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Kein Mensch muss mehr Schmerzen haben

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TERMINALE SEDIERUNG<br />

benwirkungen <strong>haben</strong>. Benzodiazepine<br />

können zu paradoxer Agitation führen.<br />

Je nach Tiefe der Sedierung kann es zum<br />

Erlöschen der Schutzreflexe, insbesondere<br />

des Hustenreflexes, kommen. Dem<br />

geschulten Pflegepersonal obliegt eine<br />

besondere Sorgfalt in der Überwachung<br />

und Betreuung dieser Patienten.<br />

Vor allem aber kann eine Sedierung<br />

dem Patienten und seinen Angehörigen<br />

die Chance nehmen, wirklich Abschied zu<br />

nehmen und letzte Dinge zu regeln. Umgekehrt<br />

kann eine von Agitation und massiver<br />

Unruhe gekennzeichnete Sterbephase<br />

eine traumatische Wirkung auf die<br />

Angehörigen <strong>haben</strong> – auch über den Tod<br />

des Patienten hinaus. Das behandelnde<br />

Team steht hier in einer besonderen Verantwortung<br />

nicht nur gegenüber dem Patienten,<br />

sondern auch gegenüber den Zurückbleibenden.<br />

10<br />

Grenzziehung zur<br />

aktiven Sterbehilfe<br />

In der Diskussion entsteht unter Verweis<br />

auf eine mögliche lebensverkürzende<br />

Wirkung der terminalen Sedierung immer<br />

wieder die Frage, ob hier nicht schon<br />

die Grenze zur Euthanasie überschritten<br />

werde (8). Es ist hier zunächst darauf hinzuweisen,<br />

dass alle bislang vorliegenden<br />

Daten keinen Hinweis auf eine tatsächliche<br />

Lebensverkürzung geben und somit<br />

den Schluss erlauben,dass nach heutigem<br />

Wissensstand, die sachgerecht durchgeführte<br />

terminale Sedierung nicht mit einer<br />

Lebensverkürzung verbunden ist (3,<br />

9, 10). In den wenigen Situationen, in denen<br />

ein lebensverkürzender Effekt theoretisch<br />

möglich erscheint, kann das Prinzip<br />

der Doppelwirkung (double effect),<br />

das der Tradition des Thomas von Aquin<br />

entspringt, zur moralischen Rechtfertigung<br />

herangezogen werden (11). Das<br />

Prinzip der Doppelwirkung meint,dass es<br />

legitim und moralisch vertretbar sei,wenn<br />

eine erwünschte Wirkung zum Wohle des<br />

Patienten erzielt werden soll,die Möglichkeit<br />

einer vorhersehbaren, unerwünschten<br />

Folge in Kauf zu nehmen ist.Dies bedeutet<br />

in dieser konkreten Situation, dass<br />

die Linderung von Leiden durch Senkung<br />

der Bewusstseinslage einer potentiellen<br />

Atemdepression und dem damit<br />

einhergehenden früher einsetzenden Tod<br />

des Patienten übergeordnet ist.<br />

Eine Reihe von Autoren (12, 13) vertritt<br />

allerdings den Standpunkt, dass die<br />

terminale Sedierung im Grunde eine versteckte<br />

und eventuell quälende Form der<br />

4/2006<br />

aktiven Sterbehilfe („slow euthanasia“)<br />

ist.Wäre es nicht ehrlicher und angemessener,<br />

beispielsweise einen Patienten mit<br />

therapierefraktärer starker Atemnot eine<br />

einmalige zum Tod führende Dosis von<br />

Morphin und Diazepam zu verabreichen,<br />

statt ihn in den letzten Stunden <strong>mehr</strong><br />

oder weniger tief zu sedieren und zu warten,<br />

bis der natürliche Tod eintritt? Handelt<br />

es sich bei der terminalen Sedierung<br />

also letztlich um eine Praxis der Selbsttäuschung,<br />

mit der gesetzlichen Bestimmungen<br />

und ärztlichen moralischen Vorgaben<br />

Genüge getan wird, statt wirklich<br />

den Bedürfnissen des Patienten gerecht<br />

zu werden? Aus inhaltlichen und moralischen<br />

Gründen wird dieses von den meisten<br />

Vertretern der Palliativmedizin nicht<br />

so gesehen. Es ist im Kontext dieser Fragestellung<br />

von zentraler Bedeutung, die<br />

Unterschiede zwischen terminaler Sedierung<br />

und aktiver Sterbehilfe klar herauszuarbeiten,<br />

wie dies die internationale<br />

Ethik-Arbeitsgruppe der EAPC es kürzlich<br />

getan hat (14).<br />

Der entscheidende Unterschied zwischen<br />

aktiver Sterbehilfe und terminaler<br />

Sedierung liegt in der Intention des Arztes.<br />

Während bei der Euthanasie die Intention<br />

im Töten liegt, besteht sie bei der<br />

terminalen Sedierung in der Linderung<br />

von Leiden (15, 16). „Slow euthanasia“<br />

liegt dagegen vor, wenn eine Sedierung<br />

ohne gravierende Symptome eingeleitet<br />

wird oder die Dosis der Sedativa und/oder<br />

Opioide trotz bereits ausreichender Sedierung<br />

