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2. Vorlesung 1 Leonard Bernstein: The Age of ... - Andreas Köhler

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ANDREAS KÖHLER: SORGE - FURCHT! - ANGST!! - PANIK!!!SOZIALE BINDUNG - SOZIALE BEDROHUNG<strong>2.</strong> <strong>Vorlesung</strong>1 <strong>Leonard</strong> <strong>Bernstein</strong>: <strong>The</strong> <strong>Age</strong> <strong>of</strong> Anxiety. <strong>The</strong> Seven <strong>Age</strong>s.A. ANGST ALS SIGNAL - SCHUTZ VOR VERLASSENHEITMeine sehr verehrten Damen und Herren,ich freue mich über Ihr Erscheinen zum zweiten Abend im Rahmen der<strong>Vorlesung</strong>sreihe Sorge - Furcht - Angst - Panik. Ins <strong>The</strong>ma eingestimmthaben uns sieben Variationen - die sieben Lebensalter - aus der zweitenSymphonie von <strong>Leonard</strong> <strong>Bernstein</strong>: <strong>The</strong> <strong>Age</strong> <strong>of</strong> Anxiety,2 Leonhard <strong>Bernstein</strong>: <strong>The</strong> <strong>Age</strong> <strong>of</strong> Anxietynach der gleichnamigen Schrift des englischen Dichters W. H. Auden.Wir haben uns in der letzten <strong>Vorlesung</strong> Gedanken gemacht über densprachlichen Hintergrund von Angst und Furcht, haben auch gehört, dass diePanik und deren Herkunft von einem lächerlichen bocksbeinigen griechischenHirtengott namens Pan ziemlich mysteriös ist. Vor allem aberhaben wir Furcht und Angst als Emotion, als Gefühlsaufwallung bestimmtund uns mit dem korrelierenden Verhalten - Kampf, Flucht, Erstarrungbeschäftigt, das beim Menschen genau wie beim Tier angeboren, alsounbedingt ist, aber auf unabhängige, neutrale Reize übertragen werden kann.2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 1


Diese Übertragung - wir nennen sie Konditionierung - ist ein grundlegenderLernvorgang.Angst ist aber noch mehr - auch das hat uns bereits beschäftigt -: Es ist auchein Signal. Das Kind schreit, wenn es Angst hat, auch der Erwachsene kannin Not und Gefahr aus Angst schreien. Hier ein schreiender Yanomami-Säugling aus den Tropenwäldern Brasiliens.3 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Ein Yanomami-Säugling wird getröstet.Die Mutter will ihren Säugling beruhigen, neigt sich über ihn und streichtmit ihrer Nase liebevoll über die seinige. Ein erst noch zaghaftes Lächeln istseine Antwort.Angst signalisiert in erster Linie Hilflosigkeit und löst mütterliche oderväterliche Instinkte aus: Schutz, Betreuung, körperliche Nähe, Trost. Dassind Verhaltensweisen, die wir aus dem Tierreich übernommen haben,Bereits viele Vögel kennen Brutpflege, ebenso - nomen est omen - dieSäugetiere. Ganz besonders intensiv ist diese Brutpflege bei den Affen undvor allem den Primaten. Hier ein angstvoll schreiendes neugeborenesGorillababy.4 Jörg Hess: Neugeborenes GorillababyUnd hier ein Gorilla-Säugling, der sich die Umarmung seiner Mutter wohliggefallen lässt.5 Jörg Hess: Umarmung der MutterZu diesem Betreuen und Spenden von Sicherheit gehört auch das Stillen; es2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 2


17 Mensch und Schimpanse, Hand über Kopf und SchulterWann schreien Säuglinge und Kinder? Natürlich wenn sie Hunger und Dursthaben, ob bei Schmerzen, und: wenn sie sich verlassen fühlen. Auch das istim Tierreich nicht anders: Ein einsamer Wolf heult, wenn er Kontakt zumRudel sucht,18 Heulender Wolfebenso der einsame Haushund, der sich nach der Rückkehr der Familiesehnt. Verlassenheit bedeutet Schutzlosigkeit, bedeutet Bedrohung. KleineAffen schreien und wimmern, wenn sie sich nicht am Körper ihrer Mutterfinden. Ihr Schrecken, ihre Angst und ihr Schreien lösen betreuendeInstinkte, Fürsorglichkeit aus; dies nicht nur bei der Mutter des Kleinen,sondern auch bei anderen Sippenmitgliedern. Aus diesem Gefühl, aus derAngst verlassen zu sein, entsteht ja auch die Trauer um einen verlorengegangenen Menschen, um eine in die Brüche gegangene Beziehung,19 Verlassenes Mädchenoder in extremis um einen Verstorbenen.20 Vietnamsoldat, der seinen gefallenen Freund beweint.Hier ein Vietnamsoldat, der seinen gefallenen Freund beweint. DerTrauernde h<strong>of</strong>ft auf Tröstung durch seine Nächsten, h<strong>of</strong>ft, in die Armegenommen zu werden.21 Begräbnis im Bosnienkrieg2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 5


