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Journal - Jänner 2007 - Zentralverein der Wiener Lehrerschaft

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1 - <strong>2007</strong>Rauhensteingasse 5, 1010 Wien, Tel.: 813 08 11,www.zv-wien.at, E-Mail: zv@spoe.at o<strong>der</strong> perspektive.zv@gmx.at<strong>Journal</strong> /:gegründet 1896Perspektive<strong>Journal</strong> /: des <strong>Zentralverein</strong>s <strong>der</strong> <strong>Wiener</strong> LehrerInneneine Beilage <strong>der</strong> Perspektive1930: Arbeiterbücherei Margareten<strong>Journal</strong> /:1


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Sehr geehrte Leserinnen undLeser!Zeit bringt Verän<strong>der</strong>ungen mit sich. Dievöllige Neukonzeption <strong>der</strong> Zeitung des<strong>Zentralverein</strong>s zur „Perspektive“ hat vielKraft gekostet und zeitliche Energiegebunden. Daher ist schon viel zu langekein <strong>Journal</strong> mehr erschienen. EineNeukonzeption war auch fällig geworden.Aktualität und Bil<strong>der</strong>welt <strong>der</strong> Perspektivesollte sich deutlich von dem <strong>Journal</strong>unterscheiden.Das <strong>Journal</strong> ist für Leserinnen und Leser.Fast schon anachronistisch in einer Welt,die auf Zeitökonomie achtend die Werte <strong>der</strong>Muße vergisst. Lassen Sie sich einladen,auf kurze Zeit ihren Alltag liegen zulassen und in diesem Magazin zu blätternund zu lesen.Rupert CorazzaSeite 3Der Bildungstrichter / WingertSeite 6Homo o<strong>der</strong> Hetero / GrubichSeite 11Leseerziehung - Werteerziehung/ LangmeierSeite 19Die österreichischenKin<strong>der</strong>freunde und das Buch /Turicimpressum<strong>Journal</strong> /: -eine Beilagezur PerspektiveSeite 26Die Lesestadt / Hiess, Isak/ EIGENTÜMER<strong>Zentralverein</strong> <strong>der</strong> <strong>Wiener</strong> LehrerInnen/ REDAKTIONRupert Corazza, Robert Ehrgang, Alexan<strong>der</strong>Homberg, Bernhard Schimek, BernhardThiel/ GRAFISCHES DESIGNRupert Corazza, Bernhard Schimek/ REDAKTIONSANSCHRIFT1., Rauhensteingasse 5/ DRUCKHolzhausen, 14., Holzhausenplatz 1/ INTERNETwww.zv-wien.at/ KONTAKTperspektive.zv@gmx.at/ TELEFON+43/1/813 08 11-0/ FAX+43/1/813 08 11-152 <strong>Journal</strong> /:Seite 32ZukunftsinvestitionLeseför<strong>der</strong>ung / WehlendSeite 36Erziehung zu Demokratie mitPrintmedien / Forstner-EbhartSeite 40Erziehung ohne Gewähr / ThielSeite 44Die babylonische Gefangenschaft/ WingertFotos: tw. Otratowitz


BILDUNGSTRICHTER/Was ist an Österreichs Schulen an<strong>der</strong>s alsin Finnland?Der großeösterreichischeBildungstrichter1.Das österreichische Bildungssystem selektiert zu früh und zustark, daher entscheidet zumeist <strong>der</strong> Bildungsgrad <strong>der</strong> Elternüber die Chancen ihrer Kin<strong>der</strong>.2.Die Schule son<strong>der</strong>t zu stark aus und unterstützt die Schüler zuwenig, obwohl die Schulzufriedenheit in Österreich groß ist.von Ortwin Wingert1. Aus <strong>der</strong> SCHEZ-Studie 2004 ist ersichtlich:Die Bildungsinformationen werden von denEltern gut angenommen (82 %). Das große Bildungsangebotwird nur sehr eingeschränkt angenommen:- Eltern mit Pflichtschulabschluss strebenfür ihre Kin<strong>der</strong> zumindest eine abgeschlosseneLehre an (54 %).- Eltern mit abgeschlossener Lehre strebenfür ihre Kin<strong>der</strong> eine Matura an (33 %).- Eltern mit AHS- o<strong>der</strong> BHS-Matura strebenfür ihre Kin<strong>der</strong> zumindest den gleichenBildungsstatus an (48 %).- Eltern mit Uni-Abschluss streben für ihreKin<strong>der</strong> jedenfalls den gleichen Bildungsstatusan (60 %).2. Obwohl die Eltern über Bildungswege Bescheidwissen, sind ihre Erwartungen stark reduziert.Sie trauen sich nur den nächst höherenSprung zu. Eltern mit Pflichtschulabschluss strebenfür ihre Kin<strong>der</strong> die nächste Stufe an, ebensojene mit abgeschlossener Lehre usw. Eltern mitUni-Abschluss streben für ihre Kin<strong>der</strong> auch denUni-Abschluss an. Es entscheidet <strong>der</strong> Bildungsgrad<strong>der</strong> Eltern über die Chancen <strong>der</strong> österreichischenKin<strong>der</strong>! Und das Schulsystem untermauertdas dramatisch, wie die kürzlich erhobenenDaten zur „sozialen Situation beim Bildungszu-Foto: Otratowitz<strong>Journal</strong> /:3


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Der Bildungstrichter für Kin<strong>der</strong> aus niedrigemBildungsmilieu ist sehr eng, dieWahrscheinlichkeit, eine Matura zu erlangen,ist mindestens um die Hälfte verringertim Vergleich zu Kin<strong>der</strong>n aus hohersozialer Herkunft. Kin<strong>der</strong> von weniger begütertenEltern haben dazu noch eine weitereviel höhere Barriere zu überwinden,<strong>der</strong> Hochschulzugang ist schier unüberwindlich.Die Chance, einen universitärenAbschluss zu erreichen, ist unwahrscheinlich.Der Bildungstrichter für Kin<strong>der</strong> aus hohemBildungsmilieu ist weit offen, dieWahrscheinlichkeit, eine Matura zu erlangen,ist hoch: dementsprechend ist die Chanceeine tertiäre Bildung abzuschließen,äußerst günstig. O<strong>der</strong> schärfer formuliert:Bei gleicher Schulleistung hat ein Kind„bildungsferner Eltern“ eine ungleich geringereChance, einen Universitätsabschlusszu erreichen.100 Kin<strong>der</strong> aus niedrigemBildungsmilieu100 Kin<strong>der</strong> aus hohemBildungsmilieu84 Kin<strong>der</strong> Matura72 Kin<strong>der</strong> Hochschulzugang33 Kin<strong>der</strong> Matura8 Kin<strong>der</strong> Hochschulzuganggang“ (Schlögl-Lachmayr, öibf Wien 2004) zeigen:Die Daten zur Darstellung <strong>der</strong> Bildungsbarrieren(Bildungstrichter) hat Dr. Wingert schon imJahr 1996 auf Grund des damals vorliegendenMikrozensus veröffentlich. Sie haben sich im letztenJahrzehnt nicht verbessert, im Gegenteil: Dieerste Schwelle (Übergang von <strong>der</strong> Volksschule ineine höhere Schule) hat sich nicht verbessert, diezweite Schwelle (am Ende <strong>der</strong> 9jährigen Schulpflichtsteht die Wahl zwischen dem Besuch einerhöheren Schule, einer berufsbildenden mittlerenSchule, einer Lehrausbildung o<strong>der</strong> dem sofortigenEintritt ins Berufsleben als Hilfsarbeitero<strong>der</strong> angelerntem Arbeiter) hat sich verschlechtertund die dritte Schwelle (Hochschulzugang)hat sich dramatisch verschlechtert (siehe Schlögl– Lachmayr, öibf Wien 2004: Zur sozialen Situationbeim Bildungszugang).3. Die Ergebnisse sind erschütternd und bestätigenauch die SCHEZ-Studien 1999 und 2004aus oberösterreichischer Sicht. Die fürchterlichenKonsequenzen <strong>der</strong> „sich-selbsterfüllenden Prophezeiung“sind augenscheinlich. Eine großeSchulreform an Haupt und Glie<strong>der</strong>n ist angesagt:Frühför<strong>der</strong>ung ab dem 6. Lebensjahr, Kleingruppen,gemeinsame Schule über das 10. Lebensjahrhinaus, optimale För<strong>der</strong>ung in Schuleund Elternhaus und Elternschulen zum Lernenlernen o<strong>der</strong> zur Lösung von Schulproblemen sowieFamilienberatung einschließlich von Erziehungshilfen.4 <strong>Journal</strong> /:


BILDUNGSTRICHTER/Die Ergebnisse sind ernüchternd: Die größte Differenzzu Finnland besteht in <strong>der</strong> Unterstützungbeim Lernen. Auch bei individueller Hilfe gibt eserkennbare Unterschiede. Da ist Lehrerbildungund –fortbildung notwendig!5. Zusammenfassung:Die Ergebnisse bilden einige <strong>der</strong> bekanntenSchwächen des österreichischen Schulsystems ab:· Dem österreichischen Schulsystem gehenzu viele Schüler auf dem Weg zur höherenBildung abhanden. Nur je<strong>der</strong> dritte Schülerbeginnt ein Studium (im OECD-Schnitt je<strong>der</strong>zweite!). Das ist ein Effekt eines extremauf Aussortieren aufgebauten österreichischenSchulsystems. Dieses System nötigt schon mitkindlichen 10 Jahren zur wichtigsten Bildungsentscheidung.Kenner des Systems befürchten,dass diese Barriere schon im Laufe <strong>der</strong>frühen Volksschuljahre verfestigt wird. Wereinmal auf dem falschen Gleis landet, wirdnicht mehr umgeleitet. Möglichst viel Bildungfür möglichst viele Menschen, das kostet Geld.Der Staat würde aber auf lange Sicht von dieserInvestition profitieren.· In Österreich sinken die Bildungsausgabenvon Jahr zu Jahr.· In den Schulen gibt es zu geringe individuelleFör<strong>der</strong>ung. Besteht ein För<strong>der</strong>bedarf, sobedarf es <strong>der</strong> (teuren) Nachhilfe o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Unterstützungdurch Eltern, Geschwister usw.· Es wird wahrscheinlich nach wie vor zuviel Wert auf die Stoffvermittlung gelegt. DasMeta-Lernen („das Lernen lernen“) kommtzu kurz.· Es gibt starke Unterschiede bei den Leistungenzwischen den Schulen.· Die Tatsache, dass die Schüler/-innen relativzufrieden sind, obwohl sie beim Lernennur wenig unterstützt werden, lässt sich vermutlichdurch eine starke Orientierung <strong>der</strong>Lehrkräfte an den Interessen / Bedürfnissen<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bzw. <strong>der</strong> Jugendlichen interpretieren,die auf Kosten <strong>der</strong> primären Aufgaben<strong>der</strong> schulischen Bildung geht.Als Maßnahmen wären denkbar (nach J. Bacher,empirische Sozialforschung, Johannes KeplerUniversität Linz, Kin<strong>der</strong>freunde-News 1/2006,hier noch ergänzt):· Individuelle För<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Schule: Geeignethierfür sind beispielsweise kleinere Klassen,Nachmittagsangebote, Mindeststandardsund heterogene Klassen.· Einführung von Mindesstandards: Dadurchwäre gewährleistet, dass in allen Schulenvergleichbare Inhalte vermittelt werden.Unterschreitet ein Schüler / eine Schülerin denMindesstandard, setzt eine individuelle För<strong>der</strong>ungein. Zudem rückt das Lernen wie<strong>der</strong>in den Mittelpunkt.· Heterogene Klassen: Heterogene Klassenermöglichen ein gegenseitiges Lernen. Dadurchbleibt <strong>der</strong> Lehrkraft mehr Zeit zur individuellenFör<strong>der</strong>ung. Ein Gesamtschulsystemist eine Möglichkeit, heterogeneKlassen zu erreichen.· Kleinere Klassen: Auch hier gibt es mehrZeit für den einzelnen Schüler / die einzelneSchülerin· Nachmittagsangebote: Dies ist eine weitereMöglichkeit, damit für jeden Schüler / jedeSchülerin mehr Zeit zur individuellen För<strong>der</strong>ungbleibt.· Gemeinsame Schule bis 14/18: Gesamtschulenmit starker Individualisierung, För<strong>der</strong>angebote;Aufbau von Stärken usw.· Reform <strong>der</strong> Leistungsbeurteilung durchLeistungsnachweise von erreichten Standardsbzw. Portfolios· Universitäre Lehrerausbildung für alleSchultypen, Nachqualifikation <strong>der</strong> im Dienstbefindlichen Pflichtschullehrer (optional)· Verpflichtende Elternbildung: Informationenüber Bildungswege <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, fundiertesWissen über die wichtigsten Erziehungsfragen,Erziehungshilfen und Familienberatung(Konflikte in <strong>der</strong> Familie und Schulprobleme).Abschließend sei angemerkt, dass Chancengleichheitund individuelle För<strong>der</strong>ung untrennbar miteinan<strong>der</strong>verbunden sein sollten. IndividuelleFör<strong>der</strong>ung impliziert Chancengleichheit. Sie setztaber voraus, dass je<strong>der</strong> dieselben Chancen aufeine optimale Entwicklung und För<strong>der</strong>ung hat,unabhängig vom sozialen Status <strong>der</strong> Eltern. DieseFor<strong>der</strong>ungen sind aus humanitären Gründen,aber vor allem auch aus volkswirtschaftlichenÜberlegungen notwendig, betont <strong>der</strong> SCHEZ-Vors. HR Dr. Ortwin Wingert. Ob die gegenwärtigeRegierung das will, ist nicht zu erwarten.Dass weitreichende Reformen im Bildungswesenvon einer künftigen Regierung zu erwarten sind,hoffen viele. Dazu sind ausreichende Ressourcennotwendig, wenn Bildung Vorrang haben muss.<strong>Journal</strong> /:5


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Was ist an Österreichs Schulen an<strong>der</strong>s alsin Finnland?Homo o<strong>der</strong> Hetero ?Eine Frage des (pädagogischen) Umgangs mitDiversitätFoto: Otratowitzvon Rainer GrubichIn <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Pädagogik (bis in die Gegenwarthinein) existiert das Bestreben Lernendein möglichst homogene Lerngruppen einzuteilen.Dies geschah und geschieht meist mit <strong>der</strong>pädagogischen Absicht gleiche Lernvoraussetzungenfür die entsprechende Gruppe zu gewährleistenund so auf die „spezifischen“ Bedürfnissezugeschnittene gleiche Lernprogrammeanwenden zu können. Dazu war es notwendigein Instrumentarium zu entwickeln, dasseine Unterteilung <strong>der</strong> Lernenden in homogeneGruppen ermöglicht. Ziel <strong>der</strong> Bestrebungen warund ist es unterschiedliche homogene Gruppendurch Anlegen von diversen Kriterien 1 verschiedenenLernorten zuzuteilen und die vermeintlichentsprechenden Bildungsangebotedarzubieten. (Äußere Differenzierung)A. Die Mär <strong>der</strong> „homogenenLerngruppen“A.1 Mechanismen zur Schaffung„homogener Lerngruppen“Diese Mechanismen haben somit einen hochselektiven Charakter mit dem Ziel <strong>der</strong> Segregation.(=„Trennung von Personen[gruppen] mitgleichen Merkmalen von Personen[gruppen]mit an<strong>der</strong>en Merkmalen, um Kontaktemiteinan<strong>der</strong> zu vermeiden“ - lt. Fremdwörterduden)Dies wie<strong>der</strong>um führt zur Etikettierung <strong>der</strong> Personen,die einer MINDER-WERT-igeren Gruppeangehören. Kin<strong>der</strong>/Lernende werden aufGrund punktueller, normativer (und damit vonPersonen festgelegter) Leistungskriterien, dieoft nicht eindeutig und vom „Zeitgeist“ determiniertsind, auf die so erbrachte (o<strong>der</strong> meisteben nicht erbrachte) Leistung reduziert. So wares z.B. noch bis in die jüngere Vergangenheithinein ein diagnostisches Merkmal für Schulreife,ob ein Kind seine Hand über den Kopfzum gegenüberliegendem Ohr bringen konnte.6 <strong>Journal</strong> /:


HOMO ODER HETEROA.2 Arten <strong>der</strong> Selektion/Segregation im österreichischenSchulsystemDas österreichische Schulsystem zeichnet sichdurch eine Vielzahl von Selektionsmechanismenaus:- durch Noten- durch Rückstellung in die Vorschulklasse- durch Klassenwie<strong>der</strong>holung- an <strong>der</strong> Nahtstelle VS – Sekundarstufe I (HS/AHS)- durch Leistungsgruppen in <strong>der</strong> HS- an <strong>der</strong> Nahtstelle Sekundarstufe I - SekundarstufeII (PTS/AHS/BMS/BHS)- durch Son<strong>der</strong>schulen (für Körperbehin<strong>der</strong>te,Sinnesbehin<strong>der</strong>te, „Geistigbehin<strong>der</strong>te“,Lernbehin<strong>der</strong>te, „Sozio-emotionalbehin<strong>der</strong>te“)- durch die Zuerkennung des Son<strong>der</strong>pädagogischenFör<strong>der</strong>bedarfs (SPF) und durch Zuweisungvon „Son<strong>der</strong>-Lehrplänen“A.3 Problematik von Selektions-/SegregationsmechanismenBei genauerer Betrachtung <strong>der</strong> diversen Instrumentarienzur Selektion bzw. Segregation eröffnensich deutliche Problemfel<strong>der</strong>:- Oft sind es auch ganz an<strong>der</strong>e Kriterien als dieLernleistungen, die bei <strong>der</strong> Selektion von großerBedeutung sind, z. B.: sozialer Status <strong>der</strong>Familie, Schulangebot in Wohnortnähe. 2- Das Kriterium „Schulleistung“ selbst ist auchkritisch zu betrachten. Bei <strong>der</strong> Betrachtung<strong>der</strong> Normalverteilungen <strong>der</strong> Leistungen vonSchülerInnen <strong>der</strong> HS und jener <strong>der</strong> AHS-Unterstufen-SchülerInnenlässt sich folgen<strong>der</strong>Schluss ziehen: Viele SchülerInnen <strong>der</strong> HSkönnten mit ihrem allgemeinen Leistungsprofilsehr wohl eine AHS-Unterstufe besuchen,wie die Schnittmenge <strong>der</strong> beiden Normalverteilungskurvenzeigt. 3Auch die Normalverteilungskurven <strong>der</strong> aktuellenPISA-Studie bestätigen dieses Fazit. 4- Das Kriterium <strong>der</strong> „Schulreife“ bedarf ebenfallseiner kritischen Hinterfragung. Dabei mussvon 2 Grundthesen ausgegangen werden:<strong>Journal</strong> /:7


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>- Lernen ist ein lebenslangerProzess, <strong>der</strong> zur Steigerung<strong>der</strong> Lebenskompetenzendurch Steigerung <strong>der</strong> Komplexitätund durch Erweiterung<strong>der</strong> Möglichkeitsräumedes Denkens führt. (Entwicklungsneurologie)- In <strong>der</strong> Schule lernt frau/mann/kind.Damit führt sich die Frage:„Ist ein Kind nicht reif fürdie Schule?“ ad absurdum.Die Frage müsste vielmehrlauten: „Ist die Schule reiffür das Kind?“ (nach Dr.Georg Feuser) 5Am Beispiel „Schulreife“ lässt sich auch ein weiteresPhänomen <strong>der</strong> Selektion/Segregation aufzeigen,nämlich die strukturbedingte Ausson<strong>der</strong>ung.So war die Zahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die als „nichtschulreif“ deklariert wurden, im Verhältnis zuden schulreifen <strong>der</strong> gleichen Altersstufe signifikanthöher, als die Vorschulklasse einzige Möglichkeitzur Beschulung schulpflichtiger, abernicht schulreifer SchülerInnen war. Seit <strong>der</strong> Einführung<strong>der</strong> flexiblen Schuleingangsphase ist <strong>der</strong>Prozentsatz deutlich zurückgegangen. Der Grundhierfür ist wohl kaum im plötzlichen Wandel <strong>der</strong>gesamtdemografischen Persönlichkeitsentwicklungs-Dynamikzu suchen als vielmehr in <strong>der</strong>strukturbedingten Notwendigkeit einer Mindest-SchülerInnenzahl für die Eröffnung von Vorschulklassen.So wurde früher Kin<strong>der</strong>n bei den Einschreibungenim Februar/ März – also meist nochvor ihrem sechsten Geburtstag – für September„Schulunreife“ präjudiziert. 6A.4 „Es gibt keine homogenenLerngruppen.“Die Frage <strong>der</strong> Bildung von „homogenen“ o<strong>der</strong>„heterogenen“ Lerngruppen – die im Titel diesesBeitrages anskizziert wird – stellte schon fürDr. Walter Weidinger, eh. Abteilungsleiter <strong>der</strong>Abt. APS des SSR für Wien, „das Kernproblemaller schulorganisatorischen Maßnahmen“ dar. 7Wenn von <strong>der</strong> paritätischen Möglichkeit <strong>der</strong>Bildung von „homogenen“ o<strong>der</strong> „heterogenen“Lerngruppen ausgegangen wird, so gilt es diebeiden Begriffe genauer zu analysieren. In einer„heterogenen“ Lerngruppe spielen, lernen,arbeiten Lernende mit individuell verschiedenenInteressen, Kenntnissen und Fähigkeiten auf Basisihrer unterschiedlichen Biografien bezüglichihrer Enkulturation, ihrer psychischen und ihrerphysischen Entwicklung.Was sind nun die Merkmale „homogener Lerngruppen“?Das Attribut „homogen“ suggeriertdie Möglichkeit <strong>der</strong> Bildung einer Gruppe vonLernenden mit gleichen Interessen, Kenntnissenund Fähigkeiten. Wenn <strong>der</strong> Gedanke konsequentweitergedacht wird, so müsste sich dieHomogenität auch auf die Biografie <strong>der</strong> Lernendenbezüglich ihrer Enkulturation, ihrer psychischenund ihrer physischen Entwicklung beziehen,da konsequenterweise niemand behauptenkann, dass Menschen mit unterschiedlichenBiografien gleiche Interessen, Kenntnisse undFähigkeiten generieren. Und bei Homogenitätin Bezug auf „Leistungskapazität“ und Biografiereduziert sich die Lerngruppe auf das Individuum– und löst sich damit selbst auf.Was sind denn nun tatsächlich die Merkmalesogenannter „homogener“ Lerngruppen? 8- Beginnen wir bei <strong>der</strong> einfachsten Selektion, <strong>der</strong>nach dem Alter. Schon hier zeigt sich, dassselbst Jahrgangsklassen nicht homogen sind.Denn in einer Jahrgangsklasse spannt sichdie Altersbandbreite von vorzeitig aufgenommenenKin<strong>der</strong>n (sechster Geburtstag biszum Dezember) bis zu den ältesten des Jahrganges(sechster Geburtstag bis zum Septemberdes Vorjahres zurück). Damit ist es – ohneBerücksichtigung <strong>der</strong> RepetentInnen – möglich,dass u.a. in einer ersten Klasse Volks-8 <strong>Journal</strong> /:


HOMO ODER HETEROschule <strong>der</strong> Altersunterschied bis zu eineinhalbJahre beträgt. 9- Auch durch Gruppenbildung gelingt es nicht,SchülerInnen mit global ausgangshomogenenEigenschaften zusammenzufassen.- Homogenisierung, die durch nur ein Auswahlkriterium(z.B. Rechtschreibvermögen) determiniertwird, kann komplexen Ansprüchenvon Lerninhalten (z.B. kommunikative Kompetenzen,Textgestaltung, Kenntnisse in <strong>der</strong>Sprachbetrachtung,...) nicht gerecht werden.- Die Orientierung am punktuell festgehaltenenLernpotential berücksichtigt nicht die individuellunterschiedlichen Faktoren wie Lerntempo,Abstraktionsfähigkeit o<strong>der</strong> Problemlösungsfähigkeit.- Bei <strong>der</strong> Bildung sogenannter „homogener“Lerngruppen wird die Biografie <strong>der</strong> SchülerInnen– die Faktoren <strong>der</strong> individuellen Sozialisation– nicht berücksichtigt. Dadurchwerden vorhandene Potentiale bei Kin<strong>der</strong>naus schwächeren Sozialschichten negiert.- In „homogenen“ Lerngruppen, in denen dieKin<strong>der</strong> zusammengefasst werden, denenwenig(er) Bildungspotential zuerkannt wird,erfahren diese keine Anregung durch leistungsstärkereSchülerInnen. Die „Attraktoren“– die Anreizpunkte – gehen verloren.- Das Phänomen <strong>der</strong> „Selffulfilling Prophecy“führt in diesen Lerngruppen dazu, dass die(geringeren) Erwartungen sich in <strong>der</strong> Realitätwi<strong>der</strong>spiegeln.- Die Homogenisierung ist primär an kognitivenParametern interessiert. Somit kommt esmeist zur Auslassung <strong>der</strong> sozialen Dimension(Kommunikationskompetenz, Beziehungsfähigkeit,Toleranz gegenüberan<strong>der</strong>en[m].generierte. Aus dieser Zeit stammen viele Schulversuche,die bis heute noch in die österreichischeSchullandschaft hinein wirken.Hier seien nun einige Bestrebungen gegen Selektionerwähnt:- alternative Beurteilungsformen (verbale Beurteilung,Pensenbuch, KDL [Kommentierte DirekteLeistungsvorlage], Lernfortschrittsdokumentation)- Schulversuch IGS (Integrierte Gesamtschule):Dieser erste Versuch <strong>der</strong> gemeinsamen Beschulung<strong>der</strong> 10 – 14 jährigen SchülerInnen,<strong>der</strong> zur Umsetzung einer gemeinsamen SekundarstufeI führen sollte, konnte, da <strong>der</strong>Diskurs primär über parteipolitische Intentionengeführt wurde, nicht ins Regelschulwesenüberführt werden. Es kam zur regionalenEinrichtung von „SchulverbündenMittelschule“, in denen die Kooperationzwischen allgemeinbildenden höheren Schulenund Hauptschulen eine tragende Säuledarstellte. Im Jahr 2002 wurde die Durchführungdes Schulversuches KMS (KooperativeMittelstufe – heute Kooperative Mittelschule)einstimmig im Kollegium des Stadtschulratesfür Wien beschlossen. 10- Die Integration Behin<strong>der</strong>ter stellt sicher einenMeilenstein im Bestreben gegen Selektiondar. Eine zuerst hauptsächlich von den Elternund Angehörigen von betroffenen Kin<strong>der</strong>ngetragene Bewegung hat mittlerweileschon die rechtliche Verankerung in <strong>der</strong> Bundesverfassungerwirkt. 11- Weiters sind noch die Modelle des selektionsfreienSchuleingangs, sowie die Errichtungvon bewusst so genannten heterogenen Lerngruppen(Mehrstufenklassen, modifizierteGrundschule) zu erwähnen.B. Ansätze zur Gegensteuerungim österreichischen SchulsystemSchon seit geraumer Zeit gab es immer wie<strong>der</strong>reformorientierte Bestrebungen <strong>der</strong> Selektionsfunktiondes österreichischen Schulsystems entgegenzuwirken.Historisch seien hier die reformpädagogischenAnsätze von Otto Glöckelerwähnt, die näher auszuführen den Rahmendieses Beitrages sprengen würden.In den 1970ern gab es eine neuerliche reformpädagogischeBewegung, die sich aus <strong>der</strong> gesamtgesellschaftlichenDynamik <strong>der</strong> 1968er-ZeitC. Vision „Schule für alle“C.1 Die Salamanca Erklärung: 12An <strong>der</strong> UNESCO-Weltkonferenz „Pädagogikfür beson<strong>der</strong>e Bedürfnisse: Zugang und Qualität“nahmen 1994 über 300 VertreterInnen von92 Regierungen und 25 internationalen Organisationenteil, darunter auch VertreterInnenaus Österreich..) Textauszüge:<strong>Journal</strong> /:9


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>- „Wir glauben und erklären, dass Regelschulenmit dieser integrativen Orientierung das besteMittel sind, um diskriminierende Haltungenzu bekämpfen.“- „darüber hinaus gewährleisten integrativeSchulen eine effektive Bildung für den Großteilaller Kin<strong>der</strong>“- „Wir for<strong>der</strong>n alle Regierungen auf und legenihnen nahe: auf Gesetzes- bzw. politischerEbene das Prinzip integrativer Pädagogik anzuerkennenund alle Kin<strong>der</strong> in Regelschulenaufzunehmen“- „den Ansatz integrativer Schulen zu befürworten“C.2 Conclusio:Bei <strong>der</strong> Berücksichtigung des bisher Erläutertenwäre folgende Konsequenz einzufor<strong>der</strong>n:Um dem Anspruch <strong>der</strong> Berücksichtigung <strong>der</strong>Vielfalt und Heterogenität einer Lerngruppegerecht zu werden bedarf es nicht <strong>der</strong> Mechanismen<strong>der</strong> Selektion, son<strong>der</strong>n Maßnahmen <strong>der</strong>inklusiven Betreuung <strong>der</strong> Lernenden in <strong>der</strong>Gruppe durch z. B. innere Differenzierung. DieBerücksichtigung des Menschen als „Zoon politikon“– als soziales Wesen – verlangt das (individuelle)Arbeiten an einem gemeinsamenCurriculum. In zwei Kernaussagen formuliert:- EINE gemeinsame Schule für ALLE Kin<strong>der</strong>und Jugendliche einer Region/ eines „Grätzls“- Eine inklusive Pädagogik, in <strong>der</strong>:ALLE KINDER UND SCHÜLER/INNENin KOOPERATION miteinan<strong>der</strong>AUF IHREM jeweiligen ENTWICKLUNGSNI-VEAUnach Maßgabe ihrer momentanenWahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzenin Orientierung auf die „nächste Zone ihrerEntwicklung“an und mit einem „GEMEINSAMEN GEGEN-STAND“spielen, lernen und arbeiten. 1nützliche Websites im Internet:<strong>Wiener</strong> Bildungsserver: www.lehrerweb.atINTEGER – Curriculum für integrative LehrerInnenfortbildung:integer.pa-linz.ac.atBIDOK: Netzwerk für Inklusion (Digitale Volltextbibliothekdes Institutes für Erziehungswissenschaft<strong>der</strong> UNI Innsbruck): bidok.uibk.ac.atFeuser, Georg: Behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> und Jugendliche.-Zwischen Integration und Ausson<strong>der</strong>ung. Darmstadt:Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995(S.168)1 Merkmal dieser Kriterien ist durch alle Epochen hindurch<strong>der</strong> Anspruch eine objektive Aussagekraft über das(Leistungs-)vermögen des Einzelnen zu besitzen. Vielmehrist diesen Kriterien immer <strong>der</strong> Charakter eines Wertemaßstabeszuzuschreiben, in dem implizit Wertvorstellungen(von Institutionen, von Politik, von <strong>der</strong> Gesellschaft,...)vorhanden sind.2 siehe Thonhauser, Josef: Determinanten für die Schullaufbahnentscheidungen.In: Olechowski und Percy: Früheschulische Auslese: Reihe Schule – Wissenschaft – Politikdes Ludwig Boltzmann-Instituts für Schulentwicklungund international vergleichende Schulforschung.Verlag Peter Lang, Wien 19933 siehe: Wieso „Haupt“ – Schule?: Zur Situation <strong>der</strong> SekundarstufeI in Ballungszentren; Hrsg.: Dr. Walter Weidinger;öbv&hpt – Verlag. Wien 2000 (S.26/27)4 siehe: PISA 2003 - Nationaler Bericht; Hrsg.: GünterHai<strong>der</strong>, Claudia Reiter (S. 100)5 Univ.-Prof.Dr.Georg Feuser; Lehrgebiet: Behin<strong>der</strong>tenpädagogik;UNI Bremen; www.feuser.uni-bremen.de6 Was ein halbes Jahr Zeit für die Entwicklung eines Kindesin diesem Alter bedeuten kann, braucht wohl nichtweiter ausgeführt werden.7 aus: Wieso „Haupt“ – Schule ?: Zur Situation <strong>der</strong> SekundarstufeI in Ballungszentren; Hrsg.: Dr. Walter Weidinger;öbv&hpt – Verlag. Wien 2000 (S.29)8 aus: Wieso „Haupt“ – Schule ?: Zur Situation <strong>der</strong> SekundarstufeI in Ballungszentren; Hrsg.: Dr. Walter Weidinger;öbv&hpt – Verlag. Wien 2000 (S.29/30)9 Hier sei wie<strong>der</strong> auf den Zusammenhang zwischen Zeitund Entwicklung hingewiesen.10 Modellbeschreibung unter: www.schulen.wien.at/schulen/999999/KMS/navigation.htm11 „Niemand darf wegen seiner Behin<strong>der</strong>ung benachteiligtwerden. Die Republik (Bund, Län<strong>der</strong> und Gemeinden)bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behin<strong>der</strong>tenund nichtbehin<strong>der</strong>ten Menschen in allen Bereichendes täglichen Lebens zu gewährleisten.“ - BGBl. I Nr. 87/1997 zit.n. BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT,GESUNDHEIT UND SOZIALES 1999, S.7212 „Pädagogik für beson<strong>der</strong>e Bedürfnisse“: Die SalamancaErklärung und <strong>der</strong> Aktionsrahmen zur Pädagogik für beson<strong>der</strong>eBedürfnisse; UNESCO 1994; Herausgeber: Österr.UNESCO Kommission, Mentergasse 11, 1070 Wien10 <strong>Journal</strong> /:


LESEERZIEHUNG - WERTEERZIEHUNGWer lesen lernt, <strong>der</strong> lernt auch, sich auf die Regeln einerkomplexen logischen und rhetorischen Tradition einzulassen, dieeinen dazu nötigt, die einzelnen Sätze behutsam und gründlichabzuwägen und Bedeutungen ständig zu modifizieren, wenn sich imweiteren Fortgang neue Gesichtspunkte ergeben. (Neil Postman)Leseerziehung -WerteerziehungO<strong>der</strong>:Kein „schneller Einkauf von Kenntnissen“von Roswitha LangmeierMag. Roswitha Langmeier isttätig an <strong>der</strong> PädagogischenAkademie Klagenfurt in denBereichen Deutschdidaktik undPraxisforschung.Problem <strong>der</strong> BuchauswahlFoto: OtratowitzBefrägt man Kin<strong>der</strong> zu gelesen Texten, bekommtman meist Antworten wie, „…dass dieselustig, traurig, spannend … sind“. SolcheAussagen täuschen leicht darüber hinweg, dassLesen sehr viel tiefere Wirkungen haben kann(vgl. Ossowski 1997, S. 20).Zum Problem <strong>der</strong> Buchauswahl gilt zu sagen,dass es gleichermaßen für Eltern wie auch fürLehrer aus verschiedenen Gründen nicht leichtist, zu treffenden Einschätzungen und Bewertungen<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>literatur zu finden (vgl. Sahr/Born 1996, S. 11 ff.). Unterschiedliche Gründesind dafür verantwortlich. Das stellvertretendeAuswählen, <strong>der</strong> Adressat ist ein Kind, <strong>der</strong> Auswählendeist erwachsen, birgt die erste Problematikin sich. Weiteres sollte es kein bloßes inhaltlichesVerbleiben und Orientieren am Textinhaltsein, es sollte eine Stellungnahme mitgegebenwerden. Diese kann nur immer subjektiv,mit <strong>der</strong> persönlichen Kenntnis und Erfahrungsweltverknüpft sein. Wer ein Urteil übereinen Text abgibt, tut dies stets mit seiner ganzenPerson, mit seiner Biographie. DritterGrund wäre im Fehlen eines allgemeingültigenAnalyserasters für Kin<strong>der</strong>buchbeurteilungen.Es gibt viele Vorschläge dazu, die sichletztendlich voneinan<strong>der</strong> unterscheiden. Krüssmeint dazu:„Für ästhetische Gebilde, wie es Kin<strong>der</strong>büchersind, gibt es keinen verlässlichen Maßstab, denman je<strong>der</strong>mann in die Hand drücken kann mitdem Wort: Nimm und miss!“<strong>Journal</strong> /:11


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>(Krüss 1992, S. 132).Dies kann eigentlich nur als Vorteil empfundenwerden, da es vor voreiligen Beurteilungen bewahrt,bzw. ein ständiges Hinterfragen des eigenen„Expertentums“ verlangt (vgl. Sahr 2003, S.6).Woran orientiert man sich nun letztendlich in<strong>der</strong> Auswahl von Kin<strong>der</strong>büchern? O<strong>der</strong>: Waskönnen Lehrende und Lernende von literarischenTexten for<strong>der</strong>n?Was kann Literatur leisten?Gudrun Schulz (1996) hat Literatur als Mediumdes Nachdenkens über Jugendprobleme imUnterricht beschrieben. Literarische Texte alsMedium <strong>der</strong> Reflexion und <strong>der</strong> Kommunikationüber Sach- und Wertfragen, über Fremd- undSelbstverstehen, über Außen- und Innenwelten(vgl. Schulz in Abraham/Launer 2002, S. 2). Lesenheißt kognitionswissenschaftlich, auf vierEbenen ständig Entscheidungen zu treffen. Diesewären· wahrnehmen· assoziieren· bewerten· interessegeleitet agieren (vgl. Pöppel inMaar 2000, S.21 ff.).Im Leseprozess bleiben diese Entscheidungenunterhalb <strong>der</strong> Bewusstseinsschwelle. NachChristmann/Groeben gleicht man unbewusstneue Informationen mit seinem Vorwissen ab(vgl. Christmann/Groeben 1999, S. 160). Grundsätzlichför<strong>der</strong>t Lesen damit eigentätiges Konstruierenvon „Welt“ und damit das, was man„vernetztes Denken“ nennt (Abraham/Launer2002, S. 18). Literatur zu lesen ist also einerseitsliterarisches Lernen durch den Erwerb von„Weltwissen“, dies wäre das Alltags-, Erfahrungs-,Bildungs- und Fachwissen. An<strong>der</strong>erseitstragen literarische Texte oftmals gerade dadurchzum Sachlernen bei, dass sie Weltwissen voraussetzen,wenn sie es in Lebenszusammenhängenvergegenwärtigen. Moralische Urteilsfähigkeitwird gleichsam dadurch gestärkt, indemUrteile o<strong>der</strong> Maßstäbe nicht vorgegeben, son<strong>der</strong>nin Frage gestellt werden. Hier findet sichein philosophisch-ethisches Problem. Literaturverarbeitet nicht nur Fach-, Sachwissen, etc. son<strong>der</strong>nentwirft vor allem immer wie<strong>der</strong> Perspektivenauf das System <strong>der</strong> Werte und Normen,die in einer Kultur o<strong>der</strong> in Teilen davon Gültigkeitbeanspruchen. Zu allen Zeiten habenSchriftsteller Wissensbestände <strong>der</strong> Gegenwartaufgenommen, reflektiert, vernetzt und mit anthropologischenGrundfragen des Menschseinverbunden.Welchen Bildungsbegriff kannLiteratur erfüllen?Hartmut von Hentig versteht Bildung nicht alsAnsammlung von Kulturgut o<strong>der</strong> abprüfbaremWissen, son<strong>der</strong>n als „Selbst-Bildung“, <strong>der</strong>enMaßstäbe· Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit,· die Wahrnehmung von Glück,· die Fähigkeit und <strong>der</strong> Wille sich zu verständigen,· ein Bewusstsein von <strong>der</strong> Geschichtlichkeit<strong>der</strong> eigenen Existenz,· Wachheit für letzte Fragen und· die Bereitschaft für (Selbst)- Verantwortungim Gemeinwesen sind und deutlich aufdie Bildungsrelevanz <strong>der</strong> Literatur verweist,da sie diesbezüglich folglich ein unerschöpflichesPotential an Gesprächs- und Reflexionsanlässenbietet (vgl. Hentig1996, S. 69 ff.).Erziehung zur Literatur undErziehung durch LiteraturEltern wie auch Lehrer sind neben <strong>der</strong> Erziehungzur Literatur natürlich auch an Erziehungdurch Literatur interessiert, wenn sie eine Buchauswahltreffen.Diese grundsätzliche Erziehung zum Buch warseit jeher auch für die Kin<strong>der</strong>freunde, Österreichsgrößter Familienorganisation, wichtig.Seit ihrem Bestehen weist sie auf die Bedeutung<strong>der</strong> Leseerziehung im Sinne – Erziehung zurLiteratur und Erziehung durch Literatur – hin.Konkret umgesetzt wurde dies in Form einerWeihnachtsbuchaktion, welche es nunmehr seit1947 gibt. Die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mitgliedfamilien bekommenalljährlich zu Weihnachten ein Buch.Diese Bücher sind auch nach Kriterien ausgewählt,die sich im Grundsatzprogramm <strong>der</strong>Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde befinden. Dortheißt es in den Erziehungszielen: „ …. AllenMenschen die volle Entfaltung zu ermöglichen …“(vgl. Grundsatzprogramm <strong>der</strong> Österreichischen12 <strong>Journal</strong> /:


LESEERZIEHUNG - WERTEERZIEHUNGKin<strong>der</strong>freunde in 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde 1982,S. 390).Dies formulierte bereits Max Adler (1873 – 1937),<strong>der</strong> große sozialistische Denker, Philosoph desAustromarxismus, bedeuten<strong>der</strong> <strong>Wiener</strong> Soziologeund Kin<strong>der</strong>freund <strong>der</strong> 20er Jahre, indem erfor<strong>der</strong>te: „Jede Erziehung muss darauf aus gehen,den Zögling mit dem Geist <strong>der</strong> freiesten Selbständigkeitim Denken und Fühlen zu erfüllen, sodassjedes Kind nicht nur ein physisch neuer Menschson<strong>der</strong>n auch ein seelisch neuer Mensch wird ( … )nur so kommt die Welt weiter.“ (Adler 1924, S.23).In den Leitvorstellungen für eine sozialistischeErziehung werden daher im St. Pöltner Programmfolgende Erziehungsziele formuliert:Ziel <strong>der</strong> Erziehung ist <strong>der</strong>· stets lernende,· zur Leistung bereite,· den Schwachen helfende,· sich selbst bestimmende,· den an<strong>der</strong>en gleiches Recht zuerkennende,· auf demokratischer Basis zusammenarbeitende,· verantwortungsbewusste,· Herrschaft über Menschen nicht duldende,· für den Frieden eintretende Mensch (vgl.Grundsatzprogramm <strong>der</strong> ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunde in 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde1982, S. 390).Weihnachtsbuchaktion <strong>der</strong>Kin<strong>der</strong>freundeVier Buchbeispiele aus <strong>der</strong> Weihnachtsbuchaktion<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freunde möchte ich vorstellen.Zwei Bücher stammen aus dem Jahr 1948, zweiBuchbeispiele sind <strong>der</strong> aktuellen Buchaktion2004 entnommen. Bei den Buchvorstellungenwird <strong>der</strong> Versuch einer kurz angedachten Werteanalyseunternommen.Die ersten beiden Bücher sind aus <strong>der</strong> Weihnachtsbuchaktion2004.Das erste Buch heißt „Die Busfahrerin“, geschriebenwurde es von einem jungen Franzosennamens Vincent Cuvellier.Die Busfahrerin von VincentCuvellierZum Inhalt:Tagtäglich fährt Benjamin mit dem Bus zurSchule in die Stadt. Am Steuer sitzt eine Frau.Diese findet Benjamin eklig, stinkend, großnasigund nicht nett. Auch die an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> spottenüber sie, man munkelt sogar, sie wäre keineechte Frau, son<strong>der</strong>n ein Mann.Eines Morgens schläft Benjamin unterwegs einund wird erst am Ende <strong>der</strong> Busfahrt von Yvette,<strong>der</strong> Busfahrerin, geweckt. Benjamins Elternkönnen ihn nicht abholen, so muss <strong>der</strong> Bub denTag über bei Yvette verbleiben. Er ist zunächstdarüber gar nicht erfreut und Yvette schon garnicht. Trotzdem wird es ein beson<strong>der</strong>er Tag. Diebeiden fahren zuerst ans Meer, dann zu einemalten Mann, dem sie ein Mittagessen kochen,danach müssen sie unbedingt noch einmal ansMeer, weil Benjamindort niemit seinen Elternist. Sie fahrenmit einem Bootaufs Meer hinausund holenReusen ein. Bevorsie zurück indie Stadt fahren,kehren sie nochin einer Bar ein.Sie trinken dortKaffee und Pfef-ferminzsirup-Whisky auf Eisund spielen Flipper.Bis zumAbend, als Yvette Benjamin wie<strong>der</strong> zurück nachHause bringt, ist eine wun<strong>der</strong>bare Freundschaftentstanden. Benjamin hat vor allem viel Neuesgelernt: Wie man Erbsen auslöst, wie man richtigru<strong>der</strong>t, wie man Fische fängt, wie man alteMenschen pflegt und auch, dass Menschen oftganz an<strong>der</strong>s sind als sie aussehen.Das Äußere eines Menschen täuscht, hat oftnichts mit dem zu tun, wie er ist. Dies erlebtauch Benjamin. Ursprünglich ist auch er, <strong>der</strong>skeptische Junge, vom Aussehen <strong>der</strong> Busfahrerinvoreingenommen.„Sie stinkt, sie ist eklig, und sie hat eine großeNase. Ich sehe sie jeden Tag, und jeden habe ichLust, ihr zu sagen: „Du stinkst, du bist eklig,und du hast eine große Nase.“Doch jeden Tag sage ich: „Guten Tag, Madame“, und zeige ihr den Fahrausweis mit meinemFoto. Sie ist mein Fahrer, nein, meine Fahrerin.<strong>Journal</strong> /:13


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Ich weiß nicht, wie man sie richtig nennt. Ebeneine, die Busse fährt. Und ihretwegen kommeich pünktlich in die Schule. Diese Verräterin.O<strong>der</strong> vielleicht dieser Verräter. Das weiß mannämlich nicht so genau. Man munkelt. EigenartigeDinge munkelt man. Zum Beispiel, dass siekeine Frau ist. O<strong>der</strong> jedenfalls keine echte Frau,son<strong>der</strong>n ein Mann. „Das ist wie mit den Schnecken,sie ist operiert worden“, sagt Christoph.Aber <strong>der</strong> ist eine Null, <strong>der</strong> redet ja immer Blödsinn.Ich kenne mich da nicht so aus. Es stimmt schon,dass sie einen Bart hat, aber das bedeutet nichts.... Manchmal sind im Bus Große, die nennen sieMonsieur. Nur so, um zu sehen, was geschieht,und dann lachen sie. Wenn sie sich umdreht,sagen sie: „Hast du gesehen, es ist ein Mann.“Dreht sie sich nicht um, sagen sie trotzdem:„Hast du gesehen, es ist ein Mann.“ Ich sagelieber nichts, aber ich kichere.“ (S 5 ff.).Nachdem Benjamin die Frau kennen gelernt hat,respektiert er sie, verspürt Sympathie, Toleranzgegenüber dieser An<strong>der</strong>sartigkeit. Auch sie wareinmal klein, war einmal verliebt, war hübschund hat große Gefühle.„...Eine große Träne kullert über ihre Wange, nocheine und dann noch eine ... „Eins ...zwei ... drei ...“Sie wischt sich mit <strong>der</strong> Hand über das Gesicht, ziehtleise auf. „Was machst du da?“ „Vier. Ich zähle“,antworte ich. „Man sagt ... fünf .... dass jede siebteTräne größer als alle an<strong>der</strong>en ist ... sechs.“ Ich weißnicht, was mich beißt, doch bei „sieben“ setze ich michneben sie und nehme sie ganz fest in die Arme. Sobleiben wir lange, sehr lange, ja sehr, sehr lange. Undich höre mein Herz klopfen und die Wellen gegen dieWände unseres Bootes schlagen.“ ( S. 70ff.).Werte und Haltungen wie soziale Kompetenzund solidarisches Handeln werden in diesemBuch sehr deutlich angesprochen. SolidarischesHandeln zeigt sich vor allem im Umgang mitschwachen und durch an<strong>der</strong>e Gründe ausgegrenztePersonen, soziale Kompetenz machtsich in <strong>der</strong> Fähigkeit zu Zusammenarbeit undzum Verstehen des An<strong>der</strong>en deutlich (vgl. Leitlinien<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freunde, 2002). „Ich drehe michum. Sie spricht mit nicht mit mir, son<strong>der</strong>n mit demalten Herrn. Der rührt sich nicht, aber man sieht,dass seine Augen zuhören. ...„He, Benjamin, kommmir helfen.“ Wir gehen zum Lehnstuhl, sie nimmtdie Decke ab. „Mach schon, nimm ihn an den Armen,bei drei ziehst du. Eins, zwei, drei!“ Ich fasseden Alten vorsichtig an, weil ich mir denke, dass erin tausend Stücke brechen wird. Wir heben ihn auf,sie nimmt schnell einen Stuhl, den sie unter seinenHintern schiebt. Der alte Mann ist sehr leicht, erfällt in sich zusammen. Wir holen den Tisch näherund Yvette hängt ihm wie einem Baby die Servietteum den Hals. Lächelnd sieht er mich an. .... (S. 48ff.).... „Wie hast du ihn kennen gelernt?“ „Leon? Achdas ist eine lange Geschichte. Er hat im Bauernhausmeiner Eltern gearbeitet. Er hat mich schongekannt, da war ich noch ein kleines Mädchen.“Es ist komisch zu denken, dass diese dicke Fraueinmal ein kleines Mädchen war. „Als es aus warmit dem Bauernhaus und meine Eltern starben,stand er da, ohne irgendwas ...“ „Deine Eltern sindgestorben?“ „Ach ja.“ „Vor langer Zeit?“ Sie fährtfort: „Und seither kümmere ich mich um ihn, ichkoch ihm, putze von Zeit zu Zeit sein Haus... Sonstmüsste er in ein Altersheim. Und das will er nicht.“(S. 53ff.).Schon nach wenigen Stunden teilt Benjamin interessiertdie Welt von Yvette, respektiert undmag diese, ob es nun das Kochen für einen altenund pflegbedürftigen Mann ist, o<strong>der</strong> ob esdas Sitzen am Strand ist. „ ....Also sitzen wir zuzweit und sehen uns die Möwen und die Wolken an.Wir lauschen und sagen nichts, tun nichts, schließendie Augen. Und von Zeit zu Zeit leckt eine Wellean unseren bloßen Zehen. ....“ (S. 65). Beson<strong>der</strong>sgelungen sind die das Buch durchgehend begleitendengrafischen Zeichnungen von HayatCandice, welche die Sprache in ihrer manchmalverblüffenden Direktheit <strong>der</strong> situativen Aussagenochmals verstärken und somit fast karikativenCharakter haben.Das nächste Buch ist von einer österreichischenAutorin namens Sigrid Laube. Die studierte Juristinlebt zur Zeit in Wien und in Warschau.Über Kin<strong>der</strong> sagt sie: „ ...Kin<strong>der</strong> haben einenbeson<strong>der</strong>s weiten Horizont und eine ebensolche Fantasie,sie stellen hohe Ansprüche und beweisen alsLeser eine beeindruckende Toleranz, Ehrlichkeit undviel Interesse.“ (http:// www.jungbrunnen.co.at/authoredetail.py?id=53 ,03.01.2005).Die Insel im Baum von SigridLaubeZum Inhalt:Lea hat keinen Vater mehr. Er ist tot. Ihre Mutterarbeitet in einem Frisiersalon. Sie kommtimmer spät heim. Während des Tages ist Leabei <strong>der</strong> Nachbarin Martha. Meist dann, wennes am allerschönsten ist, holt Mama Lea aus <strong>der</strong>Wiese und aus ihrer Gedankenwelt. Sie mussSchulaufgaben machen. So beschließt Lea, dass14 <strong>Journal</strong> /:


LESEERZIEHUNG - WERTEERZIEHUNGsie eine Insel braucht, auf <strong>der</strong> sie in Ruhe gelassenwird. Eine Insel zum Träumen. Mit ihremFreund Lukas, Marthas Sohn, baut sie sich eineFloßinsel. Ein Sturm reißt das Floß jedoch losund die Insel treibt ab. Der brummige Bahnhofsvorstand,Herr Florentin, muss Lea nun helfen.Er besitzt viele Bücher und liest immerzu. DasMädchen muss sich ganz schön anstrengen, umHerrn Florentinzu überzeugen,ihr eine Insel zubauen. Letztendlichstellt er sichals genialer Inselbauerheraus.Es wird eine Inselim Baum.Zutritt habenKin<strong>der</strong>, Träumerund Menschen,die für beide etwasübrig haben.Dieses Buch, einrealistischesKin<strong>der</strong>buch, zeigt deutlich die Möglichkeit <strong>der</strong>Selbstbestimmung des Tuns: „...... „Ich bau mireine Insel“ , beschließt Lea.Vielleicht kann Lukas ihr dabei helfen. …„Gehenwir Inseln suchen?“ , fragt Lea nach einerWeile. “Ist das ein neues Spiel?“ , erkundigt sichLukas.„Nein, es ist etwas Ernsthaftes, ganz Wichtiges“ ,antwortet Lea. „Warum?“ „Ich brauche eine Insel.“„Aha.“ Lukas runzelt die Augenbrauen. „Je<strong>der</strong>braucht einmal eine Insel. Und ich brauche sie jetzt.“„Warum?“ Er malt mit dem Finger Wellenlinien inden Sand. „Dort kann ich sein.“ „Mit wem?“ Erfügt einen Fisch hinzu. „Mit mir.“ Lea legt den Fingeran die Nase. „Und mit meinem Schatten. Wirlassen die Gedanken flattern.“ „Wozu brauchst dudas?“ Lea sieht zum Himmel auf, <strong>der</strong> ist blau mitkleinen Wolken. „Das macht Sommerfrische imKopf.“ „Aber ... dann bist du einsam, ist das nichtlangweilig?“ , fragt Lukas. Der Fisch spuckt nochoben und ist ein Wal. „Quatsch. Zweisam bin ich,hab ja mich. Und wer uns besuchen will, <strong>der</strong> mussschwimmen o<strong>der</strong> ru<strong>der</strong>n.“ „Das geht nicht, <strong>der</strong> Flussist viel zu seicht.“ „Was nicht ist, kann noch werden,dann wird er tief und reißend und abenteuerlich.“Lukas schüttelt sich, er schwimmt nicht gern.„Darf ich dich bei dir besuchen, auf <strong>der</strong> Insel? Ichbringe auch bestimmt was mit.“ „Eine Palme?“ Leaist aufgestanden. „Eine was?“ Lukas versteht nicht.„Jede Insel hat eine Palme, du Dummkopf. Undnun hilf mir, eine zu finden.“ (S.10 ff.).Neben <strong>der</strong> grundsätzlich immerwährendenMöglichkeit <strong>der</strong> Selbstbestimmung des Menschenwird in diesem Buch sehr klar <strong>der</strong> emanzipatorischeWert angesprochen. Lea, als Mädchen,schafft es, alle Menschen um sich in ihrVorhaben aktiv einzubinden. Dass sie als Kinddabei von <strong>der</strong> Erwachsenenwelt als gleichberechtigtePartnerin behandelt und ernst genommenwird, ist sehr wesentlich. Gedanken, Wünscheund Träume werden als umsetzbar, daherfür möglich erklärt. Auffallend ist die oftmalsphilosophisch anmutende Sprache, wie aus demkurzen Absatz <strong>der</strong> Leseprobe erkennbar ist:„…lasse meine Gedanken flattern ….macht Sommerfrischeim Kopf ……allein zu zweit mit mir ……“Aber auch das Poetisch-Humoristische kommtnicht zu kurz: Lea probiert einen Stein im Flussals Insel aus und meint ächzend: „ Nein, das istwirklich keine Insel. Die ist zu klein, man muss einensehr spitzen Po machen, um nicht hinunterzufallen...... Nein, wo man nicht sitzen kann, kannman nicht leben. ....“ ( S. 15 ff.).Maria Blazejovsky hat das Buch phantasievollillustriert und unterstreicht sanft den Inhalt.Die nächsten beiden Bücher aus <strong>der</strong> Weihnachtsbuchaktion<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freunde stammenaus dem Jahre 1948. Beide Bücher schrieb <strong>der</strong>in Österreich geborene Kin<strong>der</strong>buchautor FriedrichFeld (eigentlich Friedrich Rosenfeld). Erwurde am 5. 12. 1902 in Wien geboren und starbam 27. 12. 1987 in Bexhill (Großbritannien). 1934emigrierte er nach Prag, später lebte er in England,bis zu seinem Tode. Sein Engagement fürsoziale Gerechtigkeit kommt auch in seinen Kin<strong>der</strong>büchernzum Ausdruck.Es war einmal ein Esel vonFriedrich Feld (1948)Zum Inhalt:Der Eseltreiber Mustapha besitzt einen Esel namensJack. Jack ist ein beson<strong>der</strong>er Esel, einst rittdes Sultans Sohn auf ihm. Darauf ist Jack sehrstolz und will daher nicht mehr schwer arbeiten.Zweimal verliert er absichtlich die Säcke,die er zu tragen hätte, und sein Besitzer mussfür das verlorene und beschädigte Gut zahlen.Mustapha verwendet dafür das Geld, welches<strong>Journal</strong> /:15


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>an und für sichfür die Hochzeitseiner SchwesterDiomira vorgesehenwar. Hassan,<strong>der</strong> Händler,vertraut Mustaphaund Jacknicht mehr undlässt keineFrachten mehrtransportieren.Er gibt den beideneine an<strong>der</strong>eChance Geld zuverdienen. Sosollte Jack eines Tages reiche Fremde in ein benachbartesDorf tragen. Auch diese wirft er inden Wüstensand ab und Mustapha kann denvom Esel verursachten Schaden nicht mehr bezahlenund wird eingesperrt. In einer benachbartenStadt wird <strong>der</strong> Sohn des reichen Fremden vonSeeräubern bedroht. Durch den mutigen Botengangdes Esels wird <strong>der</strong> Sohn des Fremden gerettet.Dafür wird <strong>der</strong> Esel mit hun<strong>der</strong>t Goldstückenreich belohnt. Mustapha wird aus dem Gefängnisentlassen, Diomira hat genügend Geldfür die Aussteuer und kann heiraten und <strong>der</strong> EselJack kann endlich nach Herzenslust Rosenblättersalatmit Olivenöl und Weinessig essen.„Es war einmal ein Esel“ ist eine Tiergeschichte,in dem Tiere handeln und denken wie Menschen.Der bewusst vermenschlichte Tierheld ist<strong>der</strong> Esel Jack. Tierliebe und Treue zwischenMensch und Tier sind in diesem Buch das Beson<strong>der</strong>e,Tier und Mensch bilden eine positiveGemeinschaft.„ .... „Ins Wasser gefallen? Die Säcke verloren? FünfSäcke mit Gewürzen davon geschwommen? Du bistein feiner Eseltreiber!“ , brummte Hassan, als Mustaphaseinen Bericht beendet hatte. Mustapha sahzu Boden und konnte nichts an<strong>der</strong>es sagen als: „Estut mir Leid, Herr.“ „Es tut dir Leid? Es wäre nochschöner, wenn du dich darüber freutest! Aber deinBedauern ersetzt mir meinen Ware nicht.“ „Es warein Unfall, Herr“ , sagte Mustapha. „Unfall? Unfall?Das kann je<strong>der</strong> sagen. Dein Esel ist störrischund ungehorsam. Du hättest dir längst einen an<strong>der</strong>enkaufen sollen.“ „Ich habe kein Geld dazu, Herr.Und außerdem, Herr, ich habe Jack schon so vieleJahre – ich will mich von ihm nicht trennen.“ „Nichttrennen?“ , brummte Hassan, und schüttelte unverständigden Kopf. „Warum? Weil des SultansSohn auf ihm geritten ist?“ „Nein, Herr“ , sagteMustapha. „Weil ich hin gern habe. Weil er mirein guter Freund gewesen ist, durch viele Jahre.“„So? Gut. Wie du willst“, meinte Hassan. „Aberwas geht das mich an? Wer ersetzt mir meinenSchaden?“ „Ich will den Schaden bezahlen ersetzen,Herr, soweit ich kann.“ „Und was kannst duzahlen? Was hast du? Eine Lehmhütte, ein paarMatten und ein paar zerbrochenen Krüge. Das reichtnicht.“ „Ich habe etwas Geld gespart, Herr, für DiomirasAussteuer.“ „Gespart? Geld? Das ist gut.Dann zahle mir“ – und Hassan dachte angestrengtnach – „lass sehen, ich will großherzig sein, ichrechne nur die Hälfte des Wertes <strong>der</strong> verlorenenWaren – zahle mir also zwanzig Silberstücke. Hastdu so viel?“ „Wenn ich alles zusammenkratze, wasich habe –ja.“ „Dann bring das Geld. Und führdeinen Esel fort. Ich will ihn nie wie<strong>der</strong> sehen. Erhat mich genug Geld gekostet. Geh!“ Mustaphanahm Jack am Halfter und ging. „Hast du gehört,Jack?“ , sagte er. „Hassan will dich nie wie<strong>der</strong> sehen.Weißt du, was das bedeutet? Dass er uns niewie<strong>der</strong> Arbeit gibt.“ „Iah“, erwi<strong>der</strong>te Jack sehr gleichgültig.„Ja, du denkst: Was macht das schon aus?Für mich aber ist es ein sehr harter Schlag. Ich werdedoch daran denken müssen, mir einen an<strong>der</strong>enEsel anzuschaffen.“ „Iah, iah, iah“ , sagte Jackschnell, in herzzerbrechendem Ton. „Der Gedankegefällte dir wohl nicht? Da bekommst du es mit <strong>der</strong>Angst zu tun?“ „Zwanzig Silberstücke?“, rief Diomira,als sie von Mustapha hörte, was vorgefallenwar. „All unser erspartes Geld! Und ich wollte davonTöpfe und Schüsseln kaufen, für meine Aussteuer,und Matten und Krüge, und ich hatte gehofft, eswürden ein paar Silberstücke für ein Paar Ohrgehängeübrig bleiben. Und nun ist alles dahin – durchdie Schuld dieses dummen, starrsinnigen, ungehorsamenEsels.“ „Iah“, sagte Jack beleidigt. „Was? Duwagst es noch, das Maul aufzumachen?“, schrie Diomira.„Wir sollten dich verkaufen, um den Schadenzu ersetzen, den du angerichtet hast – aber was bekommtman denn schon für einen Esel, <strong>der</strong> zu nichtsnütze ist?“ „Iah“, sagte Jack, in tiefster Seele verletzt,denn er dachte, er sei sehr viel wert – war dochAchmed, des Sultans Sohn, einst auf ihm geritten(S. 7ff.).Neben <strong>der</strong> mühsamen und beschwerlichen Arbeitvon Eseltreibern bietet sich dem Leser auchein deutlich sozialkritisches Lebensbild aus eineman<strong>der</strong>en Kulturkreis und dem Leben in <strong>der</strong>Wüste. Erfahrungen, wenn auch nur „Leseerfahrungen“,über an<strong>der</strong>e Kulturen implizierenin diesem Buch auch den Respekt vor Menschenan<strong>der</strong>er Herkunft.Ganz an<strong>der</strong>s schreibt F. Feld in seinem Buch „DerFlug ins Karfunkelland“, hier reicht das sprachli-16 <strong>Journal</strong> /:


LESEERZIEHUNG - WERTEERZIEHUNGche und inhaltliche Spektrum vom Schlicht-Einfältigenbis zum Realistisch-Grotesken.Der Flug ins Karfunkelland vonFriedrich FeldEine fast wahreGeschichte vollseltsamer Abenteuer.Zum Inhalt:Nach einemFahrradunfallverbleibt <strong>der</strong> Erzählerin einemDorf namensSteindorf. Dortlernt er Karfunkel,den Sohndes Fahrradgeschäftsinhabers,kennen. Karfunkel,<strong>der</strong> kleine Bub mit den brennroten Haaren,baut an einem Flugzeug, um mit Flox, seinerKatze, die ein braunes und ein blaues Auge hat,eine Reise ins Karfunkelland zu unternehmen.Im Karfunkelland meint er, würden seiner Katzeneue Augen aus Edelsteine gemacht werden.Als Reisegefährt baut er sich mit seinen FreundenAlfons und Johannes ein Flugzeug. Der Führersitzist aus einem Kin<strong>der</strong>wagen. Karfunkelbaut eine Lenkstange ein, von <strong>der</strong> Schnüre zudem Steuer führen. Vaters Paddelbootru<strong>der</strong> dientals Propeller. Als Motor verwendet er den Antriebeines Fahrrades, das Kettenrad mit den Pedalen.In <strong>der</strong> Nacht vor seinem Geburtstag gehtKarfunkels Reise los. Er träumt. Seine Reise führtihn ins Erfin<strong>der</strong>land, ins Regenland, in das Land<strong>der</strong> Spiegel und in das Reich <strong>der</strong> Tiere. In all diesenLän<strong>der</strong>n erlebt er gar Wun<strong>der</strong>sames undmeist kann er mit guten Taten helfen. Im Karfunkellan<strong>der</strong>klärt man ihm, dass man einemWesen die Augen nicht auswechseln kann. SeineKatze habe ihre Augen vom Berg des Lachensund vom Berg <strong>der</strong> Trauer, vom Berg <strong>der</strong> glühendenHerzen und vom Berg <strong>der</strong> Einsamkeit. AlsKarfunkel wie<strong>der</strong> nach Hause fliegt stürzt er überSteindorf ab, bleibt in den Ästen hängen .... undwird wach. Gemeinsam mit seiner Familie undseinen Freunden feiert er Geburtstag und erzähltseinen abenteuerlichen Traum vom Karfunkelland.Der Flug ins Karfunkelland von Friedrich Feldist eine phantastische Geschichte und mit seinenüber zweihun<strong>der</strong>t Seiten für Kin<strong>der</strong> ab 10Jahren geeignet. Eine realistische Rahmenhandlungumfasst den Traum, <strong>der</strong> ein wun<strong>der</strong>samesAbenteuer in die Welt <strong>der</strong> Phantasie ist, gezeichnetvom fast utopisch anmutenden Erfin<strong>der</strong>geistdieser Zeit.„... Häuser, die sich nach <strong>der</strong> Sonne drehen, Gehsteige,die Laufbän<strong>der</strong> sind.....“ ( S. 35 ff) . Der Protagonist,ein Kind, ist <strong>der</strong> Helfende und Gute,<strong>der</strong> die Welt letztendlich immer rettet.„.........aber seine Mutter sagte, <strong>der</strong> Bub hatGlücksaugen, die hellen, funkelnden Augenguter Menschen, nennen wir ihn Karfunkel.Dabei blieb es. Er ist ein guter Bub, ein wenigverträumt, er liest gerne Bücher, Märchen undAbenteuergeschichten. .........Er will alles wissen,er fragt mehr, als ich beantworten kann. .......Ererzählt mir Geschichten, die er selbst erfundenhat, von den Bergen, die sich nachts öffnen wiegeheimnisvolle Tore, hinter denen Schätze verborgensind, und von den Glockenblumen, die<strong>der</strong> Wind um Mitternacht bewegt, dass sie klingenwie die Glocken vom Kirchturm, hell undweithin vernehmbar übers Land. Wir haben ihnalle sehr gern, den Karfunkel, auch seine Freunde.Die wildesten Buben werden zahm, wennsie mit ihm spielen und die schlimmsten Raufhänselwagen es nicht, die Hand gegen ihn zuerheben. Das Leuchten in seinen Augen will etwasbedeuten, er ist nicht wie die an<strong>der</strong>en, erhat das Herz <strong>der</strong> Menschen, die dazu bestimmtsind, <strong>der</strong> Welt Freude und Glück zu schenken.....“(S.22)Der österreichische Autor F. Feld hat eine Reihe phantastischerGeschichten geschrieben, die auch sozialeProbleme aufgreifen und manchmal nach bewussterDeutung verlangen. In Flug ins Karfunkellandstellt er z. B. das Lächerliche und zugleich Tragischedes Missbrauchs politischer Macht im Spiegellandzwischen dem hässlichen König und <strong>der</strong> schönenKönigin dar, ebenso die politische Intrige und dieWehrlosigkeit des verarmten Volkes.Auch wenn sich <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Handlung in einerTraumwelt abspielt, reale und unreale Welteneinan<strong>der</strong> abtauschen, so werden wertvolle Erziehungsziele,manchmal sogar plakativ moralisierend,transportiert, so im Kapitel über das Regenland.„.......Es regnet immer, wenn ein Bewohner desLandes gestohlen o<strong>der</strong> gelogen o<strong>der</strong> sonst einVerbrechen begangen hat. ....“(S. 60). Karfunkeltritt auch in diesem Lande für verantwortungsvollesTun für alle ein, indem er im Regenland Diebe<strong>Journal</strong> /:17


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>entlarvt. Im Land <strong>der</strong> Tiere, imKapitel „Silberpfötchen ist verschwunden;manchmal hatein Floh mehr Verstand alszehn Elefanten“ (S. 164), tritt<strong>der</strong> Bub für ein friedvolles Miteinan<strong>der</strong>aller Wesen in diesemkleinen „Weltdorf <strong>der</strong> Tiere“ein.In beiden Büchern zeigt F.Feld nicht nur das Spiel <strong>der</strong>Phantasie mit <strong>der</strong> Welt desWirklichen und Unwirklichen,die den eigenen Gedankengleichsam Flügel verleihenkann, son<strong>der</strong>n lässt demLeser/<strong>der</strong> Leserin genugRaum für Identifikation unddem Schaffen eigener Weltendarin.Rote über Bücher:Diese ausgewählten und ansatzweise wertanalytischangedachten Bücher, vor allem jene vonCuvellier und Laube, sind Textbeispiele, in denennicht vor<strong>der</strong>gründig Haltungen und Überzeugungentransportiert werden. Diese Literaturbeispielebieten genug Spielraum für denLeser/die Leserin, Handlungsmöglichkeiten in<strong>der</strong> Phantasie auszuprobieren und dabei könnendie ihnen zugrunde liegenden Normen undWertvorstellungen ausphantasiert, erkannt unddiskutiert werden. Und in jedem Fall machensie einen ethischen Fragehorizont auf.Wenn ich ein Buch vor mir habeglatt fugenlos fertig dann will ichsogleich wissen wie es entstandenist: Welche Geschichte des Autorssteckt hinter dem geschniegeltenEndprodukt? Ich will wissen: Lebt<strong>der</strong> Schreiber wies im Buch steht?Sicher nicht. Das Buch soll seinLeben übersteigen. Aberwenigstens: Versuchen muss ers.Buch und Leben gehören untereinen Stern. (NENNING, Günther:Rot und realistisch. Wien 1973. S.23.)Bindel, J.(Hrsg.): FünfundsiebzigJahre Kin<strong>der</strong>freunde:1908 – 1983; Skizzen, Erinnerungen,Berichte, Ausblicke.Verlag Jungbrunnen,Wien-München 1982.Christmann, U./Groeben, N.:Psychologie des Lesens. In:Franzmann, B./Hasemann,K./Löffler, D./Schön, E.(Hrsg.): Handbuch Lesen. K.G. Saur Verlag, München1999.v. Hentig, H.: Bildung. EinEssay. Darmstadt: WB 1996.Krüss, J.: Naivität und Kunstverstand.Gedanken zur Kin<strong>der</strong>literatur.Weinheim, Basel1992.Maar, Chr./Obrist, H./Pöppel, E. (Hrsg.): Weltwissen –Wissenswelt. Das globale Netz von Text und Bild. Du-Mont, Köln 2000.Sahr, M./Born, M.: Kin<strong>der</strong>bücher im Unterricht <strong>der</strong>Grundschule. Baltmannsweiler 1996.Sahr, M.: Leseför<strong>der</strong>ung durch Kin<strong>der</strong>literatur. Schnei<strong>der</strong>Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2003.Schulz, G./ Ossowski, H. (Hrsg.): Lernen als genussvollesAneignen <strong>der</strong> Künste. Einblicke in die Didaktik <strong>der</strong>Kin<strong>der</strong>literatur. Schnei<strong>der</strong> Verlag, Hohengehren 1997.Kin<strong>der</strong> haben einen beson<strong>der</strong>s weiten Horizontund eine ebensolche Fantasie,sie stellen hohe Ansprüche und beweisen alsLeser eine beeindruckende Toleranz, Ehrlichkeitund viel Interesse.Sigrid LaubeInternetadressen:(http:// www.jungbrunnen.co.at/authoredetail.py?id=53,03.01.2005)Leitlinien <strong>der</strong> Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde:(http://www.kin<strong>der</strong>freunde.at/index.php?action=Lesen&Article_ID=2265, 03.01.2005)Literatur:Abraham, U./Launer, Chr.(Hrsg.): Weltwissen erlesen.Literarisches Lernen im fächerverbindenden Unterricht.Schnei<strong>der</strong> Verlag, Hohengehren 2002.Adler, M.: Neue Menschen, Gedanken über sozialistischeErziehung. E. Laub‘sche Verlagsbuchhandlung, Berlin1924.Kin<strong>der</strong>bücher :Cuvellier, V.: Die Busfahrerin. Verlag Jungbrunnen, Wien2003.Laube, S. : Die Insel im Baum. Verlag Jungbrunnen, Wien2004.Feld, F.: Es war einmal ein Esel. Jungbrunnen, Wien 1948.Feld, F.: Der Flug ins Karfunkelland. Eine fast wahre Geschichtevoll seltsamer Abenteuer. Jungbrunnen, Wienohne Jahresangabe.18 <strong>Journal</strong> /:


KINDERFREUNDE UND DAS BUCHEine Zusammenfassung <strong>der</strong> Diplomarbeit „Erziehungsgrundsätze <strong>der</strong>Sozialdemokratie am Beispiel <strong>der</strong> österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde“von Daniela Turic, Juni 2004 mit Ergänzungen von Georg Turic.Die österreichischenKin<strong>der</strong>freunde unddas Buch - Lesen alsWerteerziehungStellen sich Fragen?Wo bleibt die Liebe zu guten Büchern - aus dem Jahr 1923, als<strong>der</strong> Jungbrunnengegründet wurde?Wo bleibt die Sorge um gute Bücher- die Anton Tesarek 1958 zum50jährigenJubiläum beschreibt?Welche Bücher machen Leute - wie Hans Matzenauer 1988 stolz dieLeistungen desVerlages Jungbrunnen vorstellt?Gehören Bücher zu einer glücklichen Kindheit? Auch heute noch -im Jahr 2005?Wo bleibt die groß angelegte Leseerziehung <strong>der</strong> ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunde?Wo ist die Werteerziehung <strong>der</strong> Österreichischen Kin<strong>der</strong>freundedurch das gute Buch?von Daniela Turic1908: Ein Buch als ImpulsHistoriker und Soziologen sagen, dass es keinZufall ist, dass die Kin<strong>der</strong>freunde am Beginndes 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts gegründet wurden. DieNot des proletarischen Kindes in Österreich, inganz Europa, in allen Industrielän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Weltwaren wahrhaft himmelschreiend. Damalsschrieb Ellen Kay, die schwedische Essayistinund Erzieherin (1849 - 1926): „Je<strong>der</strong> einzelneMensch, <strong>der</strong> das Herz auf dem rechten Fleckhat wartet nicht auf die Engel, son<strong>der</strong>n stürztselbst herbei um ein Kind aus <strong>der</strong> Gefahr zu retten“.Ellen Kay prägte in ihrer Veröffentlichungden Begriff vom „Jahrhun<strong>der</strong>t des Kindes“ unddieses Buch von Ellen Kay war für AntonAfritsch ein Meilenstein und sicher auch einAnstoß zur Gründung des Arbeitervereins Kin<strong>der</strong>freundeam 26. Februar 1908 in Graz. (TU-RIC, Daniela. Diplomarbeit 2004. S. 18.)<strong>Journal</strong> /:19


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>1923: Liebe zu guten Büchern -Der JungbrunnenAm 17. September 1923 beschließt die Reichsexekutive(wir sagen heute Bundesexekutive)eine Ges. m. b. H. mit dem Firmennamen „Jungbrunnen“zu gründen. Nur 5 Jahre später stelltErich Klupp in <strong>der</strong> Zeitschrift „SozialistischeErziehung“ fest: „Wir können uns heute die sozialistischeErziehungsarbeit ohne die Verlagsarbeitdes Jungbrunnen nicht mehr vorstellen ...Die neuen Bücher sind Hilfe für das Befreiungswerk,das wir am proletarischen Kind vollbringenwollen.“ Franz Schumeier hat bei <strong>der</strong> Eröffnungeiner Arbeiterbücherei den bedeutungsvollenSatz gesagt: „Bücher haben uns indie Knechtschaft gebracht, Bücher werden unsbefreien!“ ... für jedes proletarische Kind nur dieAuswahl <strong>der</strong> besten Jugendschriften. Wissenschaftlich,literarisch und künstlerisch einwandfreimüssen diese Bücher sein. In <strong>der</strong> Verlagsbuchhandlungwerden nur die von sozialistischenErziehern überprüften Bücher verkauft.Je<strong>der</strong> Käufer erhält nun die Auslese <strong>der</strong> Jugendbücherim „Jungbrunnen“. (KLUPP, Erich, SozialistischeErziehung 1927: Solidarität. S. 92/93).Abb. 11908: Die ersteKin<strong>der</strong>freundebibliothek„Ein großer Tätigkeitsbereich bildetet die Bibliothekdes Vereins, dass da nur gute Bücher ausgeliehenwerden ist selbstverständlich. Die Bibliothekzählt jetzt 1100 Bände und wird vonden Kin<strong>der</strong>n unheimlich stark benützt. Am 28.Oktober 1908 wurde sie eröffnet, bis Ende Maiwurden 3159 Bücher ausgeliehen. Ein GrazerSchulinspektor erklärte ganz offen, dass sichjede Schule gratulieren müsste eine solche Bibliothekzu besitzen. ... Der Verein kann sichrühmen, den Kampf gegen die Schundliteraturam wirksamsten zu führen.“ (AFRITSCH, Anton:BINDEL, Jakob: 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde. S.61.)1926: 446 MühlsteinbüchereienDer Franziskaner Zyrill Fischer schreibt an dieSpitze seines Werkes über Sozialistische Erziehung(<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freunde) die Worte des göttlichenKin<strong>der</strong>freundes: „Wer ein solches Kind inmeinem Namen aufnimmt, <strong>der</strong> nimmt mich auf.Wer aber einem aus diesen Kleinen die an michglauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, erwürde einen Mühlstein an seinen Hals gehängtund in die Tiefen des Meeres versenkt.“ (Matthäus18, 4-6 Zyrill Fischer. Sozialistische Erziehung:BINDEL, Jakob: 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde.S. 97.) Die frommen Wünsche des Franziskanerpatershatten eine wohl von ihm nicht beabsichtigteWirkung. Der damalige Reichsobmann <strong>der</strong>österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde Max Winter riefdie Arbeiterschaft auf, den Kin<strong>der</strong>freundenGeldmittel zu spenden um „Mühlsteinbüchereien“zu schaffen. Sie sollten durch gute Kin<strong>der</strong>bücherden Geist <strong>der</strong> Menschlichkeit undToleranz verbreiten ... Schon im Jahr1927 erhielten 119 Kin<strong>der</strong>freundegruppen jeeine Mühlsteinbücherei. In den folgenden Jahrenwaren es bereits 446 Mühlsteinbüchereien.(BINDEL, Jakob: 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde. S. 97.)1928: Die Klassenlektüre imRoten WienWas leistet die sozialdemokratische GemeindeWien für das Schulwesen? „An die Stelle desöden Lesebuches werden in je<strong>der</strong> Klasse demKinde 10-15 Bücher in die Hand gegeben: dieKlassenlektüre! Ein genauer Plan für die Verwendungdieser Bücher ist aufgestellt. 110 Bücherwerden im Laufe <strong>der</strong> Schulzeit mit denKin<strong>der</strong>n besprochen. ... Auf diese praktische,überzeugende Art bekämpft die GemeindeWien die Schmutzliteratur, erweckt sie in denKin<strong>der</strong>n die Sehnsucht nach dem guten Buch,die Lust zum Lesen, den Drang nach Anlage20 <strong>Journal</strong> /:


KINDERFREUNDE UND DAS BUCHeiner eigenen Bücherei!“... eineinhalb Waggonvoll Bücher für Lehrer- und Schulbüchereienwurden jährlich geliefert.(Bild 2/3) (GLÖCKEL,Otto: Ausgewählte Schriften und Reden. S. 203.)Abb. 4Abb. 2Abb. 31947: „Geschichten aus demFreundschaftsland“Ein 32 Seiten starkes Büchlein „Geschichten ausdem Freundschaftsland“ wird von den <strong>Wiener</strong>Kin<strong>der</strong>freunden erstmalig allen Kin<strong>der</strong>n ihrerMitglie<strong>der</strong> zum Weihnachtsgeschenkgemacht.(Bild 4) (SALIGER, Hans, 1947 Landessekretär<strong>der</strong> <strong>Wiener</strong> Kin<strong>der</strong>freunde. BINDEL,Jakob: 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde. S. 168.)1951: Neue österreichische Literatur im „Jungbrunnen“Im Jahr 1951 gründete sich auf Initiative des jungenSPÖ Politikers und Autors Peter Strasser <strong>der</strong>Autorenkreis „Stimmen <strong>der</strong> Gegenwart 1951“.Jakob Bindel ist es zu verdanken, dass junge undbegabte Autoren und Autorinnen den Weg zumVerlag fanden. Junge Schriftstellerinnen undSchriftsteller, Grafikerinnen und Grafiker, dieheute Weltgeltung haben, wurden geför<strong>der</strong>t,wie Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, ChristineBusta, Paul Celan, Milo Dor, Jeannie Ebner,Herbert Eisenreich, Reinhard Fe<strong>der</strong>mann, GerhardFritsch, Hans Heinz Hahnl, Marien Haushofer,Franz Kiessling, Jörg Mauthe, AndreasOkopenko, Helmut Schwarz, Walter Toman,Karl Wawra, Illustratoren wie Kurt Absolon,Maria Bilger, Paul Flora, Ernst Fuchs, Kurt Moldovan.Die 12 kleinen Bände „Junge österreichischeAutoren“ sowie die beiden Jahresbände„Stimmen <strong>der</strong> Gegenwart 1951“ und „Stimmen<strong>der</strong> Gegenwart 1952“, herausgegeben von HansWeigl, gehören zu den ersten und wichtigstenVeröffentlichungen neuer österreichischerLiteratur.(Bild 5) (WEIGL, Hans. Die jungenAutoren und <strong>der</strong> Schuhmeierplatz. BINDEL,Jakob: 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde. S. 249.)<strong>Journal</strong> /:21


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Abb. 5Kronen als Darlehen aufgenommen, dafür Büchergekauft, mit neuer Kraft geworben, die vielen,guten Jugendbücher und Jugendschriftenin die proletarischen Familien zu bringen. Wieviele Versuche wurden doch immer von neuemunternommen, das gute Buch zu för<strong>der</strong>n.Aus einer Statistik ist zu entnehmen, dass vom15. September 1921 bis zum 31. Dezember 1922durch die so junge Reichsbücherstelle 150.000gute Jugendbücher und Bildwerke vertriebenwurden. ... Das war wirklich eine gute Saat, diesich trotz aller Krisen und Wi<strong>der</strong>stände weiterentwickelte,als heimliche Erinnerung die Faschismen(Bild 6) überdauerte.“ (TESAREK,Anton: Die Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde1908 - 1958. S. 168.)1958: Die Sorge um gute Bücher- 50 Jahre ÖsterreichischeKin<strong>der</strong>freunde„Von Anfang anhatte AntonAfritsch seineKin<strong>der</strong>freundegelehrt, für dasgute Buch zusorgen, dafüreinzutreten,dafür zu kämpfen.Und schonim Jahre 1921war eine Reichsbücherstelle<strong>der</strong>Kin<strong>der</strong>freundegegründet worden:Mit jenemunbekümmertenMut, <strong>der</strong> immerden Kin<strong>der</strong>freundenzu eigenwar, hattensie eine Million1986: Erste Friedensbücherei inMarzabotto - 1000FriedensbüchereienEine an<strong>der</strong>e Welt: „Wenn man die Welt verän<strong>der</strong>nwill, muss man über die Realität Bescheidwissen. Dazu trägt Jakob Bindet seit 45 Jahrenbei - mit <strong>der</strong> Verbreitung guter Jugendbücher. -Diese Botschaft an die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt - vonChristine Nöstlinger hat sich Jakob Bindel, <strong>der</strong>Initiator <strong>der</strong> Jugendbüchereien für den Frieden,zu Herzen genommen. Er schreibt in <strong>der</strong> zitiertenTageszeitung Der Standard: Bisher hat manmeist verabsäumt diese Bücher <strong>der</strong> Jugendnahezubringen. Dieses Defizit soll unsere Aktionwettmachen. Jetzt habe ich bald 1000 Frie-Abb. 622 <strong>Journal</strong> /:


