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50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Das <strong>Studentendorf</strong> – Reeducation-Projekt der AmerikanerDie Geschichte des <strong>Berlin</strong>er <strong>Studentendorf</strong>es als Beitrag zur Reeducation gründet sich vor allem auf demPrinzip demokratischer Selbstverwaltung: Aussöhnung und Völkerverständigung waren nach den zwölfJahren NS-Diktatur die wichtigsten Elemente dieses neu entstehenden Demokratisierungsprozesses. ImRahmen ihrer Bildungsinitiative suchte daher das amerikanische State Department nach einem geeignetenStudentenwohnprojekt in <strong>Berlin</strong>. Beeindruckt von der studentischen Ankaufsunterstützung für dasGrundstück an der Potsdamer Chaussee – die Studenten der Freien Universität <strong>Berlin</strong> hatten zuvor 40.000D-Mark für die Ankaufsoption aufgebracht – bewilligte das US-State-Departement 7,5 Millionen D-Markfür den Bau des Dorfes. Die Ford-Foundation stellte zudem Mittel für den Aufbau des Tutorensystems zurVerfügung.Das Partizipationsmodell im <strong>Studentendorf</strong> sah vor, dass die Bewohner sich in so genannten Hausgemeinschaftenorganisieren und entsprechende Vertreter für den Dorfrat demokratisch wählen. DerDorfrat übernahm die Funktion der Exekutive, bestimmte den Bürgermeister und bildete gemeinsam mitdem akademischen Direktor und den Assistenten thematische Ausschüsse u.a. den Aufnahme- undDisziplinarausschuss und den Kulturausschuss. Der akademische Direktor war zudem Vorsitzender desStiftungsvorstands. Auf Initiative des Kulturausschusses konnten sich diverse Arbeitskreise bilden, die fürihre Arbeit in den Wohnhäusern entsprechende Gruppenräume nutzen konnten. Die wirtschaftliche undjuristische Verantwortung für das <strong>Studentendorf</strong> blieb bei der Stiftung. Mit der Auflösung der Stiftung,der Abschaffung des Bürgermeisteramtes und der Gründung der Studentischen Selbstverwaltungänderte sich auch das auf Hausgemeinschaften abgestimmte Mitbestimmungsmodell. Die kulturellgestalterischeVerantwortung lag nun bei einem gemeinnützigen Verein, der durch seine Mitgliedergetragen wurde. Dies ist bis heute der Fall.


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Der Zahn der Zeit – Denkmalgerechte Erneuerung des <strong>Studentendorf</strong>sDie insgesamt 27 Häuser des <strong>Studentendorf</strong>s von Grund auf zu sanieren, und das dabei noch denkmalgerecht,ist kein Pappenstiel, zumal die Arbeiten nur Schritt für Schritt während des laufenden Betriebsvon statten gehen können. In Zusammenarbeit mit den Architekturbüros Autzen & Reimers und WinfriedBrenne Architekten wurden Konzepte entwickelt, wie man die Nachkriegsbauten nicht nur wiederherstellen,sondern dabei gleichzeitig auch ursprüngliche Baumängel beheben kann.Bei den beiden im Jahr 2009 fertig gestellten Häusern 4 und 8 wurden diese Konzepte erstmals mitErfolg in die Tat umgesetzt. So wurden zum einen die Original-Grundrisse behutsam verändert, um dieStudentenbuden, etwa durch den Einbau von zusätzlichen Badezimmern, dem heutigen Vermietungsstandardanzupassen. Zum anderen lag ein besonderer Fokus darauf, die Energieeffizienz der Häuser zuverbessern und Wärmebrücken zu beseitigen. Durch Lüftungsanlagen mit teilweiser Wärmerückgewinnung,Mineralschaumplatten zur Dämmung des Daches, der Außenfassade und innen unter denFensterbänken sowie das Ersetzen der ursprünglichen Stahlfenster durch Fenster mit Dreifachisolierverglasunggelang es, den Energiebedarf der Häuser um bis zu 60 Prozent zu senken. Dabei wurde dieursprüngliche Fassadenansicht weitgehend beibehalten. Die ursprünglich als Sichtbeton in der Außenansichtwahrnehmbaren Decken wurden durch Polyesterbetonplatten nachempfunden und der Rest derFassaden wieder wie zuvor zweifarbig verputzt.Abgeschlossen wird das Großprojekt voraussichtlich erst im Jahr 2024 sein.Gestaltungspreis der Wüstenrot StiftungDie Erneuerung von Gebäuden der Baujahre 1945 bis 1979Ansicht der Häuser 4&8 nach Fertigstellung 1961Haus 8 nach der Sanierung 2009Eingang Haus 8 vor Erneuerung 2002Foto: Mila Hacke<strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong>FensterprofilNordfassade Haus 8 2004Fensterdetail + Zustand 2004


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Geschenke der AmerikanerDas <strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong> wurde ab 1957 auf 45.000 qm Fläche im Südwesten <strong>Berlin</strong>s für dieFreie Universität errichtet und war damit das größte Studentenwohnheimprojekt in der Bundesrepublik.Die Initiatorin Eleanor L. Dulles, <strong>Berlin</strong>-Beauftragte im Außenministerium, wies in ihrer Rede zur Grundsteinlegungauf die Bedeutung hin: "Dieses Dorf wird viel mehr als ein bloßes Wohnheim sein. Das wird ein<strong>eG</strong>estaltung, eine Art von Lebensform führen. Es wird eine Rolle in der ganzen Erziehung spielen. Hier werdendie jungen und älteren Studenten in gutem Einverständnis miteinander unterhalten. Hier in freundlicher undauch hin und wieder scharfer Diskussion wird man viel voneinander lernen."Der am 3. Okt. 1957 ins Amt gewählte Regierende Bürgermeister Willy Brandt nahm in seiner Rede Bezugauf E. Dulles Worte: "Ich möchte drei Dinge sagen: 1. Für das Land <strong>Berlin</strong> ein herzliches Wort des Dankes an dieAdresse unserer amerikanischen Freunde. Wir haben in dieser Stadt in den hinter uns liegenden JahrenDenkmäler einer Freundschaft entstehen sehen. Wir haben die schönen Gebäude der FU bekommen. Di<strong>eG</strong>edenkbibliothek, die Kongresshalle, hier wird jetzt dieses <strong>Studentendorf</strong> entstehen und wir sind dafür wirklichsehr dankbar. [ ] 3. [...] die Idee des <strong>Studentendorf</strong>s dieser Zeit, Wirklichkeit werden zu lassen. Ich möchtehoffen und ich glaube, es ist unser aller Hoffnung, dass dieses Werk nicht nur als äußerliches Bauwerk schönwird, sondern, dass die ihm zugrunde liegende Idee, die IDEE dieses <strong>Studentendorf</strong>s, über den Tag hinauserhalten bleibt - und dass von dieser Stätte aus, Impulse ausgehen in unser ganzes studentisches undakademisches Leben hinein."Deutschlandradio Kultur, Sendung des RIAS <strong>Berlin</strong>, Hochschulfunk am 17.10.1957Die Amerika-Gedenkbibliothek gilt als erste öffentliche Referenzbibliothek Europas und die Kulturinstituteder Alliierten boomten in den '50ern. Amerika Häuser wurden in fast allen größeren Städten alsMultifunktionsbauten, von Kino bis Sprachkurs, eröffnet. Im <strong>Studentendorf</strong> der Freien Universität wurdeden Studenten nach Vorbild einer Akademie bzw. der Amerika Häuser alles Wichtige an Komfort undInfrastruktur des modernen Lebens geboten und zudem viele kulturelle Angebote gemacht: von einerBibliothek über Malerateliers zu Arbeitskreisen und einer Theatergruppe. Im Gegenzug wurde von denStudenten politisches Mitgestalten, Engagement und Eigeninitiative gefordert.Die zahlreichen gestifteten Kultur- und Bildungsbauten im "Schaufenster des Westens" dienten derDemokratisierung und "Um-Erziehung". Sie zeugen aber vor allem vom großen Einsatz für <strong>Berlin</strong> und derfreundschaftlichen Verbundenheit zwischen den Vereinigten Staaten und der jungen Bundesrepublik.Haus der Kulturen der Welt, ehemalige Kongresshalle .beide Fotos: Mila HackeHenry-Ford-Bau der FU <strong>Berlin</strong>www.geschenke-der-amerikaner.de