Szene von einem Begräbnis im Bosnienkrieg.Verlassenheit bedeutet Bedrohung, sagte ich. Wer bedroht uns denn?Natürlich der Feind. Grundsätzlich haben wir zwei Feinde: Die feindlicheUmwelt und feindliche Menschen.B. ANGST ALS SIGNAL - FREMDENKinder ängstigen sich, wenn sie sich verlassen fühlen. Oder: Wenn Fremdeauf sie zukommen. Das Fremden oder Fremdeln, wie wir es nennen, beginntbereits mit dem 6. Lebensmonat. Hier eine Bilderserie - von oben nach untenzu lesen - aus Westneuguinea:22 Eibl-Eibesfeld: In, Westneuguinea, Fremdeln.Ein mit dem Vater befreundeter Mann - vorne - versucht, den kleinen Jungenaufzunehmen, der windet sich jedoch, wendet sich ab, will zu seinem Vaterhinüber. Sobald ihm das gelungen ist und er sich in den sicheren Armenweiss, gewinnt die Neugierde Überhand und er blickt sich um. Das Verhaltenkommt auf der ganzen Welt vor, hier bei den Eipo23 Eibl-Eibesfeld: Eipo, WestneuguineaDer Junge ist halb neugierig, halb ängstlich, wendet sich seiner Mutter zu,und trinkt schliesslich, um die Spannung zu senken, an der Brust der Mutter.Die Bilder zeigen deutlich, wie einerseits eine klare Bindung an die Mutter,an den Vater oder an nächste Verwandte besteht, aber auch eine Neugierdeden fremden Menschen gegenüber. Diese Neugierde kann in Vertrauenübergehen, wenn das Kind realisiert, dass die fremde Person in einem2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 6


freundschaftlichen Verhältnis zur eigenen Familie steht.Fremdenangst ist die Fähigkeit, Menschen zu unterscheiden, und sich an diebetreuenden Menschen zu binden. Sie ist Vorläuferin der Fähigkeit, eininneres Bild der äusseren, gesellschaftlichen Welt zu schaffen. SolchesVerhalten kennen wir alle und tritt in allen Gesellschaften auf; es gehört zuden Universalien. Die Bilder sind dem umfangreichen Standardwerk über dieHumanethologie von Irenäus Eibl-Eibesfeld, die Biologie MenschlichenVerhaltens entnommen, das für Interessierte sehr zu empfehlen ist.24 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Die Biologie menschlichen VerhaltensAuch Erwachsene fremdeln. Sie zeigen aber keine Angst, denn das würde alsSchwäche ausgelegt. Sie kontrollieren ihre Affekte, das heisst, sie gebensich möglichst neutral, unbeteiligt, distanziert, wenn sie allein in derÖffentlichkeit sind. Sie suchen Abstand, vermeiden Blickkontakt, wollennicht angesprochen werden.25 Öffentlichkeit: Zwei Frauen, zugeknöpft und doch BlickfangSie knöpfen sich zu, wie die junge Frau im Vordergrund. Dabei entsteht eineaufreizende Spannung zwischen dem abweisenden Gebaren und denmodischen Accessoires, wie Sonnenbrillen oder Schmuck.Ab und zu wird diese Distanzierung in der Öffentlichkeit als Zeichen dermangelnden Anteilnahme des modernen Menschen an seinem Nächstenverstanden. Aber in der anonymen Menge ist eben nicht jeder das andernNächster. In der Öffentlichkeit sind wir uns alle fremd. Wir sprechen vonXenophobie und meint damit generell Fremdenfeindlichkeit, die ja niemandzugibt, wenigstens <strong>of</strong>fen und lauthals, und die doch in jedem Menschen2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 7


steckt. Menschen brauchen Zeit, um Vertrauen zu gewinnen. Vertrauen lässtsich nicht verordnen, sondern ist ein inneres Gefühl und eine Haltung, diedem Überleben dient. Traue dem, den du kennst. Und lerne erst jemandenkennen, bevor du ihm traust.C. ANGST VOR MENSCHLICHER BEDROHUNG - HOBBES UND ROUSSEAUDass das Fremdeln eine grundsätzliche Eigenschaft des Menschen ist,gewissermassen eine Urangst des Menschen und der Gesellschaft, davon warein englischer Staatstheoretiker überzeugt, Thomas Hobbes.26 John Michael Wright: Thomas HobbesSein Spruch - entlehnt vom römischen Komödienschreiber Plautus - wurdeberühmt: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.27 Homo homini lupus est,non homo, quom qualis sit, non novit.Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf,kein Mensch, wenn er die Wesensart des andern nicht kennt.Erst die Bekanntschaft macht aus einem Wolf einen Menschen.Thomas Hobbes lebte zur Zeit der Englischen Revolution und des CromwellschenInterregnums. Von seiner Mutter sagte er, sie hätte bei seiner Geburt,die vorzeitig kam - es drohte die spanischen Armada 1588 -, Zwillinge aufdie Welt gebracht: meque metumque simul, mich und die Furcht.28 Meque metumque simul.2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 8


