der Mitarbeiter […]“ Im<br />
Zusammenhang mit Rauchen auf der Toilette meint er: „Wen ich da erwische, dem<br />
reiß ich die Ohren aus!“ (T2, 1.2.08).<br />
Während der Chef den ArbeiterInnen gegenüber eine Art strenge Vaterfigur<br />
personifiziert hat, stand der Altchef für den „guten Vater“, der auf die ArbeiterInnen<br />
schaut und sich um sie kümmert: Papa Hans kommt. Elfi jauchzt vor Freude. Er gibt<br />
Jedem die Hand und wechselt ein paar freundliche Worte. Will Bus organisieren, der<br />
uns vom Bahnhof abholt und zur Arbeit bringt (T2 8.1.08).<br />
9.2.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen<br />
In diesem Betrieb habe ich primär folgende Faktoren als belastend erlebt: die<br />
Monotonie, körperliche Beschwerden durch die einseitige Arbeit, unangenehme<br />
Gerüche sowie Geräusche und Konflikte mit Kolleginnen.<br />
- Monotonieerleben<br />
Die Arbeit hat durch ihre Einförmigkeit (dieselben Bewegungen endlos wiederholt),<br />
Monotonie ausgelöst. Monotonie entsteht nach Richter und Hacker (1998: 115) dann,<br />
wenn die Tätigkeit einerseits keine vollkommene gedankliche Loslösung erlaubt und<br />
andererseits keine ausreichende Möglichkeit zur gedanklichen Beschäftigung mit ihr<br />
bietet. Es entsteht ein Gefühl von Müdigkeit, der Körper fühlt sich träge an und die<br />
Arbeitsgeschwindigkeit sinkt: „Schlafe bei einer sich ständig wiederholenden<br />
Handbewegung einmal faste ein. Merke nicht gleich, dass der Chef neben mir steht.<br />
Er meint: „Schlafen Sie beim Arbeiten eh nicht ein?“ (T2, 15.01.08); „Der Nachmittag<br />
136
vergeht langsam. Denke: „nur noch 2 Stunden!“ Bin extrem müde vom frühen<br />
Aufstehen und der monotonen Tätigkeit. (T2, 28.04.08).<br />
Es ist oft ein schwieriger Balanceakt, die optimale gedankliche Ablenkung von der<br />
Arbeit zu erreichen, gedanklich bei der Arbeit bleiben ist kaum möglich, da dies<br />
extrem ermüdend wirkt, ist man in Gedanken zu weit von der Arbeit weg, können<br />
Fehler passieren, auch wenn die Handgriffe schon weitgehend automatisiert sind:<br />
„Arbeite an den Teilen von gestern weiter und höre eine Cd (Italienisch – Vokabel),<br />
bin in Gedanken schon in Italien am Meer, überlege mir, ob ich dort ein paar Monate<br />
im Gastgewerbe arbeiten könnte, um die Sprache besser zu lernen. Träume so vor<br />
mich hin. Plötzlich macht es einen lauten Krach. Ich stoppe und nehme die Kopfhörer<br />
ab. Alle schauen her. Ich habe das Werkzeug nicht ordentlich zusammengesteckt,<br />
daher ist es gebrochen […]. Herr Max sieht es sich an, flucht, probiert es aus, es<br />
funktioniert nicht mehr“ (T2, 15.02.08).<br />
- Arbeitsumfeldbelastungen<br />
Lärm ist in Betrieben der metallverarbeitenden Industrie üblich. Besonders<br />
unangenehm ist es, wenn durch einen Arbeitsschritt, z.B. beim Stanzen von hartem<br />
Material oder auch beim Nieten, ein lautes Geräusch entsteht. Man muss sich<br />
anfangs zwingen, den Arbeitsschritt überhaupt auszuführen, weil man ihn viel lieber<br />
unterlassen möchte, um den aversiven Reiz und die körperliche Schreckreaktion zu<br />
vermeiden. Nach ständiger Widerholung gewöhnt man sich daran und die Reaktion<br />
(ein Zusammenzucken) unterbleibt. In der folgenden Szene musste ich, dank des<br />
verständnisvollen Meisters die unangenehme Arbeit nicht so lange machen, bis ich<br />
mich daran gewöhnt gehabt hätte. Auch hat es in diesem Kleinbetrieb Alternativen<br />
zum Ausweichen gegeben, nämlich größere Maschinen, wo mehr Druck eingestellt<br />
werden konnte, und die in der Folge nicht so laute Geräusche von sich gegeben<br />
haben.<br />
Herr Max zeigt mir große Teile – muss bei der Maschine so viel Druck einstellen,<br />
dass sie furchtbar laut kracht. Zucke zusammen, sage, dass ich Angst habe, die<br />
Maschine könnte kaputt werden – er meint: „Auch Gott!“, probiert es selbst. Ich<br />
bekomme eine andere Arbeit – Kleinstteilchen aus stinkendem Papier stanzen<br />
137
(erinnert mich an einen übel riechenden Käse, nur etwas chemischer in der<br />
Duftnote). (T2 6.12.07).<br />
Eine andere Arbeitsumfeldbelastung, von welcher auch Frau D im Interview<br />
gesprochen hat, waren unangenehme Gerüche: Dann beim Stanzen vom stinkigen<br />
Papier habe ich Eindruck, dass mir flau im Magen wird. Kopfschmerzen und<br />
Kreislaufprobleme. Gehe zweimal aufs Klo, um mich kurz hinzusetzen und zu<br />
erholen. Trinke viel Wasser […], der Zustand vergeht wieder (T2, 10.3.08).<br />
- Körperliche Belastungen<br />
Das lange Verharren in derselben Körperposition und das ständige Wiederholen<br />
derselben Bewegungen führen zu Schmerzen: Meine Hände sind zerkratzt, die Haut<br />
aufgeschunden, ich bin verschwitzt und k.o. (T2, 4.12.07). War heute ruhig, in mich<br />
gekehrt. In der Früh lange müde. Die Hände haben mir schon vor Arbeitsbeginn weh<br />
getan. (T2 13.12.07). Körperlich tun mir heute vom langen Stehen die Fußsohlen<br />
weh, habe während der Arbeit schon immer mein Gewicht von einem Fuß auf den<br />
anderen verlagert. (T2 15.1.08). Schlafe wieder einmal im Zug ein, Fußsohlen<br />
stechen, Hände schmerzen, ich bin erschöpft. Elke und Elfi singen mir ein Schlaflied<br />
(T2, 9.4.08).<br />
- das Arbeitsklima als Belastung<br />
Auf die belastenden Aspekte des Arbeitsklimas in diesem Betrieb bin ich bereits<br />
unter dem Punkt „Arbeitsklima“ eingegangen.<br />
- Umgang mit Belastungen<br />
Wird die Gesamtbelastung zu hoch, kommt häufig ein Reaktionsmuster vor, das man<br />
als „imaginative Kündigung“ bezeichnen könnte. Die Vorstellung einer Kündigung<br />
und die gedankliche Beschäftigung damit vergrößern den wahrgenommenen<br />
Freiheitsspielraum und schaffen Erleichterung, selbst wenn das Vorhaben nicht in die<br />
Tat umgesetzt wird. Die Gewissheit, dass man gehen könnte, wenn man wollte reicht<br />
oft aus, um sich besser zu fühlen, sich einen Schritt weit von den Belastungen zu<br />
distanzieren. Steinhardt sieht hinter solchen Szenarien eine „Selbstvergewisserung<br />
der eigenen Handlungsfähigkeit“. (vgl. Steinhardt, 1991, S. 158f.).<br />
138
„Ines meint, sie sei heute total erledigt (wie ich!). Hr. Max sei immer wieder mit neuen<br />
Teilen gekommen und habe sie gestresst. Sie würde hier doch nicht im Akkord<br />
arbeiten! Immer habe er etwas zum Kritisieren! […]. Heute hat sie sich gedacht: „Ach,<br />
leckt’s mich doch am Arsch! Ich gehe jetzt!“ (T2, 13.02.08).<br />
Oft reicht die Vorstellung einer Kündigung aus, um sich besser zu fühlen, auch wenn<br />
diese aus verschiedenen Gründen (z.B. fehlenden Anspruch auf Arbeitslosengeld,<br />
Mangel einer neuen Arbeitsstelle) nicht (gleich) in die Tat umgesetzt wird.<br />
Arbeite vor der Arbeit an meiner Einstellung zur Arbeit. Mache mir bewusst, dass ich<br />
freiwillig dort bin und jederzeit gehen kann, ich würde etwas Anderes finden. Fühle<br />
mich danach gut. Stelle mir vor, dass ich kündigen werde […] und die Freiheit<br />
genieße. (T2, 14.02.08).<br />
Ein Kollege hat die Schwelle von dem Gedachten zur Handlung überschritten und<br />
nach einem Konflikt mit dem Chef seinen Arbeitsplatz verlassen. Der Druck ist für ihn<br />
scheinbar zu groß geworden: Gespräch über Antons Abgang. Angeblich hätte er zu<br />
viel Arbeit gehabt, der Chef hat ihm noch Etwas aufgetragen, er hat es verweigert<br />
und gesagt, dass er heimgehen würde, daraufhin folgt: fristlose Kündigung wegen<br />
Arbeitsverweigerung […]. Kann seine Aktion gut nachempfinden, weiß, wie der Chef<br />
früher schon einmal mit ihm gesprochen hat (autoritär und respektlos) (T2, 27.2.08).<br />
9.2.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und<br />
Bewältigungsstrategien<br />
- persönliche Gestaltung des Arbeitsplatzes<br />
Viele Kolleginnen, die schon länger in der Firma gearbeitet haben, hatten ihren fixen<br />
Arbeitsplatz bei „ihrer Maschine“. Dieser Platz war persönlich gestaltet, mit Stickern,<br />
Postern, einem Radio und Ähnlichem. Individualität als Gegenwelt zur<br />
unpersönlichen, monotonen, leicht zu erlernenden Arbeit? Das Bedürfnis als<br />
Individuum anerkannt und nicht leicht ersetzbar zu sein? „Arbeite heute bei einer<br />
anderen Maschine. Diese ist mit Bildern aus window – colour beklebt (ein lachender<br />
Bär und ein Elefant mit Kerze). Vor mir an der Wand hängen Fotos von Katzen und<br />
zwei Poster vom Nockalmquintett – persönliche Gestaltung des Arbeitsplatzes (T2,<br />
19.11.07).<br />
139
- den Tag gemütlich beginnen<br />
Ein gemütlicher Einstieg in den Arbeitstag kann eine Gegenstrategie zum Stress<br />
während der Arbeit darstellen. Viele Kolleginnen sind extra früher aufgestanden, um<br />
früher in der Fabrik zu sein und gemeinsam gemütlich bei Zigarette und Kaffee in<br />
den Arbeitstag einsteigen zu können. Es gibt auch Ausnahmen vom grundsätzlich<br />
anstrengenden Arbeitsalltag, z.B. wenn die Maschine streikt, nicht genug Aufträge<br />
vorhanden sind, wegen Siedelarbeiten und Warten auf Material etc. „Habe heute<br />
nach der Arbeit noch viel Energie übrig. Denke: „ so gemütlich könnte es doch immer<br />
sein!“ Es ist wirklich nicht jeden Arbeitstag gleich (T2 6.3.08).<br />
- Geistige Anregung schaffen<br />
Die Arbeit selbst ist durch ihren Charakter geistig ermüdend. Es ist nicht einfach, den<br />
idealen Grad an Ablenkung von der Arbeit zu schaffen:<br />
„Eine innere Teilung, eine Aufspaltung wird verlangt. Die Gedankenblitze sollen nur<br />
der Energiezufuhr dienen, um wach zu bleiben. Das verlangt Übung und erfordert<br />
ständige Anstrengung. Es erfordert die Zähmung der Phantasie und der Wünsche<br />
auf das erforderliche arbeitsgerechte Maß.“ (Volmerg u.a., 1986, S. 109).<br />
Für mich, wie für viele andere hat Musik während der Arbeit eine wichtige Ressource<br />
dargestellt. Radio – Sendungen haben geholfen, die Zeit zu strukturieren, welche<br />
sich durch die ständig gleichen Handgriffe subjektiv unangenehm ausgedehnt hat.<br />
Höre wieder den ganzen Tag über Radio – das strukturiert die Zeit. Die Zeit vergeht<br />
schneller, wenn ich im Geiste mitsinge. Kenne die Morgensendung und das<br />
Eurospiel mittlerweile schon gut – Vertrautes, Wiederholtes gibt Sicherheit. (T2,<br />
27.11.07). Eine Kollegin hat die Zeit außerdem durch Rauchen strukturiert: Ines<br />
denkt sich immer: „so, jetzt noch 2 Zigaretten, dann gehen wir heim“. (T2 18.03.08).<br />
Das Hören von ausgewählter Musik hat meine Aufmerksamkeit von der Arbeit<br />
abgelenkt, mich wacher werden lassen und außerdem meine Stimmung positiv<br />
beeinflusst: Hier höre ich ausschließlich positive, schwungvolle Musik, 1) um mich<br />
wach zu halten – die ständige Wiederholung bei der Arbeit wirkt einschläfernd auf<br />
mich – und 2) um meine Stimmung zu heben, weil diese Art von Tätigkeit mich sonst<br />
140
depressiv machen würde (T2 31.3.08). Hr. Max borgt mir Cd […] die Musik vertreibt<br />
mir die Zeit bis zur Pause. […]. Denke an Partner, Urlaub, Einkaufen, denke mich<br />
von der Arbeit weg, aus der Firma hinaus (T2, 17.3.08).<br />
Eine weitere Möglichkeit der geistigen Anregung sind Tagträume. Deren Inhalte<br />
können vielfältig sein, der Individualität der ArbeiterInnen entsprechend. Diese<br />
Tagträume werden mitunter nach der Arbeit fortgesetzt. Lottospielen ist unter den<br />
ArbeiterInnen weit verbreitet gewesen, viele haben sich nach der Arbeit in der Trafik<br />
Lotto – Scheine gekauft und während der Zugfahrt ist dann darüber gesprochen<br />
worden, was man mit dem Geld machen würde: Gespräch über Lotto – Millionär […]<br />
höchster Gewinn in Österreich. Gemeinsames Träumen, was wir mit dem Geld täten<br />
(T2, 26.02.08)<br />
Träume über Reichtum und ein Leben ohne Arbeit als Zeichen dafür, dass die Arbeit<br />
primär aus finanziellen Gründen gemacht wird? In der Untersuchung von Volmerg<br />
u.a. erzählen angelernte Arbeiterinnen, was ihnen die Fabrikarbeit über den<br />
finanziellen Zugewinn hinaus psychisch gibt: Unterhaltung, Sicherheit und Struktur<br />
(wissen, was man machen muß) und Austausch mit Anderen (vgl. Volmerg u.a.,<br />
1986, S. 122f.). „Arbeit für Frauen an Plätzen für Ungelernte ist mehr als eine Quelle<br />
für Geld, […]. Und sie ist auch mehr als ein Ort der Freiheitsbeschränkung, der<br />
Kränkung und Belastung. Die Fabrik ist ein Ort, an dem Arbeiterinnen und Arbeiter<br />
nicht nur Teilprodukte verschiedenster Art, sondern auch ein für sie subjektiv<br />
bedeutsames Beziehungsnetz produzieren.“ (Volmerg u.a., 1986, S. 123).<br />
- Persönlichkeitsmerkmale als Ressource<br />
Zwei Kolleginnen, haben sich von den Anderen durch ihre offensichtlich gute Laune<br />
am Arbeitsplatz abgegrenzt. Die Anderen haben die Beiden in ihrer Art oft als<br />
anstrengend empfunden, ich habe sie bewundert für ihre Fröhlichkeit bei der doch<br />
anstrengenden, monotonen Art von Arbeit. Die Arbeit bewusst locker nehmen und<br />
viel Humor in den Alltag bringen als persönliche Ressource?<br />
Monika nimmt Materialreste zum Basteln mit und packt auch für mich ein Sackerl ein.<br />
Redet viel, scherzt […], frage mich, wie man bei so einer Arbeit derart überdreht und<br />
fröhlich sein kann (Silke ist auch so). Erzählt, dass Hr. Max zu Frau Helga gesagt<br />
141
habe: „können’s mich nicht einfach in Ruhe sterben lassen!“ und amüsiert sich<br />
darüber […] Stanze, Kollegin Monika putzt aus, redet viel, sie assoziiert Mario mit<br />
einem Packfisch, da er Fertiges einpackt. Sie selbst sei der Putzfisch und ich der<br />
Stanzfisch. Monika erzählt von Urlaub, liebt das Meer. Sprechen über Wohnung,<br />
Arbeit etc. […]. Sie klagt über Ulli, dass diese keinen Humor verstehen würde. „Wenn<br />
ich den ganzen Tag mit so einem Gesicht herumrenne, wird’s auch nicht besser. Das<br />
machen sie und Silke lieber anders“ (T2, 12.3.08, 13.3.08).<br />
- Das Arbeitsklima als Ressource<br />
Trotz der vielen Belastungen durch die Art und Organisation der Arbeit, welche sich<br />
auch negativ auf das Arbeitsklima ausgewirkt haben, hat es Kolleginnen gegeben,<br />
mit denen ich mich gut verstanden habe. Gespräche in der Pause, vor und nach der<br />
Arbeit, in denen man sich unter Anderem gegenseitig belastende Situationen<br />
erzählen hat können, haben auf mich entlastend gewirkt. Während der<br />
gleichförmigen Arbeit sind für mich die kurzen Gespräche mit dem Meister und sein<br />
Humor eine wichtige Ressource gewesen. Diese kleinen Abwechslungen haben mich<br />
wach gehalten und auch psychisch aufgemuntert.<br />
Hr. Max kommt immer wieder vorbei, fragt: „Geht das?“ Ob ich schon müde sei.<br />
Einmal fragt er, ob ich hier glücklich wäre. Sage: „Ja.“ Er meint, dass da eine lange<br />
Pause davor gewesen sei. […]. Er fragt, ob ich morgen wieder käme, er müsse das<br />
wissen (grinst). Ich sage, dass er mich für morgen mit einrechnen könne.“ (T2,<br />
26.11.07).<br />
Im Unterschied zu den beiden Großbetrieben habe ich in diesem Kleinbetrieb mehr<br />
Anerkennung bemerkt. Der Chef hat z.B. für die Arbeiterinnen einen Adventkranz<br />
aufgehängt, zu Anlässen (wie Geburtstagen und um Feiertage) hat es Geschenke<br />
gegeben: „Der Chef kommt und überreicht Jeder von uns eine Schachtel Pralinen mit<br />
den Worten: „vom Nikolo!“ […] zeige meine Freude und sage, dass das meine<br />
Lieblingsschokolade wäre – bekomme daraufhin eine zweite Schachtel“ (T2,<br />
6.12.07).<br />
142
9.2.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit<br />
Volmerg u.a. beschreiben die positiven Aspekte der Arbeit aus der Perspektive<br />
ungelernter ArbeiterInnen: die Arbeit in der Fabrik bringe (im Gegensatz zur<br />
Hausarbeit) Aufmerksamkeit und Anerkennung. Die Arbeitszeit ist dort begrenzt,<br />
trage dadurch zur Strukturierung der Zeit bei und kann damit Sicherheit bieten. Eine<br />
Arbeiterin meint z.B. „Ja, wenn ich zu Hause sitze, dann bin ich ziemlich nervös,<br />
dann weiß ich nicht, was ich zuerst und zuletzt machen soll. Wenn ich auf Arbeit bin,<br />
dann weiß ich, was ich machen muß.“ (Hanna in Volmerg u.a., 1986, S. 122).<br />
Sicherheit als positive Seite der eingeschränkten Freiheit von ArbeiterInnen am<br />
Fließband?<br />
Ich persönlich habe (abgesehen von meinem Forschungsinteresse) für mich keinen,<br />
über das Geld hinausgehenden Sinn in dieser Arbeit gesehen. Das heißt nicht, dass<br />
die Arbeit nicht auch als sinnvoll erlebt werden kann, wie Interviewaussagen im<br />
nächsten Kapitel nahelegen. Bei einer instrumentellen Arbeitseinstellung, wird die<br />
Arbeit primär als Mittel zum Gelderwerb gesehen. Tatsächlich ist der Lohn für die<br />
körperlich anstrengende Arbeit vergleichsweise gering:<br />
Komme heim, sehe den Lohnzettel – Schock! Kann das echt so wenig sein? […].<br />
Nehme mir vor, morgen anzurufen und nachzufragen. (T2, 13.12.07). Werde extrem<br />
müde beim Arbeiten, weil diese Arbeit noch monotoner ist, als das, was ich sonst<br />
mache. Wo sehen die KollegInnen den Sinn in dieser Arbeit, wenn nicht im Geld?<br />
(der Lohn ist sehr gering, komme damit gerade um die Runden, obwohl ich alleine<br />
bin, kinderlos und in einer günstigen WG wohne). (T2, 04.04.08).<br />
Das Beziehungsnetz (vgl. Volmerg u.a., 1986, S. 123) in der Firma kann als<br />
sinnstiftend erlebt werden. Ich habe die Beziehung zu einigen KollegInnen und dem<br />
Meister als sehr positiv erlebt. Eine besondere Belastung für LeiharbeiterInnen ist<br />
die, dass sie immer wieder aus diesem subjektiv bedeutsamen Beziehungsnetz<br />
herausfallen und sich in einer anderen Firma neu anpassen und einleben müssen.<br />
Mir ist aufgefallen, dass die Meisten hier Arbeiten als notwendiges Übel, Schicksal<br />
ansehen. Man muss es halt tun, um Geld zu verdienen. […]. Ute heute: „da können<br />
143
wir wieder unsere Sünden abbüßen!“ Arbeit als Strafe Gottes, als schweres Los. (T2,<br />
2.1.08).<br />
Die Erwartungen an die konkrete Arbeit sind gering – wenn die Arbeit selbst nicht<br />
Sinnstiftend sein muss, wird sie leichter ausgehalten? Sinn bietet nicht die konkrete<br />
Tätigkeit selbst, sondern Anerkennung von außen für die geleistete Arbeit (von<br />
