»über jungs«Warum essen Mädchen Salat und Jungen Fleisch?Ernährungsverhalten als Ausdruck von Geschlechtlichkeit, als »doing gender«? Sozialwissenschaftlerbestätigen das.Essen und Geschlecht – ein junges Thema Geschlechtliche Aspekte <strong>zu</strong> berücksichtigen, das so genannte »Gender Mainstreaming« in der Gesundheitsförderung, ist seit längerem ein Thema in sozialen Zusammenhängen. In Schulen und anderen Settings geht es um »Mädchenförderung« einerseits und »Jun-genförderung« andererseits. Die These, dass der persönliche Ernährungsstil etwas nicht nur biologisch vorgegebenes und individuell ausgeformtes ist, sondern auch mit der Ausübung von Geschlecht <strong>zu</strong> tun hat, ist in der Ernährungslehre relativ neu. Bisher hieß es: Männer und Frauen ziehen unterschied-liche Nahrungsmittel vor. Warum sie das tun, war nicht Gegenstand ernährungswissen-schaftlicher Forschung. Geschlecht muss man leben Die sozialwissenschaftliche Genderforschung sagt da<strong>zu</strong>: Geschlecht ist nicht etwas von der Natur vorgegebenes, was einfach »da« ist. Geschlecht muss aktiv gelebt werden, um in gesellschaftlichen Zusammenhängen sicht-bar <strong>zu</strong> sein. Menschen wollen sowohl sich selbst als Mann oder Frau definieren, sie wollen aber auch das Verhalten der Per-sonen um sie herum als eher männlich oder eher weiblich einordnen. Geschlecht ist etwas, was immer wieder auf’s Neue gelebt werden muss. Durch ein bestimmtes Er-nährungsverhalten wird Geschlecht herge-stellt, sich selbst und anderen gezeigt. Ernährungsverhalten ist auch demonstrierte Geschlechtlichkeit. Die Ernährung stellt eine besonders intensive Form der Herstellung von Geschlecht dar, weil das, was man isst, direkt Auswirkung auf den männlichen oder weiblichen Körper hat. Frauen verzichten, Männer genießen Die Soziologin Dr. Monika Setzwein führt hierfür Beispiele an: Zurückhaltung beim Essen wird eher als weibliches Verhalten definiert, große Nahrungsmittelmengen <strong>zu</strong> vertilgen oder schnell <strong>zu</strong> essen, eher als männliches Verhalten. Das kräftige Beißen in eine Schweinshaxe wird als »unweiblich« oder eher männlich aufgefasst. Mit spitzen Lippen an einem Glas <strong>zu</strong> nippen, wird mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht, das sturzartige Trinken aus der Flasche eher als männlich interpretiert. Bereits einzelne Namen von Gerichten weisen auf ein ge-schlechtsbezogenes Image hin: Man spricht vom »Holzfällersteak« einerseits und von »Madeleine« (feinen Törtchen) andererseits. Der Stammtisch als Männlichkeitssymbol Das Kaffeekränzchen ist gleichbedeutend mit einer »Damenrunde«, der Stammtisch in der Eckkneipe eher mit einer Herrenrunde. Das Grillen im Freien ist eine männlichkeits-betonte Darstellung von Geschlecht, wäh-rend Dünsten und Kochen eher weiblich interpretiert wird, erklärt Setzwein. Das heißt, es wird also einzelnen Lebensmitteln, Verhaltensweisen und auch den Zusammen-hängen oder Räumen, in denen sie vorkom-men, ein Geschlecht <strong>zu</strong>gewiesen. Gleichzeitig führt die Ausübung von als weiblich oder männlich interpretiertem Verhalten <strong>zu</strong>r Ver-stärkung des geschlechterbezogenen Images. Maß halten macht Frauen attraktiv In Experimenten wurde festgestellt, dass eine Frau, die im Rahmen einer Mahlzeit wenig isst, als besonders weiblich erlebt wird, sie erscheint sogar attraktiver, besser aussehend und gefühlsbetonter, als wenn sie »ordentlich <strong>zu</strong>langt«. Frauen haben tra-ditionell ein aufgeschlosseneres Verhältnis gegenüber dem Thema Ernährung, während Männlichkeit eher bedeutet, sich über Ernährungsempfehlungen hinweg <strong>zu</strong> setzen, den Genuss in den Mittelpunkt der Er-nährung <strong>zu</strong> stellen. Es wird als männlich empfunden, sich auch beim Essen dominant <strong>zu</strong> zeigen, wenig ängstlich <strong>zu</strong> sein. Gesund-heitsriskante Verhaltensweisen, auch, aber nicht nur beim Essen, passen in das tra-ditionelle Konzept von Männlichkeit. 30
»über jungs«Schon bei Mädchen und Jungen sichtbar Diese geschlechterbezogene Auffassung des Themas Ernährung ist bereits bei Mädchen und Jungen vorhanden. Jungen betonen in Befragungen den Genussaspekt des Essens, Mädchen äußern eher Ängste und den Wunsch nach mehr Kontrolle über das eigene Essverhalten. Von Mädchen wird Essen sogar als bedrohlich empfunden, als etwas, das besonders vorsichtig angegangen werden muss. (...) Geschlechtssensibilisierte Ernährungserziehung wagen Dieses Wissen legt nahe, in Be<strong>zu</strong>g auf das Thema Ernährung geschlechtssensibilisierte Zugänge <strong>zu</strong>r Arbeit mit Mädchen und Jungen <strong>zu</strong> suchen. »Gender Mainstreaming« ver-langt, geschlechtsbezogene Verhaltenswei-sen von Mädchen und Jungen <strong>zu</strong> respek-tieren. Beide Geschlechter bekommen jedoch die Chance, die mit dem jeweils anderen Geschlecht assoziierten Verhaltensweisen kennen <strong>zu</strong> lernen, um ein individuell befriedigendes Verhaltensrepertoire <strong>zu</strong> ent-wickeln. Für die Ernährungserziehung be-deutet das: Mädchen und Jungen sollten Ge-schlechterimages aufbrechen dürfen: Mäd-chen und Jungen sollten sowohl kochen als auch grillen. Mädchen dürfen ein Stück Fleisch mit den Händen verschlingen, Jungen einen Salat <strong>zu</strong>bereiten und verspeisen. Eventuell macht es Sinn, Schülergruppen nach Geschlecht auf<strong>zu</strong>teilen und sie bewusst Verhaltensweisen ausüben <strong>zu</strong> lassen, die typischerweise dem anderen Geschlecht <strong>zu</strong>-gewiesen werden. Mädchen dürfen sich dann einmal richtig »gehen lassen« beim Essen. Jungen dürfen ihre Fragen <strong>zu</strong>m Schlank sein und <strong>zu</strong> Diäten stellen und werden damit ernst genommen. Das Wissen um die starke Geschlechtlichkeit von Essen weist den Weg für Motivationen beider Geschlechter, sich mit dem Thema gesunde Ernährung <strong>zu</strong> befassen. www.talkingfood.de/lehrer_special/gesunde_schule/Titel-Warum_essen_M%C3%A4dchen_Salat_und_Jungen_Fleisch%3F,6,28,18.html31