Mich zusammen mit der Furcht.Hobbes bezeichnete sich selbst als Angsthasen und schiffte sich beimAusbruch des Bürgerkrieges sogleich nach Frankreich ein. Er war aber auchein nüchterner Analytiker der Gesellschaft und des Menschen. Er hielt dieHerrschaft des Menschen über den Menschen für die sicherere Verbindungals Vertrauen und Kooperation.29 Zwar können die Annehmlichkeiten dieses Lebens durch gegenseitigeUnterstützung vermehrt werden; allein dies kann viel besser durch dieHerrschaft über andere als durch die Verbindung mit ihnen erreichtwerden; daher treibt unzweifelhaft jedes Menschen Natur, soweit dieFurcht ihn nicht hindert, zur Herrschaft und nicht zur Gesellschaft.Die Natur treibt den Menschen zur Dominanz. Nur die Furcht lässt ihnzögern und hindert ihn.30 Deshalb muss man anerkennen, dass der Ursprung aller grossen unddauernden Verbindungen der Menschen nicht in gegenseitigemWohlwollen, sondern in gegenseitiger Furcht bestanden hat. Grundzügeder Philosophie. Freiheit. 1. Kapitel Vom Zustand des Menschenausserhalb der bürgerlichen GesellschaftHobbes war also pessimistisch, was die menschliche Bereitschaft zurGleichheit und Gleichstellung betrifft. Er ging davon aus, dass die Menschenursprünglich unter einer Art Naturrecht standen, und dieses Naturrechtstellte er sich als einen gleichsam permanenten Kriegszustand vor:31 Daraus ergibt sich klar, dass die Menschen während der Zeit, in der sieohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht leben, sich in2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 9


einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar in einemKrieg eines jeden gegen jeden. p. 9632 Denn die wilden Völker verschiedener Gebiete Amerikas besitzenüberhaupt keine Regierung, ausgenommen die Regierung über kleineFamilien, deren Eintracht von der natürlichen Lust abhängt und die biszum heutigen Tag auf jene tierische Weise leben, die ich obenbeschrieben habe.Hobbes stellte sich die wilden Völker - die man durch die Reisen in diefernen Länder und deren Kolonisierung eben erst kennen lernte - als Tier-Menschen mit wenig Geist und Verstand vor. Man fragte sich, ob diesewilden Menschen auch wirklich zu den Menschen zu zählen seien - undauch: ob sie überhaupt eine Seele hätten.In den höheren, zivilisierten menschlichen Gesellschaften jedoch entwickeltsich der Mensch - gemäss Hobbes - zu einem geschickten und vernünftigenWesen. Er lernt die Natur beherrschen; er erfindet mechanische Automaten -diese kamen in Hobbes Zeiten in Mode -; der Mensch ist ein Künstler, unddarum erfindet er auch den grössten erdenklichen Automaten, eine ArtÜbermensch und Monster, den Leviathan. Eigentlich ist der Leviathan einalttestamentarisches Ungeheuer, eine Art Drachen, von Gott erfunden - undauch wieder von ihm zerstört. Hier illustriert von Gustave Doré33 Gustave Doré: Zerstörung des LeviathanBei Hobbes ist der Leviathan: unser ziviler Staat.34 Denn durch Kunst wird jener grosse Leviathan geschaffen, genanntGemeinwesen oder Staat, auf lateinisch civitas, der nichts anders ist als2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 10


ein künstlicher Mensch, wenn auch von grösserer Gestalt und Stärke alsder natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde.Hier das Frontispiz der Erstausgabe mit dem Leviathan im Hintergrund.35 Thomas Hobbes: Leviathan, FrontispizIm Detail: Dieses Staatsungeheuer, diese Staatsmaschine besteht aus derGesamtheit der Menschlein36 Thomas Hobbes: Leviathan, Frontispiz, DetailNach Hobbes ist also die Angst eines jeden vor dem fremden Anderen dieVoraussetzung und Rechtfertigung für die Staatsherrschaft, egal, welcheForm diese Herrschaft hat, ob Monarchie oder Republik. Solange nämlichder Naturzustand herrscht, herrscht auch Krieg und die Angst geht um. Dasübrige Leben liegt darnieder:37 Deshalb trifft alles, was Kriegszeiten mit sich bringen, in denen jedereines jeden Feind ist, auch für die Zeit zu, während der die Menschenkeine andere Sicherheit als diejenige haben, die ihnen ihre eigeneStärke und Erfindungskraft bieten.Wenn nicht die Staatsmacht die Menschen mit Gewalt zum Frieden zwingt,dann kann jeder nur auf seine eigene Stärke zählen: Es herrscht lähmendeAnarchie, bellum omina contra omnes: Krieg eines jeden gegen jeden. Indiesem Zustand sind zivilisatorische Fortschritte unmöglich:38 In einer solchen Lage ist ... beständige Furcht und Gefahr einesgewaltsamen Todes - das menschliche Leben ist einsam, armselig,2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 11


