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C. Bechstein – der Mythos lebt

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Leipzig vorzuweisen hatte; und Blüthner,<br />

ebenfalls in Leipzig, war seit 1853<br />

bereits bei Nummer 2.500 angelangt.<br />

Steinway & Sons in New York und<br />

Braunschweig, die 1853 in Amerika mit<br />

Nummer 483 begonnen hatten <strong>–</strong> die<br />

vorangegangenen Instrumente waren<br />

ausschließlich in Deutschland gebaut<br />

worden <strong>–</strong>, hatten bereits dreitausend<br />

Instrumente gefertigt.<br />

Carl <strong>Bechstein</strong> war also zunächst nicht<br />

unbedingt vom kommerziellen Erfolg<br />

verwöhnt. Es war wohl in erster Linie<br />

die künstlerisch-ästhetische Idee, die<br />

ihn trieb. <strong>Bechstein</strong> wollte einen neuen<br />

Klavierklang. Und so berichtet Bülow<br />

Ende 1860 in einem Brief an Liszt, er<br />

habe für die h-Moll-Sonate in Leipzig<br />

einen „ultrasublimen <strong>Bechstein</strong>“ zur<br />

Verfügung gehabt. Über Jahrzehnte<br />

hinweg sollte <strong>der</strong> „<strong>Bechstein</strong>“ mit<br />

seinem Klang den Fortgang <strong>der</strong> Musik<br />

nachhaltig beeinflussen. Unzählige<br />

Kompositionen sind an ihm nie<strong>der</strong>geschrieben<br />

worden.<br />

Zwei Jahre später kommt ein erneuter<br />

Durchbruch. Auf <strong>der</strong> Londoner Industrieausstellung<br />

von 1862 gibt es gegen<br />

die übermächtige englische Konkurrenz<br />

und <strong>der</strong>en gute Verbindungen zur<br />

Ausstellungsleitung Sieger-Medaillen:<br />

„Die Instrumente <strong>Bechstein</strong>s zeichnen<br />

sich durch eminente Frische und<br />

Freiheit des Tones, Annehmlichkeit <strong>der</strong><br />

Spielart und Gleichheit <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Register aus und dürften selbst<br />