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong><strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong>: Daten und Zahlen – gestern und heuteAm 04.04.1957 konnte durch die Übergabe einer 7,5-Millionen-Mark-Spende des amerikanischen StateDepartment die Finanzierung des Bauvorhabens „<strong>Studentendorf</strong>“ als gesichert gelten. Vermittelt wurdedie Spende durch Eleanor Lansing Dulles, die Schwester des damaligen US Außenministers. Am10.10.1957 erfolgte im Beisein von Frau Dulles sowie des regierenden Bürgermeisters Willy Brandt diefeierliche Grundsteinlegung. Im September 1958 begannen die ersten Erdarbeiten. Am 09.02.1959konnte man Richtfest feiern und im Dezember des selben Jahres zogen die ersten Bewohner in die strenggetrennten zwölf „Herren“- und sechs „Damen“-Häuser, die insgesamt 565 Wohnplätze boten. Von derkurz zuvor gegründeten Stiftung „<strong>Studentendorf</strong> der Freien Universität <strong>Berlin</strong>“ wurden spezielle Aufnahmequotenfestgelegt: 50% der Dorfbewohner sollte aus Ostdeutschland stammen, insgesamt 20% warenausländischen Studierenden zugedacht und der Frauenanteil war auf ein Drittel begrenzt. Der Mietpreisfür eine Bude betrug 60 Mark/Monat, darin enthalten waren Zimmerreinigung, Strom, Bettwäsche undHandtücher. Die Höchstmietdauer betrug fünf Semester, konnte jedoch in Ausnahmefällen um weiterevier Semester verlängert werden.In den Jahren 1962-64 erfolgte der zweite Bauabschnitt, der neben 66 weiteren Wohnplätzen (Haus12/13) auch das Gemeinschaftshaus (Haus 14) beinhaltete. In den 70er Jahren wurde die Anlage um diebeiden Wohngemeinschafts-Doppelhäuser 24/25 und 26/27 ergänzt. Im April 1977 feierten die beidenfünfgeschossigen Bauten Richtfest, im Dezember 1977 beziehungsweise im Februar 1978 waren siebezugsfertig. Dadurch standen erneut weitere 352 Wohnplätze zur Verfügung.Nach dem Kauf des <strong>Studentendorf</strong>s durch die <strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong> <strong>eG</strong> am 29.12.2003 bietet das<strong>Studentendorf</strong> heute 950 Wohnplätze, von denen sich zur Zeit 110 im Bauzustand befinden. Bei 40% derderzeitigen Dorfbewohner handelt es sich um Langzeitmieter, 60% bleiben meist nur für ein Semesteroder weniger, darunter viele Austauschstudenten. Eine Begrenzung der Mietdauer gibt es nicht. DerAnteil der ausländischen Studierenden beträgt etwa 50%, darunter bilden die Studenten aus Asien, hiervor allem China, die größte Gruppe. Der billigstmögliche Mietpreis für eine Studentenbude (SB basic)beträgt derzeit 185 €/Monat bei mindestens 11 Monaten Mietdauer. [Stand Oktober 2012]Postkarte aus demGenossenschaftsarchiv


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Der Antiabrisskampf 1998-2003Nachdem es bereits im Jahr 1988 Abrisspläne für das <strong>Studentendorf</strong> gegeben hatte, die jedoch dadurch,dass auf Betreiben der Studenten weite Teile der Anlage unter Denkmalschutz gestellt wurden,abgewehrt werden konnten, verschärfte sich die Lage im Jahr 1998 wieder dramatisch. <strong>Berlin</strong>s damaligemKultur- und Wissenschaftssenator wurde von einer Investorengruppe der Eiskeller der ehemaligenSchultheiss-Brauerei in Kreuzberg als Standort für die neue <strong>Berlin</strong>ische Galerie angeboten, derenBestände zu jener Zeit in dunklen Magazinen verstaubten.Die dafür erforderlichen 23,5 Millionen DM wurden jedoch vom Finanzsenator nicht bewilligt, stattdessensollte die Finanzierung über einen Grundstückstausch erfolgen. Die Wahl aus dem Fachvermögendes Kultur-und Wissenschaftsressorts fiel auf das marode und defizitäre <strong>Studentendorf</strong>. Einen Hinweiszum 'warum' gab Senator Radunski bei der Pressekonferenz im Club A18 im Winter 1999: „So einStudentenwohnheim gehört nicht ins feine <strong>Schlachtensee</strong>.“Nachdem die Verwaltungsleiterin des <strong>Studentendorf</strong>s den Ratsvorstand im Oktober 1998 über dieVorgänge informiert hatte, wurde von der studentischen Selbstverwaltung eine Vollversammlungeinberufen, gleichzeitig wurden diesbezüglich erste Gespräche mit der Presse, der Freien Universität,dem AstA der FU, der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur und dem Studentenwerk geführt,und es erfolgte eine Kontaktaufnahme mit verschiedenen Fraktionen des Abgeordnetenhauses. ErsteProtestaktionen wurden beschlossen. Anfang 1999 fand die bereits erwähnte Pressekonferenz statt, beider unter anderem auch der damalige FU-Präsident Gaehtgens und der Geschäftsführer des StudentenwerksFink anwesend waren. Die Studenten überreichten dem Kultursenator 4000 gesammelte Unterschriftengegen den geplanten Dorfabriss.In der Folge kam es zu mehreren Protestaktionen. So wurde etwa ein morgendliches Treffen zwischenLandeskonservator Engel, Senatsbaudirektor Stimmann und Studentenwerk-Geschäftsführer Finkkurzerhand von einer Abordnung der Studenten gestört. Eine Demonstration in <strong>Berlin</strong> Mitte stand unterdem Motto „Wir sprengen das Brandenburger Tor“, was dann auch prompt in die Tat umgesetzt wurde −mit Gießkannen.Fotos: Studentische Selbstverwaltung


