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cher, der bestehende musikalische Konfliktpotentiale<br />
in subkutan hochdramatische<br />
und disparate Klangwelten verwandelt. Wie<br />
in seinem, an Mozart angelehnten Klavierkonzert<br />
»Böse Zellen«.<br />
Merkwürdigkeit des Jahres<br />
Obwohl landauf, landab Schumanns 200.<br />
geburtstag gefeiert wurde – auf CD bot nur<br />
Pianist Tzimon Barto mit Christoph eschenbach<br />
und dem nDR-Sinfonieorchester neue<br />
einblicke ins Spätwerk Schumanns.<br />
Meine heimliche liebe<br />
Die Mezzosopranistin Magdalena Kožená<br />
mit der betörend schönen Barockleidens arie<br />
»Torna il sereno zefiro« von Sigismondo<br />
D’India.<br />
RoBERT<br />
FRAUNHolZER<br />
Platte des Jahres<br />
Schostakowitschs »Präludien und Fugen op.<br />
87«, bahnbrechend neu aufgeschlüsselt von<br />
alexander Melnikov.<br />
Künstler des Jahres<br />
Simone Kermes, die schärfste Sopran-Rivalin<br />
von Cecilia Bartoli. Wo Bartoli virtuoser<br />
gluckert, kann Kermes besser fauchen (»Colori<br />
d’amore«).<br />
überraschung des Jahres<br />
Cameron Carpenter, der wohl beste Organist,<br />
der jemals im Fummel aufgetreten ist. Die<br />
Prinzessin an der Königin der Instrumente.<br />
Muss das sein?<br />
Die tragischen Comeback-Versuche von Rolando<br />
Villazón. So leid es mir tut: unbelehrbar<br />
hat er den eigenen Sturz riskiert. einmal<br />
übersungen, immer übersungen.<br />
überbewertet<br />
Der »echo« Klassik mitsamt der schrecklichen<br />
gala, mit der sich die Branche ruiniert.<br />
Unterbewertet<br />
Martin grubinger. Chance des ersten albums<br />
leider verschenkt. Wieder versuchen!<br />
Merkwürdigkeit des Jahres<br />
Dass viele der in diesem Jahr verstorbenen<br />
Musiker nicht einmal mehr eine Meldung<br />
wert waren, z. B. Maureen Forrester, yvonne<br />
Loriod, Blanche Thebom, Shirley Verrett,<br />
Hugues Cuenod, Benno Kusche und giuseppe<br />
Taddei.<br />
Meine heimliche liebe<br />
Sämtliche elefantenherden, die je von Hans<br />
Knappertsbusch in Trab gesetzt wurden.<br />
Bes tes Beispiel: die gesammelten alten auf-<br />
nahmen mit den Berliner Philharmoni-<br />
kern.<br />
JöRG<br />
KöNiGsDoRF<br />
Platte des Jahres<br />
René Jacobs’ »Zauberflöte« ist Märchenhörspiel,<br />
Freimaurerweihespiel und große Oper<br />
in einem. und der aufregendste Mozart seit<br />
langem.<br />
Künstler des Jahres<br />
John eliot gardiner. Ob Brahms, Bach oder<br />
Bizet – wenn Sir John zum Taktstock greift,<br />
herrscht keinen Takt lang Routine. auch<br />
nach über dreißig Jahren nicht.<br />
überraschung des Jahres<br />
Das erscheinen von Vittorio grigolo auf der<br />
internationalen Opernszene. Dabei hatten<br />
wir schon geglaubt, der italienische Tenor<br />
sei eine ausgestorbene art.<br />
Muss das sein?<br />
Immer wieder dieses gequake um die vermeintlichen<br />
exzesse des Regietheaters. Sollen<br />
die Leute sich doch lieber über schlechte<br />
Dirigenten und langweiliges Rumstehtheater<br />
aufregen.<br />
überbewertet<br />
Der technische Fortschritt. Oder warum<br />
klingen viele LPs aus den Fünfzigern so viel<br />
besser als brandneue Studioproduktionen?<br />
Unterbewertet<br />
Immer wieder: das deutsche Stadttheater.<br />
Merkwürdigkeit des Jahres<br />
Die Juryentscheidungen bei großen Wettbewerben<br />
– zuletzt beim Warschauer Chopin-<br />
Wettbewerb. Warum ist es nur so schwierig,<br />
die Besten zu finden?<br />
Meine heimliche liebe<br />
gustav Leonhardt. Der große Philosoph des<br />
Cembalospiels – und mit über achtzig besser<br />
denn je.<br />
CARsTEN<br />
NiEMANN<br />
Platte des Jahres<br />
Kristian Bezuidenhout: Mozart Sonatas<br />
Vol. 1 – gut für Mozart und fantastisch für<br />
das Image des Hammerklaviers.<br />
Künstler des Jahres<br />
Stellvertretend für all die herrlichen Musiker,<br />
die bei kleinen Labeln ihr Ding machen: Der<br />
Lautenspieler und gitarrist Rosario Conte mit<br />
seinem besonnenen album »une larme«.<br />
überraschung des Jahres<br />
Die Wiederentdeckung der Barockopern<br />
»Die lybische Talestris« von Heinichen in Bad<br />
Lauchstädt und von graupners »Dido« beim<br />
Zeitfenster-Festival in Berlin. auf CD mit<br />
diesen geistreichen Meisterwerken!<br />
Muss das sein?<br />