KINDERFREUNDE UND DAS BUCHdensbüchereien zusammen. ...“ (Der Standard,24725. März 1990. BINDEL, BÖHMER-ZECH-MEISTER, ZWACEK: Die Schönbrunner. S. 98.)1986 wird in Marzabotto von den ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunden die erste Bibliothek mitKin<strong>der</strong>- und Jugendbüchern aus aller Welt zumThema Frieden eröffnet. Altbundeskanzler Dr.Bruno Kreisky hatte die Idee, die ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunde griffen sie auf. Und sokamen 38 Kin<strong>der</strong> aus Marzabotto in Italien zueinem Freundschaftscamp nach Wien, wo siegemeinsam mit österreichischen Kin<strong>der</strong>n (ausSalzburg, Oberösterreich und Kärnten) vierzehnTage verbrachten. Freundschaft und Solidaritätstanden im Mittelpunkt dieses Feriencamps mitneuen pädagogischen Ansätzen in Richtungaktiver Friedenserziehung. In Marzabotto fandwährend des Zweiten Weltkriegs ein beispiellosesMassaker statt, für das sich <strong>der</strong> ehemaligeaus Österreich stammende SS-SturmbannführerWalter Re<strong>der</strong> verantwortlich zeichnete. Hun<strong>der</strong>teMenschen und vor allem Jugendliche, Kin<strong>der</strong>und Kleinkin<strong>der</strong> dieser Kleinstadt wurden1944 und 1945 brutal ermordet. Der 1985 amtierendeMinister Frischenschlager begrüßte Re<strong>der</strong>mit Handschlag als österreichischen Heimkehrer.In <strong>der</strong> Sozialistischen Erziehung stehtdazu: „Nach dem Skandal um den Ex-Obersturmbannführerplanten die ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunde auf Vorschlag von FamilienministerinGertrude Fröhlich-Sandner ein Friedenscampnach <strong>der</strong> Idee Kreiskys, <strong>der</strong> nach denDifferenzen rund um die Freilassung Re<strong>der</strong>svorgeschlagen hatte, dass Österreich eine Gestedes Friedens setzen sollte.“ (TURIC, Georg:Sozialistische Erziehung Nr. 5/1985. S. 127 - 129.)„Die Geste des Friedens wurde politisch anerkannt.Die wesentlichen pädagogischen Zielewaren Friedenserziehung, Solidarität, interkulturellesVerständnis und bleibende Freundschaftenzwischen den Kin<strong>der</strong>n und Betreuerinnenzu för<strong>der</strong>n.“ (TURIC, Georg: Der Helfer-Arbeitsblätter für die Erziehungspraxis. Son<strong>der</strong>nummer1986. S. 27.) „Heute, nach 3 Jahren, sindes schon fast 900 Friedensbüchereien und dasnicht nur in Österreich. Diese gibt es nun auchin Südtirol, in <strong>der</strong> BRD, und kürzlich ist aucheine Bibliothek nach Siebenbürgen gegangen.Noch heuer soll die 1000ste Bibliothek eröffnetwerden, irgendwo in Nie<strong>der</strong>österreich.“ (BIN-DEL, Jakob: Die Schönbrunner. S. 98.)1988: Bücher machen Leute - 80Jahre Kin<strong>der</strong>freundeNirgendwo sonst auf <strong>der</strong> Welt wird eine so beständigeErziehungsarbeit für das gute Buchbetrieben wie bei den Kin<strong>der</strong>freunden. Obwohles große Verlage mit einem reichhaltigen Angebotfür jeden Geschmack gibt, kann <strong>der</strong> kleineJungbrunnen Verlag mit seinem anspruchsvollenProgramm einen guten Platz behaupten.50 Jahre nach <strong>der</strong> Gründung berichtet HansMatzenauer über den Verlag Jungbrunnen folgendes:„14 österreichische Staatspreise, 13 Kin<strong>der</strong>buchpreise<strong>der</strong> Stadt Wien und viele Nennungenauf Ehrenlisten. Zahlreiche Lizenzausgabenvon Jungbrunnen-Büchern, 36 Titel anVerlage in 20 Län<strong>der</strong>n, sowie insgesamt 105Übersetzungen von Jungbrunnen-Büchern sin<strong>der</strong>schienen.“ (Bild 7/8) (MATZENAUER, Hans:Solidarität S. 96/97.)2004: Bücher gehören zu einerglücklichen Kindheit! - DieWeihnachtsbuchaktion <strong>der</strong>Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde„Die Weihnachtsbuchaktion 2005 ist in vollemGang. Alle Ortsgruppen <strong>der</strong> ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunde sind eingeladen sich daran zubeteiligen und jedem Kind unserer Mitgliedfamilienein Buch zu schenken. Darüber hinausist die Weihnachtsbuchaktion eine gute MöglichkeitSchul- o<strong>der</strong> Heimbibliotheken zu ergänzeno<strong>der</strong> eine soziale Aktion zu unterstützen.Viele Ortsgruppen besuchen Kin<strong>der</strong>spitäler undbringen Bücher als Geschenke, erweitern denLesetisch in Wartezimmern o<strong>der</strong> betreuen sozialbenachteiligte Kin<strong>der</strong>. Es gibt viele Möglichkeitenmit dem Weihnachtsbuch <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freundeFreude zu bereiten. Bei den Büchernhandelt es sich um ausgewählte Kin<strong>der</strong>bücheraus dem Verlag Jungbrunnen, die so preisgünstigsind, weil sie als broschierte Son<strong>der</strong>ausgabenspeziell für die Kin<strong>der</strong>freunde hergestelltwerden. Die Kurzbeschreibungen sollen dierichtige Auswahl <strong>der</strong> Bücher erleichtern.“ (Kin<strong>der</strong>freunde- Nachrichten. S. 1)1946: Weihnachtsbuchaktion inZahlenSeit 1946 überreichen die Kin<strong>der</strong>freunde in Österreichalljährlich im Dezember denKin<strong>der</strong>n ihrer Mitglie<strong>der</strong> ausgewählte Bücher.Die Kin<strong>der</strong> sollen damit angeregt<strong>Journal</strong> /:23


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Abb. 724 <strong>Journal</strong> /:


KINDERFREUNDE UND DAS BUCHAbb. 8werden eine eigene Bibliothek aufzubauen, dasLesen soll geför<strong>der</strong>t werden undsoziale, demokratische Werte sollen durch dieBücher vermittelt werden.1946 waren es nahezu 40.000 Bände.1960, 2 Jahre nachdem die Kin<strong>der</strong>freunde ihr50jähriges Jubiläum feierten, war dieBuchaktion an ihrem Höhepunkt- mit 144.000Büchern!1983, die Kin<strong>der</strong>freunde feierten das Jubiläumihres 75jährigen Bestehens, hatte dieWeihnachtsbuchaktion noch fast 77.000 Bücher.2003, im Jahr <strong>der</strong> „Pisa Studie“, wurden in ganzÖsterreich von den ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunden nur mehr 12.600 Bücher an dieKin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> verteilt.2005: Stellen sich Fragen?BibliographieBINDEL, Jakob (HG.): 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde1908 - 1983. Skizzen – Erinnerungen -Berichte -Ausblicke. Verlag Jungbrunnen, Wien -München 1983.TURIC, Daniela: Erziehungsgrundsätze <strong>der</strong>Sozialdemokratie am Beispiel <strong>der</strong>Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde. Diplomarbeit2004, Pädagogische Akademie des Bundes inWien.KLUPP, Erich. In: SOLIDARITÄT. Eine Aufgabe<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freunde vom ersten Tag an. (Hg.):SPÖ - Freue Schule Kin<strong>der</strong>freunde. Wien 1988.GLÖCKEL, Otto: ausgewählte Schriften undReden, (Hg.): ACHS, Oskar. Jugend und VolkVerlagsgesellschaft mbH, Wien 1985.TESAREK, Anton: Die ÖsterreichischenKin<strong>der</strong>freunde 1908 - 1958. VerlagJungbrunnen. Wien 1958.BINDEL, BÖHMER-ZECHMEISTER, ZWACEK.Die Schönbrunner - Vision Erfüllung Ausklang.Verlag Jungbrunnen Wien - München. WienMünchen 1990.TURIC, Georg. In: Sozialistische Erziehung Nr. 51985. S. 127 - 129.TURIC, Georg. In: Der Helfer. Arbeitsblätter fürdie Erziehungspraxis. Son<strong>der</strong>nummer. 1986.MATZENAUER, Hans. In: Solidarität. EineAufgabe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>freunde vom ersten Tag an.(Hg.): SPÖ - Freue Schule Kin<strong>der</strong>freunde. Wien1988.BINDEL, Jakob. In: BINDEL, BÖHMER-ZECHMEISTER, ZWACEK. Die Schönbrunner -Vision Erfüllung Ausklang. Verlag JungbrunnenWien - München. Wien München 1990.Kin<strong>der</strong>freunde-Nachrichten -Ortsgruppenrundschreiben <strong>der</strong>Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde. - Nr. 4. Wien,September 2004.AbbildungenMAIMANN, Helene (HG.): DIE ERSTEN 100JAHRE/ÖSTERREICHISCHE SOZIALDEMO-KRATIE 1888 - 1988. Verlag: Christian BrandstättenMünchen 1988. „Die Sonne“ S. 132. Bild1 „Oh, diese Breitnersteuern!“ S. 135. Bild 3BINDEL, Jakob (HG.): 75 Jahre Kin<strong>der</strong>freunde1908 - 1983. Skizzen - Erinnerungen - B e -richte - Ausblicke. Verlag Jungbrunnen, Wien -München 1983. Bücherverbrennung. S. 137. Bild6Geschichten aus dem Freundschaftsland. S. 168.Bild 4 Erzieherisch wertvolle Bücher. S. 247. Bild7 Stimmen <strong>der</strong> Gegenwart. S. 252. Bild 5ACHS, Oskar und KRASSNIGG, Albert. Drillschule- Lernschule - Arbeitsschule. Verlag: Jugendund Volk. Wien München 1974. <strong>Wiener</strong>Kin<strong>der</strong> 1. Buch. S. 120. Bild 2TESAREK, Anton: Die Österreichischen Kin<strong>der</strong>freunde1908 - 1958. Verlag Jungbrunnen. Wien1958.Jungbrunnenbücher- in viele Sprachen übersetzt.S. 178. Bild 8<strong>Journal</strong> /:25


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Freiraum ohne LehrerdominanzDie LesestadtFoto: OtratowitzNicht erst seit PISA wissen wir, dass <strong>der</strong> Erwerb <strong>der</strong>Lesefertigkeit einigen Kin<strong>der</strong>n recht schwer fällt. Vor rund 15Jahren hat sich in <strong>der</strong> Schweiz <strong>der</strong> Grundschullehrer undLehrerbildner Hansheinrich Rütimann intensiv mit dieserProblematik auseinan<strong>der</strong>gesetzt.Gemeinsam mit seinen Studenten hat er in Schiers das Konzept <strong>der</strong>Lesestadt entwickelt und praktisch umgesetzt. In Wien wird damitebenfalls erfolgreich gearbeitet.von Anton Hiess und ElisabethIsakDurch Beobachtung seiner Schulkin<strong>der</strong> und vergleichsweiseseiner eigenen Kin<strong>der</strong> konnte er beson<strong>der</strong>sdeutlich erkennen wie sehr sich vorschulischesLernen vom schulischen Lernen unterscheidet.Er stellte fest, dass Kin<strong>der</strong> im Vorschulalter26 <strong>Journal</strong> /:


DIE LESESTADTauf eine Art und Weise lernen, die wir vielfachgar nicht bemerken und uns nur über die Ergebnissesolcher Lernschübe freuen. Nach seinerÜberzeugung benötigen Kin<strong>der</strong> für ihr Lernenauch den nötigen Freiraum. Er meint, <strong>der</strong> LernundLebensraum <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> muss auch Spielraumsein, muss die Möglichkeit bieten, in <strong>der</strong>eigenen „Spiel“welt leben und arbeiten zu dürfen,um daraus den momentan größtmöglichenNutzen zu ziehen.Gruppen ebenso wie im Klassenverband und isteine handlungsorientierte Lernform. Hier kanndie individuelle Lernausgangslage <strong>der</strong> Schüler berücksichtigtund somit <strong>der</strong> großen Heterogenität<strong>der</strong> Schuleingangsphase im kognitiven als auchsozialen Bereich entsprochen werden.Selbstkontrolle und individuelles Arbeits- undLerntempo lassen die Entwicklung eigenerIdeen zu, hier wird vieles greifbar gemacht,damit es begriffen werden kann.Freiraum ohne LehrerdominanzRütimanns Lesestadt bietet Freiraum für spontane(Lern-)aktivitäten und Geborgenheit, istfrei von Leistungs- und Erwartungsdruckund ebenso frei vonLehrerdominanz. In <strong>der</strong> Stadt istalles kindgemäß, Kin<strong>der</strong> werdenspielerisch dort abgeholt, wo siesich gerade befinden. Sie ist farbig,ansprechend und einladend unddieKin<strong>der</strong> sind frei in <strong>der</strong> Auswahlnach ihren individuellen Bedürfnissenund Interessen. DieseStadt dient Aktivitäten in kleinenWie funktioniert eineLesestadt?Die Lesestadt besteht aus, <strong>der</strong> Wirklichkeit nachempfundenen,Kulissenhäusern, mitTüren, Fenstern und Fensterlädenzum Öffnen und Schließen. An denHäusern selbst sind viele Elementezum Sortieren, Drehen und Verän<strong>der</strong>nzu finden. So zum Beispiel findendie Kin<strong>der</strong> beim Gasthaus zweiDrehscheiben. Auf <strong>der</strong> einen Scheibesind die Buchstaben G und R aufgebracht.Durch Drehen wird <strong>der</strong> AnfangsbuchstabenG in R verwandelt,<strong>Journal</strong> /:27


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>aus dem Gasthaus wird ein Rasthaus -G(R)asthaus. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Scheibe ist eineSpeisekarte darauf. Wenn die Kin<strong>der</strong> diese Scheibedrehen, erscheint im Guckloch an <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>frontdas Speisenangebot des Hauses. Beim Lesestadtkinowie<strong>der</strong>um gibt es ein Guckfensterchenhinter dem eine große abnehmbare Drehscheibeangebracht ist, auf <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> befestigt werdenkönnen. Beim Drehen <strong>der</strong> Scheibe erscheint eineBildfolge im Guckfenster. Im Kino „drinnen“stehen weitere Filmrollen mit Bildmaterial fürweitere Fil<strong>der</strong> formalen und inhaltlichen Ebenean. Viele <strong>der</strong> strukturierten und spielartigenLernmaterialien und verschiedenartig gestaltetenLeseangebote <strong>der</strong> Stadt sind auch geeignet,von interessierten Lehrer/ innen für denUnterricht in <strong>der</strong> eigenen Klasse/Schule nachvollzogenzu werden. Der Umgang mit undin dieser Lesestadt ist weitestgehend frei vonAnweisungen einer Lehrperson, dadurch kanndas Kind auch frei und ohne Druck die Strukturen<strong>der</strong> Schriftsprache spielerisch erkunden.Zum Konzept gehört es dabei, dass Kin<strong>der</strong>, dienoch nicht bereit sind, sprachliche Strukturenzu entdecken, eben „nur“ in <strong>der</strong> Lesestadt„spielen“. In <strong>der</strong> Schuleingangsphase ergibtsich dadurch die Möglichkeit, in einer Art Binnendifferenzierungdie Schüler je nach Vermögenauf verschiedenen Stufen des Leselernprozessesmit großer Individualität undSelbständigkeit arbeiten zu lassen.28 <strong>Journal</strong> /:


DIE LESESTADTInterview mit <strong>der</strong> „Erfin<strong>der</strong>in <strong>der</strong> <strong>Wiener</strong>Lesestadt“: Frau Elisabeth Isak<strong>Journal</strong>: Wer kann die Lesestadt besuchen?Isak: Die Lesestadt kann von ganzen Schulklassen<strong>der</strong> Grundstufe 1 (bis zu 30 Kin<strong>der</strong>) o<strong>der</strong>von För<strong>der</strong>gruppen besucht werden. Es habenaber auch schon dritte Klassen Integrationsklassen,Mehrstufenklassen und auch Klassen undGruppen mit schwerstbehin<strong>der</strong>ten Kin<strong>der</strong>n dieLesestadt besucht.<strong>Journal</strong>: Wann kann die Lesestadt besucht werden?Isak: Derzeit kann die Stadt an 2 Wochentagen(Montag und Mittwoch)am Vormittag besucht werden.<strong>der</strong> ich als Stützlehrerin gearbeitet habe untermeiner Projektleitung auch eine kleine Lesestadt.In dieses Projekt waren Lehrer, Eltern undKin<strong>der</strong> mit eingebunden. Ein Tischler (Onkeleiner Lehrerin) baute die Häuser, die Schüler<strong>der</strong> Polytechnischen Schule 20 fertigten das großeEingangstor an und halfen gemeinsam mitihrem Werklehrer beim Montieren. Eltern halfenbeim Bemalen <strong>der</strong> Häuser. Weitere Einrichtungenfolgten, unterstützt durch den Werklehrer<strong>der</strong> Polytechnischen Schule im 20.Bezirk,<strong>Journal</strong>: Wie kann man sichfür einen Besuch anmelden?Isak: Die Anmeldung erfolgtper FAX an die Tel.Nr.734 24 80 110 unter Angabe<strong>der</strong> Schule, <strong>der</strong> Klasse,eines Terminwunschesund einer möglichst auchprivaten Rückrufnummer.<strong>Journal</strong>: Gibt es in Wien auchschon an<strong>der</strong>e ähnliche Einrichtungen?Isak: Es gibt ähnliche Einrichtungen,die für dieNutzung an <strong>der</strong> jeweils eigenenSchule gedacht sind.Bei meinen Seminaren undBesuchen <strong>der</strong> 1. <strong>Wiener</strong>Lesestadt wurden auch beiLehrern an<strong>der</strong>er Volksschulen<strong>der</strong> Wunsch nacheiner Lesestadt an ihrerSchule o<strong>der</strong> Arbeitsstationenbzw. Materialiendaraus geweckt.So entstanden z.B. in <strong>der</strong>VS 22., Prandaugasse, in<strong>Journal</strong> /:29


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Individualität ist TrumpfDer Unterricht in <strong>der</strong> Lesestadt bietet also dieMöglichkeit, die individuelle Lernausgangslage<strong>der</strong> Schüler zu berücksichtigen und somit <strong>der</strong>großen Heterogenität <strong>der</strong> Schuleingangsphaseim kognitiven als auch im sozialen und emotionalenBereich zu entsprechen. Zugleich wirdden For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Rahmenpläne nach <strong>der</strong>verstärkten Durchführung eines handlungsorientiertenUnterrichtes entsprochen. Ebenso <strong>der</strong>For<strong>der</strong>ung nach einem integrativen Unterricht,bei dem Kin<strong>der</strong> mit unterschiedlichen Lehrplanzuordnungengemeinsam unterrichtet werden.Die Kin<strong>der</strong> sind in Wiens Lesestadt sowohl überdie Materialien als auch über ihre Lehrer/innendirekt angesprochen und somit betroffen.Dadurch entsteht seitens <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> eine Begeisterung,die auch mich immer wie<strong>der</strong> mitreißtund veranlasst, weiterhin viel Zeit und vielArbeit für die Lesestadt zu investieren. Konsumorientierung,Leistungsstreben und rigideVerschulung vermögen nicht hervorzubringen,was Engagement durch innere Beteiligung vermagund können daher nicht einziges Ziel sein.Demokratisches Überleben letztendlich kannnur dadurch gewährleistet werden, wenn wiralle spüren und erleben haben dürfen, dass wirbetroffen und somit gemeint, direkt angesprochenund somit wichtig sind und lernen durften,Verantwortung zu übernehmen und dieseauch mit an<strong>der</strong>en zu teilen.Die Idee zur Lesestadt habe ich vor etwa 13 Jahrenaufgegriffen und im österreichischen Schulwesenzu verwirklichen versucht. Es gelangenkleine Anfänge an einigen Standorten, die Arbeitmit Besucherklassen begann aber 1999 amStandort SPZ Franklinstraße, an dem meine Lesestadtfünf Jahre in Betrieb stand, bis sie im Juni2005 in kürzester Zeit wegen <strong>der</strong> Übersiedlung<strong>der</strong> Klassen von <strong>der</strong> Hohen Warte geräumt werdenmusste. Es ist gelungen, einen neuen undsehr passenden Standort zu finden, in <strong>der</strong> SchuleGeorg Bilgeri Straße im 22. Bezirk. Sie ist dortdurch großen persönlichen Einsatz bereitswie<strong>der</strong> in Betrieb und bis Ende Juni 2006 völligausgebucht, da lei<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betrieb nur an 2 Tagenin <strong>der</strong> Woche möglich ist. Sehr viele Interessentenmüssen auf eine lange Warteliste gesetztwerden.30 <strong>Journal</strong> /:


DIE LESESTADTRote über Bücher:passiert war und wovon <strong>der</strong> Weltfriedenheute bedroht ist. Und waslag näher für einen Büchermacher,als ihnen dieses Wissen durchgute Jugendbücher näher zu bringen.(BINDEL, Jakob: Die Schönbrunner.Vision Erfüllung Ausklang.Wien -München 1990 S.89.)<strong>Journal</strong> /:31


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Auf das Fundament kommt es an -Überlegungen zu einer gezielt aufgebautenFör<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lesekompetenz auf <strong>der</strong>Sekundarstufe I.ZukunftsinvestitionLeseför<strong>der</strong>ung„Schiefe“ Sicht auf das Lesen?Umfangreiche Diskussionen haben die Ergebnisse <strong>der</strong> PISA-Studie2003 ausgelöst. Konsequenzen, Folgerungen für die Schulpraxiswerden gezogen, Empfehlungen für die Bildungspolitik abgegeben.Zentrales Anliegen ist Unterrichtsqualität zu sichern,weiterzuentwickeln und zu steigern, eine allgemeine Kultur <strong>der</strong>Wertschätzung und Anstrengung des Lernens zu verankern.Strukturelle Än<strong>der</strong>ungen sind unausweichlich, aber auch je<strong>der</strong>einzelne Schulstandort soll und muss sich mit <strong>der</strong> Thematikauseinan<strong>der</strong>setzen, denn „Leseför<strong>der</strong>ung ist die preiswertesteZukunftsinvestition für Individuen, Wirtschaft und Gesellschaft“(RING, K. (1997), S. 155).von Gabriele Wehlend.Mag. Dr. Gabriele Wehlend istAbteilungsleiterin für dieschulpraktischen Studien an <strong>der</strong>Pädagogischen Akademie desBundes in Wien 10.Foto: OtratowitzSchlüsselqualifikation LesenEs ist ein unbestrittenes Faktum: Unsere Gesellschaftbraucht Leser. Menschen mit ausgeprägtenLeseinteressen sind aktiver, vielseitiger undweltoffener. Grund genug auch auf <strong>der</strong> SekundarstufeI – nicht nur seit den Ergebnissen <strong>der</strong>letzten PISA-Studie - <strong>der</strong> Entwicklung und För<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Lesekompetenz beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeitzu schenken. Die Fähigkeit, demGelesenen Sinn zu entnehmen, es zu interpretierenund sich mit dem Inhalt kritisch auseinan<strong>der</strong>zusetzenist eine Schlüsselkompetenzbeson<strong>der</strong>s für den mündigen Umgang mit Medien.„Leser treffen ununterbrochen aktive Entscheidungenüber die Annahme von abstraktenund konkreten Botschaften, sie filtern, selektieren,ordnen, verknüpfen, verbalisieren, decodieren,speichern/ löschen. Einen Text aufmerksamzu lesen ist immer eine bewusste, aktive Entscheidungund kognitive Handlung, niemals ein mechanischerVorgang“ (FALSCHLEHNER, G.32 <strong>Journal</strong> /:


ZUKUNFTSINVESTITION LESEFÖRDERUNG(1999), S. 177). Allein hoch entwickelte Sprachbeherrschungund Lesekompetenz schaffen dieVoraussetzung für den Erwerb von Medienkompetenz.Zentrale Ansatzpunkte für eine effiziente Leseför<strong>der</strong>ungauf <strong>der</strong> Sekundarstufe I sind die Verbesserung<strong>der</strong> Texterschließungskompetenzund die Weiterentwicklung einer grundsätzlichpositiven Grundeinstellung zum Lesen. „Schüler,die Interesse am Lesen zeigen, haben durchgängigbessere Leistungen im verstehendenUmgang mit Texten wie auch beim Lernen ausTexten“ (Dt. PISA-KONSORTIUM (2001), S.131). Lesen ist nicht mehr nur Entschlüsselungvon linear aneinan<strong>der</strong> gereihten Buchstaben,son<strong>der</strong>n auch das Aneignen von Informationendurch die Kombination einer Vielzahl von Sinneseindrücken.Die traditionelle KulturtechnikLesen wird um multisensorische Elemente ausgedehntzu einer neuen, an<strong>der</strong>en KulturtechnikLesen. „Lesen ist mehr denn je erfor<strong>der</strong>lich,um die notwendigen Grundlagenkompetenzenfür eine selbstbestimmte, bedürfnisgerechte undbedächtige Nutzung des gesamten Medienensembleszu schaffen. Schule bleibt die wichtigsteSicherungsagentur dafür“ (Dt. PISA-KON-SORTIUM (2001), S. 133).Leseför<strong>der</strong>ung alsfächerverbinden<strong>der</strong> und –übergreifen<strong>der</strong> SchwerpunktEine nationale PISA-Zusatzstudie mit denSchwerpunkten Lesegewohnheiten, Leseför<strong>der</strong>ungund Lesesozialisationuntersuchte auch die Rahmenbedingungen<strong>der</strong> Leseför<strong>der</strong>ungan den Schulen.„Die Aufgabe <strong>der</strong>Schule, Schüler/innen andas Lesen heranzuführenund ihnen Freude am Lesenzu vermitteln, ist beson<strong>der</strong>sfür jene von Bedeutung,die in buchfernenFamilien aufwachsen“(BÖCK, M (2001), S.70). 11% gaben jedoch an,dass ihnen die Schule denSpaß am Lesen verdorbenhätte, zumindest 14%stimmen dieser Aussageeher zu. Im Vergleich mitRote über Bücher:Wäre die intolerante, fremdenfeindlicheWelt, die ich in meinerKindheit erlebt habe, die einzigegewesen, ich wäre an ihr und inihr zugrunde gegangen. Aber dawar noch eine an<strong>der</strong>e Welt: Die<strong>der</strong> Bücher. Diese Welt und meinnaiver und inniger Wunsch, sieWirklichkeit werden zu lassen, hatmir Mut und Optimismus bis heutegegeben. (TURRINI, Peter. In:Die Schönbrunner. Vision ErfüllungAusklang. Wien-München1990. S. 100.)<strong>der</strong> Volksschule geben die Schüler <strong>der</strong> SekundarstufeI seltener leseför<strong>der</strong>nde Aktivitäten wie Mitbestimmungbei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Lektüre, handlungszentrierterUmgang mit dem Gelesenenund freie Lesestunden an. Die Maßnahmen, diean den Schulen für Leseschwache geboten werden,sind: För<strong>der</strong>unterricht, Einzelför<strong>der</strong>ung, spezielleComputersoftware und Programme zurVerbesserung des Schreibens. Lesen als Schwerpunktbereichim Rahmen <strong>der</strong> individuellenSchulentwicklung spielt kaum eine Rolle, „in je<strong>der</strong>dritten Schule ist Lesen bzw. Leseför<strong>der</strong>ungnicht als Schwerpunkt geplant, 40% haben diesbezüglichnoch keine Überlegungen angestellt“(BÖCK, M (2001), S. 76). Diese Ergebnisse beziehensich auf die von den 15-/16-Jährigen besuchtenSchulen bzw. auf die Erinnerungen <strong>der</strong> Schüleran das Lesen in <strong>der</strong> Volksschule sowie Hauptschuleund AHS-Unterstufe.Lesen ist ein Unterrichtsprinzip. Im Schulalltagist dafür eine Koordination <strong>der</strong> einzelnen Unterrichtsfächernötig. Die Realisierung scheintauf den ersten Blick einfach, ist doch das Lesen1) sowohl in allen Unterrichtsfächern als auchfür fächerübergreifenden und projektorientiertenUnterricht und für die Umsetzung an<strong>der</strong>erUnterrichtsprinzipien ein nicht zu entbehren<strong>der</strong>Vorgang, 2) eine wichtige Grundlage fürselbstständigen Wissenserwerb und 3) hilft, dieverschiedenen Lebenswelten im Kontext <strong>der</strong>Informations- und Kommunikationsgesellschaftzu vernetzen.Auf <strong>der</strong> Sekundarstufe I wird jedoch Lesefähigkeitund eine altersadäquate Lesekompetenz vonden Lehrern aller Unterrichtsfächerin <strong>der</strong> Regel vorausgesetzt.Die Realisierungdes Unterrichtsprinzips liegtdaher zumeist ausschließlichin <strong>der</strong> Hand des Deutschlehrers/<strong>der</strong> Deutschlehrerin, allean<strong>der</strong>en sehen die Lesefähigkeitals Selbstverständlichkeitan und kommentieren dieschlechte Lesekompetenz ihrerSchüler/innen lediglichlautstark im Lehrerzimmer.Doch: Umdenken ist - nichtnur seit PISA - angesagt!Dieser Grundsatzerlass richtetsich an Lehrer/ Lehrerinnenaller Schularten und Un-<strong>Journal</strong> /:33


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>terrichtsfächer. Alle Lehrenden eines Schulstandortes- auch <strong>der</strong> Biologielehrer und die Mathematiklehrerin- sind daher gefor<strong>der</strong>t 1) die Lesekompetenzihrer Schüler zu för<strong>der</strong>n und zu intensivieren,2) das sach- bzw. informationsorientierteLesen zu trainieren und 3) Strategien zur Texterschließungzu vermitteln und zu üben, um denVerstehens- und Verarbeitungsprozess zu erleichtern.Denn nur gemeinsam geplante, gezielteFör<strong>der</strong>ung in allen Unterrichtsfächern ermöglichtes Schülern/innen 1) aus einem Informationstextselbstständig Informationen zu entnehmen, 2) Beziehungenzwischen den Informationen und demeigenen Vorwissen herzustellen, 3) Informationenzu vergleichen, 4) Aussagen kritisch zu beurteilen,5) Informationen dauerhaft zu speichern und6) Informationen in an<strong>der</strong>en Zusammenhängenwie<strong>der</strong>zugeben.Gezielt, systematisch, in allenUnterrichtsfächernTrotzdem ist eine systematische, im Sinne einesCurriculums aufgebaute, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lesekompetenzin <strong>der</strong> Praxis noch immer nicht verankert.MENZEL (2003) meint dazu: „Das Problemist das weiterführende Lesen. Reichen diecurricular angelegten Methoden des Rechtschreib-,des Schreib-, Grammatik- und Literaturunterrichtszumindest bis in das 7./ 8. Schuljahrhinein, so endet das eigentliche Curriculumdes Lesenlernens beinahe schon mit dem2. Schuljahr. Einen lehrgangsmäßigen und gezieltenKursus im weiterführenden Lesenjedenfalls führt man kaum einmal durch“(MENZEL, W. (2002), S. 20). Ein gezieltes Lesetrainingist jedoch auch für Schüler/innen auf<strong>der</strong> Sekundarstufe I sehr wichtig, wird aber vernachlässigto<strong>der</strong> fehlt ganz. Oftmals wird dasLesen im Rahmen von Supplierstunden sporadischtrainiert. Dabei werden einzelne Aufgabenaus methodisch-didaktischer Unerfahrenheitnicht als ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung<strong>der</strong> Lesekompetenz verstanden, son<strong>der</strong>nnur als ein Beitrag, <strong>der</strong> den Schülern Spaß undFreude macht und sie beschäftigt. Der nähereSinn und die Bedeutung für das Lernen wirdnicht transparent gemacht, ein individuellerbzw. differenzieren<strong>der</strong> Einsatz nicht angestrebt.„Ein gezieltes Lesetraining leistet aber eine solideBasisarbeit (…), indem Wahrnehmungsgenauigkeit,Wahrnehmungsgeschwindigkeit,Konzentration, logisches Verknüpfen undSprachgewandtheit als eine beson<strong>der</strong>e Form desLernen-Lernens geübt werden können“ (KLEE-DORFER, J. (1993), S. 175).Die kompetente Nutzung von Sachtexten ist fürdie Schüler auf <strong>der</strong> Sekundarstufe I beson<strong>der</strong>swichtig, ist doch diese Textsorte in vielen Unterrichtsfächernoftmals die Informationsquelleschlechthin. Dazu sind aber die entsprechendenStrategien nötig, die im Unterricht allerUnterrichtsfächer vermittelt werden sollten. Diefür Lehrer/innen selbstverständliche Fähigkeit<strong>der</strong> Textrezeption ist bei vielen Schülern nurrudimentär ausgebildet, spezifische Arbeitsweisenwie das sparsame, systematische Markierenund das Herausfiltern zentraler Wörter nichtbekannt und nicht trainiert. Doch nur durch dieentsprechenden Strategien erhält je<strong>der</strong> Schüler/jede Schülerin die Kompetenz, den eigenenLernprozess selbstständig zu gestalten und sichWissen aktiv anzueignen, denn „sich Informationenin eigenständiger, zielstrebiger und wirksamerWeise beschaffen zu können ist eineGrundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen“(KLIPPERT, H. (1998), S. 85).Aus – und FortbildungEine gezielt aufgebaute För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lesekompetenzbedarf jedoch auch einer gezieltaufgebauten Aus- und Fortbildung <strong>der</strong> Lehrerund Lehrerinnen aller Unterrichtsfächer. Manmuss sie mit <strong>der</strong> Didaktik und Methodik einerbereichs- und fächerübergreifenden Leseerziehungvertraut machen, ihnen gezielte Diagnosemöglichkeitenfür das Arbeiten mit den Schülern/innen geben und sowohl Möglichkeiten<strong>der</strong> Schulung <strong>der</strong> Lesefertigkeit als auch <strong>der</strong>Lesefähigkeit vermitteln. Beson<strong>der</strong>e Beachtungsollte dabei <strong>der</strong> Aufbau einer altergemäßen Texterschließungskompetenzim Zusammenhangmit <strong>der</strong> Nutzung <strong>der</strong> Neuen Medien finden.Beispiel für eine <strong>der</strong>artige - gezielt aufgebaute -Fortbildung ist <strong>der</strong> - im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Wiener</strong>Leseinitiative - vom Pädagogischen Institut <strong>der</strong>Stadt Wien initiierte und vom Verlag öbv&hptim Sinne <strong>der</strong> oftmals gefor<strong>der</strong>ten Partnerschaftmit außerschulischen Institutionen mitfinanzierteAkademielehrgang „Kannst du lesen –kannst du lernen“ (Details unter www.piwien.at/interplus/leselehr.html).Ziel diesesAusbildungslehrgangs ist es, Lehrer und Lehrerinnenzu fachkundigen Lesedidaktikern/innen auszubilden, die die Entwicklung einerschulischen Lesekultur kompetent unterstützen.34 <strong>Journal</strong> /:


ZUKUNFTSINVESTITION LESEFÖRDERUNGIn die Zukunft investierenGezielte Leseför<strong>der</strong>ung kostet. Nicht nur Engagement,Zeit und Geduld, son<strong>der</strong>n vor allemauch Geld und Ressourcen. Doch es wäre eineInvestition in die Zukunft: Eine Investition, dieIndividuen, Wirtschaft und Gesellschaft zu gutekäme!gogische Berufe. Pädagogische Reihe des <strong>Zentralverein</strong>s<strong>der</strong> <strong>Wiener</strong> <strong>Lehrerschaft</strong>, Wien, 2003. S. 158 – 164.WEHLEND, G.: Methodenelemente <strong>der</strong> Leseerziehung.Unveröffentlichte Dipl. Arb. Uni Wien, 1999.WEHLEND, G.: Trainingscurriculum zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>Lesekompetenz. Unveröffentlichte Diss. Uni Wien, 2003.WEHLEND, G.: Verstehst du was du liest? Lesen undVerstehen im Schulalltag. Ideen und Anregungen zumUmgang mit Informationstexte. In: GW- Unterricht Nr.88/2002, S. 33-39.LiteraturASTLEITNER, D. & WEHLEND, G.: I wer’ narrisch –1: 0 für Österreich o<strong>der</strong> Die Konsequenzen aus PISA. In:PI-News. Son<strong>der</strong>ausgabe Lesedialog. Wien, 2003, S. 3.BÖCK, M.: Lesegewohnheiten, Lesesozialisation und Leseför<strong>der</strong>ung.In: HAIDER, G. & LANG B. (Hg): PISAPLUS 2000. Nationaler Bericht. Studienverlag, Innsbruck,2001, S. 25-103.DEUTSCHES PISA-KONSORTIUM (Hg): PISA 2000.Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalenVergleich. Leske und Budrich, Opladen,2001.FALSCHLEHNER, G.: Vom Abenteuer des Lesens. Residenz,Salzburg, 1997.GROEBEN, N. u.a. (Hg): Lesekompetenz. Bedingungen,Dimensionen, Funktionen. Juventa, Weinheim, 2002.GRUNDSATZERLASS LESEERZIEHUNG. Erlass desBundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten,GZ 29.540/4-V/3c/99. BMUK, Wien, 1999.KLEEDORFER, J.: Projektreflexion aus <strong>der</strong> Sicht des Praktikers.In: VANECEK, E. (Hg): Schulische Leseför<strong>der</strong>ung.Lang, Frankfurt, 1993, S.165-176.KLIPPERT, H.: Methodentraining. Beltz, Weinheim,1998.MENZEL, W.: Lesen lernen dauert ein Leben lang. PraxisDeutsch, 2002/176, 29. Jahrgang, S. 20-24.RING, K.: Resolution zur Lese- und Medienkultur heute.In: RING, K.(HG): Lesen in <strong>der</strong> Informationsgesellschaft– Perspektiven <strong>der</strong> Medienkultur. Nomos, Baden-Baden,1997, S.155-158.SCHMALOHR, E.: Das Erlebnis des Lesens. Grundlageneiner erzählenden Lesepsychologie. Klett-Cotta, Stuttgart,1997.SCHÖN, E.: Zur aktuellen Situation des Lesens und zurbiographischen Entwicklung des Lesens bei Kin<strong>der</strong>n undJugendlichen. Oldenbourg, München, 1996.VANECEK, E.(Hg): Schulische Leseför<strong>der</strong>ung. Peter Lang,Frankfurt, 1993.WEHLEND, G.: „Der Schulunterricht verleidet Kin<strong>der</strong>ndie Lektüre!“ versus „Lesen ist ein Wun<strong>der</strong>!“. In: Erziehungund Unterricht. 1-2/2003, S.88-93.WEHLEND, G.: 1: O für Österreich o<strong>der</strong> die Konsequenzenaus <strong>der</strong> PISA-Studie. Europäische Konzepte zur LeseundSprachför<strong>der</strong>ung im Vergleich. Materialien zur Schulentwicklung.Hessisches Landesinstitut für Pädagogik,Heft 37/2004, S. 19 – 22, S 65-74.WEHLEND, G.: Lesen geht uns alle an. In: WEHLEND,G. u.a.: Kin<strong>der</strong> ins Zentrum einer Hochschule für päda-Rote über Bücher:Foto: OtratowitzArbeiterbüchereien entstanden inden Bezirken.Sehr viele junge Menschen suchtensie auf. In <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Arbeitslosigkeitwaren diese Büchereiengeradezu Oasen in <strong>der</strong> Wüste.Verzweifelte Jugendliche kamen,saßen an den Tischen, auf denenZeitungen und Zeitschriften lagen,lasen sie und besprachen siemiteinan<strong>der</strong> und mit uns, wenn wirgerade Zeit hatten. Wir wurdenihre Freunde. Die Bücherei empfandensie als ihr zweites Heim.Ein- bis zweimal wöchentlich gabes Dichterlesungen. Friedrich Torberg,Hugo Bettauer lasen aus ihrenWerken. (KLEIN-LÖW, Stella:Von er Vision zur Wirklichkeit - von<strong>der</strong> Wirklichkeit zur Vision. S. 27.)<strong>Journal</strong> /:35


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Das Lesen medialer Texte entspricht aberauch einer Spurensuche zum Entdecken <strong>der</strong>Beweggründe in <strong>der</strong> Berichterstattung.Erziehung zuDemokratie mitPrintmedien –Zwischen den Zeilenlesen lernenBei <strong>der</strong> Arbeit mit Zeitungen dient <strong>der</strong> Vorgang des Lesens demErwerb von Informationen.„Es muss immer das Moment <strong>der</strong> Sinnentnahme, das Dekodieren,hinzukommen, damit von Lesen als einem Prozess <strong>der</strong>Verständigung, <strong>der</strong> Übermittlung von Informationen, von Inhaltengesprochen werden kann“ (Altenburg 1991, S.7).von Angela Forstner-Ebhart,M.Ed. Sie ist Professorin amSchulpraxiszentrum <strong>der</strong> Päd.Akademie des Bundes in WienBedingungen und Leistungen imLeseprozessLesen erfor<strong>der</strong>t zentrale Bedingungen, die von<strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Leser/innen, <strong>der</strong> Verständlichkeitdes Textes und <strong>der</strong> zu entnehmenden Informationabhängen.Der Leser o<strong>der</strong> die Leserin determiniert denLesevorgang auf Grund seiner/ihrer individuellen Kommunikationsstruktur,die sich aus <strong>der</strong> Lesefertigkeit, dem Interesseam Text und den individuellen Sozialisationsbedingungenzusammensetzt.Die Verständlichkeit des Textes ist abhängig von<strong>der</strong> Sprachstruktur, <strong>der</strong> verwendeten Syntaxund den darin enthaltenen Begriffen. Die Aufbereitung<strong>der</strong> Information wird vom Sen<strong>der</strong>entsprechend seiner Intention geleistet.Der Leseprozess ist vielschichtig kognitiv, weilmehrere Teilleistungen gleichzeitig gefor<strong>der</strong>twerden. Während des Leseablaufs wird ein Satzbei <strong>der</strong> Aufnahme bereits gedanklich ergänzt,die Vermutungen schließen an bereits existierendeErfahrungen an. Dieser Vorgang <strong>der</strong> „Antizipation“(Altenburg 1991, S.8) for<strong>der</strong>t eine36 <strong>Journal</strong> /:


ERZIEHUNG ZU DEMOKRATIEformulierte Vermutung, welche im Anschlussin <strong>der</strong> Weiterführung des Textes gesucht wird.Wenn sich die Vermutung nicht bestätigt, musseine Vorstellung von <strong>der</strong> weiteren Textaussagevorhanden sein, die inhaltliche Aussage wirdsonst nicht verstanden (vgl. Altenburg1991,S.8f). Die Teilleistungen im Leseprozessfügen sich sehr schnell ineinan<strong>der</strong> und werdenunbewusst angewendet.Für die Leseerziehung in <strong>der</strong> Schule ist die Arbeitan Texten zu bevorzugen, weil diese einenZusammenhang bieten, aus dem auch unbekannteWörter erschlossen werden können.Mediale Texte weisen zudem den Vorteil auf,dass <strong>der</strong> Aktualitätsbezug zum Alltag hergestelltwerden kann, somit darf das Lesen imUnterricht nicht beim Schulbuch aufhören.Neue Begriffe aus dem Umfeld <strong>der</strong> Gesellschaftkönnen am besten durch eine kontinuierlicheNutzung <strong>der</strong> Printmedien in den individuellenWortschatz einfließen und sichern so das Verständnisaktueller Themen.Die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>Mediensozialisation durch denEinsatz <strong>der</strong> Zeitung imLeseunterrichtDie Funktionen des Lesens stehen in konstruktiverWechselwirkung mit an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong>Medienrezeption. Die Arbeit an Zeitungstextenim Unterricht soll <strong>der</strong> Optimierung <strong>der</strong> Mediensozialisationdienen. Die wachsende Abhängigkeitvon Informationen aus den Medien erfor<strong>der</strong>teinen kompetenten Umgang mit denNachrichten. Nur die Printmedien erweisen deneinzigartigen Vorteil <strong>der</strong> absoluten Zeit- undOrtsunabhängigkeit, die individuelle Dauer <strong>der</strong>Nutzung entscheiden allein die Rezipient/innen.Die Lesemotivation ist eine Grundbedingungfür den Erwerb einer Medienkompetenz. Schüler/innenmüssen am Zeitung lesen Spaß habenund lernen ihren individuellen Nutzen aus diesemMedium zu ziehen. Bei einer Überfor<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Schüler/innen o<strong>der</strong> fehlenden Möglichkeiten<strong>der</strong> Identifikation verringert sich dasInteresse an medialen Texten. Die Auswahl <strong>der</strong>Themen und Berichte sollte im günstigsten Fallmit den Schüler/innen gemeinsam erfolgen.Mediale Inhalte werden zur Orientierung in <strong>der</strong>Gesellschaft genützt, diese Funktion mussbereits im Unterricht bewusst werden.Eine einmal erworbene Lesefähigkeit und Lesebereitschaftbleibt auch später erhalten. Schüler/innendie zuhause nicht die Gelegenheit erhaltenan <strong>der</strong> Nutzung <strong>der</strong> Printmedien zu partizipieren,müssen umso mehr die För<strong>der</strong>ungim Unterricht erfahren. Der Unterricht mussdeshalb auch bei den Lesegewohnheiten intervenieren,ein häufiger Einsatz medialer Texteverdeutlicht erst die Vielfältigkeit <strong>der</strong> Funktionenvon Printmedien.Zeitungen bieten die Möglichkeit des Wissenserwerbsund <strong>der</strong> Unterhaltung. Das Lesen vonBerichten verhilft dem Erfassen <strong>der</strong> Identität,dem Einordnen <strong>der</strong> eigenen Person in das Gefügedes Gesellschaftssystems und dem Beziehenvon Position, was erst durch Betroffenheitnotwendig wird. Die Kommunikationsfähigkeitwird mit medialen Texten geschult, weil dasDekodieren meinungsprägen<strong>der</strong> Elemente zueiner mehrperspektivischen Sicht von Problemenführt. Das Ziel am Horizont <strong>der</strong> Medienpädagogikist immer die kritisch kompetenteMediennutzung, diese kann nur durch das Analysierenmedialer Argumente erreicht werden.Die verschiedenen Aktionsfel<strong>der</strong> für die Nutzungvon Zeitungsinhalten bieten für die Gestaltungdes Unterrichts zahlreiche Möglichkeiten.Für die praktische Umsetzung und Anwendung<strong>der</strong> Zeitung im Leseunterricht helfenGratiszeitungen und Unterrichtsmaterialien zurFör<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lesekompetenz von Zeitung in<strong>der</strong> Schule (Forstner-Ebhart, A.: „Spurensuche- Mit Methode durch die Zeitung“, ZiS, 2004 –www.zis.at).Didaktische Strategien zurLeseför<strong>der</strong>ung vonZeitungstextenDie Bedeutung des seitenweisen linearen Lesensreiner Schrifttexte nimmt bei <strong>der</strong> Informationsaufnahmeim Alltag immer stärker ab. Nebendem traditionellen Lesen gewinnt das medialeo<strong>der</strong> hypertextgesteuerte Lesen an Bedeutung,das ist die Lesart um sprunghaft, parallel undrasch Inhalte aufzunehmen. Das Lesen <strong>der</strong> Zeitungdient <strong>der</strong> raschen Beschaffung von aktuellenInformationen des Tagesgeschehens, dazuist beson<strong>der</strong>s die Lesefertigkeit des selektierendenund überfliegenden Lesens notwendig, geleitetvon Headlines, Anreißerzeilen und Bil<strong>der</strong>nerfolgt die erste Auswahl <strong>der</strong> Themen. Fürdas rasche Erfassen von Inhalten ist das Wissenüber die Gestaltung des Layouts, medienspezifischerRessorts und <strong>der</strong> Kenntnis über den Textaufbaujournalistischer Texte hilfreich. Eine ersteOrientierungshilfe, um Such- und Selektions-<strong>Journal</strong> /:37


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>strategien zu för<strong>der</strong>n, ist eine farbliche Differenzierungzur Ermittlung von Sinneinheiten.Lern- und verstehensstrategische Übungen helfenbeim Erfassen <strong>der</strong> thematischen Strukturvon Zeitungstexten. Eine Strukturanalyse wirdmit dem Markieren und Filtern von Schlüsselwörternund dem Ermitteln von Überschriftenzwischen den Absätzen durchgeführt. Die detaillierteErarbeitung <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung eines Textesist unbedingt notwendig bei <strong>der</strong> Dekodierungschwieriger Inhalte um einer Überfor<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Schüler/innen entgegenzusteuern.Der Einsatz <strong>der</strong> verschiedenen Lesarten för<strong>der</strong>tden Erwerb eines situativ entsprechenden Problemlösungspotenzials.Lesen ist eine kreativkonstruktiveTätigkeit, die dem jeweiligenZweck entsprechend gestaltet ist. Das konsultierendeLesen, welches aus ausgewählten Textstellenbestimmte Informationen sucht, ist fürdie spezifische Informationssuche zu för<strong>der</strong>n.Für eine intensive emotionale und kognitiveAuseinan<strong>der</strong>setzung mit Inhalten wird das analysierende,interpretierende und kommentierendeLesen zu weiteren kritischen Fragestellungenführen. Das Einbringen von Assoziationenund einer individuellen Sicht <strong>der</strong> Sachverhalteerweitert den inhaltlichen Textrahmen undschafft interaktive „Denkgebäude“.Die sinnerfassende Lesefähigkeit ist von <strong>der</strong>Lesefertigkeit abhängig, denn <strong>der</strong> Überblicküber einen Satz ist nur gewährleistet, wenn erals Sinneinheit erfasst wird. Eingestreute Leitfragenschulen das Sinnverständnis und för<strong>der</strong>naktives Lesen, dadurch ergeben sich eine Erweiterungdes Kontexts und ein Weiterdenken inneuen Sinnzusammenhängen. So kann die Qualifikationerworben werden sich zu aktuellenThemen selbstständig Gedanken zu machen.Die Ausprägung einer Lesekompetenz entwickeltsich in verschiedenen Stufen, die vom oberflächlichenVerständnis bis zur flexiblen Nutzungkomplexer Texte reichen.Für die Arbeit mit Zeitungen ist das Erreicheneiner Lesekompetenz, die zum Lesen zwischenden Zeilen befähigt, das Ziel. Schüler/innen sollenZusammenhänge rekonstruieren könnenund Ausdrucksdifferenzierungen wahrnehmen.Wenn sie diesen kritischen Blick beherrschen,werden sie später nicht am Gängelband journalistischerMeinungsmacher baumeln. Es mussunser Ziel sein, dass sie versuchen, sich aus verschiedenenkolportierten Aussagen eine eigeneMeinung zu bilden.Häufige detaillierte Analysen verhelfen Signalein Texten aufzuspüren, welche für die Wirkungmaßgeblich sind. Grundsätzlich ist bei <strong>der</strong>medialen Texterschließung zu fragen, was mit<strong>der</strong> Information vermittelt werden soll undwelche Perspektive die <strong>Journal</strong>ist/innen bevorzugen.Für das Erfassen <strong>der</strong> Darstellung vonPersonen und Orten müssen die spezifischenMerkmale, die akzentuiert vermittelt wurden,erkannt werden. Die Aneinan<strong>der</strong>reihung <strong>der</strong>Geschehnisse wird mit einer Glie<strong>der</strong>ung bei <strong>der</strong>Textanalyse strukturiert. Die Frage, ob im Mittelpunkt<strong>der</strong> Berichterstattung <strong>der</strong> Handelndeo<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betroffene steht, kann mit dieser Glie<strong>der</strong>ungerforscht werden. Die Satzkonstruktionenund die Wortwahl sind auf ihre Wirkunghin zu überprüfen. Dieses Aufschlüsseln einesTextes bietet eine Möglichkeit die Bedeutung<strong>der</strong> Sprachstruktur auf die Wahrnehmung zuerkennen.Bei <strong>der</strong> Erschließung von Inhalten muss somitnach <strong>der</strong> Lektüre <strong>der</strong> Weg zurück gegangenwerden, das heißt von <strong>der</strong> Wirkung des Textesüber das assoziierte Bild zur Sprache, die diesesBild in den Köpfen <strong>der</strong> Leser und Leserinnenerzeugte. Dieser Vorgang för<strong>der</strong>t einen komplexenLernprozess und bringt uns dem Ziel zurdemokratischen Erziehung näher.LiteraturDieser Artikel ist teilweise ein Auszug aus <strong>der</strong> Diplomarbeitzum M.Ed.: Forstner-Ebhart, A.: Die Zeitung lesenlernen – Entwicklung kommunikativer Kompetenz mitPrintmedien, Wien 2004.Altenburg, Erika: Wege zum selbstständigen Lesen. 10Methoden <strong>der</strong> Texterschließung.- Frankfurt am Main:Cornelsen Scriptor, 1991.Fritz, Angela: Lesen im Medienumfeld. Eine Studie zurEntwicklung und zum Verhalten von Lesern in <strong>der</strong> Mediengesellschaftauf <strong>der</strong> Basis von Sekundäranalysen zurStudie „Kommunikationsverhalten und Medien“.- Gütersloh:Bertelsmann Verlag, 1991.Klippert, Heinz: Methodentraining. Übungsbausteine fürden Unterricht, 8. Auflage.- Weinheim und Basel: BeltzVerlag, 1998.Moritz, Peter: Kritische Kompetenz (1999). http://www.mediamanual.at/mediamanual/themen/pdf/kompetenz/27moritz.pdf(2002-04-14)38 <strong>Journal</strong> /:


GEDENKTAFEL OTTO GLÖCKELGedenktafel - angebracht am eh. Stadtschulrat -Dr. Karl Renner Ring<strong>Journal</strong> /:39


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Gedankensplitter zum Werteverfall und <strong>der</strong>Notwendigkeit von Disziplin in <strong>der</strong>PädagogikErziehung ohneGewähr?Schlagwörter wie Freiheit, Selbstständigkeit,Eigenverantwortung, Individualität und ähnliche Euphemismenprägen schon länger die Diktion des sich fortschrittlichwähnenden bildungspolitischen Zeitgeists. Während dieSpaßpädagogik boomt und <strong>der</strong> Unterricht gar nicht mehr offengenug sein kann, wird nicht zuletzt auch durch die Medien <strong>der</strong>Eindruck erweckt, dass die Lern- bzw. Arbeitseinstellung, aberauch das moralische Bewusstsein <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichenziemlich im Argen liegen.von Bernhard Thiel,M.Ed.Bernhard Thielunterrichtet ineiner Wierner KMS.Foto: OtratowitzPädagogen aller Alterstufen beklagen den zunehmendenVerfall <strong>der</strong> Disziplin und verweisen aufdie Problematik, nicht mehr auf einheitliche Wertvorstellungenzurückgreifen zu können. Dabeiist aber auch allen klar, dass die Ursache nicht(nur) bei den Kin<strong>der</strong>n zu suchen ist. „Gott ist tot!(…) Gott bleibt tot! (…) und wir haben ihn getötet,- ihr und ich!“ lautet jener Aphorismus, <strong>der</strong> dazupassend bei Friedrich Nietzsche vor rund 130 Jahrenzu finden ist. Als „Abschied vom Normativen“würden es transzendentalphilosophisch zuWerke gehende Pädagogen übernehmen. Tatsächlichscheint die Kompatibilität einer konsequentverfolgten Werteerziehung und <strong>der</strong> Anspruch,Disziplin als Grundlage von Erziehungund Unterricht mit Nachdruck einzufor<strong>der</strong>n, mitdem gegenwärtigen pädagogischen Weltbild nichtgegeben zu sein. Die sich uns aufdrängende Fragemuss nun aber lauten, ob man den Kin<strong>der</strong>nund in <strong>der</strong> Folge ihrer Gesellschaft tatsächlich etwasGutes tut, wenn man auf geordnete Strukturenbzw. Rahmenbedingungen und nachhaltigwirkende Disziplin in <strong>der</strong> Erziehung verzichtenmöchte. Die These ist uns nur allzu bekannt,weil davon auszugehen ist, dass ein für alle transparenterOrdnungsrahmen die Voraussetzung fürerfolgreichen Unterricht ist. Sich am Begriff <strong>der</strong>Disziplin zu stoßen gliche einem Verweilen impädagogischen Vernunftsabseits. Welcher schulischePraktiker würde sich schon gegen ein „aufOrdnung bedachtes Verhalten“ 1 , so die Definitiondes Begriffes, aussprechen wollen? Warum wäre40 <strong>Journal</strong> /:


ERZIEHUNG OHNE GEWÄHR ?<strong>der</strong> Terminus außerdem im Bereich des Sportszulässig und berechtigt, nur in <strong>der</strong> Pädagogik,wo es ebenso <strong>der</strong> Disziplin zum Erreichen bestimmterZiele bedarf, auf einmal verpönt? Nichtzuletzt soll uns auch durch die folgenden Zeilenbewusst werden, dass die Disziplinproblematikals Folge gesellschaftlicher wie auch pädagogischerEntwicklungen zu betrachten ist. Goethe sprächehier wohl von unbedacht herbeigerufenenGeistern, <strong>der</strong>er man sich nicht mehr so leicht befreienkönne.Reformpädagogische Ambitionen gingen bzw.gehen mit gesellschaftlichen Umbrüchen einher.Schon die klassischen Reformpädagogiken warenvon <strong>der</strong> Intention getrieben, eine neue gesellschaftlicheOrdnung etablieren zu wollen,welche sich nicht von <strong>der</strong> fortschreitenden Industrialisierungund <strong>der</strong> emotionslosen Kopflastigkeitdes Establishments dominieren ließ. 2Die Geburtsstunde <strong>der</strong> heutigen Spaßpädagogikhat damit geschlagen, obgleich sich die klassischenreformpädagogischen Entwürfekeineswegs in die Nähe unseres heutigen Zeitgeistphänomensbegaben. Ein Zitat Montessoris,„die diszipliniertesten Menschen sind die vollkommensten“(1987, S. 127), und die Vision Freinets,dass seine Schule <strong>der</strong> Zukunft „die diszipliniertestesein“ (1965, S. 17) werde spricht wohlBände. 3 Disziplin war demnach ebenso ein Anliegen<strong>der</strong> Reformpädagogiken. Lediglich dieErscheinungsformen, wie Disziplin erwirktwerden sollte, variierten in den unterschiedlichenAnsätzen. Der Stellenwert von Disziplinund die Strukturen des reformpädagogisch geführtenUnterrichts, welche die Kin<strong>der</strong> durchimmerwährende manuelle Aktivität in Schachhalten, gelten nur nebenbei erwähnt als dieWegbereiter <strong>der</strong> nationalsozialistischen Pädagogik.4Gerade nach dem zweitenWeltkrieg und den zahlreichengrößeren Konfliktherden,die noch bis zu denSiebziger Jahren (und länger)an <strong>der</strong> weltpolitischenTagesordnung standen,zeigte man sich wie<strong>der</strong> verstärktbemüht, dem vermeintlichenDrill in <strong>der</strong> Erziehungden Garaus zu machen.Als „antiautoritäreErziehung“ bzw. als „sozialintegrativerErziehungsstil“ aRote über Bücher:là Tausch und Tausch charakterisierte sich <strong>der</strong>nächste Feldzug gegen die Notwendigkeit vonDisziplin in <strong>der</strong> Erziehung. Jedoch half diese neueIdeologie nicht wirklich, <strong>der</strong> Erziehungsunsicherheitein Ende zu bereiten, welche sich in diesemZeitraum zunehmend in <strong>der</strong> Gesellschaft breitmachte. Ganz im Gegenteil, aus <strong>der</strong> Intentionheraus, den eigenen Kin<strong>der</strong>n eine an<strong>der</strong>e Kindheitzu bieten, als die eigenen Erfahrungen zeigten,intensivierte sich diese Unsicherheit und driftetegleichsam in eine Art pädagogische Lethargieab. 5Es gibt Pflichtübungen in mo<strong>der</strong>nerLiteratur Lesebücher als demonstrativunlustbetonte Sammelsurienmit gleichviel Textfetzen vonBruno Brehm bis Bert Brecht undwie<strong>der</strong> zurück. (NENNING, Günther:Rot und realistisch. Wien1973. S. 93.)Die pädagogischen Enkelkin<strong>der</strong> von Montessoriund Co. ließen nicht lange auf sich warten. DieKonzepte des Offenen Unterrichts betratengleichsam als eine Art Revival <strong>der</strong> klassischenVorläufer das Parkett <strong>der</strong> Schulpädagogik. SeitMitte <strong>der</strong> Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>tsstieg die Zahl an Publikationen zu dieser„Melange“ an Methoden, Konzeptentwürfenund Ideen, wie sich Schule doch lebenswerterrespektive „lebensnäher“ gestalten solle.Schließlich hielt dieses pseudodidaktischeBlendwerk auch in bildungspolitischen PapierenEinzug und war bestimmt, bald zum schulischenAlltag zu avancieren. Auf die Problematisierung<strong>der</strong> Fragwürdigkeit dieses Surrogatseiner ausgereiften didaktischen Theorie und despädagogisch zweifelhaften ideologischen Backgroundssoll an dieser Stelle verzichtet werden. 6Nichtsdestotrotz scheinen, wie die Gegenwartin diversen internationalen Vergleichsstudienunter Beweis stellt, auch diese Entwicklungenunseren Kin<strong>der</strong>n nichts Gutes getan zu haben.Die Offenheitsideologie trägt lediglich dazu bei,dass nun auch die professionellsten Pädagogennicht mehr wissen, nach welchen Kriterien sieunterrichten dürfen, müssen, sollen … . Darf ichden Kin<strong>der</strong>n noch den jeweiligen Gegenstanddidaktisch korrekt näher bringen, o<strong>der</strong> muss ichnoch auf die Schnelle gesellschaftlicherwünschteKompetenzen entfalten,lautet heutzutage die Frage,welche sich Lehrer imZuge ihrer Unterrichtsplanungstellen müssen.Auch die persönliche Erfahrungzeigt, dass dasKlima in Schulen bzw.Klassen, die in transparenten,aber wohl geordnetenStrukturen geführt<strong>Journal</strong> /:41