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Der Antiabrisskampf 1998-2003, Text 2/2In der Stadt begann sich langsam eine öffentliche Diskussion über die Zukunft des <strong>Studentendorf</strong>es zuentwickeln. Das Studentenwerk verhängte einen Vermietungsstop für Langzeitmieter, um das Dorf nachund nach zu leeren. Durch das sich hinziehende Verfahren kam es dann doch nicht zu einer Grundstücksübergabe.Bausenator Strieder streckte den Investoren das Geld für die Galerieräume vor, das Dorfging vom Vermögen des Wissenschafts- und Kulturressorts, zur Senatsverwaltung für Bau beziehungsweiseFinanzen über. Die bestehenden Mietverträge wurden gekündigt. Es wurde festgelegt, einRestdenkmal von drei Häusern (2, 3 und 4) zu erhalten. Der Rest des Grundstücks wurde ausgeschrieben.Laut einem vom Senat in Auftrag gegebenen Gutachten hatte das Grundstück exakt den Wert von 23,5Millionen DM. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.Die Proteste gingen indessen weiter. Neben der Tatsache, dass etwa 30 Personen trotz Räumungsklagedurch das Studentenwerk im Dorf verblieben, leisteten die Studenten erfolgreich Lobbyarbeit. Es gelangPolitiker, Architekten, Denkmalschützer, Stadt- und Projektplaner und ehemalige Bewohner für das<strong>Studentendorf</strong> zu gewinnen. Im Jahr 2001 gründete sich aus diesen Personen der „Freundeskreis des<strong>Studentendorf</strong>s <strong>Schlachtensee</strong>“. Dieser erarbeitete ein Angebot, mit dem sich die studentische Selbstverwaltungan der Ausschreibung des Grundstücks beteiligte. Symbolisches Gebot: 1 DM.Im Jahr 2002 wurde zunächst die <strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong> GmbH gegründet, die später zumGenossenschaftsmodell umgewandelt wurde. Am 30.09.2002 erfolgte die offizielle Gründung der <strong>eG</strong>.Bereits im Juli begann die studentische Selbstverwaltung illegal mit der Wiedervermietung des Dorfes.Am 23.03.2003 beschloss der Senat schließlich die Aufnahme von Verhandlungen mit den Studenten,die Wiedervermietung wurde nachträglich legalisiert. Die Genossenschaft schloss einen Verwaltungsvertragmit der studentischen Selbstverwaltung über die Abführung der Mieterträge an den künftigenEigentümer. Am 29.12.2003 wurde der Kaufvertrag zwischen Genossenschaft und Land <strong>Berlin</strong>unterzeichnet. Am 01.04.2004 übernahm die Genossenschaft offiziell die Verwaltung und Vermietungdes <strong>Studentendorf</strong>s.Foto: Studentische Selbstverwaltung


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Das <strong>Studentendorf</strong> als Gartendenkmal – Planung und Wirklichkeit„Ich bin damals im Winter auf den Schornstein gestiegen und habe von da oben Fotos gemacht. DaSchnee lag, sah man, wunderbar organisch gewachsen, die Verkehrsströme zwischen den Häusern. Ichhabe gedacht, welch eine Chance für den Gartenarchitekten, der uns fürs Frühjahr avisiert war! Der siehtja genau, wie die Wege laufen und muss nur leichte Korrekturen machen, damit man nicht zu dicht andie Fenster kommt. Und im Frühjahr kam dann ein Professor Mattern aus Kassel, der hatte an seinemgrünen Tisch entworfen wie man Rechtecke irgendwie verbindet. Da war keinerlei Organisches mehrdrin, sondern ich musste also wie ein Blitz zuerst rechts, dann kurz links zurück und dann wieder rechtsrum – also eine völlig idiotische Wegeführung, die da durch diesen Professor hergestellt wurde.“(Lifka W., Dorfbewohner WS 59/60 - WS 60/61 und WS 61/62 - SS 63, Haus 9)Die Studenten hielten sich in vielen Fällen nicht an die strenge Wegeführung der Matternschen Planung,in der Folge entstanden zahlreiche Trampelpfade durch die frisch angepflanzten Grünflächen. Einigedieser Trampelpfade wurden in den 1970ern befestigt. Während es sich bei den Originalwegebelägenaus den späten 1950er beziehungsweise frühen 1960er Jahren um Betonplatten mit einem Kieselwaschbetonvorsatzhandelt, wurde bei den nachträglich befestigten Wegen graues Betonpflaster (Doppel-T-Steine, sogenannte „Knochen“) verwendet. Dadurch wurden jedoch beileibe nicht alle Trampelpfadebeseitigt.Dazu Auszüge aus dem heutigen Gartenpflegewerk von Dr.-Ing. Uwe Neumann, Freier Garten- undLandschaftsarchitekt BDLADie von Hermann Mattern geplante Freiraumgestaltung des 1957 bis 1964 entstandenen <strong>Studentendorf</strong>es<strong>Schlachtensee</strong> stellt in ihrem Zusammenspiel von Gebäuden und Park ein herausragendes Beispielder Gartenarchitektur der Nachkriegsmoderne dar. [...]Parallel zur Sanierung der denkmalgeschützten Gebäude wird auch der Freiraum denkmalgerechtwiederhergestellt, unter Berücksichtigung heutiger bzw. durch die Nutzung sich abzeichnenderAnsprüche, wie sie sich z.B. in den „Trampelpfaden“ dokumentieren, und unter Einbeziehung undAnpassung der Anlagenteile, die erst in der Nach-Mattern-Ära hinzukamen. [...]Die Trampelpfade sollen eine neue Befestigung erhalten, die sich besser in das Gesamtbild einpassen,sich dabei aber deutlich von den ursprünglichen Wegen absetzen [...]. Als Material sind sandgestrahlteBetonplatten mit einem Splittvorsatz (Granit) im Format 40 x 100 x 12 cm vorgesehen.Hermann Mattern,Plan der Außenanlage <strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong>Technische Universität <strong>Berlin</strong>, Architekturmuseum in derUniversitätsbibliothek, Inv: 24858


