E<strong>in</strong>leitungStammesvölker und ihr Überleben2Stammesvölker haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel seit Jahrhun<strong>der</strong>ten – wenn nicht Jahrtausenden – aufihrem Land gelebt. Sie lebten abgeschieden von <strong>der</strong> Kolonialgesellschaft und haben meiste<strong>in</strong>e eigene Sprache und Lebensweise, die sie von ihren Vorfahren übernommen haben.Entgegen <strong>der</strong> landläufigen Me<strong>in</strong>ung handelt es sich nicht um statische Gesellschaften, die<strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit leben. Sie passen sich den Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> ihrer Umgebung an – undhaben dies schon immer getan – wie jede an<strong>der</strong>e Kultur auch. Die Annahme, dass sie „<strong>in</strong> <strong>der</strong>Ste<strong>in</strong>zeit“ leben, muss als falsch und rassistisch zurückgewiesen werden. Stammesvölker s<strong>in</strong>dzeitgenössische Völker, sie s<strong>in</strong>d nur an<strong>der</strong>s.Die meisten Stämme leben <strong>in</strong> relativ abgelegenen Gegenden. Solche, die <strong>in</strong> besserzugänglichen Gebieten lebten, wurden entwe<strong>der</strong> ausgerottet o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die nationaleGesellschaft <strong>in</strong>tegriert. Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit haben die meisten von uns ke<strong>in</strong>eErfahrung mit Stammesvölkern und halten sie für exotische Kuriositäten. Unser Bild ist oftgeprägt von Geschichten über ihre angebliche Grausamkeit (die dazu dienten, die Eroberungihres Landes zu rechtfertigen) o<strong>der</strong> von romantischen Vorstellungen von „Naturvölkern“ (dieihren Ursprung <strong>in</strong> <strong>der</strong> europäischen Mythologie haben und heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umweltbewegungwie<strong>der</strong> aufleben). Beide dieser gegensätzlichen Vorstellungen haben e<strong>in</strong>en wahren Kern,umschlossen von e<strong>in</strong>er dicken Schicht falscher Vorurteile. Stämme können sich grausamverhalten – ebenso wie wir. Und sie haben tatsächlich e<strong>in</strong>e enge Beziehung zur und e<strong>in</strong>tiefes Verständnis für die Natur – wie jede Gesellschaft, die ihre Nahrung, ihre Behausungund generell alles, was sie benötigt, aus ihrer unmittelbaren, natürlichen Umgebung bezieht.Stammesvölker werden <strong>in</strong> den <strong>Schule</strong>n weitgehend ignoriert o<strong>der</strong> aber mit veralteten undfalschen Vorurteilen behandelt. Sie haben Besseres verdient. Zunächst e<strong>in</strong>mal machen siee<strong>in</strong>en großen Teil <strong>der</strong> Menschheit aus. Es gibt tausende von Stämmen auf <strong>der</strong> <strong>Welt</strong>, diesich aus <strong>in</strong>sgesamt etwa 300 Millionen Individuen zusammensetzen. Das ist mehr als dieBevölkerung <strong>der</strong> USA und Kanada zusammengenommen! In diesem S<strong>in</strong>ne handelt es sichum die größte M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>der</strong> <strong>Welt</strong>. Zweitens f<strong>in</strong>det man bei ihnen die größte Vielfalt anProblemlösungen und Errungenschaften menschlichen Lebens. Es ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat schwierigzu def<strong>in</strong>ieren, was den Menschen ausmacht (welche Teile auf unser Umfeld zurückzuführens<strong>in</strong>d und welche <strong>in</strong> den menschlichen Genen verankert s<strong>in</strong>d), ohne das Wissen über dieseerstaunliche Vielfalt. Drittens: wenn wir lernen Stammesgesellschaften zu akzeptieren –die Menschen, die sich am meisten von uns unterscheiden – stärken wir unsere Fähigkeit,unsere eigenen Nachbarn zu akzeptieren, die vielleicht ebenfalls an<strong>der</strong>e Vorstellungen undLebensweisen haben als wir. Aus dem Respekt für Stammesvölker ergibt sich e<strong>in</strong>e völligantirassistische Ethik.Aus diesen Gründen sollten K<strong>in</strong><strong>der</strong> im mo<strong>der</strong>nen Deutschland Zugang zu e<strong>in</strong>er wahrhaftigenDarstellung von Stammesvölkern haben. In diesem Paket werden vier Stämme vorgestellt,um ihre Vielfalt zu illustrieren: die Yanomami Indianer aus dem Regenwald des