Medizin in Auschwitz: Der „schöne Satan“ Josef Mengele und der ...
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Mannes, <strong>der</strong> im Alter von zwei<strong>und</strong>dreißig Jahren als Lagerarzt <strong>in</strong> das KZ Dachau kommandiert<br />
wurde <strong>und</strong> sich kurz nach se<strong>in</strong>em sechs<strong>und</strong>dreißigsten Geburtstag <strong>in</strong> britischer Haft das Leben<br />
nahm, nicht zu.<br />
Jetzt s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs neue Bestände <strong>in</strong> deutschen, österreichischen <strong>und</strong> englischen Archiven zu-<br />
gänglich geworden. Im Zentralen Militärarchiv <strong>der</strong> Russischen Armee <strong>in</strong> Podolsk freilich f<strong>in</strong>den<br />
sich ke<strong>in</strong>e <strong>der</strong> bei Kriegsende <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> beschlagnahmten Dokumente (mehr), <strong>und</strong> die Ar-<br />
chivfonds des ehemaligen Nachrichtendienstes KGB, die vom russischen Geheimdienst FSB<br />
übernommen wurden, stehen <strong>der</strong> Forschung noch immer nicht offen. Gr<strong>und</strong>legend Neues ist<br />
daraus jedoch wohl nicht zu erwarten. 19<br />
In se<strong>in</strong>er 2005 publizierten mediz<strong>in</strong>geschichtlichen Doktorarbeit 20 über den E<strong>in</strong>satz von Eduard<br />
Wirths <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> stützt sich <strong>der</strong> Arzt Konrad Beischl daher vor allem auf die überlieferten<br />
NSDAP- <strong>und</strong> SS-Akten des B<strong>und</strong>esarchivs <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, auf das Archiv im früheren Konzentrations-<br />
lager <strong>Auschwitz</strong> sowie auf die Nachlässe e<strong>in</strong>iger Zeitzeugen <strong>und</strong> die wissenschaftliche Literatur.<br />
Se<strong>in</strong>e Schlussfolgerungen <strong>in</strong>des, soweit sie die Persönlichkeit <strong>und</strong> die Motivlage des Standortarz-<br />
tes aufhellen wollen, s<strong>in</strong>d – mangels Belegen – gewagt. 21 Beischl kommt zu dem Ergebnis, Wirths<br />
sei „Nationalsozialist aus Überzeugung“ gewesen <strong>und</strong> aus „eigene(r) Initiative Organisator <strong>und</strong> ei-<br />
ner <strong>der</strong> Hauptverantwortlichen des <strong>in</strong>dustrialisierten Massenmords“. Ohne e<strong>in</strong>en „ausgeprägten<br />
Antisemitismus hätte er <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> ke<strong>in</strong>en Tag durchstehen können“. Wirths’ Rechtfertigung,<br />
„er habe so viele Menschen als möglich retten wollen, <strong>in</strong>dem er diese Rolle im Vernichtungspro-<br />
zess e<strong>in</strong>nahm, sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> höchstem Maße unglaubwürdig“. Die kolposkopischen Untersuchungen<br />
zur Krebsfrüherkennung bei Frauen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e pharmakologischen Experimente zur Bekämpfung<br />
des Fleckfiebers gäben zu erkennen, „wie menschenverachtend <strong>der</strong> Umgang Wirths’ vor allem<br />
mit den jüdischen Gefangenen <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> war“. Wirths habe, so <strong>in</strong>sgesamt die E<strong>in</strong>schätzung<br />
von Beischl, „ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>stand gegen den Nationalsozialismus geleistet“, son<strong>der</strong>n die Aktivitä-<br />
ten <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsbewegung im Lager angesichts des Kriegsverlaufs lediglich „toleriert“: „Nicht<br />
Wirths begibt sich <strong>in</strong> den Wi<strong>der</strong>stand, son<strong>der</strong>n er wird aus Kalkül <strong>und</strong> mit Überlegung, nicht<br />
ohne Risiko <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsbewegung e<strong>in</strong>geweiht.“<br />
Weniger me<strong>in</strong>ungsfreudig, dafür aber sehr viel abwägen<strong>der</strong> <strong>und</strong> damit <strong>in</strong>sgesamt angemessener<br />
setzt sich <strong>der</strong> Historiker Christian Dirks <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jüngst als Buch veröffentlichten Doktorarbeit<br />
über den Wirths-Stellvertreter <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong>, den am 11. Juni 1965 <strong>in</strong> Spreenhagen, Bezirk Frank-<br />
furt/O<strong>der</strong>, verhafteten <strong>und</strong> am 8. Juli 1966 <strong>in</strong> Leipzig h<strong>in</strong>gerichteten Dr. Horst Fischer mit den<br />
19 Mündliche Auskunft <strong>der</strong> Leitung des Moskauer FSB-Archivs gegenüber dem Autor im Juli 2005<br />
20 Konrad Beischl: Dr. med. Eduard Wirths <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Tätigkeit als SS-Standortarzt im KL <strong>Auschwitz</strong>, Dissertation<br />
Würzburg 2004, Würzburg 2005, passim<br />
21 Ebd., S. 217 ff<br />
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