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>werden, um vieles erträglicher ist. Wertschätzungund Respekt, Authentizität und Sympathie, nachvollziehbareRahmenbedingungen und eine konsequenteHaltung sind Parameter einer für alleSeiten lebenswerten Schule. Je nach Kapazität desjeweiligen geistigen Potenzials müssen bei Verfehlungenmöglicherweise individuell adaptierte,transparente, aber pädagogisch begründbareSanktionen folgen. Die Schule bzw. ihre hervorragendenPädagogen können nicht jedes Schicksalbzw. jegliche (auch pädagogischen) Fehltritte<strong>der</strong> Vergangenheit mit einer lustvollen und anregendenSpaßpädagogik kompensieren. Wir unterrichtenja um <strong>der</strong> Bildung willen, möchte Schulenoch als Bildungsinstitution gelten wollen.Käme nun das Argument, Schule müsse sich aufdie Vorbereitung zur gesellschaftlichen Teilhabekonzentrieren, so sei hier die Lektüre von WolfgangFischers „Schule als parapädagogische Institution“7 empfohlen.In all den mo<strong>der</strong>nen pädagogischen Zeitgeistphänomenensetzt man auf Individualisierung,Eigenständigkeit o<strong>der</strong> auf die Fähigkeit des flexiblenSelbstmanagements. Zu vermissen bleibtdas, was Marian Heitger als den pädagogischenDialog bezeichnete. Übernommen hat er diesesystematisch begründete Notwendigkeit desLehrer-Schüler-Verhältnisses von dessen akademischemLehrer Alfred Petzelt: „Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist das Prinzip allen pädagogischenVerhaltens, welche Formen es auchimmer annehme, welche Gegenstände es auchimmer beträfe. In ihm stehen alle Ordnungsmomente<strong>der</strong> Bildung, d.h. alle pädagogischenGrundbegriffe.“ 8 Auf Grund42 <strong>Journal</strong> /:Rote über Bücher:<strong>der</strong> wirtschaftlich dominiertenAnsprüche an die gegenwärtigeneoliberal infizierte Pädagogikwird <strong>der</strong> Dialog stiefkindlichbehandelt. Man sollelediglich geeignete Lernsettingsarrangieren, um die eigenverantwortlicheAuseinan<strong>der</strong>setzungzu ermöglichen.Gerade in Zeiten zerrütteterFamilien, <strong>der</strong> Erfahrung vonsozial-emotionalen Defizitenund nicht zuletzt durch dasAufkommen neuer Technologien,die lei<strong>der</strong> oft mit einerSingularisierung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>einhergeht, fehlt diese soimmens wichtige Kommunikation,welche man sich zumeistspäter in Form von teuren Therapien nachkaufenmuss. Die grundlegenden Elemente despädagogischen Dialogs, das Erklären, Beschreiben,Fragen und Hinterfragen, die Argumentation unddas Reflektieren lassen verabschieden sich. Erstaus den Familien. Schließlich auch aus <strong>der</strong> Schule.Das sozial-familiär vereinsamte Kind, das stetsmit Fernsehen bzw. Internet vertröstet wurde,kommt in die Schule, wo es wie<strong>der</strong>um materialwucherndenund medial aufbereiteten Lernumgebungenausgesetzt wird, die zum selbstständigenund individuell bestimmten Arbeitenanleiten sollen. Und dann zeigen sich Bildungspolitikeraber auch so manche Pädagogen befremdet,wenn sich Kin<strong>der</strong> we<strong>der</strong> in geeigneterWeise artikulieren noch den Sinn eines Gesprächsbzw. Textstückes erfassen können? Nurlogisch, dass sich diese Defizite auch auf das Leseverhaltenausdehnen. Bezeichnen<strong>der</strong>weisegibt es dann aber diverse Kompetenztrainings,Lesepässe etc., welche diese Defizite kompensierenwollen.Dieses Essay sei we<strong>der</strong> als Plädoyer für denRohrstock noch als „Ode an den Karzer“ zu verstehen.Es geht schlichtweg um das, was unsallen bewusst ist und in vermeintlich progressiv-pädagogischenKreisen nur sehr verhaltenzum Ausdruck gebracht wird. Für einen erfolgreichenUnterricht bedarf es eines entsprechendenOrdnungsrahmens, welcher erst die Voraussetzungfür jegliche Form von Unterrichtbildet. Dabei ist ziemlich gleichgültig, welche Sozial-bzw. Arbeitsform in <strong>der</strong> Folge gewählt wird.Die interessierten Reformpädagogen dürfen alsonun wie<strong>der</strong> aufatmen.Indische Brahmanen sagten mir:Wir sind nicht so dumm unser Volkin Schulen zu schicken. Dort lernensie lesen und das erste wassie lesen sind kommunistischeHetzschriften. Kerala die Provinzmit <strong>der</strong> höchsten Alphabetisierungsratedank katholischer Missionsschulenhatte die erste gewähltekommunistische Regierungnatürlich wurde sie von <strong>der</strong> Zentralregierungabgesetzt. (NEN-NING, Günther: Rot und realistisch.Wien 1973. S. 91.)Die Frage, die wir uns allestellen ist jedoch, wie wirdiesen Rekurs auf dasNormative bewerkstelligenwollen. Wie bekommenwir den Schüler „vorden Richterstuhl seiner`Urteilskraft´“ 9 , wie Heitgerdas Ziel <strong>der</strong> NormativenPädagogik beschreibt?Die Theorie desNormativen beschreibt,die Sprösslinge durch eineentsprechende pädagogischeFührung dahingehendzu leiten, zwischenrichtig und falsch selbstunterscheiden zu können.Als pädagogische Hilfs-


ERZIEHUNG OHNE GEWÄHR ?mittel dienen dazu die Begründung und das Argument.Normativität hat hier die Bedeutung,das kritische Bewusstsein des Menschen zu entfalten,nicht ihm gesellschaftliche Normen unreflektiertübernehmen zu lassen. Nur auf dieseWeise erreicht man jene Form <strong>der</strong> Selbstbestimmung,welche dem Subjekt erlaubt, allein zwischenrichtig und falsch bzw. gut und böse differenzierenzu können. 10 Die dialogische Führungnach Heitger zielt darauf ab, dieses prinzipiell injedem Menschen angelegte Vermögen zum moralischenVerhalten zu för<strong>der</strong>n respektive dasNormative im Individuum aufzusuchen und gemeinsamzu entwickeln. 11 Bei allen Individualisierungsbestrebungendürfe man daher nicht aufdie individuelle Auseinan<strong>der</strong>setzung mit demKinde vergessen, die auf Grund <strong>der</strong> ständig wachsendenMannigfaltigkeit an unterschiedlichenAufgaben <strong>der</strong> Lehrer verdrängt wird. Hier sindwirklich qualitätsentwickelnde Maßnahmen erfor<strong>der</strong>lich,welche diese grundlegende pädagogischeTätigkeit wie<strong>der</strong> möglich machen. Weitausgeringere Klassenschülerzahlen (als <strong>der</strong>zeit vorgeschlagen),Stundenkontingente für individuelleGesprächsstunden, erweiterte Stundenkontingentefür Beratungslehrer und Psychagogen, vermehrteMittel für psychologische Beratungen inKrisenfällen wären hier als natürlich bekannteWege zur Besserung <strong>der</strong> Lage. Nicht zu vergessensei auch eine höher qualifizierte psychologischeAusbildung <strong>der</strong> Lehrer, um gewisse Anzeichenrechtzeitig zu erkennen und entsprechendkorrekt reagieren zu können. Es genügt scheinbartatsächlich nicht mehr, Schule als die Stättedes methodisch korrekt angeleiteten Lernens zubetrachten. 12 Dann jedoch wäre aus bildungspolitischerSicht dringend angesagt, den entsprechendenorganisatorischen Rahmen zu gewährleisten,welcher sowohl Schüler als auch Lehrer in ihrerschulischen Arbeit unterstützen. Wie die letztenZeilen aber einmal mehr herausstreichen, ist pädagogischeQualität vor allem auch eine finanzielleFrage.Bibliografie:Duden (2003): Das große Fremdwörterbuch, 3.überarb. Aufl.. – Mannheim et al.: Dudenverlag.Fischer, W. (1978) (Hg.): Schule alsparapädagogische Organisation. – Kastellaun:A. Henn Verlag.Göhlich, M. (1997a): Neue Reformpädagogikenversus klassische Reformpädagogiken.Gemeinsamkeiten und Unterschiede. – In: <strong>der</strong>s.(Hg.): Offener Unterricht, Community Education,Alternativschulpädagogik, Reggiopädagogik. Dieneuen Reformpädagogiken. Geschichte,Konzeption, Praxis. – Weinheim; Basel: BeltzVerlag, S. 11-25.Heitger, M. (1965): Die Bedeutung desNormativen für den Begriff <strong>der</strong> Pädagogik. – In:Vierteljahrsschrift für Pädagogik, 41. Jg., S. 113-116.Heitger, M. (1983): Beiträge zu einer Pädagogikdes Dialogs. – Wien: ÖsterreichischerBundesverlag.Hierdeis, H. (1971): Erziehung – Anspruch –Wirklichkeit VI. Geschichte und Dokumenteabendländischer Pädagogik. Kritik undErneuerung: Reformpädagogik 1900-1933. –Starnberg.Kau<strong>der</strong>, P. (1997): PrinzipienwissenschaftlicheSystematik und „Politischer Impetus“. EineUntersuchung zur Pädagogik Alfred Petzelts. –Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag.Lassahn, R. (2000): Einführung in diePädagogik, 9. Auflage. – Wiebelsheim: Quelleund Meyer.Petzelt, A. (1947): Grundzüge systematischerPädagogik. – Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.Pöppel, K. G. (1995a): Einführung in dieThematik des Gesprächs. – In: Pöppel, K. G.;Regenbrecht, A. (Hg.): Erfahrung undschulisches Lernen. Zum Problem <strong>der</strong> Öffnungvon Schule und Unterricht. MünsterscheGespräche zu Themen <strong>der</strong> wissenschaftlichenPädagogik, Heft 12. – Münster: AschendorfVerlag, S. XVI-XX.Thiel, B. (<strong>2007</strong>): Führung zur Selbstführungdurch Selbstmanagement. DasGegenwartsphänomen Offener Unterricht alssubtile Form <strong>der</strong> Disziplinierung. – Wien et al.:Lit Verlag. (in Druck)1 Duden 2003, S. 3502 vgl. Hierdeis 19773 zit. n. Göhlich 1997, S. 244 vgl. z.B. Kau<strong>der</strong> 19975 vgl. Göhlich 19976 vgl. dazu Thiel <strong>2007</strong>7 vgl. Fischer 19788 Petzelt 1947, S. 439 Heitger, o.J.; zit. in Lassahn 2000, S.10810 vgl. Lassahn 2000, S. 107ff.11 vgl. dazu Heitger 1965 bzw. Heitger 198312 vgl. Pöppel 1995<strong>Journal</strong> /:43


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>Der lange und bisher erfolglose Weg zuruniversitären Ausbildung aller Lehrer füralle Schultypen o<strong>der</strong>:Die „babylonische“Gefangenschaft <strong>der</strong>PflichtschullehrerausbildungimUnterrichtsressortLet my people go to the university !von Ortwin WingertWarum fürchtet die ÖVP eineakademischePflichtschullehrerbildungeigentlich?Das hat mehrere Gründe, sozusagen „Urängste“<strong>der</strong> konservativen Parteien:- weil damit eine Gleichstellung aller Lehrererreicht und eine höherwertige- universitäre Ausbildung <strong>der</strong> Lehrer anhöheren Schulen aufgegeben werden würde,- weil damit auch eine gemeinsame Schulefür die 10-bis 14-jährigen Schüler erreicht unddie bisherige Trennung in Hauptschule undAHS-Unterstufe aufgegeben werden würde,- weil damit auch ein Verlust <strong>der</strong> Einflussmöglichkeitin den Län<strong>der</strong>n, was die Aus- undFortbildung anlangt, befürchtet wird,weil abschließend eben „Elitelehrer“ für „ausgewählteSchüler“ und „einfache Lehrer“ fürdas „einfache Volk“ bleiben sollen. Die Schulesoll weiterhin eine Stätte <strong>der</strong> „Zuteilungschancen“bleiben. Wenn sich eine akademischePflichtschullehrerbildung etablieren sollte, dannsind diese letzten Bastionen <strong>der</strong> Erzkonservativendahin. Die Schule soll also weiterhin dieSchüler „sortieren“ müssen und dazu mussauch die <strong>Lehrerschaft</strong> für die einzelnen Schultypenunterschiedlich ausgebildet werden.44 <strong>Journal</strong> /:


DIE BABYLONISCHE GEFANGENSCHAFT DER PFLICHTSCHULLEHRERAUSBILDUNG1586:SchulmeistermandatPrüfung vor dem Pfarrer und <strong>der</strong>Obrigkeit <strong>der</strong> betreffenden Gemeinde(Ortsschulrat)ad 1775:Die Ausbildung beinhaltete “dieEigenschaften und Pflichten rechtschaffenerLehrer, die Sachen,darinnen sie unterweisen sollen,die Kenntnis <strong>der</strong> Methode, dieÜbung im wirklichen Unterweisen,das Nötigste von <strong>der</strong> Schulzucht,das Führen <strong>der</strong> Kataloge, dasBetragen bei Untersuchungen undwas Hauslehrer und Informatorenzu wissen nötig haben”.1775:Nach <strong>der</strong> allgemeinen Schulordnungvon Kaiserin Maria Theresia:Präparandenkurse und praktischeAusbildung in „Normalschulen“ mitabschließen<strong>der</strong> „Lehrerprüfung“vor einer Kommission (Bischof,Landesschulinspektor)1869:Reichsvolksschulgesetz4-jährige Ausbildung in einer Lehrerbildungsanstalt– nach Geschlechterngetrennt; beson<strong>der</strong>eLehrerkurse (pädagogische Seminare)an den Universitäten o<strong>der</strong>Technischen Hochschulen1938/1945:5-jährige Pflichtschullehrerbildung– nach 2 Jahren Praxis Lehrbefähigungsprüfungvor einer Kommissionunter dem Vorsitz des Landesschulinspektors– Hauptschullehramtim Selbststudium (in <strong>der</strong>Folge auch für Son<strong>der</strong>schulen undPolytechn. Lehrgänge) – 1-jährigeKurse für Maturanten1883/1919:Endgültige Trennung zwischenPflichtschullehrerausbildung (Lehrerbildungsanstalten<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> -Landeslehrer) und <strong>der</strong> universitärenAusbildung für Lehrer an höherenSchulen (Universität - Bundeslehrer);lediglich noch in Wien(Otto Glöckel) am PädagogischenInstitut hochschulmäßige KurseHintergrund: Umschlag „Kern des Methodenbuches, beson<strong>der</strong>s fürdie Landschulmeister in den kaiserlich königlichen Staaten“ vonJohann Ignaz Felbiger 1777<strong>Journal</strong> /:45


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>1962:Schulgesetzwerk (SchOG)für Pädagogische Akademien (4Semester) und LDG bzw. BDGeinschließlich einheitlicher Lehrverpflichtungund Bezahlung; „öffentliche“und „private“ (katholische)Lehrerbildung aufgrund desPrivat-Schulgesetzes und desKonkordates (Vertrag mit demHeiligenStuhl)und <strong>der</strong> 2/3-Mehrheit für Schulgesetze:· die SPÖ sicherte sich die„qualifizierte Mitsprache“· die ÖVP verhin<strong>der</strong>te die allgemeineMittelschule/Weiterbestand<strong>der</strong> Volksschul-Oberstufedie „Mutter Kirche“ sicherte sichdie staatlichen Finanzen und denReligionsunterrichtad 1962:„Die Pädagogischen Akademienhaben gem. § 118 unter Bedachtnahmeauf § 2 des Schulorganisationsgesetzesdie Aufgabe, aufbauendauf dem Bildungsgut einerhöheren Schule, Volksschullehrer,Hauptschullehrer, Son<strong>der</strong>schullehrerund Lehrer für Polyt.Lehrgänge heranzubilden, dienach Berufsgesinnung, Berufswissenund Berufskönnen geeignetsind, die Aufgaben des Lehrberufeszu erfüllen. Als Experte desErziehens und Unterrichtens undals aktives Mitglied einer demokratischstrukturierten Gesellschaftsoll <strong>der</strong> Lehrer eine Dienstleistungerbringen können, die durch Vorbild,erzieherische Entscheidungsreifeund didaktische Urteilsfähigkeitbeson<strong>der</strong>s gekennzeichnet ist.Dazu bedarf es auch <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklungin <strong>der</strong> Ausbildungszeit. Inhalteund Methoden <strong>der</strong> Ausbildunghaben sich an <strong>der</strong> zukünftigenBerufstätigkeit als Lehrer und alsPartner <strong>der</strong> Eltern zu orientieren.“1968:1971:4-semestrige Ausbildung für Lehreran Volksschulen6-semestrige Ausbildung für Lehreran Hauptschulen und PolytechnischenSchulen46 <strong>Journal</strong> /:


DIE BABYLONISCHE GEFANGENSCHAFT DER PFLICHTSCHULLEHRERAUSBILDUNGSTICHWORT/1982:6-semestrige Ausbildung für Lehreran Volksschulen und an Son-1999:SPÖ/ÖVP-Ministerratsbeschluss:Bundesgesetz über die Studien anAkademien und über die Schaffungvon Hochschulen für pädagogischeBerufe(Akademie-Studiengesetz AStG)1985:Auslaufen <strong>der</strong> Arbeitslehrerinnen-Ausbildung und Integration in diePädagogische Akademiead 1999:1986 – 1998:Versäumte Gelegenheiten für dieEinführung <strong>der</strong> universitären Ausbildungfür alle Lehrer an allenSchultypen: UOG, FHStG, UniStG* Der Bund wird innerhalb vonacht Jahren hochschulische Einrichtungenfür die Ausbildung <strong>der</strong>Pflichtschullehrer schaffen.* An diesen Hochschulen sollenauch Angebote für die Ausbil-2006:ÖVP/FPÖ: Bundesgesetz: PädagogischeHochschulead 2006:· Keine wesentliche Än<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Pädagogischen Akademie –sowohl in studienrechtlicher, organisatorischerund dienstrechtlicherHinsicht.Das Idealbild <strong>der</strong> Lehrerin <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> von „nie<strong>der</strong>en Ständen“ist die „katholische Lehrerin“ wie <strong>der</strong>einst 1586, durch denOrtsschulrat ausgewählt und bestellt, von den dörflichenObrigkeiten (Pfarrer, Bürgermeister, Apotheker…) beobachtet undvom Land bezahlt. Hier schließt sich <strong>der</strong> Kreis?!<strong>Journal</strong> /:47


JOURNAL /: PERSPEKTIVE DES ZENTRALVEREINS DER WIENER LEHRERINNEN - WWW.ZV-WIEN.AT JÄNNER <strong>2007</strong>PABLO NERUDAOde an das BuchOde an das Buch,herrliches Buch,du winziger Wald,Blatt an Blatt,nach Urstoff duftet dein Papier,morgendlich bist du und nächtlich,kornhaft und ozeanisch,Bärenjäger füllten deine uralten Seiten,offenes Feuer am Mississippi,Kanus auf den Inseln,später Wege und Wege,Entdeckungen,Völker im Aufruhr,wie ein bluten<strong>der</strong> verwundeter Fischzuckend im Schlamm: Rimbaud,und die Schönheit <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit,Stein um Stein erhebt sich das Menschenschloß,Schmerzen weben die Standfestigkeit,solidarische Taten,geheimes Buch von Tasche zu Tasche,heimliche Leuchte,blutroter Stern.Wir,die wan<strong>der</strong>nden Dichter,erforschen die Welt,an je<strong>der</strong> Tür empfing uns das Leben,wir nehmen Teil am irdischen Kampf.Und was war unser Sieg?Ein Buch,ein Buch, menschlicher Berührungen voll,wimmelnd von Hemden,ein Buch ohne Verlassenheit,mit Menschen und Werkzeug,ein Buch ist <strong>der</strong> Sieg.Es gedeiht und fällt wie alle Früchte ab,nicht Licht nur bringt es,nicht Schatten nur,es verlischt und entblättert,geht in den Straßen verloren,sinkt auf die Erde nie<strong>der</strong>.Dichtwerk von morgen,wie<strong>der</strong>um auf deinen Seitensollst du Schnee haben und Moos,auf dass ihre Spuren einprägenSchritte und Augen:Von neuem beschreib uns die Welt,die Quellen im Dickicht,den Hochwald,die polaren Planeten,und auf den Wegen, den neuen Wegenden Menschen,vorwärts eilend in <strong>der</strong> Wildnis,auf dem Wasser,im Himmel,in <strong>der</strong> nackten Meereseinsamkeit,den Menschen,<strong>der</strong> die letzten Geheimnisse enthüllt,den Menschen,heimkehrend mit einem Buch,den Jäger nach <strong>der</strong> Rückkehr mit einem Buch,den pflügenden Bauern,mit einem Buch.Aus: PABLO NERUDA - IN DEINEN TRAUMENREIST DEIN HERZEinhun<strong>der</strong>t Gedichte - Herausgegeben von Fritz RudolfFries Luchterhand, München 2004(Pablo Neruda - Literatur-Nobel-Preis 1971)48 <strong>Journal</strong> /:

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