13.07.2015 Aufrufe

Handlungsleitlinien zur Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII

Handlungsleitlinien zur Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII

Handlungsleitlinien zur Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Standards für den Umgang mit unbegleitetenminderjährigen Flüchtlingen<strong>Handlungsleitlinien</strong><strong>zur</strong> <strong>Inobhutnahme</strong>gemäß § <strong>42</strong> <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>


ImpressumHerausgegeben vomBundesfachverband UnbegleiteteMinderjährige Flüchtlinge e.V.Nymphenburger Straße 4780335 MünchenFon 089 / 20 24 40 13Fax 089 / 20 24 40 15info@b-umf.dewww.b-umf.de4. überarbeitete AuflageMünchen, 2009Unterstützt durch Mittel desEuropäischen FlüchtlingsfondsUNHCRUNO-Flüchtlingshilfeterre des hommesFoto: marily stroux


<strong>Handlungsleitlinien</strong> <strong>zur</strong> <strong>Inobhutnahme</strong>gemäß § <strong>42</strong> <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>Bundesfachverband UnbegleiteteMinderjährige Flüchtlinge e.V.


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eInhaltI. Vorwort von Ekin Deligöz S. 3II. Präambel S. 5III. <strong>Handlungsleitlinien</strong> S. 91. Der Erstkontakt S. 92. Das Jugendamt S. 113. Unterbringung im Clearinghaus S. 144. Clearingverfahren S. 175. Vormundschaftsbestellung S. 206. Aufenthaltsrechtliches Clearing S. 227. Beendigung der <strong>Inobhutnahme</strong> S. 258. Kosten S. 25IV. Annex S. 262


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eI. VorwortEkin DeligözVORSITZENDE DER KINDERKOMMISSION DES DEUTSCHENBUNDESTAGESLaut UNHCR halten sich <strong>zur</strong>zeit etwa 220.000minderjährige Flüchtlinge in Deutschland auf.Darunter befinden sich schätzungsweise 6.000– 10.000 unbegleitete Minderjährige. Wir könnenuns kaum vorstellen, was in einem Kindvor sich geht, das unbegleitet, ohne Eltern oder Menschen, denenes vertraut, weitgehend auf unsicheren Wegen und nach zum Teillangen Irrfahrten Deutschland erreicht. Es kennt die Sprache nicht,weiß nicht wie die Menschen hier leben und was es nun erwartet.Wir können uns kaum vorstellen, was ein Kind auf seinem Weg erlittenhat, welche Verletzungen und Ängste es durchlebt hat und wietief die Traumata und die Entwurzelung das Kind künftig prägen.Dies alles können wir nicht ungeschehen machen, doch wir könnenhelfen. Wir können ihnen Schutz, Betreuung und Unterstützung zuteilwerden lassen.Seit dem 1. Oktober 2005 sind die Jugendämter gemäß § <strong>42</strong> Abs. 1Satz 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs <strong>VIII</strong> verpflichtet, unbegleitet eingereisteausländische Kinder oder Jugendliche in Obhut zu nehmen,wenn sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte in3


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eDeutschland aufhalten. Damit hat der Gesetzgeber insbesondereunbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein besonderes Schutzbedürfnisim Rahmen jugendbehördlicher <strong>Inobhutnahme</strong> zuerkannt,das sie aus den sonst üblichen asylrechtlichen Verfahren herausnimmt.Die <strong>Inobhutnahme</strong> liegt nicht im Ermessen des zuständigenJugendamts, sondern allein die Tatsachen der unbegleiteten Einreiseund der Minderjährigkeit ziehen die Handlungspflicht des Jugendamtsnach sich. Die hier vorgelegten <strong>Handlungsleitlinien</strong> <strong>zur</strong> <strong>Inobhutnahme</strong>unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge sind eine wichtigeHandreichung für alle diejenigen, die mit Kindern in solchen Notsituationenzu tun haben. Ich möchte dem Bundesfachverband UnbegleiteteMinderjährige Flüchtlinge e.V. für sein Engagement undseine politische Unterstützung auch im Ringen um eine Rücknahmeder deutschen Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonventionherzlich danken.4


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eII. PräambelDie zum 1. Oktober 2005 in Kraft getretene Neufassung des § <strong>42</strong><strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> steht am vorläufigen Ende einer langen politischen Diskussion<strong>zur</strong> Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen,die ohne Eltern oder andere Sorgeberechtigte ins Bundesgebiet eingereistsind. Im Mittelpunkt des gesetzlichen Auftrags steht dabeidie Einführung eines qualifizierten Clearingverfahrens 1 für alle unbegleitetenMinderjährigen. Dadurch ergibt sich eine deutliche Verbesserungder rechtlichen Situation von 16- und 17-Jährigen ohneEltern. Diese Neuerung wurde von einem breiten politischen Konsensgetragen, Bundestag und Bundesrat stimmten den Neuerungeneinstimmig zu. Vorangegangen waren eine Reihe von politischenSelbstverpflichtungen der Bundesregierung, eine mehrfach geäußerteKritik des UN-Kinderrechteausschusses an der deutschen Praxis,Vorgaben der Europäischen Union und eine breite fachliche Debattein zahlreichen Wohlfahrtsverbänden und Kinderrechtsorganisationen.Die wichtigsten Dokumente hierzu sind:- die UN-Kinderechtskonvention (UN-KRK), die grundlegend die Vorrangigkeitdes Kindeswohles festlegt. 2- die Concluding Observations des UN-Kinderrechteausschusses ausdem Januar 2004, die umfangreiche Empfehlungen enthält, derenUmsetzung für eine vollständige Entfaltung der UN-KRK in Deutschlandnötig wäre.1Clearingverfahren meint die Klärung der Situation und Perspektiven des UMF, die sich aus §<strong>42</strong> <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> Abs. 2 ergibt.2Das Kindeswohl ist ein zentraler Begriff, der auch in die relevanten EU-Richtlinien Einganggefunden hat und Rechtsgut mit Verfassungsrang ist.5


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e- der General Comment Nummer 6 des UN-Kinderrechteausschussesaus dem Jahr 2005 <strong>zur</strong> Behandlung unbegleiteter und von ihren Elterngetrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes, der die UN-KRK kommentiert und konkretisiert und die Erfahrungen der bisherigenUmsetzung sammelt.- die EU-Richtlinie 2003/9/EG DES RATES vom 27. Januar 2003 <strong>zur</strong>Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbernin den Mitgliedstaaten (Aufnahmerichtlinie).- die EU-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 überMindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigenoder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen,die anderweitig internationalen Schutz benötigen. In dieserRichtlinie werden die Inhalte des zu gewährenden Schutzes, welcheexplizit und verbindlich Standards für den Umgang mit UMF festlegen,geregelt.- der Nationale Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland2005-2010, der Maßnahmen zum Clearing, <strong>zur</strong> Erstversorgung, Vormundschaftsbestellung,altersgerechte Unterbringung und Bildungvorschlägt, die bislang durch die Vorbehaltserklärung <strong>zur</strong> UN-KRKunterbunden wurden.Nachdem das Gesetz <strong>zur</strong> Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe(KICK) und damit auch der neue § <strong>42</strong> <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> verabschiedetwurde, zeigte sich, dass die Umsetzung neue Anforderungen andie Verwaltungspraxis stellt. So bedarf es Veränderungen für die Zusammenarbeitvon Bundes- und Landesbehörden sowie der kommunalerVerwaltung. Denn obwohl es in einigen Bundesländernschon seit Jahren gemeinsame Erlasse von Sozial- und Innenministerienzum Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen 3 oder entsprechendeZuständigkeitsregelungen gibt, ist insbesondere das Zusammenwirkenvon Jugend- und Ausländerbehörden in einigen Regionennoch nicht eingespielt; bundesweite Standards fehlten bislang3Z.B. Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und NRW6


