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Dies obwohl eine alte, ledige Jumpferin dicken Socken <strong>und</strong> Heilandsandalen,hinter vorgehaltener Hand «Haltelöi»genannt, über Anstand, Moral <strong>und</strong>gutes Benehmen wachte – nach aussenhin zumindest.<strong>Kirchdorf</strong> schien damals, so sagte mireinmal eine kluge Beobachterin, wievon einer unsichtbaren Mauer umschlossen;es öffnete sich erst in denSechzigerjahren, als sich mit dem allgemeinenwirtschaftlichen Fortschrittin der Schweiz auch in <strong>Kirchdorf</strong> mehr<strong>und</strong> mehr Leute ein Auto leisten konnten,nicht nur der Käser, Hadorns aufder Halden, wo mein Vater Melker <strong>und</strong>meine Mutter bis zur Hochzeit Dienstmädchenwaren, der Arzt <strong>und</strong> derNotar. Eigentlicher Pionier von etwasmehr Mobilität im Kleinen <strong>und</strong> Praktischen– das Postauto mit einem stetsmürrischen Chauffeur fuhr nur dreimaltäglich nach Wichtrach – war ErnstSchüpbach. In seiner Garage, nebendem Haus, das Vater 1948 gekaufthatte <strong>und</strong> das heute seinem BruderHans gehört, verwandelte er in denFünfzigerjahren ausgediente Autos,Fiat oder Lancia, in Autotraktoren. DasF<strong>und</strong>ament der Mechanisierung derLandwirtschaft war gelegt: Die Sensewurde vom Motormäher abgelöst, diePferde vom Traktor oder den vom Eidg.Militärdepartement subventioniertenLandrovern, die da <strong>und</strong> dort auftauchten.Das Binden der Getreidegarbenwurde überflüssig. Der Wegallerdings vom Legen der farbigenBänder auf den abgeernteten Feldern,deren Stoppeln die Kinderbeine zerkratzten,bis zum Mähdrescher warlang. Die alte Dreschmaschine, diesesUngetüm, hatte schliesslich ausgedient.Der Staub, den die Garben imSchl<strong>und</strong> der Maschine verschwindend12aufwirbelten, hat sich gelegt. Endgültig.Keine falsche Nostalgie! Sehr wahrscheinlichhaben Cornflakes <strong>und</strong> Orangensaftdie Rösti zum Frühstück (<strong>und</strong>zum Abendessen) auch bei den nochexistierenden Bauernfamilien ersetzt.Nichts gegen Rösti, die es bei Hadornswochentags gab, wo Otti <strong>und</strong> ich alsOberschüler jeweils im Sommer mitarbeiteten.Als Belohnung durften wirmit Frau Hadorn <strong>und</strong> der jüngstenTochter Hanni das Weihnachtsmärchenim Berner Stadttheater besuchen, einerder Höhepunkte der Kindheit. Gegessenwurde, wenn Vater im Stallfertig <strong>und</strong> die zwei Kannen Milch mitdem vom Appenzeller-H<strong>und</strong> «Prinz»gezogenen Milchwagen in der Käsereiabgeliefert waren. Geschicktere <strong>und</strong>stärkere Bauernbuben als ich rollten jeweilsdie schweren Kannen, auf ihremSchreibPunktWörtern Flügel verleihen –eine kreative Schreibwerkstatt5-mal am Dienstagabend,29. September, 13. <strong>und</strong> 27. Oktober,Mittwoch, 4. November,Dienstag, 17. November 2009jeweils 19.00 bis 21.30 Uhrin Kiesen.Anmeldung <strong>und</strong> Auskunft:Verena Kaiser, 031 781 25 33verena.kaiser@schreibpunkt.ch,www.schreibpunkt.chEnde schräg balancierend, zur Milchwaage.Ich habs auch einmal versucht.Der Deckel löste sich, die Kanne lag amBoden <strong>und</strong> mit ihr die