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C. Bechstein – der Mythos lebt

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<strong>Bechstein</strong> vor <strong>der</strong> Londoner Nie<strong>der</strong>lassung in <strong>der</strong> Wigmore Street. Ein <strong>Bechstein</strong>-Konzertflügel wird in den deutschen Reichstag geliefert. Vorreiter für Hightech. Visionär: das <strong>Bechstein</strong>-Moór-Doppelklavier. Nobelpreisträger Nernst baut für <strong>Bechstein</strong> ein Elektroniksystem.<br />

fernden Münchner Verlegersgattin Elsa<br />

Bruckmann erfunden wurde <strong>–</strong> Winifred<br />

Wagner, die Schwiegertochter des Komponisten,<br />

ersann ihn jedenfalls nicht.<br />

1924 sagte Helene <strong>Bechstein</strong> vor <strong>der</strong><br />

Münchner Polizei aus, sie habe Hitler<br />

Mittel zur Verfügung gestellt. Mit ihrer<br />

Hilfe sowie <strong>der</strong> Unterstützung durch<br />

Elsa Bruckmann und die Industriellengattin<br />

von Seydlitz konnte Hitler<br />

1923 Sicherheiten für ein Darlehen des<br />

Bremer Kaffeerösters Richard Frank<br />

hinterlegen, um aus dem „Völkischen<br />

Beobachter“ eine Tageszeitung zu machen.<br />

Zeitgleich sandte die Bayreuther<br />

Festspiel-Sybille Winifred Wagner<br />

Hitler jenes Papier in die Haft, auf dem<br />

dieser 1924 „Mein Kampf“ schrieb.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde<br />

Helene <strong>Bechstein</strong> von <strong>der</strong> Spruchkammer<br />

zu 30.000 Mark verurteilt. Sie<br />

blieb bis zu ihrem Tod 1951 am Fuße<br />

des Obersalzbergs wohnen.<br />

Die Vermutung freilich, die Klavierfabrik<br />

C. <strong>Bechstein</strong> habe in den 30er<br />

Jahren von <strong>der</strong> Nähe eines Teils <strong>der</strong><br />

Familie zu den nationalsozialistischen<br />

Machthabern profitiert, wird durch<br />

einen Blick auf die Produktionszahlen<br />

wi<strong>der</strong>legt. In den 30er Jahren ging es<br />

<strong>Bechstein</strong> ebenso schlecht wie den<br />

meisten deutschen Klavierherstellern.<br />

In den 20er Jahren hatte nach dem<br />

Ende <strong>der</strong> Inflation noch die Hoffnung<br />

geblüht. An einen Export in ein so<br />

wichtiges Land wie Großbritannien<br />

war allerdings angesichts <strong>der</strong> hohen<br />

Zölle und Steuern kaum zu denken.<br />

Mit <strong>der</strong> jungen Sowjetunion war auch<br />

nicht ins Geschäft zu kommen <strong>–</strong> dort<br />

gab es schlicht ein Einfuhrverbot. Die<br />

USA schieden zunächst aus mehreren<br />

Gründen als Markt aus. Erst im Herbst<br />

1928 konnte man Verbindungen zu den<br />

Vereinigten Staaten knüpfen. Am 18.<br />

Dezember erschien in <strong>der</strong> deutschsprachigen<br />

Zeitung „New Yorker Herold“<br />

ein Artikel in <strong>der</strong> Reihe „New Yorker<br />

Spaziergänge“:<br />

„Wenn ein Haus vom Range des Wanamaker’schen<br />

öffentlich erklärt, dass<br />

es sich dadurch geehrt fühlt, einen<br />

bestimmten Artikel in New York<br />

vertreten und ihn allein vertreten zu<br />

dürfen, so weiß es sicher, was es nun<br />

sagt <strong>–</strong> und je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> diese Worte liest,<br />