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Das studentische GartenprojektJedes Frühjahr wird zum alljährlichen „Garden Happening“ aufgerufen, bei dem Bewohner, Mitarbeiterund Freunde des <strong>Studentendorf</strong>es gemeinsam die Gartenanlage pflegen. Doch in diesem Jahr wurdemehr getan als nur Unkraut gejätet, Büsche beschnitten und Laub zusammen gekehrt - es wurden auchzwei Beete bepflanzt. Die Idee dafür entstand aus dem Bedürfnis einiger Studenten heraus, Kräuter undGemüse nicht nur auf der Fensterbank zu ziehen.In vielen Köpfen war das Stichwort „Gartendenkmal“ sehr gegenwärtig und ließ die Frage aufkommen,warum die Bewohner „ihren“ Garten nicht nach ihren Bedürfnissen gestalten können.Als die Selbstverwaltung im Rathaus anfragte, ob es denn nicht doch möglich sei, zumindest in einerversteckten Ecke ein kleines Beet anzupflanzen, wurde schnell klargestellt, dass in der Gartenarchitekturdes Dorfes schon immer frei bepflanzbare Beete vorgesehen waren und man sich sehr freuen würde,wenn die Bewohner diese auch selbst gestalteten.Schnell fand eine kleine Gruppe unterschiedlicher Nationalitäten zueinander, die gemeinsam Tomaten,Kräuter, Kohlrabi, Chilis, Kürbisse und Salat pflanzten. Die beiden Beete fanden großen Anklang und ausder kleinen Gärtneridee soll nun ein Projekt entstehen, das viel Potential hat Nachbarschaft zu fördernund Eigeninitiative und -verantwortung anzustoßen. Interkulturelle, urbane Gemeinschaftsgärten sindgerade in <strong>Berlin</strong> keine Seltenheit mehr. Nutzbarmachung von Freiflächen, Mitbestimmung, Austauschvon Wissen und Selbstorganisation sind nur einige der Schlagworte, welche zu diesem Thema immerwieder fallen. Solche Projekte verbinden alle Generationen und alle Nationalitäten auf eine doch sehreinfache Weise miteinander. Selbst anpacken, sich abseits der theoretischen Arbeit des Studiums mal dieHände schmutzig machen und die Möglichkeit eigene Ideen zu verwirklichen sind für viele Studentenauch ein erwünschter Ausgleich.Das man ganz nebenbei dafür sorgt, dass unser <strong>Studentendorf</strong> mehr ist als ein Dach über dem Kopf, undeine Gemeinschaft bildet, ist vielleicht der schönste Aspekt.Fotos: Garten-Projektgruppe


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Die studentische SelbstverwaltungDie Selbstverwaltung des <strong>Studentendorf</strong>es <strong>Schlachtensee</strong> e.V. (SV) ist ein gemeinnütziger Verein, der vonStudenten für Studenten gegründet wurde und bis heute betrieben wird. Die SV, das sind die Bewohnerdes <strong>Studentendorf</strong>es.Schon am Anfang der Geschichte des Dorfes, Mitte der 1950er Jahre, steht die studentische Ideenkraft.Eine studentisch selbstverwaltete, demokratische Organisation des Dorfes war bereits vor Baubeginneingeplant und die Umsetzung begann schon mit den ersten Bewohnern des Dorfes 1959.In all den Jahren existierte die Selbstverwaltung in verschiedenen Organisationsformen. Nachdem dasBürgermeistermodell im Jahre 1969 durch das Vollversammlungsmodel abgelöst worden war, konstituiertesich die SV am 24.11.1972 als Verein, der seit 1976 und bis heute als gemeinnützig eingetragen ist.In all diesen Jahren hat sich die SV zum Ziel gesetzt, die Interessen vieler Generationen von Dorfbewohnernin Sachen studentisches Wohnen zu vertreten und das Dorfleben durch Einrichtungen und Projekteinteressanter zu gestalten.Sie organisiert einen vielfältigen Kulturbetrieb mit Vorträgen von Professoren, Lesungen, Diskussionenund Feiern. Es gibt verschiedene Arbeitskreise, Tutorien und Mitsprache bei der Zimmervergabe.Weiterhin gibt es verschiedenste Einrichtungen wie den Club A18, Jobvergabe, Musikräume, Fitnessraum,Fahrradausleihe sowie einen Dorfnewsletter u.v.A.m. Diese Einrichtungen werden bis heute vonvielen ehrenamtlich Engagierten mit viel Einsatz und Hingabe betreut. Als direkte Bewohnervertretungversucht die SV, jedem Bewohner die Möglichkeit zu geben, sich bei sozialen und rechtlichen Fragenoder persönlichen Problemen beraten zu lassen. Der Club A18, die größte Einrichtung der SV, bietet dieMöglichkeit, günstig zu essen und zu trinken, andere Menschen kennen zu lernen und die Vielfalt allerim Dorf und im Bezirk vertretenen Kulturen zu erforschen.Zu ihrem 40. Jubiläum hat die SV eine Festschrift veröffentlicht, in der sie die Vergangenheit und dieAufgaben der studentischen Vertretung näher beleuchtet.


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Best of Dorfparties - Club A18Der Club A18 ist die größte Einrichtung der SV und wie der Verein nun schon seit 40 Jahren festerBestandteil des <strong>Studentendorf</strong>s. Seinen eigentümlichen Namen hat der Club aus der Buslinie A18, dieheute 118 heißt und nach wie vor die direkte und kürzeste Verbindung zwischen dem <strong>Studentendorf</strong>und der Freien Universität <strong>Berlin</strong> darstellt. Nachdem der Club zunächst einige Jahre im heutigenKindergarten betrieben wurde, ist er seit 1974 im Gemeinschaftshaus 14 ansässig.Er ist Haupttreffpunkt der Bewohner des Dorfes und wird liebevoll das „Wohnzimmer“ genannt. Jeder istwillkommen und kann günstig essen und trinken. Es werden Partys, Konzerte, Events, Sitzungen,Lesungen und Kochabende veranstaltet, sowie Geburtstage, diverse kulturelle Feiertage und sogarHochzeiten gefeiert.Er bietet neben vielen Arbeitsplätzen auch die Möglichkeit, sich aktiv in die Gestaltung von Veranstaltungenund Partys einzubringen. Dazu hat sich ein Eventteam mit dem passenden Namen „Schlachtplaner“gebildet. Über die Jahrzehnte wurde der Club unzählige Male umgebaut und umgestaltet. Zuletzt fandeine komplette Renovierung im August 2012 statt, die meisten Arbeiten wurden dabei durch ehrenamtlicheHelfer und Dorfbewohner umgesetzt.Der Club A18 hat sich in seiner Geschichte einen bekannten Namen gemacht, und es kommt nicht seltenvor, dass Gäste den Club mit Erstaunen betreten und freudig aus ihrer Zeit im Club berichten, auch wenndas manchmal schon 30 Jahre her ist. Das größte Treffen der verschiedensten Generationen undClubbesucher gibt es alle Jahre wieder an Heiligabend, wenn sich die Familien zu Hause treffen undanschließend zusammen im Club A18 feiern.Der Club A18 will auch weiterhin seine Aufgabe als Förderer des studentischen Lebens in <strong>Schlachtensee</strong>wahrnehmen und freut sich über jede Unterstützung.Fotos: Studentische Selbstverwaltung