Vorgesetzten) und die Selbstbestätigung, hart arbeiten zu können.<br />
Pause: Maria redet von Pension, […]. Harry meint, dass er auch gerne so viel<br />
Freizeit hätte, wie der in der Pension. Maria aggressiv: er müsse in seinem Leben<br />
erst einmal hart arbeiten, sich das verdienen, er wisse doch noch nicht einmal, wozu<br />
er am Leben ist […] (T2, 31.3.08).<br />
9.2.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit<br />
Oft bleibt während der Arbeitswoche durch die erschöpfende Arbeit wenig Energie für<br />
das Privatleben übrig. Die Freizeit wird unter der Woche fast ausschließlich zur<br />
Regeneration benötigt, es wird zu Hause nur mehr das „Notwendigste“ gemacht.<br />
Durch die längere Anfahrtszeit zur Arbeitsstelle nach dem Firmenumzug haben die<br />
Kolleginnen vermehrt über ein Gefühl der Erschöpfung geklagt: „Hannah kommt.<br />
Erzählt, wie fertig sie gestern von der Arbeit gewesen ist. Hatte keine Lust mehr zum<br />
Kochen und hat sich schnell Fertigpasta gemacht, nicht mehr abgewaschen. Ist, wie<br />
wir alle, früheres Aufstehen noch nicht gewohnt.“ (T2, 8.1.08). „Ines hat gemeint,<br />
dass sie fertig sei, wenn sie zu Hause ist (ich auch). Sie verstehe nicht, wie dann<br />
Jemand macht, der Kinder hat, sie könne nicht mehr kochen etc. Kann mir auch nicht<br />
erklären, wie das mit Familie funktionieren soll (denke verständnisvoll an meinen<br />
Vater zurück). (T2, 13.02.08). Esse Spaghetti vom Vortag. Bin zu müde, um zum<br />
Konzert zu gehen, dusche, höre Musik, gehe schlafen (T2, 14.02.08).<br />
144
9.3 Reflexion einzelner Szenen:<br />
Im Folgenden sollen in Anlehnung an die Methode des szenischen Verstehens<br />
einzelne Szenen aus meinen Tagebuchaufzeichnungen herausgegriffen und einer<br />
genaueren Betrachtung unterzogen werden.<br />
9.3.1 Szene 1:<br />
Beschreibung der Szene, Firma A: S. 120<br />
„Gerti fällt bei der Schichtübernahme auf, dass die von der vorherigen Schicht alles<br />
bloß unter den Tisch gekehrt haben, das mag sie nicht. Wir kehren zusammen auf.<br />
Einmal fordert sie mich auf, die Teile schöner zu schlichten […]. Ich bin da weniger<br />
gewissenhaft und ordentlich. Da ist ein gewisses Wurstigkeitsgefühl in mir.“ (T1,<br />
2.8.07). Erna stellt fest, dass Teile bei Winkeln teilweise herunterfallen bzw. leicht<br />
heruntergehen, sie holt fachlichen Rat – […] Finde Ernas Sorgen um die Qualität der<br />
Teile sehr gewissenhaft. Mir ist das mehr oder weniger egal.“ (T1, 10.8.07).<br />
Irritationen und Reflexion<br />
Es hat mich irritiert, dass die beiden KollegInnen beim Gruppenarbeitsplatz die<br />
monotone Arbeit mit großem Einsatz gemacht haben und über das Notwendige<br />
hinaus, sich zusätzlich z.B. für einen ordentlich aufgeräumten Arbeitsplatz oder die<br />
Qualität der Teile eingesetzt haben.<br />
Durch die Charakteristika der Produktionsarbeit für Ungelernte wird meinem Erleben<br />
nach ein Gefühl der Gleichgültigkeit gefördert. Die Arbeit erfordert nach kurzer<br />
Anlernzeit grundsätzlich kein Denken mehr, sie zeichnet sich durch monotone,<br />
kurzfrequente, sich ständig wiederholende Arbeitsschritte aus, die zu Müdigkeit<br />
führen. Es hat mich verwundert, dass sich die KollegInnen am Arbeitsplatz trotzdem<br />
derart engagiert haben.<br />
Die Arbeit hat für mich keine besondere Bedeutung gehabt. Einerseits habe ich mich<br />
in einer anderen Rolle befunden, als die ArbeiterInnen, dadurch hat die Arbeit auch<br />
eine andere (geringere?) Rolle gespielt. Im Gegensatz zu meinen KollegInnen habe<br />
ich als Ferialarbeiterin nur einen begrenzten Zeitraum über in der Fabrik gearbeitet,<br />
mir stehen aufgrund meiner Ausbildung andere Berufsperspektiven offen. Die<br />
ArbeiterInnen sind schon jahrelang in der Fabrik und die Arbeit scheint für sie eine<br />
145
andere Bedeutung und Wertigkeit gehabt zu haben, als für mich. Hat die Fabrikarbeit<br />
durch Jahre des Arbeitens dort eine wichtigere Rolle in den Lebensentwürfen der<br />
ArbeiterInnen eingenommen, während meine Einstellung zur Arbeit und die<br />
Gleichgültigkeit der konkreten Arbeit gegenüber mit dem Begriff „Job – Mentalität“<br />
zusammengefasst werden kann? Herr E., der schon seit 37 Jahren am Fließband<br />
arbeitet, spricht im Interview von einer Identifikation mit der Firma, bedingt durch<br />
seine lange „Fabrikszugehörigkeit“ (vgl. S. 179).<br />
Einerseits habe ich den KollegInnen gegenüber ein Gefühl der Bewunderung für ihr<br />
Bemühen empfunden, andererseits hat ihr Verhalten in mir ein schlechtes Gewissen<br />
provoziert, weil ich nicht derart gewissenhaft gearbeitet hätte, wäre ich nicht von<br />
ihnen dazu aufgefordert worden. Von mir aus habe ich erst einmal nur das<br />
Notwendigste gemacht und nicht mehr, Gefühle von Gleichgültigkeit und Müdigkeit<br />
waren während der Arbeitszeit vorherrschend.<br />
In der Art, wie jemand seine Arbeit verrichtet, gibt die arbeitende Person etwas über<br />
sich zu erkennen, z.B. kommen Einstellungen, Werte, und Teile der Persönlichkeit<br />
des Menschen darin zum Ausdruck, auch wenn die monotone Produktionsarbeit<br />
Gleichförmigkeit fördert. Volmerg u.a. meinen, dass die Arbeiterinnen darüber<br />
hinaus durch Haltungen wie Verantwortung und Mitdenken der zerteilten Arbeit einen<br />
Sinn geben. Dadurch würden die Arbeiterinnen ihren Selbstwert stärken und der<br />
„Kränkung, zum bloßen Maschinenteil gemacht zu werden“ entgegenwirken.<br />
(Volmerg u.a., 1986, S. 110).<br />
Kann Arbeitsfreude wie die von Volmerg erwähnten Haltungen als eine notwendige<br />
Zusatzleistung der ArbeiterInnen gesehen werden, die sie trotz einer Arbeit, die<br />
wenig Freude produziert, einbringen?<br />
Die nächste Szene weist eine gewisse Ähnlichkeit mit der vorherigen auf, auch wenn<br />
sie in einem anderen Zusammenhang stattgefunden hat. Ich treffe in der Früh zwei<br />
Arbeitskolleginnen am Bahnhof, es ist noch etwas Zeit bis unser Zug kommt und Elfi<br />
beginnt die Unterhaltung mit einer Frage, die ich zuerst nicht richtig verstehe und die<br />
mich später umso mehr irritiert:<br />
146
9.3.2 Szene 2<br />
Beschreibung der Szene, Firma B: S. 130<br />
Elfi fragt mich: „Was ist die Freude?“ Sage, dass ich mich auf mein Frühstückskipferl<br />
freue. Elfi wiederholt die Frage. Erzähle vom Wochenende – sie scheint immer noch<br />
nicht zufrieden mit der Antwort – scheine die Frage nicht verstanden zu haben. Elfi: „<br />
Wir waren auch ehrlich und haben gesagt: Nein! Sei ehrlich! Freut dich heute das<br />
Arbeiten?“ Ich: „Natürlich nicht!“ (T2, 14.1.08).<br />
Irritationen und Reflexion:<br />
Meine Irritation äußert sich zuerst dadurch, dass ich die Frage mehrmals falsch<br />
verstehe. Danach bin ich verwundert darüber, dass die KollegInnen mich überhaupt<br />
fragen, ob mich die Arbeit freut, da ich mir diese Frage erst gar nicht stelle, ich weiß,<br />
dass die Arbeit selbst für mich keine Quelle der Freude ist, und sie muss es auch<br />
nicht sein. Ich fühle kein schlechtes Gewissen, wenn ich mir selbst gegenüber<br />
eingestehe, dass ich die Arbeit nicht gerne mache. Quellen der Freude sind für mich<br />
Dinge außerhalb der Arbeit, sei es das Wochenende oder einfach mein Frühstück vor<br />
Arbeitsbeginn, während der Arbeitszeit freue ich mich über die humorvollen<br />
Interaktionen mit dem Meister oder die Gespräche mit den KollegInnen in der Pause,<br />
vor und nach der Arbeit.<br />
Nachdem das Missverständnis über die Bedeutung der Frage aufgeklärt worden ist,<br />
empfinde ich eine Irritation darüber, dass es den Kolleginnen so wichtig zu sein<br />
scheint, dass ich ihr Gefühl der Arbeitsunlust bestätige.<br />
Der Widerspruch von Einstellung (Arbeitsunlust) und freiwilligem Verhalten (in der<br />
Firma arbeiten) könnten ein unangenehmes Gefühl der kognitive Dissonanz (vgl.<br />
Burkart, 2002, S. 204) erzeugen. Haben die KollegInnen diesen inneren<br />
Spannungszustand bisher abgewehrt, indem sie sich versichert haben, dass sie das<br />
Arbeiten grundsätzlich freut?<br />
Legnaro geht davon aus, dass die Beziehung der Arbeitenden zu ihrer Arbeit heute<br />
eine andere sei als früher. Während die Arbeit vormals zum Zweck des Gelderwerbs<br />
gemacht worden sei und nicht hinterfragt worden ist, soll sie heute auch Freude<br />
bereiten, es wird von den Arbeitenden erwartet, dass sie ihre Arbeit aus freier<br />
147
Entscheidung heraus gewählt haben und gerne machen bzw. das glaubhaft<br />
darstellen (vgl. Legnaro, 2008).<br />
Im Gegensatz zu meinen ArbeitskollegInnen befinde ich mich in einer anderen Rolle.<br />
Ich bin kein „wirkliches Mitgliedes„ der Gruppe, da ich weiß, dass ich diese Arbeit nur<br />
eine begrenzte Zeit über machen werde. Für die Kolleginnen hingegen ist die Arbeit<br />
das, was sie jahrelang gemacht haben und nach wie vor tun. Ist es für die<br />
Aufrechterhaltung des psychischen Gleichgewichtes wichtig, dass man sich teilweise<br />
mit seiner Arbeit identifizieren kann und von sich überzeugt ist, dass man die Arbeit<br />
gerne macht?<br />
9.3.3 Szene 3<br />
Firma B: S. 131<br />
Beschreibung der Szene:<br />
„Hannah meint, dass ich mittlerweile schon viel schneller arbeiten müsste, ich müsse<br />
halt schneller greifen, sie müssten auch schnell tun und könnten es sich hier nicht so<br />
bequem machen wie ich. […]. Sie droht, dass sie sich beim Chef über mich<br />
beschweren müsse – und das wolle ich doch sicher nicht! […]. Sie bittet den Meister<br />
um ein Gespräch – gleich neben mir beschwert sie sich über meine Langsamkeit<br />
[…]. Hr. M. sagt (zur Kollegin): „Estens sind sie selbst auch nicht die Schnellste und<br />
zweitens: das geht Sie nichts an! Schauen Sie auf Ihre eigene Arbeit!“ Sie schimpft<br />
und meint, dass sie dann ab jetzt halt auch so langsam machen würde; er: „Noch<br />
einmal: das ist nicht Ihr Problem!“ Bin ihm dankbar. (T2, 21.03.08).<br />
Irritationen und Reflexion:<br />
Ich bin durch das Verhalten meiner Arbeitskollegin irritiert, sie arbeitet an der<br />
Maschine neben mir und sie ist nicht das erste Mal zu meinem Arbeitsplatz<br />
gekommen, um mich „auszubessern“. Doch diesmal erscheint mir ihr Auftreten nicht<br />
als ein Vorschlag, den sie mir als Jemand gibt, der mehr Erfahrung mit der Arbeit hat,<br />
sondern als wütend vorgebrachte Kritik. Ich fühle mich von ihr angegriffen und gehe<br />
in Verteidigungshaltung, indem ich mich nicht ihren Wünschen anpasse und<br />
schneller arbeite, sondern entgegne, sie solle sich doch über mich beschweren, was<br />
sie dann auch gleich tut.<br />
148
Es ist mir in dem Moment unverständlich, dass sie mich verpetzen will, ich finde wir<br />
sollten als „Leidensgenossinnen“ zusammenhalten. Ich will mich bei der Arbeit nicht<br />
übermäßig verausgaben, und so schnell arbeiten, dass ich danach völlig erschöpft<br />
bin, zusätzlich machen mich die monotonen Arbeitsschritte müde, wodurch meine<br />
Arbeitsgeschwindigkeit weiter sinkt.<br />
Die Kollegin scheint von sich überzeugt zu sein, dass sie sich der geforderten<br />
Geschwindigkeit anpasst und schnelle Arbeit leistet. Ihre Wut, welche sie auf das<br />
„Arbeitssystem“ haben könnte, das sie zur Verausgabung ihrer Kräfte fordert, richtet<br />
sie gegen mich, als Jemanden der sich dem System nicht anpasst, langsamer<br />
arbeitet, und damit vielleicht ihren eigenen Wunsch nach gemütlicherem Arbeiten<br />
auslebt - die Gefahr einer Kündigung ist für mich durch die Rolle in der ich mich<br />
befinde, weniger bedrohlich. Wir bearbeiten beide unterschiedliche Aufträge, doch<br />
die Kollegin ist der Meinung, dass sie mehr Arbeit leisten muss, weil ich weniger<br />
leiste, obwohl wir nicht nebeneinander am Fließband stehen und sie in ihrer Arbeit<br />
auch nicht z.B. durch einen Gruppenakkord, direkt von meinem Arbeitspensum<br />
abhängig ist.<br />
Schließlich bin ich anfangs leicht irritiert über die Reaktion des Meisters, da er mir<br />
selbst wiederholt gesagt hat, dass ich schneller werden müsste. Ich bin ihm<br />
schließlich dankbar für seine Reaktion auf die Kritik der Kollegin.<br />
9.3.4 Szene 4<br />
Firma B, S.<br />
Beschreibung der Szene:<br />
„Beim Ausstempeln (am Freitag) steht der Chef da und holt zwei Leiharbeiterinnen<br />
zu sich, er sagt, dass er im Moment keine Verwendung für sie hätte und sich wieder<br />
bei der Leihfirma melden würde, wenn er Jemanden braucht. Die zwei schauen<br />
verdutzt drein. Mira meint erstaunt: „Aha!?“ Ich finde dieses Vorgehen total arg! Er<br />
sagt das noch so locker, mit einem grinsenden Gesicht! Die Beiden haben nicht<br />
einmal mehr die Gelegenheit, sich von ihren Arbeitskolleginnen zu verabschieden.<br />
[…]. So einfach ist das. Für ihn! […]. Silvia hat gerade eine hohe Werkstattrechnung<br />
bekommen. Mira hat mir Geld für unsere neu eröffnete Kaffeegemeinschaft gegeben.<br />
Und jetzt ist sie plötzlich weg. Beide sind ca. 2 Monate hier gewesen. Ich bleibe<br />
149
heute verschont […]. Im Zug meint Maria, dass sie gespannt ist, wer am Montag<br />
Neues kommt. Wir sind überrascht. Maria erzählt, dass genug Aufträge sind, noch<br />
vom Februar, und dass die Beiden einfach zu langsam gewesen sind und deshalb<br />
ausgetauscht werden.“ (T2 11.04.08).<br />
Irritationen und Reflexion:<br />
Beim Durchlesen ist mir aufgefallen, dass die beiden letzten Szenen im<br />
Zusammenhang gesehen werden müssen. In Szene 3 werde ich von einer Kollegin<br />
als langsame Arbeiterin identifiziert und sie verpetzt mich bei einem Vorgesetzten.<br />
Szene 4 beschreibt, wie 2 andere LeiharbeiterInnen wegen angeblicher Langsamkeit<br />
beim Arbeiten gekündigt werden. Zuerst einmal bin ich irritiert und schockiert über<br />
das Vorgehen des Chefs, welches ich als nicht menschlich empfinde.<br />
Im Zug tritt eine weitere Irritation ein, als eine Kollegin verrät, dass genug Arbeit<br />
vorhanden ist und die LeiharbeiterInnen einfach gegen schnellere ausgetauscht<br />
werden sollen. Sie hat diese Information von Chef. Ich bin schockiert und ärgere<br />
mich über diese Arbeiterin, da ich vermute, dass sie die Leiharbeiterinnen als<br />
langsam eingestuft und beim Chef verpetzt hat und somit für deren „Rauswurf“<br />
mitverantwortlich sein könnte. Ich wundere mich auch darüber, dass ich nicht bei den<br />
LeiharbeiterInnen dabei bin, die gekündigt worden sind, zumal ich wiederholt wegen<br />
meiner Langsamkeit kritisiert worden bin. Es schwingt ein schlechtes Gewissen mit,<br />
dass die beiden gehen müssen und ich nicht.<br />
Dadurch, dass die konkrete Arbeit keine Qualifikationen von den ArbeiterInnen<br />
erfordert und von jedem leicht erlernt werden kann, wird die Konkurrenz unter den<br />
ArbeiterInnen gefördert, jeder ist leicht austauschbar. Verstärkt wird die Konkurrenz<br />
durch ein Arbeiterüberangebot und die leichte „Beschaffung“ neuer ArbeiterInnen<br />
bzw. den einfachen „Austausch Langsamer gegen Schnelle“ über Leihfirmen. Die<br />
ArbeiterInnen sind bemüht sich selbst als schnelle und gute Arbeitskräfte<br />
hervorzutun, indem sie andere beobachten, als schlechter, z.B. langsamer als sich<br />
selbst bewerten, und das den Vorgesetzten kommunizieren.<br />
150
Während ich in diesem Kapitel primär auf mein subjektives Erleben der<br />
Produktionsarbeit und damit verbundener Bereiche eingegangen bin, sollen im<br />
nächsten Kapitel sechs angelernte ArbeiterInnen zu Wort kommen.<br />
10 Forschungsergebnisse: Leitfadeninterviews<br />
10.1 Ergebnisse der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse<br />
Im Folgenden sollen die Vorgehensweise und die Ergebnisse der qualitativen<br />
Inhaltsanalyse beschrieben werden. Nach der Darstellung der Interviews werde ich in<br />
einer Querdarstellung alle Kategorien aus den Interviews unter den zentralen<br />
Punkten zusammenfassen: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit,<br />
Ressourcen und Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit. Im Punkt 10.2. gehe<br />
ich in Form von Kernsätzen und Interviewaussagen auch auf Passagen aus den<br />
Interviews ein, welche über die drei zentralen Punkte der Auswertung hinausgehen<br />
und trotzdem von Bedeutung sind.<br />
10.1.1 Definitionen und Begriffseingrenzung<br />
- Arbeitsbelastungen<br />
„Psychische Belastung“ (stress) kann definiert werden als: „Die Gesamtheit aller<br />
erfaßbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch<br />
auf ihn einwirken.“ (Richter, 1998, S. 32). In Anlehnung an den theoretischen Teil<br />
sollen hier unter Arbeitsbelastungen folgende Faktoren kategorisiert werden: -<br />
Belastungen durch den Charakter der Arbeit (Akkord, Einseitigkeit, geistige<br />
Unterforderung etc.), - Belastungen aus dem Arbeitsumfeld (z.B. Lärm, Gerüche und<br />
Schadstoffe, physikalisches Klima u.a. ), - die soziale Umgebung als<br />
Belastungsfaktor (Koflikte mit Vorgesetzten und ArbeitskollegInnen, Mobbing u.a.), -<br />
Belastungen durch organisatorische Bedingungen der Arbeit (wie Schichtarbeit), -<br />
Belastungen durch gesellschaftspolitische Bedingungen im Zusammenhang mit der<br />
Arbeit (Arbeitsplatzunsicherheit, Leiharbeit) und schließlich – personale<br />
Belastungsfaktoren (Vulnerabilität etc.).<br />
- Positive Aspekte der Arbeit und Ressourcen<br />
Als Gegenpol zu Arbeitsbelastungen soll unter „positiven Aspekten der Arbeit und<br />
Ressourcen“ Alles gewertet werden, was im Zusammenhang mit der konkreten<br />
151
Arbeit als positiv kommuniziert wird. Dabei ist zu beachten, dass ein Aspekt von<br />
verschiedenen Personen jeweils unterschiedlich erlebt werden kann. Die Bewertung<br />
hängt u.a. vom Vergleichsstandpunkt ab, den eine Person einnimmt. So meint Frau<br />
C, dass ihr die Fließabandarbeit gefalle, und sie empfinde diese Arbeit als<br />
vergleichsweise abwechslungsreich zu ihrer früheren Arbeit an einem<br />
Einzelarbeitsplatz bei einer Maschine. Worin sehen die Befragten eventuelle Vorteile<br />
in ihrer Arbeit?<br />
Richter und Hacker definieren den Begriff „Ressourcen“ allgemein folgendermaßen:<br />
„Der Begriff der Ressourcen beinhaltet Komponenten, die es erlauben, die eigenen<br />