ist überzeugt, dass es sich nur um etwas<br />

ganz Beson<strong>der</strong>s handeln könne. So<br />

ging auch es auch dem Spaziergänger <strong>–</strong><br />

und daher war er hocherfreut, in jenem<br />

Artikel einen heißgeliebten Bekannten<br />

wie<strong>der</strong> zu begrüßen, den einzigen Ge-<br />

Der <strong>Bechstein</strong>-Kultur-Film: „Vom Werden eines Flügels“.<br />

nossen vieler unvergesslicher Stunden:<br />

den <strong>Bechstein</strong>flügel …“.<br />

Der „Spaziergänger“ konnte sogar feststellen,<br />

dass das Instrument während<br />

des Transports auf See die Stimmung<br />

gehalten hatte. „Wanamakers“ feierten<br />

das Ereignis mit Pressekonferenz und<br />

großem Empfang für die Society.<br />

Im Mai 1929 wählte man ein neues<br />

Verkehrsmittel für einen Chippendale-<br />

Flügel: das Luftschiff „Graf Zeppelin“.<br />

Im gleichen Monat reiste von Berlin<br />

aus ein vergoldeter Flügel mit Malereien<br />

à la Watteau zur Weltausstellung in<br />

Barcelona. Es ging ja nicht allen Menschen<br />

gleichermaßen schlecht. Der spanische<br />

Repräsentant war zuversichtlich,<br />

den Flügel sofort nach dessen Ankunft<br />

an einen Bankier verkaufen zu können.<br />

Die Frage <strong>der</strong> Konvertibilität hatte man<br />

schon seit längerem etwas kompliziert<br />

regeln müssen: „Für unsere Verkäufe<br />

gilt <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> Reichsmark gleich<br />

1/2790 kg Feingold zum Preise <strong>der</strong><br />

Londoner Notierung vom Tage des<br />

Verkaufs o<strong>der</strong> 10/42 U.S.A. Dollar nach<br />

unserer Wahl… .“<br />

Die 20er Jahre waren natürlich auch<br />

die großen Jahre <strong>der</strong> Transatlantik-<br />

Schifffahrt. Und da diente mancher<br />

<strong>Bechstein</strong>, festgezurrt gegen die<br />

Unwägbarkeiten <strong>der</strong> Weltmeere, auf<br />

manchem Ocean Liner dem Luxus-<br />

Erlebnis <strong>der</strong> Passagiere. Schiffe wie<br />

die „Bremen“ waren so etwas wie die<br />

„Kleine Nachtmusik“ und <strong>der</strong> „Fliegende<br />

Hollän<strong>der</strong>“ in einem <strong>–</strong> Festspiele mit<br />

fester Ankunftszeit.<br />

In diesen zu Beginn wie an ihrem<br />

Ende wirtschaftlich schwierigen 20er<br />

Jahren hielten vor allem die Pianisten<br />

an „ihrem“ <strong>Bechstein</strong> fest, ob sie nun<br />

Ferruccio Busoni hießen o<strong>der</strong> Artur<br />

Schnabel, Wilhelm Backhaus o<strong>der</strong><br />

Alfred Cortot, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> unvergessene<br />