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m egänzlich. Nach nunmehr drei Jahren lassen sich in einigen Bundesländernpositive Veränderungen mit sehr unterschiedlichen Regelungen<strong>zur</strong> Zusammenarbeit der Behörden feststellen, während inanderen Ländern kaum Veränderungen stattgefunden haben. Dervorliegende Leitfaden ist die Grundlage für den Ablauf einer <strong>Inobhutnahme</strong>,die den rechtlichen Vorgaben genüge leistet und demAnspruch gerecht wird, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen.Abseits der politischen und verwaltungstechnischen Dimension solltenMitarbeiter von Jugendämtern, Ausländerbehörden, Wohlfahrtsverbändenund Jugendhilfeeinrichtungen sich stets bewusstsein, dass jede <strong>Inobhutnahme</strong> ein bedeutender Eingriff in das Lebeneines Jugendlichen darstellt. Der Eingriff ist dadurch gerechtfertigt,dass das Kindeswohl sichergestellt werden soll und darf daher nichtvon Verfahrenszwängen im Asylverfahren, aufenthaltsrechtlichenBelangen oder anderen vermeintlichen behördlichen Zwängen geprägtsein. Ungewohnten Wohn- und Lebensformen in der <strong>Inobhutnahme</strong>,die Konfrontation mit uns selbstverständlichen kulturellenBegebenheiten, der fremden Sprache, Essgewohnheiten, etc. stelleneine Herausforderung für viele Jugendliche dar. Andererseits könnender dem Jugendlichen gegenüber gezeigte Respekt und das entgegengebrachteVerständnis eine wichtige Stütze sein. Die <strong>Inobhutnahme</strong>nimmt dem oder der Jugendlichen Handlungsspielräumeund eröffnet auf der anderen Seite neue Gestaltungsspielräume ingeschützter Umgebung. Eine <strong>Inobhutnahme</strong> ist für die Jugendlichenwesentlich mehr als ein Verfahrensvorgang, hier beginnt vielmehrdie Ankunft in einer neuen Gesellschaft, in einer neuen Welt. Es istvon entscheidender Bedeutung für die weitere persönliche Entwicklungund jeglichen späteren Integrationsprozess, ob der jungeMensch die <strong>Inobhutnahme</strong> als Signal des Willkommenheißens verstehtoder als bloßen Verwaltungsakt.7


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eDaraus ergeben sich für uns drei elementare Forderungen:1. Das Kindeswohl und die Interessen des Kindes stehen im Prozessder <strong>Inobhutnahme</strong> im Vordergrund. Das Vorgehen der Behörden,beteiligten Institutionen und Personen hat sich hieranzu orientieren.2. Geltendes Recht muss in allen Bundesländern effektiv umgesetztwerden. Jedem Kind muss die <strong>Inobhutnahme</strong>, geeigneteUnterbringung und Betreuung ermöglicht werden.3. Clearingverfahren müssen bundesweit zum Standard bei der<strong>Inobhutnahme</strong> unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge gehörenund eine geeignete Infrastruktur ist dafür einzuführen.8


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e1. Erstkontakt1.1 Kommt ein Flüchtling, der nach Selbstauskunft unbegleitet undminderjährig ist und dies hinlänglich glaubhaft machen kann, in Kontaktmit einer deutschen Behörde oder Einrichtung (i.d.R. Polizei, Jugendamt,Ausländerbehörde, Aufnahmeeinrichtung), so ist unverzüglichdas Jugendamt zu benachrichtigen, in dessen Bereich er sichtatsächlich aufhält. 41.2 Der Jugendliche ist unmittelbar in die nächstliegende Clearingeinrichtungzu überführen, die auf die spezifischen Bedürfnisse vonunbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eingerichtet ist, und inder geeignete Bedingungen für eine <strong>Inobhutnahme</strong> und ein Clearingverfahrenvorzufinden sind (im folgenden: Clearinghaus 5 ). Inhaftierungensind grundsätzlich zu vermeiden. Auch findet zunächstkeine Verteilung nach dem Asylverfahrensgesetz 6 statt. Diese kanngegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden,soweit es dem Kindeswohl dient. 71.3 Der Jugendliche hat während des Erstkontakts die Möglichkeit,einen Asylantrag zu stellen. Dies ist jedoch nicht verpflichtend oderan Bedingungen geknüpft (wie die Aufnahme in einer Erstaufnahmeeinrichtungoder sonstige Leistungen). Der Jugendliche ist daraufaufmerksam zu machen, welche Möglichkeit ein aufenthaltsrechtlichesClearing vor einer möglichen Asylantragstellung bietet. 8 DieVerpflichtung <strong>zur</strong> <strong>Inobhutnahme</strong> gilt auch an den Grenzen der Bundesrepublik.Auch im Transitbereich von Flughäfen muss das Kindes-4§ 87 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>5In zahlreichen Bundesländern existieren diese Einrichtungen bereits. Die Einführung vonClearinghäusern in allen Bundesländern wäre wünschenswert und ist gemäß dem NatioanalenAktionsplan der Bundesregierung „Für ein kindergerechtes Deutschland“ auch Ziel derBundesregierung.6§ 46 AsylVfG.7Artikel 18 Abs. 1 und Artikel 19 Abs. 2 EU-Aufnahmerichtlinie8So sieht es der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung „Für ein kindergerechtesDeutschland“ vor, S. 75. und Art. 5 der EU-Aufnahmerichtlinie.9


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m ewohl Vorrang haben. Dieses kann nur durch eine umfassende <strong>Inobhutnahme</strong>,analog <strong>zur</strong> UN-Kinderrechtskonvention und EU-Aufnahmerichtlinieerfolgen. 91.4 Der Erstkontakt kann erfahrungsgemäß unter höchst unterschiedlichenVoraussetzungen stattfinden. Es besteht die Möglichkeit,dass der Jugendliche aufgrund der Fluchtursachen oder -umständetraumatisiert ist. Somit sollten Vorkehrungen getroffen werden,um während des Erstkontakts Bedingungen zu gewähren, diedem Schutz- und Hilfebedürfnis eines jungen Menschen entsprechen.1.5 Um einen gelungenen Erstkontakt sicherzustellen, der demSchutz- und Hilfebedürfnis eines jungen Menschen entspricht, müssendie zuständigen Stellen die nötige Qualifikation und Sensibilisierungerhalten. 10Leitlinien Erstkontakt• Das Jugendamt erfährt unverzüglich von jedem UMF• Der UMF wird in ein Clearinghaus überstellt• Keinem UMF darf die <strong>Inobhutnahme</strong> verweigert werden• Der Erstkontakt soll dem UMF Sicherheit und Schutz vermitteln9Art. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 18 Satz 1 EU-Aufnahmerichtlinie10Art. 24 EU-Aufnahmerichtlinie10


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e2. Das JugendamtDie <strong>Inobhutnahme</strong> durch das Jugendamt stellt eine der zentralenund gewichtigsten Maßnahmen <strong>zur</strong> Durchsetzung der staatlichenGarantenpflicht für das Kindeswohl dar. Sie umfasst die Befugnisdes Jugendamtes, den Jugendlichen bei einer geeigneten Person, ineiner geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform unterzubringen.11 Zugleich bedeutet die <strong>Inobhutnahme</strong> einen massivenEingriff in die elterliche Sorge. Dieser Eingriff ist nur zulässig beieiner ernsthaften Gefährdung des Kindeswohls. Der Gesetzgeberhat hierfür drei mögliche Voraussetzungen definiert:1. Eine massive Gefährdung des Kindeswohls etwa durch die eigeneFamilie.2. Die Bitte des Minderjährigen um den Schutz des Jugendamtes.3. Die unbegleitete Einreise eines minderjährigen Ausländers.Zuständig für die <strong>Inobhutnahme</strong> ist das örtlich zuständige Jugendamt.12 Als hoheitliche Aufgabe ist sie nicht auf freie Träger übertragbar.2.1 Als für die <strong>Inobhutnahme</strong> verantwortliche und federführendeBehörde muss das Jugendamt von allen anderen Behörden unverzüglichüber Aufgriff bzw. Einreise von unbegleiteten Minderjährigenin Kenntnis gesetzt werden. 13 Erfährt das Jugendamt von unbegleitetenminderjährigen Flüchtlingen, die sich in seinem Zuständigkeitsbereichaufhalten, so ist es berechtigt und verpflichtet, die In-11 § <strong>42</strong> Abs. 1 Satz 2 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>12§ 87 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>13 1§ 81 SBG <strong>VIII</strong>. In der Regel bestehen in den Kommunen bereits Absprachen zwischen Polizeiund Jugendämtern über konkrete Verfahrensabläufe bei der <strong>Inobhutnahme</strong>, zumal diesehäufig außerhalb der Dienstzeiten stattfinden. So ist etwa vorstellbar, dass die Polizei dieMinderjährigen direkt in die Schutzstelle verbringt und das Jugendamt per Fax über dieMaßnahme in Kenntnis gesetzt wird.11