Ziele anzustreben und unangenehme Einflüsse zu reduzieren.“ (Richter/ Hacker,<br />
1998, S. 25). Bezogen auf die Belastungsforschung kann unter dem Begriff<br />
Folgendes verstanden werden: „Als Ressourcen werden in der Belastungsforschung<br />
alle Merkmale der Person und der Situation bezeichnet, die die Bewältigung einer<br />
Belastung unterstützen“. (Schönpflug, 1987 zitiert in Notbohm, 1994, S. 141).<br />
Ressourcen können in Anlehnung an Udris, Kraft & Mussmann (1992) in äußere<br />
(organisationale sowie soziale) und innere (personale) Ressourcen unterteilt werden<br />
(vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 25).<br />
Zu organisationalen Ressourcen zählen beispielsweise: Aufgabenvielfalt,<br />
Tätigkeitsspielraum, Qualifikationspotential und Partizipationsmöglichkeiten (vgl.<br />
Richter/ Hacker 1998, S. 25). Beispiele für soziale Ressourcen sind die<br />
Unterstützung durch: Vorgesetzte, Arbeitskollegen, Lebenspartner und andere<br />
Personen. Personale Ressourcen beinhalten einerseits kognitive<br />
Kontrollüberzeugungen wie: Kohärenzerleben, Optimismus und ein positives<br />
Selbstkonzept (Kontaktfähigkeit, Selbstwertgefühl), andererseits Handlungsmuster<br />
z.B.: positive Selbstinstruktionen, Situationskontrollbemühen und Copingstile (vgl.<br />
Richter/ Hacker, 1998, S. 25).<br />
- Das subjektive Sinnerleben im Zusammenhang mit der konkreten Arbeit<br />
Der Begriff „Sinn“ kann umschrieben werden mit den Worten: Ziel, Zweck oder<br />
Bedeutung. (vgl.) o.V.: Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh.<br />
152
Berlin – Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2003), Online im WWW<br />
unter URL: http://www.dwds.de/?qu=Sinn&woerterbuch=1 [Stand: 20.06.2010]. Es<br />
geht hierbei um die subjektive Bedeutung der konkreten Arbeitstätigkeit für einen<br />
Menschen. So kann die Arbeit z.B. den reinen Zweck des Geld–Verdienens haben<br />
(vgl. instrumentelle Arbeitseinstellung) oder eine darüber hinausgehende Bedeutung<br />
aufweisen (z.B. Identifikation mit der Firma und/ oder den Produkten).<br />
10.1.2 Vorgehensweise<br />
In einem ersten Schritt ist jedes einzelne Interview nach der Transkription nach<br />
Bedeutungstragenden Aussagen hinsichtlich der drei Schwerpunkte untersucht<br />
worden: „Arbeitsbelastungen“, „positive Aspekte der Arbeit und Ressourcen“ sowie<br />
„das subjektive Sinnerleben im Zusammenhang mit der konkreten Arbeitstätigkeit“.<br />
Die folgende Tabelle (Nr. 9) zeigt beispielhaft die drei Schritte: Paraphrase,<br />
Generalisierung, Reduktion, anhand des Themenschwerpunktes:<br />
Arbeitsbelastungen, aus dem ersten Interview mit Frau A. Insgesamt sind so zu<br />
jedem Interview Kategorien zu den drei Schwerpunkten zusammengefasst worden,<br />
wie die nächste Tabelle (Nr. 10) veranschaulicht.<br />
153
Fall Seite Nr. Paraphrase Generalisierung Reduktion<br />
1 2 1 braucht dort nicht<br />
mehr denken wenn<br />
man das Teil<br />
ständig macht<br />
1 3 2 bin mir ausgenutzt<br />
vorgekommen von<br />
denen (Leihfirma),<br />
du hast am<br />
nächsten Tag nicht<br />
gewusst: kannst du<br />
kommen oder (--)<br />
kannst du daheim<br />
bleiben<br />
1 5 3 man ist nach die 8<br />
Stunden schon ganz<br />
schön müd da<br />
braucht man dann<br />
schon eine Zeit<br />
lang, dass man<br />
dann selbst wieder<br />
zu sich kommt dass<br />
man das Gehirn<br />
wieder einschaltet<br />
wenn man da<br />
herauskommt […]<br />
1 5 4 Weil es dann doch<br />
wieder schwer zum<br />
Heben war<br />
1 6 5 wenn du jetzt ein<br />
Jahr lang IMmer<br />
auf der gleichen<br />
Maschine bist,<br />
immer das Gleiche,<br />
dann passieren<br />
mehr Unfälle.<br />
Fehlende geistige<br />
Anforderung<br />
Unsicherheit und<br />
Gefühl, ausgenutzt zu<br />
werden als<br />
Leiharbeiterin<br />
Müdigkeit nach<br />
Arbeit<br />
Erholphase<br />
notwendig<br />
Umschalten auf<br />
geistige Arbeit<br />
Arbeit körperlich<br />
anstrengend<br />
Unfallgefahr durch<br />
monotone Arbeit<br />
K1: Belastungen durch<br />
Art der Arbeit<br />
- fehlende geistige<br />
Anforderung<br />
- körperliche<br />
Anstrengung<br />
- Monotonie<br />
erhöht<br />
Unfallgefahr<br />
- Psychischer Druck<br />
durch<br />
Geschwindigkeit<br />
- Fehlende<br />
Rücksichtnahme<br />
auf Befinden<br />
- Verlust der<br />
Arbeitsfreude<br />
K2: Belastung durch<br />
Status als Leiharbeiterin<br />
(Arbeitsplatzunsicherheit)<br />
154
Fall Seite Nr. Paraphrase Generalisierung Reduktion<br />
1 6 6 Ich glaube in so<br />
einer Fabrik<br />
verliert man jede<br />
Freude am<br />
Arbeiten, sicher<br />
kein Traumberuf<br />
für Keinen,<br />
ältere Frau, die<br />
wartet halt auch<br />
nur mehr auf die<br />
Pension nachher<br />
1 7 7 da geht man doch<br />
immer mit einem<br />
Druck hinein weil<br />
man weiß: Vollgas<br />
oder sonst gibt’s<br />
Nichts und ob man<br />
da heut ein<br />
bisschen<br />
kränklich ist, da<br />
nimmt keiner<br />
Rücksicht<br />
Verlust der<br />
Arbeitsfreude,<br />
warten auf die<br />
Pension<br />
Psychischer Druck<br />
durch<br />
Geschwindigkeit,<br />
fehlende<br />
Rücksichtnahme auf<br />
Befinden<br />
Abbildung 9: zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse; Interview 1: Arbeitsbelastungen<br />
155
Fall Arbeitsbelastungen Positive Aspekte Sinnerleben<br />
1 K1: Belastungen durch Art<br />
der Arbeit:<br />
-‐ fehlende geistige<br />
Anforderung<br />
-‐ körperliche<br />
Anstrengung<br />
-‐ Monotonie erhöht<br />
Unfallgefahr<br />
-‐ Psychischer Druck<br />
durch<br />
Geschwindigkeit<br />
-‐ Fehlende<br />
Rücksichtnahme auf<br />
Befinden<br />
-‐ Verlust der<br />
Arbeitsfreude<br />
K2: Belastung durch den<br />
Status als Leiharbeiterin<br />
(Arbeitsplatzunsicherheit)<br />
K1: gutes<br />
Arbeitsklima<br />
innerhalb des Teams:<br />
-‐ gemeinsam<br />
Akkord<br />
geschafft<br />
-‐ Gespräche,<br />
Lachen<br />
-‐ Kaffeeritual<br />
K2: Vorteile der<br />
Arbeit:<br />
-‐ relativ hoher<br />
Verdienst für<br />
Frauen<br />
-‐ fixe<br />
Arbeitszeiten<br />
Abbildung 10: Ergebnisse aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse: Interview 1<br />
K1: Wegen dem<br />
Geld arbeiten<br />
gegangen<br />
K2: nur wegen<br />
gutem<br />
Arbeitsklima in<br />
Fabrik geblieben<br />
156
10.1.3 Beschreibung der Ergebnisse aus den 6 Interviews<br />
Im Interview Nr. 1 wurden die Arbeitsbelastungen betreffend folgende Faktoren<br />
genannt: Belastungen durch die Art der Arbeit (K1/Spalte 1): fehlende geistige<br />
Anforderung, körperliche Anstrengung, Monotonie und damit verbundene<br />
Unfallgefahr, psychischer Druck durch Geschwindigkeit, fehlende Rücksichtnahme<br />
auf das Befinden sowie ein allgemeiner Verlust der Arbeitsfreude durch die Art der<br />
Arbeit. Darüber hinaus fand Frau A den Status als Leiharbeiterin belastend, weil<br />
damit eine ständige Arbeitsplatzunsicherheit verbunden ist (K2/Sp. 1). Als positive<br />
Aspekte der Arbeit wurden ein gutes Arbeitsklima (K1/Sp. 2) sowie spezifische<br />
Vorteile der Arbeit, guter Verdienst für Frauen und fixe Arbeitszeiten (K2/Sp. 2),<br />
aufgezählt. Bezüglich des persönlichen Sinnbezugs zur Arbeit lässt sich sagen, dass<br />
Frau A. primär wegen dem Geld arbeiten gegangen ist (K1/ Sp. 3) und nur wegen<br />
dem guten Arbeitsklima in der Gruppe, so lange in der Fabrik geblieben ist (K2/ Sp.<br />
3).<br />
Herr B. nennt als arbeitsbezogene Belastungen: Stress (durch Akkord), das 3 –<br />
Schichtmodell sowie die damit verbundenen Umstellungsschwierigkeiten und<br />
körperliche Anstrengung durch die Arbeit (K1/ Sp. 1). In diesem Interview tritt die<br />
Belastung durch ein schlechtes Arbeitsklima (K2/ Sp. 1) stark hervor. Trotzdem zieht<br />
Herr B die für ihn wenig befriedigende Arbeit der Arbeitslosigkeit vor (K1/ Sp. 2). Als<br />
positive Aspekte der Arbeit sieht er: den Verdienst (K2/ Sp. 2) und eine gewisse<br />
Entscheidungsfreiheit darüber, wie viel man arbeiten will (bei Einzelarbeitsplätzen)<br />
(K3/ Sp. 2). Teilweise hat er auch positive Erinnerungen an das Zusammenarbeiten<br />
mit den Kollegen (K4/Sp. 2). Herr B. nennt keinen über den Verdienst<br />
hinausgehenden Sinn dieser Arbeit. (K1/ Sp. 3).<br />
Für Frau C. bestanden die Arbeitsbelastungen (körperlicher und psychischer Art)<br />
hauptsächlich zu Beginn der Arbeit, später gewöhne man sich daran (K1/Sp. 1).<br />
Nach wie vor erwähnenswert sind für sie die schlechten klimatischen Bedingungen<br />
und die Hitze während des Arbeitens im Sommer (K2/Sp. 1) sowie teilweise<br />
körperliche Belastungen (K3/Sp.1) und Arbeitsumfeldbelastungen im weiteren Sinn<br />
(wenig Parkplätze und schlechte Busverbindungen zwischen Wohn- und Arbeitsort)<br />
(K4/Sp1). Die Arbeit erlebt Frau C. verglichen mit ihrer vorherigen Arbeit in einer<br />
157
ähnlichen Firma als relativ abwechslungsreich (K1/Sp. 2). In diesem Interview<br />
werden das gute Arbeitsklima innerhalb der Gruppe sowie das gute Verhältnis zu<br />
den Vorgesetzten hervorgehoben. (K2/ Sp. 2). Frau C. meint, dass man sich an die<br />
Arbeit gewöhnen und diese mit der Zeit leichter würde, sie erwähnt dabei auch<br />
ergonomische Verbesserungen in der Fabrik (K3/ Sp. 2). Seit einiger Zeit ist Frau C.<br />
in der Firma fix angestellt, was sich besser anfühlen würde, als Arbeiten über eine<br />
Leihfirma. Darüber hinaus hätte sie durch ihre fixe Beschäftigung auch finanzielle<br />
Vorteile wie Prämien. (K4/ Sp. 2). Der Sinn in der konkreten Arbeit liegt für sie primär<br />
darin, Geld zu verdienen. Darüber hinaus erwähnt sie das gute Arbeitsklima, und den<br />
Spaß, den sie dadurch beim Arbeiten habe (K1/Sp. 3).<br />
Im vierten Interview werden als Belastungen durch die Art der Arbeit folgende<br />
genannt: - fehlende Abwechslung, - Zeitdruck, - nervliche Belastung und nicht<br />
abschalten können, - fehlende geistige Anforderungen und fehlende<br />
Lernmöglichkeiten sowie – körperliche Erschöpfung. (K1/ Sp. 1). Belastungen,<br />
welche für Frau D mit dem 3-Schicht-modell zusammenhängen, nehmen einen<br />
gewichtigen Stellenwert im Interview ein. Sie berichtet von Umstellungsproblemen<br />
und gesundheitlichen Belastungen vor allem durch Nachtschichtarbeit (K2/ Sp. 1).<br />
Auch Belastungen durch ein schlechtes Arbeitsklima (Mobbing, fehlende Beziehung<br />
zu Vorgesetzten, sich nicht als Mensch behandelt fühlen) sind in diesem Interview<br />
vorgekommen (K3/ Sp. 1). Ein weiteres belastendes Moment hat sich für Frau D.<br />
durch den Mangel an Sinn und Freude bei der konkreten Art von Arbeit ergeben und<br />
die Tatsache, dass sie sich zum Arbeiten und Verbleiben in der Firma hat zwingen<br />
müssen. (K4/ Sp.1). Eine weitere Belastungskategorie sind hier negative<br />
Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben, wie z.B. ein Mangel an Kraft und<br />
fehlendes Interesse für private Hobbys (K5/ Sp.1). Frau D hat noch Stress bei der<br />
Arbeit und eine fehlende Rücksichtnahme auf das Befinden der Arbeitenden erwähnt<br />
(K6/Sp.1). Auch auf die Nachteile des Status als Leiharbeiter ist sie eingegangen<br />
(K7/ Sp. 1). Schließlich haben bei den Arbeitsumfeldbelastungen die Gerüche und<br />
die damit assoziierte gesundheitliche Gefährdung ein starkes Belastungsmoment<br />
dargestellt (K8/ Sp. 1).<br />
Positiv im Zusammenhang mit der Fabrikarbeit waren für Frau D. die guten<br />
Verdienstmöglichkeiten wegen dem Akkordsystem. (K1/Sp. 2). Sie hat gemeint, dass<br />
158
es angenehmere Arbeiten in der Fabrik geben würde, als die, welche sie zu machen<br />
hatte (K2/ Sp. 2). Die fixe Beschäftigung wird wegen finanzieller Vorteile als positiv<br />
gegenüber einer Beschäftigung über eine Leihfirma bewertet (K3/ Sp. 2). Frau D. ist<br />
wegen dem Geld in die Fabrik arbeiten gegangen (K1/ Sp. 3). Sie meint, dass es dort<br />
auch Arbeiten geben würde, die vergleichsweise mehr Spaß machen, als das, was<br />
sie dort gemacht hat (K2/ Sp. 3). Sie hat keinen über das Geld hinausgehenden Sinn<br />
in ihrer letzten Fabrikarbeit gesehen. Die Arbeit sei verglichen zu ihrer neuen<br />
Tätigkeit sinnlos, dazu komme durch die monotone Arbeit die „Gefahr zu verblöden“,<br />
es hat dort keine Lernmöglichkeiten für sie gegeben. (K3/ Sp. 3). In einer anderen<br />
Fabrik, in der sie früher gearbeitet hatte, hat Frau D. ein wenig Sinn gesehen. Dort<br />
hätten sie (subjektiv) Brauchbares hergestellt und es sei zudem schön dekoriert<br />
worden. (K4 / Sp. 3).<br />
Für Herrn E. ist die Arbeit in der Fabrik körperlich belastend, da er schon älter ist und<br />
viel zu heben hat (K1/ Sp. 1). Er kritisiert, dass die Jausenpause in der Fabrik zu kurz<br />
ist – Herr E. ist Raucher. (K2/ Sp. 1). Als Belastung erwähnt er die gesundheitlichen<br />
Folgen der schweren Arbeit über die Jahre hinweg: Er hat inzwischen mehrere<br />
Bandscheibenvorfälle gehabt und die gesundheitlichen Probleme wirken sich negativ<br />
aus das Privatleben aus, weil er wegen den Schmerzen oft Nichts tun hat können<br />
außer sich auszuruhen. (K3/ Sp. 1). Leiharbeit sieht Hr. E. als großen Nachteil für die<br />
Arbeitenden (Arbeitsplatzunsicherheit), obwohl er selbst nicht davon betroffen ist<br />
(K4/1). Positiv an der Arbeit sieht Herr E. die vergleichsweise hohe Abwechslung an<br />
seinem Arbeitsplatz gegenüber anderen Arbeiten in der Firma, da er mehr<br />
verschiedene Arbeitsschritte am Band zu verrichten hat (Kat. 1/ Sp. 2). Auch findet er<br />
es positiv, dass derzeit die Kontrolle in der Fabrik weniger streng ist, und<br />
Pausenüberziehungen möglich sind. (Kat 2/ Sp. 2). Herr E. berichtet von einem<br />
guten Arbeitsklima und einem guten Auskommen mit den Vorgesetzten (K3/ Sp. 2).<br />
Gegenüber Arbeiten im Freien erwähnt er den relativen Vorteil, dass er in der<br />
Fabrikhalle vor Wettereinflüssen geschützt ist und im Winter die klimatischen<br />
Arbeitsumfeldbedingungen gut sind (K4/ Sp. 2). Außerdem bevorzuge er persönlich<br />
die stehende Arbeit (K5/ Sp. 2).<br />
Seit dem Beginn seiner Arbeitszeit in der Fabrik sind technische Verbesserungen<br />
vorgenommen worden, welche die Arbeit erleichtern würden (K6/ Sp. 2). Inzwischen<br />
159
könne er sich auch mit der Firma identifizieren, es würde ihn freuen, wenn ein neues<br />
Produkt funktioniert oder ein Arbeitstag gut verlaufen ist (K7/ Sp. 2). Herr E. erwähnt<br />
auch persönliche Ressourcen: er würde versuchen, die Arbeit locker zu nehmen,<br />
seine gute Laune beizubehalten und den Tag durch frühes Aufstehen gemütlich<br />
beginnen. (K8/ Sp. 2). Primärer Sinn der Arbeit in der Fabrik ist es für Herrn E, dass<br />
er sich seinen Lebensunterhalt verdient (K1/ Sp.3). Ein darüber hinausgehendes<br />
Sinnmoment entsteht durch die Identifikation mit der Firma. Es sei ihm auch wichtig,<br />
dass er die Arbeit gut macht und Fehler vermeidet. Wenn solche vorkommen und<br />
Ausschuss entsteht, sei ihm das nicht egal. (K2/ Sp. 3).<br />
Frau F erwähnt zahlreiche Belastungen, die durch die Art der Arbeit für sie entstehen<br />
wie: Stress durch fehlende Akkordvorgaben und das Gefühl, dass es nie reichen<br />
würde, Stress durch die Umstellung bei kurzen Aufträgen, Langeweile, körperliche<br />
Belastung durch Ηeben sowie ein hoher Regenerationsbedarf nach der Arbeit und<br />
eine damit verbundene Beeinträchtigung im Privatleben (K1/ Sp. 1). Einen<br />
gewichtigen Belastungsfaktor stellt für sie das schlechte Arbeitsklima dar: es fehle<br />
der Zusammenhalt unter den KollegInnen, Dinge wie Verpetzen und Andere schlecht<br />
machen, hinter ihrem Rücken über sie reden und Ausländerfeindlichkeit würden<br />
häufig vorkommen. LeiharbeiterInnen gelten ihrer Beobachtung nach in dieser Fabrik<br />
als Menschen zweiter Klasse, es gäbe viel Machtgehabe, feindliches Verhalten,<br />
einen unfreundlichen Umgangston und Mangel an Hilfsbereitschaft (K2/ Sp. 1). Den<br />
Status als Leiharbeiterin bewertet sie negativ, da er mit einem hohen Ausmaß an<br />
Arbeitsplatzunsicherheit verbunden ist (K3/ Sp. 1).<br />
Frau F erlebt die Arbeit positiver, wenn sie eine höhere Stückzahl vom selben<br />
Produkt zu machen hat. Dann könne sie sich während der Arbeit entspannen, Musik<br />
hören und privaten Gedanken nachgehen, da sie sich kaum noch auf die Arbeit<br />
konzentrieren muss. Dadurch verginge die Zeit schneller (K1/ Sp. 2). Positiv ist für<br />
sie, dass sie den Job jetzt fix hat und nicht mehr als Leiharbeiterin in der Fabrik<br />
arbeitet. Mit einer fixen Beschäftigung wären mehr Ansehen und Sicherheit<br />
verbunden, außerdem könne sie jetzt einen Kredit aufnehmen. (K2/ Sp. 2). Frau F<br />
weiß aus Erfahrung, dass ein gutes Arbeitsklima in der Fabrik möglich ist und<br />
berichtet von einer früheren Arbeit am Fließband, wo sie die KollegInnen wie eine<br />
Familie erlebt hat. Damit verbunden sind Erinnerungen an deren Hilfsbereitschaft,<br />
160
Freundlichkeit, Unterstützung, Zusammenhalt und eine größere Gerechtigkeit der<br />
Vorgesetzten (K3/ Sp. 2). Auch die vergleichsweise positiven Erfahrungen beziehen<br />
sich auf ihre frühere Arbeitsstelle. Dort sei die Arbeit interessanter gewesen, da mehr<br />
Feingefühl und Geschick gefordert waren (K4/ Sp. 2). Der Sinn in ihrer derzeitigen<br />
Arbeit besteht für sie lediglich darin, dass sie genug Geld verdient und einen fixen<br />
Job und damit eine gewisse Sicherheit hat (K1/ Sp. 3). Geld ist für sie der primäre<br />
Sinn der Arbeit überhaupt, sie fasst das mit den Worten zusammen: „Spaß macht dir<br />
das, wo du genug Geld kriegst“ (K2/ Sp. 3).<br />
161
10.1.4 Querdarstellung<br />
In der folgenden Tabelle sind zum Zweck der Übersichtlichkeit die Kategorien aus<br />
den Interviews hinsichtlich der Schwerpunkte: Arbeitsbelastungen, Positive Aspekte;<br />
Ressourcen und Sinnerleben dargestellt. In Klammer ist angeführt, wenn mehrere<br />
Interviewte die jeweilige Aussage getroffen haben. Bedeutungsähnliche Kategorien<br />
aus den verschiedenen Interviews sind weiter zusammengefasst worden:<br />
Arbeitsbelastungen Positive Aspekte der<br />
K1 Belastungen durch die Art<br />
