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Journal Riga 2011 - Netzwerk Ost-West

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Sachverhalt 1 - Rettungsfolter<br />

zu beenden. Geeignet ist jede Handlung, die den Angriff beendet oder ihm zumindest ein<br />

Hindernis in den Weg stellt. Die Handlungen des D haben zum gewünschten Erfolg geführt<br />

und sind somit zweifelsohne geeignet.<br />

Die Handlung muss weiterhin erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist sie, wenn kein milderes<br />

Mittel in Sicht ist. Es muss jedoch nicht auf ein weniger geeignetes Mittel zurückgegriffen<br />

werden. Vorliegend hat G die Polizei schon mehrfach in Vernehmungen in die Irre<br />

geführt. Es ist also offensichtlich, dass weitere Vernehmungen nicht zum gewünschten Erfolg<br />

geführt hätten und auf jeden Fall weniger geeignet sind. Es muss ebenfalls der enorme<br />

Zeitdruck, unter dem D stand, berücksichtigt werden. Die Wahrscheinlichkeit J lebend<br />

zu Retten ist mit dem Verstreichen der Zeit sowieso schon gesunken, so dass eine zeitnahe<br />

Lösung des Problems absolut notwendig war. Die Androhung der Folter war mithin erforderlich.<br />

Zuletzt muss die Handlung auch geboten sein. Geboten ist eine Handlung so lange, wie<br />

sie nicht in einem krassen Missverhältnis zum geschützten Rechtsgut steht. Es wird eine<br />

sozialethische Abwägung verlangt. Hiervon umfasste Klassiker sind etwa Fälle der Absichtsprovokation<br />

oder von Kindern oder Geisteskranken. Zusammenfassend lässt sich sagen,<br />

dass keine krass unverhältnismäßige Abwehrhandlung auf unerhebliche Angriffe gerechtfertigt<br />

ist.<br />

Gegen die Gebotenheit lässt sich jedoch eine Menschenwürdeverletzung an G einwenden.<br />

Durch das Androhen der Folter könnte er in seiner Würde verletzt worden sein, sodass dadurch<br />

die Handlung des D nicht mehr geboten wäre. Bei einer solchen Argumentation wird<br />

die Menschenwürde jedoch vorschnell als „Totschlagargument“ herangezogen und somit<br />

ein sinnvoller und nötiger juristischer Diskurs unterbunden. Eine Absolutierung der Menschenwürde<br />

ist hier weder angebracht noch konstruktiv.<br />

Unter Anwendung des Auslegungskanons stellt man schnell fest, dass die grammatikalische<br />

Auslegung anhand des Wortlautes nicht weiterführt, da der Begriff „Menschenwürde“<br />

dafür zu unbestimmt ist. Die systematische Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass die<br />

Würde des Menschen das oberste Verfassungsprinzip ist. Allerdings ist genauso anerkannt,<br />

dass die Menschenwürde immer auch mit dem Recht auf Leben einhergeht, da sie<br />

ohne dieses wirkungslos wäre. Zu beachten ist hierbei dann, dass der G eventuell in seiner<br />

Menschenwürde verletzt wurde, das Kind jedoch in seiner Menschenwürde und einhergehend<br />

in seinem Recht auf Leben. Weiterhin hatte der Täter selbst die Möglichkeit des<br />

Grundrechtseingriffs in der Hand. Durch ein einfaches Verraten des Aufenthaltsortes des<br />

Kindes hätte er die Nötigung abwenden können. Das Kind hingegen hatte diese Chance<br />

nicht. Es hatte keine Möglichkeit den Eingriff in seine Grundrechte zu verhindern.<br />

Bei der historischen und teleologischen Auslegung wird nun häufig aufgeführt, dass die<br />

Würde des Menschen als oberstes unverletzliches Verfassungsprinzip die Lehre aus der<br />

Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus ist. Das ist jedoch nur bedingt richtig. Vielmehr<br />

ist die Lehre, grausame unmenschliche Verbrechen durch ein Mehr an Menschlichkeit und<br />

gerade nicht durch das strikte Befolgen von Grundsätzen zu verhindern. Lehre aus dem<br />

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