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PDF, 21 Seiten, 119 KB - Woche für das Leben

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deswegen auch Vorbehalte gegen eine besondere Betonung der Stärken des Altersund ihrer Aktivierung gibt. Nach wie vor selten werden bisher jedoch die Stärken desAlters und vor allen Dingen die Herausforderung, die mit dem dritten Alter oder denjungen Alten verbunden sind, angesprochen. Die herrschende Defizitsicht artikuliertdie Hinfälligkeit der Menschen und ihre wachsende Angewiesenheit im Alter. Siedenkt <strong>das</strong> Alter vor allem von seiner Nähe zum Tode und steht damit in einer großenseelsorgerlichen theologischen und religiösen Tradition der Deutung des Alters inden Religionen, und zwar insbesondere im Christentum.Eine neue Kultur des Alters entwickelnGegen eine solche defizitäre Sicht auf <strong>das</strong> Alter argumentiert nun der 6. Altenberichtder Bundesregierung in seinen Schlussfolgerungen – und spinnt damit den Fadendes 5. Altenberichts weiter, der in dieser Richtung einen echten Aufbruch markierte.Der 6. Altenbericht enthält auch zum ersten Mal ein Kapitel zu Altersbildern in denKirchen und Religionen. Gerade in diesem Kapitel wird die klassische Sicht desAlters in Theologie und Kirche herausgearbeitet und dafür plädiert, <strong>das</strong>s sich dieKirchen ihren Umgang mit den Älteren nicht auf diese defizitäre Sicht – so berechtigtsie auch im Einzelnen sein mag – reduzieren mögen. So fordert der 6. Altenberichtunter der Überschrift „Eine neue Kultur des Alters entwickeln“: „Das Alter verdienteine neue Betrachtung. Noch immer herrscht im Umgang mit dem Alter eineFokussierung auf Fürsorge und Hilfebedürftigkeit vor – auch wenn diese in vielenFällen gutgemeint ist. Eine ausschließliche Deutung von Alter als einem<strong>Leben</strong>sabschnitt, der einer besonderen Sorge und eines besonderen Schutzesbedarf, entspricht nicht der Vielfalt des Alters. Die fürsorgerische Sicht auf <strong>das</strong> Altermuss durch eine an den Stärken und Gestaltungsspielräume des Alters orientierteSicht ergänzt werden. So sollten z. B. die Kirchen und Religionsgemeinschaftenältere Menschen nicht als vornehmlich unterstützungsbedürftig ansehen. Vielmehrsollten sie auch den vielfältigen <strong>Leben</strong>sstilen und Erwartungen älterer MenschenRechnung tragen und auf ihre Kompetenzen und die Entwicklung ihrer Potenzialesetzen.“Zwar sind die Formulierungen stets abgeschwächt und erscheinen dadurch etwasgeschönt, <strong>das</strong>s man Formulierungen wählte, die eine Ausschließlichkeit verhindern:3


also sollen ältere Menschen nicht als vornehmlich unterstützungsbedürftigangesehen werden und die Kirchen sollten auch der Entwicklung ihrer Kompetenzenund Potenziale Rechnung tragen. Aber im Grunde genommen sind diese Sätze starkherausfordernde - insbesondere für die Kirche - weil sie den Kern des kirchlichdefizitären, diakonisch geprägten Altersbildes herausfordern. Entsprechend solltensie auch nicht allzu schnell überwölbt und integriert werden, sondern müssen in dieErarbeitung neuer Altersbilder und eines neuen Zugehens auf die Kompetenzen undPotenziale älterer Menschen umgesetzt werden. Nicht die Hinfälligkeit der älterenMenschen und <strong>das</strong> Problem ihrer Pflegebedürftigkeit, nicht ihre größere Nähe zumTode steht nach diesen Thesen und nach allem, was wir über die jungen Altenwissen, im Mittelpunkt der Herausforderung in den nächsten Jahren, sondern dieFörderung ihrer Selbstständigkeit, ihrer Kreativität, ihres Interesses, die Förderungvon Teilhabegerechtigkeit älterer Menschen. Es geht darum, ein positivesproduktives Altersbild zu gewinnen und dieses in der kirchlichen Arbeit auch zumTragen kommen zu lassen. Die Altersdenkschrift des Rates der EKD formuliertdeswegen bewusst schon in ihrem Titel: <strong>das</strong>s man im Alter neu werden kann - aberausführlicher dann noch in ihrem Text eine Umkehrung des gängigen kirchlichenAltersbildes, <strong>das</strong> vom Hinfließen zum Tode geprägt ist, indem sie betont nicht vonder Mortalität, sondern von der Natalität her formuliert. Allein dies stellt schon eineHerausforderung dar, die durchaus einer Revolution in Richtung einer Emanzipationdes Alters gleichkommen können. Ob dies allerdings so sein wird und es nicht nurzur Nutzung des Alters als letzter Reserve einer sterbenden Gesellschaft kommt, istnoch nicht ausgemacht.Nur eine Verschiebung des Alters?Man kann an dieser Stelle bereits ganz grundsätzlich fragen, ob <strong>das</strong>, was mit diesenThesen und Erwartungen in Richtung einer Umkehrung des Altersbildes verbundenist, überhaupt noch ein Altersbild darstellt. Das würde dann fragen lassen, ob sichnicht in gewisser Hinsicht <strong>das</strong> Alter zumindest in der sogenannten Zeit des dritten<strong>Leben</strong>salters bzw. bei den so schön paradox formulierten „jungen Alten“ im Grundegenommen längst sozusagen vergleichgültigt hat. Die Jungen Alten partizipieren aneiner Phase des längeren <strong>Leben</strong>s, die weder jung noch alt sondern irgendwie einfachdazwischen liegt: an der Zeit voll aktiven <strong>Leben</strong>s. Die Jungen Alten wären in dieser4


