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C. Bechstein – der Mythos lebt

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Freud und Leid: Wilhelm Backhaus spielte zum hun<strong>der</strong>tjährigen Firmenjubliäum (oben).<br />

Unten: Zerstörte Fabriken machten <strong>Bechstein</strong> während des Wie<strong>der</strong>aufbaus nach 1945 lieferunfähig.<br />

Schon knapp zwei Jahre später wurde<br />

die Hun<strong>der</strong>tjahrfeier glanzvoll begangen.<br />

Der Titaniapalast, <strong>der</strong> auch den<br />

Berliner Philharmonikern mit ihrem<br />

damaligen Chefdirigenten Wilhelm<br />

Furtwängler als Konzertsaal diente,<br />

war überfüllt, als Wilhelm Backhaus<br />

am 21. November 1953 dort ein reines<br />

Beethoven-Programm spielte: fünf<br />

Sonaten einschließlich <strong>der</strong> Opus 111<br />

als tiefsinnigem Finale.<br />

In diesen Jahren blieben die Absatzzahlen<br />

zwar in verhältnismäßig<br />

bescheidenen Dimensionen, doch<br />

konnte man unmittelbar an die alten<br />

Qualitätsstandards wie<strong>der</strong> anknüpfen.<br />

1954 kaufte <strong>der</strong> Dirigent Sergiu Celibidache<br />

für seine Wohnung in Mexico<br />

City einen Stutzflügel und zeigte sich<br />

begeistert. Übrigens wurde 1957 <strong>der</strong><br />

dritte <strong>Bechstein</strong> seit Kriegsende nach<br />

Japan exportiert; <strong>der</strong> Käufer war die<br />

Firma Yamaha, die den Konzertflügel<br />

in ihrer Musikhalle aufstellte.<br />

In Europa war das Vertrauen in die<br />

wachsende Wirtschaftskraft so groß,<br />

dass <strong>der</strong> <strong>Bechstein</strong>-Aufsichtsrat bereits<br />

im Oktober 1954 beschloss, eine<br />

zweite Fabrik zu bauen. Nur wenige<br />

Monate später zeichnete sich durch<br />

die Absichtserklärung von Messina die<br />

künftige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />

ab. Als im Oktober 1959 auf<br />

dem neu erschlossenen Industriegelände<br />

Killisfeld am Rand von Karlsruhe<br />

Richtfest gefeiert wurde, war die<br />

EWG, die Vorläuferin <strong>der</strong> heutigen EU,<br />

bereits durch die Römischen Verträge<br />

Realität geworden.<br />

Die Entscheidung für das Zweigwerk<br />

in Karlsruhe <strong>–</strong> dort verfügte man über<br />

eine Produktionsfläche von 1.800<br />

Quadratmetern <strong>–</strong> erwies sich als richtig.<br />

Denn durch den Bau <strong>der</strong> Berliner Mauer<br />

im August 1961 war man in <strong>der</strong> alten<br />

Hauptstadt abgeschnitten. Vor allem<br />

wurden auch die Arbeitskräfte knapp.<br />

In den späten 60er Jahren erreichte die<br />

jährliche Produktion insgesamt etwa<br />

1.000 Instrumente, gefertigt in Berlin<br />

und Karlsruhe; <strong>der</strong> Gesamtumsatz<br />

betrug rund 4,5 Millionen Mark. Sogar<br />

noch ein weiterer Standort entstand, in<br />

Eschelbronn. Mehr als die Hälfte <strong>der</strong><br />

Instrumente wurde exportiert. Wer<br />

damals einen <strong>Bechstein</strong> haben wollte,<br />

musste mehr als ein halbes Jahr warten.<br />

Leonard Bernstein <strong>–</strong> weltberühmter Dirigent, Komponist und Pianist <strong>–</strong> tourte mit <strong>Bechstein</strong>.<br />

Erneut er<strong>lebt</strong>e <strong>Bechstein</strong> so etwas wie<br />

eine Renaissance. 1971 spielte Leonard<br />

Bernstein bei seiner Deutschlandtournee<br />

mit den Wiener Philharmonikern<br />

Ravels G-Dur-Klavierkonzert ausschließlich<br />

auf einem <strong>Bechstein</strong>, und<br />

einer <strong>der</strong> ganz großen Virtuosen, Jorge<br />

Bolet, bevorzugte grundsätzlich das<br />

Berliner Konzertinstrument.<br />

1973 wurde unter <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong>führung<br />