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eobhutnahme unmittelbar und in jedem Fall zu veranlassen. Dies verpflichtetdas Jugendamt, unmittelbare Maßnahmen zum Schutz vonJugendlichen ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigen zu ergreifen.Die zum Teil angewandte Praxis, bei der die <strong>Inobhutnahme</strong>lediglich vorläufig unter der auflösenden Bedingung einer ausländerbehördlichenErsterfassung verfügt wird, ist rechtswidrig. 1<strong>42</strong>.2 Zu den ersten Maßnahmen der vom Jugendamt veranlassten <strong>Inobhutnahme</strong>zählen:a. Die Unterbringung in einem Clearinghaus, das von dem Jugendlichenals Schutzraum wahrgenommen werden kann und die Befriedigunggrundlegender physischer und emotionaler Bedürfnisse ermöglicht.b. Die Regelung der gesetzlichen Vertretung wird sofort eingeleitet.Ist der Personensorgeberechtigte nicht erreichbar, übt das Jugendamtbis <strong>zur</strong> Bestellung eines Vormunds oder vorläufigen Pflegers dasRecht der Beaufsichtigung, Erziehung und Aufenthaltsbestimmungaus.c. Mit der <strong>Inobhutnahme</strong> ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren <strong>zur</strong>Gewährung einer Hilfe einzuleiten. 152.3 Während das Jugendamt verantwortlich für die Durchführungund Sicherstellung der Schutzmaßnahme ist und zudem die Kostenträgt, können weitere Befugnisse und Aufgaben der <strong>Inobhutnahme</strong>auf anerkannte Träger der freien Jugendhilfe durch das Jugendamtübertragen werden. 162.4 Das Jugendamt hat während der <strong>Inobhutnahme</strong> zusammen mitdem Jugendlichen die Situation zu klären, die <strong>zur</strong> <strong>Inobhutnahme</strong> geführthat. 17 Dies setzt die Beteiligung des Jugendamtes am Clearing-14Eine Nebenbestimmung darf dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen, § 32Abs. 3 <strong>SGB</strong> X.15 § <strong>42</strong> Abs. 3 Satz 5 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>16§ 76 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>17§ <strong>42</strong> Abs. 2 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>12


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m everfahren voraus und meint insbesondere die Klärung des weiterenHilfebedarfs in Hinblick auf pädagogische, psychologische, medizinischeHilfe sowie den Bedarf an schulischer Förderung und Klärungder elterlichen Sorge. 18Leitlinien Jugendamt• Das Jugendamt ist die federführende Behörde.• Das Jugendamt veranlasst in jeden Fall sofortig eine <strong>Inobhutnahme</strong>und die Unterbringung in einem Clearinghaus.• Bis <strong>zur</strong> Bestellung eines Vormunds übt das Jugendamt diePersonensorge aus.• Das Jugendamt leitet ein Hilfeplanverfahren ein und trägt<strong>zur</strong> Klärung der Situation des Jugendlichen bei.18Vgl. Riedelsheimer, Albert/Wiesinger, Irmela (Hrsg.) (2004): Der erste Augenblickentscheidet. Clearingverfahren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge inDeutschland, Karlsruhe.13


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e3. Unterbringung im Clearinghaus3.1 Unmittelbar im Anschluss an den Erstkontakt sind UMF imnächstgelegenen Clearinghaus unterzubringen. Eine Asylerst-aufnahmeeinrichtungist keine geeignete Wohnform.3.2 Das Clearinghaus ist zuständig für die Unterbringung und die Sicherungder physischen und psychischen Grundbedürfnisse. Hierzuzählen auch die medizinische Versorgung, pädagogische Angebote,die Vermittlung der deutschen Sprache und damit der Beginn desZugangs zum Bildungssystem.a. Im Allgemeinen umfassen die Grundbedürfnisse eine ausgewogeneErnährung, angemessene Bekleidung, Entspannung, medizinischeVersorgung, einen eingerichteten Wohnraum, Kommunikation undsoziale Beziehungen. Grundbedürfnisse lassen sich schwer allgemeingültigdefinieren. Insbesondere hinsichtlich der Ernährungsgewohnheitenist die spezifische Lage der Jugendlichen und gegebenenfallsder Wunsch, die Herkunftsidentität zu pflegen, zu berücksichtigen.Den minderjährigen Flüchtlingen sollte in allen grundlegendenBelangen ein Mitspracherecht eingeräumt werden, insbesondereüber die Art der Deckung von Grundbedürfnissen. 19b. Medizinische Versorgung meint in erster Linie, dass unmittelbarnach der Ankunft die gesundheitliche Situation des Jugendlichen geklärtwerden sollte und dem Jugendlichen während seines Aufenthaltsim Clearinghaus die Gelegenheit geboten wird, einen Arzt/eineÄrztin zu konsultieren. Im Verlauf des Clearingverfahrens wird derweitere medizinische und therapeutische Bedarf geklärt.c. Zentrales Ziel des gesamten Begleitungsprozesses ist die Wahrungdes Kindeswohls. Daran haben sich auch die pädagogischen Angebotezu orientieren. Für sie gelten das Förderungs- und das Kontinuitätsprinzip:Förderung meint Betreuung und Bildung, um die in-19vgl. § 8 Abs. 1 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> und Art. 14 Abs. 6 EU-Aufnahmerichtlinie, KRK Art. 12-15, 1714


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m edividuellen Fähigkeiten zu stärken, um gemeinsam mit dem Flüchtlingzeitnahe Perspektiven für die Lebensgestaltung zu erarbeitenund den Jugendlichen zu unterstützen, mit der ungewohnten Situationfertig zu werden. 20 Das Ziel der Jugendhilfe ist immer auch, bestehendeBenachteiligungen abzubauen, insbesondere solche dieaufgrund des Geschlechts oder der Herkunft bestehen. 21 Kontinuitätmeint, dass es dem Jugendlichen ermöglicht werden muss, persönlicheBeziehungen und Vertrauens-verhältnisse aufzubauen und demJugendlichen eine vertraute Umgebung zu bieten. Um die Minderjährigennicht weiter zu destabilisieren, ist von einem Ortswechselwährend der <strong>Inobhutnahme</strong> abzusehen. 22d. Die Vermittlung der deutschen Sprache setzt unmittelbar nachder <strong>Inobhutnahme</strong> ein und bereitet den Jugendliche auf die Teilnahmeam Bildungssystem vor. Den Jugendlichen ist der Zugang zuSchule zu gestatten. 23 Dabei sollten die Bildungsangebote dem Wissensstandund den Fähigkeiten der Jugendlichen angepasst sein.3.3 Es muss unverzüglich die Möglichkeit gegeben werden mit Verwandten,Rechtsbeiständen, Vertretern des Amtes des HohenFlüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und NichtregierungsorganisationenKontakt aufzunehmen. 24 Außerdem sollenInformationen bereitgestellt werden über den weiteren Verlauf der<strong>Inobhutnahme</strong>, vorgesehene Leistungen und Verpflichtungen, möglicheRechtsbeistände und Organisationen, die den Jugendlichen imZusammenhang mit den Aufnahmebedingungen behilflich sein odersie informieren können. 253.4 Die Unterbringung erfolgt in überschaubaren Gruppen, die sowohlden besonderen Bedürfnissen von Minderjährigen gerechtwerden als auch eine Schutzfunktion hinsichtlich Alter und Ge-20vgl. § 9 Abs. 2 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>21§ 9 Abs. 3 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>22Art. 30 Abs. 4 Satz 2 EU-Qualifikationsrichtlinie, Art. 19 Abs. 2 Satz 4 EU-Aufnahmerichtlinie23Art. 10 EU-Aufnahmerichtlinie24Art. 14 Absatz 2 Buchstabe b EU-Aufnahmerichtlinie und § <strong>42</strong> Abs. 2 Satz 2 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>25Art. 5 Abs. 1 EU-Aufnahmerichtlinie15


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eschlecht darstellt. Das bedeutet, dass Jugendliche getrennt von Erwachsenenuntergebracht werden. Den Jugendlichen muss Raumfür Entfaltung, Lernen und Ruhe gewährt werden und es muss ihnendie Pflege kultureller und religiöser Spezifika ermöglicht werden.3.5 Im Verlauf der <strong>Inobhutnahme</strong> ist es wichtig, dass der Jugendlichesich emotional und mental stabilisieren kann. Die Umstände derFlucht sind insbesondere für junge Menschen Erfahrungen, die tiefeSpuren in ihrem Erleben und ihrer Wahrnehmung hinterlassen. Dererste Kontakt sollte daher nicht vorrangig durch die Aufnahme vonDaten, sondern durch menschliche Begrüßungsriten geprägt sein.Direkt geklärt werden die aktuelle Befindlichkeit und die Bedürfnisse;zudem werden die Jugendlichen darüber informiert, wo sie sichbefinden und was sie in den nächsten Tagen erwartet.Leitlinien Clearinghaus• Die <strong>Inobhutnahme</strong> beinhaltet die Unterbringung in einemClearinghaus.• Die Sicherung der Grundbedürfnisse und die Förderungdes Jugendlichen stehen im Mittelpunkt.• Der Jugendliche muss die Gelegenheit haben Kontaktenach außen aufzubauen.• Die Unterbringung erfolgt jugendgerecht und entsprichtden spezifischen Anforderungen der Jugendlichen.• In allen Bundesländern müssen ausreichende Kapazitätenin Clearinghäusern <strong>zur</strong> Verfügung stehen.16