der Arbeit:<br />
- fehlende geistige<br />
Anforderung (3)<br />
- fehlende Abwechslung<br />
- körperliche Anstrengung<br />
(6)<br />
- Monotonie (Unfallgefahr)<br />
- Psychischer Druck durch<br />
Geschwindigkeit/Ak-kord<br />
(3)<br />
- Stress durch fehlende<br />
Akkordvorgaben<br />
- Belastung durch<br />
Umstellung bei kurzen<br />
Aufträgen<br />
- Fehlende Rücksichtnahme<br />
auf Befinden (2)<br />
K2 Belastungen durch den<br />
Status als LeiharbeiterIn:<br />
Arbeit; Ressourcen<br />
K1 gutes Arbeitsklima:<br />
- Zusammenarbeit,<br />
(den Akkord<br />
schaffen; Pausen<br />
hereinarbeiten)<br />
- Gespräche,<br />
Gemeinschaft,<br />
Lachen (4)<br />
- Hilfsbereitschaft<br />
- Kaffeerunde<br />
- Gutes Verhältnis zu<br />
Vorgesetzten (2)<br />
K2 Verdienst:<br />
- relativ hoher<br />
Verdienst für Frauen<br />
durch Akkord (2)<br />
- besserer Verdienst<br />
im Vergleich zum<br />
Lehrlingsstatus<br />
- Sicherheit durch<br />
subjektives<br />
Sinnerleben im<br />
Zusammenhang<br />
mit der konkreten<br />
Arbeit<br />
K1 nur wegen<br />
dem Geld<br />
arbeiten<br />
gegangen (3)<br />
K2 Sinn primär<br />
Geld, darüber<br />
hinaus gutes<br />
Arbeitsklima;<br />
Spaß mit<br />
KollegInnen (2)<br />
K3 Sinn primär<br />
Lebensunterhalt<br />
verdienen,<br />
darüber hinaus<br />
Identifikation mit<br />
Firma (lange<br />
Zugehörigkeit;<br />
Freude, wenn<br />
162
- Arbeitsplatzunsicherheit<br />
und finanzielle Nachteile<br />
(4)<br />
- Leiharbeiter gelten als<br />
Menschen 2. Klasse<br />
K3 Organisatorische<br />
Belastungen:<br />
- 3 – schicht Modell;<br />
Umstellungsprobleme (2)<br />
- Gesundheitliche<br />
Belastungen durch<br />
Nachtschichtarbeit<br />
- Zu kurze Jausenpause<br />
K4 schlechtes Arbeitsklima:<br />
- Fehlender Zusammenhalt<br />
(2)<br />
- Mobbing (2)<br />
- Ausländerfeindlichkeit (2)<br />
- Fehlende Beziehung zu<br />
Vorgesetzten<br />
- Sich nicht als Mensch<br />
behandelt fühlen<br />
K5 Mangel an Sinn und Freude<br />
bei der Arbeit; sich zur Arbeit<br />
zwingen müssen (2)<br />
K6 Arbeitsumfeldbelastungen:<br />
- Hitze<br />
- Wenig Parkplätze;<br />
schlechte<br />
Busverbindungen<br />
- Gerüche und deren<br />
Gesundheitsgefahr<br />
K7 Negative Auswirkungen der<br />
Arbeit auf das Privatleben:<br />
fixen Job<br />
K3 Arbeitsorganisation<br />
- fixe Arbeitszeiten<br />
- Einzelakkord;<br />
(Entscheidungsfreih<br />
eit, wie viel man<br />
arbeiten will)<br />
K4 Arbeit<br />
vergleichsweise besser: -<br />
als Arbeitslosigkeit<br />
- als Arbeit im Freien<br />
- als anderen Arbeiten in<br />
Fabrik; weil mehr<br />
Arbeitsschritte (2)<br />
- als Leiharbeit (2)<br />
K5 Arbeit positiv erlebt:<br />
- Gewöhnung an<br />
Arbeit<br />
- Ergonomische<br />
Verbesserungen (2)<br />
- Derzeit<br />
Pausenüberziehung<br />
en möglich<br />
- Entspannend, wenn<br />
hohe Stückzahl zu<br />
produzieren ist<br />
K6 Inzwischen<br />
Identifikation mit Firma,<br />
Freude wenn Neues<br />
funktioniert<br />
K7 persönliche<br />
Ressourcen:<br />
- Arbeit locker<br />
nehmen<br />
neues Produkt<br />
funktioniert und<br />
Arbeitstag gut<br />
verläuft, will Arbeit<br />
gut und fehlerlos<br />
machen<br />
K4 würde auch<br />
Arbeiten in Fabrik<br />
geben, die Spaß<br />
machen oder<br />
interessanter<br />
sind (2)<br />
K5 Sinnerleben<br />
über Produkte<br />
möglich wenn:<br />
- brauchbare und<br />
ästhetisch<br />
ansprechende<br />
Produkte<br />
(Produzentenstolz)<br />
163
- Mangel an Energie und<br />
Interesse für Hobbies (2)<br />
- Hoher<br />
Regenerationsbedarf nach<br />
Arbeit (2)<br />
- „nervliche Belastung“: nach<br />
der Arbeit nicht abschalten<br />
können<br />
- Folgen schwerer<br />
körperlicher Arbeit: wegen<br />
Schmerzen Nichts tun<br />
können<br />
- Guter Laune sein<br />
- Tag gemütlich<br />
beginnen durch<br />
frühes Aufstehen<br />
Abbildung 11: Querauswertung: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und subj.<br />
Sinnerleben: Ergebnisse aus den 6 Interviews<br />
10.2 Kernsätze aus den Interviews<br />
Weil durch eine Kategorisierung wichtige Informationen verloren gehen, möchte ich<br />
in Anlehnung an Volmerg u.a. (1986) mit Hilfe von Kernsätzen zentrale Aussagen<br />
aus den Interviews darstellen. Es wird dabei auf folgende Punkte eingegangen:<br />
- Arbeiten über eine Leihfirma<br />
- der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit<br />
- Erleben der Arbeit (Belastungen und positive Aspekte)<br />
- das Arbeitsklima<br />
- persönlicher Sinnbezug zur Arbeit<br />
- das Privatleben<br />
- Humanisierung<br />
- die Vergleichsperspektive<br />
10.2.1 Arbeiten über eine Leihfirma:<br />
- „Als Leiharbeiter da bist du mit einem Fuß in der Arbeit mit dem<br />
anderen auf dem AMS“ (Frau F, Int. 6, Z.336-338)<br />
164
Die Beschäftigung in einer Fabrik über eine Leihfirma ist für die Arbeitenden mit<br />
einem hohen Grad an Arbeitsplatzunsicherheit verbunden. Leiharbeiter sind die<br />
Ersten, die wieder gehen müssen, wenn der Firma Aufträge fehlen. Dem entspricht<br />
ein subjektives Gefühl des Ausgenutzt – Werdens:<br />
„Da bin ich mir total ausgenutzt vorgekommen von denen, wirklich wie der<br />
Trottel vom Dienst! […] du hast am nächsten Tag nicht gewusst: kannst du<br />
kommen oder kannst du daheim bleiben.“ (Frau A, Int. 1, Z. 74-82)<br />
ArbeiterInnen, die schon länger Erfahrung mit Fabrikarbeit haben, erinnern sich<br />
daran, dass es früher anders gewesen ist und dass die Beschäftigung über eine<br />
Leihfirma ein relativ junges Phänomen ist, das derzeit sehr weit verbreitet zu sein<br />
scheint.<br />
„ […] in 71 habe ich angefangen, da sind sie nach Jugoslawien hinunter<br />
gefahren die Leute persönlich heraufholen, da waren wir 2 ½ tausend Leute<br />
drinnen heute sind wir 500, das war gewaltig damals. Und heute ist es, ich<br />
sag immer der Leiharbeiter das ist ja wie ein moderner Sklavenhandel, gell,<br />
brauche ich dich bist du da, wenn nicht, schicke ich dich wieder weg, […]<br />
und dann haben sie vielleicht wieder einen Job irgendwo anders dann nehmen<br />
sie dich halt wieder […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 249-257)<br />
Frau D erinnert sich an eigene Vorurteile gegenüber den wenigen LeiharbeiterInnen,<br />
welche es früher gegeben hat, als sie noch in einer anderen Firma beschäftigt<br />
gewesen ist. Heute hat sie selbst Erfahrung mit der Anstellung über eine Leihfirma<br />
machen müssen und spürt die Geringschätzungen derjenigen, die einen fixen<br />
Arbeitsplatz haben, gegenüber Leiharbeitern. In der Fabrikhierarchie stehen<br />
Leiharbeiter ihrer Erfahrung nach an unterer Stelle.<br />
„[…] früher als ich noch fix war, ne, da war hin und wieder eine Leihfirma,<br />
wir haben da so geschaut: ah; Leiharbeiter, die wollen nicht arbeiten. […]<br />
Heutzutage ist das so, in eine Firma kannst du nur durch Leihfirma kommen.<br />
(Frau F, Int.6, Z. 305-311)<br />
„[…]Manche sind von Leihfirma gekommen, und manche sind schon jahrelang<br />
drinnen und die, welche sind z.B. direkt rein gekommen, die finden, die<br />
Leihfirma ist so 2. Klasse.“ (Frau F, Int. 6, Z. 446-448)<br />
165
Die Arbeitenden sehen die Vorteile einer Beschäftigung über die Leihfirma auf der<br />
Seite der Vorgesetzten. Für die ArbeiterInnen hat es Nachteile wie einen hohen Grad<br />
an Arbeitsplatzunsicherheit und finanzielle Einschränkungen (z.B. fallen sie im<br />
Gegensatz zu den fix Beschäftigten um Prämien und finanzielle Anerkennungen für<br />
lange Fabrikzugehörigkeit).<br />
„[…] für den Chef ist es ein Vorteil weil er die Leute nicht lange behalten<br />
muss. Weil er denen nicht alles zahlen braucht. Weil denen, die lange unten<br />
sind, denen muss er Abfertigung und alles zahlen […] Ja für die Arbeiter<br />
wird’s blöd sein. Weil die werden ja auch froh sein, weißt eh wenn du<br />
Arbeit hast und dass du fix bleiben kannst“. (Frau D, Int. 4, Z. 448-451,<br />
461-463)<br />
Frau C. sieht die Situation der LeiharbeiterInnen gelassen, als eine Art<br />
Bewährungsprobe. Sie selbst ist nach zwei Jahren arbeiten über eine Leihfirma fix<br />
aufgenommen worden und wirkt erleichtert darüber.<br />
„Ich bin schon fix, ja seit dem Jahr ((lacht)). Endlich einmal. […] im<br />
Dezember 2005 habe ich angefangen, 2 Jahre habe ich jetzt gewartet […] die<br />
Guten bleiben meistens und die Schlechten werden halt wieder gehen müssen<br />
[…]“ (Frau C, Int. 3, Z. 128-130, 117-118)<br />
10.2.2 Der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit<br />
- „ Am Anfang, die ersten 2 Wochen sind echt schlimm, da tut es echt<br />
einmal schiach weh aber nachher wirst du das gewohnt“. (Frau C, Int. 3,<br />
Z. 34-36)<br />
Frau C, die im Interview primär auf die positiven Aspekte der Arbeit verwiesen hat,<br />
erzählt im informellen Gespräch danach, dass sie am ersten Arbeitstag geweint habe<br />
vor Schmerzen und Erschöpfung. Sie habe sich dann selbst dazu motivieren<br />
müssen, es noch einen Tag zu probieren, und dann sei es immer leichter geworden.<br />
Heute empfindet sie die Geschwindigkeit, mit der sich das Fließband vorwärts<br />
bewegt als langsam und die Arbeit gefällt ihr.<br />
166
„also für mich ist es jetzt schon einfach, für mich ist es schon fast zu<br />
langsam aber ich sag einmal wenn du jetzt umdenkst und du denkst an die<br />
Leute, die gerade anfangen, ich weiß noch wie ich angefangen habe, da hab<br />
ich mir gedacht: Oh Gott! Ich komme niemals zusammen, weil das ist so viel<br />
am Anfang hast nicht so viel Zeit zum einlernen und das ist echt, am Anfang<br />
ist es anstrengend, aber bist auch gleich einmal drinnen […]“ (Frau C, Int.<br />
3, Z. 211-217)<br />
In mehreren Interviews ist von Gewöhnung an die Arbeit die Rede gewesen. Auch an<br />
Schmerzen kann man sich gewöhnen, bzw. nach einiger Zeit verschwinden diese.<br />
Bei Herrn E (Int. 5) hat der Prozess der Gewöhnung dazu geführt, dass er nicht wie<br />
beabsichtigt, nur 2 Wochen sondern 37 Jahre in der Fabrik geblieben ist und nach<br />
wie vor dort arbeitet.<br />
116 I: […] Du bist jetzt schon 36 Jahre dort<br />
117 A: 37.<br />
118 I: Kannst du dich noch an den ersten Tag erinnern?<br />
119 A: Ja, da hab ich mir gedacht: 14 Tage maximal dass ich bleiben<br />
120 werde. […].Hab ich mir gedacht: nie<br />
135 und nimmer, dass ich da länger bleibe.<br />
136 I: und wie ist es dann dazu gekommen?<br />
137 A: ja, ich weiß nicht, irgendwann da kommst wieder wo anders hin<br />
138 gell und dann hat die Gemeinschaft auch gepasst drinnen<br />
139 da wars ganz locker, da hast wirklich a Gaudi gehabt, hast du<br />
140 auch noch dein Bier trinken dürfen, wie es früher oft war, das<br />
141 gibt’s ja jetzt schon Jahre nicht mehr, ich mein eh gut auch weil<br />
142 es ist eh oft ganz schön rund gegangen durch den Alkohol, das<br />
143 soll ja nicht sein, nicht? Ja aber, dann habe ich mich halt so<br />
144 eingependelt kannst du sagen ((lacht)). Der Mensch ist auch nur<br />
145 ein Gewohnheitstier irgendwo<br />
Steinhardt sieht hinter dem Argument der „Gewöhnung“ einen Abwehrmechanismus,<br />
der verhindern soll, dass belastende Momente der Arbeit bewusst werden. „Der<br />
Rückgriff auf den Begriff der Gewöhnung zur Beschreibung der Beziehung zur Arbeit<br />
und ihren Widrigkeiten verweist auf die passive Unterwerfung unter die Kraft des<br />
Faktischen. Als Rest von Aktivität verbleibt die Anpassungsleistung des eigenen<br />
Körpers an die ihn schädigenden Einflüsse.“ (Steinhardt, 1991, S. 153).<br />
167
10.2.3 Erleben der Arbeit<br />
- „[…] wenn du heut immer bei der Maschine bist verblödest.“ (Frau D,<br />
Int. 4, Z. 23-24)<br />
Die Arbeit wird als stressig, (Frau F, Z. 26) langweilig (Frau F, Z. 85), monoton (Herr<br />
E) und geistig unterfordernd (Frau D, Frau A) beschrieben. Aber auch als<br />
abwechslungsreich verglichen mit anderen Fabrikarbeiten (Frau C, Z. 63) und relativ<br />
gut bezahlt.<br />
- „als Frau verdienst du nirgendwo so viel wie in einer Fabrik“ (Frau A,<br />
Int. 1, Z. 121-122)<br />
Die Verdienstmöglichkeiten (vor allem wenn man den Akkord schafft) werden als<br />
großer Vorteil der Arbeit betrachtet. Das ist wieder relativ zu sehen, so hat Frau A<br />
die Arbeit in der Fabrik mit ihrer früheren Tätigkeit als Verkäuferin verglichen, wo sie<br />
weniger verdient hatte; Herr B hat die Fabrikarbeit seiner Lehrzeit gegenübergestellt<br />
und ist ebenfalls froh gewesen über den relativen Mehrverdienst, der objektiv<br />
betrachtet angesichts der schweren Arbeit nicht viel erscheint:<br />
„Am Anfang hat es mir schon getaugt, weil in der Lehre kriegst 600, 700 E,<br />
na. Und da kriegs’t auf einmal 1230“. (Herr B, Int. 2, Z. 76-78)<br />
Die Kosten für den relativen Mehrverdienst sind hoch: eine unbefriedigende Arbeit,<br />
Stress und oft ein damit zusammenhängendes schlechtes Arbeitsklima. Es ist in den<br />
Interviews herausgekommen, dass es in der Fabrik beliebtere und weniger beliebte<br />
Arbeitsplätze gibt. Frau D hat einen Tag lang Urlaubsvertretung an einem<br />
Arbeitsplatz gemacht, wo es ihr sehr gut gefallen hat. Die Arbeit dort sei leichter<br />
gewesen als die Arbeit an ihrem Arbeitsplatz.<br />
„[…] diese Arbeit wäre mein Ding gewesen, wo ich eigentlich bis zur Pension<br />
geblieben wäre“ (Frau D, Int. 4, Z. 214-216)<br />
Akkordarbeit ist im industriellen Produktionsbereich üblich. Dabei sollen vorgegebene<br />
Stückzahlen eingehalten werden bzw. der Verdienst hängt mit dem geleisteten<br />
Arbeitspensum zusammen. Es gibt sowohl Gruppen- als auch<br />
Einzelakkordarbeitsplätze.<br />
168
- „Akkord schafft man halt nur, wenn alle zusammenhalten und wirklich mit<br />
arbeiten!“ (Frau A, Int. 1, Z. 22-24)<br />
Die Mehrzahl der Interviewten arbeitet im Gruppenakkord bzw. am Fließband und ist<br />
in ihrem Verdienst somit teilweise von der Arbeitsleistung und dem Arbeitswillen der<br />
KollegInnen abhängig. Der Akkord ist so hoch angesetzt, dass nicht viel Spielraum<br />
bleibt, wie Frau A feststellt:<br />
Wir waren ein gutes eingespieltes Team muß ich sagen und wir sind<br />
eigentlich arbeiten gegangen wegen dem Geld und durch das haben wir den<br />
Akkord eigentlich immer geschafft“. (Frau A, Int. 1, Z. 26-28)<br />
Gruppenarbeitsplätze tragen auch ein Konfliktpotential mit sich, es ist nicht<br />
selbstverständlich, dass bei Gruppenarbeit und Gruppenakkord Alle fleißig<br />
mitarbeiten. Herr B weiß davon zu erzählen:<br />
„es war keine richtige Gruppenarbeit, es hat 5 Leut gegeben, 2 haben<br />
richtig fleißig gearbeitet und die 3 haben einfach ganz normal nach ihrem<br />
Tempo gearbeitet. […]der eine hat gesagt: ich arbeit so viel, du tust gar<br />
nix, du saufst nur den ganzen Tag!“ “ (Herr B, Int. 2, Z. 139-146)<br />
Akkordarbeit wird mit Worten wie Stress und Druck in Zusammenhang gebracht<br />
sowie teilweise mit als unangenehm erlebten, körperlichen Symptomen.<br />
„also 8 Stunden immer: Stress, Stress, Stress.“ (Herr B, Int. 2, Z. 14-15)<br />
„Ich bin immer unter Druck gestanden. […] Das ist schiach. Da hab ich oft<br />
Herzklopfen gehabt“. (Frau D, Int. 4, Z. 88-91)<br />
Frau F äußert ihre erfahrungsbedingte Vorliebe für Akkordarbeit gegenüber einer<br />
vergleichbaren Arbeit ohne festgesetzte Stückzahl:<br />
„MIR ist lieber Akkord als das, bei Akkord kannst du dich immer einstellen,<br />
wie viel musst du machen […] und bei dem, das reicht nie, du bist immer zu<br />
langsam und da gehst du manchmal nach Hause, bist du K.O.“ (Frau F, Int. 6,<br />
Z. 43-47)<br />
169
Bezüglich der Arbeitszeitorganisation ist die Nachtschicht als besonders belastend<br />
erlebt worden:<br />
- „Ich bin nicht mehr Nachtschicht gegangen, ich bin kündigen gegangen“.<br />
(Frau D, Int. 4, Z. 139-140)<br />
Frau D berichtet von negativen Auswirkungen der Nachtarbeit sowohl auf den Körper<br />
als auch auf die Psyche. Am Tag habe sie nicht schlafen können und in der Nacht<br />
hätte sie sich dann „komplett verkehrt“ gefühlt. (Frau D, Int. 4, Z. 99-101)<br />
„ […] weißt eh beim Magen hat es mich da so angepackt, weißt eh da in der<br />
Nacht hab ich dann nicht essen können und am Tag hab ich dann auch nichts<br />
essen können ich hab überhaupt nicht mehr essen können und da war ich dann<br />
im Spital wegen dem Magen und Darm und dann habe ich ein ärztliches Attest<br />
gebracht, gell, dass ich die Nachtschicht nicht mehr aushalte. Und da haben<br />
sie mich dann trotzdem wieder eingeteilt und wegen dem bin ich gegangen“.<br />
(Frau D, Int. 4, Z. 126-132)<br />
„Ich war ganz fertig, du ich war fertig mit der Welt. Die Nerven, was<br />
glaubst du wie das die Nerven angreift. […]. Weil Nervenzusammenbrüche hab<br />
ich 2 unten gehabt, das sag ich dir ehrlich“. (Frau D, Int. 4, Z. 144-148)<br />
Frau F meint, dass es Leute geben würde, welche die Nachtschicht bevorzugen<br />
würden. Sie selbst gehöre nicht zu diesen. Die Umkehrung des normalen<br />
Lebensrhythmus hat bei Frau F zu einem erhöhten Schlafbedürfnis geführt:<br />
„[…] Nachtschicht, das ich nichts für mich, ich meine, ich war wie eine<br />
Leiche, verstehst du; von 7 in der Früh bis am Abend um 7 habe ich<br />
durchgeschlafen, die Mutter hat mich noch aufgeweckt, „komm etwas essen“;<br />
es ist, manche sind dafür, ich bin nicht dafür; Nachtschicht. Da kommt<br />
diese Zeit und aus. Es kann jetzt Krieg draußen anfangen, ich muss meine<br />
Stunden schlafen“. (Frau F, Int.6, Z. 284-289)<br />
Schichtarbeit nach dem 2 - Schichtmodell ist von den Interviewten nicht als<br />
Belastung thematisiert worden. Doch wenn es sich um ein 3 - Schichtmodell mit<br />
einem wöchentlichen Arbeitszeitwechsel handelt, bei dem sich die Arbeiter jeweils<br />
auf Früh – Nachmittags- oder Nachtschicht einstellen müssen, treten deutlich<br />
belastende Momente hervor. Die ArbeiterInnen haben das Gefühl, durch den<br />
170
einwöchigen Wechsel, nicht genug Zeit zu haben, um sich auf die neue Arbeitszeit<br />
einzustellen.<br />
„Weißt eh, Donnerstag, Freitags hätte ich mich dann gewöhnt, sagen wir<br />
