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spieltriebe 5 - Burgtheater

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vorzeitig<br />

Die Zeit der Plancks<br />

Ein Stück mit Musik von Sergi Belbel, Österreichische Erstaufführung<br />

Das junge Mädchen Maria, fast ein Kind noch, und die<br />

jüngste von vier Töchtern, muss erleben, wie der Vater<br />

stirbt und stellt sich die einfachste und grundlegendste<br />

aller Fragen: kann man den Tod besiegen? Ist Unendlichkeit,<br />

Unsterblichkeit möglich? Lässt sich der Augenblick<br />

des Übergangs vom Leben zum Tod aufheben, kann man<br />

Einfluss auf die Zeit nehmen, den Zeitpfeil umdrehen?<br />

Es ist bemerkenswert, dass sich ein junger katalanischer<br />

Autor wie Sergi Belbel in vielen seiner Stücke mit<br />

dem Tod auseinandersetzt – nicht gerade ein<br />

Modethema zeitgenössischer Dramatik. Vermutlich ist<br />

hieran die spezifische Verbindung einer religiös geprägten<br />

romanischen Kultur mit einem gewissen, quasi surrealistischen<br />

Hang zur Phantastik nicht ganz unschuldig.<br />

Man denkt an das skurrile, aber auch ernsthafte<br />

Interesse, das Leute wie Buñuel oder Gaudi der Religion<br />

entgegenbrachten. Die Verbindung zum Surrealismus,<br />

der sich nicht mit der Wirklichkeit als rein positivistischer<br />

Setzung abfinden will, sondern um die ebenso<br />

realen, vielleicht sogar realeren Kategorien wie Schlaf<br />

und Traum ergänzt, ist evident. Insofern ist das kryptoreligiöse<br />

Bild einer von naturwissenschaftlichen Visionen<br />

beseelten, in der Zeit umherfliegenden und sich<br />

mit dem Vater im himmlischen Jerusalem vereinigen<br />

wollenden Virgo-Maria sicher alles Mögliche: kitschig,<br />

ernsthaft, humorvoll – kurz: eine groteske und letztlich<br />

nicht interpretierbare Referenz an zentrale Topoi unserer<br />

Kultur. Der Trick Marias bzw. Belbels ist, dass die<br />

religiöse Sehnsucht nach einem Leben nach dem Tod<br />

sich nicht nur aus den Bildern des Katholizismus, sondern<br />

auch aus der modernen Naturwissenschaft, aus<br />

der Physik Max Plancks speist.<br />

Max Planck (1858-1947) gilt als Mitbegründer der<br />

modernen „theoretischen Physik“, die, anders als die<br />

überlieferte Physik, die sich an Newton orientierte und<br />

im Wesentlichen beobachtbare Phänomene untersuchte,<br />

extrem feinstofflich wird und sich Atomen,<br />

Quanten, Licht und Zeit zuwendet. Fortan sind Untersuchungen<br />

über die Entstehung des Kosmos<br />

(„Urknall“) und die Spaltung der kleinsten bekannten<br />

Partikel möglich ( Atomspaltung). Diese Wissenschaftsrevolution<br />

führt – jedenfalls im Denken eines Max<br />

Planck – nicht zur immer schärferen Trennung von Religion<br />

und Wissenschaft, sondern eher zur Auflösung<br />

des rein positivistischen Weltbildes. Er sieht die vermeintlich<br />

feindlichen Brüder als potentielle Gefährten.<br />

Anders als die alte newtonsche, mechanische Physik<br />

hat die theoretische Physik für Max Planck selbst<br />

gewisse metaphysische Tendenzen. (Max Planck hatte<br />

übrigens, dies sei am Rande angemerkt, quer zu seinen<br />

wissenschaftlichen Erfolgen mit großen Tragödien<br />

im Privatleben zu kämpfen: Er hatte vier Kinder und<br />

verlor drei der vier innerhalb weniger Jahre im Umfeld<br />

des ersten Weltkriegs: Der älteste Sohn starb an<br />

Kriegsverletzungen und die Zwillingstöchter starben<br />

beide in der Folge von Kindsgeburten).<br />

Belbels Maria macht sich die „Planck-Zeit“ zunutze, die<br />

Zeit unmittelbar nach dem Urknall, die Zeit also, in der<br />

das Universum entstand. Nach dem Vorschlag Plancks<br />

dauerte diese kleinste sinnvolle Zeitspanne 10 hoch<br />

minus 43 Sekunden. Für sich betrachtet ist dies ein<br />

unvorstellbar kurzer Moment, der aber, wenn man sich<br />

in ihn hineinbegibt, von unendlicher Dauer ist, da er<br />

zum einen beliebig in Unterzeiten eingeteilt werden<br />

kann, und da sich in ihm zum anderen unendlich viel<br />

ereignet. Wenn man diese Zeit – wie Maria – auf das<br />

Lebensende anwendet, könnte es sein, dass es gar<br />

keinen Nullpunkt mehr gibt und eine imaginäre Ewigkeit<br />

entsteht... Joachim Lux<br />

„Die Planck-Zeit Papa<br />

ist dieser winzige Sekundenbruchteil<br />

Null Komma zweiundvierzig<br />

Nullen eins Sekunden…<br />

…Nach der großen Explosion<br />

Die unser Universum hervorbrachte<br />

Wenn ich in Planck-Zeit zähle Papa…<br />

…Bleiben dir noch Trillionen Trillionen<br />

Trillionen von Milliarden Milliarden<br />

von Millionen Planck-Zeiten.<br />

Bis du von uns gehst<br />

Eher mehr schätze ich<br />

Und das ist viel Papa wahnsinnig viel“<br />

DIE ZEIT DER PLANCKS<br />

Ein Stück mit Musik von Sergi Belbel<br />

Österreichische Erstaufführung<br />

REGIE Philip Tiedemann BÜHNENBILD Etienne<br />

Pluss KOSTÜME Franz Lehr MUSIK Jörg Gollasch<br />

MIT Kirsten Dene, Regina Fritsch, Maria Happel,<br />

Nicola Kirsch, Sylvie Rohrer; Johannes Krisch, Peter<br />

Simonischek; MUSIKER Melissa Coleman, Milos<br />

Todorovski, Alexander Vladigerov, Thomas Willi Witte<br />

Premiere am 4. April im <strong>Burgtheater</strong>

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