Die Herausbildung neuer <strong>Leben</strong>smöglichkeiten im Alter1. These: Die Gesellschaft wird altersindifferenter.Das <strong>Leben</strong>salter wird als Indikator für <strong>Leben</strong>szusammenhänge und<strong>Leben</strong>sorientierungen immer unwichtiger.Deutlich wird schon in der unmittelbaren primären <strong>Leben</strong>serfahrung, aber auch in derwissenschaftlichen Altersforschung, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> biologisch numerische <strong>Leben</strong>salterimmer weniger über einen Menschen aussagt. Es ist einfach kein guter undtreffender Indikator mehr für überhaupt irgendetwas. Dazu unterscheiden sich dieMenschen viel zu sehr. Dies ist noch vor nicht allzu vielen Jahren anders gewesen.Man konnte in dieser Zeit, wenn man von einem Menschen <strong>das</strong> <strong>Leben</strong>salter wusste,eine ganze Menge über ihn voraussagen, z. B. was individuelles Verhalten,insbesondere aber auch körperliche Fitness oder Bekleidung und <strong>Leben</strong>sinteressenanbetraf. In gewisser Hinsicht war die Gesellschaft von Altersstrukturen hergegliedert. Der Übergang in den Ruhestand markierte einen entscheidenden Bruchmit der bisherigen Biografie, insbesondere bei den die Gesellschaft noch prägendenMännern. Heute hat sich dies alles deutlich verschoben und <strong>das</strong> ist ja auch gut so!Alleine die Kenntnis des Alters des Menschen sagt aber nun so gut wie gar nichtsmehr aus – bis dahin, <strong>das</strong>s man sich immer mehr bei Klassentreffen wundern kann,wie unterschiedlich die Menschen sind, obwohl sie doch alle in etwa <strong>das</strong>selbe Alterhaben und man einstmals gemeinsam jung und hübsch gestartet war.Allein schon aus diesem Grund werden immer mehr Altersgrenzen in derGesellschaft fallen müssen. Entsprechende Diskussionen hierüber gibt es ja auch anvielen Stellen. Pauschale Altersgrenzen, die sich am Indikator Alter orientieren,werden zunehmend als ungerecht durchschaut, da sie völlig unterschiedlicheLeistungsfähigkeiten über einen Kamm scheren und in dieser Hinsicht zwar im Sinneder Gleichheit, aber nicht der Gerechtigkeit funktionieren. Nötig wird es in Zukunftimmer mehr sein individuelle Lösungen z. B. beim Übergang in den Ruhestand undbeim Bezugsbeginn der Rente zu finden. Zunehmend wird es hier auch rechtlicheInterventionen geben, da pauschale Altersgrenzen in allen Bereichen auch derWürde der Menschen nicht mehr entsprechen und ihren Wünschen schon gar nicht.8


Bestimmte Berufsgruppen haben es längst geschafft, Altersgrenzen zu durchbrechenund dies wird weiter zunehmen, beginnend bei hochqualifizierten und selbstständigtätigen Berufen, wo es diese Entwicklung ja schon immer gab. BestimmteArgumentationen, die für <strong>das</strong> Einhalten solcher Altersgrenzen mit angeblichenDefiziten der Älteren argumentieren (z. B. damit, <strong>das</strong>s ältere Menschen inanstrengenden Sitzungen schneller einschlafen als jüngere, was empirisch Unsinnist, da dieses Einschlafen mit der individuellen Fitness und nichts mit dem Alter zutun hat), werden fallen.In dieser Richtung kann man auch über die Rente mit 67 diskutieren. Mit großerWahrscheinlichkeit ist mit der Rente mit 67 auch noch nicht <strong>das</strong> Ende derFahnenstange erreicht. Die Rente mit 67 bietet natürlich große Härten für bestimmteBerufe, sofern sie gesundheitlich so anstrengend sind, <strong>das</strong>s man dieses Berufsalterüberhaupt nicht erreichen kann. Hier braucht es deswegen dringend flexiblereÜbergänge. Eine pauschale Rente mit 67 wird deswegen weiter differenziert werden.Einige werden gerne bis 70 arbeiten; andere müssen aber auch bereits mit 60 in denRuhestand gehen. Das Rentenalter muss auf die individuelle Leistungsfähigkeit undFitness bezogen werden, auch wenn natürlich entsprechende Verfahren sehr vielschwerer zu entwickeln sind als die bisherigen pauschalen Regelungen.Ein entscheidender Hinweis auf die nachlassende Indikatorwirkung des biologischenAlters ist die Veränderung sozialer Milieus. In der Milieuforschung sind bisher oft dieFaktoren Alter und Bildung als Indikatoren für die Zuordnung zu Milieus gebrauchtworden und haben auch treffsicher funktioniert. Bildung bleibt auch weiterhin einIndikator, aber im Blick auf <strong>das</strong> Alter verschieben sich die Koordinatenkreuzedeutlich. Die Sinus-Milieus 2009 können z. B. feststellen, <strong>das</strong>s die Bevölkerung zwarimmer älter wird, aber dennoch der Anteil traditioneller Milieus deutlich weiterschrumpft. Er lag 1982 noch bei 47 Prozent und liegt 2009 bei 24 Prozent, hat sichalso innerhalb von 30 Jahren halbiert, was eine enorme Entwicklung bedeutet.Gleichzeitig haben alle in der Gesellschaft, so eben auch die Alten, genauso wie dieJungen, Anteil an die Gesellschaft insgesamt erfassenden Prozessen vonModernisierung, sprich Individualisierung, von Regression, d. h. vonÜberforderungsphänomenen bis hin zu anomischen Situationen und vonSegregation, d. h. dem Auseinanderdriften der Milieus, insbesondere, was Armut und9