ekelhaft, tierisch und kurz. p.96Man mag das als pessimistische Sicht der menschlichen Natur bezeichnen -aber vergessen wir nicht: Auch wir leben in einem Hobbesschen Staat, ineinem Leviathan, in welchem nur der Staat - Polizei und Militär - das Rechtauf Gewalt besitzt.Eine gegenteilige Vorstellung vertrat ein Jahrhundert später Jean-JacquesRousseau.39 Maurice Quentin de La Tour: Jean-Jacques Rousseau, 1753Er stellte sich den Urzustand der Menschheit nicht als Krieg, sondern alsFrieden vor.40 Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöpfers hervorgeht; allesentartet unter den Händen des Menschen. Er zwingt ein Land, dieProdukte eines anderen hervorzubringen, einen Baum, die Früchte einesanderen zu tragen; vermischt und vermengt die Klimata, die Elemente,die Jahreszeiten; er verstümmelt seine Hand, sein Pferd, seinenSklaven; er stürzt alles um, er verunstaltet alles;Worte, die heute ein Globalisierungsgegner genau so äussern würde. ImUrsprung ist der Mensch gut, aber in seiner unvernünftigen Vernunft zerstörter alles. In seiner berühmten Schrift über den Gesellschaftsvertrag gehtRousseau auf die Frage ein, wie es zur Herrschaft komme.41 Der Mensch wird frei geboren, und überall ist er in Banden. Mancherhält sich für den Herrn seiner Mitmenschen und ist trotzdem mehrSklave als sie. Wie hat sich diese Umwandlung zugetragen?2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 12


Nach Rousseaus Ansicht ist der herrschaftliche Staat nicht Instrument derBefriedung, sondern der Knechtschaft. Er ist nicht urtümlich, sondern beruhtauf Übereinkünften, unter Menschen.42 Allein die gesellschaftliche Ordnung ist ein geheiligtes Recht, das dieGrundlage aller übrigen bildet. Dieses Recht entspringt jedochkeineswegs aus der Natur; es beruht folglich auf Verträgen.Auf Verträgen, die geändert werden können - und auf deren Neuaushandelnder Mensch ein Recht hat. Rousseau differenziert zwischen Gesellschaft undStaat. Die staatliche Ordnung kann sich nicht auf ein natürliches odergöttliches Gesellschaftsrecht berufen.43 Jean-Jacques Rousseau: Du contrat social, ErstausgabeD. SIPPE UND RANGWer hat Recht? Hobbes oder Rousseau? Welches war der Urzustand derMenschen? Lebten die Ur-Menschen im Frieden oder im Krieg untereinander?44 Urzustand: Krieg oder Frieden?Und: Dachten und handelten sie egalitär und brüderlich oder herrschaftlichund patriarchisch? Erfreuten sie sich einer unverbildeten Freiheit odervegetierten sie unterdrückt und in Ängsten dahin? Was sagt uns das Studiumder heute noch lebenden Naturvölker - soweit sie nicht in moderne Kulturenaufgegangen sind -, was weiss die Archäologie, was die Völkerkunde, wasdie Verhaltensforschung?2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 13


Wir wissen, dass der Mensch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt aus demNichts gekommen ist. Er hat mit den übrigen Primaten gemeinsameWurzeln. Wir haben ein biologisches Erbgut, das wir weitervererben, und zudiesem Erbgut gehört nicht nur der Bauplan für unseren Körper und dieLebensvorgänge, sondern auch ererbtes individuelles und kollektivesVerhalten. Dieses Gut wurde und wird weiterhin kulturell verändert undangepasst.In einem hatte Rousseau Recht:45 Die älteste und einzig natürliche Form aller Gesellschaften ist dieFamilie; obgleich die Kinder nur solange mit dem Vater verbundenbleiben, wie sie seiner zu ihrer Erhaltung bedürfen. Sobald diesesBedürfnis aufhört, löst sich das natürliche Band.Er hatte Recht - was den ersten Teil der Aussage betrifft. Die Familie ist dienatürliche Form der Gesellschaft. Aber: Sie löst sich keineswegs auf, wenndie Kinder erwachsen werden. Und: Die Familie erstreckt sich über dieKernfamilie hinaus; diese ist sozusagen eingebettet in die Sippe und denClan. Als Sippe - der Begriff wird ungenau gebraucht - wird die Gruppierungbezeichnet, die sich als blutsverwandt oder verschwägert kennt.46 Sippe blutsverwandt und verschwägertClangrössere Gemeinschaft, verbunden durch - möglicherweisefiktive Herkunft, gemeinsames Totem,gemeinsame Rituale, gemeinsame TaboosAls Clan gilt im allgemeinen eine grössere Gemeinschaft, die sich verbundenfühlt durch - möglicherweise fiktive - gemeinschaftliche Herkunft. InNaturvölkern gehören zum Clan <strong>of</strong>t gemeinsame Rituale und Tabus,2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 14