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e4. Clearingverfahren4.1 Das vorrangige Ziel des Clearingverfahrens ist die Klärung der Situationund Perspektiven des UMF 26 unter Berücksichtigung derbestmöglichen Gewährleistung des Kindeswohls. Federführend istdas jeweilige Jugendamt, unter Beteiligung der (bzw. Delegation<strong>zur</strong>) betreuenden Einrichtung, des Vormunds und im Bedarfsfall vonanderen Experten (zum Beispiel Therapeuten). 274.2 Für das Clearinggespräch soll eine vertrauensschaffende Atmosphäreund Umgebung ermöglicht werden. Hierzu zählt insbesonderedie Einbindung eines heimatsprachlichen Dolmetschers. Die Beteiligtenvereinbaren Verschwiegenheit.4.3 Die Dauer des Clearingverfahrens hängt vom jeweiligen Hilfebedarfund der spezifischen Situation des Jugendlichen ab. Es ist nichtauf die Zeit der <strong>Inobhutnahme</strong> beschränkt. Sofern es für den Jugendlichennicht zu einer außerordentlichen Belastung durch dieKonfrontation mit der eigenen Geschichte infolge einer Traumatisierungkommt, ist auf eine zügige Klärung zu achten.4.4 Das Clearingverfahren umfasst insbesondere jene Punkte, diefür die Gewährung von erzieherischen Hilfen notwendig sind. Dieaufenthaltsrechtliche Abklärung erfolgt in einem gesonderten Prozess.Wesentlich sind:a. Sofern keine Identitätspapiere vorliegen, sollte versucht werden,die Identität des Jugendlichen zu klären.b. Weiß ein Jugendlicher sein Alter nicht oder bestehen Zweifelan der Altersangabe, so ist es die Aufgabe des Clearingverfahrens,eine Altersfestsetzung zu treffen. Die Altersfestsetzung26Nationaler Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland“ S. 75, <strong>zur</strong> weiterenBedeutung siehe Riedelsheimer, Albert/Wiesinger, Irmela (Hrsg.) (2004): Der erste Augenblickentscheidet. Clearingverfahren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland,Karlsruhe.27Art. 18 Abs. 2 EU-Aufnahmerichtlinie17


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m emuss auf der Grundlage ethisch und wissenschaftlich vertretbarerMethoden durch das zuständige Amtsgericht erfolgen. DasVerfahren der Altersfestsetzung muss zudem rechtsstaatlichenGrundsätzen genügen und ein faires Verfahren garantieren. ZurEntscheidungsfindung muss das Gericht je nach der Konstellationim Einzelfall unabhängige Experten aus unterschiedlichenFachbereichen hinzuziehen. Dies können insbesondere Pädagogenund Psychologen, Kinderärzte oder Ethnologen sein. Hierzuist zu beachten, dass es derzeit keine medizinischen oder wissenschaftlichenVerfahren gibt, die das Alter auf das Jahr genaubestimmen können. Für die Festsetzung des fiktiven Geburtsdatumsist im Zweifel zugunsten des Betroffenen zu entscheidenund der letzte Tag des Jahres (31.12.) anzugeben. 28 Währendder Dauer des Verfahrens ist vom angegebenen Alter der Jugendlichenauszugehen. Eine ausländerbehördliche Altersschätzungist nicht bindend, da sie keine allgemeinverbindlichepersonenstandsrechtliche Wirkung hat.c. Die Einleitung der gesetzlichen Vertretung erfolgt beim zuständigenFamiliengericht.d. Der Verbleib von Familienangehörigen und die Möglichkeitder Familienzusammenführung wird in Zusammenarbeit mitdem Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes oder anderen Organisationengeklärt. Wenn Sorgeberechtigte gefunden wurden,muss geklärt werden, ob eine Familienzusammenführung demKindeswohl dienlich ist.e. Unabhängige und geschulte Fachkräfte klären die gesundheitlicheLage des Flüchtlings unter Berücksichtigung des therapeutischenBedarfs. 29f. Der Erziehungsbedarf wird ermittelt.28BVerwG vom 31.07.1984 Az. - 9 C 156/83 und darauf bezugnehmend die Dienstanweisungdes BAMF „Altersbestimmung bei Minderjährigen“29Art. 18 Abs. 2 EU-Aufnahmerichtlinie18


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eg. Es wird geklärt, ob eine Rückführung ohne eine Gefährdungdes Kindeswohls möglich ist.h. Klärung der individuellen Zukunftsaussichten, Wünsche, Hoffnungund Ängste des Jugendlichen.Leitlinien Clearingverfahren• Das Clearingverfahren dient der Gewährleistung des Kindeswohlsund der Klärung des Hilfebedarfs.• Identität, Alter, Familie, Gesundheit, Fluchtgeschichte,persönliche Perspektiven und Interessen werden geklärt.• Das Clearingverfahren basiert auf einer vertrauensschaffendenZusammenarbeit.• Die Dauer des Clearings kann über die Zeit der <strong>Inobhutnahme</strong>hinausgehen und sollte den Bedürfnissen des Jugendlichenangepasst werden.19


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e5. Vormundschaftsbestellung5.1 Wenn, wie bei UMF, die Personensorge- oder Erziehungs-berechtigennicht erreichbar sind, so hat das Jugendamt unverzüglicheine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichenMaßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen30 und die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen.31 Hierzu schlägt das Jugendamt dem zuständigen GerichtPersonen und Vereine vor, die sich im Einzelfall zum Vormund oderPfleger eignen. 32 Auch andere Personen, die den Bedarf sehen, sowieauch der Minderjährige selbst, können die Bestellung eines Vormundsanregen.5.2 Die Vormundschaft kann in drei verschiedenen Formen geführtwerden: 1. Einzelvormundschaft, 2. Vereinsvormundschaft, 3. Amtsvormundschaftdes Jugendamts. Ein Verein 33 oder das Jugendamt 34darf nur dann zum Vormund bestellt werden, wenn eine als Einzelvormundgeeignete Person nicht vorhanden ist. Die Eignung einerPerson hängt häufig von ihrer Spezialisierung auf UMF durch Schulungenab. Werden z.B. Verwandte des Jugendlichen oder anderePrivatpersonen zu Vormündern bestellt, so ist das Jugendamt verpflichtet,diese Personen zu schulen und zu beraten, damit sie ihrenVerpflichtungen als Vormund entsprechend nachkommen können.5.3 Der Vormund ist <strong>zur</strong> gesetzlichen Vertretung des Minderjährigenberechtigt und verpflichtet 35 und ausschließlich dem Wohle desMündels verpflichtet (Parteilichkeit). Ihm ist die Personensorgeübertragen. Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigt der Vormunddie wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis desKindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Fra-30§ <strong>42</strong> Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>31ebd. Satz 432§ 53 Abs. 1 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>33§ 1791a Abs. 1 Satz 2 BGB34§ 1791b Abs. 1 Satz 1 BGB35§ 1793 BGB20


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m egen der Ausführung der Personensorge werden gemeinsam besprochenund Einvernehmen angestrebt. 36 Der Vormund unterliegt beiallen Tätigkeiten der Aufsicht des Familiengerichts. 375.4 In der Verantwortung des Vormunds liegen folgende Aufgaben:a. Sicherstellen, dass alle Entscheidungen zum Wohle des Kindes erfolgen.b. Sicherstellen von angemessener Betreuung, Unterbringung, Bildung,sprachlicher Unterstützung und gesundheitlicher Versorgungfür den Minderjährigen.c. Beantragung von Leistungen nach dem <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>.d. Die Gewährleistung einer angemessenen Rechtsvertretung imHinblick auf den Aufenthaltsstatus bzw. den Asylantrag. 38e. Die Verbindungen zwischen dem Mündel und verschiedenen Organisationen,die für den jungen Menschen Betreuungsleistungenerbringen, überblicken und im Bedarfsfall moderieren.Leitlinien Vormundschaftsbestellung• Zügige Entscheidung des Familiengerichts über die Bestellungeines Vormunds.• Der Vormund übernimmt die gesetzliche Vertretung desMündels.• Der Vormund ist dem Wohl des Kindes verpflichtet.• Der Vormund verantwortet Pflege und Erziehung des Jugendlichen.36§ 1626 Abs. 2 BGB37§ 1837 Abs. 2 BGB38So wird in den meisten Amtsgerichten in Hessen sowohl ein Vormund als auch ein Anwaltals Ergänzungspfleger für das asyl- und aufenthaltrechtliches Verfahren bestellt.21