einmal an die Nachmittagschicht dann ist aber schon wieder die Nachtschicht<br />
gekommen, habe ich mich da schon wieder umgewöhnen müssen und wie ich mich<br />
dann da dran gewöhnt hab dann ist wieder die Früh gekommen. Da hab ich mich<br />
da wieder gewöhnen müssen“. (Frau D, Int. 4, Z. 117-122)<br />
Herr B. würde es als Verbesserung finden, wenn Jeder individuell zwischen Früh-,<br />
Tag-, und Nachtschicht wählen könnte:<br />
„Es gibt die Leut die sagen, mir ist lieber wenn ich nur den Frühdienst<br />
mach, die stellen sich einfach so ein und das funktioniert nach ein paar<br />
Wochen, dann sind sie gut drauf und das ist kein Problem für sie. Es gibt<br />
die Leut die sagen: Nachmittag möchte ich gern machen, weil am Vormittag<br />
hab ich mit den Kindern was zum tun, oder muß sie in die Schule bringen […]<br />
oder die sagen, ich will ein bisschen mehr verdienen, gell, die Nacht ist<br />
mir lieber.“ (Herr B, Int. 2, Z. 48-56)<br />
In einigen Interviews wird auf ergonomische Verbesserungen in den letzten Jahren<br />
hingewiesen, welche die Arbeit erleichtern, so z.B. in der Höhe verstellbare Bänder<br />
oder Kräne zum Heben von Lasten.<br />
- „[…] da brauchst du dich nicht bücken, und wenn du dich bückst bist du<br />
selber schuld […]“ (Frau C, Int. 3, Z. 196-198)<br />
Ja es ist zum Teil schon eine Erleichterung gekommen. […] da haben wir<br />
schon so einen Kran, das hat sich mittlerweile schon geändert […]“ (Herr E,<br />
Int. 5, Z. 303-307)<br />
In der Firma und an den Arbeitsplätzen wo Frau C und Herr E arbeiten, scheint auch<br />
eine Aufgabenbereicherung stattgefunden zu haben. Das wird von beiden Befragten<br />
als positiv erlebt.<br />
„ Also eigentlich eine monotone Arbeit halt immer das Gleiche […] nur haben<br />
wir’s auf viele Handgriffe […]. Also doch ein bisschen abwechslungsreicher<br />
als wie es die anderen haben“. (Herr E, Int. 5, Z. 25-34)<br />
171
„Also im Prinzip ist es gleich, aber es ist einfach mehr Arbeit, weil mehr<br />
Kleinigkeiten noch dazu fallen, […] also ist immer eine Abwechslung<br />
drinnen, von dem her, sonst würde ich da nicht mehr sein ((lacht))“ (Frau<br />
C, Int. 3, Z. 70-74)<br />
10.2.4 Das Arbeitsklima<br />
10.2.4.1 Die Beziehung zu den ArbeitskollegInnen<br />
- „Mich hat da unten eigentlich sowieso nur das gehalten, weil wir uns<br />
gut verstanden haben“ (Frau A, Int. 1, Z. 104-105).<br />
Da die Arbeit selbst oft wenig Befriedigung vermittelt, stellt das Arbeitsklima für die<br />
Arbeiterinnen eine wichtige Ressource dar.<br />
„ […] wir sind eigentlich ein gutes Team möchte ich sagen, so von den<br />
Leuten her gell das ist sehr ausschlaggebend wenn du dich da nicht<br />
verstehen würdest, überhaupt wenn nur so wenige sind gell also das wäre<br />
eine Katastrophe […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 53-56)<br />
Mit den Kollegen kann man sich austauschen und Spaß haben, was die Stimmung<br />
heben kann, und die oft schwere Arbeit subjektiv leichter erscheinen lässt. Die<br />
Interaktion mit den KollegInnen bringt auch Abwechslung, was ein Gegengewicht zur<br />
monotonen Arbeit darstellt.<br />
„Wir haben miteinander geredet. Und gelacht wirklich über jeden Blödsinn,<br />
wirklich über alles halt, sonst verkraftet man das eh nicht glaube ich.“<br />
(Frau A, Int. 1, Z. 54-56)<br />
Herr B berichtet von angenehmen Erinnerungen an eine gute Zusammenarbeit mit<br />
einigen Kollegen, wie auch von gemeinsamen Ritualen, Rauch- Kaffee- und<br />
Klopausen.<br />
„Es hat die Schichte gegeben, wo ich gearbeitet habe mit meinen Kollegen,<br />
das war eine tolle Schichte, das war eine lustige Schicht, wir haben die<br />
Leute nur verarscht die ganze Zeit weil 8 Stunden kannst du das einfach<br />
nicht machen, dann sind wir aufs Klo gegangen, rauchen oder was weiß ich,<br />
Kaffee trinken ohne die Karte ausstempeln […].“ (Herr B, Int. 2, Z. 219-<br />
225)<br />
172
Durch die enorme Wichtigkeit, welche das Arbeitsklima bei einer wenig<br />
befriedigenden Arbeit hat, wird es umso schlimmer erlebt, wenn es mit den Kollegen<br />
nicht passt. Frau D hat sich neben der belastenden Arbeit in der Fabrik auch einer<br />
Mobbingsituation ausgesetzt erlebt; das Arbeitsklima hat für sie einen zusätzlichen<br />
Belastungsfaktor dargestellt.<br />
- „wenn ich wenigstens meine Ruhe gehabt hätte von den Weibern, dass<br />
mich die wenigstens die 8 Stunden in Ruhe lassen!“ (Frau D, Int. 4, Z.<br />
292-294)<br />
In zwei Interviews wird zum Ausdruck gebracht, dass die Vorgesetzten ein besseres<br />
Arbeitsklima schaffen könnten und sollten:<br />
„Da müssten die Vorgesetzten anders durchgreifen. […].Die müssten schauen<br />
dass das Arbeitsklima hinhaut.“ (Frau D, Int. 4, Z. 225-229)<br />
„Der Chef ist derjenige, welcher sagen sollte: hört’s, haltet doch<br />
zusammen!“ (Frau F, Int. 6, Z. 145-146)<br />
Frau F berichtet von einem Arbeitsklima, dass durch Konkurrenz, Feindlichkeiten und<br />
Vorurteile gekennzeichnet ist. Die Abwertung der Arbeitsleistung Anderer kann als<br />
Methode angesehen werden, um das eigene, prekäre Selbstwertgefühl zu erhöhen.<br />
„Das ist dieses schlechte Klima. Ich will dir nicht helfen, nur unter dem<br />
Motto: ich will dir nicht helfen, ich stehe besser da, du bist der<br />
Schlechte.“ (Frau F, Int. 6, Z. 140-142)<br />
Beobachtung der Anderen bei der Arbeit und Verpetzen (z.B. dass sie zu langsam<br />
seien) steht in Frau F’s Firma an der Tagesordnung.<br />
- „Wenn du schaust was ich tue, was machst du dann?“ (Frau F, Int. 6, Z.<br />
166-167)<br />
173
Vorurteile haben eine irrationale Komponente, wie Frau F feststellt. Sie sind<br />
gekennzeichnet von Verallgemeinerungen und schwer zu korrigieren. Frau F sieht<br />
sich an ihrem Arbeitsplatz Vorurteilen gegenüber AusländerInnen ausgesetzt.<br />
„ […] ich hab mich teilweise betroffen gefühlt. ich bin Ausländer, ich mein<br />
ich bin damals mit 20 gekommen und ich bin geblieben na. Keiner hatte für<br />
mich gearbeitet, ich hab diese 20 (Jahre) alleine gemacht. aber ständig:<br />
Ausländer, Ausländer und diese Feindlichkeiten, es gEHT nicht!“ (Frau F,<br />
Int. 6, Z. 381-385)<br />
Frau F benennt einige dieser gängigen Vorurteile gegenüber AusländerInnen, unter<br />
denen sie in ihrer Arbeit leidet:<br />
„Ausländer sind besser dran, Ausländer haben mehr“ WAS haben die mehr? „[…]<br />
nur die Ausländer sind kriminell!“, das stIMMT nicht. ich meine das stimmt<br />
nicht […]“ (Frau F, Int. 6, Z. 405-415)<br />
Herr B. verweist darauf, dass nicht nur zwischen Österreichern und Ausländern<br />
angespannte Beziehungen vorkommen, sondern auch zwischen Ausländern<br />
untereinander. Er bringt das mit der Konkurrenz und dem besser Dastehen wollen<br />
vor den Chefs in Zusammenhang:<br />
„Das ist immer, immer, immer das Problem, dass die Ausländer untereinander<br />
sich auch nicht gut verstehen können. Jeder will besser sein […]“ (Herr B,<br />
Int. 2, Z. 124-126)<br />
So hat sich Herr B. über die vorgetäuschte Leistung von Kollegen geärgert:<br />
„ […] die Chefleut, wenn die kommen musst richtig gut Schwitzen können,<br />
sagen wir einfach so, dass sie sagen: „ah, der machts gut!“ obwohl: der tut<br />
gar nichts.“ (Herr B, Int. 2, Z. 127-129)<br />
Andererseits können durch Humor und das Erkennen von Gemeinsamkeiten (hier:<br />
ähnliches Aussehen) Barrieren zwischen den Kulturen aufgehoben werden, wie die<br />
folgende Anekdote von Herrn B zeigt:<br />
174
„Auch dann wir haben da in einer Schicht die Ausländer und einen<br />
Österreicher. Und der Österreicher war ein fester Alki (Alkoholiker) und<br />
der hat auch zum Schluß mitgemacht, wir haben am Anfang angefangen weil der<br />
hat einen Schnurrbart gehabt und schwarze Haare und der Kollege hat gesagt:<br />
Du bist auch ein Türke, was weiß ich, dein Vater ist ein Türke und der hat<br />
zum Schluß akzeptiert dass er auch ein Türke ist na, das war auch ein Spaß<br />
weil der hat gesagt: Ich bin auch ein Türke, das hat schon Spaß gemacht“.<br />
(Herr B, Int. 2, Z. 227-235)<br />
Eine Möglichkeit ist die Abgrenzung des guten Arbeitsklima innerhalb der Gruppe<br />
nach außen hin zu anderen Kollegen, mit denen man nicht direkt zu tun hat. Die heile<br />
Fabriks – Familie, welche den Einzelnen zu stärken vermag, wird den Anderen, dem<br />
bedrohlichen Außen gegenübergestellt.<br />
„Na ja Konflikte, ich mein, also es ist ein Jeder gegen Jeden. Also wenn so<br />
viele, so ein Weiberhaufen beieinander ist, da ist es nicht so leicht<br />
((lacht)). Aber wir fünf wir haben uns gut verstanden und das war ein gutes<br />
Team, wir sind auch jetzt noch beieinander und das war eigentlich das<br />
Einzige wo man sagt: ja, wir ziehen an einem Strang.“ (Frau A, Int. 1, Z.<br />
110-115)<br />
„Bei uns ist es perfekt, bei uns vertragt sich eigentlich jeder, es gibt<br />
schon schlimmere Situationen drinnen auch, es gibt schon also die Leut was<br />
einfach nicht wollen, wo du das auch merkst, dass sie nicht arbeiten wollen<br />
und die tun einfach das, was sie wollen, weil es ihnen eh wurscht ist. Aber<br />
so bei uns das ganze Bandl ist eigentlich (-) Die Gegenschicht ist wieder<br />
was anderes“. (Frau C, Int. 3, Z. 99-104)<br />
10.2.4.2 Die Beziehung zu den Vorgesetzten<br />
- „da hab ich überhaupt keine Beziehung gehabt, weil ich gar keine Zeit<br />
gehabt hab, dass ich zu denen gehe“ (Frau D, Int. 4, Z. 178-179)<br />
Frau D meint, dass das Verhältnis zu den Vorgesetzten von Anonymität und<br />
mangelndem Interesse an ihr als Mensch geprägt gewesen ist. Sie hat sich in der<br />
Fabrik wie eine Nummer gefühlt, analog ihrer Personalnummer, die sie jeden Tag<br />
durch die Zeitzählmaschine gezogen hat.<br />
„Du bist da unten gewesen wie eine Nummer. Ich war ja wie eine Nummer. Ich<br />
bin nie als wie ein, weißt eh ein Mensch behandelt worden da unten sondern<br />
175
wie, bist a Nummer. Du hast auch deine Personalnummer gehabt, die du<br />
eingegeben hast. Du weißt das eh. Da war ich da unten eine Nummer 6 ½ Jahre<br />
lang. Nein, da ist nie jemand her gekommen, (fragen) wie es mir geht, oder<br />
wie mir die Arbeit gefällt oder wie das passt“. (Frau D, Int. 4, Z. 182-<br />
188)<br />
In mehreren Interviews ist zum Ausdruck gekommen, dass die Beziehung zu den<br />
Vorgesetzten von Bedingungen abhängig ist: fleißig sein (oder erscheinen) und<br />
Respekt erweisen.<br />
„Am Anfang war’s gut, weil ich fleißig war und gar Nichts gesagt hab,<br />
später wie ich drauf gekommen bin, dass die über uns, über mich oder über<br />
einen anderen Ausländer so blöd reden, Ich kann nicht einfach sagen: Ja,<br />
ihr habt immer Recht. Ich habe mein Recht gesagt und dann haben sie mich<br />
hinaus geschmissen.“ (Herr B, Int. 2, Z. 183-187)<br />
Frau C sieht die Verantwortung für die Qualität der Beziehung zwischen<br />
ArbeiterInnen und Vorgesetzten bei den Arbeitenden. Es gilt für sie als<br />
Selbstverständlichkeit, gute Arbeit zu leisten und sich den Vorgesetzten gegenüber<br />
angemessen zu verhalten, um gemocht zu werden.<br />
„Es kommt immer drauf an, wenn du brav bist, dann passt es, wenn du immer<br />
herumstehst und immer rauchen gehst dann ist es klar und so, dass sie dich<br />
dann einmal nicht mehr so gerne mögen“. (Frau C, Int. 3, Z. 111-114)<br />
10.2.5 Persönlicher Sinnbezug zur Arbeit<br />
- „[…] Spaß macht dir das, wo du genug Geld kriegst.“ (Frau F, Int. 6, Z.<br />
668-669)<br />
In allen Interviews wird das Geld als wichtigster Punkt im Zusammenhang mit der<br />
konkreten Fabrikarbeit gewertet.<br />
„ […] ich schaue so, von welchem Lohn kann ich leben? Irgendwas kannst du<br />
nicht nehmen, du musst deine Rechnungen bezahlen. […] Was bringt mir das,<br />
ich mache meinen Traumberuf etwa irgendwo so sitzen, saubere Arbeit machen,<br />
schön angezogen na und am Ende des Monats kannst du weinen […] “. (Frau F,<br />
Int. 6, Z. 662-673)<br />
176
Für Frau F ist der Sinn in ihrer jetzigen Arbeit einzig und alleine im Geldverdienen<br />
und der Sicherheit, die ihr eine fixe Arbeitsstelle (im Gegensatz zur Anstellung über<br />
eine Leihfirma) bietet:<br />
„nur das Geld und fixen Job […] sonst GAR nix“ (Frau F, Int. 6, Z. 369-371)<br />
Frau D ist wegen des Geldes länger als gewünscht in der Fabrik geblieben und hat<br />
wegen dem relativ guten Verdienst über 6 Jahre hinweg schlechte<br />
Arbeitsbedingungen durchgehalten.<br />
„Ich bin immer am Überlegen gewesen, soll ich noch einmal hinein gehen,<br />
soll ich nicht mehr gehen dann hab ich mir gedacht: Geld verdienst du<br />
schön, hab ich die Schwelle wieder übertreten dann“. (Frau D, Int. 4, Z.<br />
239-242)<br />
Auch für Herrn B. stellt das Geld den primären Sinn der Arbeit in der Fabrik dar. Er<br />
verweist auf die Illusion des leicht verdienten Geldes durch Fabrikarbeit, die er<br />
inzwischen erkannt zu haben scheint:<br />
„Am Anfang hat es mir schon getaugt, weil in der Lehre kriegst 600, 700 E<br />
na. Und da kriegst auf einmal 1230. […] Wenn du viel Geld willst musst du<br />
gescheit viel Leistung bringen, die Leistung was du bei der Firma X<br />
bringst, da kannst du überall so viel verdienen!“ (Herr B, Int. 2, Z. 76-<br />
78, 71-74)<br />
Die Arbeit stellt trotz ihren Belastungen eine bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit<br />
dar. Sie muss also über das Finanzielle hinaus noch einen anderen Zugewinn<br />
ermöglichen, sei es der Kontakt zu KollegInnen oder die Selbstbestätigung, ein<br />
fleißiger Arbeiter/ eine fleißige Arbeiterin zu sein.<br />
„Das war kein Wunschberuf für mich nein. Ich wollte einfach irgendetwas zum<br />
Tun haben. Weil daheim hocken, stempeln gehen, das ist auch nicht meine<br />
Sache.“ (Herr B, Int. 2, Z. 66-68)<br />
Für Frau A bietet die Fabrikarbeit keine Möglichkeit, sich der Arbeit selbst zu<br />
erfreuen.<br />
177
„Ich glaub in so einer Fabrik verliert man jede Freude am Arbeiten, Ich<br />
glaube, dass das sicher kein Traumberuf ist, für Keinen, ob das jetzt ein<br />
junges Mädchen ist oder eine ältere Frau, die wartet halt auch nur mehr auf<br />
die Pension […]“ (Frau A, Int. 1, Z. 196-200)<br />
Wie wichtig die Sinnfrage in Zusammenhang mit der Erwerbsarbeit sein kann, zeigt<br />
sich im Gespräch mit Frau D, welche im Interview lange über die Frage nachgedacht<br />
und sie wiederholt aufgegriffen hat. In ihrer ersten, spontanen Antwort kommt sie<br />
zunächst zu dem Schluss, dass Fabrikarbeit keinen über den Verdienst<br />
hinausgehenden Sinn hat.<br />
„Sinn hab ich überhaupt keinen gesehen. […]. Nein, ich hab keinen Sinn in<br />
der Arbeit gesehen, weil weißt eh wenn du 8 Stunden das gleiche, da siehst<br />
du keinen Sinn das ist, das ist dann schon Routine, weißt eh, das machst<br />
du, keinen Sinn, drum sag ich da verblödest du ja weil du keinen Sinn<br />
siehst, weil da siehst du einen Sinn“. (sie meint ihre neue Arbeit) „[…]<br />
wenn es nur bum bum geht bei der Maschine da siehst du halt, ich hab halt<br />
keinen (Sinn) gesehen (Frau D, Int. 4, Z. 476-488)<br />
Doch die Frage scheint ihr keine Ruhe zu lassen. Drückt sich in dem langen<br />
Nachdenken über die Frage der Wunsch nach einer Arbeit aus, der man subjektiv<br />
einen Sinn abgewinnen kann?<br />
„Da brauchst du doch nix lernen, das kannst du doch ja eh da brauchst du<br />
immer gleich hin gehen, ein bisschen anlernen eine Stunde oder was in einer<br />
Stunde bist du da eh drinnen und kannst es oder? […] nein ich war in so<br />
vielen Abteilungen, nein aber ich hab nirgendwo, einen Sinn hab ich<br />
nirgendwo gesehen.“ (Frau D, Int. 4, Z. 494-497, 508-510)<br />
Frau D erinnert sich an andere Fabrikarbeiten zurück und kommt zu dem Schluss,<br />
dass auch diese für sie nicht sinnvoll gewesen sind.<br />
„Da hab ich auch keinen Sinn gefunden. Da haben wir Leberknödeln gemacht,<br />
weißt und Dosen eingefüllt und Dosen geschlichtet und die Dosen auf eine<br />
Palette aber was ist da für ein Sinn. […] ja das Geld hab ich gebraucht.<br />
Aber einen Sinn in Fabriken?“ (Frau D, Int. 4, Z. 538-543)<br />
178
Schließlich fällt ihr eine Arbeit in einer Fabrik ein, der sie subjektiv Sinn zuschreiben<br />
kann:<br />
„ja da hab ich einen Sinn gesehen, weißt eh das Geschirr, das brauchst du<br />
zum Kochen und das, weißt du? […] und das schaut jetzt schön aus weil da<br />
machen wir jetzt ein neues Dekor oder was, gell, weißt das, da hast du ein<br />
bisschen einen Sinn gesehen aber da herinnen hab ich überhaupt keinen Sinn<br />
gesehen, in der (Firma) X nicht und der (Firma) Y auch nicht.“ (Frau D,<br />
Int. 4, Z. 546-551)<br />
Herr E ist jetzt seit 37 Jahren in derselben Firma und es ist ihm gelungen, sich mit<br />
dieser zu identifizieren, und somit der Arbeit subjektiv einen Sinn zuzuschreiben, der<br />
über das Finanzielle hinausgeht.<br />
„ […] der Sinn, ja der Sinn, das ich da hinein gehen? Ist einfach dass ich<br />
meinen Lebensunterhalt mir verdiene. Wobei ich mich mittlerweile schon<br />
irgendwo mit der Firma, mittlerweile, sage ich, eh schon lange,<br />
identifizieren kann, nicht? wenn du so lange drinnen bist, bist du ja<br />
irgendwo schon wie ein lebendes Inventar von der Firma. Freuen tut es dich,<br />
wenn wir wieder was Neues machen und das funktioniert und so, […] oder wenn<br />
es klasse herunterläuft die Arbeit wieder einen Tag gell und so das taugt<br />
einem halt […] (Herr E, Int. 5, Z. 387-395)<br />
Auch Frau F erzählt, dass sie durch die lange Fabrikzugehörigkeit und die vielen<br />
Arbeitsstunden die sie dort verbracht hat, eine Beziehung zu ihrer früheren Firma hat<br />
aufbauen können, die über das rein Finanzielle hinausgegangen ist. Der Verlust<br />
dieser Arbeitsstelle ist für sie ein schwerer Schlage gewesen.<br />
„ […] ich habe hier in dieser Firma meine Familie gesehen. Ich war mehr in<br />
der Firma als in meiner Ehe […]Man schafft schon unbewusst in diesem<br />
Betrieb: das ist eine Familie, du, du, das ist dir nicht einmal bewusst,<br />
ich mein: auf einmal verlierst du (die Arbeit) ich habe damals den Boden<br />
verloren […].“ (Frau F, Int. 6, Z. 494-496, 575-578)<br />
Trotz teilweise positivem Zugewinn, welche die Arbeit als Ungelernte in der Industrie<br />
