Deutsch Wege zum Glück - Standardsicherung NRW
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<strong>Deutsch</strong> Textheft: <strong>Wege</strong> <strong>zum</strong> <strong>Glück</strong> Lernstandserhebungen <strong>NRW</strong> 2004<br />
mir, wenn ich 18 bin, eine Reise schenken. Dann<br />
will ich nach Irland. Ich hab sogar bei Gewinnspielen<br />
mitgemacht, bei denen man Irland-Reisen<br />
gewinnen kann. Dass ich dorthin will, hängt<br />
schon mit meinem Vater zusammen. Gäbe es eine<br />
Liste, was ich mir am meisten wünsche, dann<br />
stünde ganz vorne: Vater finden. Dafür würde<br />
ich aber nichts opfern. Ich hänge an meinen El-<br />
Freudenreich, Laura: <strong>Glück</strong> in Irland. In: Jetzt (Süddeutsche Zeitung) v. 13.05.2002<br />
Fremd<br />
Ingrid Gündisch (16 Jahre)<br />
Meine Familie ist intakt, in der Schule bin ich relativ<br />
gut, meine Freunde sind erträglich, ich habe<br />
kaum Feinde, es geht mir gut. Ich könnte nicht<br />
behaupten, dass ich mich liebe. Ich bin mir selbst<br />
fremd geworden, habe mich verändert. Alle sagen<br />
das, ich selbst hätte es kaum gemerkt.<br />
Angefangen hat alles damit, dass ich ein letztes<br />
Mal versuchen wollte, meinen Sprachfehler zu<br />
korrigieren. Zugegeben, nach acht Jahren Be-<br />
handlung bei mehreren Logopädinnen glaubte<br />
ich nicht mehr an Erfolg. Der Gang in die Praxis<br />
wurde für mich immer mehr zur Routine, und die<br />
Frau, die dort regelmäßig auf mich wartete,<br />
konnte ich nicht gerade gut leiden. Sie hatte eine<br />
Art, mich zu behandeln, als hätte ich nicht nur<br />
einen s-Fehler, sondern auch eine geistige Behinderung.<br />
Diese neue und letzte Logopädin forderte<br />
mich öfters auf, während ich meine Übungen<br />
machte, auch etwas zu malen. Sie legte mir<br />
ein Blatt Papier und ein paar Buntstifte auf den<br />
Tisch und sah mich erwartungsvoll an. „Fühl<br />
dich ganz frei“, sagte sie aufmunternd, als sie<br />
mein Zögern bemerkte. Das bewirkte bei mir aber<br />
genau das Gegenteil. „Ich male nie auf Be-<br />
fehl“, sagte ich zu ihr in einem so aggressiven<br />
Ton, dass sie mir gleich versicherte, dass es nur<br />
ein Vorschlag ohne Bedeutung gewesen sei. Ich<br />
müsse natürlich nicht zeichnen. Daraufhin setzte<br />
ich lustlos meine Zungenübungen fort.<br />
In der nächsten Stunde bat mich meine Logopädin,<br />
ihr doch von meinem Tagesprogramm etwas zu erzählen<br />
und dabei auf das S zu achten. Ich berichtete<br />
lange. Zum Schluss fragte sie mich, ob ich nicht zu<br />
viel unternehme. Ich sagte „Nein“ und verabschiedete<br />
mich.<br />
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tern, an meinen Freunden und der Schule. Ich<br />
wäre nie dafür, das herzugeben. Und wenn ich<br />
ihn finden würde und er auch nichts von mir wis-<br />
sen wollte? Wäre ich traurig. Wenn er keinen<br />
Kontakt will, soll er auch einen Grund nennen.<br />
Denn nur gesagt zu bekommen: 'Das ist dein Leben,<br />
das ist mein Leben' – das macht schon sehr<br />
nachdenklich.“<br />
Allmählich kam ich mir bei dieser Frau wie in<br />
einer Beschäftigungstherapie vor. Ich verließ die<br />
Praxis immer mit äußerst schlechter Laune.<br />
Aber eines Tages geschah das Wunder: Irgendwie<br />
hatte meine Zunge sich anders im Mund gedreht,<br />
und ich konnte das S richtig aussprechen.<br />
Ich war glücklich.<br />
Nach einigen Wochen bat mich die Logopädin,<br />
mein neues S in den täglichen Sprachgebrauch<br />
einzubauen, und damit begann mein Problem:<br />
Um richtig zu artikulieren, musste ich langsamer<br />
sprechen, und ich bekam immer mehr das Gefühl<br />
zu stottern. Ich musste dauernd an das neue S<br />
denken. Meine ganze Unbefangenheit im Um-<br />
gang mit der gesprochenen Sprache ging mir ver-<br />
loren. Es war plötzlich notwendig geworden,<br />
vorher zu überlegen, was ich sagen wollte, um<br />
mich dann, während des Sprechens, ganz auf den<br />
neuen Laut konzentrieren zu können. Und das<br />
fiel mir sehr schwer. Ich kam mir unbeholfen<br />
vor, ich hatte das Gefühl, von allen ungeduldig<br />
angestarrt zu werden, ich bekam Angst vor dem<br />
Sprechen. Wenn ich den Mund aufmachte, begann<br />
ich zu schwitzen, ich fühlte, wie mir das<br />
Blut in den Kopf stieg. Ich begann, mir das Sprechen<br />
abzugewöhnen.<br />
Meine Schwester, die den ungewohnten Laut<br />
bemerkte, sagte mir gleich, ich würde neuerdings<br />
den Mund verziehen, und meine Freundin mein-<br />
te, ich solle sofort „damit“ aufhören, es klänge<br />
schrecklich. Es passe nicht zu mir, ich solle doch<br />
nicht versuchen, mich auf diese Weise zu verändern.<br />
Nur meine Logopädin versicherte mir, der<br />
s-Laut sei vollkommen richtig.