C. Bechstein – der Mythos lebt
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C. <strong>Bechstein</strong>-Wettbewerb in Essen<br />
29<br />
Das Finale des 1. Internationalen Carl <strong>Bechstein</strong> Klavierwettbewerbs Ruhr fand 2006 in <strong>der</strong> Essener Philharmonie statt.<br />
damit neue Möglichkeiten, die Modelle<br />
weiterer Marken aus dem unteren<br />
Preissegment in den Fertigungsstätten<br />
des Partners herstellen zu lassen und<br />
für Modellreihen im mittleren Bereich<br />
womöglich etliche günstiger zu kalkulierende<br />
Vorprodukte bei konstanter<br />
Qualitätskontrolle einsetzen zu können.<br />
Der koreanische Partner wie<strong>der</strong>um war<br />
beson<strong>der</strong>s an <strong>der</strong> Strahlkraft <strong>der</strong> Marke<br />
<strong>Bechstein</strong> interessiert. Die Partnerschaft<br />
fand sehr bald ihren beson<strong>der</strong>en<br />
Ausdruck in <strong>der</strong> Eröffnung eines<br />
<strong>Bechstein</strong>-Centers in Seoul.<br />
Ohnehin bedeutete die Feier des<br />
150jährigen Bestehens, wie schon<br />
erwähnt, eigentlich nur eine Durchgangsstation.<br />
Für den Rückblick auf<br />
die eineinhalb Jahrhun<strong>der</strong>te seit 1853<br />
blieb unter den herrschenden wirtschaftlichen<br />
<strong>–</strong> vor allem weltwirtschaftlichen<br />
<strong>–</strong> Rahmenbedingungen wenig<br />
Zeit. Dafür setzte die C. <strong>Bechstein</strong><br />
Pianoforte AG schon drei Jahre später<br />
einen ganz an<strong>der</strong>en Akzent: Der „1.<br />
Internationale Carl <strong>Bechstein</strong> Klavierwettbewerb-Ruhr“<br />
wurde ausgetragen.<br />
Austragungsorte waren die international<br />
bedeutende Essener Folkwang<br />
Hochschule, das Theater Duisburg, das<br />
Konzerthaus Dortmund und die neue<br />
Essener Philharmonie. Als Schirmherr<br />
hatte sich <strong>der</strong> Pianist und Dirigent<br />
Vladimir Ashkenazy zur Verfügung gestellt.<br />
Zum künstlerischen Leiter wurde<br />
<strong>der</strong> Pianist und Folkwang-Professor<br />
Boris Bloch berufen, <strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Jury<br />
präsidierte. Zu den Juroren gehörten<br />
unter an<strong>der</strong>en die Pianistin Idil Biret,<br />
ihr Künstlerkollege Kyrill Gerstein<br />
und <strong>der</strong> russische Komponist Alexan<strong>der</strong><br />
Tschaikovsky, <strong>der</strong> künstlerische<br />
Leiter <strong>der</strong> Moskauer Philharmonischen<br />
Gesellschaft.<br />
Als nach Monaten <strong>der</strong> Vorbereitung die<br />
Post gesichtet wurde, war die Überraschung<br />
perfekt: 250 junge Pianisten<br />
aus 55 Län<strong>der</strong>n hatten sich angemeldet.<br />
<strong>Bechstein</strong> Marketingleiterin Berenice<br />
Küpper, Grün<strong>der</strong>in des Wettbewerbs<br />
und selbst ausgebildete Pianistin,<br />
hätte sich keine eindrucksvollere<br />
Bestätigung für die Tatsache wünschen<br />
können, dass <strong>der</strong> Name <strong>Bechstein</strong><br />
offenbar rund um die Welt seinen alten<br />
Glanz hat bewahren können. Knapp<br />
fünfzig Teilnehmer wurden dann zum<br />
Wettbewerb zugelassen. Und nach<br />
zehn Tagen des ebenso edlen wie<br />
nervenaufreibenden Wettstreits stand<br />
<strong>der</strong> junge bulgarische Pianist Evgeny<br />
Bozhanov als Sieger fest. Der erste<br />
Preis war mit insgesamt 15.000 Euro<br />
verbunden <strong>–</strong> auch das ein Hinweis<br />
darauf, dass dieser Wettbewerb schon<br />
vom Start weg sich einen Platz unter<br />
den bedeutenden internationalen Konkurrenzen<br />
sichern konnte. Im übrigen<br />
hätte <strong>der</strong> große Mentor und Freund des<br />
Firmengrün<strong>der</strong>s Carl <strong>Bechstein</strong>, Hans<br />
von Bülow, seine Freude gehabt: Für<br />
alle Teilnehmer war eine Auswahl aus<br />
Werken Bachs und Beethovens Pflicht.<br />
