C. Bechstein – der Mythos lebt
C. Bechstein – der Mythos lebt
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Carl <strong>Bechstein</strong> am <strong>Bechstein</strong><br />
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Richard Wagners wurde. Doch auch<br />
ohne die sich abzeichnende familiäre<br />
Verbindung wäre Bülow für die Sonate<br />
seines verehrten Lehrers mit aller<br />
Überzeugung eingetreten. Und ebenso<br />
überzeugt äußerte er sich dahingehend,<br />
dass vor allem das neue Instrument,<br />
das er benutzte, <strong>der</strong> Sonate zu ihrer<br />
Wirkung verholfen habe.<br />
An dem denkwürdigen Abend also<br />
saß Bülow zum ersten Mal in einem<br />
Konzert an dem neuen Flügel von Carl<br />
<strong>Bechstein</strong>, <strong>der</strong> so unversehens in das<br />
Spannungsfeld Liszt-Wagner geriet,<br />
was einerseits dem späteren Fortgang<br />
<strong>der</strong> Geschäfte außerordentlich dienlich<br />
sein sollte, zum an<strong>der</strong>en aber auch die<br />
<strong>Bechstein</strong>’sche Klangwelt entscheidend<br />
beeinflusst haben dürfte.<br />
Denn Liszts h-Moll-Sonate ist nicht<br />
nur für den Pianisten ein mör<strong>der</strong>isches<br />
Stück, son<strong>der</strong>n auch für das<br />
Klavier. Die Oktavgänge am Ende<br />
stellen extreme Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />
das Material. Bülow repräsentierte<br />
die authentische Liszt-Schule, was<br />
unter an<strong>der</strong>em bedeutete, dass er die<br />
unmittelbare physische Kraft <strong>der</strong> Hand<br />
und des Arms einsetzte und sich damit<br />
radikal unterschied von jenen zum Teil<br />
außerordentlich berühmten Pianisten<br />
<strong>der</strong> frühromantischen Tradition, die vor<br />
allem für die Gelenkigkeit ihrer Finger<br />
bewun<strong>der</strong>t wurden.<br />
Carl <strong>Bechstein</strong> hatte durchaus den<br />
Ehrgeiz, Instrumente für diese neue<br />
Art <strong>der</strong> emotionsgeladenen Musik zu<br />
bauen. Übrigens zeigte er schon am Beginn<br />
seiner begrenzten Selbständigkeit<br />
einen Zug von selbstbewusster Mo<strong>der</strong>nität.<br />
So waren schon <strong>Bechstein</strong>s frühe<br />
Instrumente vor allem „Pianinos“, also<br />
aufrecht stehende Klaviere <strong>–</strong> in einer<br />
Zeit, in <strong>der</strong> das Tafelklavier noch lange<br />
nicht aus <strong>der</strong> Mode war, vor allem<br />
nicht im konservativen Berlin.<br />
Das zierlichere Tafelklavier wirkte im<br />
kleinen Salon wirklich eleganter als das<br />
eher unförmige, aufrecht stehende Pianino;<br />
und es war auch von angenehmerer<br />
Klangabstrahlung. Darüberhinaus<br />
zeigte man sich in Spree-Athen auch<br />
dem wandhohen Lyraflügel zugeneigt,<br />
<strong>der</strong> in den entsprechend zahlungskräftigen<br />
besseren Häusern paradierte. Das<br />
Pianino hatte dagegen etwas unbedingt<br />
Proletarisches. Dafür gehörte ihm die<br />
Zukunft. <strong>Bechstein</strong> war also, für Berliner<br />
Verhältnisse zumal, Avantgardist, als<br />
er sich 1853 stolz mit seinem ersten<br />
Instrument, einem sehr respektablen,<br />
knapp 1,20 Meter hohen, schrägbesaiteten<br />
„Upright“, fotografieren ließ.<br />
Carl <strong>Bechstein</strong> <strong>–</strong> seine Visionen setzten auf Nachhaltigkeit: Er baute auch Pianinos. Komponierten am <strong>Bechstein</strong>: Edvard Grieg, Alexan<strong>der</strong> Scriabin, Maurice Ravel, Béla Bartók.<br />
Zentrum eines gemischten Programms<br />
Liszts Klaviersonate in h-Moll. Den<br />
