Smetana und PhysikVon außen wirkt die Tagesstätte wie e<strong>in</strong> unsche<strong>in</strong>barer Klotz mit roten Türkl<strong>in</strong>ken, dr<strong>in</strong>nenliegt L<strong>in</strong>oleumfußbo<strong>den</strong>. Ute Kahrs pendelt an diesem Tag zwischen Computer, Telefon undSpielsälen. Kahrs leitet die Geschäfte hier, hat ständig Ideen für neue Projekte. Kürzlichdrehte sich alles um die Moldau. Morgens spielten die K<strong>in</strong>der zu klassischer Musik vonFriedrich Smetana, am Nachmittag experimentierten sie auf Wasserstraßen, die sich durchWaschräume zogen, e<strong>in</strong> Vater führte physikalische Experimente durch.Dass sich die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Kita am Kleistpark so viel mit Musik beschäftigen, hat nicht etwamit bürgerlichen Bildungsidealen zu tun. Sondern auch mit Sprachproblemen vieler Elternund K<strong>in</strong>der hier, die häufig e<strong>in</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergrund haben. Noch vor drei Jahren bangtedie Leiter<strong>in</strong> um die Zukunft der Kita. "Wir hatten das Problem, dass nur türkische Familienihre K<strong>in</strong>der anmeldeten", sagt Ute Kahrs offen. Deutsche Eltern und K<strong>in</strong>der blieben fern. "Mirwar klar, dass Integration nur funktioniert, wenn wir hier deutsche und ausländische K<strong>in</strong>der<strong>in</strong> Gruppen haben", sagt sie.Es gab dann dieses Schlüsselerlebnis vor drei Jahren. Damals besuchte e<strong>in</strong>e resolute Opernsänger<strong>in</strong>die Kita. Die Frau aus Moskau sah sich skeptisch um <strong>in</strong> <strong>den</strong> Räumen und sagtedann: "Ke<strong>in</strong> Klavier? So etwas gibt es <strong>in</strong> Russland nicht." Das wollte Kahrs nicht auf sich sitzenlassen. Sie besorgte e<strong>in</strong> Klavier, und wenig später saß die Opernsänger<strong>in</strong> davor und gab e<strong>in</strong>Klassikkonzert <strong>in</strong> der Kita. An diesem Abend beobachtete Kahrs die K<strong>in</strong>der, wie sie mitoffenen Mündern der Musik lauschten. Das hatte sie noch nicht erlebt: Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der, still undkonzentriert. Kahrs fragte <strong>in</strong> der benachbarten Leo-Kestenberg-Musikschule nach e<strong>in</strong>erPädagog<strong>in</strong> für musikalische Früherziehung. So kam Elena Marx zur Kita am Kleistpark.Konzentrierte Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>derInzwischen ist Marx fast täglich da, der Musikunterricht ist über Zuschüsse für alle bezahlbar.Wenn Kahrs heute durch die Kita läuft, trommelt und kl<strong>in</strong>gelt es <strong>in</strong> allen Spielzimmern. DieK<strong>in</strong>der rasseln, hauen auf Bongos. Vor Kahrs' Büro sitzt e<strong>in</strong> Mozart aus Pappmaché am Klavier.Als es <strong>in</strong> der Leo-Kestenberg-Musikschule Umbauarbeiten am Haus gab, hat die Kita-Leiter<strong>in</strong>die Bauarbeiter angewiesen, das Tor e<strong>in</strong>zureißen und e<strong>in</strong>en Zugang zu pflastern. Seitdem istdie Kooperation mit der Musikschule noch enger gewor<strong>den</strong>.
An diesem Vormittag krabbeln Zwei- und Dreijährige auf dem Teppich. L<strong>in</strong>a, Anjali, Sidanoder Adrian heißen die K<strong>in</strong>der, die Eltern stammen aus Berl<strong>in</strong>, Bangladesh, der Türkei oderaus der Mongolei. Es gibt Unterschiede <strong>in</strong> der sprachlichen Entwicklung, aber Elena Marxs<strong>in</strong>gt viel lieber mit <strong>den</strong> K<strong>in</strong>dern als dass sie redet. Sie verteilt Klanghölzer, dann drückt sie<strong>den</strong> Knopf des Kassettendecks. Als die Musik ertönt, blicken die Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der auf ihre Hände.Marx klopft, dazu s<strong>in</strong>gt sie. Die K<strong>in</strong>der gucken und klopfen mit. E<strong>in</strong>trächtig, konzentriert.Für e<strong>in</strong>ige der K<strong>in</strong>der geht es am Nachmittag wieder <strong>in</strong>s Tonstudio. Das liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emSchöneberger H<strong>in</strong>terhof, nur e<strong>in</strong> paar Häuser von der Kita entfernt. L<strong>in</strong>a wurde im K<strong>in</strong>derwagenhergeschoben, sie zählt mit zwei Jahren zu <strong>den</strong> Jüngsten. Nervös kaut sie an e<strong>in</strong>em Keks,sie soll an diesem Tag das erste Mal <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Mikrofon s<strong>in</strong>gen. Tröndle sitzt am Mischpult, hatdas Mikrofon runtergeschraubt. L<strong>in</strong>a rutscht vom Sofa, läuft <strong>in</strong> <strong>den</strong> Aufnahmeraum, krabbelt<strong>den</strong> Stuhl hoch. Ihre weißen Flusen am H<strong>in</strong>terkopf haben sich aufgerichtet. Die Mutter setztihr <strong>den</strong> Kopfhörer auf. "Mach die Tür zu und geh raus", sagt L<strong>in</strong>a plötzlich. Dann blickt sie aufdas Mikrofon. Sie will s<strong>in</strong>gen. Sofort.