Reichtum anbetrifft. Alle diese Tendenzen gelten auch für Ältere, aber sie sind nichtspezifisch an <strong>das</strong> <strong>Leben</strong>salter gekoppelt. Einen deutlicheren Beleg für dienachlassende Relevanz des Indikators Alter lässt sich kaum finden. Wenn man übereinen Menschen etwas aussagen will, so wäre es folglich sehr viel aussagekräftiger,ihn z.B. von seinem Anteil an diesen Prozessen her zu charakterisieren als vonseinem Alter her.2. These: Das Alter pluralisiert sich und wird ungleicher.Das Alter wird offener, differenzierter und gestaltbarer. Vieles wird möglich –aber der Einfluss der sozialen Ungleichheit wird größer.Schon aus der ersten These lässt sich ableiten, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> Alter in Zukunft kaummehr geben wird. Wenn sich die <strong>Leben</strong>ssituationen und die persönlichenErfahrungswelten der Alten immer mehr differenzieren, dann pluralisiert sich <strong>das</strong>Alter insgesamt. Es wird differenzierter. <strong>Leben</strong>ssituationen werden offener und imPrinzip ergeben sich damit neue Freiheitsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten,die es früher so nicht gab. Vieles wird für die Älteren möglich und viel mehr wirdmöglich: Vieles, was noch vor 30, 40 Jahren vollkommen undenkbar gewesen ist,weil man als alter Mensch so etwas eben nicht tat.Hinweise hierfür sind überall anzutreffen. Insbesondere der Boom von Filmen undsonstigen Produkten, die sich auf <strong>das</strong> Thema der Sexualität im Alter beziehen,indiziert mehr als alles andere einen ungeheuren Wertewandel, der allerdings dieAmbivalenzen speziell dieser Thematik – man darf nun nicht nur Sexualität im Alterhaben sondern man muss dafür auch fit und potent bleiben! - die es ohnehin in derGesellschaft gibt, auch in die <strong>Leben</strong>ssituation der Alten einziehen lässt. Für viele wirddadurch <strong>das</strong> <strong>Leben</strong> sinnvoller, interessanter und lustvoller, aber für andere wird auchmehr Stress und mehr Konkurrenzdruck auch in <strong>das</strong> ältere <strong>Leben</strong>salter hinein geholt.Ob diese Entwicklungen zur Befreiung, zur Emanzipation der älteren Menschenbeitragen oder sie nicht doch sehr viel mehr sie neuen gesellschaftlichenPrägemustern unterwerfen, die eher für Entfremdung und neue Belastungen sorgen,muss an dieser Stelle offen bleiben. Es ist aber kennzeichnend, <strong>das</strong>s im Blick auf dieälteren Menschen ein emanzipatorischer Diskurs bisher ganz selten geführt wird.10


Das unterscheidet diese Situation deutlich von anderen Befreiungsbewegungen wiez.B. der Frauenbewegung: sie reklamiert die Gleichstellung der Geschlechter unddamit ihre spezifische De-Thematisierung als Befreiung. Entsprechendes findet sichbei den Älteren bisher nur selten.Gleichzeitig nimmt in all diesen Prozessen der Einfluss der sozialen Ungleichheitenzu. Dieser Einfluss wirkt unabhängig vom Alter als solchen und prägt die gesamteGesellschaft. Die soziale Ungleichheit in Deutschland hat in den letzten 10 Jahrenerheblich zugenommen und es ist keine Umkehr des Trends zu erkennen. Wer sichselbst als Kind als selbstwirksam erlebt hat weil er oder sie in relativ wohlhabendenVerhältnissen aufgewachsen ist, der hat auch gute Chancen, sich in die Gesellschaftproduktiv einzubringen und in dieser Hinsicht dann auch später ein gutes Alter zuerleben. Das eigene Altersbild ist stark von den eigenen <strong>Leben</strong>serfahrungen schon inder Jugend geprägt. Von einer grundsätzlich positiven Haltung zu sich selbst ist dannauch <strong>das</strong> Bild vom eigenen Alter geprägt. Sein oder ihr Altersbild wird durchauspositiv eingefärbt sein.Wer aber früh Armut erlebt, ist in sozialer Hinsicht früher alt und, so muss man esnüchtern formulieren, sieht auch dementsprechend älter aus. Damit ist eine ganzharte Wirklichkeit beschrieben und eine harte Trennung der verschiedenen<strong>Leben</strong>swelten, auf die wir uns heute schon in der Gesellschaft einzustellen haben,die aber mit den auf uns zukommenden Entwicklungen weiter zunehmen wird. Undschließlich ist es ja auch so, <strong>das</strong>s Armut und Reichtum ganz fundamental mit der<strong>Leben</strong>serwartung der Menschen zu tun haben. Ein Arbeitsloser hat eine erheblichreduzierte <strong>Leben</strong>serwartung gegenüber wohlhabenderen Menschen. Die Differenzliegt bei etwa 10 Jahren. Insofern gilt in jeder Hinsicht, <strong>das</strong>s arme Menschenschneller alt werden und vielleicht so etwas wie <strong>das</strong> dritte <strong>Leben</strong>salter bzw. die Zeitdes jungen Alters gar nicht werden erleben können. Dies unterstreicht noch einmal,wie sehr sich die Alterserfahrung vom biologischen <strong>Leben</strong>salter abkoppelt und durchandere Faktoren, in diesem Falle eben durch die soziale Ungleichheit beeinflusstwird.Diese Situation wird sich in Zukunft auch noch durch die sich entwickelndeAltersarmut verschärfen. Es lässt sich ja heute schon voraussagen, <strong>das</strong>s Menschen,11