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Best of Dorfparties 3: Oranger UtanWir wollten damals (1960) damit eigentlich nur an die Damen des Dorfes rankommen. Also haben wirgesagt, wir machen jetzt ein riesiges Faschingsfest fürs Dorf, zwei Nächte lang. Dann wurde ein „Lustausschuß“gewählt, der hieß wirklich so, mit mir als Vorsitzenden, und wir sind tatsächlich durch die Häuserder Damen gezogen und haben die alle persönlich eingeladen. Natürlich haben wir uns gefragt, wie wirdas ganze nennen sollen. Irgendwie hat dann einer gesagt, es müsse irgendwas mit Farbe sein, und einanderer meinte plötzlich „Oranger Utan“, und das wars dann auf einmal, keiner weiß mehr wieso oderwarum. Das war damals eigentlich echt Wahnsinn – es wurde so ein Erfolg, dass wir uns danach nur nochdie Haare raufen konnten, was wir für ein Glück hatten. Es kamen ungefähr 800 Menschen, und dasGanze fand im Haus 9/10, unten im Treppenfoyer statt. Irgendwie ging das, dass die da alle reingepassthaben. Aber es war wirklich Wahnsinn, vor allem die Garderoben. Da gibt es hinten im Haus 9 so einenKoffer-Raum, und den haben wir einfach aufgemacht und „Garderobe“ rangeschrieben. Da lag dannnatürlich ein riesiger Berg, jeder schmiß sein Zeug einfach oben drauf. Aber keinerlei Klagen hinterher,keinerlei Verlustmeldungen – es war ein riesiges Wunder.Dabei war „Oranger Utan“ eigentlich ein Nebeneffekt. Ich hatte mich ja irgendwie selbst in die Pflichtgenommen, jeden Donnerstag einen Kulturabend zu gestalten. Da kamen unter anderem Günter Grass,Uwe Johnson, Günter Bruno Fuchs, die Schauspielschule hat da Becket aufgeführt, also es war jedenDonnerstag was los. Und dann kam der erstgewählte Bürgermeister, mein Freund Hermann, mit dem ichauch jetzt noch befreundet bin, und hat mich gefragt, ob ich nicht Kulturreferent werden will. Ich habezurückgefragt: „Hab’ ich denn einen Etat?“, und die Antwort war dann „Nein, aber da müsstest Du Dichpolitisch korrekt verhalten“. Aber das wollte ich nicht, ich habe gesagt: „Da bleib’ ich lieber wie ich bin.“Lifka W., Dorfbewohner WS 59/60 bis WS 60/61 und WS 61/62 bis SS 63li.: Ein Bügelbrett als Schiffsrumpf:Werbung für eine Riverboat-Shuffle,die leider wegen Daueregensausfallen musste. 1960Fotos: Lifka Wernerre.: Ben Wargin hilft bei der Dekozum Oranger Utan


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Fluchthilfe für Ost-<strong>Berlin</strong>erIn den Jahren des Mauerbaus wurde das <strong>Studentendorf</strong> <strong>Schlachtensee</strong> zu einem Zentrum der Fluchthilfe.Obwohl die Flüchtlinge aus Ost-<strong>Berlin</strong> nur sehr selten im <strong>Studentendorf</strong> selbst untergebracht wurden,wurden viele der Aktionen hier geplant und in einigen Fällen diente das Dorf zumindest als ersteAnlaufstation.Dazu der wohl aktivste Fluchthelfer unter den Bewohnern des <strong>Studentendorf</strong>s, Dr. Burkhart Veigel:„Es gab zum Beispiel eine große Aktion über die Kanalisation, an der ich aber nicht selbst beteiligt war.Und die Leute, die da über die Kanalisation gekommen sind haben natürlich unheimlich gestunken, aberman musste sie ja irgendwie sozusagen wieder an die Öffentlichkeit bringen. Diese ganzen Aktionensind natürlich nur nachts gelaufen und die Leute mussten zunächst erst einmal irgendwohin gefahrenwerden, wo sie duschen konnten und wo sie neue Kleider kriegen. Da war die katholische Kirche damalssehr großzügig mit Kleiderspenden. Die Leute wurden dann ins <strong>Studentendorf</strong> gefahren, haben verteiltin den Häusern geduscht und in den Gemeinschaftsräumen lag dann schon neue Kleidung bereit. Diealte Kleidung, die sie bei der Flucht durch die Kanalisation getragen haben konnte man später zum Teilgar nicht mehr verwenden, die hat manchmal nach dreimal waschen noch gestunken.Teilweise sind bei solchen Aktionen in einer Nacht oft 30 bis 40 Leute gekommen. Die mussten dann vonirgendwo in der Nähe der Oranienburger Str. hier runter in den Südwesten transportiert werden. Einerder Mit-Fluchthelfer hatte zum Beispiel die komplette Inneneinrichtung aus seinem VW-Bus ausgebaut.Da konnte man nur noch drin stehen und er als Fahrer konnte als einziger noch sitzen, dadurch hat erdann so 13 bis 14 Leute in den Bus gekriegt.Aber die wenigsten Aktionen waren so spektakulär wie die Tunnel- oder Kanalfluchten. Der weitüberwiegende Teil der Flüchtlinge wurde vor 1962 mit falschen Pässen über die Grenze geholt, danachging das nicht mehr. Um das mal zu verdeutlichen: Durch alle Tunnel in <strong>Berlin</strong> sind vielleicht 600 Leute inFreiheit gekommen, bei den Kanalisationstouren waren es vielleicht 800. Durch Aktionen mit falschenPässen waren es etwa 10.000.“Dr. Burkhart Veigel erhielt am 29.10.2012 zusammen mit weiteren 14 ehemaligen Fluchthelfern dasBundesverdienstkreuz.Porträt Dr. Burkhard Veigel im <strong>Studentendorf</strong>Okt. 2012, Foto: Mila Hacke


