<strong>Lenin</strong> 14Beson<strong>de</strong>res Augenmerk liegt auf <strong>de</strong>r Frage nach einer möglichen direkten Kontinuität zwischen <strong>Lenin</strong> und <strong>de</strong>mTerror <strong>de</strong>s späteren Stalinismus. Nach <strong>Lenin</strong>s Tod 1924 und einer gewissen Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ruhe seit Einführung <strong>de</strong>r„NÖP“ wur<strong>de</strong> von Stalin verstärkt auf Gewaltmaßnahmen zurückgegriffen. In <strong>de</strong>n Säuberungswellen <strong>de</strong>r 1930erJahre ließ Stalin die gesamte revolutionäre Gar<strong>de</strong> von 1917 wie z. B. Bucharin, Ra<strong>de</strong>k, Kamenew und Sinowjew<strong>de</strong>mütigen und hinrichten, was – zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r Behandlung <strong>de</strong>r eigenen Partei – als Bruch Stalins mit <strong>de</strong>rTradition <strong>de</strong>r Oktoberrevolution und <strong>Lenin</strong>s verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Weitere Aspekte sind <strong>de</strong>r Übergang von<strong>Lenin</strong>s Politik <strong>de</strong>r Selbstbestimmung <strong>de</strong>r Völker zur restriktiven Nationalitätenpolitik <strong>de</strong>s Stalinismus und dasteilweise Rückgängigmachen von sozialen Errungenschaften <strong>de</strong>r Oktoberrevolution. Demnach wären <strong>Lenin</strong>ismusund Stalinismus nicht gleichzusetzen.In <strong>de</strong>utlichem Gegensatz dazu steht jedoch die verbreitete Auffassung, dass wichtige Elemente <strong>de</strong>s totalitärenGesellschaftsmo<strong>de</strong>lls Stalins bei <strong>Lenin</strong> bereits vorhan<strong>de</strong>n waren, ohne dass ein fundamentaler Gegensatz zwischenbei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Terrors als Mittel gesellschaftlicher Umgestaltung feststellbar wäre. [74] „Die Grundlagen <strong>de</strong>sstalinistischen Systems wur<strong>de</strong>n zum großen Teil schon unter <strong>Lenin</strong> gelegt.“ [75] Historiker wie Michael Woslenskiund Gunnar Heinsohn werfen <strong>Lenin</strong> vor, durch die Revolution und <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r sozialistischen Ordnung zahlloseOpfer verschul<strong>de</strong>t zu haben. Woslenski spricht dabei gar von min<strong>de</strong>stens 13 Millionen, [76] Heinsohn von 4Millionen. [77] Zahlreiche Autoren, darunter Hannah Arendt, Karl Popper, Friedrich August von Hayek und ZbigniewBrzeziński, werfen <strong>Lenin</strong> vor, durch sein Konzept <strong>de</strong>r elitären Ka<strong>de</strong>rpartei <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s sowjetischen Systems in <strong>de</strong>nTotalitarismus bereits vor <strong>de</strong>r Revolution min<strong>de</strong>stens erleichtert zu haben. [78]Wenngleich <strong>Lenin</strong> bei seinen Anhängern nach Marx und Engels als einer <strong>de</strong>r wichtigsten marxistischen Theoretikerund kommunistischen Revolutionäre gilt, reihen ihn einige Historiker unter die großen kommunistischenStaatsverbrecher <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts ein, zusammen mit Stalin, Mao Zedong und Pol Pot. Diese Einschätzungentreffen bei <strong>de</strong>n Verteidigern <strong>Lenin</strong>s auf Wi<strong>de</strong>rspruch, da sich angesichts <strong>de</strong>r Wirren von Revolution und BürgerkriegOpferzahlen in dieser Größenordnung nicht zweifelsfrei belegen ließen und die Opfer im Bürgerkrieg nicht allein<strong>de</strong>n Bolschewiki unter <strong>Lenin</strong> zuzurechnen seien.Demgegenüber wird