Amazonas,die Ba-aka, „Pygmäen“ <strong>in</strong> Zentralafrika, die Buschmänner Botswanas und die Tschuktschen,e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> sibirischen Völker <strong>in</strong> Russland. Diese Völker, die auf drei Kont<strong>in</strong>enten und <strong>in</strong>extremem Klima leben, zeigen uns, wie e<strong>in</strong>fallsreich und anpassungsfähig die menschlicheSpezies ist. Bei <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> Stämme konzentrieren wir uns jeweils auf e<strong>in</strong> bestimmtesK<strong>in</strong>d. Die Präsentation <strong>der</strong> Völker und <strong>der</strong> jeweiligen K<strong>in</strong><strong>der</strong> durch Poster und imitierte Briefeist e<strong>in</strong> Kunstgriff von Survival. Doch die K<strong>in</strong><strong>der</strong> selbst, ihre Namen und ihre Geschichtens<strong>in</strong>d real.
H<strong>in</strong>tergrun<strong>in</strong>formationenGuiomar und die Yanomami (Brasilien)Guiomar (ausgesprochen Gih-oh-mar) ist e<strong>in</strong> neun Jahredie aus Streifen von Lianen hergestellt werden o<strong>der</strong> ausNachbarn zu erhalten.erweisen. Der E<strong>in</strong>fluss se<strong>in</strong>er Vorschläge ist abhängig vonaltes Yanomami-Mädchen. Guiomar ist ihr portugiesischerName. Portugiesisch ist die Amtssprache Brasiliens. Sie hatauch e<strong>in</strong>en Yanomami-Namen, aber dieser wird niemals <strong>in</strong>Hörweite ausgesprochen, denn die Yanomami f<strong>in</strong>den dassehr unhöflich. Wie bei den Yanomami üblich, wurdenGuiomars Lippe und Nase durchstochen, als sie drei Jahrealt war, und sie trägt dünne Zweige zur Dekoration dar<strong>in</strong>.Guiomars zahmer Affe heißt Yarima.ZuhauseGuiomar wohnt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dorf, das Watoriki heißt. Esliegt am Ufer des Dem<strong>in</strong>i Flusses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe e<strong>in</strong>es Bergesim Regenwald des Amazonas, nahe <strong>der</strong> Grenze zwischenBrasilien und Venezuela. Watoriki bedeutet „Ort desw<strong>in</strong>digen Berges“. Das Gelände um Watoriki ist größtenteilsflach, mit vielen Flüssen und Strömen. Das Klima ist heiß undfeucht; die durchschnittliche Temperatur beträgt am Tage25°C, aber <strong>in</strong> den Nächten kann es überraschend kalt werden.Es gibt nur zwei Jahreszeiten: die nasse und die trockene.Das ganze Dorf lebt zusammen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen,r<strong>in</strong>gförmigen Haus namens yano. In Watoriki leben ca.100 Personen. Das Yano besteht aus Holz und hat e<strong>in</strong>Baumwolle, die <strong>in</strong> den nahen Gärten angebaut wird. DieHängematten werden an Balken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe des Feuersbefestigt, damit es nachts warm bleibt. Der Rauch desFeuers hält die Insekten fern.NahrungDie Yanomami ernähren sich sehr abwechslungsreich. Inden Gärten r<strong>in</strong>gs um das Yano bauen die Frauen verschiedeneArten von Maniok-Knollen an. Das Gemüse wirdgekocht o<strong>der</strong>zu Mehl verarbeitet, um Brot daraus zu backen. Sie züchtenauch Wegerich, Zuckerrohr, Mais, Erdnüsse und Paprika.E<strong>in</strong>ige Pflanzen werden zu mediz<strong>in</strong>ischen Zwecken angebautund an<strong>der</strong>e, wie Baumwolle, zur Herstellung vonHängematten.Die Männer jagen Vögel, Affen, Wildschwe<strong>in</strong>e, Tapire undGürteltiere, vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Trockenzeit zwischen Oktoberund März, wenn die Flüsse leichter zu überqueren s<strong>in</strong>d.Sie fischen auch und sammeln Termiten, Raupen, Sp<strong>in</strong>nen,Frösche und Krebse am Flussufer. Die Lebensmittel werdenunter allen Dorfbewohnern geteilt, damit niemand hungernmuss. Großzügigkeit und Teilen s<strong>in</strong>d wesentlicheBestandteile <strong>der</strong> Lebensweise <strong>der</strong> Yanomami.E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Vorbereitung besteht dar<strong>in</strong>, sich selbst für dieGäste schön zu machen, <strong>in</strong>dem die Körper bemalt werden.Männer und Frauen bemalen ihre Gesichter und Körpermit Pflanzenfarben, und sie benutzen bunte Fe<strong>der</strong>n, Blütenund Blätter als Ohrr<strong>in</strong>ge und Haarschmuck. Guiomar trägtgerne ihre Halskette aus bunten Glasperlen. Die Indianerstellen diese nicht selbst her, son<strong>der</strong>n bekommen sie vonaußerhalb.Während mehrerer Tage werden riesige Mengen Suppeverzehrt, und die Frauen tanzen und s<strong>in</strong>gen bis spät <strong>in</strong> dieNacht. Das Fest endet mit dem Tausch von Pflanzen undTieren aus dem Wald gegen bunte Perlen, Messer undKochtöpfe zwischen den beiden Dörfern.Entscheidungsf<strong>in</strong>dungInnerhalb <strong>der</strong> Yanomami-Gesellschaft geltenungeschriebene Gesetze von Gleicheit und Teilen.