Psyche und Soma 9 - Medical Tribune
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Dr. Johannes<br />
G. Mayer<br />
im Zagros<br />
Gebirge<br />
im Iran.<br />
Foto: privat<br />
KABINETT<br />
Tradition in der Medizin<br />
Europa gräbt nach seinen Wurzeln<br />
Im Zuge des zunehmenden Einfl iessens von Methoden der Traditionellen Chinesischen<br />
Medizin (TCM) in Behandlungsabläufe wird auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der<br />
europäischen Medizin-Tradition vorangetrieben. Die Klostermedizin mit ihrer Pfl anzenheilk<strong>und</strong>e<br />
steht dabei im Fokus von Forschergruppen, welche die Reaktivierung alten<br />
Therapie-Wissens vorantreiben.<br />
Verfolgt man die spannende Entwicklung<br />
der europäischen Medizin<br />
von ihren Anfängen an, nimmt<br />
die Zeit vom 8. bis zum 13. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />
die man auch als Blütezeit<br />
der »Klostermedizin« bezeichnen<br />
kann, einen wichtigen Stellenwert<br />
ein. Politisch erfolgte unter den Karolingern<br />
die Neuorganisation des<br />
deutschen Kaiserreiches, in deren<br />
Zuge wurde die Aufgabe, das Medizinalwesen<br />
zu systematisieren, in<br />
den Aufgabenbereich der Klöster<br />
gelegt. Offi ziell war damit die Ausübung<br />
medizinischer Tätigkeit auf<br />
den Kloster-Bereich beschränkt.<br />
Neben dieser ,professionellen Medizin‘<br />
spielten für die medizinische<br />
Betreuung im weiteren Sinne die<br />
Frauen eine Schlüsselrolle: »Jede<br />
Hausfrau war eigentlich für die<br />
Ges<strong>und</strong>heit ihrer Familie mit verantwortlich.<br />
Man hat damals sehr<br />
ausführliche Hausrezepte gehabt,<br />
die von Generation zu Generation<br />
weitergegeben wurden«, beschreibt<br />
Dr. Johannes Gottfried Mayer,<br />
Forschergruppe Klostermedizin<br />
<strong>und</strong> Geschichte der Medizin an<br />
der Universität Würzburg, damals<br />
gebräuchliche Methoden zur Ges<strong>und</strong>erhaltung.<br />
Populärer als Hildegard<br />
In dieser Zeit erreicht die Pfl anzenheilk<strong>und</strong>e<br />
den Zenit einer langen<br />
Tradition, die in herausragenden<br />
Handschriften dokumentiert<br />
ist. Zu den wichtigsten Quellen<br />
zählen die ca. um 60 n. Chr. verfasste<br />
»Materia medica« des Dioskurides<br />
(siehe auch »Wiener<br />
Dioskurides« in der Nationalbibliothek),<br />
die »Naturalis historia«<br />
von Plinius dem Älteren sowie<br />
das Werk des um 200 gestorbenen<br />
Galen. Auf das »Lorscher Arzneibuch«<br />
<strong>und</strong> den ,»Hortulus« (9.<br />
Jhdt.) folgt in der Chronologie<br />
eines der wichtigsten Werke <strong>und</strong><br />
das meistverbreitete Kräuterbuch<br />
der Klostermedizin überhaupt, der<br />
»Macer fl oridus« des ausgehenden<br />
11. Jahrh<strong>und</strong>erts, von dem heute<br />
noch über 1000 (!) Abschriften erhalten<br />
sind <strong>und</strong> der um 1200 zum<br />
ersten Mal ins Deutsche übersetzt<br />
wurde, wovon auch noch mehr als<br />
100 Kopien existieren: »Der ,Macer<br />
fl oridus‘ ist viel bekannter als das<br />
Werk Hildegards von Bingen gewesen,<br />
die dann mit ihrer ,Physica‘<br />
<strong>und</strong> den ,Causae et Curae‘ etwa um<br />
1150 den Abschluss der typischen<br />
Klostermedizin bedeutet«, so Dr.<br />
Mayer. Nun war die Pfl anzenheil-<br />
k<strong>und</strong>e sicher einer der wesentlichen<br />
Eckpfeiler der Kloster-Heilk<strong>und</strong>e,<br />
aber keinesfalls der einzige.<br />
Es wurde zur Ader gelassen, kleinere<br />
Operationen wie beispielsweise<br />
Dornziehen oder ähnliches dürften<br />
als erste chirurgische Schritte bezeichnet<br />
werden. Darüber hinaus<br />
ist die mittelalterliche Bäderkultur<br />
(mit all ihren Auswüchsen) längst<br />
legendär. Auch in den Klöstern waren<br />
Extra-Badehäuser eingerichtet,<br />
für Kranke ist das Baden als Therapie<br />
ausdrücklich empfohlen worden.<br />
Andererseits schrieb Benedikt<br />
von Nursia in seinen Regeln, dass<br />
normale Mönche nicht so oft baden<br />
sollten.<br />
Was dürfen Ärzte,<br />
was Apotheker?<br />
Im auf das Leben der Hildegard<br />
von Bingen folgenden Zeitraum<br />
endet die grosse Zeit der Klostermedizin.<br />
Es vollzieht sich die<br />
Wendung zu einer akademischen<br />
Medizin, die sich unter anderem<br />
auch in der Übersetzung griechischer<br />
<strong>und</strong> griechisch-arabischer<br />
Quellen manifestiert. Höhepunkt<br />
dieser Entwicklung ab 1170 ist die<br />
Übersetzung des Kanons von Ibn<br />
Sina (Avicenna), aber auch die<br />
Übersetzung anderer Werke ins<br />
Lateinische, worauf die ersten Universitäten<br />
aufbauen: Salerno war<br />
bereits Ende des 10. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
als erste medizinische Hochschule<br />
im Abendland errichtet worden,<br />
gefolgt von Montpellier, Bologna,<br />
Padua, Paris sowie Oxford <strong>und</strong><br />
Cambridge. Man kann nun von<br />
einem kontinuierlichen ��21<br />
20 Heft 9 / 2005 <strong>Psyche</strong> <strong>und</strong> <strong>Soma</strong>