bieten mag, würden die Befragten ihren Kindern eine andere Arbeit wünschen. Die<br />
Kinder sollen es einmal besser haben.<br />
179
„Wenn ich Kinder hätte? Würde ich sie so weit treiben, dass sie die Schule<br />
fertig machen. Das sie nie in eine solche Fabrik kommen, das ist nicht,<br />
irgendwo im Büro sitzen und anständige Arbeit machen aber nicht in einer<br />
Fabrik“. (Frau F, Int. 6, Z. 657-660)<br />
Herr E, der sich mittlerweile mit seiner Arbeit identifizieren kann und seinen Angaben<br />
zufolge zufrieden ist, würde nicht wollen, dass sein Sohn in einer Fabrik arbeitet. Er<br />
ist sichtlich stolz über dessen Studien- und Berufserfolg und zeigt mir die<br />
Diplomarbeit des Sohnes.<br />
„Nein, also mir tut ein jeder leid weil es sind so viele Junge jetzt<br />
drinnen, die haben ausgelernt und gehen dann drinnen aufs Bandl arbeiten,<br />
das verstehe ich überhaupt nicht […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 515-517)<br />
Frau D, die sehr mit der belastenden Gesamtsituation in der Firma gekämpft hat,<br />
wünscht ihren Kindern eine bessere Arbeit, die Ausbildung der Kinder hat einen<br />
hohen Stellenwert.<br />
„[…] drum hab ich meine Kinder studieren lassen, die haben gesagt, sie<br />
wollen das, da hab ich mir gedacht: super, die sollen das tun, weil die<br />
sollen jah nicht in die Fabrik gehen. Jah nicht in die Fabrik […]. Die<br />
können alles andere tun, weil wenn’s Friseurin, Verkäuferin aber jah nicht<br />
in die Fabrik, jah nicht in die Fabrik. […]. was sie machen war mir<br />
wurscht, aber dass sie was anderes machen aber dass sie jah nicht in die<br />
Fabrik müssen.“ (Frau D, Int. 4, Z. 362-367, )<br />
Obwohl man den Kindern etwas Besseres wünscht, schwingt etwas Wehmut über die eigene<br />
Arbeitssituation mit. Frau D’s Kinder haben über die Ferien in derselben Fabrik gearbeitet, in<br />
der sie 6 ½ Jahre tätig gewesen ist. Sie verweist auf die Vorteile von studentischen<br />
FerialarbeiterInnen gegenüber ihrer eigenen Situation als Jemand, der immer dort arbeitet<br />
bzw. arbeiten muss.<br />
„Ihr habt es ja schön. Ich muß in dem Affenzirkus bleiben, nicht, ich muss<br />
unten bleiben bei den Weibern da ich muss jeden Tag hineingehen, kann nicht<br />
sagen: ja, ich bleibe 2 Wochen. Das ist bei den Ferialern praktisch.“ (Frau<br />
D, Int. 4, Z. 383-387)<br />
180
Herr E erzählt die Geschichte einer Arbeitskollegin, die nach der Matura für 11 Jahre<br />
in der Fabrik gearbeitet hat. Scheinbar motiviert durch ihren Bruder, der ein Studium<br />
begonnen hat, ist sie selbst jetzt Studentin.<br />
„Die hat 11 Jahre jetzt bei uns gearbeitet. Sie hat geglaubt 2 Monate geht<br />
sie hinein nach der HAK und dann ist sie 11 Jahre drinnen gewesen und jetzt<br />
hat ihr Bruder hat angefangen zum Studieren und sie auch. […]taugt mir für<br />
sie selber, die hat das noch einmal geschafft, dass sie, bei mir, ich wäre<br />
auch nicht blöd gewesen aber ich hab gar nicht Ding gehabt, den Biss, dass<br />
ich sag ich muss irgendetwas anderes noch angehen oder was und ich war nie,<br />
so auf gut Deutsch gesagt, ein Arschkriecher, war ich auch nie, weil dann<br />
hätte ich es drinnen auch schon zu mehr gebracht“. (Herr E, Int. 5, Z. 524-<br />
527, 532-538)<br />
10.2.6 Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben<br />
- „privat bin ich nicht mehr das, was ich früher war […] ich bin froh, wenn<br />
keiner sagt, machen wir was unter der Woche, bin ich wirklich froh“ (Frau<br />
F, Int. 6, Z. 245, 257-258)<br />
Die Anstrengungen der Arbeit wirken sich auf das Privatleben aus. Es wird viel Zeit<br />
für Regeneration aufgebraucht, die für Freizeitaktivitäten fehlt.<br />
„man ist dann halt schon nach die 8 Stunden schon ganz schön müde da<br />
braucht man dann schon eine Zeit lang, dass man dann selbst wieder zu sich<br />
kommt dass man das Gehirn dann wieder ein bisschen einschaltet wenn man da<br />
herauskommt“ (Frau A., Int. 1, Z. 159-162 )<br />
Körperliche Abnützungen durch jahrelange, schwere Arbeit bewirken bei Herrn E<br />
zum Beispiel, dass er seine Freizeit nicht so genießen kann, wie er es möchte.<br />
„Ich merke es ja selber, wenn ich heim komme und ich hab Kreuzweh, wenn<br />
dich nichts mehr freut und du kannst nichts mehr tun weil ja du sollst<br />
irgendeinen Ausgleichssport machen und dann kannst du dich fast nicht mehr<br />
rühren, gell also da wirkt es sich schon aus. die letzten 2 Jahre geht es<br />
eh relativ gut aber ich hab Jahre drinnen gehabt da habe ich drei Vorfälle<br />
auf einmal gehabt gell, Bandscheibenvorfälle und das geht auf die Psyche da<br />
hast du Privat null eigentlich mehr weil da bist du nur froh wenn du heim<br />
kommst und dass du dich hin legst in der Früh lässt du dich vom Bett<br />
181
herausrollen, weil du nicht mehr normal aufstehen kannst weißt eh da wirkt<br />
es sich schon gewaltig aus gell“ (Herr E, Int. 5, Z. 441-452)<br />
Frau D berichtet von Schwierigkeiten mit der Umstellung von der Arbeit auf das<br />
Privatleben. Ihr ist es nach der Akkordarbeit schwer gefallen, zu Hause abzuschalten<br />
und sich zu entspannen:<br />
„Ich war komplett fertig mit der Welt. Sag ich dir ehrlich. Ich habe<br />
abschalten auch nicht mehr können, weißt. Und daheim bin ich schon um 8<br />
liegen gegangen weil ich war gestrichen ich hab daheim auch fast nichts<br />
mehr ausgerichtet […]“ (Frau D, Int. 4, Z. 308-312)<br />
10.2.7 Die Vergleichsperspektive<br />
- „Wenn du in einer Fabrik arbeitest, die Arbeit machst du nur mit deinem<br />
Körper und da geht’s alles nur mit Gehirn, das ist noch schwerer“. (Herr B,<br />
Int. 2, Z. 192-194)<br />
Herr B. weist auf die Trennung zwischen einseitiger körperlicher und rein geistiger<br />
Arbeit hin. Verglichen mit seiner jetzigen Tätigkeit in der Versicherungsbranche,<br />
empfindet er die Arbeit in der Fabrik als leichter, da es sich dabei „nur“ um<br />
körperliche Arbeit gehandelt hat, und er außerdem die Möglichkeit gehabt hätte, den<br />
Akkord nicht zu machen und einfach weniger zu arbeiten.<br />
„In der Firma war’s so aber nach 8 Stunden weißt; entweder du bemühst dich<br />
voll oder du sagst: leckt’s mich am Arsch, ich mach’s ganz langsam, da hast<br />
du die Möglichkeiten gehabt“. (Herr B, Int. 2, Z. 201-203).<br />
In anderen Interviews schneidet die Fabrikarbeit verglichen mit anderen Arbeiten<br />
schlechter ab, so bei Frau D und A. Frau A sieht ihre neue Tätigkeit in der<br />
Versicherungsbranche im Gegenteil zu Herrn B als leichter, verglichen mit der<br />
Fabrikarbeit.<br />
„also, wenn ich jetzt den Vergleich habe, […] am 1. Tag habe ich mich<br />
überhaupt nicht ausgekannt, wie ich da angefangen habe muß ich sagen, das<br />
war total arg für mich. Ich bin da hereingekommen und weißt eh und die<br />
haben gesagt: trinkst einmal einen Kaffee, setzt dich einmal rein ins Büro<br />
und schaust es dir an, das ist unbeschwerter (die neue Arbeitsstelle),<br />
182
- in die Firma, da geht man doch immer mit einem Druck hinein weil man<br />
weiß: Vollgas oder sonst gibt’s Nichts<br />
und ob man da heut ein bisschen kränklich ist, ob man Kopfweh hat, da<br />
nimmt halt keiner Rücksicht und da sagst halt: gut, ich gehe eine Stunde<br />
früher heim oder was.“ (Frau A, Int. 1, Z. 213-223)<br />
Frau D weiß im Vergleich ihrer Arbeit in der Fabrik zur jetzigen Arbeit, dass eine<br />
weniger kräfteraubende Arbeit, die Spaß macht und subjektiv Sinn hat, mehr Raum<br />
für Privatbereich und Hobbys lässt als anstrengende, monotone Fabrikarbeit, zu der<br />
sie sich hat zwingen müssen. Auf die Frage nach ihren Hobbys meint sie:<br />
„ Du mir war um kein Hobby, mir war um gar Nichts. […]. Ich bin nur<br />
einkaufen gegangen und schauen, dass ich das Haus fertig mach, mit dem Geld<br />
weißt dann hab ich wieder einmal Auto gekauft […] Hobby hab ich überhaupt<br />
keines gehabt. Das was ich da hab. […] weißt das ist da ganz was anderes.“<br />
(Frau D, Int. 4, Z. 340-350)<br />
Frau C. empfindet ihre jetzige Arbeit am Fließband verglichen mit einer vorherigen<br />
Arbeit in einer anderen Firma als abwechslungsreich. Hier wird die Arbeit am<br />
Fließband aufgewertet. Hätte sie den Vergleich zu einem ihrer Traumjobs (event –<br />
management), wie würde die Beurteilung zu ihrer jetzigen Arbeit aussehen?<br />
„Du machst nicht immer das gleiche wie in der (Firma) X, da hab ich ja doch<br />
halt immer das Gleiche gemacht da war ich 1 ½ Jahre nur auf der Maschine<br />
und hab nur die gemacht, im Schlaf hab ich das schon können. (Frau C, Int.<br />
3, Z. 63-66)<br />
Frau F erscheint das jetzige Arbeitsklima auch deshalb besonders schlimm, weil sie<br />
es anders kennt. Erfahrungen von Zusammenhalt untereinander stehen den jetzigen<br />
Erfahrungen von Konkurrenz, Neid und Verpetzen gegenüber:<br />
„ […] der Meister nach der einen Woche sagt: und wie ist die Neue. Jeder<br />
sagt: es wird schon, es wird schon, die braucht ein bisschen nur Zeit, die<br />
kappiert, Keine hat gesagt: nein, die ist nicht dafür oder so was z.B.<br />
hier, die sind so, für die ist das: das ist nicht für sie und die finden<br />
das ist normal. Das ist nicht normal! Das ist nicht eine schwere Arbeit zu<br />
kappIEren.“ (Frau F, Int. 6, Z. 527-533)<br />
183
184
11 Zusammenfassung<br />
Nach der Einleitung ist im theoretischen Teil der Diplomarbeit die Geschichte der<br />
Industriearbeit beschrieben worden. Da ein Schwerpunkt auf den<br />
Erlebnisperspektiven, den Sichtweisen von ArbeiterInnen liegt, habe ich im ersten<br />
Kapitel Erlebnisberichte von Fabrikarbeitern zur Zeit der Industrialisierung einfließen<br />
lassen. Der geschichtliche Teil inkludiert die Geschichte des Protests gegen die<br />
Industriearbeit. Es folgte die Darstellung wichtiger Humanisierungsbewegungen, im<br />
Kapitel 3, und deren kritische Betrachtung.<br />
Die zentrale Frage der Diplomarbeit war die nach Erlebnisperspektiven von<br />
IndustriearbeiterInnen, und wichtige Schwerpunkte dabei waren: Arbeitsbelastungen,<br />
Ressourcen und positive Aspekte, sowie das Sinnerleben im Zusammenhang mit der<br />
Arbeitstätigkeit. Im theoretischen Teil bin ich im Kapitel 4 auf mögliche<br />
Belastungsfaktoren eingegangen. Dabei ist folgende Einteilung vorgenommen<br />
worden, in: Belastungen durch die Art der Arbeit, Arbeitsumfeldbelastungen, die<br />
soziale Umgebung als Belastungsfaktor, Belastungen durch organisatorische- und<br />
gesellschaftspolitische Bedingungen und personale Belastungsfaktoren. Bei der<br />
Darstellung der Belastungsfolgen ist detaillierter auf die Phänomene: Ermüdung,<br />
Monotonie und psychische Sättigung eingegangen worden.<br />
Kapitel 5 hat relevante Begriffe im Zusammenhang mit Ressourcen und<br />
Bewältigungsstrategien umfasst, wie: Moderatorvariablen, Arbeitszufriedenheit,<br />
Ressourcen, Coping und soziale Unterstützung. Außerdem habe ich das Konzept der<br />
subjektiven Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt vorgestellt, auf welches im<br />
empirischen Teil zurückgegriffen worden ist.<br />
Im letzten Kapitel des theoretischen Teils, Kap. 6, habe ich mich mit dem Sinnbegriff<br />
im Zusammenhang mit Produktionsarbeit auseinandergesetzt. Nach einer<br />
Begriffsklärung und der Darstellung der Bedeutung der Erwerbsarbeit für die<br />
Arbeitenden im Allgemeinen, ist auf die Dimensionen der Entfremdung nach Marx<br />
eingegangen worden, sowie auf mögliche neue Formen der Entfremdung. Im<br />
Zusammenhang mit dem subjektiven Sinn der Industriearbeit für die Arbeitenden<br />
habe ich drei theoretische Annahmen dargestellt: - die instrumentelle<br />
185
Arbeitseinstellung, - Arbeit und Sinn als eine Frage der Einstellung (vgl.<br />
Cszikszentmihalyi) und quasi als Mittelweg, – die ambivalente Beziehung zur Arbeit<br />
mit Momenten der Sinnfindung (vgl. Becker – Schmidt u.a.).<br />
Im empirischen Teil habe ich im Kapitel 7 das Untersuchungsfeld und danach<br />
(Kapitel 8) die Forschungsmethoden beschrieben. Methoden der Erhebung waren<br />
die Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnung und Leitfadeninterviews,<br />
Auswertungsmethoden waren die qualitative Inhaltsanalyse und das szenische<br />
Verstehen. In Kapitel 9 habe ich meine eigenen Erfahrungen als<br />
Produktionsarbeiterin in 2 Betrieben beschrieben, zentrale Punkte dabei waren: - das<br />
Erleben der Arbeit, - das Erleben des Arbeitsklimas, Erfahrungen mit<br />
Arbeitsbelastungen, Positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und<br />
Bewältigungsstrategien, das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der<br />
Arbeit und – Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit.<br />
Bei Firma A handelte es sich um einen Großbetrieb mit rund 1100 Beschäftigten. Es<br />
wurde in einem 3-Schichtmodell gearbeitet, mit einem wöchentlichen Wechsel von<br />
Früh-, Nachmittags-, und Nachtschicht. Die Arbeit war in Gruppen – und<br />
Einzelarbeitsplätzen organisiert, gearbeitet wurde im Akkord. In diesem Betrieb habe<br />
ich während meiner einmonatigen Tätigkeit als Ferialarbeiterin in allen drei Schichten<br />
gearbeitet.<br />
Sowohl am Gruppen- als auch am Einzelarbeitsplatz war die Arbeit gekennzeichnet<br />
durch: einfache, kurzfrequente Arbeitsschritte die unter Zeitdruck zu verrichten waren<br />
(obwohl FerialarbeiterInnen grundsätzlich vom Akkordsystem ausgenommen sind).<br />
Im subjektiven Erleben hat sich die Forderung nach Geschwindigkeit gespiegelt<br />
durch ein Gefühl von Stress und Wut auf schnelle ArbeiterInnen, wenn ich nicht<br />
nachgekommen bin, und sich an meinem Arbeitsplatz in der Gruppe die Teile<br />
angestaut haben. Durch das ständige Wiederholen derselben Arbeitsschritte ist ein<br />
Gefühl der Müdigkeit und Langeweile entstanden.<br />
In diesem Großbetrieb habe ich keinen Kontakt zu den Vorgesetzten gehabt. Das<br />
Zusammenarbeiten mit den KollegInnen habe ich, abgesehen von dem Gefühl des<br />
Gehetzt – Werdens am Gruppenarbeitsplatz, als positiv und als wichtige Ressource<br />
186
und Gegenwelt zur belastenden Arbeit erlebt. Konkret hat sich das gute Arbeitsklima<br />
in meinem subjektiven Erleben zusammengesetzt aus: gemeinsamen Ritualen,<br />
Gesprächen, gegenseitigen Aufmunterungen, der Möglichkeit zum<br />
Arbeitsplatzwechsel z.B. bei Schmerzen durch einseitige Haltung, und<br />
Hilfsbereitschaft.<br />
Den Lärm durch die zahlreichen Maschinen habe ich anfangs als belastend erlebt.<br />
Nach der Gewöhnung daran ist mir der Lärm nur mehr nach einem<br />
Maschinenstillstand (bei Stromausfall) aufgefallen. Andere Arbeitsbelastungen waren<br />
körperliche Beschwerden durch einseitige Bewegungen, das Ankämpfen- müssen<br />
gegen die Müdigkeit, welche durch die monotone Arbeitsverrichtung entstanden ist<br />
und ein subjektives Gefühl von Langeweile, Sinnlosigkeit und Zeitverschwendung<br />
durch diese Art von Arbeit und der damit zusammenhängenden geistigen<br />
Unterforderung. Positive Aspekte der Arbeit waren für mich das Arbeitsklima und die<br />
Möglichkeit der Ablenkung durch Musik u.a. Vor allem während der<br />
Nachtschichtwoche habe ich einen „Freizeit – Mangel“ empfunden, da viel<br />
arbeitsfreie Zeit für Schlafen und Regeneration aufgebracht werden musste.<br />
Betrieb B war ein Kleinbetrieb mit weniger als 30 ArbeiterInnen, zum Zeitpunkt<br />
meiner Tätigkeit dort. Die Arbeit war in Tagschicht organisiert und es gab keine<br />
vorgegebenen Akkordsätze. Wie in Firma A bin ich auch hier über eine Leihfirma<br />
beschäftigt gewesen. In diesem Betrieb habe ich rund ½ Jahr lang gearbeitet. Den<br />
Status als Leiharbeiterin habe ich als ein „nicht richtig dazugehören“ empfunden. Die<br />
Beschäftigung als Leiharbeiterin war gekennzeichnet durch Arbeitsplatzunsicherheit<br />
und eine geringe Stellung in der Hierarchie unter den ProduktionsarbeiterInnen.<br />
Die Arbeit ist von ihrem Charakter her, meiner Arbeitstätigkeit im ersten Betrieb sehr<br />
ähnlich gewesen. Es hat sich dabei um einfache, kurzfrequente Arbeitsschritte<br />
gehandelt, die von Ungelernten (Frauen) an Einzelarbeitsplätzen ausgeübt worden<br />
sind. Obwohl nicht unter Akkord gearbeitet worden ist, war der Druck von Seiten der<br />
Vorgesetzten und KollegInnen zum schnellen Arbeiten ständig präsent.<br />
In den ersten Tagen habe ich aus meiner Vergleichsperspektive Vorteile in der Arbeit<br />
gesehen, da man noch Verständnis für meine „Anfängerlangsamkeit“ aufgebracht<br />
187
hat. Ich habe es bei der Arbeit (aus meiner Vergleichsperspektive als vormalige<br />
LeiterIn einer Kindergruppe) als angenehm empfunden, nicht denken und planen zu<br />
müssen. Die Arbeit war in den ersten Tagen mit wenig psychischem Stress<br />
verbunden sowie mit wenig Verantwortung. Außerdem ist für diese Art von Arbeit<br />
keine Vorbereitungszeit notwenig gewesen.<br />
Nach der Eingewöhnungszeit von wenigen Tagen, sind die negativen Seiten der<br />
Arbeit immer mehr in den Vordergrund gerückt. Ich habe die Arbeit als geistige<br />
Unterforderung erlebt bei gleichzeitiger Überforderung hinsichtlich der<br />
Geschwindigkeit, in der produziert werden sollte. Meine Strategien gegen die, durch<br />
die Arbeit entstehende Monotonie waren: das Lernen von Vokabel über einen<br />
Diskplayer, das Hören von Radio und Musik, Tagträume sowie teilweise Gespräche<br />
mit dem Meister und KollegInnen. Die Vorgesetzten habe ich teilweise als positiv<br />
erlebt und mich vor allem vom Meister als Mensch behandelt gefühlt.<br />
Als Arbeitsbelastung habe ich neben der Monotonie vor allem körperliche<br />
Beschwerden, entstehend durch die einseitige Arbeit, erlebt. Daneben auch<br />
unangenehme Gerüche, Geräusche und das teilweise belastende Arbeitsklima (Kritik<br />
und Angriffe von KollegInnen, ständige Forderungen zum schnelleren Arbeiten etc.).<br />
Der aktuelle Chef ist in seinem Umgangston den ArbeiterInnen gegenüber eher<br />
autoritär gewesen und hat viel Kritik geäußert. Zu besonderen Anlässen, wie nach<br />
Feiertagen oder bei Geburtstagen hat es Geschenke gegeben. Im Allgemeinen hat<br />