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e6. Aufenthaltsrechtliches Clearing6.1 Ein wesentlicher und zentraler Bestandteil des Clearingverfahrensist das aufenthaltsrechtliche Clearingverfahren. Auch minderjährigeNicht-Deutsche benötigen einen Aufenthaltstitel, wenn siesich im Bundesgebiet aufhalten. Zweck des aufenthaltsrechtlichenClearings ist zu entscheiden, wie und wo der weitere Aufenthalt desJugendlichen ermöglicht werden kann. Zwar sind UMF in Deutschlandab dem 16. Lebensjahr verfahrensfähig 39 und haben daher dasRecht, eigenständig einen Asylantrag zu stellen. Dennoch sollten sievon keiner Seite hierzu gedrängt werden. Vielmehr sollten Behördenund Beratungsstellen aus ihrer Fürsorgepflicht heraus den Jugendlichendahingehend beraten, diese Entscheidung mit vormundschaftlichemBeistand zu treffen, wie es auch die EU-Verfahrensrichtlinievorsieht.6.2 Zunächst gilt es, gemeinsam mit dem Minderjährigen zu klären,ob eine Familienzusammenführung innerhalb Deutschlands, in einemDrittland oder im Herkunftsland möglich ist. Hierbei ist ein behutsamesVorgehen angebracht, um eine mögliche Gefährdung desKindes oder seiner Familie zu verhindern. 40 In der Regel sind in diesemZusammenhang auch die Fluchtgründe, -bedingungen und –wege zu eruieren.6.3 Besteht keine Möglichkeit der Familienzusammenführung oderbestehen Hinweise auf eine mögliche Gefährdung des Kindes oderder Familie im Heimatland, ist zu prüfen, ob ein Asylverfahren (Art.16a GG, § 60 Abs. 1 AufenthG) eingeleitet wird oder ob ein Abschiebungsverbotnach § 60 Abs. 2-7 AufenthG bzw. ein Aufenthaltsrechtaus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 oder 4 AufenthG erwirktwerden kann.6.4 Trotz der Verfahrensfähigkeit von 16- und 17-jährigen UMF nach39gemäß § 80 AufenthG und § 12 AsylVfG.40Art. 30 Abs. 5 EU-Qualifikationsrichtlinie22


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e§ 80 AufenthG und § 12 AsylVfG besteht nach der EU-Verfahrensrichtlinie41 die Notwendigkeit, dass explizit auch für 16- und 17-Jährige„ein Vertreter bestellt wird, der den unbegleiteten Minderjährigenbei der Prüfung des Antrags vertritt und/oder unterstützt“. Zudemmuss sichergestellt sein, dass der Vertreter Gelegenheit erhält,den unbegleiteten Minderjährigen über die Bedeutung und diemöglichen Konsequenzen seiner persönlichen Anhörung sowie gegebenenfallsdarüber aufzuklären, wie er sich auf seine persönlicheAnhörung vorbereiten kann. Die Mitgliedstaaten gestatten dem Vertreter,bei dieser Anhörung anwesend zu sein sowie innerhalb desvon der anhörenden Person festgelegten Rahmens Fragen zu stellenund Bemerkungen vorzubringen. Hier hat die EU dem UmstandRechnung getragen, dass die altersbedingten Durchsetzungsdefiziteund die Wahrung des Kindeswohls schwerer wiegen als das Beschleunigungsgebotim Asylverfahren. Eine Begleitung im Asylverfahrendurch einen Vormund kann die Qualität des Verfahrens undder Entscheidung erhöhen und so letztendlich sogar zu einer Beschleunigungdes Verfahrens beitragen.Leitlinien aufenthaltrechtliches Clearing• Alle Minderjährigen benötigen einen Vormund zu Beginndes aufenthaltsrechtlichen Clearings.• Das aufenthaltsrechtliche Clearing erfolgt in der Verantwortungdes Vormundes unter enger Beteiligung des Jugendlichen.Gegebenenfalls wird das Bundesamt, die Ausländerbehördeoder andere Institutionen beratend eingebunden.41Art. 17 Abs. 1 (a) EU-Verfahrensrichtlinie. Der am 1.Oktober 2005 in Kraft getretene § <strong>42</strong><strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> sieht vor, dass für 16- und 17-Jährige unverzüglich ein Vormund oder Pfleger zubestellen ist. Für die Verfahrensrichtlinie ist dies die entscheidende Rechtsvorschrift.23


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e• Eine Asylantragstellung sollte erst erfolgen, nachdem derVormund die Möglichkeiten einer Familienzusammen-führunggeprüft hat und er mit seinem Mündel die Fluchtursachenund mögliche Gründe für eine Furcht vor Verfolgungerörtert hat.24


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e7. Beendigung der <strong>Inobhutnahme</strong>Die <strong>Inobhutnahme</strong> endet mit der Entscheidung über die Gewährungvon Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch <strong>42</strong> oder mit der Übergabe desJugendlichen an Personensorgeberechtigte.Bei vorliegendem Hilfebedarf nach dem KJHG erfolgt die Unterbringungin einer bedarfsorientierten Jugendhilfeeinrichtung. Der formellenBeendigung der <strong>Inobhutnahme</strong> nach § <strong>42</strong> <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> folgendann Hilfen auf Erziehung nach §§ 27 ff. <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong> durch das zuständigeJugendamt.8. Kosten8.1. Wird ein Kind mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit in Obhutgenommen, so erfolgt eine Kostenerstattung gemäß § 89 d <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>.Voraussetzung hierfür ist, dass die Gewährung von Jugendhilfe innerhalbeines Monats nach der Einreise erfolgt 43 und außerdemrechtmäßig erfolgt ist. 448.2. Kosten für die weitere Hilfe <strong>zur</strong> Erziehung trägt andernfalls derörtliche Träger, in dessen Bereich sich die Person vor Beginn derLeistung tatsächlich aufhält. Unterliegt die Person einem Verteilungsverfahren,so richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach derZuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde. 45<strong>42</strong>§ <strong>42</strong> Absatz 4 Satz 2 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>43§ 89 d Abs. 1 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>44§ 89 f <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>45§ 86 Abs. 7 <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>25


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eIV. AnnexAuszüge ausA.1 Kinder- und Jugendhilfegesetz (§<strong>42</strong> <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>)A.2 Nationaler Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland2005-2010“A.3 UN-KinderrechtskonventionA.4 EU-AufnahmerichtlinieA.5 EU-AnerkennungsrichtlinieA.6 EU-Verfahrensrichtlinie26


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eA.1Auszug aus<strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>, Kinder- und Jugendhilfegesetz§ <strong>42</strong> <strong>Inobhutnahme</strong> von Kindern und Jugendlichen(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind odereinen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn1. das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder2. eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichendie <strong>Inobhutnahme</strong> erfordert unda) die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oderb) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholtwerden kann oder3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitetnach Deutschland kommt und sich weder PersonensorgenochErziehungsberechtigte im Inland aufhalten.Die <strong>Inobhutnahme</strong> umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichenbei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtungoder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen;im Fall von Satz 1 Nr. 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen voneiner anderen Person wegzunehmen.(2) Das Jugendamt hat während der <strong>Inobhutnahme</strong> die Situation,die <strong>zur</strong> <strong>Inobhutnahme</strong> geführt hat, zusammen mit dem Kind oderdem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützungaufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglichGelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu be-27


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m enachrichtigen. Das Jugendamt hat während der <strong>Inobhutnahme</strong> fürdas Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabeiden notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen.Das Jugendamt ist während der <strong>Inobhutnahme</strong> berechtigt, alleRechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichennotwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge-oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen.(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 diePersonensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der<strong>Inobhutnahme</strong> zu unterrichten und mit ihnen das Gefährdungsrisikoabzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigtender <strong>Inobhutnahme</strong>, so hat das Jugendamt unverzüglich1. das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigtenzu übergeben, sofern nach der Einschätzung desJugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oderdie Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in derLage sind, die Gefährdung abzuwenden oder2. eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichenMaßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar,so gilt Satz 2 Nr. 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1Nr. 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegerszu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der<strong>Inobhutnahme</strong> nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren <strong>zur</strong>Gewährung einer Hilfe einzuleiten.(4) Die <strong>Inobhutnahme</strong> endet mit1. der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensor-28


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m ege- oder Erziehungsberechtigten,2. der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der <strong>Inobhutnahme</strong>sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eineGefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen odereine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehungist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablaufdes Tages nach ihrem Beginn zu beenden.(6) Ist bei der <strong>Inobhutnahme</strong> die Anwendung unmittelbaren Zwangserforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.29


