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Medizin in Auschwitz: Der „schöne Satan“ Josef Mengele und der ...

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Zu Eduard Wirths stellte Lifton fest: „Was immer se<strong>in</strong>e Qualen <strong>und</strong> Ambivalenzen gewesen se<strong>in</strong><br />

mögen, se<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> Dopplung war <strong>der</strong> Idealfall für das Funktionieren von <strong>Auschwitz</strong>. Se<strong>in</strong><br />

Nazi-<strong>Auschwitz</strong>-Selbst diente dem Tötungsprojekt mit außerordentlicher Effizienz; se<strong>in</strong> mensch-<br />

liches mediz<strong>in</strong>isches Selbst, unterstützt durch die Liebe zur Familie, ließ ihn an se<strong>in</strong>er ursprüngli-<br />

chen Funktion festhalten <strong>und</strong> trug zu se<strong>in</strong>er ‚Anständigkeit’ bei, die er für sich <strong>in</strong> Anspruch nahm<br />

<strong>und</strong> die ihm auch viele Häftl<strong>in</strong>ge, SS-Kollegen <strong>und</strong> Offiziers-Kollegen attestierten. (...) Se<strong>in</strong>e<br />

Dopplung war die des ‚anständigen Nazi’; <strong>und</strong> getreu diesem Bild hat Wirths se<strong>in</strong>e Aufgabe er-<br />

füllt.“ 16<br />

Ernst Klee dagegen g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er materialreichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> NS-<strong>Mediz<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Auschwitz</strong> auf den Standortarzt nur sehr am Rande e<strong>in</strong>: „Eduard Wirths wird allgeme<strong>in</strong> als Argu-<br />

menten zugänglich beschrieben. Die Beurteilung würde weniger günstig ausfallen, wären se<strong>in</strong>e<br />

Krebsversuche bekannt geworden. Von e<strong>in</strong>igen Frauen fand ich Unterlagen, e<strong>in</strong> Beispiel: E<strong>in</strong>e<br />

französische Jüd<strong>in</strong> (Häftl<strong>in</strong>gsnummer 50 388) kommt Ende Juli 1943 <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> an: ‚Beim<br />

Verlassen des Zuges wurden von Dr. Wirths 75 Frauen <strong>in</strong> gutem Ges<strong>und</strong>heitszustand ausgesucht<br />

<strong>und</strong> zur Vornahme von Experimenten <strong>in</strong> den Block 10 gebracht. (...) Bald darauf wurde ich von<br />

Dr. Samuel, <strong>der</strong> unter Dr. Wirths arbeitete, <strong>in</strong> Vollnarkose operiert. Die Operation wurde durch<br />

die Scheide, ohne Eröffnung <strong>der</strong> Bauchdecke vorgenommen. Über die genaue Bedeutung dieser<br />

Operation kann ich nichts sagen. Drei Tage später machte ich e<strong>in</strong>e außerordentlich starke <strong>und</strong> le-<br />

bensgefährliche Blutung durch’.“ 17<br />

In diesem Zusammenhang ist allerd<strong>in</strong>gs darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass Eduard Wirths von ke<strong>in</strong>em <strong>der</strong><br />

<strong>Auschwitz</strong>-Überlebenden beschuldigt wurde, selbst Operationen im Rahmen mediz<strong>in</strong>ischer o<strong>der</strong><br />

pseudomediz<strong>in</strong>ischer Experimente vorgenommen zu haben. Also wird es sich bei den von Klee<br />

angeführten „Krebsversuchen“ des jüdischen <strong>Auschwitz</strong>-Häftl<strong>in</strong>gs <strong>und</strong> hoch angesehenen Kölner<br />

Frauenarztes Maximilian Samuel mit großer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit um von Wirths angeordnete kol-<br />

poskopische Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung am Mutterm<strong>und</strong> gehandelt haben, die<br />

Wirths auf Gr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er alten Kontakte zu dem Hamburger Gynäkologen Prof. Hans H<strong>in</strong>sel-<br />

mann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> selber durchgeführt hat o<strong>der</strong> von Häftl<strong>in</strong>gsärzten durchführen ließ,<br />

die <strong>in</strong>dessen für die Frauen ungefährlich waren <strong>und</strong> - von ihrer noch immer gängigen Technik her<br />

- im allgeme<strong>in</strong>en auch unblutig verliefen. 18<br />

Bis heute gibt es wegen <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit unzureichenden Quellenlage ke<strong>in</strong>e umfassende<br />

Biographie des SS-Standortarztes von <strong>Auschwitz</strong>, Dr. med. Eduard Wirths. Vor allem <strong>der</strong> Mangel<br />

an autographischen Aufzeichnungen ließ e<strong>in</strong>e überzeugende Darstellung <strong>der</strong> Lebenskrisen dieses<br />

16 Ebd., S. 487<br />

17 Ernst Klee: <strong>Auschwitz</strong>, die NS-<strong>Mediz<strong>in</strong></strong> <strong>und</strong> ihre Opfer, Frankfurt/Ma<strong>in</strong> 1997, S. 411<br />

18 Natürlich stellt sich hierbei die Frage, welchen S<strong>in</strong>n Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung bei Frauen machen,<br />

die mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>em baldigen Tod entgegensahen, bei denen also e<strong>in</strong>e Beobachtung von Krankheitsverläufen<br />

nahezu ausgeschlossen war.<br />

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