gemeinsame Mythen, also Abstammungsgeschichten, entsprechendgemeinsame Totems, ein Tier, eine Pflanze, eine Naturgewalt.Was die Struktur dieser Sippen betrifft, so hatten weder Rousseau nochHobbes Recht. Die Menschen leben seit je her weder in einem Dauerkriegnoch werden sie frei geboren, sondern sie geraten in seit jeher bestehendeausgesprochen hierarchische Strukturen. Das geht nicht nur auf diePrimaten zurück, sondern noch viel weiter. Erinnern wir uns an die Wölfeaus der letzten <strong>Vorlesung</strong>:47 Wölfe: UnterwerfungDer dominante Wolf steht aufrecht, die rangniederen Jungtiere unterwerfensich buchstäblich, mit aufmerksam ängstlichem Blick. Beachten Sie: Dabeiist der dominante Wolf nicht etwa aggressiv.48 Wölfe: Schnauze im MaulHier hält der ranghöhere Wolf die Schnauze des rangniedrigen. Er bestätigtdamit seine Dominanz, ohne dass er Schmerzen zufügt. Ähnliches tut dasHerrchen - meist unbewusst - mit seinem Hund. Er hält liebevoll dieSchnauze, und zeigt damit doch, dass er der Herr ist. Angst als Signal undentsprechende Unterwerfung dienen also der Beschwichtigung desRanghöheren, Dominanten, der allerdings zum Schutz aufgefordert wird.Rang ist eine Verpflichtung und nicht nur ein Privileg.Das Dominanz-Unterwerfungs-Verhalten wirkt konservativ; es bestärkt diefestgefügte Ordnung. Allerdings kann die Dominanz herausgefordertwerden:Wilhelm Tell, der den Hut nicht grüsst.2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 15


49 Christian H<strong>of</strong>fmeister: Siehst du den Hut dort auf der Stange?Dominanz muss erkämpft werden, was nicht heisst, dass der Aggressivsteoder Stärkste in den höchsten Rang steigt, auch bei den Wölfen nicht. Rangheisst auch Umgänglichkeit, die Fähigkeit, Artgenossen an sich binden.50 Die vielfältigen Aufgaben der Ranghohen erfordern eine Reihe vonEigenschaften, wobei gesellige Eigenschaften und Erfahrung beihöheren Tieren in zunehmendem Masse neben Körperkraft undAggressivität zählen. Die Rangstellung eines Pavians oder Makaken istkeineswegs ein Ergebnis hemmungsloser Aggression.Bei den Primaten ist es nicht anders: Es besteht innerhalb der Sippe eineHierarchie, die sich in verschiedensten Zeichen und Ritualen darstellt. WennSchimpansen ein Tier erjagt haben, so ist es das ranghöchste Männchen, dasdie Anteile der Beute an die verschiedenen Sippenmitglieder bestimmt.Ja sogar sexuelles Verhalten erhält hier eine neue Bedeutung: Mit derKopulation werden die Rangordnungen unter Männchen dargestellt; dasheisst, höherrangige kopulieren häufiger und mit mehr Weibchen. Und:Kopulationsbewegungen werden sogar unter Männchen ausgeführt. Dasranghöhere zeigt dem rangniedrigen, sich duckenden Tier durch angedeuteteKopulationsbewegungen, wer der Herr im Lande ist.Auch wir Menschen - vor allem die Männer - zeigen in allen GesellschaftenRangmerkmale, die simpel oder kompliziert sein können: laute oder barscheStimme, dominantes Auftreten,51 Charles de Gaulle2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 16