die im Niedriglohnbereich arbeiten auch nach jahrzehntelanger <strong>Leben</strong>sarbeitszeitkeine ausreichende Rente erhalten werden. Wer heute 45 Jahre zu 7,50 Euroarbeiten würde, erreicht dann mit 67 Jahren eine Rente von etwa 600 Euro und liegtdamit unterhalb des Existenzminimums. Hier konzentriert sich die eigentlicheAltersproblematik in der Kombination von Armut, die aus sich heraus <strong>das</strong> sozialeAlter früher erzeugt, als es sonst der Fall ist. Dies alles hat auch mit der Misereunseres Bildungssystems zu tun, dem es nach wie vor nicht gelingt, die engeKopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu überwinden, ja in dieserHinsicht weitere Rückschritte macht.In dieser Hinsicht kommt dann allerdings dem in der Kirche verbreiteten defizitärendiakonischen Altersbild in Zukunft eine noch viel größere Bedeutung zu, als diesbisher schon der Fall ist. Denn in dieser Hinsicht wird es nötig werden, im Blick aufdie betreffenden Menschen mehr Fürsorge und mehr Schutz zu aktivieren. Nur mussman sich eben klarmachen, <strong>das</strong>s der entscheidende differenzierende Faktor nicht<strong>das</strong> Alter ist, sondern die soziale Situation. Insofern ist auch in Zukunft nicht miteinem Kampf jung gegen alt zu rechnen, sondern, wenn überhaupt mit sozialenAuseinandersetzungen, so platt es klingt, von reich gegen arm. Und in diesenAuseinandersetzungen sind die Armen einfach früher alt und die Reichen bleibenlänger jung. Hier wird es in Zukunft darum gehen, diese Situation bewusst in denBlick zu nehmen und möglichst entgegenzusteuern.3. These: Bilder vom Alter wirken in der Regel verstärkend undbestätigend.Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Ausprägung von Altersbildern sindBewegung, Bildung und Beziehung.In diesem Gefüge des längeren <strong>Leben</strong>s mit guten Chancen für viele, aber einem sichverstärkenden Einfluss der sozialen Ungleichheit, wirken dann auch die Altersbilder,die es in einer Gesellschaft gibt. In der Regel wirken sie allerdings auf die eigenen<strong>Leben</strong>serfahrungen vor allem bestätigend und verstärkend. Gegebenenfalls kann esauch sein, <strong>das</strong>s sie in einem gewissen Ausmaß korrigierend oder auchkompensatorisch wirken. D. h. entsprechende in der Gesellschaft propagiertedefizitäre oder positive Altersbilder können durchaus einen spezifischen, so eben12


egrenzten Einfluss auf die eigene Selbstwahrnehmung haben und können siepositiv oder auch negativ beeinflussen. Dass Altersbilder aber eine autonomesozusagen selbstwirksame Funktion hätten, die unabhängig von sozialen Situationenauf Menschen wirken würde, scheint nicht der Fall zu sein. Deutlich ist: wer eineinsgesamt defizitäre und die eigene Entwicklung beeinträchtigende Jugend undKindheit erlebt, der wird auch ein eher negatives Altersbild entwickeln, wie erinsgesamt ein eher negatives <strong>Leben</strong>sbild – <strong>das</strong> <strong>Leben</strong> möglicherweise insgesamteher als Last oder gar als Strafe – ausbilden wird. Alles hängt hier an der Erfahrungeigener realer Chancen, im <strong>Leben</strong> etwas beginnen zu können, Antreiber seinereigenen Entwicklung zu sein und sich in dieser Hinsicht in irgendeiner Weise„verwirklichen“ zu können. Solche Selbstverwirklichung ist der Maßstab unsererGesellschaft und wer davon ausgeschlossen oder beeinträchtigt ist, leidet anmangelnder Teilhabe und infolge dessen an Anerkennung.So ist es, was die Wirkungsweise von Altersbildern anbetrifft, z. B. so, <strong>das</strong>s in derWirtschaft die Personalverantwortlichen und Manager in der Regel ein durchausaufgeklärtes und d.h. in der Tendenz zur Zeit eher positives Altersbild haben. Dieswar nicht immer so. Es ist noch nicht lange her, da war es in der Wirtschaft CommonSense, <strong>das</strong>s man auf jeden Fall Jüngere einstellen müsse, weil Ältere pauschal nichtso leistungsfähig seien. Heute ist man hier aber weitgehend der Meinung, <strong>das</strong>s ältereArbeitnehmer nicht per se defizitärer sind als jüngere. Die Durchsetzung diesespositiveren Altersbildes ist jedoch deutlich abhängig von der „Marktlage“ auf denArbeitsmärkten und der sie beeinflussenden Politik. Solange mittels politischgewollter Instrumentarien wie Vorruhestand, Altersteilzeit und anderen Formen,ältere Menschen aus den Betrieben relativ komfortabel hinauskomplimentiert werdenkonnten, gab es keinerlei Anlass, <strong>das</strong> defizitäre Altersbild zu verändern. ImGegenteil: diese Maßnahmen unterstützen und stellten es sozusagen alterspraktischunter Beweis! All diese Regelungen waren ja als <strong>das</strong> Alter schützende Maßnahmengedacht und von daher beruhten sie logischerweise auf einem negativen Altersbild.Indem sie praktiziert wurden, bestätigten sie es. Die Rente mit 67 enthältdemgegenüber zunächst einmal kein negatives Altersbild, sondern fordert die Älterenin ihrer Leistungsfähigkeit für die Gesellschaft heraus. Ob es sich dabei nunallerdings um eine Überforderung handelt – in der Undifferenziertheit der Regelungist <strong>das</strong> sicherlich der Fall – bleibt zu diskutieren.13