eingewandt, dass Krieg und Terror für die Bolschewiki nicht lediglich Mittel, son<strong>de</strong>rn vonAnfang an gera<strong>de</strong>zu Strukturprinzipien ihrer Regierung gewesen seien, auf die sie we<strong>de</strong>r verzichten konnten nochüberhaupt wollten. [79] Aus <strong>de</strong>r von <strong>Lenin</strong> maßgeblich verantworteten Umwälzung während und nach <strong>de</strong>rOktoberrevolution ging – so Heinrich August Winkler – „das erste <strong>de</strong>r totalitären Regimes <strong>de</strong>s zwanzigstenJahrhun<strong>de</strong>rts hervor“. [80]Wolfgang Leonhard nimmt zur Kernfrage, inwieweit das Verhältnis <strong>Lenin</strong>s zum politischem Terror ohneEinschränkung affirmativ war, eine differenzierte Haltung ein. Einerseits habe <strong>Lenin</strong> während <strong>de</strong>s Bürgerkrieges <strong>de</strong>nTerror zur Durchsetzung <strong>de</strong>s Machtanspruches <strong>de</strong>r Bolschewiki bejaht und geför<strong>de</strong>rt, und gera<strong>de</strong> in seinerVerschärfung marxistischer Begrifflichkeiten „stand die Unterdrückung <strong>de</strong>r Gegner, die Anwendung diktatorischerGewaltmittel nun für ihn im Zentrum seiner Konzeption <strong>de</strong>r ‚Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats‘.“ [81] In <strong>de</strong>r letzten Phase <strong>de</strong>sBürgerkrieges – also schon vor seinem En<strong>de</strong> – jedoch sei bei <strong>Lenin</strong> eine „<strong>de</strong>utliche Wandlung“ erkennbar gewesen,die darauf gerichtet gewesen sei, „<strong>de</strong>n Terror und die Organe <strong>de</strong>r Unterdrückung einzuschränken“, [49] und im März1922 in die Auffassung einmün<strong>de</strong>te, von <strong>de</strong>r „Gesamt<strong>russisch</strong>en Tscheka“ zu „staatlichen politischen Gerichten“übergehen zu wollen. Insgesamt habe <strong>Lenin</strong> 1920 und 1921 begonnen, Tscheka, Terror und To<strong>de</strong>sstrafe nur alsvorübergehen<strong>de</strong> Kampfmaßnahmen und Institutionen während <strong>de</strong>s Bürgerkrieges anzusehen, die nach <strong>de</strong>ssenBeendigung abzuschaffen und einzustellen seien. [82]Manfred Hil<strong>de</strong>rmeier sieht in diesem Zusammenhang die Bolschewiki unter <strong>Lenin</strong> im Frühjahr 1921 zum Zeitpunktnach ihrem Sieg im Bürgerkrieg an einem Schei<strong>de</strong>weg. Zunehmend waren innergesellschaftlich und auchinnerparteilich Zweifel am Kurs <strong>de</strong>r politischen Gewalt lautgewor<strong>de</strong>n, im sofort nie<strong>de</strong>rgeschlagenen KronstädterMatrosenaufstand von 1921 war von Teilen <strong>de</strong>r eigenen Basis die For<strong>de</strong>rung nach einer „Rückkehr zurRäte<strong>de</strong>mokratie“ erhoben wor<strong>de</strong>n. Diese erfolgte aber nicht: „<strong>Lenin</strong> und Trotzki dachten nicht daran, alteVersprechen <strong>de</strong>s Oktober einzulösen und mehr Demokratie zu wagen“ [83] , statt<strong>de</strong>ssen wur<strong>de</strong> die Tscheka – nach
<strong>Lenin</strong> 15ihrer nur zeitweiligen Auflösung – unter <strong>de</strong>m Namen GPU wie<strong>de</strong>reingeführt und erhielt ihre wichtigsten„Vollmachten, Deportation und To<strong>de</strong>sstrafe, zurück“, [62] so dass die „grundlegen<strong>de</strong>n Deformationen als Erbe <strong>de</strong>sOktobercoups und <strong>de</strong>s Bürgerkrieges“ beibehalten und dauerhaft in die neue staatliche Ordnung überführtwur<strong>de</strong>n. [62]Filmische Rezeption• Drei Lie<strong>de</strong>r über <strong>Lenin</strong> (Tri pesni o <strong>Lenin</strong>e), Regie: Dsiga Wertow, 1934 – 59 Min.