Grandseigneur Emil von Sauer, einer<br />

<strong>der</strong> elegantesten Liszt-Interpreten.<br />

Wenn ein Komponist wie Ferruccio<br />

Busoni, dessen Sensitivität ausschließlich<br />

vom Klang des Klaviers geprägt<br />

war, einen „Entwurf einer neuen<br />

Ästhetik <strong>der</strong> Tonkunst“ geschrieben<br />

hatte, so kann man davon ausgehen,<br />

dass er seine ästhetischen Vorstellungen<br />

an seinem Flügel entwickelt hat.<br />

Artur Schnabels grandiose und extrem<br />

„mo<strong>der</strong>ne“ Sonate für Violine solo aus<br />

dem Jahr 1919 entstand natürlich in<br />

engem Kontakt zu Schnabels Kammermusikpartner<br />

und Freund Carl Flesch;<br />

aber letztlich muss man annehmen,<br />

dass Schnabel die Sonate, ebenso wie<br />

sein fulminantes 1. Streichquartett, an<br />

seinem „<strong>Bechstein</strong>“ komponierte, so<br />

wie unzählige Komponisten gerade <strong>der</strong><br />

beginnenden Mo<strong>der</strong>ne verfuhren. Ein<br />

revolutionäres Kompositionsverfahren<br />

wie die sogenannte Zwölfton-Methode<br />

ging sogar dezidiert von den zwölf<br />

Halbtönen <strong>der</strong> Klavier-Oktave aus und<br />

damit von <strong>der</strong> gleichmäßigschwebend<br />

temperierten Stimmung.<br />

<strong>Bechstein</strong> selbst gab sich innovativ.<br />

Man hatte natürlich ständig verbessert,<br />

auch wenn das mo<strong>der</strong>ne Pianoforte <strong>–</strong> ob<br />

Flügel o<strong>der</strong> Pianino <strong>–</strong> im wesentlichen<br />

Ende <strong>der</strong> 1870er Jahre fertig entwickelt<br />

war. Selbstverständlich baute man auch<br />

Instrumente für das Welte-Mignon-System,<br />

für jene Papierrollen-Automatik,<br />

die den Pianisten überflüssig machen<br />

sollte. Dadurch blieben uns beispielsweise<br />

Aufnahmen mit dem großen<br />

Eugen d’Albert erhalten, einem eingeschworenen<br />

<strong>Bechstein</strong>-Pianisten („Alles<br />

habe ich diesen herrlichen Flügeln zu<br />

verdanken …“). Doch <strong>Bechstein</strong> wandte<br />

sich auch dem neuen Medium Film zu,<br />

das, solange es sich um den Stummfilm<br />

handelte, mit dem Pianoforte eng<br />

verbunden war. In ungezählten Kinos<br />

sorgte <strong>der</strong> Pianist für den akustischemotionalen<br />

Hintergrund. 1926 nun<br />

wurde ein <strong>Bechstein</strong>-Kulturfilm<br />

gedreht: „Vom Werden eines Flügels“.<br />

Er sollte „das Interesse für das Klavier<br />

im Allgemeinen … för<strong>der</strong>n und somit<br />

<strong>der</strong> gesamten musikalischen Welt und<br />

unserer Industrie … dienen“. Der Film<br />

war steuerfrei. Die längste Fassung<br />

dauerte 40 Minuten und wurde geliefert<br />

mit „Reichszensur- und Lampekarte“.<br />

Eine wirkliche Neuerung war 1929 <strong>der</strong><br />

Flügel nach dem System des ungarischen<br />

Pianisten und Tüftlers Emánuel<br />

Moór: Zwei gekoppelte Manuale wie<br />

bei einer Orgel, das obere eine Oktave<br />

höher. Und natürlich eine gedoppelte<br />

akustische Anlage. Moór pries seine<br />

Erfindung vor allem als ideales Instrument<br />

zur Interpretation <strong>der</strong> Werke von<br />

Johann Sebastian Bach. Das Monstrum<br />

hieß „<strong>Bechstein</strong>-Moór-Doppelklavier“;<br />

es erzeugte Begeisterung und rote<br />

Zahlen.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Entwicklung verhieß mehr<br />

Erfolg. Sie war freilich <strong>der</strong> Zeit weit<br />

voraus <strong>–</strong> zu weit. Dazu kooperierte<br />

<strong>Bechstein</strong> mit dem Physiker Hermann<br />

Walther Nernst, <strong>der</strong> 1920 den Nobelpreis<br />

für Chemie erhalten hatte und<br />

als einer <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> physikalischen<br />

Chemie gilt. Nernst formulierte<br />

unter an<strong>der</strong>em den 3. Hauptsatz<br />

<strong>der</strong> Thermodynamik und definierte<br />

damit den sogenannten absoluten<br />

Nullpunkt; ferner entwickelte er die<br />

„Nernstlampe“, die ein nahezu weißes<br />

Licht abgibt. Für die Ausführung <strong>der</strong><br />

elektrotechnischen Seite des ultramo<strong>der</strong>nen<br />

Instruments waren Siemens &<br />

Halske zuständig, und so entstand <strong>der</strong><br />

„Neo-<strong>Bechstein</strong>-Flügel“ o<strong>der</strong> „Siemens-<br />

Nernst-Flügel“, ein Stutzflügel ohne<br />

Resonanzboden und mit dünnen Saiten,<br />

die jeweils in Fünfergruppen über eine<br />

Art Mikrofon-Kapsel geführt waren.<br />

Erzeugt wurde <strong>der</strong> Ton über extrem<br />

leichte „Mikrohämmer“. Das Instrument<br />

war nur 1,40 m lang. Das rechte<br />

Pedal diente <strong>der</strong> Lautstärkeregelung;<br />

mit dem linken Pedal konnte man den<br />

Effekt eines Cembalo- o<strong>der</strong> Celesta-<br />

Tons erzeugen: „Ferner werden ein<br />

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