<strong>der</strong> kräftigsten Behandlung Wi<strong>der</strong>stand<br />

leisten.“ Über die Ausstellung wurde<br />

auch ein amtlicher Bericht im Auftrag<br />

<strong>der</strong> Kommission <strong>der</strong> Deutschen<br />

Zollvereins-Regierungen angefertigt:<br />

„C. <strong>Bechstein</strong>, Hoflieferant Sr. Majestät<br />

des Königs, dessen Geschäft erst im<br />

August 1856 gegründet wurde, aber<br />

in <strong>der</strong> kurzen Zeit von sechs Jahren<br />

sich zu einer solchen Höhe empor<br />

geschwungen hat, dass er mit 90 Arbeitern<br />

gegen 300 Instrumente, darunter<br />

allein 140 Flügel jährlich fabriziert<br />

und nach Amerika, Asien, England<br />

und Russland ausführt, hatte 2 ganz<br />

ausgezeichnete Flügel geschickt. (…)<br />

Wir berichten mit Freuden, dass seine<br />

Flügel eine große Anzahl von Freunden<br />

in London gefunden haben und<br />

glauben hoffen zu dürfen, dass sie in<br />

England Verbreitung finden…“.<br />

In dieser Zeit, in <strong>der</strong> sich das mo<strong>der</strong>ne<br />

Klavier endgültig entwickelte, gehörte<br />

es zum guten Ton, dass die einzelnen<br />

Firmen energisch darauf bedacht waren,<br />

bedeutende Interpreten an sich zu<br />

binden. Bülow, <strong>der</strong> in solchen Angelegenheiten<br />

von einer entwaffnenden<br />

Offenheit sein konnte, genoss die ausgesprochen<br />

liebenswürdigen Umgangsformen<br />

des Klavierfabrikanten Ludwig<br />

Bösendorfer in Wien. In Russland<br />

spielte er die Flügel <strong>der</strong> renommierten<br />

Petersburger Firma Becker und äußerte<br />

sich sogar vor <strong>Bechstein</strong> lobend über<br />

<strong>der</strong>en Klang und vor allem Spielart. Es<br />

hatte auch über verschiedene Seiten<br />

Annäherungsversuche zwischen<br />

Theodor Steinweg und Bülow gegeben,<br />

und Bülow hatte mehr als einmal<br />

überlegt, ob er nicht in Kontakt zu dem<br />

Braunschweiger Unternehmen treten<br />

sollte. Doch als man ihn, nachdem er<br />

sich 1863 nach einem Konzert in Berlin<br />

lobend über einen Steinway-Flügel geäußert<br />

hatte, zu vereinnahmen suchte,<br />

verbat er sich <strong>der</strong>lei ausdrücklich und<br />

deklarierte öffentlich seine Vorliebe für<br />

das „<strong>Bechstein</strong>’sche Farbenklavier“,<br />

freilich nicht ohne seinen großen<br />

Respekt vor dem Konkurrenzfabrikat<br />

deutlich zu machen.<br />

Über Generationen hinweg<br />

sollte <strong>der</strong> „<strong>Bechstein</strong>“ mit<br />

seinem Klang den<br />

Fortgang <strong>der</strong> Musik<br />

nachhaltig beeinflussen.<br />

Zu Beginn <strong>der</strong> 1860er Jahre beginnt nun<br />

also auch das Unternehmen <strong>Bechstein</strong><br />

zu florieren. <strong>Bechstein</strong> hatte nach dem<br />

Tod Peraus 1861, <strong>der</strong> auch das Ende<br />

<strong>der</strong> Perau’schen Klaviermanufaktur<br />

bedeutete, die eigene Fabrikation in die<br />

Johannisstr. 4 verlegt, auf zwei Grundstücke,<br />

die sich bis zur Ziegelstraße<br />

hinzogen. Ein dort stehendes älteres<br />

Gebäude sollte in den neuen Komplex<br />

einzubezogen werden. In <strong>der</strong> Behrenstraße<br />

56 blieben das Magazin und das<br />

Lager, die erst 1867 auf ein weiteres<br />

Grundstück Johannisstr. 5 umzogen.<br />

Einen Teil des benötigten Kapitals<br />

für den Umzug hatte sich <strong>Bechstein</strong><br />

geliehen. Doch kurz nach dem Umbau<br />

brach ein Brand aus und vernichtete<br />

nahezu alles. Fast hätte dies das Ende<br />

des Unternehmens bedeutet. Doch<br />

noch einmal sprangen Freunde ein<br />

und liehen Geld. Auch Bülow trug dazu<br />

bei, denn er erwähnt verschiedentlich<br />

eine Summe von 2.000 Thalern. So<br />

schrieb Bülow am 24. August 1866 aus<br />

Luzern: „Meine 2.000 brauche ich jetzt<br />

nicht. Ums Himmels willen bewahren<br />

Sie diese Summe, benutzen Sie sie wie,<br />

wann immer bis <strong>–</strong> <strong>der</strong> Teufel wie<strong>der</strong> los<br />

geht …“.<br />

Bülow hatte keine geringe Summe<br />

vorgestreckt, denn aus dem Jahr 1865<br />

gibt es eine Preisliste, wonach ein Konzertflügel<br />

von 8 Fuß Länge, „Mechanismus<br />

mit ununterbrochener Auslösung,<br />

Saitenhalter und Klangbalken“, 700<br />

Preußische Thaler kostete. Ein Stutzflügel<br />

kam auf 450 Thaler. Die Pianinos<br />

lagen zwischen 230 und 280 Thalern.<br />

Die Verpackung „in starker Holzkiste<br />

mit Schrauben“ berechnete das Unternehmen<br />

mit „8 resp. 7 Pr. Th.“.<br />

Die Qualität <strong>der</strong> Instrumente sprach<br />

sich indessen immer mehr herum,<br />

nicht zuletzt dank Bülow. Nichtsdestoweniger<br />

blieb <strong>Bechstein</strong> überaus großzügig.<br />

Anfang Mai 1864 floh Wagner<br />

aus Wien nach München zu seinem<br />

neuen Gönner, dem Bayernkönig Ludwig<br />

II. Und zu seinem Geburtstag kam<br />

aus Berlin ein <strong>Bechstein</strong>-Flügel. Am<br />

25. Mai bedankt sich Wagner artig:<br />

„Als ich vor drei Jahren zum ersten<br />

Male aus dem Exil nach Deutschland<br />

zurückkehrte und kurze Zeit bei<br />

meinem Freunde Liszt in Weimar verweilte,<br />

gerieth ich eines Tages zufällig<br />

über ein Instrument, das mich durch<br />

seinen krystalligen, wonnigen Ton <strong>der</strong><br />

Maaßen freute und fesselte, dass ich<br />

meinem theuren Hans von Bülow, <strong>der</strong><br />

mir bei einem traurigen Abschiede<br />

eine trostreiche Hoffnung erwecken<br />

wollte, den begeisterten Gedanken<br />

eingab, dafür Sorge tragen zu wollen,<br />

dass ein gleiches Instrument mich, wo<br />

ich weilen werde, erheitern solle.“<br />

Der „theure Freund“ Hans von Bülow<br />

konnte damals noch nicht ahnen, dass<br />

Cosima und Richard Wagner einan<strong>der</strong><br />

schon im November 1863 in Berlin<br />

getroffen und das „Bekenntnis, uns<br />

einzig gegenseitig anzugehören“<br />

ausgetauscht hatten. Am 10. April<br />

1865 wurde Isolde, das erste gemein-<br />

Begegnungen <strong>der</strong> <strong>Bechstein</strong>-Freunde: Richard Wagner im Gespräch mit Cosima von Bülow, spätere Wagner, Hans von Bülow und Franz Liszt, ca. 1869.<br />