• <strong>Lenin</strong> im Oktober (<strong>Lenin</strong> w oktjabre), Regie: Michail Romm, 1937 – 95 Min.• <strong>Lenin</strong> im Jahr 1918 (<strong>Lenin</strong> w 1918 godu), Regie: Michail Romm, 1939 – 125 Min.• Erzählungen über <strong>Lenin</strong> (Rasskasy o <strong>Lenin</strong>e), Regie: Sergej Jutkewitsch, 1958 – 115 Min.• Das blaue Heft (Sinjaja tetrad; nach <strong>de</strong>m gleichnamigen Buch von Emmanuil Kasakewitsch), Regie: LewKulidshanow, 1963 – 90 Min.• <strong>Lenin</strong> in Polen (<strong>Lenin</strong> w Polsche), Regie: Sergej Jutkewitsch, 1966 – 96 Min.• Der 6. Juli (Schestoje ijulja; nach <strong>de</strong>m Stück von Michail Schatrow), Regie: Juli Karassik, 1968 – 105 Min.• Unterwegs zu <strong>Lenin</strong> (nach <strong>de</strong>m gleichnamigen Buch von Alfred Kurella), Regie: Günter Reisch, KoproduktionDEFA/Mosfilm, 1970 – 103 Min.• Vertrauen (Dowerije), Regie: Viktor Tregubowitsch, 1977 – 93 Min.• <strong>Lenin</strong> in Paris (<strong>Lenin</strong> w Parishe), Regie: Sergej Jutkewitsch, 1981 – 105 Min.• <strong>Lenin</strong> in Zürich (nach <strong>de</strong>m Roman von Alexan<strong>de</strong>r Solschenizyn), Regie: Rolf Busch (ORF/SRG/NDR), 1984 – 88Min.• Der Zug, Regie: Damiano Damiani, Fernsehfilm 1988, italienisch-französisch-<strong>de</strong>utsch-österreichischeKoproduktion – 170 Min.Werke• Neue wirtschaftliche Vorgänge im bäuerlichen Leben 1893• Was sind die „Volksfreun<strong>de</strong>“ und wie kämpfen sie gegen die Sozial<strong>de</strong>mokraten? (Antwort auf die gegen dieMarxisten gerichteten Artikel <strong>de</strong>s Russkoje Bogatstwo), Frühjahr- Sommer 1894• Der ökonomische Inhalt <strong>de</strong>r Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in <strong>de</strong>m Buch <strong>de</strong>s Herrn Struwe (DieWi<strong>de</strong>rspiegelung <strong>de</strong>s Marxismus in <strong>de</strong>r bürgerlichen Literatur) [84] . Zu <strong>de</strong>m Buch von P. Struwe: KritischeBemerkung zur ökonomischen Entwicklung Russlands von 1894, En<strong>de</strong> 1894 – Anfang 1895 (PDF-Datei; 541 kB)• Was tun? Brennen<strong>de</strong> Fragen unserer Bewegung, März 1902 (Ka<strong>de</strong>rpartei als Avantgar<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Arbeiterbewegung,Demokratischer Zentralismus)• Die Aufgaben <strong>de</strong>r revolutionären Jugend [85] , veröffentlicht in <strong>de</strong>r Zeitung Stu<strong>de</strong>nt Nr. 2/3, September 1903• Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, 1904• Marxismus und Revisionismus [86] , geschrieben nicht nach <strong>de</strong>m 16. April 1908• Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie, 1909• Drei Quellen und drei Bestandteile <strong>de</strong>s Marxismus [87] , März 1913• Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht <strong>de</strong>r Nationen [88] , Januar – Februar 1916• Über die Junius-Broschüre [89] , Oktober 1916• Der Imperialismus und die Spaltung <strong>de</strong>s Sozialismus [90] , Oktober 1916• Der Imperialismus als höchstes Stadium <strong>de</strong>s Kapitalismus, Mitte 1917• Staat und Revolution, August – September 1917• Eine <strong>de</strong>r Kernfragen <strong>de</strong>r Revolution [91] , September 1917• Die proletarische Revolution und <strong>de</strong>r Renegat Kautsky, Oktober – November 1918.• Der „Linke Radikalismus“, die Kin<strong>de</strong>rkrankheit im Kommunismus [92] , April–Mai 1920• Lieber weniger, aber besser [93] , 2. März 1923 (PDF-Datei; 100 kB)