Milch. Der Vaternahm das Malheur zu meiner Überraschunggelassen hin: «Komm, wirgehen essen».Zwei r<strong>und</strong>e Platten standen jeweils aufdem langen Tisch, jeder ass daraus mitdem Löffel, <strong>und</strong> wehe er langte überseinen «Röstigraben» hinweg! Ambesten m<strong>und</strong>ete die Rösti mit frischenroten Kirschen von einem Baum in derBe<strong>und</strong>e draussen beim Friedhof, dieich per Velo «im Frühtau zu Berge»pflücken ging.Erst nach Jahren, nach Studium <strong>und</strong>zahlreichen Reisen, wurde mir bewusst,wie hierarchisch die Gesellschaftgegliedert war, wie dieses Bauerndorf,Mittelpunkt einer eben doch grossenKirchgemeinde, sich aus einer Infrastrukturzusammensetzte,dieheute in dieserVielfältigkeit nichtmehr existiert: Diegrossen Bauern,die kleinen, zumeistarmen, diesich redlich <strong>und</strong>mühsam abrackertenauf ihren kleinenÄckern imMoos, an derMüsche unten, imBergacker oder imLimpachtäli; einSattler, Schuhmacher,ein Coiffeur,der uns mitder zwickendenTondeuse halbkahl schnitt <strong>und</strong>ab <strong>und</strong> zu Damen-Walter LüthiGeboren am 11. Juli1940 in <strong>Kirchdorf</strong>,neun Jahre Primarschulevon 1947 bis1956, danach einWelschlandjahr inCosso nay. KaufmännischeLehre bei Aebi,Kraut & Co. in Wichtrachvon 1957 bis 1960. Nach der RS einweiterer Welschland-Aufenthalt in Lausannebis Frühling 1962, danach Abendgymnasiumin Bern mit Matura 1964.Nach einem sechsmonatigen New York-Aufenthalt Beginn des Studiums in Geschichtean der Uni Bern mit Abschluss alslic.phil. Beginn der journalistischen Tätigkeitbeim «Berner Tagblatt» von 1971 bis1978, danach beim «B<strong>und</strong>» bis zur Pensionierung2004. Zahlreiche Reisen in denNahen Osten, Nordafrika <strong>und</strong> Balkan.Zwischen 1985 <strong>und</strong> 1989 Tätigkeit alsKorrespondent in Washington D.C.haare ondulierte, ein Kaminfegermeister,Laden- <strong>und</strong> Lädelibesitzer, einMetzger, zwei Bäcker, die Gärtnerei,eine Hebamme, die uns in der Stubezur Welt gebracht hatte, Knechte,Dienstmägde, wenige Fabrikarbeiter,eine ältere, etwas merkwürdige Frau,die wir an Regensonntagen zu neckenpflegten, <strong>und</strong> die obligate, leicht scheelangesehene Schar jener, die ausserhalbder Landeskirche Gott um seinenSegen baten.Jene, denen die Kirche, vielmehr derjeweilige Pfarrer, zu weltlich schien, besuchtendas «Vereinshaus» (der EvangelischenGesellschaft) unten am Steg.Dort war die Sonntagsschule untergebracht.Sie wurde in preussischerManier von einer Jumpfer Joss geleitet.Wochen vor Weihnachten hatte manbei ihr anzutreten <strong>und</strong> das «Värsli»vorzutragen. Diese General- wurdezur Mutprobe: Mitweichen Knien, inderen Kehlen dieWollstrümpfe kratzten,<strong>und</strong> mitschweren Holzbödenan den ohnehinschweren Füssen,war das Värsliaufzusagen – wennmöglich in zügigerLitanei <strong>und</strong> ohnezu stottern. DerBlick der Joss konntebohrend wie einMesser sein.Kurz: <strong>Kirchdorf</strong> botzu jener Zeit dasganze schillerndeKaleidoskop von«die da oben <strong>und</strong>die da unten». Gespürthat man die-13

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