Eine Beson<strong>der</strong>heit gab es dafür im<br />
Semifinale. Hier musste je<strong>der</strong> Kandidat<br />
ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus<br />
Mozart in einer öffentlichen Probe<br />
zusammen mit einem Streichquartett<br />
erarbeiten und dabei sowohl seine<br />
solistische wie seine kammermusikalische<br />
Kompetenz beweisen. Mozart hat<br />
für einige seiner Klavierkonzerte diese<br />
Praxis ausdrücklich als Alternative<br />
vorgesehen.<br />
Das Jahr 2006 brachte übrigens erneut<br />
verän<strong>der</strong>te Besitzverhältnisse. Schon<br />
Ende 2005 hatten <strong>der</strong> Vorstandsvorsitzende<br />
Karl Schulze und seine Ehefrau<br />
Berenice Küpper die Hälfte <strong>der</strong> bei<br />
Samick liegenden <strong>Bechstein</strong>-Aktien<br />
zurückerworben; gegen Ende des Jahres<br />
2006 erhöhten sie zusätzlich ihren<br />
Anteil über die Börse auf fast 30 Prozent.<br />
Bei den koreanischen Partnern,<br />
nunmehr nur noch Finanzinvestor,<br />
verblieben 19,5 Prozent, also deutlich<br />
weniger als für eine Sperrminorität<br />
erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Dieses erste Jahrzehnt des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts!<br />
Späteren Generationen wird es<br />
vielleicht einmal als einer <strong>der</strong> rasantesten<br />
Zeitabschnitte <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte<br />
erscheinen. Beinahe<br />
Tag für Tag erschafft sich die Welt neu.<br />
Indische Magnaten kaufen europäische<br />
Stahlkonzerne und englische Traditionsmarken<br />
des Automobilbaus; gigantische<br />
russische Energie-Monopolisten<br />
treten als Partner von ganz Europa<br />
auf. China sorgt für mindestens so<br />
viele Schlagzeilen wie die Vereinigten<br />
Staaten von Amerika. Die Globalisierung<br />
ist in aller Munde. Es gibt ihre<br />
Befürworter und Vorkämpfer und <strong>der</strong>en<br />
entschiedene Gegner, die letzteren<br />
oft genug in sogenannten Non Government<br />
Organizations(„NGOs“) zusammengeschlossen.<br />
Die ökonomischen<br />
Prozesse erfor<strong>der</strong>n nicht selten rasches<br />
Umdenken und Umsteuern. Wo gerade<br />
noch niedrige Löhne Investoren anlockten,<br />
können sehr bald schon mangelnde<br />
Qualifikation <strong>der</strong> Arbeitskräfte,<br />
das politische Umfeld, eine um sich<br />
greifende Korruption o<strong>der</strong> ganz einfach<br />
steigende Frachtkosten eben diese<br />
Investoren wie<strong>der</strong> vertreiben.<br />
Wie baut man für diese Welt Klaviere?<br />
Und zwar Klaviere, die erwiesenermaßen<br />
jahrzehntelang halten, wenn nicht<br />
gar über hun<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> hun<strong>der</strong>tfünfzig<br />
Jahre ihre Qualität und ihre Faszination<br />
bewahren?<br />
Mittlerweile ist <strong>Bechstein</strong> <strong>der</strong> größte<br />
Europäische Hersteller für Flügel und<br />
Klaviere. Bei <strong>Bechstein</strong> sieht man<br />
durchaus die Vorteile <strong>der</strong> Globalisierung,<br />
aber auch die Nachteile. Ende des<br />
ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
arbeitet man mit den besten Zulieferern<br />
zusammen, die ein Spezialteam<br />
weltweit sucht und betreut, denn mit<br />
einer einfachen Zusammenarbeit ist es<br />
nicht getan. Schulungsteams implantieren<br />
ein <strong>Bechstein</strong> Quality Management,<br />
damit die peniblen <strong>Bechstein</strong>-Spezifikationen<br />
eingehalten werden. Resonanzböden<br />
aus europäischer Fichte<br />
aus ausgewählten Hochlagen kommen<br />
zum Beispiel als Tafeln vorverleimt<br />
an. Sollen sie für Klaviere verwendet<br />
werden, müssen sie zwischen sechs<br />
und zwölf Monaten klimatisiert und<br />
behandelt werden. Bei Konzertflügeln<br />
beträgt diese Frist sogar zwei Jahre.<br />
Hammerköpfe für Flügel müssen sechs<br />
Monate liegen, Hammerköpfe für Klaviere<br />
