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Haste Töne - Rondo

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<strong>Haste</strong> <strong>Töne</strong>¿<br />

Raoul Mörchen stellt neuerscheinungen mit<br />

zeitgenössischer Musik vor.<br />

Schon wieder fangen diese Spalten an mit einem,<br />

der eigentlich nicht hierher gehört, weil seine Musik<br />

nicht neu ist. auch diese ist es nicht. und war<br />

es nie. Dmitri schostakowitsch schrieb seine »24<br />

Präludien und Fugen« 1950, zwei Jahre nachdem<br />

er von Stalins Handlangern fast kaltgestellt worden<br />

war. an ästhetische Innovation war da nicht<br />

zu denken. Sie war auch gar nicht nötig angesichts<br />

der aufgabenstellung. Denn natürlich ist dieser Zyklus eine Hommage<br />

ans »Wohltemperierte Klavier«. Bach bot Schostakowitsch Halt in<br />

dieser Zeit. Vor allem in den Fugen konnte er sich an handwerklichen<br />

Problemen abarbeiten, ohne wieder als Formalist abgestraft zu werden.<br />

Bach, der war auch unter Stalin wohlgelitten. aufnahmen von Schostakowitschs<br />

Werk gibt es einige mittlerweile, diese hier aus dem Sommer<br />

1975 verdient besondere aufmerksamkeit: Der australische Pianist Roger<br />

Woodward ist eines der großen Klaviergenies unserer Zeit – ein klar und<br />

frei formulierender Künstler mit einem phänomenalen Sinn für die jeweils<br />

eigenen gesetze, die in jedem Werk walten. Morton Feldman nannte Roger<br />

Woodward schlicht seinen Lieblingspianisten, Schostakowitsch hätte<br />

sich seinem urteil nach dieser aufnahme vielleicht angeschlossenen. eine<br />

tolle Wiederveröffentlichung. (Celestial Harmonies/naxos 143022)<br />

unerhört ist auch die Musik von saed Haddad<br />

nicht: Sie klingt exotisch und doch nicht fremd.<br />

Haddad ist ein grenzgänger: In Jordanien als<br />

Christ geboren, dort wie auch in Israel und england<br />

ausgebildet, seit einigen Jahren in Deutschland<br />

beheimatet, sagt Haddad von sich selbst, er<br />

sei immer ein anderer. Die Musik des 38-Jährigen<br />

ist ein wohlüberlegter Balanceakt zwischen<br />

arabischer Tradition und europäischer Moderne, zumindest war sie es einmal.<br />

Frühe arbeiten zeigen arabisches Timbre in der Melodik mit eingesprengten<br />

fremdartigen Tonhöhen, einen fast improvisatorischen Fluss,<br />

dann wiederum Brechungen, Stauchungen, schmerzhafte Reibungen –<br />

gespielt auf europäischen Instrumenten. east meets West – ein schöner<br />

gedanke. gleichzeitig ein schönes Klischee. Saed Haddad wollte es offenbar<br />

nicht dazu kommen lassen, als politisch korrekter ›Mittler‹ zweier<br />

Welten Karriere zu machen. Durch das kleine Porträt, das der Deutsche<br />

Musikrat von Haddad veröffentlicht, geht ein Riss: Seit 2007 hat Haddad<br />

seine Verbindung zur arabischen Kultur radikal gekappt. Die seitdem<br />

komponierten Werke stehen klanglich fest auf dem Boden der westeuropäischen<br />

avantgarde. Doch ob mit Blick auf den nahen Osten oder nicht<br />

– Haddads Musik hat Hand und Fuß, anfang und ende, ist voller abwechslung<br />

und gleichwohl einsichtig in dem, was sie tut. Wie weit Haddad mit<br />

dieser Musik kommt, ist schwer zu sagen. Man sollte ihr jetzt erst mal zuhören,<br />

das hat sie allemal verdient. (Wergo/note 1 WeR 65782)<br />

Während Saed Haddad also das Projekt einer<br />

musikalischen Ost-West-achse aufgegeben hat,<br />

trägt es seine Kollegin Konstantia Gourzi in<br />

Regionen, die sich dem nähern, was man gemeinhin<br />

Weltmusik nennt. Jazz-Klavier, europäische<br />

avantgarde, Instrumente und Melo-<br />

dien des osma nischen Reiches, byzantinischer<br />

Psalmgesang – gourzi vermischt, was ihr gefällt.<br />

Was sie serviert, ist dann allerdings eher ein Salat als ein Longdrink:<br />

Die Zutaten bleiben unterscheidbar und bewahren viel von ihrer<br />

ursprünglichen Identität. »aus allem eins und aus einem alles« zitiert<br />

die in München lehrende Komponistin, Pianistin und Dirigentin ihren<br />

weisen Landsmann Heraklit und komponiert dementsprechend. Zu -<br />

mindest die vorliegende auswahl von Vokal- und Instrumentalwerken<br />

der letzten Jahre ist tief durchdrungen von einer Sehnsucht nach harmonischer<br />

Reinhaltigkeit und einer Überwindung kultureller Differen-<br />

zen. Dieser ansatz und seine technische ausführung mögen dem einen<br />

oder anderen skeptischen Zeitgenossen vielleicht arg naiv vorkommen.<br />

gourzis mediterranes gruppenbild aber ist zu sonnig und freundlich,<br />

als dass man allzu streng darüber urteilen möchte. (neos/Codaex<br />

neOS 11035)<br />

Zum Schluss dann doch noch was für ganz<br />

Harte. Selten spitzt sich die Musikgeschichte<br />

so zu wie in den frühen 1950er Jahren. getrieben<br />

vom Wunsch nach einer Musik ohne Beigeschmack<br />

und erinnerung, entwirft Pierre Boulez<br />

in Frankreich die Idee einer lückenlos durchorganisierten<br />

Partitur, während sein Brieffreund<br />

John Cage in new york ein sehr ähnliches Ziel<br />

ansteuert, indem er das glatte gegenteil tut. Die unterschiedlichen ansätze<br />

führen zum Bruch der Freundschaft, obwohl die ergebnisse klanglich<br />

sehr nah beieinander liegen. Pi-Hsien Chen, pianistische Wunderwaffe<br />

der neuen Musik seit vier Jahrzehnten, versöhnt beide Seiten wieder. Verstärkt<br />

durch den Kollegen Ian Pace verzahnt sie die zwei Teile der kaltglitzernden<br />

»Structures« von Boulez mit »Music for Piano« von Cage.<br />

Radikal auch das aufnahmeverfahren der Cage-Stücke: Beide Pianisten<br />

spielten Passagen daraus getrennt voneinander ein, der Tonmeister legte<br />

sie anschließend nach eigenen Kriterien übereinander. Traditionalisten<br />

schütteln darüber vermutlich heute den Kopf wie damals. Dabei schreiben<br />

beide, Boulez wie Cage, die geschichte nicht um, sondern fort: Sie<br />

führt von Beethovens Motivvariationen über Brahms’ ›entwickelnde Variationen‹<br />

und Schönbergs Zwölftontechnik zu Verfahren, die alles Variation<br />

werden lassen. Die alte Trennung von Thema und Veränderung ist<br />

endgültig überwunden. Wer Ohren und nerven hat, der höre. (hat hut/<br />

harmonia mundi HaT CD 175)<br />

1/2011 <strong>Rondo</strong>plus 7

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