An dieser Stelle kann man noch einmal die Frage stellen, ob nicht der Begriff„Altersbild“ ohnehin generell falsch ist, weil die 60- bis 75-Jährigen pauschal alsGruppe eben im Grunde genommen gar nicht „alt“ sind. Es wird für diese Gruppe vonMenschen ein neuer Begriff, ein neues Leitbild, ein Ideal sozusagen gesucht. Diebisher hier angebotenen Beschreibungen von den fitten Alten, den jungen Alten, demdritten <strong>Leben</strong>salter oder was auch immer sonst noch, scheinen nicht mehr zupassen. Auch die Rede, die wir nach wie vor in der Kirche in vielen Bereichen haben,von den Jungsenioren oder der Seniorenakademie treffen nicht unbedingt <strong>das</strong><strong>Leben</strong>sgefühl dieser Menschen. Entscheidend ist im Übrigen an dieser Stelle diegroße Bedeutung, die <strong>das</strong> gefühlte eigene Alter aufweist. Es hat sich innerhalb derletzten 30, 40 Jahre rasant nach „hinten“ verschoben, was meint verjüngt. Noch vor30 Jahren war die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, <strong>das</strong>s man etwa um die 60herum, eben mit dem Übergang in den Ruhestand alt wäre. Heute wird dieserÜbergang erst Anfang 70 mit 71, 72 Jahren verortet. Das zeigt an dieser Stelle auchnoch einmal, <strong>das</strong>s der Begriff des Alters für <strong>das</strong> dritte <strong>Leben</strong>salter möglicherweisewirklich nicht mehr passt und hier tatsächlich eine Altersindifferenz eingezogen ist.Denn niemand würde ja behaupten, <strong>das</strong>s es hier nun um Junge ginge, wenn, danneben um die jungen Alten, aber der Begriff selbst ist zwar schön paradox, sagt aberinhaltlich wenig. Wäre es deswegen nicht in Zukunft klug, auf die Terminologie Alterund den Begriff überhaupt zu verzichten? Entsprechende Folgerungen werden im 6.Altenbericht angedeutet. Hier wird gefordert, <strong>das</strong>s in Zukunft nicht mehr dieZuständigkeit für Alter in einem Ministerium angesiedelt wird, sondern <strong>das</strong>s derganze jetzige Bereich Familien, Jugend und Alter als Teil einer übergreifendenGenerationspolitik betrachtet werden soll und <strong>das</strong> Ministerium dementsprechendbenannt werden sollte.Die Frage ist, was dies nun für die Kirche bedeutet. Hier sind wir nach wie vor vieleBegrifflichkeiten lebendig, die auf Alter, Senioren u. ä. abzielen. Wie rufen wir in derKirche – in Seelsorge, Bildungsarbeit, theologischer Reflexion - in Zukunft dieseMenschen an, wie rufen wir sie sozusagen „heraus“ und organisieren sie in derKirche? Ohne ein verändertes Altersbild wird es nicht gehen. Aber deutlich ist auch,<strong>das</strong>s die kirchlich-diakonische Tradition des Altersschutzes nicht einfach abgestreift14


werden kann. Und sie hat ja auch weiterhin ihre Bedeutung zumindest für <strong>das</strong> hoheAlter.In diesem Zusammenhang muss aus meiner Sicht ein realistisches - positiveres -Altersbild von zumindest drei grundsätzlichen <strong>Leben</strong>sebenen oder<strong>Leben</strong>sdimensionen her entwickelt werden. Man könnte dies dann auch sozusagenals <strong>Leben</strong>sbild, in <strong>das</strong> alle <strong>Leben</strong>sphasen eingeordnet sind, begreifen – weniger alsAltersbild. Die verschiedenen Ebenen oder Aspekte des <strong>Leben</strong>s, die ich fürwesentlich halte, lassen sich gut durch die drei Begriffe Bewegung, Bildung undBeziehung oder auch Laufen, Lernen, Lieben und vielleicht auch noch Lachenzusammenfassen. Ein gutes <strong>Leben</strong> – gerade in christlicher Hinsicht - realisiert sich indiesen drei Beziehungen und Dimensionen. Es hat ganz viel mit Bewegung, auchgerade körperlicher Aktivität zu tun. Sie ist, wenn man so will, die Grundlage für ganzVieles, auch für Beziehung und für Bildung. Man weiß <strong>das</strong> aus der frühkindlichenEntwicklung, aber es gilt ebenso für die Zusammenhänge zwischen Bewegung undBildung bis hin zur mentalen Vorsorge gegen Demenz ins hohe Alter hinein. Dabeigeht es nicht um totale körperliche Fitness, sondern ganz einfach um körperlicheAktivität, die nötig ist, um sich selbst wohl zu fühlen und auch möglichst lange seineGesundheit zu erhalten. An dieser Stelle greift aber wiederum <strong>das</strong> Thema sozialeUngleichheit, denn sie setzt sich besonders nachhaltig in diesem Bereich um, indemsie Menschen auf den Körper schlägt und sie an ausgreifender Bewegung im Sinnevon Aktivität und Teilhabe hindert. Die Bedeutung der beiden weiteren BereicheBildung und Beziehung liegt auf der Hand. Wer sich selbst in diesen dreiBeziehungen Bewegung, Bildung und Beziehung betätigt, wer läuft, lernt und liebtund dabei vielleicht auch noch lacht, der hat gute Chancen, ein hohes Alter zuerreichen, weil er oder sie für sich selbst und für andere eine positive Beziehung zusich selbst und damit ein positives Altersbild entwickelt.4. These: Die wichtigste Zukunftsfrage ist: Wofür wird <strong>das</strong> längere<strong>Leben</strong> genutzt?In Zukunft muss <strong>das</strong> Leitbild „Kreuzfahrten“ vom dem des „Sich-Einbringensin die Bürgergesellschaft“ abgelöst werden.15