weiter eskaliert wird. Tännsjö<br />

sieht in der terminalen Sedierung daher<br />

viel<strong>mehr</strong> einen Kompromiss in der Euthanasiedebatte,<br />

indem den wenigen Patienten,denen<br />

es trotz bestmöglicher palliativmedizinischer<br />

Betreuung unerträglich ist,<br />

weiterleben zu müssen, eine Möglichkeit<br />

der Hilfe im Sterben angeboten wird – in<br />

Verbindung mit dem Verzicht auf sonstige<br />

lebensverlängernde Maßnahmen im<br />

Sinne einer Sterbebegleitung (15).<br />

Zusammenfassung<br />

Die terminale Sedierung ist eine medizinische<br />

Behandlung. Die Indikation <strong>muss</strong><br />

sorgfältig und medizinisch korrekt gestellt<br />

werden. Sie <strong>muss</strong> sachgerecht, mit<br />

den richtigen Medikamenten in der adäquaten<br />

Dosierung durchgeführt werden.<br />

Der Betreuung des Patienten und<br />

seiner Angehörigen obliegt größte Sorgfalt.Grundlegend<br />

ist immer die Intention<br />

des Arztes. In ihr spiegelt sich letztlich<br />

auch seine moralische Haltung gegenüber<br />

dem Patienten und dessen Leben wieder.<br />

Aus Respekt vor der Würde eines <strong>Mensch</strong>en<br />

und der Wertschätzung des Lebens<br />

ergibt sich die Aufgabe, dem Patienten<br />

bis zu seinem Tod eine bestmögliche Behandlung<br />

zukommen lassen.<br />

Literatur<br />

1. Mellar PD, Ford PA. Palliative Sedation Definition, Practice, Outcomes<br />

and Ethics. J. Palliat. Med. 2005; 8:699-701<br />

2. Morita T, Tsuneto S, Shima Y. Definition of sedation for symptom<br />

relief: a systematic literature review and a proposal of operational<br />

criteria. J Pain Symptom Manage 2002; 24:447-453.<br />

3. Cowan JD, Walsh D. Terminal sedation in palliative medicine–definition<br />

and review of the literature. Support Care Cancer 2001;<br />

9:403-407.<br />

4. Quill TE, Byock IR. Responding to intractable terminal suffering:<br />

the role of terminal sedation and voluntary refusal of food and<br />

fluids. ACP- ASIM End-of-Life Care Consensus Panel. American<br />

College of Physicians-American Society of Internal Medicine. Ann<br />

Intern Med 2000; 132:408-414.<br />

5. Cassell EJ. Diagnosing suffering. Ann Intern Med 1999; 131:531-<br />

534.<br />

6. Lynch M. Palliative sedation. Clin J Oncol Nurs 2003; 7:653-7,<br />

667.<br />

7. Morita T, Akechi T, Sugawara Y, Chihara S, Uchitomi Y. Practices<br />

and attitudes of Japanese oncologists and palliative care physicians<br />

concerning terminal sedation: a nationwide survey. J Clin Oncol<br />

2002; 20:758-764.<br />

8. Jansen LA, Sulmasy DP. Sedation, alimentation, hydration, and<br />

equivocation: careful conversation about care at the end of life.<br />

Ann Intern Med 2002; 136:845-849.<br />

9. Sykes N, Thorns A. The use of opioids and sedatives at the end of<br />

life. Lancet Oncol 2003; 4:312-318.<br />

10. Sykes N, Thorns A. Sedative use in the last week of life and the<br />

implications for end-of-life decision making. Arch Intern Med<br />

2003; 163:341-344.<br />

11. Thorns A. A review of the doctrine of double effect. European<br />

Journal of Palliative Care 1998; 5:117-120.<br />

12. Billings JA, Block SD. Slow euthanasia. J Palliat Care 1996;<br />

12:21-30.<br />

13. Klein M. Sterbehilfe und das Prinzip der Doppelwirkung. Wien<br />

Klin Wochenschr 2002; 114:415-421.<br />

14. Materstvedt LJ, Clark D, Ellershaw J, Forde R, Gravgaard AM,<br />

Muller-Busch HC, et al. Euthanasia and physician-assisted suicide:<br />

a view from an EAPC Ethics Task Force. Palliat Med 2003;<br />

17:97-101.<br />

15. Tännsjoe T. Terminal sedation-a possible compromise in the euthanasia<br />

debate? Bull Med Ethics 2000; 13-22.<br />

16. Weber M, Strohscheer I, Samonigg H, Huber C. Palliative Sedierung<br />

- eine Alternative zur Euthanasie bei unerträglichem Leid<br />

am Ende des Lebens. Med. Klinik 2005; 100: 292-298<br />

17. Cherny NI, Portenoy RK. Sedation in the management of refractory<br />

symptoms: guidelines for evaluation and treatment. J Palliat<br />

Care 1994; 10:31-38.<br />

OA Dr. Imke Strohscheer<br />

Univ.-Klinik für Anästhesiologie and<br />

Intensivmedizin<br />

Medizinsche Universität Graz<br />

Auenbruggerplatz 29, A-8036 Graz<br />

Tel.: +43 (316)385-81858<br />

Fax +43 (316) 385-4664<br />

imke.strohscheer@klinikum-graz.at<br />

www.meduni-graz.at<br />

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