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Hollywood im Wohnzimmer – Das <strong>Studentendorf</strong> als FilmlocationDas Wohnen in historischen Bauten, die noch dazu Denkmalstatus haben, bringt nicht nur die üblichenNachteile maroder Bausubstanz mit sich, sondern bietet manchmal auch ganz Unerwartetes. So sahensich die Bewohner von Haus 2 im Herbst 2007 mit einem ganzen Tross Filmschaffender konfrontiert, derfür zwei Wochen das Haus belagerte. Es war allerdings nicht irgendwer, der da den studentischen Alltagfür einige Tage gehörig durcheinanderwirbelte. Niemand anderer als Oscar-Preisträger Stephen Daldryhatte sich das <strong>Studentendorf</strong> als Drehort für seine, nach Fertigstellung ebenfalls Oscar-prämierte,Romanverfilmung von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ ausgesucht. Zwar waren in den hier gedrehtenSzenen die absoluten Superstars des Films, Kate Winslet und Ralph Fiennes, nicht anwesend, nebenRegisseur Daldry dafür aber die deutschen Stars des Films David Kross und Karoline Herfurth. Und auchwenn die im <strong>Studentendorf</strong> gedrehten Szenen im fertigen Film letztendlich nur einige wenige Minutenausmachten – wer kann schon behaupten dass seine Küche einmal Teil eines international erfolgreichen,preisgekrönten Kinofilms war? Nach dem Dreh, der meist bis in die späten Abendstunden andauerte,wurde die Filmcrew übrigens im Club A18 verpflegt, vor allem mit flüssiger Nahrung. „Die haben ganzschön gesoffen“, so ein ehemaliger Barkeeper. „Ein Wunder, dass die alle am nächsten Tag immer wiederfit am Set waren.“Die Hollywood-Episode stellt natürlich eine Ausnahme dar, doch sind Dreharbeiten im <strong>Studentendorf</strong>auch kein völlig außergewöhnliches Ereignis. Im Jahr 1993 nutze etwa der deutsche Regisseur FlorianGärtner eine der „Studentenbuden“ für eine Szene seines Films „Außerirdische“. Der Fitnessraum (Haus28) diente bereits als Kulisse für einen ZDF-Fernsehkrimi und im ehemaligen Künstlerhaus 22 wurdeeine Episode der VOX-Vorabendserie „WG gesucht“ gedreht.„Vorsicht Schußwaffengebrauch“ hieß es dann im Jahr 2008. Mit überall in den Häusern verteiltenHinweisen, dass es im Rahmen von Dreharbeiten ab und an mal knallen könnte, warnte Mediendesign-Student Oleg Mueller seine Mitbewohner. Für den Film „Kaelte“, zugleich seine Abschlussarbeit,rekrutierte er zudem seinen kompletten Dorf-Freundeskreis als Laiendarsteller. Keine Überraschung,dass das Werk seine Uraufführung dann mit großem Hallo im Club A18 feierte.Foto: Mila Hacke


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Fehling Gogel PfankuchDie Architekten des <strong>Studentendorf</strong>esAnhand der Entstehungsgeschichte des <strong>Studentendorf</strong>s <strong>Schlachtensee</strong> lässt sich die Geschichte derverantwortlichen Planer nachzeichnen. Denn für die <strong>Berlin</strong>er Architekten Hermann Fehling, DanielGogel und Peter Pfankuch war dies der erste große Planungsauftrag; führte jedoch auch zur Spaltungdes Gemeinschaftsbüros. Bereits 1953 hatte sich Hermann Fehling (1909–96) daran beteiligt, Planungenfür ein großes, eigenes Studentenwohnheim der FU vorzubereiten – gemeinsam mit dem AStA und demBeauftragten für das studentische Zusammenleben der FU, Wilhelm Berges. Zu dieser Zeit arbeiteten fürFehling zwei Architekten: Peter Pfankuch (1925–75) war 1951 anlässlich der Planung der Mensa 1 der FUeingestellt worden, Daniel Gogel (1927–97) kam 1953 hinzu. Die Gründung des GemeinschaftsbürosFehling/Gogel/Pfankuch erfolgte im Herbst 1956, als die Finanzierung des <strong>Studentendorf</strong> gesichert warund dem Bau nichts mehr entgegenstand. Nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts im November1959 schied Peter Pfankuch aus der Architektengemeinschaft aus.Der zweite Bauabschnitt wurde 1962–64 von den ehemaligen Kollegen Fehling und Gogel geplant.Peter Pfankuch arbeitete später in Gemeinschaft mit dem Architekten Dieter Enke zusammen, realisierteunter anderem Geschosswohnungsbau im Märkischen Viertel, war Sekretär der Sektion Baukunst derAkademie der Künste <strong>Berlin</strong> und machte sich um die Publikation des Werkes von Hans Scharounverdient. Er hatte direkt für Scharoun gearbeitet, bevor er eine Anstellung bei Fehling einging. WederFehling noch Gogel waren selbst Angestellte oder Studenten von Scharoun gewesen, allerdingsarbeiten außer Pfankuch noch weitere Mitarbeiter Scharouns zeitweilig mit Fehling+Gogel zusammen,so auch Günter Ssymmank und Karl Böttcher. Die von Fehling+Gogel in den Sechziger- und Siebzigerjahrengeplanten Bauten – insbesondere jene für die Max-Planck-Gesellschaft – gehören zu densignifikanten Zeugnissen der Spätmoderne in Westdeutschland. Ihre organischen Bauskulpturenentwickelten Fehling+Gogel konsequent aus bewegten Grundrissfiguren heraus und brachten so stetsexpressive Gestaltung und funktionale Ordnung in Einklang.Repros aus dem Genossenschaftsarchiv


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Allein unter Frauen – Der Beginn der Zimmertausch-AktionAls ich im Spätherbst 1967 im <strong>Studentendorf</strong> einzog, waren Männer und Frauen streng getrennt. Nachmehreren unschönen Vorfällen gab es eine Vollversammlung, in der mit großer Mehrheit beschlossenwurde, die Geschlechtertrennung aufzuheben. Das war kein leichtes Unterfangen, denn in ein Männerbzw.Frauenhaus zu ziehen war nur möglich, wenn ein(e) Tauschpartner(in) gefunden wurde.Am 17. Juni 1968, am "Tag der dörflichen Einheit", gelang es einigen wenigen von uns, den Prozessanzustoßen. Ich zog als erster Mann in das bis dahin männerfreie Haus 5. Ich kam mir vor, wie in einemMinenfeld, denn zahlreiche Studentinnen waren keineswegs entzückt, insbesondere wenn das Etagenbadmit den Duschen plötzlich blockiert war. Mit einem Schild vor der Tür "Vorsicht Mann!" habe ich denersten Tag überstanden. Kurz danach stießen zwei weitere Männer hinzu. Die Situation entspannte sichmerklich. Nach einer Woche gab es kein Schild mehr und zunehmend häufiger wurde gemeinsamgeduscht. Wenn ich mich recht erinnere, gab es nach der über einige Wochen gehende Aktion keinereinen Männer- bzw. Frauenhäuser mehr. Von Seiten der Verwaltung wurde diese Veränderung zwangsläufigakzeptiert. Zu Übergriffen kam es nach meiner Kenntnis ebenfalls nicht mehr.Durch meinen Umzug lernte ich eine Jurastudentin kennen, die sich nicht an der Aktion beteiligte, weilsie nach dem Sommersemester 1968 nach Tübingen zurückging und für die wenigen Tage bis zumSemesterende (trotz Überzeugung!) nicht noch einmal umziehen wollte. Wir sind nun bereits seit 42Jahren miteinander verheiratet, haben drei überaus gelungene Kinder und sind nach wie vor glücklich,dass es den "Tag der dörflichen Einheit" gegeben hat.Gerd M., Dorfbewohner Wintersemester 1967 bis Sommersemester 1969, Haus 9Prof. Dr. Charal. K. Kanellopoulos schickte uns seine Erinnerung an die Zimmertauschaktion:"Im Jahre 1969 oder 70, nachdem die <strong>Studentendorf</strong>verwaltung sich weigerte, die Mischung der Häuser (Frauen und Männer) zuerlauben, gab es einen Aufstand und am Wochenende, als die Verwaltung geschlossen war, hatten viele Studenten und Studentinnenwillkürlich miteinander Zimmer gewechselt."