Zentral wird in Zukunft die Debatte darüber sein, was die Menschen mit demgewonnenen längeren <strong>Leben</strong> anfangen; wofür die neuen Möglichkeiten genutztwerden. Diese Debatte schlägt sich auch im Deutungskampf über <strong>das</strong> Dritte Alternieder. Sie hat längst begonnen und wird auf allen Ebenen heftig ausgetragen.Vereinzelt werden noch – vor allem von Älteren selbst – die Fahnen des verdientenRuhestandes geschwenkt, in dem man doch bitte seine Freiheit vongesellschaftlichen Zumutungen genießen können möchte. Im Großen und Ganzen istman sich aber einig: Die Alten sollen sich stärker einbringen, sollen Verantwortungfür die Gesellschaft übernehmen. Ohne eine bessere „Nutzung“ der Ressourcen derÄlteren wird es in einer von der demografischen Entwicklung so heftig geprägtenGesellschaft wie Deutschland auch tatsächlich kaum gehen können. DieDiskussionen darüber, welche Erwartungen in Zukunft an ältere Menschenherangetragen werden, was sie mit ihrem längeren leben tun, werden deswegenzunehmen.Idealtypisch gesehen gibt es in dieser Hinsicht zwei Möglichkeiten:• Das eine ist die des konsumorientierten längeren <strong>Leben</strong>s, für <strong>das</strong> hier <strong>das</strong>Symbol der Kreuzfahrten bzw. des Traumschiffs stehen soll. Hier geht esdarum, <strong>das</strong>s Menschen im Sinne des Erfahrens eine späten Freiheit nocheinmal etwas richtig für sich selbst tun wollen, keiner entfremdeten Tätigkeitennachgehen müssen, <strong>das</strong> <strong>Leben</strong> genießen und in dieser Hinsicht auch nichtsparen, sondern viel konsumieren wollen. Kinder hat diese Generation inZukunft ohnehin nicht oder nur selten. Diese Entwicklung muss nicht, sie kannaber in eine Haltung ausarten, die nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“funktioniert. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich diese<strong>Leben</strong>shaltung auch noch mit der in der Gesellschaft ja sehr geschätztenMöglichkeit sein <strong>Leben</strong> selbsttätig beenden zu können, wenn es nicht mehrgeht und die Abhängigkeiten zu groß werden. Dann genießt man sein <strong>Leben</strong>,solange man kann, und sobald man dann abhängig und in diesem Sinnewirklich alt wird, gibt es die legitime Perspektive, seinem <strong>Leben</strong>selbstbestimmt ein Ende zu setzen. Solche auf <strong>das</strong> <strong>Leben</strong> im Hier und Jetztzielenden Haltungen werden in der Gesellschaft auch angesichtszunehmender sozialer Spannung mit großer Wahrscheinlichkeit zunehmen.16


Das kann sich dann durchaus auch mit zynischen Debatten über die ZukunftDeutschlands verbinden nach dem Motto „Was soll <strong>das</strong> alles überhaupt noch,wenn es ohnehin keine Zukunft gibt, weil die Deutschen keine Kinder mehrbekommen?“ In gewisser Hinsicht wäre dies eine völlig säkularisierte Haltung.• Oder aber die andere, die in diesem Sinne christliche Vision eines aktivenAlters für andere und mit ihnen. Hier ginge es darum, sich zu engagieren, sichein- und auszusetzen und die eigenen Ressourcen nicht nur für sich selbst zunutzen und sozusagen alle Ressourcen nur aufzuessen, sondern mit anderenzu teilen und sich für sie im Sinne einer Zukunftsorientierung des <strong>Leben</strong>seinzubringen. An dieser Stelle greift der Beitrag der Kirchen, der die älterenMenschen in dieser Hinsicht an ihre Berufung erinnert und ihnen vom Glaubenher Mut macht, sie auch auszuleben und sich für eine auch in Zukunftlebenswerte Gesellschaft einzusetzen.Die Alternative ist hier natürlich im Interesse einer plakativen Darstellung überzogen.In der Wirklichkeit wird es stets viele Grau- und Zwischentöne geben. Und natürlichkann er hier auch nicht darum gehen, irgendwelche Menschen mit ihren<strong>Leben</strong>shaltungen zu diskriminieren. Aber es hängt schon sehr viel davon ab, <strong>das</strong>süberhaupt eine Debatte über die Chancen, Möglichkeiten und Verpflichtungengeführt wird, die sich aus dem längeren <strong>Leben</strong> ergeben. In christlicher Hinsicht kannsie geradezu klassischen theologischen Argumentationsmustern folgen: Aus demunverdienten Geschenk der <strong>Leben</strong>sjahre folgt die Verpflichtung, es nicht nur für sichselbst sondern stets zumindest auch für die Gemeinschaft aller zu nutzen. Die Gabeführt zur Gegengabe. Gerade dieses Denken eignet sich ohnehin gut für einesolidarisch zwanglos verpflichtende Gestaltung der Generationenzusammenhänge.Allerdings – und <strong>das</strong> wird man angesichts der Situation in Deutschland deutlichsagen müssen: solange es lebendige Generationenzusammenhänge überhaupt nochgibt. In einer vielleicht gar nicht mehr so fernen Gesellschaft des ganz langen (120Jahre <strong>Leben</strong>serwartung sollen im Prinzip auch heute schon möglich sein) bzw. javielleicht sogar des ewigen <strong>Leben</strong>s – ohne generative Reproduktion, d. h. ohneKinder (wozu soll es dann auch noch überhaupt Kinder geben?) stellen sich all dieseFragen ganz anders dar.17