das Arbeitsklima in diesem Betrieb auch einen belastenden Faktor dargestellt.<br />
Konkurrenz unter den MitarbeiterInnen (im Zusammenhang mit der leichten<br />
„Austauschbarkeit“ von LeiharbeiterInnen), Fehler – Suche bei Anderen, Kritik,<br />
Verpetzen bei Vorgesetzten, offene und verdeckte Feindseligkeiten sind üblich<br />
gewesen.<br />
Die Arbeit selbst habe ich nicht als sinnstiftend empfunden und auch der Lohn dafür<br />
war relativ gering. Für mich ist es in erster Linie darum gegangen, mich in einem<br />
optimalen Ausmaß (Unfallgefahr; Fehler) von der Arbeit abzulenken z.B. durch Radio<br />
– Hören, Gespräche (selten möglich), Tagträume u.a., damit die Zeit schnell vergeht<br />
und wieder ein Arbeitstag vorbei ist. Nach der Arbeit habe ich kaum Energie für<br />
188
Freizeitaktivitäten übrig gehabt und, wie viele KollegInnen, nur das Notwendigste<br />
getan.<br />
Die 6 Leitfadeninterviews sind mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse<br />
(zusammenfassender Art) ausgewertet worden. Im Kapitel 10. 1 habe ich zunächst<br />
Definitionen, Begriffseingrenzung und die Vorgehensweise der Analyse dargestellt.<br />
Danach bin ich in der Beschreibung der Ergebnisse auf jedes Interview einzeln<br />
eingegangen. An dieser Stelle seien die Erbnisse aus allen 6 Interviews hinsichtlich<br />
der drei Schwerpunkte der Diplomarbeit zusammengefasst:<br />
In den Interviews haben alle 6 Befragten bei der Frage nach belastenden Aspekten<br />
der Arbeit, körperliche Anstrengung erwähnt. 3 Interviewte haben die geistige<br />
Unterforderung angesprochen und ebenfalls 3 Personen die Belastung durch eine<br />
hohe Produktionsgeschwindigkeit (Akkordarbeit). Weitere, erwähnte Belastungen<br />
durch die Art der Arbeit (K1) waren: fehlende Abwechslung, Monotonie<br />
(Unfallgefahr), Stress durch fehlende Akkordvorgaben, Belastung durch<br />
Arbeitsumstellungen und fehlende Rücksichtnahme auf das Befinden der<br />
ArbeiterInnen. Den Status als LeiharbeiterIn (K2) haben 4 Interviewte durch die<br />
damit verbundene Arbeitsplatzunsicherheit und die niedrige soziale Stellung unter<br />
den ArbeiterInnen, als belastend erlebt bzw thematisiert.<br />
Zu den Belastungen durch die Organisation der Arbeit (K3) sind 2 Interviewte auf<br />
das 3 – schicht – Modell und Probleme mit der Umstellung eingegangen. Erwähnt<br />
worden sind auch: Gesundheitliche Belastungen durch Nachtschichtarbeit und zu<br />
kurze Pausen. Ein schlechte Arbeitsklima (K4) hat für die Hälfte der Befragten eine<br />
Belastung dargestellt. Aspekte desselben für die Interviewten sind: ein fehlender<br />
Zusammenhalt, Mobbing, Ausländerfeindlichkeit (unter den Interviewten waren 2<br />
AusländerInnen), fehlende Beziehung zu den Vorgesetzten und sich nicht als<br />
Mensch behandelt fühlen. Ein Mangel an Sinn und Freude bei der Arbeit (K5) und<br />
die Tatsache, dass sie sich zur Arbeit zwingen haben müssen, waren für 2<br />
Interviewte ein weiterer Belastungsfaktor.<br />
Bei den Arbeitsumfeldbelastungen (K6) wurden Folgende erwähnt: Hitze, wenig<br />
Parkplätze und schlechte Busverbindungen, Gerüche und deren Gefahr für die<br />
189
Gesundheit. Negative Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben (K7) stellte<br />
ebenfalls eine Belastung dar. Die Interviewten berichteten von einem Mangel an<br />
Energie und Interesse für Hobbies, einen hohen Regenerationsbedarf nach der<br />
Arbeit, „nervliche Belastung“ durch ein nicht – Abschalten – können nach der Arbeit<br />
und die Unmöglichkeit, in der Freizeit Etwas zu tun, wegen der Schmerzen aufgrund<br />
der körperlich anstrengenden Arbeit, über die Jahre hinweg.<br />
Als positiv ist zum Teil ein gutes Arbeitsklima (K1/2) hervorgehoben worden.<br />
Dieses hat sich ausgezeichnet durch: - Zusammenarbeit, - Gespräche, Gemeinschaft<br />
und zusammen Lachen (4 Interviewte), - Hilfsbereitschaft, gemeinsame Rituale (z.B.<br />
Kaffeerunden) und ein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten. Ein gewichtiger Vorteil<br />
der Produktionsarbeit stellt nach dem subjektiven Empfinden die<br />
Verdienstmöglichkeit (K2/2) dar. Diese sei 2 Interviewten zufolge für Frauen durch<br />
die Akkordarbeit relativ hoch. Der Verdienst ist auch besser als der eines Lehrlings<br />
(relativer Vorteil). Ein fixer Job biete zudem Sicherheit.<br />
Hinsichtlich der Arbeitsorganisation (K3/2) sind eine fixe Arbeitszeit und die<br />
Möglichkeit, beim Einzelakkord zu bestimmen, wie viel man arbeiten will, als positiv<br />
erwähnt worden. Überhaupt sei die Arbeit vergleichsweise besser (K4/2) als:<br />
Arbeitslosigkeit, Arbeiten im Freien, andere Arbeiten in der Fabrik (wegen mehr<br />
Abwechslung) und Leiharbeit. Die Arbeit wird von den Interviewten teilweise als<br />
positiv erlebt (K5/2), da eine Gewöhnung an die Arbeit stattfinden würde, in den<br />
letzten Jahren ergonomische Verbesserungen vorgenommen worden sind und<br />
derzeit Pausenüberziehungen möglich sind. Eine Interviewte empfinden die Arbeit<br />
entspannend, wenn sie hohe Stückzahlen zu produzierne hat und sich nicht ständig<br />
auf neue Produkte einstellen muss. Ein Interviewter spricht von Identifikation mit<br />
der Firma (K6/2), er freue sich, wenn ein neues Produkt funktioniert. Persönliche<br />
Ressourcen (K7/2) wie: die Arbeit bewusst locker nehmen, guter Laune sein und<br />
den Tag durch frühes Aufstehen gemütlich beginnen, stellen eine weitere Kategorie<br />
dar.<br />
Bezüglich des subjektiven Sinnerlebens im Zusammenhang mit der<br />
Produktionsarbeit hat die Hälfte der Interviewten gemeint, dass sie nur wegen dem<br />
Geld arbeiten gegangen sind (K1/3). Zwei Interviewte sind primär wegen dem Geld<br />
190
arbeiten gegangen, darüber hinaus haben sie das gute Arbeitsklima und den<br />
Spaß mit den Kollegen (K2/3) als sinnstiftend erlebt. Ein Interviewter hat gemeint,<br />
dass der Zweck, warum er arbeiten geht primär darin liegt, dass er sich seinen<br />
Lebensunterhalt verdient. Darüber hinaus spricht er von einer Identifikation mit<br />
der Firma (K3/3), er sei schon lange dort und es würde ihn freuen, wenn ein neues<br />
Produkt funktioniert, ein Arbeitstag gut verläuf und er keinen Ausschuss produziert.<br />
Zwei KollegInnen haben erzählt, dass es in der Fabrik auch Arbeiten gäbe, die<br />
interessanter wären und mehr Spaß machen, als das, was sie die überwiegende<br />
Zeit zu tun haben bzw. hatten. (K4/3). Schließlich hat sich eine Interviewte daran<br />
erinnert, dass ein Sinnerleben über die Produkte möglich (K5/3) ist (Erinnerungen<br />
an frühere Arbeit in einer anderen Firma), wenn diese als brauchbar und ästhetisch<br />
ansprechend empfunden werden (Produzentenstolz).<br />
Unter Punkt 10.2. sind noch wichtige Aussagen aus den 6 Interviews z.T. in Form<br />
von Kernsätzen dargestellt worden. Es ist auf folgende zentrale Themen<br />
eingegangen worden: - Arbeiten über eine Leihfirma, der erste Arbeitstag und die<br />
Gewöhnung an die Arbeit, Erleben der Arbeit, Auswirkungen der Arbeit auf das<br />
Privatleben und die Vergleichsperspektive.<br />
191
12 Schlussbetrachtung: gegenwärtige Trends von Produktionsarbeit<br />
12.1 Die These der neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Produktionsarbeit<br />
Schumann spricht von einer neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Industriearbeit.<br />
Im Gegensatz zur Anfangsphase der Industriearbeit bis zur fordistisch –<br />
tayloristischen Phase, wo Industriearbeit mit entfremdeter Arbeit gleichgesetzt<br />
werden konnte, wären heute unterschiedliche Tendenzen zu beobachten, es gäbe<br />
eine Vielfalt an Gestaltungskonzepten. Einerseits würden neue Produktionskonzepte<br />
zu Entfaltungschancen aber auch neuen Entfremdungsfaktoren (Überforderung/<br />
Selbstausbeutung) führen, andererseits wäre in vielen Bereichen eine<br />
Rekonventionalisierung, Prekarisierung und steigende Unsicherheit der<br />
Beschäftigung zu beobachten, in der alte Formen der Entfremdung neue Aktualität<br />
gewinnen. (vgl.) Schumann Michael: Industriearbeit zwischen Entfremdung und<br />
Entfaltung (2000), Online im WWW unter:<br />
http://webdoc.cub.gwdg.de/edoc/le/sofi/2000_28/schumann.pdf [25.05.2009]<br />
Die Gesellschaft der Arbeiter sei heute, so meint Schumann, differenzierter zu<br />
betrachten. Er unterscheidet in Anlehnung an das Wolkenkratzer – Bild von<br />
Dahrendorf (2000) zwischen sechs „Arbeits- Klassen“, die in<br />
Modernisierungsgewinner und Modernisierungsverlierer zusammengefasst werden<br />
können. Die „globale Klasse“, Modernisierungsmacher und Modernisierungs –<br />
Mitgestalter profitieren demnach von neueren gesellschaftlichen Entwicklungen im<br />
Bereich der Arbeit, auf der anderen Seite stehen: Modernisierungsverlierer,<br />
Modernisierungs – Bedrohte und Modernisierungs – Ausgesparte. (vgl. Schumann<br />
2003, S. 111).<br />
ProduktionsarbeiterInnen können nicht zur globalen Klasse (Menschen in<br />
Spitzenpositionen) und zur Gruppe der Modernisierungsmacher (diejenigen in guten<br />
Positionen und mit hoher Ausbildung) gezählt werden.<br />
Zu den Modernisierungsmitgestaltern zählen hauptsächlich Facharbeiter und<br />
Fachangestellte. Seit den 90ern hat sich in manchen Industriebetrieben eine<br />
Arbeitspolitik durchgesetzt, in welcher die strenge Arbeitsteilung (nach dem<br />
192
tayloristischen Modell) zurückgenommen worden ist. An deren Stelle sind<br />
Qualifizierung, Integration von Funktionen und ein erweiterter Handlungsspielraum<br />
für die ArbeiterInnen getreten. Die Modernisierungs-Mitgestalter hätten dadurch<br />
einen Expertenstatus und bessere Chancen am Arbeitsmarkt (vgl. Schumann, 2003,<br />
S. 117ff.).<br />
„Mit den größeren fachlichen Herausforderungen und der höheren betrieblichen<br />
Anerkennung wachsen dabei für die Modernisierungs-Mitgestalter die Möglichkeiten,<br />
Selbstbewusstsein zu entfalten und sich individuell und beruflich als gestärkte<br />
Subjekte zu erfahren.“ (Schumann, 2003, S. 118).<br />
Als „Modernisierungsverlierer“ bezeichnet Schuhmann die (Dauer)- Arbeitslosen. Zu<br />
den Modernisierungs-Bedrohten zählt er Menschen mit einem prekären<br />
Arbeitsverhältnis, wie befristet Beschäftigte, Leih- und Zeitarbeiter sowohl mit<br />
Arbeiter- als auch Angestelltenstatus. Meistens handelt es sich hier um<br />
Beschäftigungen mit geringem Lohn und geringer Qualifikation. Durch das Fehlen<br />
der Möglichkeit einer fixen Beschäftigung, werden sie zum oftmaligen<br />
Arbeitsplatzwechsel gezwungen („job – hoppen“). Die Modernisierungs-Bedrohten<br />
sind von der Situation am Arbeitsmarkt abhängig und leicht austauschbar. Sie sind<br />
einer Unsicherheit bezüglich ihrer Beschäftigung ausgesetzt und zeitliche und<br />
räumliche Flexibilität bezüglich des Arbeitseinsatzes wird von ihnen gefordert (vgl.<br />
Schumann, 2003, S. 114).<br />
Die „Modernisierungs-Ausgesparten“ schließlich arbeiten nach Schumann in<br />
Bereichen (sowohl in der Produktion als auch in der Verwaltung), wo noch manuelle,<br />
repetitive Arbeiten vorherrschen. Zwar habe es Humanisierungs- Bemühungen<br />
gegeben, um die Arbeiten inhaltlich anzureichern, doch gegenwärtig sei eine<br />
Tendenz zu beobachten, Verbesserungen im Bereich der Arbeit wieder<br />
zurückzunehmen (vgl. Schumann 2003, S. 115).<br />
„Auch wenn es analytisch durchaus sinnvoll sein kann, diese Rücknahmen nicht<br />
einfach mit einer Retaylorisierung der Arbeit gleichzusetzen, so bleibt das Ergebnis<br />
ähnlich. Für die Beschäftigten verschärft sich wieder das doppelte Dilemma:<br />
193
fachliche Unterforderung bei gleichzeitiger physisch-psychischer Überforderung.“<br />
(Schumann, 2003, S. 115f.).<br />
12.2 Veränderung der Anforderungen an LohnarbeiterInnen<br />
Legnaro fasst die neuen Anforderungen an den Arbeitnehmer, in Anlehnung an<br />
Pongratz zusammen. Gefordert würde vom Arbeitnehmer einmal Selbstkontrolle und<br />
eine erhöhte Verantwortung. Diese Verantwortung betrifft auch den Status der<br />
Arbeitslosigkeit. Während diese früher der Weltwirtschaftskrise zugeschrieben wurde,<br />
so würde Arbeitslosigkeit heute mehr als selbst verschuldet gelten (vgl. Legnaro,<br />
2008, S. 66).<br />
„Während bei klassischen (und heute keineswegs ausgestorbenen) Arbeitnehmern<br />
hierarchische Fremdkontrolle überwiegt, ist der Arbeitskraftunternehmer für<br />
Selbstkontrolle und die eigenständige Planung, Steuerung und Überwachung der<br />
ausgeübten Tätigkeit verantwortlich.“ (Legnaro, 2008, S. 54).<br />
Die Forderung zur Selbst-Ökonomisierung meint, dass eigene Fähigkeiten und<br />
Leistungen in vermehrtem Ausmaß selbst vermarktet werden müssen. Von den<br />
Arbeitnehmern ist auch eine aktive Suche von arbeitsbezogenen Chancen gefordert,<br />
da heute viel weniger mit einer lebenslangen Beschäftigung in einem Betrieb<br />
gerechnet werden könne. Die Selbstrationalisierung hinsichtlich der persönlichen<br />
Organisation des Arbeitslebens beschreibt Legnaro folgendermaßen: „Der<br />
Arbeitnehmer kann Arbeit und Privatleben weitgehend getrennt voneinander<br />
gestalten, der Arbeitskraftunternehmer ist mit der Verschränkung beider Sphären<br />
konfrontiert.“ (Legnaro, 2008, S. 54).<br />
Neben einer Forderung nach Mehrfachqualifikationen sollen die Beschäftigten noch<br />
mobil sein und eine enthusiastische Einstellung zur Arbeit zeigen (vgl. Legnaro,<br />
2008, S. 57, 61).<br />
Auch die Einstellung der Beschäftigten zur Arbeit habe sich gewandelt. Früher sei<br />
Arbeit nicht hinterfragt und einfach gemacht worden. Es wurde nicht erwartet, dass<br />
sie einem Lust und Freude machen soll, sie galt als Mittel, um seinen<br />
Lebensunterhalt zu finanzieren.<br />
194
„Zwar gab es den Produzentenstolz eines selbstbewussten Proletariats („die<br />
Kruppianer“ oder die „beim Daimler“ beispielsweise), aber das war neben dem Stolz<br />
auf das eigene Können doch vor allem der Stolz, einer renommierten Institution<br />
anzugehören – weniger ein individueller denn ein kollektiver Stolz.“ (Legnaro, 2008,<br />
S. 61).<br />
Dafür wurde kein über die konkrete Arbeitstätigkeit hinausgehender Einsatz<br />
gefordert. Heute hätte sich die Arbeit zwar nicht allgemein in eine freudvollere<br />
verwandelt, doch es wird von den Beschäftigten erwartet, sich aktiv einzusetzen,<br />
Verantwortung zu übernehmen, Freude an der Arbeit zu zeigen etc. Die<br />
Arbeitsverhältnisse sind projektartig und prekär geworden (vgl. Legnaro, 2008, S.<br />
67). Im Niedriglohnsektor zeigt sich das vor allem durch die steigende Anzahl von<br />
Zeitarbeitern und befristeten Arbeitsverhältnissen.<br />
Die Entwicklung ginge allgemein hin vom Arbeiten nach Anweisung zu einem aktiven<br />
Management der eigenen Arbeit sowie von dem Versprechen eines sicheren<br />
Arbeitsplatzes hin zu einer Selbstverwirklichung in der Arbeit (vgl. Legnaro, 2008, S.<br />
54).<br />
Dass die Möglichkeit zur Subjektivierung durch die Arbeit in vielen Arbeitsbereichen<br />
nicht der Realität entspricht zeigt nach Legnaro die Tatsache, dass das Glückspiel so<br />
populär ist, weil es „Erlösungsphantasien von der Arbeit“ nährt (vgl. Legnaro, 2008,<br />
S. 53).<br />
Legnaro beschreibt die aktuelle Entwicklung am Arbeitsmarkt als eine „[...] Spaltung<br />
zwischen gut dotierten Subjektivierungs – Jobs inclusive der versprochenen<br />
Freiräume und Herausforderungen einerseits und dem Niedriglohnsektor<br />
andererseits [...]. Dessen Jobs werden zwar ebenfalls als Herausforderung<br />
ausgegeben, bilden aber tatsächlich lediglich Subsistenzwirtschaft auf niedrigstem<br />
Niveau [...].“ (Legnaro, 2008, S. 65).<br />
Humanisierungsmaßnahmen versuchen das Bedürfnis nach Selbstentfaltung durch<br />
die Arbeit mit einzubeziehen, z.B. durch erhöhte Mitbestimmungsrechte für die<br />
195
Beschäftigten. Legnaro verweist darauf, dass es sich hierbei oft um eine „Pseudo -<br />
Autonomie“ für die Beschäftigten handelt: „[...] Subjektivierung durch Arbeit geschieht<br />
zum vermeintlichen eigenen Nutzen, aber in fremdem Interesse.“ (Legnaro, 2008, S.<br />
55).<br />
12.3 Parallelen von Produktionsarbeit zu Arbeiten außerhalb der Fabrik<br />
Ich möchte am Ende der Diplomarbeit zu der am Beginn der Arbeit gestellten Frage<br />
nach der Aktualität der Erforschung des Arbeiterbewusstseins zurückkommen.<br />
Betrachtet man heute viele Arbeitsplätze außerhalb der Fabrik fallen einem<br />
zahlreiche Ähnlichkeiten von Arbeiten außerhalb des Produktionssektors mit jenen in<br />
Fabriken auf, beispielsweise in einem fast – food – Restaurant oder an einer Kasse<br />
im Supermarkt. Sennett erwähnt, dass viele moderne Arbeitsverhältnisse repetitiver<br />
Natur sind (vgl. Sennett, 2006, S. 56). Sam (2009) beschreibt in ironischer Weise ihre<br />
Erfahrungen als Kassiererin in einem großen Supermarkt. Die Beschreibungen der<br />
Autorin lassen Parallelen zu Arbeiten von ungelernten ProduktionsarbeiterInnen<br />
erkennen: geistige Unterforderung bei hoher Anforderung an die<br />
Arbeitsgeschwindigkeit, sich ständig wiederholende, monotone Arbeitsschritte, sich<br />
wie eine Nummer fühlen, leichte Austauschbarkeit und ein niedriges Lohnniveau.<br />
„Anfangs geht alles schnell, viel zu schnell. Vor allem, wenn Sie an einem Tag<br />
anfangen, an dem viele Leute kommen. Doch ebenso schnell nehmen die eigenen<br />
Bewegungen Automatencharakter an, und bald achtet man überhaupt nicht mehr<br />
darauf, was man eigentlich tut. Ein Monat genügt, und Sie haben das Gefühl, eins<br />
mit Ihrer Kasse zu sein.“ (Sam, 2009, S. 15). „Was die Entwicklung des Gehirns<br />
angeht, so erlauben die automatisch wiederholten Phrasen und Gesten Ihnen, Ihren<br />
Geist während der Arbeitszeit zur wohlverdienten Ruhe kommen zu lassen. Schalten<br />
Sie Ihr Denkwerkzeug erst wieder auf Betrieb, wenn Sie den Supermarkt verlassen.<br />
Auf diese Weise schonen Sie Ihre Neuronen fürs Alter.“ (Sam, 2009, S. 75).<br />
Auch wenn Produktionsarbeit in ihrer Anzahl bei uns abnimmt (z.B. durch<br />
Automatisierung oder Verlagerung der Produktion in „Billig – Lohn – Länder“), ist das<br />
