Medizin in Auschwitz: Der „schöne Satan“ Josef Mengele und der ...
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schränkungslos Verbrecher ist, dass se<strong>in</strong>e Motive unbefragt <strong>und</strong> unerörtert bleiben können, so-<br />
weit sie zur Aufklärung des Massenmordes unmittelbar nichts beitragen?<br />
Ist also e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit den E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Absichten <strong>der</strong> Täter nur zulässig,<br />
wenn sie <strong>der</strong> Aufhellung von Vorgängen dient, die primär im Gedenken an die Opfer <strong>und</strong> aus de-<br />
ren Sicht beschrieben werden sollten? Ist die Aufdeckung <strong>der</strong> „<strong>in</strong>neren Tatseite“ daher unerheb-<br />
lich, ja sogar „volkspädagogisch“ schädlich, weil sie - wenn missverstanden - zu e<strong>in</strong>er Entlastung<br />
<strong>der</strong> Täter <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>er Relativierung ihrer Taten führen könnte?<br />
An<strong>der</strong>erseits: Ist mit dem Postulat <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zigartigkeit des Holocaust <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuelle <strong>und</strong> gleich-<br />
zeitig auch moralische Verzicht verb<strong>und</strong>en, komplexes Geschehen so differenziert darzustellen,<br />
dass se<strong>in</strong>e Protagonisten <strong>in</strong> ihrem Verhalten <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihren Handlungsmaximen verstehbar werden?<br />
Wäre es somit als Konsequenz h<strong>in</strong>nehmbar, wenn politische Überlegungen o<strong>der</strong> ethische Be-<br />
schwernisse die Suche nach geschichtlicher Wahrheit <strong>der</strong>art bee<strong>in</strong>flussen, dass die Erkenntnis des<br />
e<strong>in</strong>zelnen, historisch <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getretenen Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vielschichtigkeit nicht <strong>in</strong> je-<br />
dem Fall e<strong>in</strong> vorrangiges Ziel auch von Geschichtsforschung bleibt?<br />
Dieses s<strong>in</strong>d Fragen, die mich beschäftigen, seit ich während me<strong>in</strong>er Arbeit an e<strong>in</strong>er Biographie<br />
des <strong>Auschwitz</strong>-Arztes <strong>Josef</strong> <strong>Mengele</strong> <strong>in</strong> den neunziger Jahren des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts den Ver-<br />
such unternahm, dem sicherlich schwer verständlichen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Mensch <strong>und</strong> Monster <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er nachgerade zerfallenen Persönlichkeit auf die Spur zu kommen. Die Begrenztheit <strong>der</strong> auto-<br />
graphischen Quellen ließ diese Ausdeutung <strong>der</strong> psychischen Struktur e<strong>in</strong>es NS-Täters damals nur<br />
<strong>in</strong> Ansätzen zu.<br />
Als ich wenige Jahre später im Rahmen e<strong>in</strong>er familien- <strong>und</strong> ortsgeschichtlichen Untersuchung 13<br />
auf Dokumente stieß, die sich mit dem SS-Sturmbannführer Eduard Wirths beschäftigen, waren<br />
diese gleichfalls so e<strong>in</strong>dimensional, dass sich aus ihnen e<strong>in</strong> differenziertes Bild dieses höchstrangi-<br />
gen SS-Arztes <strong>in</strong> <strong>Auschwitz</strong> nicht ergab. Gleiches gilt aber auch, auf eigene Weise, für den ameri-<br />
kanischen Psychiater Robert Jay Lifton, <strong>der</strong> 1988 <strong>in</strong> deutscher Übersetzung se<strong>in</strong> zwei Jahre zuvor<br />
erschienenes, bahnbrechendes Buch The Nazi Doctors. Medical Kill<strong>in</strong>g and the Psychology of<br />
Genozid vorlegte. 14 <strong>Der</strong> nicht deutschsprachige Autor kam, begleitet von e<strong>in</strong>em Dolmetscher,<br />
nach wie<strong>der</strong>holten Begegnungen mit überlebenden KZ-Häftl<strong>in</strong>gen sowie mit etlichen ehemaligen<br />
NS-Ärzten bzw. <strong>der</strong>en Angehörigen zu dem Ergebnis, dass sich diese Berufsgruppe von an<strong>der</strong>en<br />
Gefolgsleuten des Nazi-Regimes „signifikant“ unterschied, „<strong>und</strong> zwar nicht so sehr <strong>in</strong> bezug auf<br />
ihre Experimente mit Menschen, son<strong>der</strong>n h<strong>in</strong>sichtlich ihrer zentralen Rolle bei den Völkermord-<br />
Programmen - Programme, die auf biologischen Visionen beruhten, die den Völkermord als Mit-<br />
tel <strong>der</strong> nationalen <strong>und</strong> rassischen Heilung rechtfertigten.“ 15<br />
13 Ulrich Völkle<strong>in</strong>: <strong>Der</strong> Judenacker. E<strong>in</strong>e Erbschaft, Gerl<strong>in</strong>gen 2001 (als dtv-Taschenbuch: München 2004)<br />
14 Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich, Stuttgart 1988<br />
15 Ebd., S. XVII<br />
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