Es ist unbestritten, dass alle zeitlichen "Angleichungsvorstellungen" der ersten Jahre nach der Vereinigungnicht eingehalten werden konnten. Gleichzeitig besteht keine Veranlassung, das Erreichte kleinzu reden (vgl. Tabelle 3.4). Der Unmut über stetig veränderte Zielstellungen nimmt zu. Politik undWissenschaft formulieren unterschiedlichste Zeitpunkte der zu erfolgenden Angleichung wie z.B.:• Die Bundeskanzlerin erklärt, dass die deutsche Einheit "im Wesentlichen" bis 2030 vollendet seinkönnte 15 .• Angleichung der Erwerbseinkommen und Renten soll bis 2030/2032 16 lt. "Rentenversicherungsberichtder Bundesregierung 2008" erfolgen.• Eine Angleichung der Wirtschaftskraft Ost an West wird erst bis 2055 für möglich gehalten (Analysedes Instituts für Wirtschaftsforschung Halle - Oktober 2009).Die Daten belegen, dass mehrheitlich eine 80 %ige Angleichung erreicht wurde, sie belegen aberauch, dass die einzelnen Sichten unterschiedlich sein mögen bzw. jeweils nur einen einzelnen Bereichder Angleichung betreffen. Es wird immer offensichtlicher, dass es differenzierterer Strategien bedarf,welche Richtung, Zeitpunkt und Wege zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse festlegenbzw. existente Unterschiede anerkennen. Pauschal zu fordern "Ost muss werden wie West" ist keinProgramm.Das gilt auch für summierende Aussagen, bei denen unterschiedlichste Indikatoren zusammengefasstwerden. Eine gute Kindergartenbetreuung kann und darf nicht zum Ausgleich mit Negativ-Zahlen derArbeitslosigkeit dienen, fehlende Infrastrukturen nicht mit höheren Einkommen ausgeglichen werdenusw. Unterschiede sind zu erfassen und zu bewerten und sollten nicht von einem allgemeinen Durchschnittverdeckt werden.Die Tabelle 3.4 ist der Versuch, 17 die erreichten Ergebnisse - soweit möglich gemessen am Ausgangspunkt1989 - aber auch deren Differenziertheit in den verschiedensten Lebensbereichen darzustellen.Dabei ist hervorzuheben, dass• in einigen Bereichen hinter geringen "Angleichungsquoten" ein enormer Gewinn an Lebensqualitätsteht - so z.B. in der Lebenserwartung, welche in den neuen Bundesländern um 5 Jahre gestiegenist, obwohl sich die Angleichungsquote nur gering veränderte;• die enorme, aber nicht hinreichende Verdoppelung des BIP je Erwerbstätigen - wird sie auf dieBevölkerung bezogen - geringer ausfällt aufgrund der Abwanderung und Alterung;• der Ausbau des Kommunikationsnetzes den Ausstattungsgrad mit Telefonen so steigerte, dasskeine Unterschiede mehr bestehen usw.Die Tabelle belegt, dass jeder Indikator einer eigenen Interpretation bedarf. Daraus folgt aber auch,dass es differenzierender Festlegungen über den weiteren Angleichungs- und Integrationsprozess bedarf.Insofern ist denen zuzustimmen, die sich für einen Rahmenplan der Herstellung gleichwertigerLebensverhältnisse aussprechen. 18 Die Notwendigkeit ergibt sich gerade aus einer differenzierten Betrachtungeinzelner Lebensbereiche und Einzelgebiete.15161718Merkel, Angela auf dem Ost-Kongress der CDU, Dresden 10.10.2008.Rentenversicherungsbericht 2008 der Bundesregierung, Berlin 2008, S. 47.Vgl. hierzu auch bezogen auf ökonomische Parameter: Busch, Ullrich/Kühn, Wolfgang/Steinitz, Klaus: Entwicklung undSchrumpfung in Ostdeutschland, VSA-Verlag, Hamburg 2009, S. 129/130.Ebenda.41
3. Angleichung - Gleichwertigkeit - Vielfalt3.5 "Angleichung" durch MobilitätGleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West ist zur Zeit aufgrund der ökonomischenund infrastrukturellen Unterschiede nicht gegeben. Ein nicht unbedeutender Teil der Bürgerstellt individuell die Bedingungen der erwarteten Gleichwertigkeit durch hohe berufliche und territorialeMobilität her.Tabelle 3.5:"Entspricht ihre jetzige, oder falls Sie gegenwärtig nicht (mehr) erwerbstätig sind, Ihreletzte ausgeübte Tätigkeit Ihrem zuerst erlernten Beruf?" - nach Regionen - <strong>2010</strong>- in Prozent - (nur 18. bis 65. Lebensjahr)janein, aber meinWissen istnutzbarnein, ich habewas ganzNeues gelerntnein, aber ichhabe keineneue Ausbildungerworbentrifft nicht zu/ohne AntwortDeutschland 40 18 15 6 22neue Länder 33 20 22 7 18früheres Bundesgebiet 42 17 13 5 24neue LänderGeschlechtweiblichmännlichAlter18 bis 24 Jahre25 bis 39 Jahre40 bis 49 Jahre50 bis 59 Jahre60 bis 64 JahreErwerbsstatuserwerbstätigarbeitslos/apMGeschlechtweiblichmännlichAlter18 bis 24 Jahre25 bis 39 Jahre40 bis 49 Jahre50 bis 59 Jahre60 bis 64 JahreErwerbsstatuserwerbstätigarbeitslos/apMDatenbasis: sfz/leben <strong>2010</strong> (gew.)3631374226283240214242285043423153441523-202919252129früheres Bundesgebiet14198132022182210Die fast 45-jährige Teilung bringt zwei Staaten/Teilgesellschaften hervor, welche auch nach 1990 bisin die Gegenwart vor allem durch die erfolgte wirtschaftsstrukturelle Entwicklung aufrechterhaltenbleiben und auch mental erkennbar und nachweisbar sind. Dabei ist auch zu beachten, dass die Deindustrialisierungund Strukturreform in der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern nicht nur zurLiquidation von Unternehmen - und damit Erwerbsgrundlagen - führten, sondern damit verbundenauch eine bis dato vorhandene Gleichwertigkeit von sozio-kulturellen Lebensverhältnissen im Ostenzerstörten. Damit wurden nicht nur Betreuungsinstitutionen liquidiert (auch wenn sie z.T. marode waren),sondern auch Rahmenbedingungen für eine gleichwertige soziale, gesundheitliche und kulturelleBetreuung und Versorgung zunehmend ungleich strukturiert. Gleichwertige Lebensverhältnisse sindvor allem an Erwerbsmöglichkeiten und damit an die Möglichkeit, eigenes erarbeitetes Einkommen zu2125111729301423241312-16141412121095-799371274-666761819165214614218142424641517173181742