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Warum man am Hintereingang von Haus 24 Muschelschalenreste findetDie drei Wohngemeinschaften im ersten Stock von Haus 24 verstanden sich Mitte der 90er Jahre sehrgut. Partys wurden immer auf der ganzen Etage gefeiert, und so verwundert es nicht, dass die Bewohnersich entschlossen, ein gemeinsames Muschelessen zu organisieren. Eine intensive Planungssitzungergab immense Einkaufsmengen für Muscheln, Eis, Wein und vor allem Knoblauch. Die Speisefolge sahso aus: Zwiebelknoblauchsuppe mit Knoblauchbaguette, danach Miesmuscheln im Knoblauch-Zwiebel-Sud mit Knoblauchbaguette, dazu Weißwein. Die 15 Kilo Muscheln und das Eis mussten an derFischtheke von Reichelt (die es damals noch gab, mit diesem herrlichen Verkäufer) vorbestellt werden.An einem Samstag wurde dann alles eingekauft und in allen drei Bädern saßen jeweils mehrere Leuteund putzten Muscheln, andere bereiteten die Zwiebeln und den Knoblauch vor, zuletzt wurde in der 101mit den drei Tischen aus den Wohnungen die Tafel vorbereitet, ein herrliches Sammelsurium von Tellern,Besteck und Gläsern. Für die Suppe und die Muscheln waren große Töpfe aus dem Club geliehenworden, aber selbst die reichten nicht aus.Am Ende gab es ein herrliches Fressen, die Suppe die Baguettes und vor allem die Muscheln waren sehr,sehr lecker und unheimlich knoblauchhaltig. Natürlich wurde dem Wein intensiv zugesprochen und beider Frage, wer denn wann aufräumen wolle, sprang einer auf, nahm den Topf mit den Muschelschalenund mit den Worten: “Ich räume die Muscheln weg!” flogen die Reste auch schon aus dem weit geöffnetenFenster und landeten größtenteils genau vor dem Hintereingang. Mehrere Wochen knirschte es nunvernehmlich am Hinterausgang, jedoch so nach und nach verschwanden die Schalenreste im Sand.Jens-Uwe K., Dorfbewohner 1991-2001, Häuser 5, 13, 24Foto: Mila Hacke


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Wohngemeinschaft „Entropie und Eros“Unsere Wohngemeinschaft ist aus einer Vorläufer-WG hervorgegangen. Wir haben im Grunde denganzen Hausstand, bestehend aus einem Sammelsurium von Möbeln und Teppichen, die irgendwelcheElternteile vor Generationen ausrangiert hatten, übernommen. Im Wohnzimmer und der Küche fandensich eine Vielzahl von Skurrilitäten, die von den über die Jahre Weggezogenen den Nachkommendenüberlassen worden waren. Es war eigentlich ziemlich chaotisch, aber ungemein gemütlich.Als sich nun wieder eine neue WG konsolidiert hatte und ein neuer Telefonanschluss für die WGangemeldet wurde, stand die Frage im Raum unter welchem Namen wir im Telefonbuch erscheinenmöchten. Da es noch keine Handys gab, war dies durchaus eine zentrale Frage. Wir wollten nicht unterdem Namen eines WG-Bewohners auftauchen, sondern unserer WG einen eigenen Namen geben. Nachdiversen mehr oder minder originellen Vorschlägen brachte ich ein gerade neu erlerntes Fachwort ein,das unsere WG ganz gut beschrieb: "Entropie" (Begriff aus der Chemie für Unordnung). Ein andererMitbewohner nutzte die neu gewonnenen Freiheiten des Studiums unter anderem für amouröseAbenteuer. Er setzte den Zusatz "Eros" durch, somit gaben wir uns den Namen "WohngemeinschaftEntropie und Eros" unter dem wir fortan im Telefonbuch standen. Die Folgen hatten wir allerdings nichtin Gänze überblickt. Eines nachts wurden wir von einem Telefonanruf geweckt. Schlaftrunken torkelteich zum Telefon und realisierte gar nicht, was der Anrufer eigentlich wollte. Ohne den Namen zunennen, fragte er mich immer wieder, wie er denn zu uns finden könnte. Er wäre jetzt in <strong>Berlin</strong> undwollte mal vorbeischauen. Es dauerte eine Weile bis ich verstand, dass es sich wohl weniger um einenBekannten eines Mitbewohners als vielmehr um einen Interessenten an unserem zweitenWG-Namenszusatz gehandelt hat. Da wir glücklicherweise genug Unterstützung vom Elternhaus bzw.BaföG-Amt bekamen, konnte ich das Angebot ausschlagen und bin wieder zurück ins Bett getorkelt.Joachim H., Dorfbewohner 1991 bis 1996Fotos: Mila Hacke, 2011


