Medizin in Auschwitz: Der „schöne Satan“ Josef Mengele und der ...
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Später kam es dann zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> verstörendsten Konzerte des Orchesters, das sonst bei Ankünf-<br />
ten <strong>und</strong> Abmärschen im Lager aufspielen musste. Diesmal for<strong>der</strong>te <strong>Mengele</strong> den Auftritt. Fanny<br />
Goldste<strong>in</strong>: „Als Publikum hatten wir <strong>Mengele</strong>, umgeben von etwa fünfzig Zwergen, von denen wir<br />
erfahren hatten, dass er sie aus den Konvois (hatte) herausnehmen lassen, die <strong>in</strong> das Krematorium<br />
geschickt wurden. Diese Zwerge waren herausgeputzt mit grotesken Klei<strong>der</strong>n, Schmuck. <strong>Mengele</strong><br />
alle<strong>in</strong> thronte <strong>in</strong> ihrer Mitte, e<strong>in</strong>e Zigarettenspitze, e<strong>in</strong>e Zigarette zwischen den Lippen mit e<strong>in</strong>em<br />
versteckten Lächeln. Wir haben zwei St<strong>und</strong>en lang gespielt. Die Zwerge applaudierten. <strong>Mengele</strong><br />
wandte sich an uns <strong>und</strong> sagte auf se<strong>in</strong>e ironische Art: ‚Sie haben e<strong>in</strong> gutes Publikum.’“ 10<br />
In <strong>der</strong>selben Nacht, vermutete Fanny Goldste<strong>in</strong>, habe <strong>Mengele</strong> die Zwerge zu Fuß <strong>in</strong>s Krematori-<br />
um geführt: „Wir sahen sie vorbeiziehen. Sie machten nicht den E<strong>in</strong>druck, beunruhigt zu se<strong>in</strong>.“ 11<br />
Wenig später sei <strong>Mengele</strong> alle<strong>in</strong>e zurückgekehrt, mit den Händen <strong>in</strong> den Taschen.<br />
<strong>Josef</strong> <strong>Mengele</strong>, <strong>der</strong> Lagerarzt <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong>-Birkenau, <strong>der</strong> zum Verbrecher wurde, <strong>und</strong> Eduard<br />
Wirths, se<strong>in</strong> Vorgesetzter, <strong>der</strong> Standortarzt des Lagerkomplexes <strong>Auschwitz</strong> <strong>in</strong>sgesamt, bei dem<br />
e<strong>in</strong>e Wertung sehr viel schwerer fällt. Über ihn schrieb <strong>der</strong> Kommunist <strong>und</strong> <strong>Auschwitz</strong>-Überleben-<br />
de Karl Lill (1908 – 1977) lange nach dem Krieg: „Er erlitt das Verbrechen, stemmte sich mit Rie-<br />
senkraft dagegen. Ausweg, glaube ich, sah er ke<strong>in</strong>en. Und wenn er nun die politische Klarheit e<strong>in</strong>es<br />
Schenk von Stauffenberg sich erzwungen hätte, was hätte er dann tun können? Vielleicht den Auf-<br />
stand planen? Da war wohl nicht mehr dr<strong>in</strong>, als er tat.“ 12<br />
Was aber tat Eduard Wirths, dass ihn Hermann Langbe<strong>in</strong> (1912 – 1995), e<strong>in</strong> weiterer Kommunist,<br />
Spanien-Kämpfer <strong>und</strong> <strong>Auschwitz</strong>-Überleben<strong>der</strong>, als se<strong>in</strong>en „Märchenpr<strong>in</strong>zen“ verklärte, den nach<br />
dem Krieg als Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> ohne Uniform wie<strong>der</strong>zusehen er sich wünschte? Überhaupt - „Mär-<br />
chenpr<strong>in</strong>z“: Wie kommt <strong>der</strong> leitende Arzt des größten Arbeits- <strong>und</strong> Todeslagers während des<br />
Zweiten Weltkriegs, <strong>der</strong> sich wenige Monate nach dessen Ende umbrachte, weil er mit se<strong>in</strong>er<br />
Schuld nicht länger leben wollte <strong>und</strong> wohl auch mit se<strong>in</strong>er Angst, deswegen vor Gericht gestellt zu<br />
werden, zu e<strong>in</strong>em solchen Epitaph – aus dem M<strong>und</strong>e von politischen Gefangenen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Doppelrolle Häftl<strong>in</strong>gsschreiber <strong>und</strong> Leiter <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Wi<strong>der</strong>standsbewegung im Lager –<br />
<strong>der</strong> „Kampfgruppe <strong>Auschwitz</strong>“ – waren?<br />
<strong>Der</strong> Antwort stehen zunächst Zweifel <strong>und</strong> Vorbehalte im Weg. Etwa: Wie verlässlich ist dieses<br />
Urteil zweier Funktionshäftl<strong>in</strong>ge, <strong>der</strong>en Leben vom Wohlwollen jenes SS-Arztes abh<strong>in</strong>g, dem sie<br />
zugeordnet <strong>und</strong> unterworfen waren? Und wenn es zuverlässig ist, weil es von an<strong>der</strong>en <strong>Auschwitz</strong>-<br />
Überlebenden bestätigt wird: Welche Bedeutung kommt ihm dann zu? Denn gilt nicht, dass je<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em deutschen Konzentrations- <strong>und</strong> Vernichtungslager zum Täter wurde, <strong>der</strong>art e<strong>in</strong>-<br />
10 Ebd.<br />
11 Ebd.<br />
12 Karl Lill am 20. September 1970 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief über Eduard Wirths an dessen Frau, zitiert bei: Ulrich Völkle<strong>in</strong>: <strong>Der</strong><br />
„Märchenpr<strong>in</strong>z“. Eduard Wirths: Vom Mitläufer zum Wi<strong>der</strong>stand. Als SS-Arzt im Vernichtungslager <strong>Auschwitz</strong>,<br />
Gießen 2006, S. 5<br />
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