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eA.2Auszug ausNationaler AktionsplanFür ein kindergerechtes Deutschland 2005-20102.6.2 Kinder als FlüchtlingeRund 40 Millionen Menschen befanden sich Ende 2004 auf derFlucht vor Kriegen und Menschenrechtsverletzungen; etwa die Hälftevon ihnen waren Kinder. Besonders wenn Kinder auf der Fluchtvon ihren Familien getrennt werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit,dass sie Opfer von Gewalt und Ausbeutung werden. Zwarbleibt die Mehrzahl der Vertriebenen innerhalb ihres Heimatlandes.Viele suchen aber auch Schutz in benachbarten oder entferntenLändern, unter anderem auch in Deutschland.Das international bedeutendste Flüchtlingsschutzabkommen, das„Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, auch GenferFlüchtlingskonvention genannt, gilt für erwachsene und minderjährigeFlüchtlinge gleichermaßen. Kinder sind in besonderem Maßevielfältigen Formen von Verfolgung ausgesetzt. Wenn sie auf derFlucht nach Deutschland gelangen, muss dies bei der Feststellungder Flüchtlingseigenschaft auch künftig ausreichend beachtet werden.Die Bundesregierung bekräftigt ihren Willen, Flüchtlingskindern undKindern im Asylverfahren einen angemessenen Schutz in Deutschlandund humanitäre Hilfe bei der Wahrung ihrer Rechte zu gewähren.Diese Verpflichtung leitet sich aus dem Artikel 22 der UN-Kinderrechtskonventionab. Wir achten und respektieren dieses Rechtder Kinder, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in Begleitung ihrerEltern oder anderer Personen, die für sie sorgen, befinden odernicht. Das muss sich in den konkreten Entscheidungen von Ämtern30


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eund Behörden und in der Rechtsprechung widerspiegeln. Immerwieder gilt es zu prüfen, ob in Deutschland den speziellen Schutzbedürfnissenvon Kindern bis 18 Jahren ausreichend Rechnung getragenwird. Anerkannte Flüchtlingskinder und andere ausländischeKinder mit einem Aufenthaltsrecht in Deutschland haben Anspruchauf die gleichen Chancen wie deutsche Kinder.Maßnahmen: Die Bundesregierung wird prüfen, inwieweit die <strong>zur</strong> Linderungvon Flüchtlingssituationen gewährte humanitäre Hilfe an internationaleund nationale Hilfsorganisationen die besonderen Schutzbedürfnissevon Kindern mit in den Blick nimmt. Sie wird prüfen, ob in 2005 eine Untersuchung <strong>zur</strong> Zahl und Lebenssituationvon Flüchtlingskindern in Deutschland in Auftrag gegebenwird, die Aspekte wie Unterbringung, Gewährung von Jugendhilfeund Zugang zu Bildung und Ausbildung erfasst. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass für alle betroffenenunbegleiteten schutzsuchenden Kinder und Jugendlichenein so genanntes Clearingverfahren eingerichtet wird. Zu diesemZweck sieht bereits der Entwurf eines Gesetzes <strong>zur</strong> Weiterentwicklungder Kinder- und Jugendhilfe die Erstversorgung eines unbegleitetenminderjährigen Flüchtlings im Rahmen der <strong>Inobhutnahme</strong>durch das Jugendamt vor. In dem Verfahren soll auch geklärt werden,ob eine Rückkehr in das Heimatland ohne erhebliche Gefahrenmöglich ist, ob eine Familienzusammenführung in einem Drittland inFrage kommt, ob ein Asylantrag gestellt oder ein Bleiberecht aus humanitärenGründen angestrebt werden soll. Sie wird darauf hinwirken, dass entsprechend der Gesetzeslageauch auf sich alleine gestellten 16–17-jährigen ausländischen Kindernso schnell wie möglich nach der Einreise ein Vormund <strong>zur</strong> Seitegestellt wird. Im oben genannten Gesetzentwurf wird dazu für denFall der <strong>Inobhutnahme</strong> durch das Jugendamt ausdrücklich die Ver-31


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m epflichtung geregelt, die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers füreingereiste unbegleitete Kinder und Jugendliche zu veranlassen. Die Bundesregierung wird sich für eine altersgerechte Unterbringungeinsetzen, einschließlich der Gruppe der 16–17-jährigen unbegleitetenMinderjährigen. Die Umsetzung des Anspruchs für anerkannte Flüchtlingskinderund andere ausländische Kinder mit einem Aufenthaltsrecht auf Jugendhilfeund Bildung respektive berufliche Ausbildung wird durchdie Förderung entsprechender Initiativen und den ungehindertenZugang zum Arbeitsmarkt unterstützt.32


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eA.3Auszug ausUN-KinderrechtskonventionArtikel 1[Geltung für das Kind; Begriffsbestimmung]Im Sinne dieses Übereinkommens ist ein Kind jeder Mensch, der dasachtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeitnach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht frühereintritt.Artikel 2[Achtung der Kindesrechte; Diskriminierungsverbot](1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegtenRechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewaltunterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von derRasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion,der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischenoder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung,der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oderseines Vormunds.(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen,dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierungoder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungenoder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormundesoder seiner Familienangehörigen geschützt wird.Artikel 333


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e[Wohl des Kindes](1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie vonöffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten,Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffenwerden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangigzu berücksichtigen ist.(2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigungder Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormundsoder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen denSchutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehennotwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeignetenGesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.(3) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge fürdas Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Diensteund Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegtenNormen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit undder Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignungdes Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht.Artikel 8[Identität](1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zuachten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit,seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen,ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.(2) Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteileseiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihmangemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität soschnell wie möglich wiederherzustellen.34


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eArtikel 9[Trennung von den Eltern; persönlicher Umgang](1) Der Vertragsstaaten stellen sicher, dass ein Kind nicht gegen denWillen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass diezuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidungnach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahrenbestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendigist. Eine solche Entscheidung kann im Einzelfall notwendig werden,wie etwa wenn das Kind durch die Eltern misshandelt oder vernachlässigtwird oder wenn bei getrennt lebenden Eltern eine Entscheidungüber den Aufenthaltsort des Kindes zu treffen ist.(2) In Verfahren nach Absatz 1 ist allen Beteiligten Gelegenheit zugeben, am Verfahren teilzunehmen und ihre Meinung zu äußern.(3) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, das von einemoder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungenund unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen,soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht.(4) Ist die Trennung Folge einer von einem Vertragsstaat eingeleitetenMaßnahme, wie etwa einer Freiheitsentziehung, Freiheitsstrafe,Landesverweisung oder Abschiebung oder des Todes eines oder beiderElternteile oder des Kindes (auch eines Todes, der aus irgendeinemGrund eintritt, während der Betreffende sich in staatlichemGewahrsam befindet), so erteilt der Vertragsstaat auf Antrag der Elterndem Kind oder gegebenenfalls einem anderen Familienangehörigendie wesentlichen Auskünfte über den Verbleib des oder derabwesenden Familienangehörigen, sofern dies nicht dem Wohl desKindes abträglich wäre. Die Vertragsstaaten stellen ferner sicher,dass allein die Stellung eines solchen Antrags keine nachteiligen Folgenfür den oder die Betroffenen hat.35


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eArtikel 10(Familienzusammenführung; grenzüberschreitende Kontakte)(1) Entsprechend der Verpflichtung der Vertragsstaaten nach Artikel9 Absatz 1 werden von einem Kind oder seinen Eltern zwecks FamilienzusammenführunggestellteAnträge auf Einreise in einen Vertragsstaatoder Ausreise aus einem Vertragsstaat von den Vertragsstaatenwohlwollend, human und beschleunigt bearbeitet. Die Vertragsstaatenstellen ferner sicher, dass die Stellung eines solchenAntrags keine nachteiligen Folgen für die Antragssteller und derenFamilienangehörige hat.(2) Ein Kind, dessen Eltern ihren Aufenthalt in verschiedenen Staatenhaben, hat das Recht, regelmäßige persönliche Beziehungenund unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweitnicht außergewöhnliche Umstände vorliegen. Zu diesem Zweckmachten die Vertragsstaaten entsprechend ihrer Verpflichtung nachArtikel 9 Absatz 1 das Recht des Kindes und seiner Eltern, aus jedemLand einschließlich ihres eigenen aus<strong>zur</strong>eisen und in ihr eigenesLand ein<strong>zur</strong>eisen. Das Recht auf Ausreise aus einem Land unterliegtnur den gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen, die zum Schutzder nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public),der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechteund Freiheiten anderer notwendig und mit den anderen in diesemÜbereinkommen anerkannten Rechten vereinbar sind.Artikel 12[Berücksichtigung des Kindeswillens](1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigeneMeinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen dasKind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigendie Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinemAlter und seiner Reife.36