5. These: Im Alter neu werden können!Das religiöse und kirchliche „Altersbild“ muss sich von einer Mortalitäts- zueiner Natalitätsorientierung wandeln.Schließlich sollen nun auch theologische, religiöse und kirchliche Überlegungen imengeren Sinne angestellt werden. Die theologische Herausforderung ist bereitsdeutlich geworden: Was ist mit dem neue Alter eigentlich theologisch anzufangen?Wie lässt sich der <strong>Leben</strong>sgewinn, die Gesellschaft des langen <strong>Leben</strong>s, <strong>das</strong> dritte<strong>Leben</strong>salter theologisch begreifen? Hybris? Geschenk? Von den bisher für <strong>das</strong> Altergreifenden seelsorgerlichen Vorstellungen eines „Hinfließens zum Tode“ bzw.überhaupt eines Bestimmt seins durch eine große Nähe zum Tode kann so einfachnicht mehr geredet werden.Die Debatte an dieser Stelle wird, wenn sie überhaupt geführt wird durchauskontrovers. Nach wie dominiert aus meiner Sicht bisher eine Reaktualisierung derüberkommenen alterseelsorgerlichen Vorstellungen. Von ihnen her gibt es einetheologische Kritiklinie, die den Protagonisten eines aktiven Alters und eines indiesem Sinne positiv-fordernden Altersbildes vorwirft, die alten Menschen sozusagenim Interesse einer ausbeuterischen neoliberalen Gesellschaft zu missbrauchen undin dieser Hinsicht vom „Terror des gelingenden <strong>Leben</strong>s“ redet, der dann einsetzt,wenn <strong>das</strong> Alter unter den Zugriff einer entsprechenden Ökonomie gerät. DerImperativ sei dann: Das <strong>Leben</strong> müsse um den Preis aktiver Teilhabe – jasozialstaatlicher Versorgung überhaupt – „gelingen“, d.h. alle Regungen müsstensich entsprechend formatieren. Die Scholarisierung des Alters, letztlich einentfremdender Selbstzwang dominierten die Diskussion. Die letzten Freiheiten desAlters – den Zwängen kapitalistischer Verwertungsimperative wenigstens ein wenigentronnen sein zu können, wären dahin.Dieser Diskussionsbeitrag ist für die Zukunftsorientierung von außerordentlicherBedeutung. Er greift aber in gewisser Hinsicht sozusagen „neben“ die wichtigeDiskussion darüber, was Menschen eigentlich mit ihrem längeren <strong>Leben</strong> machenwollen. Denn die produktiven Altersbilder reagieren auf dieses längere <strong>Leben</strong>,verarbeiten Erfahrungen mit ihm und kommen deswegen immer plausibler zumTrage. Sie fragen nach einer gesellschaftlichen Gestaltung dieser neuen18