Herausgebern <strong>der</strong> neuen Liszt-Ausgabe<br />
zufolge war dies vermutlich sogar die<br />
Uraufführung des Werks, das immerhin<br />
bereits 1854 bei Breitkopf & Härtel<br />
im Druck erschienen war.<br />
Die Sonate schied die Gemüter, und<br />
es entspann sich eine bedeutende<br />
Pressefehde, in <strong>der</strong>en Verlauf Hans<br />
von Bülow die Sonate entschieden und<br />
gelegentlich polemisch verteidigte. Zu<br />
Bülows Entschlossenheit mag nicht<br />
zuletzt beigetragen haben, dass er zu<br />
diesem Zeitpunkt bereits mit Cosima<br />
Liszt verlobt war, die er im Frühherbst<br />
1857 heiratete und die später die Gattin<br />
Der erste Konzertflügel aus <strong>der</strong><br />
Werkstatt des Carl <strong>Bechstein</strong> ist 1857<br />
die Sensation. Am Tag darauf schreibt<br />
Bülow einen Brief an Liszt, in dem er<br />
erwähnt, dass er ein Instrument eines<br />
„gewissen <strong>Bechstein</strong>“ gespielt habe, das<br />
er höher als die Érards einschätze. Drei<br />
Wochen später beklagt Bülow wie<strong>der</strong>um,<br />
ebenfalls in einem Brief an Liszt,<br />
dass <strong>der</strong> <strong>Bechstein</strong>-Flügel verkauft sei<br />
und er sich für sein Konzert in Leipzig<br />
nach einem an<strong>der</strong>en Instrument umsehen<br />
müsse. Eine lebenslange Partnerschaft<br />
hatte begonnen.<br />
Eine weitere, langanhaltende Sensation<br />
sollte das Marketing des jungen Unternehmens<br />
werden. Carl <strong>Bechstein</strong> ging<br />
dabei einen sehr eigenen Weg, wobei<br />
die Pariser Firma Érard wie<strong>der</strong>um als<br />
Vorbild diente. <strong>Bechstein</strong> kümmerte sich<br />
nämlich um seine Künstler. Vor allem<br />
natürlich um den einen: Hans von Bülow.<br />
Im bedeutungsvollen Jahr 1856, in dem<br />
<strong>Bechstein</strong> nicht nur heiratete, son<strong>der</strong>n<br />
auch seine Werkstatt in <strong>der</strong> Behrenstra-<br />
ße wesentlich vergrößerte sowie Mitarbeiter<br />
einstellte und möglicherweise<br />
sein Gewerbe überhaupt erst offiziell<br />
anmeldete, hatte er er<strong>lebt</strong>, dass Érard<br />
Liszt für ein Konzert in Berlin einen<br />
Flügel zur Verfügung stellte. <strong>Bechstein</strong><br />
sah mit an, wie im Verlauf des<br />
Abends eine Saite nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
<strong>der</strong> Belastung nicht mehr standhielt<br />
und riss. Er beschloss damals endgültig,<br />
den neuen und wirklich mo<strong>der</strong>nen<br />
Flügel zu bauen, <strong>der</strong> auch Liszts Spiel<br />
gewachsen wäre.<br />
All dies fiel zudem in eine Zeit, in<br />
<strong>der</strong> sich das Klangideal grundlegend<br />
wandelte. Vor allem die ebenso kühn<br />
wie raffiniert instrumentierten Sinfonischen<br />
Dichtungen, die Liszt ab 1849<br />
für das Weimarer Orchester schrieb,<br />
spielten dabei eine bedeutende Rolle.<br />
Zugleich gingen wie<strong>der</strong>um entscheidende<br />
Impulse von Paris aus. Dort hatte<br />
1841 <strong>der</strong> geniale Orgelbauer Aristide<br />
Cavaillé-Coll für die Kirche Saint-Denis<br />
ein neues erstaunliches Instrument<br />
fertig gestellt und damit die romantische<br />
Orgel schlechthin erfunden. Das<br />
Überwältigende an <strong>der</strong>en Klang waren<br />
die vollkommen sich mischenden<br />
Farben des französischen Orchesters.<br />
<strong>Bechstein</strong> dürfte bei seinem Pariser<br />
Aufenthalt dieses Instrument kennen<br />
gelernt haben.<br />
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