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m e(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben,in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahrenentweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder einegeeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriftengehört zu werden.Artikel 20[Von der Familie getrennt lebende Kinder; Pflegefamilie; Adoption](1) Ein Kind, das vorübergehend oder dauernd aus seiner familiärenUmgebung herausgelöst wird oder dem der Verbleib in dieser Umgebungim eigenen Interesse nicht gestattet werden kann, hat Anspruchauf den besonderen Schutz und Beistand des Staates.(2) Die Vertragsstaaten stellen nach Maßgabe ihres innerstaatlichenRechts andere Formen der Betreuung eines solchen Kindes sicher.(3) Als andere Form der Betreuung kommt unter anderem die Aufnahmein eine Pflegefamilie, die Kafala nach islamischem Recht, dieAdoption oder, falls erforderlich, die Unterbringung in einer geeignetenKinderbetreuungseinrichtung in Betracht. Bei der Wahl zwischendiesen Lösungen sind die erwünschte Kontinuität in der Erziehungdes Kindes sowie die ethnische, religiöse, kulturelle undsprachliche Herkunft des Kindes gebührend zu berücksichtigen.Artikel 22[Flüchtlingskinder](1) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen,dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrtoder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahrendes Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtlingangesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe beider Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkom-37


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m emen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechteoder über humanitäre Fragen, denen die genanntenStaaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwarunabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder eineranderen Person befindet oder nicht.(2) Zu diesem Zweck wirken die Vertragsstaaten in der ihnen angemessenerscheinenden Weise bei allen Bemühungen mit, welchedie Vereinten Nationen oder andere zuständige zwischenstaatlicheoder nichtstaatlichen Organisationen, die mit den Vereinten Nationenzusammenarbeiten, unternehmen, um ein solches Kind zuschützen, um ihm zu helfen und um die Eltern oder andere Familienangehörigeeines Flüchtlingskinds ausfindig zu machen mit demZiel, die für eine Familienzusammenführung notwendigen Informationenzu erlangen. Können die Eltern oder andere Familienangehörigenicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklangmit den in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätzen derselbeSchutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinemGrund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiärenUmgebung herausgelöst ist.Artikel 28[Recht auf Bildung; Schule; Berufsausbildung](1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildungan; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage derChancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesonderea) den Besuch der Grundschule für alle <strong>zur</strong> Pflicht und unentgeltlichmachen;b) die Entwicklung verschiedener Formen der weiterführendenSchulen allgemein bildender und berufsbildender Art fördern, sie allenKindern verfügbar und zugänglich machen und geeignete Maß-38


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m enahmen wie die Einführung der Unentgeltlichkeit und die Bereitstellungfinanzieller Unterstützung bei Bedürftigkeit treffen;c) allen entsprechend ihren Fähigkeiten den Zugang zu den Hochschulenmit allen geeigneten Mitteln ermöglichen;d) Bildungs- und Berufsberatung allen Kindern verfügbar und zugänglichmachen;e) Maßnahmen treffen, die den regelmäßigen Schulbesuch fördernund den Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen,verringern.(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen,dass die Disziplin in der Schule in einer Weise gewahrtwird, die der Menschenwürde des Kindes entspricht und imEinklang mit diesem Übereinkommen steht.(3) Die Vertragsstaaten fördern die internationale Zusammenarbeitim Bildungswesen, insbesondere um <strong>zur</strong> Beseitigung von Unwissenheitund Analphabetentum in der Welt beizutragen und den Zugangzu wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen und modernenUnterrichtsmethoden zu erleichtern. Dabei sind die Bedürfnisse derEntwicklungsländer besonders zu berücksichtigen.Artikel <strong>42</strong>[Verpflichtung <strong>zur</strong> Bekanntmachung]Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Grundsätze und Bestimmungendieses Übereinkommens durch geeignete und wirksameMaßnahmen bei Erwachsenen und auch bei Kindern allgemein bekanntzu machen.39


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eA.4Auszug ausRICHTLINIE 2003/9/EG DES RATESvom 27. Januar 2003<strong>zur</strong> Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahmevon Asylbewerbern in den MitgliedstaatenArtikel 10Grundschulerziehung und weiterführende Bildung Minderjähriger(1) Die Mitgliedstaaten gestatten minderjährigen Kindern von Asylbewerbernund minderjährigen Asylbewerbern in ähnlicher Weisewie den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates den Zugangzum Bildungssystem, solange keine Rückführungsmaßnahmegegen sie selbst oder ihre Eltern vollstreckt wird. Der Unterrichtkann in Unterbringungszentren erfolgen. Die betreffenden Mitgliedstaatenkönnen vorsehen, dass der Zugang auf das öffentliche Bildungssystembeschränkt bleiben muss. Als Minderjährige geltenPersonen, die nach den Bestimmungen des Mitgliedstaats, in demder Asylantrag gestellt worden ist oder geprüft wird, noch nicht volljährigsind. Die Mitgliedstaaten dürfen eine weiterführende Bildungnicht mit der alleinigen Begründung verweigern, dass die Volljährigkeiterreicht wurde.(2) Der Zugang zum Bildungssystem darf nicht um mehr als drei Monate,nachdem der Minderjährige oder seine Eltern einen Asylantraggestellt haben, verzögert werden. Dieser Zeitraum kann auf einJahr ausgedehnt werden, wenn eine spezifische Ausbildung gewährleistetwird, die den Zugang zum Bildungssystem erleichtern soll.(3) Ist der Zugang zum Bildungssystem nach Absatz 1 aufgrund der40


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m espezifischen Situation des Minderjährigen nicht möglich, so kannder Mitgliedstaat andere Unterrichtsformen anbieten.BESTIMMUNGEN BETREFFEND BESONDERS BEDÜRFTIGE PERSONENArtikel 17Allgemeiner Grundsatz(1) Die Mitgliedstaaten berücksichtigen in den nationalen Rechtsvorschriften<strong>zur</strong> Durchführung des Kapitels II betreffend die materiellenAufnahmebedingungen sowie die medizinische Versorgung diespezielle Situation von besonders schutzbedürftigen Personen wieMinderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älterenMenschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigenKindern und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstigeschwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlittenhaben.(2) Absatz 1 gilt ausschließlich für Personen, die nach einer Einzelprüfungihrer Situation als besonders hilfebedürftig anerkannt werden.Artikel 18Minderjährige(1) Bei der Anwendung der Minderjährige berührenden Bestimmungender Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten vorrangig dasWohl des Kindes.(2) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Minderjährige, dieOpfer irgendeiner Form von Missbrauch, Vernachlässigung, Ausbeutung,Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlunggewesen sind oder unter bewaffneten Konflikten gelittenhaben, Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen könnenund dass im Bedarfsfall eine geeignete psychologische Betreuung41


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eund eine qualifizierte Beratung angeboten wird.Artikel 19Unbegleitete Minderjährige(1) Die Mitgliedstaaten sorgen so bald wie möglich für die erforderlicheVertretung von unbegleiteten Minderjährigen; die Vertretungübernimmt ein gesetzlicher Vormund oder erforderlichenfalls eineOrganisation, die für die Betreuung und das Wohlergehen von Minderjährigenverantwortlich ist, oder eine andere geeignete Instanz.Die zuständigen Behörden nehmen regelmäßige Bewertungen vor.(2) Asyl beantragende unbegleitete Minderjährige werden ab demZeitpunkt der Zulassung in das Hoheitsgebiet bis zu dem Zeitpunkt,zu dem sie den Aufnahmemitgliedstaat, in dem der Antrag gestelltworden ist oder geprüft wird, verlassen müssen, nach folgenderRangordnung aufgenommen:a) bei erwachsenen Verwandten;b) in einer Pflegefamilie;c) in Aufnahmezentren mit speziellen Einrichtungen für Minderjährige;d) in anderen für Minderjährige geeigneten Unterkünften.Die Mitgliedstaaten können unbegleitete Minderjährige ab 16 Jahrenin Aufnahmezentren für erwachsene Asylbewerber unterbringen.Geschwister sollen möglichst zusammen bleiben, wobei das Wohldes betreffenden Minderjährigen, insbesondere sein Alter und seinReifegrad, zu berücksichtigen ist. Wechsel des Aufenthaltsorts sindbei unbegleiteten Minderjährigen auf ein Mindestmaß zu beschränken.(3) Die Mitgliedstaaten bemühen sich im Interesse des Wohls des<strong>42</strong>


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eunbegleiteten Minderjährigen, dessen Familienangehörigen so baldwie möglich ausfindig zu machen. In Fällen, in denen das Leben oderdie Unversehrtheit des Minderjährigen oder seiner nahen Verwandtenbedroht sein könnte, insbesondere wenn diese im Herkunftslandgeblieben sind, ist darauf zu achten, dass die Erfassung, Verarbeitungund Weitergabe von Informationen über diese Personenvertraulich erfolgt, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden.(4) Das Betreuungspersonal für unbegleitete Minderjährige muss imHinblick auf die Bedürfnisse des Minderjährigen adäquat ausgebildetsein oder werden und unterliegt in Bezug auf die Informationen,die es durch seine Arbeit erhält, der Schweigepflicht, wie sie im nationalenRecht definiert ist.43


