Naturgläubigkeit hinaus! - beschaffen sein soll, hat er in einem Brief an seinen Bruderangedeutet: ,,Nicht daß irgendeine Form, irgendeine Meinung und Behauptung siegen wird, -dies dünkt mir nicht die wesentlichste seiner Gaben.[Kommentar: Warum Neustädter wohl diese bedeutsame stelle in Hölderlins Brief nichtwürdigt ? Weil sich Hölderlin gegen den Sieg irgendeiner Partei, also irgendeiner Meinungoder Ausrichtung wendet, was ganz antitotalitär ist und in Neustädters NS-gepoltesInterpretationsmuster nicht hineinpasst. ]Aber daß der Egoismus in allen seinen Gestalten sich beugen wird unter die heilige Herrschaftder Liebe und Güte, daß Gemeingeist über alles in allem gehen und das deutsche Herz insolchem Klima, unter dem Segen dieses neuen Friedens erst recht aufgehen und geräuschlos,wie die wachsende Natur, seine geheimen, weitreichenden Kräfte entfalten wird, dies mein'ich, dies seh' und glaub' ich, und dies ist's was vorzüglich mit Heiterkeit mich in die zweiteHälfte meines Lebens hinaussehen läßt."Es ist, wenn wir all diese Aussagen zusammennehmen, nicht weniger als eine Zeitwende, dieda verkündet wird, eine geistig-seelische Neuordnung im deutschen Raum, deren Quellennicht mehr draußen in irgendeiner Fremde liegen, sondern in der eigenen Art, in der eigenenVergangenheit. in der eigenen Heimat.Wie ging es aber ihm, der dies verkündete ? So wie es den meisten Verkündern und Neueremvon jeher ergangen ist: sie wurden angefeindet, bekämpft. verbannt, verbrannt oder - wasvielleicht noch schlimmer ist - gar nicht vernommen und verstanden. Jenes hat Hölderlin imEmpedokles gestaltet, dieses an sich selbst erfahren müssen. Einmal nimmt die Bitterkeit inihm überhand und er bricht aus in furchtbarer Anklage über die "Barbaren um uns her, dieunsere besten Kräfte zerreißen, ehe sie zur Bildung kommen können..."[Kommentar: Das stimmt zwar, aber Neustädter nimmt mit keinem Wort auf die historischenEntwicklungen jener Zeit Bezug, die Hölderlin veranlassten auch politische töneanzustimmen. Neustädter betrachtet nämlich was Hölderlin 150 Jahre zuvor "verkündet" hatteals Entsprechung nationalsozialistischer Ideale und Ziele. Es darf dabei nicht vergessenwerden, dass das Verkünderische an Hölderlin durchaus der gleichen Komponente des NSzupass war, deshalb auch so gut in Neustädters fragwürdige Argumentation passt.]Aber die Liebe zu seinem Volke überwog alle Bitterkeit und Anklage; er hielt sich offen undbereit dein Dienst, den er für sich als bindend erkannt hatte; Mittler zu sein, das heilige Feuerweiter zu reichen, mochte er selber davon verzehrt werden und verlodern. Immerbedrängender wird die Fülle der Gedichte, immer gewaltiger, dunkler, geheimnisreicher dieSprache. "Ich spreche Mysterien, aber sie sind", heißt es an einer Stelle, "doch. allmählichsteigern sie sich ins Unaussprechbare, nicht mehr Verkündbare, und diesem übermächtigenDrncke, nur noch Ahnen, Schauen, Vernehmen zu müssen, ohne es noch ins Wort fassen, sichdavon befreien zu können in der Verkündung, diesem Drucke vermag sein Geist schließlichnicht mehr stand zu halten, Die Erkenntnis, die er Empedokles in den Mund gelegt: "Fortmuß, durch wen der Geist geredet!" erfüllt sich furchtbar an ihm selbst.[Kommentar: Hölderlin hat die Grenze des Aussprechbaren erreicht, damit die Grenzen derpoetischen Wortgestaltung - das ihn latent begleitende Krisengefühl kommt zum Ausbruch]Im selben Jahre, da das alte Preußen bei Jena in Trümmer sank, die überaltete zermürbteReichseinheit des ,,heiligen römischen Reiches deutscher Nation" auseinanderbrach und die
Jahre deutscher Schmach begannen, da sank auch Hölderlins Geist in Dunkel, 1806. 36 Jahrealt war er damals, doch 37 Jahre lang lebte er noch so dahin, ein "lebendig Toter", den "Apollgeschlagen", da er zu tief ins göttliche Licht geschaut, wie er selber von sich gesagt. Was eraber erschaut, das hat er uns hinterlassen, in unsterbliches Sinnbild und Wort gebannt. Werden Herzschlag deutschen Wesens vernehmen will, von zartester Innigkeit bis zum Sturm desZorns und der Begeisterung., lausche in sein Werk: wer Adel und Reinheit undOpferbereitschaft deutscher Jugend und deutschen Mannes- und Weibtums erkennen will,gehe zu den Gestalten seiner Seele, oder beschwöre seine eigene Gestalt, sein eigenesSchicksal vor sein geistig Auge, denn sein Leben und Schaffen war von Anfang bis Ende einEinsatz und Opfer für das, was er als seine Sendung und Pflicht erkannt hatte. Und daß ernicht nur mit der Waffe des Geistes zu kämpfen bereit war, wenn es darauf ankam, dafür legtZeugnis ab ein Wort., das er seinem Bruder schrieb:"... dann wollen wir uns durch kein Geschwätz von Übertreibung, Ehrgeiz,Sonderbarkeit usw. hindern lassen, um mit allen Kräften zu ringen und mit allerSchärfe und Zartheit zusehen, wie wir alles Menschliche in uns und andern in immerfreiern und innigern Zusammenhang bringen, es sei in bildlicher Darstellung, oderwirklicher Welt, und wenn das Reich der Finsternis mit Gewalt einbrechen will, sowerfen wir die Feder unter den Tisch und gehen in Gottes Namen dahin, wo die Notam größten ist und wir am nötigsten sind."(Volk im Osten. Die Zeitschrift des Südostens, 4. Jg., Heft 7, 1943, S.59-74)