Problem der sinnentfremdeten Arbeit auch in den westlichen Ländern aktuell, wie<br />
das vorherige Beispiel veranschaulicht. In Anbetracht der Tatsache, dass wir einen<br />
Großteil unserer Lebenszeit mit Arbeit verbringen, ist es wichtig, welchen Charakter<br />
196
diese Arbeit hat und ob sie als sinnstiftend und über den reinen finanziellen<br />
Zugewinn hinaus als befriedigend erlebt werden kann. Unsere Herausforderung ist<br />
es, die Arbeitswelt auch für Ungelernte menschenwürdiger und attraktiver zu<br />
gestalten.<br />
197
Literatur- und Abbildungsverzeichnis:<br />
Antonovsky, Aaron. Salutogenese: zur Entmystifizierung der Gesundheit.<br />
Deutsche erweiterte Herausgabe von Franke, Alexa, Tübingen, DGVT, 1997.<br />
Bamberg, Eva/Busch, Christine/Ducki, Antje: Stress- und<br />
Ressourcenmanagement. Strategien und Methoden für die neue Arbeitswelt,<br />
Bern, Hans Huber, 2003.<br />
Baryli, Andreas: Arbeitsprozeß und Arbeitergesundheit. Unfälle und<br />
Berufskrankheiten im Verlauf der Industrialisierung, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der<br />
dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegenwart der industriellen Arbeitswelt,<br />
München, Beck, 1984.<br />
Beckenbach, Niels: Industriesoziologie, Berlin, de Gruyter, 1991.<br />
Becker – Schmidt, Regina u.a.: Nicht wir haben die Minuten, die Minuten haben<br />
uns: Zeitprobleme und Zeiterfahrungen von Arbeitermüttern in Fabrik und Familie;<br />
Studie zum Projekt „Probleme lohnabhängig arbeitender Mütter“, Bonn, Verlag<br />
Neue Gesellschaft, 1982.<br />
Berger, Michael: Karl Marx, Paderborn, Wilhelm Fink Verlag, 2008.<br />
Betschart, Hanspeter/Ulich, Eberhard: Psychosoziale Aspekte von<br />
Zweischichtarbeit, in: Betschart, Hanspeter (Hrsg.): Zweischichtarbeit.<br />
Psychosoziale und gesundheitliche Aspekte, Bern, Hans Huber, 1989.<br />
Braverman, Harry: Die Arbeit im modernen Produktionsprozeß, Frankfurt a.M.,<br />
Campus Verlag, 1977.<br />
Brown, John: Die Lebensgeschichte des Waisenknaben Robert Blincoe, in:<br />
Kuczynski, <strong>Ingrid</strong> (Hrsg.): Den Kopf tragt hoch trotz allem! Englische<br />
Arbeiterautobiographien des 19. Jahrhunderts, Leipzig, Reclam, 1983.<br />
IX
Bruggemann, Agnes/Groskurth, Peter/Ulich, Eberhard: Arbeitszufriedenheit<br />
Bern/Stuttgart/Wien, Hans Huber, 1975.<br />
Buggert, Willi: Arbeit im Wandel. Von antiker Sklavenarbeit zu neueren<br />
Arbeitsformen, Aachen, Shaker, 1999.<br />
Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder.<br />
Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft, 4. Auflage, Wien; Köln;<br />
Weimar, Böhlau, 2002.<br />
Csikszentmihalyi, Mihaly: Lebe gut! Wie Sie das Beste aus Ihrem Leben machen,<br />
München, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2001.<br />
Csikszentmihalyi, Mihaly: Flow im Beruf. Das Geheimnis des Glücks am<br />
Arbeitsplatz, Stuttgart, J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH., 2004.<br />
Dodd, William: Die Schilderung der Erfahrungen und Leiden von William Dodd,<br />
einem Fabrikkrüppel, geschrieben von ihm selbst, in: Kuczynski, <strong>Ingrid</strong> (Hrsg.):<br />
Den Kopf tragt hoch trotz allem! Englische Arbeiterautobiographien des 19.<br />
Jahrhunderts, Leipzig, Reclam, 1983.<br />
Eggebrecht, Arne/Flemming, Jens/Meyer, Gert u.a.: Geschichte der Arbeit. Vom<br />
alten Ägypten bis zur Gegenwart, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1980.<br />
Ehmer, Josef: Der Betrieb – ein latentes Konfliktfeld. Inhalte und Formen der<br />
Arbeitskämpfe, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der dressierte Arbeiter. Geschichte und<br />
Gegenwart der industriellen Arbeitswelt, München, Beck, 1984.<br />
Ehmer, Josef/Meißl, Gerhard: Der dressierte Mensch. Rekrutierung,<br />
Qualifizierung und Disziplinierung der Arbeitskraft, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der<br />
dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegenwart der industriellen Arbeitswelt,<br />
München, Beck, 1984.<br />
X
Ehrenstein, Wolfgang/Ambs-Schulz, Margot/Nagel, Ulriche u.a.:<br />
Chronobiologische, soziale und gesundheitliche Auswirkungen industrieller<br />
Zweischichtarbeit, in: Betschart, Hanspeter (Hrsg.): Zweischichtarbeit.<br />
Psychosoziale und gesundheitliche Aspekte, Bern, Hans Huber, 1989.<br />
Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 6. Aufl. Rowohlt,<br />
Reinbek bei Hamburg, 2002.<br />
Flügge Gerd: Mitarbeiterführung im Betrieb, in: Gros, Eckhard (Hrsg.):<br />
Anwendungsbezogene Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie. Eine<br />
Einführung, Göttingen, Hogrefe, 1994.<br />
Ford, Henry: Moving forward, New York, 1930.<br />
Frankl Viktor: Der Wille zum Sinn. Bern/Stuttgart/Wien, Hans Huber, 1972.<br />
Frese, Michael: Psychische Störungen bei Arbeitern. Zum Einfluß von<br />
gesellschaftlicher Stellung und Arbeitsplatzmerkmalen, Salzburg, Otto Müller<br />
Verlag, 1977.<br />
Friedmann, Georges: Der Mensch in der mechanisierten Produktion, Köln, Bund<br />
– Verlag, 1952.<br />
Fürstenberg, Friedrich/Glanz, Alexander/Steininger, Siegfried: Soziale<br />
Beanspruchung bei Wechselschichtarbeit, in: Betschart, Hanspeter (Hrsg.):<br />
Zweischichtarbeit. Psychosoziale und gesundheitliche Aspekte, Bern, Hans<br />
Huber, 1989.<br />
Girtler, Roland: Methoden der Feldforschung, 4. Aufl., Wien, Böhlau, 2001.<br />
Gros, Eckhard: Analyse von Arbeitstätigkeiten: Ermittlung von Belastung und<br />
Beanspruchung am Arbeitsplatz, in: Gros, Eckhard (Hrsg.):<br />
Anwendungsbezogene Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie. Eine<br />
Einführung, Göttingen, Hogrefe, 1994.<br />
XI
Gubser Antoine: Monotonie im Industriebetrieb. Die Auswirkungen einförmiger<br />
Arbeitsvorgänge; ihre Prophylaxe und Bekämpfung, Bern, Hans – Huber, 1968.<br />
Herriot, Peter (Hrsg.): European Journal of work and organizational Psychology,<br />
1996, 5 (2). Psychology Press: UK. 1996.<br />
Herwegh, Georg/Heinz Peter: Bundeslied, in: Lammel, Inge (Hrsg.): Das<br />
Arbeiterlied, Leipzig, Reclam, 1980.<br />
Herzog, Marianne: Von der Hand in den Mund. Frauen im Akkord, Berlin,<br />
Rotbuch, 1976.<br />
Hirsch, Mathias (Hrsg.): Psychoanalyse und Arbeit. Kreativität, Leistung,<br />
Arbeitsstörungen, Arbeitslosigkeit, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2000.<br />
Hüther, Gerald: Bedingungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Göttingen,<br />
Vandenhoeck & Ruprecht, 2010.<br />
Jahoda, Marie: Wieviel Arbeit braucht der Mensch? Arbeit und Arbeitslosigkeit im<br />
20. Jahrhundert, 3. Aufl., Weinheim u.a., Beltz, 1986.<br />
Jerusalem, Matthias: Persönliche Ressourcen, Vulnerabilität und Streßerleben,<br />
Göttingen, Hogrefe, 1990.<br />
Kern, Mathias: Arbeitseinstellungen im interkulturellen Vergleich. Eine empirische<br />
Analyse in Europa, Nordamerika und Japan, Wiesbaden, Deutscher <strong>Universität</strong>s-<br />
Verlag, 2004.<br />
Knapp, Gudrun-Axeli: Industriearbeit und Instrumentalismus: zur Geschichte<br />
eines Vor-Urteils, Bonn, Verlag Neue Gesellschaft, 1981.<br />
Kocyba, Hermann: Die falsche Aufhebung der Entfremdung. Über die normative<br />
Subjektivierung der Arbeit im Postfordismus, in: Hirsch, Mathias (Hrsg.):<br />
XII
Psychoanalyse und Arbeit. Kreativität, Leistung, Arbeitsstörungen,<br />
Arbeitslosigkeit, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2000.<br />
König, Helmut/von Greiff, Bodo/Schauer, Helmut (Hrsg.): Sozialphilosophie der<br />
industriellen Arbeit, Opladen, 1990.<br />
Kuchenbuch, Ludolf/Sokoll, Thomas: Arbeit im vorindustriellen Europa, in: König,<br />
Helmut/von Greiff, Bodo/Schauer, Helmut (Hrsg.): Sozialphilosophie der<br />
industriellen Arbeit, Opladen, 1990.<br />
Kuczynski, <strong>Ingrid</strong> (Hrsg.): Den Kopf tragt hoch trotz allem! Englische<br />
Arbeiterautobiographien des 19. Jahrhunderts, Leipzig, Reclam, 1983.<br />
Laireiter, Anton (Hrsg.): Soziales Netzwerk und soziale Unterstützung. Konzepte,<br />
Methoden und Befunde, Bern u.a., Huber, 1993.<br />
Landes, David S.: Der entfesselte Prometheus. Technologischer Wandel und<br />
industrielle Entwicklung in Westeuropa von 1750 bis zur Gegenwart, Köln,<br />
Kiepenheuer & Witsch, 1973.<br />
Landy, Frank J./Conte, Jeffrey M.: Work in the 21st century. An introduction to<br />
industrial and organizational psychology. 2.ed., Oxford, Blackwell, 2007.<br />
Lechner, Ferdinand/Papouschek, Ulrike/ Steinhardt, Gerald u.a. (Hrsg.):<br />
Vergessene Frauen-Arbeitsbereiche. Berufsverläufe, Arbeitsbedingungen,<br />
Lebensperspektiven, Gießen, Focus, 1991.<br />
Legnaro, Aldo: Arbeit, Strafe und der Freiraum der Subjekte, in: Müller, Hans-<br />
Peter u.a. (Hrsg.): Berliner Journal für Soziologie. 1/2008. Band 18 Heft 1 Jän. VS<br />
Verlag für Sozialwissenschaften: Berlin, 2008.<br />
Leithäuser, Thomas: Auswertungsverfahren im Interpretativen Paradigma, in:<br />
Volmerg Birgit u.a.: Betriebliche Lebenswelt. Eine Sozialpsychologie industrieller<br />
Arbeitsverhältnisse, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1986.<br />
XIII
Lenert, Michael: Arbeitszufriedenheit und psychosoziale Belastungen bei<br />
Industrie – Angestellten. Eine Untersuchung in einem metallverarbeitenden<br />
Betrieb. Wien, 1982.<br />
Leymann, Heinz: The Content and Development of Mobbing at Work, in: Herriot,<br />
Peter (Hrsg.): European Journal of work and organizational Psychology, 1996, 5<br />
(2), 165-184. Psychology Press: UK. 1996.<br />
Marstedt, Gerd/Mergner, Ulrich: Erfassung artikulierter Beanspruchung – Ein<br />
Weg aus theoretischen und methodischen Defiziten arbeits- und<br />
industriesoziologischer Belastungsforschung?, in: Schmidt, Gert/Braczyk, Hans –<br />
Joachim/von dem Knesebeck, Jost (Hrsg.): Materialien zur Industriesoziologie.<br />
Sonderheft 24/1982, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1982.<br />
Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Ungekürzte Ausgabe<br />
nach der zweiten Auflage von 1872, Paderborn, Voltmedia.<br />
Marx, Karl: Ökonomisch – philosophische Manuskripte. Geschrieben von April bis<br />
August 1844. Nach der Handschrift, Leipzig, Reclam, 1974.<br />
Marx, Karl: Lohnarbeit und Kapital, in: Lohnarbeit und Kapital; Lohn, Preis und<br />
Profit. Dietz Verlag: Berlin. Original: Lohnarbeit und Kapital: 1891. (1998).<br />
Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 10. Aufl.,<br />
Weinheim/Basel, Beltz, 2008.<br />
Mikl-Horke, Gertraude: Industrie- und Arbeitssoziologie, Müchen/Wien/<br />
Oldenbourg, 1991.<br />
Minssen, Heiner: Arbeits- und Industriesoziologie, eine Einführung. Frankfurt<br />
a.M., Campus Verlag, 2006.<br />
XIV
Molnar, Martina/Geißer-Gruber, Brigitta/Haiden Christine: Erkennen von<br />
Stressfaktoren und Optimieren von Ressourcen im Betrieb, in: Wirtschaftskammer<br />
Österreich, Bundesarbeitskammer, Österreichischer Gewerkschaftsbund (Hrsg.):<br />
Impuls Broschüre, Wien, 2002.<br />
Müller, Hans-Peter u.a. (Hrsg.): Berlinder Journal für Soziologie. 1/2008. Band 18<br />
Heft 1 Jän. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Berlin, 2008.<br />
Notbohm, Gert: Mehrfachbelastungen und Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz, in:<br />
Gros, Eckhard (Hrsg.): Anwendungsbezogene Arbeits-, Betriebs- und<br />
Organisationspsychologie. Eine Einführung, Göttingen, Hogrefe, 1994.<br />
Oppolzer, Alfred: Protestation gegen die Arbeitsbedingungen, verdinglichtes<br />
Bewußtsein und Entfremdung in: Haug, Wolfgang Fritz (Hrsg.): Humanisierung<br />
der Lohnarbeit? Der Kampf um die Arbeitsbedingungen, Berlin, Argument –<br />
Verlag, 1977.<br />
Ottomeyer, Klaus: Über Arbeit, Identität und eine paranoide Tendenz in den<br />
Zeiten der Globalisierung, in: Hirsch, Mathias (Hrsg.): Psychoanalyse und Arbeit.<br />
Kreativität, Leistung, Arbeitsstörungen, Arbeitslosigkeit. Psychoanalytische Blätter<br />
Band 14., Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2000.<br />
Ottomeyer, Klaus: Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen.<br />
Soziales Verhalten im Kapitalismus, Münster, LIT Verlag, 2004.<br />
Poppelreuter Stefan/Mierke, Katja: Psychische Belastungen am Arbeitsplatz.<br />
Ursachen – Auswirkungen – Handlungsmöglichkeiten. 3. Aufl., Berlin, Erich<br />
Schmidt Verlag, 2008.<br />
Richter, Peter/Hacker, Winfried: Belastung und Beanspruchung: Streß, Ermüdung<br />
und Burnout im Arbeitsleben, Heidelberg, Asanger, 1998.<br />
Ruppert, Wolfgang: Die Fabrik. Geschichte von Arbeit und Industrialisierung in<br />
Deutschland, 2. Aufl., München, Beck, 1993.<br />
XV
Sam, Anna: Les tribulations d’une caissie`re! Die Leiden einer jungen Kassiererin,<br />
Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl, Riemann, 2009.<br />
Sandgruber, Roman (Red.): Magie der Industrie. NÖ Landesausstellung. Leben<br />
und Arbeiten im Fabrikszeitalter, München, Oldenburg Verlag, 1989.<br />
Sauer, Walter (Hrsg.): Der dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegenwart der<br />
industriellen Arbeitswelt, München, Beck, 1984.<br />
Sauer, Walter: Zur Einführung: Arbeit – Krise und Chance der modernen<br />
Gesellschaft, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der dressierte Arbeiter. Geschichte und<br />
Gegenwart der industriellen Arbeitswelt, München, Beck, 1984.<br />
Schmidt, Gert/Braczyk, Hans- Joachim/von dem Knesebeck, Jost (Hrsg.):<br />
Materialien zur Industriesoziologie. Sonderheft 24/1982, Opladen, Westdeutscher<br />
Verlag, 1982.<br />
Schumann, Michael: Metamorphosen von Industriearbeit und<br />
Arbeiterbewusstsein. Kritische Industriesoziologie zwischen Taylorismusanalyse<br />
und Mitgestaltung innovativer Arbeitspolitik, Hamburg, VSA – Verlag, 2003.<br />
Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, 2.<br />
Aufl., Berlin, Berlin Verlag, 2006.<br />
Steinhardt, Gerald: Zur Dynamik von Arbeitsbelastungen und ihrer subjektiven<br />
Verarbeitung, in: Lechner, Ferdinand; Papouschek, Ulrike; Steinhardt, Gerald u.a.<br />
(Hrsg.): Vergessene Frauen-Arbeitsbereiche. Berufsverläufe, Arbeitsbedingungen<br />
Lebensperspektiven, Gießen, Focus, 1991.<br />
Taylor, Frederick Winslow: The principles of scientific management, (deutsch von<br />
Roesler, Rudolf: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung), Reprint, in:<br />
Bungard, Walter/Volpert, Walter (Hrsg.), Weinheim, Beltz, 1995.<br />
XVI
Veiel, Hans/Ihle, Wolfgang: Das Copingkonzept und das Unterstützungskonzept:<br />
Ein Strukturvergleich, in: Laireiter, Anton (Hrsg.): Soziales Netzwerk und soziale<br />
Unterstützung. Konzepte, Methoden und Befunde, Bern u.a., Huber, 1993.<br />
Volmerg, Birgit/Senghaas-Knobloch, Eva/Leithäuser, Thomas: Betriebliche<br />
Lebenswelt. Eine Sozialpsychologie industrieller Arbeitsverhältnisse, Opladen,<br />
Westdeutscher Verlag, 1986.<br />
Volmerg, Ute: Identität und Arbeitserfahrung. Eine theoretische Konzeption zu<br />
einer Sozialpsychologie der Arbeit, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1978.<br />
Walther, Rudolf: Arbeit – Ein begriffsgeschichtlicher Überblick von Aristoteles bis<br />
Ricardo, in: König, Helmut/von Greiff, Bodo/Schauer, Helmut (Hrsg.):<br />
Sozialphilosophie der Arbeit. LEVIATHAN Zeitschrift für Sozialwissenschaft<br />
Sonderheft 11/1990, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1990.<br />
Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 6. Auflage,<br />
J.C.B.Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1920.<br />
Weyrather, Irmgard: Die Frau am Fließband. Das Bild der Fabrikarbeiterin in der<br />
Sozialforschung 1870-1985, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 2003.<br />
Zapf, Dieter: Foreword, in: Herriot, Peter (Hrsg.): European Journal of work and<br />
organizational Psychology, 1996, 5 (2). 161-164. Psychology Press: UK. 1996.<br />
Internetquellen:<br />
Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh., 2003, Berlin –<br />
Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, online:<br />
http://www.dwds.de/?qu=Sinn&woerterbuch=1 , 20.06.2010).<br />
XVII
Heinz-Ofner, Silke; Schindler, Rene. Arbeitskräfteüberlassung –<br />
„Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ Oktober 2007 ÖGB AK Österreich.<br />
http://voeg.atbildungsangebote/skripten/ar/AR-10pdf 21.07.08<br />
Aus: Böhm, Renate; Lindhuber; Hilla. Ganz unten in der Hierarchie – Arbeitsklima-<br />
Index von LeiharbeiterInnen. (06.12.2007). www.ak-salzburg.at/www-597-IP-38456-<br />
IPS-2.html-51k- 21.07.08<br />
Schumann, Michael. (2000). Industriearbeit zwischen Entfremdung und Entfaltung.<br />
(2000), Online im WWW unter:<br />
http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc.de/edoc/le/sofi/2000_28/schumann.pdf<br />
[25.05.2009].<br />
Abbildungen:<br />
Abbildung 1: Die neuen Unübersichtlichkeiten innerhalb der Industriearbeit<br />
(Schumann, 2003: 73).<br />
Abbildung 2: Transaktionales Stressmodell (nach Kaluza & Basler, 1991) (Richter<br />
und Hacker, 1998: 21).<br />
Abbildung 3: Grundtypen der qualitativen und quantitativen Über- und Unterforderung<br />
(nach Udris 1982) (Poppelreuter und Mierke 2008: 23).<br />
Abbildung 4: Klassifikation möglicher Stressfolgen nach Kaufmann, Pornschlegel &<br />
Udris, 1982 (Poppelreuter und Mierke, 2008: 29).<br />
Abbildung 5: Belastungen, Beanspruchungen und Folgen (Poppelreuter und Mierke<br />
2008, S. 186).<br />
Abbildung 6: Klassifikation gesundheitsförderlicher Faktoren unter dem<br />
Ressourcenaspekt (nach Udris u.a.) (Richter und Hacker, 1998: 25).<br />
XVIII
Abbildung 7: Einteilung unterstützender Faktoren (Veiel und Ihle 1993: 63).<br />
Abbildung 8: Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring<br />
(Mayring, 2008: 60).<br />
Abbildung 9: zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse; Interview 1<br />
Abbildung 10: Ergebnisse aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse: Interview 1<br />
Abbildung 11: Querauswertung: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit,<br />
Ressourcen und subj. Sinnerleben: Ergebnisse aus den 6 Interviews.<br />
XIX