Unterbrechen der Rede des Tieferrangigen, Schmuck, Waffen, Anzahl derFrauen, Besitz von wertvollen Gütern, eigentliche Rangabzeichen im Militär52 Silvio Berlusconi und Muammar al-Gaddafiund am einfachsten: ein möglichst grimmiges Gesicht. Als Dominanzzeichenhier die Sedia gestatoria des Papstes, der tragbare Thron,53 Raffaello Sanzio: Sedia gestatoriaUnd die entsprechende Karikatur bei Goscinny:54 Goscinny: Majestix auf dem Schild getragenDazu gehört die entsprechende Demuthaltung des Gegenübers, hier einBeispiel aus dem alten Ägypten, Untergebene grüssen den Herrscher.55 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Ägypten, Untergebene grüssen den HerrscherJapaner, die sich verbeugen.56 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Japaner, grüssendYoruba: Der Kniende oder Liegende schlägt mit dem Kopf auf den Boden.57 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Yoruba, Untergebene grüssen den KönigWir kennen den Begriff “vor jemandem einen Kotau” machen. Kotaukommt aus dem Chinesischen2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 17


58 Kotau, chinesisch k’o-t’ou Schlagen mit dem KopfRitualisiert zeigt sich dasselbe Verhalten in gewissen Kirchen, vor allem beider Weihe, wo sich die Novizen nicht nur der Macht Gottes, sondern auchderjenigen der Kirche unterwerfen. Wir nennen das Prostration.59 Prostration eines NovizenDer Zeichner und Maler Paul Klee karikierte das Verhalten:60 Paul Klee: Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend,begegnen sich.E. DROHEN, IMPONIEREN UND SPOTTENUnterwirft sich einer nicht - dann wird ihm gedroht. Hier ein Waikakriegermit Schmuck, Waffen, grimmiger Miene und Muskelspiel.61 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Waikakrieger mit Schmuck und WaffenDrohendes Grüssen eines Kriegers in Uganda.62 Irenäus Eibl-Eibesfeld Liebe: Krieger in Uganda, DrohgrussDie wohl wichtigste Drohgebärde des Körpers ist das Sich-Aufrichten undBetonen der breiten und muskulösen Schultern. Dies kann durch Behaarungund Aufrichten der Haare noch verstärkt werden,63 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Hominiden, Schulterbehaarung2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 18


Das ist bei allen Menschenaffen so - auch bei Menschen. Die mangelndeBehaarung wird durch entsprechenden Schmuck oder Kleidung ersetzt.64 Waika-Indianer, Kabuki-Schauspieler, Zar Alexander II. mit EpaulettenWaika-Indianer, Kabuki-Schauspieler, Zar Alexander II. mit Epauletten.Hinzu kann mimisches Drohen kommen:65 Drohgebärde mit gespreizten Mundwinkel bei einem Mandrill, einemKabuki-Schauspieler und einem wütenden Mädchen.Es gibt die vielfältigsten weiteren Formen des Drohens: Die Faust zeigen66 Elles se prennent.oder eine Waffe. Mit einfachsten Waffen drohen übrigens schon dieSchimpansen.67 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Drohender SchimpanseAuch Zähne Zeigen ist populär, bereits bei Makaken.68 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Makake, Zähne zeigenNicht anders der Mensch:69 Desmond Morris: Mensch, Zähne zeigenDamit <strong>of</strong>t verbunden, aber auch isoliert vorkommend: das Drohstarren, das<strong>of</strong>t vor einem Angriff kommt.2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 19


70 Eibl- Eibesfeld: Drohstarren bei Himba-Jungen, Südwestafrika71 Eibl- Eibesfeld: Drohstarren bei einem Balinesischen Jungen72 Eibl- Eibesfeld: Drohstarren einer Balinesischen MutterEin klassisches Erziehungsmittel. Die Mutter starrt, das Töchterchen wendetsich beschämt ab und schmollt. Hier links der freundliche Blick eines Papua,rechts derselbe Mann, drohstarrend.73 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Liebe und Hass, Drohstarren eines PapuaWer sich damit genauer auseinander setzen möchte, dem sei dieses Buch“Liebe und Hass” von Irenäus Eibl-Eibesfeld empfohlen. Umgekehrterkennen wir ein ängstliches Gesicht nicht zuletzt am Blick, besonders amdemütigen Aufwärtsblick.74 Desmond Morris: Aufwärtsblick, Irisund der gut sichtbaren weissen Iris. Das inspirierte die christliche Heiligenmalerei.Sie kennen die Bilder:75 Charles Le Brun: Die reumütige Magdalena, 1655Hier im Detail76 Charles Le Brun: Die reumütige Magdalena, 1655, DetailZum Drohen gehört das Imponieren. Wir imponieren mit allem Möglichen,mit auffälliger Kleidung, Kutschen, Schmuck, oder allem zugleich:2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 20