<strong>Leben</strong>sphase, zu der auch die Kirchen aufgefordert sind, Antworten zu liefern.Demgegenüber scheint mir die kritische theologische Diskussionslage dieses neuePhänomen bisher nicht wirklich angemessen zur Kenntnis zu nehmen. Sich aber derDebatte um die Gestaltung der Chancen schlicht zu verweigern und sozusagen dieAlten in Ruhe zu lassen zu wollen, reicht in keiner Weise mehr aus. Wenn man denTerror des gelingenden <strong>Leben</strong>s abwehren will, dann müsste man positive<strong>Leben</strong>sbilder für die neue <strong>Leben</strong>sphase entwickeln. Man müsste vor allem zurKenntnis nehmen, <strong>das</strong>s – so scheint es mit jedenfalls zu sein – <strong>das</strong> Ideal einesgelingenden <strong>Leben</strong>s, z.B. im Sinne des Sich-Schließens von <strong>Leben</strong>skreisen , heutefür immer mehr Menschen nicht nur ein erstrebenswertes Ideal sondern Realität zuwerden scheint. Wenn Menschen immer älter werden und länger leben wächst diereale Chance, der Fragmentarität zu entkommen und sein <strong>Leben</strong> zu Ende odervielleicht sogar zur Vollendung zu bringen. Das große Projekt der Moderne: dieunendliche Verlängerung des <strong>Leben</strong>s näherst sich seiner Erfüllung.Dieser großen Herausforderung wird in der EKD-Denkschrift zu Fragen des Altersdadurch versucht gerecht zu werden, <strong>das</strong>s hier <strong>das</strong> Alter nicht mehr von derMortalität, sondern von der Natalität her gedacht wird. Natürlich bleibt der Tod unddie Nähe zum Tod im Alter von Bedeutung – aber sie ist in der <strong>Leben</strong>serfahrunglängst nicht mehr so prägend wie in früheren Zeiten. Will man folglichreligionskonstitutive Erfahrungen – Erfahrungen der Kontingenz des <strong>Leben</strong>s –abrufen, so funktioniert dies immer weniger über den Bezug auf die letztendlicheBegrenztheit des <strong>Leben</strong>s zu seinem Ende hin – aber es bleibt der Beginn. DieserWechsel in der Blickrichtung ist von entscheidender Bedeutung. Denn Religion undchristlicher Glaube hängt herkömmlich ganz stark an den Erfahrungen der Mortalitätals der entscheidenden Kontingenzerfahrung der Menschen. Im EKD Text wird nunversucht, die Natalitätserfahrung als eine andere Form der Kontingenzerfahrung indie Diskussion einzuführen.Damit ist nicht geleugnet, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Alter natürlich mit Mortalität zu tun hat und <strong>das</strong>ses hier im hohen Alter natürlich darum geht, seelsorgerliche und sonstige Hilfenanzubieten, um den Weg der älteren Menschen in die Arme Gottes zu ermöglichenund sie davon zu befreien, auch diesen Weg noch in Selbstermächtigung meinengehen zu müssen. Aber es bleibt dabei, die <strong>Leben</strong>szeit vorher in den Blick nehmen19


zu müssen. Deswegen wird die Perspektive im EKD-Text auf Natalität hin gedreht.Die Erfahrung ist nun, <strong>das</strong>s Menschen in der gewonnenen <strong>Leben</strong>szeit etwas Neuesbeginnen können, eine neue Art von Freiheit erleben und diese Erfahrung solltechristlich qualifiziert, religiös begründet und dann eben auch zivilgesellschaftlichgestaltet werden. Das Reden von der Möglichkeit zum Neuen reagiert hier auf dieneuen Chancen, die es heute real in der <strong>Leben</strong>swelt für viele Menschen gibt undversucht sie in Richtung auf ein sich neues Öffnen für Liebe, Laufen, Lernen zuprägen. Genau dazu muss Kirche also verhelfen: sich aufzumachen, sich auf einweites Feld zu stellen, neu leben zu können und in dieser Hinsicht einehoffnungsvolle Perspektive auf die gewonnenen <strong>Leben</strong>smöglichkeiten zu gewinnen.Diese Deutung verarbeitet auch produktiv die Dilemmata um die neoliberalenNutzungen des Alters und stellt ihnen die religiöse Perspektive eines <strong>Leben</strong>s ausgeschenkter Freiheit – aktualisiert durch die Erfahrung geschenkter <strong>Leben</strong>szeit –entgegen.FazitNoch ist es so, <strong>das</strong>s die älteren Menschen religiöser und kirchlicher geprägt sind alsjüngere. Dies hat jüngst noch einmal Allensbach in einer Umfrage bestätigt. ReligiösePraxis ist ausgesprochen altersgebunden. Von Leuten über 60 Jahren beschreibensich 57 Prozent als religiös, von den Personen unter 30 dagegen nur 28 Prozent.„Alle Indikatoren für Religiosität – auch Glaubensinhalte, der subjektive Stellenwertvon Religion im eigenen <strong>Leben</strong>, <strong>das</strong> Interesse an religiösen Fragen über die religiösePraxis – zeigen die ausgeprägte Altersgebundenheit.“ Vermuten lässt sich allerdingsauch – und darauf deuten erste Ergebnisse aus dem SI – Altersprojekt hin – <strong>das</strong>ssich insgesamt der Level von Kirchlichkeit und Religiosität bei den Älteren senkt. Eswürde auch sehr wundern, wenn sich die geradezu zwangsläufig aus der Situationergebenden Säkularisierungsanreize nicht bemerkbar machen würden. Mit dem älterwerden des Alters veraltet auch die (christliche) Religion.Diese Situation hat, so lässt sich plausibel vermuten, mit der herkömmlichen Deutungdes Alters als näher zum Tode und damit näher zur grundlegendenKontingenzerfahrung im <strong>Leben</strong> zu tun. Aber es ist auch zu erwarten, <strong>das</strong>s sichangesichts der Veränderungen und der Öffnung einer neuen <strong>Leben</strong>sphase gerade in20


dieser Hinsicht eine ganze Menge verändern wird. Die Frage ist, was tritt in dieser<strong>Leben</strong>sphase an die Stelle einer ausgeprägten Religiosität? Bleiben die Alten soreligiös, wie sie bisher waren, oder tut sich hier eine neue Ebene säkularisierterWelterfahrung auf, die für Theologie und Christentum zu einer massiven Konkurrenzwerden wird?Wenn man so will sind die innerweltlichen Verheißungen der Moderne nun endlichauch bei den Alten angekommen. Der Kirche bleibt keine Zeit mehr, angesichtsdieser Entwicklung weiterhin auf die Loyalität der Alten zu setzen. Sie muss sich indie Gemengeklagen der Deutungen dieser neuen Situation begeben und dieChancen für eine christliche Perspektive reklamieren. Sonst wird es bald zu spätsein.<strong>21</strong>

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