natasa Mirkovic-De Ro und der Drehleierspieler<br />
Matthias Loibner nehmen Schubert<br />
allzu wörtlich und machen aus der »Winterreise«<br />
einen Zyklus wahrhaft schauerlicher<br />
Lieder.<br />
überbewertet<br />
Die alte Musik. Von mir! aber es passiert<br />
gerade so unheimlich viel ...<br />
Unterbewertet<br />
Die europäische Kammeropernszene, wie<br />
die erste ausgabe des OpenOp-Festivals für<br />
anderes Musiktheater in Berlin sehr eindringlich<br />
zeigte.<br />
Merkwürdigkeit des Jahres<br />
albrecht Mayers Oberlippenbärtchen.<br />
Meine heimliche liebe<br />
Die Oboistin Pauline Oostenrijk, die meine<br />
sorgsam gepflegte Vivaldi-allergie leider kuriert<br />
hat.<br />
JüRGEN<br />
oTTEN<br />
Platte des Jahres<br />
Das artemis Quartett mit Beethovens<br />
Streichquartetten op. 18/1 und op. 127.<br />
Künstler des Jahres<br />
Ingo Metzmacher für seine bewundernswert<br />
klaren Dirigate zeitgenössischer Musikwerke<br />
von nono bis Rihm.<br />
überraschung des Jahres<br />
andreas Homokis leichthändig-meisterliche<br />
»Meistersinger«-Inszenierung an der Komischen<br />
Oper Berlin.<br />
Muss das sein?<br />
Müssen kleine Opernkompagnien wie beispielsweise<br />
die Berliner Kammeroper wegen<br />
schlapper 200.000 euro an nunmehr fehlender<br />
Basisförderung zerstört werden?<br />
nein. Müssen sie nicht. Werden sie aber.<br />
überbewertet<br />
Das kühl-uninspirierte Spiel der geigerin Julia<br />
Fischer, und natürlich die PR-Pianisten<br />
Lang Lang, Helène grimaud und Martin<br />
Stadtfeld.<br />
Unterbewertet<br />
Das deutsche Stadttheater, das nach wie vor<br />
Wesentliches für das Blühen einer Kulturlandschaft<br />
beiträgt.<br />
Merkwürdigkeit des Jahres<br />
Dass die öffentlich-rechtlichen Sender am sel-<br />
ben Tag zur selben Zeit ein Silvester konzert<br />
übertragen, hier Dresden und dort Berlin.<br />
Meine heimliche liebe<br />
Ist und bleibt stets und immerdar die glei-<br />
che: Martha argerich.<br />
MiCHAEl<br />
WERsiN<br />
Platte des Jahres<br />
Wirklich tief beeindruckt hat mich Rinaldo<br />
alessandrinis aufnahme geistlicher Vokalwerke<br />
von alessandro Melani: auch nach<br />
langjähriger erfahrung mit großen Mengen<br />
von Repertoire aus dieser Zeit habe ich in<br />
diesen Stücken ganz neue Varianten des barocken<br />
textlich-musikalischen ausdrucksrepertoires<br />
entdeckt.<br />
Künstler des Jahres<br />
In memoriam: am 3. Dezember verstarb 108jährig<br />
der Tenor Hugues Cuénod, den ich vor<br />
einigen Jahren noch für ROnDO interviewen<br />
konnte. Cuénods Wirken, das erstaunlich<br />
lange währte (er sang, bis er weit über 80<br />
war), umfasste buchstäblich ein ganzes Jahrhundert.<br />
Schon ende der 20er Jahre ging er<br />
mit noël Coward auf amerika-Tournee.<br />
überraschung des Jahres<br />
Mit ihrer neuen CD »Il canto delle dame« hat<br />
María Cristina Kiehr ende 2010 überzeugend<br />
bewiesen, dass sie wieder richtig gut singen<br />
kann – eine große Freude, zumal Sänger erfahrungsgemäß<br />
nur selten solche massiven<br />
Krisen überwinden.<br />
Muss das sein?<br />
Man mache sich nichts vor: Viele Indizien<br />
sprechen dafür, dass das Interesse der Bevölkerung<br />
an klassischer Musik weiter schrumpft.<br />
Wir schreiben tapfer dagegen an, aber ohne<br />
tatkräftige unterstützung z. B. durch das erziehungspersonal<br />
in Schulen und Kindergärten<br />
haben wir nur sehr begrenzte Chancen.<br />
Wann wird in puncto Kulturbewusstsein<br />
endlich umgedacht?<br />
überbewertet<br />
Der Rummel um einige große namen – und<br />
in einigen Fällen war wirklich nichts mehr<br />
außer dem namen noch groß – verstellte<br />
auch letztes Jahr immer wieder den Blick auf<br />
eine Vielzahl von großartigen Künstlern, bei<br />
denen Können, Wollen und auch Wissen<br />
über die tiefere Dimension ihres Tuns sich<br />
tatsächlich im Lot befinden.<br />
Merkwürdigkeit des Jahres<br />
Die Stadt augsburg hat ernsthaft erwogen,<br />
aus Kostengründen ihre Stadtbibliothek zu<br />
schließen. unmengen bedeutender historischer<br />
Dokumente (darunter auch noten-autographe)<br />
hätten die Stadt verlassen müssen.<br />
Meine heimliche liebe<br />
Schuberts späte Klaviersonaten, differenziert,<br />
umsichtig und wahrhaft liebevoll in4<br />
1/2011 <strong>Rondo</strong>plus 3