77 Mann mit Ami-Schlitten und Uhr am HandgelenkBeliebte Formen des Drohverhaltens sind Drohgesten: Leerlaufgesten, beidenen ein Angriff in der Luft ausgeführt wird, und Ersatzhandlungen , beidenen der Angriff auf den eigenen Körper gerichtet ist.78 Desmond Morris: Der Mensch, mit dem wir leben. Drohgebärden.Die Faust ballen, einen Würgegriff zeigen, den Hals mit dem Fingerabschneiden, und so weiter.Ein Mittel den Rang in Frage zu stellen ist - in allen Gesellschaften - derSpott. Diffamieren, blosstellen, erniedrigen. Gespottet wird auf der ganzenWelt schon unter kleinen Kindern, meist als Gruppe gegen einen einzelnen.Spotten leitet sich von Spucken ab, man zeigt die Zunge oder spuckt vor denanderen hin, um ihn zu erniedrigen.79 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Zunge zeigen, Yanomami, !KoZum Spotten gehört das Schamweisen, das dieser !Ko-Buschmann-Jungelinks vorführt; Mädchen - rechts - heben das Schürzchen und zeigen den Po.80 Irenäus Eibl-Eibesfeld: Schamweisen bei den !KoDie Erotik der Erwachsenen wird von den Kindern in den Dienst des Spottesgestellt. Das Verhalten ist auch bei uns verbreitet.In der Karikatur wird gespottet, natürlich am liebsten über Mächtige. Hiervon Manfred Deix2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 21


81 Manfred Deix: Arnold SchwarzeneggerF. RITUALISIERTES KÄMPFENWer droht, zeigt damit, dass er keinen Kampf fürchtet. Das er seine Angstüberwinden kann. Wer droht, muss damit rechnen, dass der andere dieHerausforderung annimmt. Im Kampf wird die Rangordnung neu erstellt.Der Kampf, der Streit ermöglicht den Wandel der Gesellschaft, im Grossenwie im Kleinen. Im allgemeinen wird rituell gekämpft, mit oder ohneWaffen. Hier ein ritueller Kampf der Nuba im Sudan.82 Desmond Morris, Körpersignale: Ritueller Kampf, Nuba, SudanSolche Kämpfe sind keineswegs ungefährlich. Sie können zu Verletzungenoder gar zum Tod führen. Aber sie laufen nach Regeln ab, die von denKämpfenden und vor allem von den am Rande Beteiligten überwachtwerden. Von den Dugum Dani in Neuguinea, einem kriegerischen Volk,wird berichtet:83 Die Männer sind von früher Kindheit an auf ihre Rolle als Kriegervorbereitet; sie sind Experten, die den Krieg fast sportlich betreiben. Siekönnen in der Tat auf ihr Geschick vertrauen. Wenn einer in diesenKämpfen stirbt, dann trägt dies eher den Charakter eines Unfalls.Und doch ist das alles andere als harmlos - und wir sollten solche Ritualeauch nicht verherrlichen. Denn84 Die Kämpfe der Dugum Dani ... laufen ... nach Regeln ab, die einübermäßiges Blutvergiessen vermeiden. Allerdings werden die Toten2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 22


verrechnet: Für jeden Toten der eigenen Seite muss einer der Gegenseitefallen. Man trachtet stets nach Ausgleich und hört zu kämpfen auf,wenn der Ausgleich hergestellt ist. Da sich jedoch der andere meist imRückstand glaubt, ziehen sich die Fehden über Jahre hin; und wennauch die Zahl der Todesopfer pro Auseinandersetzung gering ist, dieVerluste summieren sich über die Jahre.In unserer Kultur lässt sich das mit den Ritterturnieren vergleichen, hier ausder Manesseschen Handschrift:85 Manessesche Handschrift: RitterturnierUnd - in modernen Zeiten - mit dem Sport, der auch keineswegs ungefährlichist. Wie viele Fussballer oder Skirennfahrer leiden an Spätfolgen vonVerletzungen? Wie viele Boxer?86 BoxerZum Sport gehört ebenfalls das Drohen - dem Gegner soll Angst eingejagtwerden: Ein drohender Kung-Fu-Kämpfer:87 Kung-Fu-KämpferDie neuseeländische Rugby-Nationalmannschaft88 Die neuseeländische Rugby-NationalmannschaftOder die drohende Tennisspielerin Serena Williams.89 Serena Williams2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 23


In allen Gesellschaften wird gekämpft. Männer kämpfen, Frauen kämpfen,Kinder kämpfen. Es ist keine Gesellschaft gefunden worden, in der nichtgekämpft wird. Kampf heisst Aggression. Gegen diese Vorstellung - ersteinmal eine pessimistische - wurde viel - gekämpft. Der Mensch sei nichtvon Natur aus aggressiv, sondern werde erst durch die Gesellschaft, durchdie Erziehung - und deren Frustrationen - zu einem aggressiven Wesengemacht. Und doch: Kampf macht auch Freude. Kriegslieder, Heldensagen,Kriegsbegeisterung gibt es in allen Zeiten. Ein <strong>The</strong>ma das ich später einmalaufgreifen möchte.Aggressivität kann natürlich gefördert werden. Yanomami-Kinder werdendazu angehalten, sich selbst zu wehren, wenn sie angegriffen sind.90 Eibl-Eibesfeld: Yanomami-Kind mit Pfeil und Bogen.Sie sollen die Lust am Kampf bewahren, denn Kampfeslust ist das besteMittel gegen die Angst. Dass es auch das beste Mittel zum Überleben ist,will ich damit nicht gesagt haben.F. NACHBARN UND FEINDEEs geht aber nicht nur um Rangordnung innerhalb der Familie oder Sippe.Kämpfe können diese Grenzen überschreiten. Kämpfe können sichausdehnen auf bewaffnete Auseinandersetzungen. Und worum geht es beidiesen Fehden, die sich im Laufe der Kulturentwicklung zu Kriegenentwickelt haben? Um zweierlei. Rache für die Verluste der letzten Fehde.Und um Territorien.Alle Menschen sind territorial. Stämme oder Horden von Menschen haben2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 24