von Baldwin die Aktiengesellschaft in<br />

eine GmbH umgewandelt. Der kaufmännische<br />

Vorstand Wilhelm Arndt<br />

wurde nach dem Ausscheiden von Max<br />

Matthias alleiniger Geschäftsführer.<br />

Einerseits fielen nun die wichtigen<br />

Entscheidungen in den USA, eben<br />

beim Mehrheitsgesellschafter Baldwin.<br />

An<strong>der</strong>seits eröffnete dies neue Chancen<br />

auf dem amerikanischen Markt. Mit<br />

einem neu konzipierten Konzertflügel,<br />

dem Modell EN, reagierte <strong>Bechstein</strong><br />

auf die immer größer werdenden Konzerthallen<br />

und, wenn man so will, auf<br />

ein sich wandelndes Verständnis von<br />

Kultur. Nicht zuletzt etliche <strong>der</strong> großen<br />

Jazzpianisten waren von den Möglichkeiten<br />

dieses Instruments begeistert,<br />

woran sich vielleicht auch absehen<br />

lässt, wie sehr sich die Musikkultur<br />

seit den Tagen eines Hans von Bülow<br />

verän<strong>der</strong>t hatte.<br />

Das Firmenjubiläum 1978 wurde<br />

standesgemäß begangen. Man feierte<br />

die 125 Jahre <strong>Bechstein</strong> auf <strong>der</strong> Insel<br />

West-Berlin, wo sich die Verhältnisse<br />

einigermaßen normalisiert hatten und<br />

wohin ja auch erhebliche Zuschüsse<br />

aus Bonn flossen. Es gab gleich mehrere<br />

Konzerte <strong>–</strong> mit dem jungen Christian<br />

Zacharias, mit dem Duo Alfons und<br />

Aloys Kontarsky und mit dem Tastentitanen<br />

Shura Cherkassky.<br />

Als Geschäftsführer Wilhelm Arndt<br />

1984 in den Ruhestand ging, war <strong>Bechstein</strong><br />

intensiv bemüht, neue Märkte zu<br />

erschließen. Es herrschte <strong>der</strong> Boom <strong>der</strong><br />

Thatcher-Ära; das schnelle Geld, das an<br />

<strong>der</strong> London Stock Exchange verdient<br />

wurde, brachte eine neue Klasse <strong>der</strong><br />

Luxusverdiener hervor. Doch <strong>der</strong> Flügel<br />

in <strong>der</strong> großzügigen Eigentumswohnung<br />

war nicht mehr das unbedingte<br />

„Must“ wie in früheren Zeiten. 1986<br />

gingen die Geschäfte bei <strong>Bechstein</strong><br />

schlecht.<br />

Diesmal wurde daraus ein radikaler<br />

Neuanfang, am ehesten vergleichbar mit<br />

jenem Beginn, den 1853 Carl <strong>Bechstein</strong><br />

gewagt hatte <strong>–</strong> nur war das Risiko noch<br />

höher. Der 38-jährige Karl Schulze,<br />

Klavierbaumeister und Inhaber des<br />

Oldenburger Musikhauses „Piano Sprenger“,<br />

hatte schon zweimal von Baldwin<br />

das Angebot erhalten, als Geschäftsführer<br />

die Verantwortung bei <strong>Bechstein</strong> zu<br />

übernehmen. Doch Schulze entschloss<br />

sich, dem amerikanischen Eigner Baldwin<br />

die Berliner Traditionsmarke ganz<br />

abzukaufen und erarbeitete mit einer<br />

Berliner Bank ein Finanzierungskonzept.<br />

Im Mai 1986 war <strong>der</strong> Transfer perfekt.<br />

Das Konzept griff; die Reorganisation<br />

des Unternehmens gelang innerhalb<br />

kurzer Zeit. Karl Schulze zielte mit<br />

<strong>Bechstein</strong> kompromisslos auf das obere<br />

Preissegment und hatte Erfolg. Schon<br />

nach <strong>der</strong> Übernahme betonte er in<br />

einem Brief an die Händler, <strong>Bechstein</strong><br />

solle bleiben, „was es <strong>–</strong> in aller Welt <strong>–</strong><br />

von jeher war: ein Name mit Klang“. Zur<br />

Musikmesse im Frühjahr 1987 präsentierte<br />

man das neue Flügelmodell K mit<br />

einer Länge von 1,58 Metern. Der Umsatz<br />

schnellte von zuletzt zehn Millionen<br />

Mark auf 14 Millionen hinauf.<br />

Karl Schulze kaufte <strong>Bechstein</strong> 1986.<br />

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