same Kind von Cosima von Bülow und<br />

Richard Wagner, in München geboren.<br />

Am 10. Juni 1865 dirigierte Hans von<br />

Bülow in München die Uraufführung<br />

von Wagners „Tristan und Isolde“.<br />

Ende 1864 war Bülow, <strong>der</strong> ebenfalls<br />

nach München gegangen war, von<br />

<strong>Bechstein</strong> bedacht worden. Und zwar<br />

gleich mit zwei Flügeln, einem kleinen<br />

in Eiche und einem großen „wun<strong>der</strong>bar<br />

schönen“, den <strong>der</strong> Pianist kurz vor<br />

Weihnachten mit Erfolg im Konzert<br />

benutzte: „Ihr Flügel hat famos geklungen,<br />

hell, deutlich, voll. Alles ist sich<br />

darüber einig, dass man solche Pianos<br />

in München noch nicht gehört. Ich hoffe,<br />

dass auch die Augsburger [Musikzeitung]<br />

davon reden wird <strong>–</strong> Steinweg<br />

kann diesmal niemanden gegen Sie<br />

bestechen“. Noch bevor die Flügel eintrafen,<br />

schrieb Bülow an <strong>Bechstein</strong> ein<br />

aufschlussreiches Notabene: „Der König<br />

kommt anfangs nächsten Monats.<br />

Das erste, was Wagner und ich ihm zu<br />

oktroyieren vorhaben, ist natürlich ein<br />

‚<strong>Bechstein</strong>‘!“<br />

<strong>Bechstein</strong> dachte sich für Wagner später<br />

noch etwas Beson<strong>der</strong>es aus. 1867<br />

schickte er diesem, <strong>der</strong> nach etlichen<br />

Monaten erzwungenen Auslandsaufenthalts<br />

wie<strong>der</strong> nach München gezogen<br />

war, einen „Piano-Sekretär“, ein Klavier,<br />

das zugleich Schreibtisch war und<br />

damit ein zum Komponieren beson<strong>der</strong>s<br />

geeignetes Möbel. Den Piano-Sekretär<br />

musste er allerdings nicht verschenken.<br />

Bülow an <strong>Bechstein</strong>: „Das Wagnerklavier<br />

(wir sind erfreut, dass es fertig) ist<br />

eine offiziell Allerhöchste Bestellung<br />

zum 22. Mai, nur durch meine Frau<br />

vermittelt.“ Bülows Gattin Cosima<br />

hatte zwar Wagner inzwischen schon<br />

eine zweite Tochter geboren, fungierte<br />

aber offiziell als dessen „Sekretärin“.<br />

Bülow in einem weiteren Brief: „Ihr<br />

Piano-Sekretär <strong>–</strong> himmlisch <strong>–</strong> hat dem<br />

verehrten Meister große, große Freude<br />

bereitet! Haben Sie das Gegengeschenk<br />

seiner Büste empfangen? Ferner (hierüber<br />

bitte ich nur positive Auskunft)<br />

hat Ihnen das Hofsekretariat Ihr<br />

Kunstwerk honoriert? Wenn noch nicht,<br />

so schreiben Sie mir’s gleich <strong>–</strong> weil ich<br />

dann sofort mahnen werde <strong>–</strong> und mit<br />

Erfolg!“<br />

Während Bülow, wohin er auch kam,<br />

mit <strong>der</strong> größten Entschiedenheit für<br />

die Instrumente <strong>Bechstein</strong>s warb,<br />

hatte <strong>der</strong> Klavierfabrikant an dem<br />

hochnervösen, zunehmend unter<br />

Kopfschmerzen leidenden Pianisten<br />

keinen leicht zu nehmenden Freund.<br />

Dass er bereit war, Bülow in sein Haus<br />

aufzunehmen, wann immer <strong>der</strong> in<br />

Berlin Station machte, wurde geradezu<br />

selbstverständlich. Häufig musste sich<br />

<strong>der</strong> Pianist bei <strong>Bechstein</strong> von völliger<br />

Erschöpfung erholen, wo er fürsorglich<br />

abgeschirmt wurde gegen jede, auch<br />

die freundschaftlichste Zudringlichkeit.<br />

War Bülow auf Reisen, so versorgte<br />

<strong>Bechstein</strong> ihn nicht nur mit seinen<br />

Konzertflügeln, son<strong>der</strong>n auch mit<br />

Zeitungen, Zigaretten und gelegentlich<br />

sogenannten “Judenwitzen”. Denn<br />

Bülow pflegte einen leicht snobistischen<br />

Antisemitismus, <strong>der</strong> von seinen<br />

jüdischen Freunden wie dem Cellisten<br />

Heinrich Grünfeld o<strong>der</strong> dem Pianisten<br />

Moritz Moszkowski mit Fassung ertragen,<br />

gelegentlich auch mit scharfsinnigen<br />

Aperçus beantwortet wurde.<br />

In <strong>der</strong> Freundschaft zwischen dem Klavierfabrikanten<br />

und „seinem“ Pianisten<br />

fehlt jedes Moment von Berechnung.<br />

<strong>Bechstein</strong> war, so erfolgreich er als<br />

Unternehmer mit den Jahren auch wurde,<br />

weiterhin von seinem Klangideal<br />

getrieben; und er blieb ein Mensch, <strong>der</strong><br />

Begegnungen am <strong>Bechstein</strong><br />

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