ein gewisses Gebiet zur Verfügung. Es wird nicht geduldet, dass Nachbarstämmedarin jagen oder ernten. Um die Gebiete wird gekämpft - oderverhandelt. Viktor Lebzelter (1934) beschrieb, dass die !Kung-Buschmännersehr misstrauisch seien, wenn sie Mitgliedern fremder Hordenbegegnen. Ich zitiere nach Eibl-Eibesfeld91 Jeder Bewaffnete, dem sie begegnen, gilt von vornherein als Feind.Fremde Stammesgebiete darf der Buschmann nur unbewaffnet betreten.Selbst am Rande der Farmzone ist das gegenseitige Misstrauen sogross, dass ein Buschmann, der als Bote auf eine Farm geschickt wird,in deren Bereich eine andere Sippe sitzt, den Fahrweg, der als eine Artneutrale Zone gilt, nicht zu verlassen wagt. Nähern sich zwei fremde,bewaffnete Buschleute, so legen sie zunächst auf Sichtweite die Waffenab. Eibl Krieg und Frieden, p. 174.Das gehört zum Ritual. Fehden aber können die Grenzen des Ritualsüberschreiten; es kommt zum Krieg, zum Schrecken aller Schrecken, und zurPanik. Kriege werden nicht mehr rituell geführt. Verletzung und Tod desGegners wird erstrebt; die Angriffslust erstickt jede Tötungshemmung. Ausdem Kampf - wird eine Jagd.92 Vielfach beschränkt sich die Kriegsführung der Naturvölker aufÜberfälle, wobei man den Gegner häufig beschleicht, mit einer Taktik,die an die der Jagd erinnert.J. H. Wilhelm berichtet über die !Kung-Buschleute:93 Näher und näher kriecht der Feind heran. Jetzt beginnt der Morgen zugrauen. Plötzlich bricht es von allen Seiten über die unglücklichenSchläfer herein. Mit gellendem Geschrei brechen die Gegner mit2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 25


erhobenem Assagei (Speer) hervor. Hier und da greift einer der soplötzlich erweckten Männer zur Waffe. Aber er sinkt bald dahin. Dortverteidigt sich einer mit dem Mut der Verzweiflung gegen die anstürmendenFeinde mit seinem Assagei, jedoch die Übermacht ist zugross, von mehreren Assageistichen durchbohrt, fällt er.94 Entsetzt raffen die Frauen die Kinder auf und versuchen zu entfliehen.Doch grausam und unerbittlich werden sie erschlagen. Hier ist es einerMutter gelungen, ihr Jüngstes zu retten. Fast ist sie den Verfolgernentkommen, da bohrt sich ihr ein schwingender Pfeil in die Seite. ...Einige Hiebe mit dem Kirri zertrümmern dem Kinde den Schädel undtöten auch die Mutter.Also ist doch der Krieg Vater aller Dinge, wie der griechische PhilosophHeraklit meinte?95 Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König.Ja. Er, der Kampf um Dominanz gehört zu unseren - hauptsächlichmännlichen - Instinkten. Und die Mutter aller Dinge ist die Fürsorglichkeit,die Mitmenschlichkeit, die Nachsicht, die sich aus der Brutpflege entwickeln.Wir wissen, dass diese Eigenschaften nicht so genau unter dieGeschlechter aufgeteilt sind. Wir kennen aufbrausende Burschen undsanftmütige Mädchen; doch wir kennen auch fürsorgliche Männer undzänkische Damen. Dennoch gilt: Der Krieg ist einer der Väter - der Angst.Die Herrschlust treibt uns zum Kampf. Die Angst lässt uns zögern, lässt unskuschen, zum Preis der Dominanz des andern.96 Kämpfen oder Kuschen? Oder Aufgeben?2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 26


Zum Schluss - nach Bindung und Bedrohung, nach Fürsorge und Kampf:97 Neyers Wallfahrt2009 Angst / Soziale Bindung soziale Bedrohung / 24. März 2010 27

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