Ähnlich wie bei vielen Stammesvölkern (und entgegen<strong>der</strong> landläufigen Annahme) gibt es bei den Yanomamike<strong>in</strong>en wirklichen Anführer. Häufig äußern sich prom<strong>in</strong>entePersonen o<strong>der</strong> solche mit großer Überzeugungskraft,<strong>der</strong>en Me<strong>in</strong>ung hoch angesehen ist, zu Themen des täglichense<strong>in</strong>er Intelligenz, se<strong>in</strong>em Ideenreichtum und se<strong>in</strong>erRedegewandtheit, sowie von se<strong>in</strong>em eigenen Respekt vor <strong>der</strong>Geschichte des Dorfes. Frauen spielen für die E<strong>in</strong>haltung vonAbmachungen im Dorf e<strong>in</strong>e große Rolle.ProblemeWatoriki liegt im Gebiet <strong>der</strong> Yanomami, das 1992 offiziellvon <strong>der</strong> brasilianischen Regierung anerkannt wurde. Trotzdieser Anerkennung dr<strong>in</strong>gen Goldsucher (auf Portugiesischgarimpeiros) <strong>in</strong> das Yanomami Gebiet e<strong>in</strong>, um <strong>in</strong> den FlüssenGold zu waschen.Wenn die Yanomami mit Fremden <strong>in</strong> Kontakt kommen,werden sie oft krank und viele sterben an Krankheiten wie<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>en Erkältung, <strong>der</strong> Grippe und an Masern, gegendie sie ke<strong>in</strong>e Immunität besitzen. Zwischen 1989 und 1995starb etwa e<strong>in</strong> Viertel <strong>der</strong> Yanomami <strong>in</strong> Brasilien, alstausende Garimpeiros <strong>in</strong> ihr Gebiet kamen. Auch heute nochdr<strong>in</strong>gen Garimpeiros auf <strong>der</strong> Suche nach Gold <strong>in</strong> das Gebiete<strong>in</strong>, und die brasilianische Regierung unternimmt kaumetwas, um sie aufzuhalten.Während <strong>der</strong> letzten Jahre haben die Yanomami <strong>Schule</strong>n3schräges Dach aus Palmblättern, die mit starkenKletterpflanzen (Lianen) festgebunden werden. In <strong>der</strong>Mitte des Yano bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> offener Platz, an demVersammlungen abgehalten werden, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> spielen undGäste unterhalten werden. Auch Feste werden hier gefeiert.FesteUm e<strong>in</strong>e gute Ernte zu feiern, laden die Yanomamibenachbarte Dörfer zu e<strong>in</strong>em Festmahl e<strong>in</strong>. Tage vorhergehen die Männer auf die Jagd, und die Frauen kochenriesige Mengen an Fruchtsuppe aus Bananen, MangoLebens und schlagen Lösungsansätze vor. Sie können jedochke<strong>in</strong>e wirkliche Macht über irgendjemanden ausüben; alle<strong>in</strong><strong>der</strong> Versuch wäre undenkbar.Das „Oberhaupt“ e<strong>in</strong>es Dorfes ist häufig <strong>der</strong> Mann mit denmeisten Schwestern und Töchtern. An<strong>der</strong>e Männer wollen<strong>in</strong> Watoriki und an<strong>der</strong>en Dörfern errichtet. Dort lernen siePortugiesisch zu lesen und zu schreiben, um besser mit denGarimpeiros und den Regierungsbeamten kommunizierenzu können. Sie wollen auch <strong>in</strong> ihrer eigenen Sprache lesenund schreiben lernen. Die Älteren schreiben die Namen <strong>der</strong>Das große Dach bietet Schutz und Schattenund Pfirsich-Palme. Sie s<strong>in</strong>d stolz darauf, reichlich Speisensich gut mit ihm stellen, um Bräute zu werben. Er muss sichHeilpflanzen auf, um ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Enkelk<strong>in</strong><strong>der</strong>n dabeiund hält das Innere kühl. Alle schlafen <strong>in</strong> Hängematten,vorzubereiten, die helfen, die guten Beziehungen zu denim Gegenzug als großzügig und des Respekts würdigzu helfen, die Krankheiten zu bekämpfen.