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eA.5Auszug ausRICHTLINIE 2004/83/EG DES RATESvom 29. April 2004über Mindestnormen für die Anerkennung und denStatus von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosenals Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitiginternationalen Schutz benötigen, und über denInhalt des zu gewährenden SchutzesArtikel 30Unbegleitete Minderjährige(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen so rasch wie möglich, nachdem dieFlüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkanntworden ist, die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dassMinderjährige durch einen gesetzlichen Vormund oder erforderlichenfallsdurch eine Einrichtung, die für die Betreuung und dasWohlergehen von Minderjährigen verantwortlich ist, oder durcheine andere geeignete Instanz, einschließlich einer gesetzlich vorgesehenenoder gerichtlich angeordneten Instanz, vertreten werden.(2) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der bestellte Vormundoder Vertreter die Bedürfnisse des Minderjährigen bei derDurchführung der Richtlinie gebührend berücksichtigt. Die zuständigenBehörden nehmen regelmäßige Bewertungen vor.(3) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass unbegleitete Minderjährigewahlweise folgendermaßen untergebracht werden:a) bei erwachsenen Verwandten,44


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eb) in einer Pflegefamilie,c) in speziellen Einrichtungen für Minderjährige oderd) in anderen für Minderjährige geeigneten Unterkünften.Hierbei werden die Wünsche des Kindes unter Beachtung seines Altersund seiner Reife berücksichtigt.(4) Geschwister sollen möglichst zusammenbleiben, wobei das Wohldes betreffenden Minderjährigen, insbesondere sein lter und seinReifegrad, zu berücksichtigen ist. Wechsel des Aufenthaltsorts sindbei unbegleiteten Minderjährigen auf ein Mindestmaß zu beschränken.(5) Die Mitgliedstaaten bemühen sich im Interesse des Wohls desunbegleiteten Minderjährigen, dessen Familienangehörige so baldwie möglich ausfindig zu machen. In Fällen, in denen das Leben oderdie Unversehrtheit des Minderjährigen oder seiner nahen Verwandtenbedroht sein könnte, insbesondere wenn diese im Herkunftslandgeblieben sind, ist darauf zu achten, dass die Erfassung, Verarbeitungund Weitergabe von Informationen über diese Personenvertraulich erfolgt.(6) Das Betreuungspersonal für unbegleitete Minderjährige muss imHinblick auf die Bedürfnisse des Minderjährigen adäquat ausgebildetsein oder ausgebildet werden.45


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eA.6Auszug ausRICHTLINIE 2005/85/EG DES RATESvom 1. Dezember 2005über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten<strong>zur</strong> Zuerkennung und Aberkennung derFlüchtlingseigenschaftArtikel 17Garantien für unbegleitete Minderjährige(1) Bei allen Verfahren nach dieser Richtlinie und unbeschadet derBestimmungen der Artikel 12 und 14a) ergreifen die Mitgliedstaaten so bald wie möglich Maßnahmen,um zu gewährleisten, dass ein Vertreter bestellt wird, der den unbegleitetenMinderjährigen bei der Prüfung des Antrags vertrittund/oder unterstützt. Bei diesem Vertreter kann es sich auch umeinen Vertreter im Sinne des Artikels 19 der Richtlinie 2003/9/EGvom 27. Januar 2003 <strong>zur</strong> Festlegung von Mindestnormen für dieAufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (1) handeln;b) stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Vertreter Gelegenheiterhält, den unbegleiteten Minderjährigen über die Bedeutung unddie möglichen Konsequenzen seiner persönlichen Anhörung sowiegegebenenfalls darüber aufzuklären, wie er sich auf seine persönlicheAnhörung vorbereiten kann. Die Mitgliedstaaten gestatten demVertreter, bei dieser Anhörung anwesend zu sein sowie innerhalbdes von der anhörenden Person festgelegten Rahmens Fragen zustellen und Bemerkungen vorzubringen. Die Mitgliedstaaten könnenverlangen, dass der unbegleitete Minderjährige auch dann bei der46


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m epersönlichen Anhörung anwesend ist, wenn der Vertreter zugegenist.(2) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, einen Vertreter zubestellen, wenn der unbegleitete Minderjährigea) aller Wahrscheinlichkeit nach vor der erstinstanzlichen Entscheidungdie Volljährigkeit erreichen wird oderb) selbst kostenlos die Dienste eines Rechtsanwalts oder sonstigenRechtsberaters in Anspruch nehmen kann, der als solcher nach dennationalen Rechtsvorschriften zugelassen ist, die genannten Aufgabendes Vertreters zu übernehmen, oderc) verheiratet ist oder bereits verheiratet war.(3) Die Mitgliedstaaten können gemäß den am 1. Dezember 2005geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften auch dann davonabsehen, einen Vertreter zu bestellen, wenn der unbegleitete Minderjährige16 Jahre alt oder älter ist, es sei denn, er ist nicht in derLage, seinen Antrag ohne einen Vertreter weiter zu betreiben.(4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dassa) die persönliche Anhörung eines unbegleiteten Minderjährigennach den Artikeln 12, 13 und 14 von einer Person durchgeführtwird, die über die nötige Kenntnis der besonderen Bedürfnisse Minderjährigerverfügt;b) die Entscheidung der Asylbehörde über einen Antrag eines unbegleitetenMinderjährigen von einem Bediensteten vorbereitet wird,der über die nötige Kenntnis der besonderen Bedürfnisse Minderjährigerverfügt.(5) Die Mitgliedstaaten können im Rahmen der Prüfung eines Asylantragsärztliche Untersuchungen <strong>zur</strong> Bestimmung des Alters unbegleiteterMinderjähriger durchführen lassen. In Fällen ärztlicher Untersuchungenstellen die Mitgliedstaaten sicher, dassa) unbegleitete Minderjährige vor der Prüfung ihres Asylantrags in47


H a n d l u n g s l e i t l i n i e n I n o b h u t n a h m eeiner Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werdenkann, über die Möglichkeit der Altersbestimmung im Wege einerärztlichen Untersuchung informiert werden. Diese Informationumfasst eine Aufklärung über die Untersuchungsmethode, über diemöglichen Folgen des Untersuchungsergebnisses für die Prüfungdes Asylantrags sowie über die Folgen der Weigerung des unbegleitetenMinderjährigen, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen,b) eine Untersuchung <strong>zur</strong> Altersbestimmung nach Einwilligung desunbegleiteten Minderjährigen und/oder seines Vertreters durchgeführtwird; undc) die Entscheidung, den Asylantrag eines unbegleiteten Minderjährigenabzulehnen, der diese ärztliche Untersuchung verweigert hat,nicht ausschließlich in dieser Weigerung begründet ist.Die Tatsache, dass ein unbegleiteter Minderjähriger eine solcheärztliche Untersuchung verweigert hat, hindert die Asylbehördenicht daran, eine Entscheidung über den Asylantrag zu treffen.(6) Bei der Durchführung dieses Artikels berücksichtigen die Mitgliedstaatenvorrangig das Kindeswohl.48


<strong>Inobhutnahme</strong>verfahrenBenachrichtigungJugendamt(Leistungsträger)Erstkontakt- erstes Ziel: Sicherung desKindeswohls- In der Regel durch Polizei,Ausländerbehörde,Jugendamt, EAEÜberweisungClearinghaus(Leistungserbringer)- <strong>Inobhutnahme</strong>entscheid- Regelung der gesetzl. Vertretung (3-Tages-Frist)- Beginn des Hilfeplanverfahrens- Rückkopplung <strong>zur</strong> Ausländerbehörde- Dolmetscherfederführend- Sozialpäd. Krisenintervention- Medizinische Erstversorgung- Basisinformation- Kontaktmöglichkeit- Ruhe- und Schutzraum- BeschulungExpertisenClearingverfahren- Identität- Alter- Familie- Gesundheit- Persönlicher Hintergrund(Bildung, Zukunftsperspektiven)- Traumatisierung- Opfer von Menschenhandel- Situation im Herkunftsland- Klärung der gesetzlichenVertretungAufenthaltsrechtl.Clearing- Möglichkeit derFamilienzusammenführung- Fluchtgründe und-wege- BerücksichtigungjugendspezifischerNotwendigkeitenJugendhilfeVormundschaftEnde der <strong>Inobhutnahme</strong>durch Entscheidung überHilfen nach dem <strong>SGB</strong> <strong>VIII</strong>- Prinzip der Parteilichkeit- persönl. Ansprechpartner- erhält dasAufenthaltsbestimmungsrecht- Hilfe <strong>zur</strong> Erziehung- Bildung, Unterkunft, Betreuung- GesundheitssorgeAsylverf.HumanitäreGründe© 2009 B-UMF e.V.


Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind odereinen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ein ausländischesKind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitetnach Deutschland kommt und sich weder Personensorge-noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.Bundesfachverband UnbegleiteteMinderjährige Flüchtlinge e.V.www.b-umf.deinfo@b-umf.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!