drei Monate. Nur zwei Beispiele<br />
dafür, dass das großindustrielle Prinzip<br />
einer Just-in-time-Produktion, bei <strong>der</strong><br />
ein Logistik-Partner das rollende Lager<br />
bereithält, im hochwertigen Instrumentenbau<br />
nicht zu realisieren ist. Immer<br />
noch prägen bei <strong>Bechstein</strong> Manufaktur<br />
und Handwerk in wesentlichen Zügen<br />
die Fabrikation von Klavieren und<br />
Flügeln.<br />
Das erste Jahrzehnt des 21.Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
verän<strong>der</strong>t freilich auch die<br />
musikalische Ästhetik. Einerseits gibt<br />
es <strong>–</strong> vor allem in Mittel- und Westeuropa<br />
sowie in den USA und Kanada<br />
<strong>–</strong> eine etablierte Szene <strong>der</strong> sogenannten<br />
authentischen Aufführungspraxis.<br />
Gefragt sind dort „Originalinstrumente“,<br />
ob diese nun wirklich original<br />
sind o<strong>der</strong> Nachbauten; die letzteren<br />
übertreffen übrigens gelegentlich die<br />
Vorbil<strong>der</strong> an Qualität. Fast stets handelt<br />
es sich jedoch um Einzelanfertigung in<br />
handwerklicher Tradition. An<strong>der</strong>seits<br />
for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Konzertbetrieb in<br />
Europa, in den USA, in Russland und in<br />
Fernost durchsetzungsfähige Tasteninstrumente<br />
mit großem Ton und großem<br />
Farbreichtum, die auch in den neuen<br />
gigantischen Konzertsälen mit <strong>der</strong>en<br />
durchaus verän<strong>der</strong>ten akustischen<br />
Bedingungen brillieren. Das Publikum<br />
will den „event“, das außerordentliche<br />
Ereignis, für das es auch durchaus zu<br />
zahlen bereit ist. Das Publikum will<br />
Glanz und Glamour.<br />
Spürbar ist auch <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> russischen<br />
Schule. Schon vor dem Ende des<br />
Sowjetreichs, erst recht aber danach<br />
kamen zahlreiche russische Pianisten<br />
nach Mittel- und Westeuropa und<br />
trugen zur Verbreitung dieser Schule<br />
wesentlich bei. Die russische Schule<br />
pflegt ein im Wortsinn nachdrückliches<br />
Klavierspiel, ganz im Gegensatz etwa<br />
zum jeu perlé <strong>der</strong> älteren französischen<br />
Tradition, hinter dem noch die<br />
Musizierpraxis <strong>der</strong> höfischen Clavecinisten<br />
und Lautenisten aufschimmerte.<br />
Gegensätzlicher können Stile kaum<br />
sein.<br />
<strong>Bechstein</strong>s neuer Konzertflügel schien<br />
tatsächlich wie geschaffen für diese<br />
verän<strong>der</strong>ten Bedingungen. Zwei kleine<br />
Details: Beim Modell D verzichtete man<br />
auf die Agraffen im Diskant <strong>–</strong> jahrzehntelang<br />
ein untrügliches Kennzeichen<br />
<strong>der</strong> <strong>Bechstein</strong>-Instrumente <strong>–</strong> und ging<br />
wie<strong>der</strong> zum Kapodaster über, einer fest<br />
in die gusseiserne Platte integrierte<br />
Wie baut man für diese Welt Klaviere? Und zwar<br />
Klaviere, die erwiesenermaßen jahrzehntelang halten,<br />
wenn nicht gar über hun<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> hun<strong>der</strong>tfünfzig Jahre<br />
ihre Qualität und ihre Faszination bewahren?<br />
Klangleiste, unter <strong>der</strong> die Saiten entlang<br />
geführt werden; und man setzte<br />
auf die sogenannte Duplex-Skala, ein<br />
beson<strong>der</strong>es Verfahren, bei dem die<br />
Saitenüberhänge so gestaltet werden,<br />
dass sie in einfachen Schwingungsverhältnissen<br />
mitklingen und den Ton <strong>der</strong><br />
Saite so verstärken.<br />
Das allein freilich reichte nicht. Ganz<br />
ähnlich wie zu Zeiten des Firmengrün<strong>der</strong>s<br />
Carl <strong>Bechstein</strong> musste das persönliche<br />
Engagement hinzukommen. Carl<br />
<strong>Bechstein</strong> brauchte sich freilich nicht<br />
eben häufig aus Berlin wegzubegeben.<br />
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