spieltriebe 5 - Burgtheater
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vormittagsschlaf<br />
Karlheinz Hackl spielt<br />
den Entertainer<br />
Oblomow, eine berühmte Figur aus der russischen<br />
Literatur, leidet an einer weit verbreiteten Krankheit:<br />
dem Müßiggang, den er bis zu einem globalen<br />
Widerwillen gegen jegliche Art von Ereignis steigert.<br />
Er sehnt sich nach völliger Windstille, kann aber<br />
sein Ideal nie ganz verwirklichen. Als Gutsbesitzer<br />
lebt er von den Einkünften aus seinen Ländereien,<br />
doch selbst der Müßiggang nimmt ihn noch zu<br />
sehr in Anspruch. Er muß über die Verwaltung seines<br />
Gutes wachen, Besuche machen, mit einem<br />
Wort: er muß leben, und seine monumentale Trägheit<br />
lehnt sich gegen alle diese Konzessionen auf.<br />
Also zieht er sich völlig zurück, flieht vor der<br />
Betriebsamkeit in die Apathie, läßt nicht einmal<br />
mehr das Tageslicht in die vier Wände seines Zimmers.<br />
Umsonst! Immer noch ist für Oblomow zuviel<br />
Sein in der Luft, zuviel Tumult und Trubel in seiner<br />
Untätigkeit: Selbst wenn er seine Post nicht mehr<br />
öffnen, andere bitten würde, sich um die Verwaltung<br />
seiner Besitztümer zu kümmern, wenn er die<br />
„Ich habe eine<br />
Magenverstimmung<br />
in der Seele.“<br />
Oblomow Nach dem Roman von Iwan Gontscharow<br />
letzten lästigen Besucher vertreiben und sein<br />
Leben im Liegen verbringen würde, kurz, wenn er<br />
ein für allemal beschließen würde, jegliche Verbindung<br />
mit der Außenwelt abzubrechen, um sich<br />
einer absoluten Trägheit zu überlassen, einer ungezügelten<br />
Schlaffheit – es verbliebe ihm jenes Werk,<br />
jene Last, jene Bürde, jenes Unternehmen, das<br />
man nie und nimmer verlassen kann: die Existenz.<br />
Gegen alles kann man in Streik treten, aber nicht<br />
gegen das Sein. Oblomow räumt die Hindernisse,<br />
die seiner Ruhe im Weg stehen, nur beiseite, um<br />
an diese unüberwindliche Barriere zu stoßen.<br />
Existieren ist eine Bürde und keine Gnade. Es ist<br />
ein Angekettetsein an sich selbst, die Tatsache,<br />
dass das Ich ständig mit sich selbst überladen, in<br />
sich selbst verstrickt ist. Die Existenz drängt sich<br />
mit dem ganzen Gewicht eines unkündbaren Vertrages<br />
auf. „Man ist nicht, man ist sich“.<br />
In seiner grundlegenden Mattheit liegt ein Einspruch<br />
gegen die Bürde der Existenz. Hinter dem „du<br />
OBLOMOW nach dem Roman von Iwan Gontscharow<br />
REGIE Stephan Müller BÜHNE Bernhard Hammer KOSTÜME Birgit Hutter<br />
MIT Dorothee Hartinger; Urs Hefti, Nicholas Ofczarek, Werner Wölbern<br />
Premiere am 30. März im Kasino am Schwarzenbergplatz<br />
Nächste Vorstellung am 31. März<br />
mußt tun“, dessen lästige Ermahnungen jeden<br />
Morgen über ihn hereinbrechen, vernimmt Oblomow<br />
ein noch unerbittlicheres und entmutigenderes<br />
„du mußt sein“. Denn dieser Faulenzer ist nicht<br />
Träger eines üblen Charakterfehlers, kein Opfer<br />
eines fernen Traumas oder Repräsentant einer zur<br />
Machtlosigkeit verurteilten Klasse, sondern ein<br />
Wesen, das, ohne die Mittel dazu zu haben, die<br />
Grundbedingung seines Seins ablehnt. Mehr als<br />
ein gesellschaftliches Symbol oder Anzeichen einer<br />
Neurose, ist seine Lethargie eine ontologische<br />
Erfahrung. Oblomow geht allen Verwicklungen aus<br />
dem Weg, ist ungeeignet für die großen Tragödien<br />
und zeugt dadurch von jener grundlegenden<br />
Tragödie: Müde oder lustlos weicht man vor der<br />
Existenz zurück, man schlurft vor sich hin, möchte<br />
manchmal „halt!“ rufen, aber ein Ausbrechen ist<br />
unmöglich: der Mensch ist eingekeilt ins Sein.<br />
Alain Finkielkraut<br />
DAS LEBENSZENTRUM DES JUNGEN GUTSBESITZERS OBLOMOW IST DAS BETT, SEIN WICHTIGSTES KLEIDUNGSSTÜCK DER SCHLAFROCK. ANGEWIDERT<br />
VON DER WELT HÄNGT ER SEINEN GROSSEN IDEEN UND PLÄNEN NACH, DEREN VERWIRKLICHUNG ER IMMER WEITER AUFSCHIEBT. SEINE KUNST IST DIE<br />
GEGLÜCKTE AUSREDE GEGEN DIE NATÜRLICHEN FORDERUNGEN SEINER UMWELT. SEIN DIENER, SEIN LEIBARZT UND FREUND STOLZ, SEINE VERWAND-<br />
TEN SIND ALLE NICHT IM STANDE, OBLOMOW ZU EINEM ANGEMESSENEN LEBENSWANDEL ZU BEWEGEN. NUR KURZE ZEIT ERWACHT OBLOMOW AUS SEINEM<br />
WIDERSTAND, ALS IHN OLGA VOR DER VERKÜMMERUNG BEWAHREN MÖCHTE. IHRE KLARHEIT, EINFACHHEIT UND PRAKTISCHE VITALITÄT RÜHRT IHN.<br />
DOCH BALD FINDET OBLOMOW GUTE GRÜNDE, SICH NICHT AUF DIESE FRAU EINZULASSEN. ER ÜBERLÄSST OLGA SEINEM FREUND STOLZ, EHELICHT AN<br />
IHRER STELLE SEINE HAUSHÄLTERIN AGAFIA.UND GEHT BEHARRLICH SEINEN WEG INS KLEINE GLÜCK.