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Erinnerungen ans <strong>Studentendorf</strong> – 1971/72Anfang der 70er Jahre im <strong>Studentendorf</strong> – ich erinnere mich an winzige Zimmer (aber größer als das, wasLenin als Mindestmaß für menschenwürdiges Wohnen bezeichnet hatte), viele bunte Nachbarn – 20 proEtage – und ein gemeinsames schwarzes Telefon auf dem Flur (ausschließlich für eingehende Gespräche).Dafür kam aber die Post zweimal täglich und Briefe und Karten innerhalb von <strong>Berlin</strong> waren auchnoch billiger als sonst. An Gemeinschaftsräumen gab es Küche und Bad, die, weil sie nur einmalwöchentlich gereinigt wurden, meist in einem katastrophalen hygienischen Zustand waren. Bevor eingeselliges Beisammensein oder sonst was in der Küche (sie hatte Vietnam-Parolen als Verzierung an denWänden) angesagt war, musste erst geschrubbt werden. Dann haben wir da zusammen gesessen undbeim Genuss von Valpolicella oder Lambrusco (seltener, weil zu teuer, Oppenheimer Krötenbrunn)unweigerlich angefangen zu singen. Und da wir alle nach der ersten Strophe nicht mehr textsicherwaren, ging das zwangsläufig nur noch mit Weihnachtsliedern, wo dann wiederum andere tadelndhinzukamen und ernsthaft versuchten, mit der Internationalen dagegen anzusingen.In den Küchenschränken hatte jeder ein Plätzchen für sein eigenes Geschirr und Lebensmittel. DerKühlschrank war auch für alle gemeinsam da, aber fast nie überfüllt, weil auch dafür die Heinzelmännchenfehlten. Nachdem an drei Tagen hintereinander mein Frühstücksbrot nicht mehr da war, brachteich kurzerhand ein Vorhängeschloss an, was zu diversen Grundsatzdiskussionen bezüglich meinesunsozialen Verhaltens führte. Und siehe da, es dauerte nicht lange, da hingen auch andere Vorhängeschlösseran den Schränken, fast so wie heute an den Brücken der Liebenden. Irgendwann stand auchnoch als große Errungenschaft ein Kühlschrank im Flur, der mit abschließbaren Fächern bestückt war –grandios!Lustig unsere Skat- oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Abende, die bis in den Morgen dauerten, und unsereWasserschlachten über die Flure und Zimmer, mit Einwegspritzen statt Wasserpistolen (mit ersteren kannman wesentlich besser zielen!). Für die Spritzen sorgte Knöppchen, seines Zeichens Medizinstudent, deres allerdings nicht so toll fand, als wir mal vor seinen Spritzattacken in mein Zimmer flüchteten; da dortkein Wasser-Nachschub vorhanden war, behalfen wir uns einfach mit Lambrusco und verpassten ihmdurch das Schlüsselloch volle Breitseite – dabei hatte er sich doch schon gestylt, weil er gleich anschließendzur Tanzstunde wollte…Karin von S., Dorfbewohnerin 1971-1972, Haus 5Fotos: Mila Hacke


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>Arabische HochzeitAls Theologiestudentin lebte ich mit fünf Tiermedizin-Studierenden in einer Wohngemeinschaft des<strong>Studentendorf</strong>es zusammen. Da ich mich als Geisteswissenschaftlerin nicht in Labors, an Seziertischenoder im Zoologischen Garten herumtreiben musste, sondern vielmehr auch am heimischen Schreibtischarbeitete, war ich meistens diejenige, die der Postbote persönlich antraf. Adressat der Postsendungenwar oft unser "Schwabe" Bernd, der von seinem Vater mit Carepaketen aus der Heimat versorgt wurde.Manchmal enthielten die Pakete jedoch nicht nur regionale Leckereien, sondern vielmehr schwergewichtigeFachliteratur, die dementsprechend versichert war, und daher nicht an mich ausgehändigtwerden durfte. Stattdessen musste sich mein Mitbewohner dann immer auf den Weg zur entferntenPost machen, um die Fracht, die ja bereits schon einmal unsere Türschwelle überschritten hatte, erneutins Haus zu transportieren.Als wir uns wieder einmal über diesen Umstand ärgerten, kam uns die Idee, dass alles viel einfacherwäre, wenn wir verheiratet wären und denselben Nachnamen trügen. So sehr wir uns auch freundschaftlichverbunden waren (zumal im gleichen Kulturraum Baden-Württembergs sozialisiert), der Gangzu einem deutschen Standesamt war nicht wirklich eine Option. Praktikabler erschien uns die gemeinsammit unserem syrischen Mitbewohner Hassan ers(p)onnene Idee, eine arabische Hochzeit zu feiern.Es war ein phantastisches Fest: Stilechte Kleidung, orientalisches Essen, fröhliche Gäste, beschwingterTanz, Hochzeitsgeschenke ... Die Heiratsurkunde war auf Arabisch verfasst. Bis heute wurde sieallerdings von der Deutschen Post nicht anerkannt. Hätten wir sie übersetzen lassen müssen?Christine F., Dorfbewohnerin Wintersemester 1988 bis Sommersemester 1991 (Haus 24)


50 JahreStudentisches Leben in <strong>Schlachtensee</strong>EKT <strong>Schlachtensee</strong> e.V.Im Haus 15 war zunächst der Lebensmittelladen für das <strong>Studentendorf</strong> untergebracht. Nach dessenUmzug ins 1964 fertiggestellte Gemeinschaftshaus zogen dort die Dorfkneipe „Club A18“ und die„Galerie A18“ ein. Mitte der 70er Jahre zog der Club ebenfalls ins Gemeinschaftshaus um.1978 schließlich wurde der Verein EKT <strong>Schlachtensee</strong> e.V. gegründet und betreibt seitdem in denfreigewordenen Räumen den Kinderladen.Aktuell werden hier bis zu 16 Kinder im Alter von 2-6 Jahren durch zwei staatlich anerkannte Erzieherinnenliebevoll, kreativ und engagiert betreut. Aufgrund der altersgemischten Gruppe erleben die Kinderdort eine familienähnliche Situation, durch die sie die Chance haben, im Laufe ihres „Kinderladenlebens“ihre Rolle zu wechseln - von klein zu groß. Die jüngeren Kinder machen Entwicklungsfortschritte durchdas Nachahmen der Älteren und diese wiederum lernen durch Nachsicht und Rücksichtnahme einausgeprägtes Sozialverhalten. Die Elternarbeit, sowie deren Mitbestimmung und -gestaltung ist einwichtiger Bestandteil der Arbeit. Eltern übernehmen regelmäßig z.B. Koch- oder Waschdienste, Reparaturen,Einkäufe oder auch Gartenarbeiten. Durch den engen Kontakt ist der Austausch zwischen denEltern, Erziehern und Kindern intensiver und persönlicher als in einer herkömmlichen Kindertagesstätte.Außerdem erlaubt die Alltagsunterstützung den Erzieherinnen ihre ganze Konzentration auf die Kinderzu richten. Wöchentlich wird Yoga, Sport und Musikalische Früherziehung angeboten. Daneben bleibtausreichend Raum für kreatives Basteln, gemeinsame Spiele, Ausflüge und Bewegung im Freien. Hierbietet der Kinderladen beispielsweise einen großen Garten mit Klettergerüst, Sandkasten, Schaukelnund vielem mehr. Der Kinderladen liegt zwar mitten im fast autofreien <strong>Studentendorf</strong>, steht aber nichtnur den Kindern von Studenten offen. Die Räume konnten 2010 mithilfe des Konjunkturprogrammesder Bundesregierung umfassend denkmalgerecht saniert werden. Der Grundriss wurde leicht verändert,es wurden neue Fenster eingebaut und der Eingangsbereich neu gestaltet. Für die Jüngsten wurde einSchlaf- und Ruheraum eingerichtet, um ihnen ein ungestörten Mittagsschlaf zu ermöglichen.Foto: EKT <strong>Schlachtensee</strong>, Schwentheit

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